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Klappstul Gänsefüßchen
Alter: 76 Beiträge: 17 Wohnort: Leipzig
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17.12.2013 15:17 Freizeit mit 'Heidemarie' (Leseprobe I) von Klappstul
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Anton ist arbeitslos. Durch Umstände bekommt er Kontakt zu einem Verein, der sich 'Operation Heidemarie' nennt und Freizeiten für Behinderte organisiert. Der Verein sucht für die Freizeiten ehrenamtliche Helfer und Fahrer für seine Kleinbusse. Anton hofft, auf diese Weise endlich wieder Urlaub machen zu können und bewirbt sich. Er wird genommen. Während der Freizeit lernt er Gerd und Vera, ein Rollifahrer-Ehepaar, kennen.
... Am zweiten Abend, sie sitzen im Garten des Hauses zusammen, lernt Anton seine dritte und wichtigste Lektion. Sie trinken Wein. Anton hat eine Flasche spendiert, Gerd und Vera und noch ein paar andere auch. Ein Mädchen von der Jungen Gemeinde hat eine großes Stück Schnittkäse gekauft. Sie hat es in kleine Würfel geschnitten und bietet sie als Happen zum Rotwein an. Das kennt Anton noch nicht, und es schmeckt ihm. Paulchen hat sich geschickt vor dem Spendieren gedrückt, spricht aber fleißig dem Dornfelder zu. Anton ist ja da, und er hat ein Auge auf Paulchen …
Gerd stößt Anton an. „Mein Beutel ist voll“, sagt er leise.
„Was?“
„Mein Pißbeutel, Mensch!“
„Aha. Und was machen wir jetzt?“ Jutta ist gerade nicht da.
„Wir gehen hinter die Büsche.“
Anton löst die Bremsen an Gerds Rollstuhl und bugsiert ihn aus der Runde. Sie gehen hinter die Büsche.
„Paß auf“, sagt Gerd. „Der Beutel ist an meinem linken Unterschenkel befestigt. Mach den Reißverschluß unten am Hosenbein auf.“
Anton zögert.
„Na mach schon!“ knurrt Gerd. Anton tut, wie ihm geheißen. Er zieht das Hosenbein hoch, und darunter wird ein stabiler Plastikbeutel sichtbar, der mit zwei Schlaufen an Gerds Unterschenkel befestigt ist. Oben führt ein Schlauch hinein. Der Beutel ist groß genug für einen Liter, und er ist prall gefüllt mit Urin.
„Siehst Du die Mimik ganz unten?“
Anton sieht sie. Die Mimik ist eine sinnvolle Vorrichtung, die das Ablassen des Urins ermöglicht, ohne daß man den Beutel abschnallen muß. Anton erkennt die Funktionsweise der Vorrichtung und will die Zuhalte öffnen.
„Bist Du verrückt!“ schnauzt Gerd. „Erst gucken, dann zucken!“
Anton bringt erst Gerd und dann sich in eine günstige Position, und er öffnet die Zuhalte. Der Urin fließt ins Gras und es entsteht eine kleine Pfütze. Zum Schluß plätschert es leise. Anton streicht ein paar Mal mit der flachen Hand über den Beutel, um den Urin vollständig herauszubekommen. Der Beutel fühlt sich angenehm warm an. Anton schließt die Zuhalte und verstaut alles wieder in Gerds Hosenbein. Gerd nickt beifällig.
„Ist der Schlauch an Deinem Pimmel befestigt?“ fragt Anton.
„Ja, mit einem Kondom-Urinal. Das gibt's aber auch mit Katheder.“ Anton verzieht das Gesicht.
Sie gehen zurück in die Runde. Niemand hat ihre kurze Abwesenheit zur Kenntnis genommen. „Was oben 'rein geht, muß unten wieder 'raus“, sagt Gerd und feixt.
Anton füllt ihre Gläser, und sie stoßen miteinander an. ...
