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The Big Brother


 
 
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Hera Klit
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 61
Beiträge: 447



Beitrag21.03.2022 20:47
The Big Brother
von Hera Klit
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

The Big Brother


Meine Mutter weiß schlichtweg nicht, wer ich bin. Ich kann mein wahres Ich vor ihr gut verbergen. Sie schöpft nicht den mindesten Verdacht, dass mit ihrem braven Sohn etwas nicht stimmen könnte. Vor jedem Schwurgericht würde sie aussagen, einen ordentlichen Durchschnittssohn zu haben. Ihr gegenüber habe ich meine Mimik und Gestik total im Griff. Nichts deutet für sie auf eine in ihren Augen Irregularität meines Wesens hin. Auch meine Gedanken kann ich, wenn ich mit ihr ins Gespräch komme, immer sauber kontrollieren, da rutscht nichts Unbedachtes durch, kein Geheimnis wird gelüftet. Mein Mund kann absolut über mein Anderssein schweigen. So schütze ich sie vor meiner Wahrheit, die für sie eine Unerträgliche und Zersetzende wäre. Kenne ich doch seit Jahrzehnten ihre unabänderliche Meinung und ihre Abneigung gegen solche Menschen, wie ich einer bin. Nie käme es mir in den Sinn, sie mit meiner Wahrheit über mich zu verletzen. Ich bin das, was man einen guten Sohn nennt. Mein Vater, der längst von uns gegangen ist, konnte dies auch im Glauben an die Gutgeratenheit seines Sohnes tun. Und in diesem Glauben starb er und gab der Mutter den Auftrag, das Vermögen einst an mich weiterzugeben, jedenfalls das, was noch übrig bliebe. Meine Frau hält viel von mir, obwohl ihr meine Korrektheit und saubere Durchschnittlichkeit und moralische Festigkeit manchmal sogar schon etwas unheimlich wird. Meine Kinder denken von mir nur das Beste und würden auf ihren guten Vater niemals etwas kommen lassen. Selbst mein Chef wird nicht müde, meine menschlichen Vorzüge hin und wieder als vorbildlich herauszustellen.



Ich mache also bei meinen Mitmenschen alles richtig. Keiner schöpft Verdacht und ich könnte dereinst beruhigt als Saubermann sterben, dem keiner einen bösen Nachruf zu widmen ehrlichen Herzens im Stande wäre. Aber ich habe ein Problem. Die Suchmaschine weiß zu viel über mich. Dieser Big Brother hat zu viele Informationen über mich gesammelt und gespeichert, die jederzeit abrufbar auf Datenträgern bereitliegen. Unlöschbar, unkorrigierbar und verwendbar für meine Zerstörung bis zum jüngsten Tag. Selbst wenn ich mir eines Tages vornehmen würde, mich zu ändern und meinem geheimen Verlangen abzuschwören, würden diese Daten erhalten bleiben, als ein Hieb und stichfester Beweis für meine schändliche Verlogenheit der ganzen Welt gegenüber. Aus innerer Schwäche und Getriebenheit gab ich manchmal nachts, wenn ich ganz alleine mich wähnte Suchbegriffe in die Suchmaschine ein, die meine sexuelle, meine politische und meine weltanschauliche Unangemessenheit in einer geradezu entlarvenden Direktheit preisgaben. Sooft ich mir vornahm, nicht mehr in das gesellschaftlich ungeduldete Verhalten und Denken zu verfallen, so oft passierte mir auch wieder ein Rückfall. Einmal war es meine sexuelle Gier nach dem Ungewöhnlichen oder ein andres Mal meine anarchistische politische Einstellung, die mich veranlasste, Suchanfragen abzusetzen, die an höchsten Stellen Bedenken auslösen müssen. Manchmal war ich so unvorsichtig und äußerte meine Meinung in einem Onlinebeitrag in einem Forum etwas zu scharf formuliert und wurde der Hassrede bezichtigt. All diese Vergehen und Auffälligkeiten sind registriert worden und wurden unlöschbar gespeichert. Jederzeit abrufbar, falls ein Zurückdrängen oder Unschädlichmachen meiner Person nach Meinung der zuständigen Ämter und der entscheidenden Personen angezeigt sein sollte. Womöglich wird es selbst für meine Enkel noch unmöglich werden, ein Staatsamt erlangen zu können. Aufgrund meines desaströsen Suchprofils wird die Suchmaschine bestimmt Meldung gemacht haben. Diese Auffälligkeiten und Unregelmäßigkeiten meines Charakters sind ihr auf keinen Fall verborgen geblieben.
Und wenn sie einmal stutzt, dann ist im Prinzip der Zug schon abgefahren.


Dann hat sie den Menschen durchschaut und weiß, von diesem Individuum kann nichts Gutes für die Gesellschaft kommen. Aber was wird sie tun? Wird sie tatenlos zuschauen oder wird sie Gegenmaßnahmen einleiten. Wird sie mir künftig Suchergebnisse zuspielen mit der erklärten Absicht, meinen Charakter zu bessern und mich auf den Pfad der Tugend zurückzuführen? Ich kann nur hoffen, dass sie so gnädig ist und mir hilft und mich nicht einfach fallen lässt.

Und wenn sie mich fallen lässt und mich vernichten will? Was dann? Angenommen, ich fühle mich krank und recherchiere auf eigene Faust in der Suchmaschine nach Lösungen für mein Leiden. Dann wäre es doch denkbar, dass sie mir Tipps gibt für in meinem Fall gesundheitsschädliche Medikamente, wenn sie beabsichtigt, mich aus den Reihen der User zu tilgen?

Ich könnte mich niemals dagegen wehren, zu verschlungen sind ihre Wege und Möglichkeiten auf mich einzuwirken. Ich muss der Suchmaschine einfach weiterhin vertrauen und versuchen künftig durch gesellschaftskonforme und