12Wie es weitergeht »
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_________________ Immer ein paar Milliliter Tinte im Füller! Ahoi. |
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Klappstul Gänsefüßchen
Alter: 76 Beiträge: 17 Wohnort: Leipzig
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18.12.2013 17:29 Freizeit mit 'Heidemarie' (Leseprobe II) von Klappstul
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Jutta ist von Beruf Altenpflegerin, und sie verbringt jedes Jahr einen Teil ihres Urlaubs mit 'Heidemarie'. Sie ist die Betreuerin von Gerd und Vera. Anton und Jutta mögen sich, und sie kommen sich näher. Dirk ist von Beruf Diakon. Er ist der Geschäftsführer des 'Heidemarie'-Vereins und er leitet die Freizeit. Der Verein beruft sich auf christliche Werte und ist Mitglied der Diakonie Thüringens. Anton ist überzeugter Atheist.
... An den abendlichen Andachten vor dem Schlafengehen nimmt Anton für gewöhnlich nicht teil. An diesem Abend bittet ihn Jutta, Gerd in den Andachtsraum zu bringen, sie werde sonst mit Vera nicht fertig. Na gut, denkt Anton, ihr zuliebe … Dirk schaut, ob noch jemand fehlt. Er begrüßt Anton mit einem Nicken, und er lächelt ihm aufmunternd zu. Anton runzelt die Stirn. Dann kommen Jutta und Vera, und Dirk kann beginnen. Umständlich zündet er ein paar Kerzen an, die er in der Mitte des Raumes kreisförmig aufgestellt hat. Dann singen sie ein Lied. Dirks voller und kräftiger Bariton wirkt in dem allgemeinen Gepiepse und Gegröle wie die schützende Hand des Herrn über der Herde, die sich alleine nicht zu helfen weiß. Nur Sven kann da mithalten, stellt Anton fest. Was für ein erstaunlicher junger Mann! denkt er. Danach liest Dirk einen Text vor, in dem es um Sehnsüchte und geheime Wünsche geht. Anton schaut zu Jutta hinüber. Ihre Blicke treffen sich, und Anton hofft, daß sie die selben Sehnsüchte hegt wie er. Dann fordert Dirk die Teilnehmer auf, über ihre eigenen Sehnsüchte und Wünsche zu sprechen. Niemand sagt etwas. Dann beginnt Ecki zu sprechen. Ecki ist ein junger Bursche von vielleicht achtzehn Jahren, und er gehört zum Klientel der Jungen Gemeinde. Er ist, wie Gerd, hochgradig gelähmt. Aber während Gerd während seiner Dienstzeit bei der NVA einen Sportunfall erlitt, kennt Ecki es nicht anders. Er ist seit seiner frühesten Kindheit gehandicapt. Er sei vom Wickeltisch gefallen, erfährt Anton später. Seine Mutter sei daran verzweifelt, sei Alkoholikerin geworden und irgendwann verstorben.
„Ich wünsche mir, daß ich früh aufwache und wieder gesund bin“, sagt Ecki. „Und ich wünsche mir, daß der Herr Jesus hereinkommt, mich an die Hand nimmt und mit mir nach meiner Mutti sucht.“
Alle schweigen. Anton hält den Atem an.
„Und dann gehen wir über einen großen Spielplatz. Dort gibt es lauter bunte Spielgeräte. Ich steige auf ein Klettergerüst und auf eine Rutsche, und Schaukeln gibt es auch. Und dann kommt meine Mutti. Sie ist jung und schön. Und sie nimmt mich in die Arme, und wir gehen nach Hause.“
Nach der Andacht bringen sie Vera und Gerd ins Bett. Vor der Tür bleiben sie stehen, um sich voneinander zu verabschieden. Anton muß in den zweiten Stock, wo die Zimmer für die körperlich Unversehrten sind, und Juttas Zimmer liegt gleich neben dem von Vera und Gerd. Sie küssen sich.
„Komm mit“, sagt er.
„Später“, sagt sie. „Laß die Tür offen.“
Anton macht Toilette und legt sich hin. Dann klappt leise die Tür. Jutta zieht sich lautlos aus und schlüpft zu Anton unter die Decke.
„Euer Herrgott sei Ecki gnädig“, sagt Anton nach einer Weile.
„Gott ist immer gnädig!“
Aber Anton will keine philosophische Debatte, Anton will Liebe. Und die bekommt er. ...
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_________________ Immer ein paar Milliliter Tinte im Füller! Ahoi. |
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Soraja Eselsohr
Beiträge: 227
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18.12.2013 20:09
von Soraja
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Hallo Klappstuhl,
dein Stoff hat das Potential wirklich rührend auf den Leser oder die Leserin zu wirken. Mit dem Schicksal von Ecki und seiner Hoffnung auf ein Wunder, kann man mitfühlen.
Vielleicht wäre es bei einem eher kurzem Text wie deinem gut, nur zwei maximal drei Figuren namentlich ins Spiel zu bringen. Dafür aber mehr auf die Stimmung einzugehen.
Z.B. Welches Lied wird gesungen? Wenn der Leser den Namen kennt oder zumindest die Kategorie des Liedes, kann er sich besser einfühlen in die Situation.
Lieben Gruß
Soraja
_________________ Soraja wünscht Dir einen wundervollen Tag! |
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Einar Inperson Reißwolf
Beiträge: 1675 Wohnort: Auf dem Narrenschiff
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18.12.2013 22:20 Re: Freizeit mit 'Heidemarie' (Leseprobe II) von Einar Inperson
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Klappstul hat Folgendes geschrieben: | [i]Dann beginnt Ecki zu sprechen. Ecki ist ein junger Bursche von vielleicht achtzehn Jahren, und er gehört zur Klientel der Jungen Gemeinde. Er ist, wie Gerd, hochgradig gelähmt. Aber während Gerd während seiner Dienstzeit bei der NVA einen Sportunfall erlitt, kennt Ecki es nicht anders. Er ist seit seiner frühesten Kindheit gehandicapt. Er sei vom Wickeltisch gefallen, erfährt Anton später. Seine Mutter sei daran verzweifelt, sei Alkoholikerin geworden und irgendwann verstorben.
„Ich wünsche mir, daß ich früh aufwache und wieder gesund bin“, sagt Ecki. „Und ich wünsche mir, daß der Herr Jesus hereinkommt, mich an die Hand nimmt und mit mir nach meiner Mutti sucht.“ |
Hallo Klappstul,
nehmen wir mal Ecki. Er ist also behindert. Persönliche Einstellung, welche Begriffe man hier wählen möchte. Zunächst hab ich gedacht, er sei querschnittsgelähmt.
Als er zu sprechen beginnt, klingt es, als seien seine kognitiven Fähigkeiten nicht auf dem Niveau einen achtzehnjährigen jungen Mannes.
Gewissheit gibt mir Dein Text an dieser Stelle allerdings nicht. Ich bleibe unsicher.
Gelungen finde ich dagegen die Bettszene mit Jutta und Anton.
Ein Blick während der Andacht, ein Kuss nach der Pflege, eine Frage und ein zu Anton in das Bett Schlüpfen, mehr braucht es nicht.
Gefällt mir.
Wenn Du noch weitere Episoden "Heidemarie" einstellen magst, wäre es schön, wenn Du den Fortsetzungsbutton einsetzen würdet. Dann könnte man in einem Thread die Kapitel verfolgen
Schon die Biergartengeschichte ist unterhaltsam. Mir gefällt es, dass Dein Thema bisher als Alltagsgeschichte daher kommt.
_________________ Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch
Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
Einar Inperson in Anlehnung an Aris Kalaizis
si tu n'es pas là, je ne suis plus le même
"Ehrfurcht vor dem Leben" Albert Schweitzer |
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Klappstul Gänsefüßchen
Alter: 76 Beiträge: 17 Wohnort: Leipzig
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19.12.2013 11:55
von Klappstul
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@Soraya: Das sind nur zwei kurze Auszüge aus einer umfangreicheren Geschichte. Personen, die ich mit Namen nenne, werden an anderer Stelle eingeführt und kurz charakterisiert. Sven z. B. ist ein talentierter junger Mann, der nicht das erste Mal bei Heidemarie mitmacht, von ihm kann Anton vieles lernen.
Was das Lied betrifft, legst Du den Finger in eine schmerzende Wunde. Ich war zu faul zum Recherchieren.
Ich habe den Abschnitt geändert. Guckst Du:
... An den abendlichen Andachten vor dem Schlafengehen nimmt Anton für gewöhnlich nicht teil. An diesem Abend bittet ihn Jutta, Gerd in den Andachtsraum zu bringen, sie werde sonst mit Vera nicht fertig. Na gut, denkt Anton, ihr zuliebe … Dirk schaut, ob noch jemand fehlt. Er begrüßt Anton mit einem Nicken, und er lächelt ihm aufmunternd zu. Anton runzelt die Stirn. Dann kommen Jutta und Vera, und Dirk kann beginnen. Umständlich zündet er ein paar Kerzen an, die er in der Mitte des Raumes kreisförmig aufgestellt hat. Sven stimmt seine Gitarre. Dann beginnt er zu singen: „Komm Herr, segne uns“. Nach und nach fallen alle ein. Dirk hat Blätter mit dem Text verteilt. Als er Anton eins in die Hand drücken will, hat der nach kurzem Zögern zugegrffen, kurz angelesen und es dann Gerd gegeben. Der kennt den Text auch nicht. Dirks voller und kräftiger Bariton wirkt in dem allgemeinen Gepiepse und Gegröle wie die schützende Hand des Herrn über der Herde, die sich alleine nicht zu helfen weiß. „Keiner kann allein Segen sich bewahren. Weil du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen“, singen sie. Sven stampft rhythmisch mit dem linken Fuß, sein Oberkörper und sein Kopf wippen fordernd auf und ab, als wollte er den Chor antreiben. Was für ein erstaunlicher junger Mann! denkt Anton. Danach liest Dirk einen Text vor, in dem es um Sehnsüchte und geheime Wünsche geht. Anton schaut zu Jutta hinüber. Ihre Blicke treffen sich, und Anton hofft, daß sie die selben Sehnsüchte hegt wie er. Dann fordert Dirk die Teilnehmer auf, über ihre eigenen Sehnsüchte und Wünsche zu sprechen. Niemand sagt etwas. Dann beginnt Ecki zu sprechen. Ecki ist ein junger Bursche von vielleicht achtzehn Jahren, und er gehört zum Klientel der Jungen Gemeinde. Er ist, wie Gerd, hochgradig gelähmt. Aber während Gerd während seiner Dienstzeit bei der NVA einen Sportunfall erlitt, kennt Ecki es nicht anders. Er ist seit seiner frühesten Kindheit gehandicapt. Er sei vom Wickeltisch gefallen, erfährt Anton später. Seine Mutter sei daran verzweifelt, sei Alkoholikerin geworden und irgendwann verstorben.
„Ich wünsche mir, daß ich früh aufwache und wieder gesund bin“, sagt Ecki. „Und ich wünsche mir, daß der Herr Jesus hereinkommt, mich an die Hand nimmt und mit mir nach meiner Mutti sucht.“
Alle schweigen. Anton hält den Atem an.
„Und dann gehen wir über einen großen Spielplatz. Dort gibt es lauter bunte Spielgeräte. Ich steige auf ein Klettergerüst und auf eine Rutsche, und Schaukeln gibt es auch. Und dann kommt meine Mutti. Sie ist jung und schön. Und sie nimmt mich in die Arme, und wir gehen nach Hause.“
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_________________ Immer ein paar Milliliter Tinte im Füller! Ahoi. |
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Soraja Eselsohr
Beiträge: 227
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19.12.2013 19:33
von Soraja
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Hallo Klappstuhl,
Recherche ist manchmal etwas leidig, aber oft ist sie auch wirklich nötig. Ich finde, sie hat sich für deinen Text durchaus gelohnt!
_________________ Soraja wünscht Dir einen wundervollen Tag! |
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Einar Inperson Reißwolf
Beiträge: 1675 Wohnort: Auf dem Narrenschiff
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19.12.2013 19:52
von Einar Inperson
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Klappstul hat Folgendes geschrieben: | und er gehört zum Klientel der Jungen Gemeinde. |
Hallo Klappstul,
auch wenn ich lästig falle:
Klientel, die
Es muss also heißen:
und er gehört zur Klientel der Jungen Gemeinde.
_________________ Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch
Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
Einar Inperson in Anlehnung an Aris Kalaizis
si tu n'es pas là, je ne suis plus le même
"Ehrfurcht vor dem Leben" Albert Schweitzer |
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Klappstul Gänsefüßchen
Alter: 76 Beiträge: 17 Wohnort: Leipzig
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20.12.2013 13:13
von Klappstul
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Richtig. Danke.
_________________ Immer ein paar Milliliter Tinte im Füller! Ahoi. |
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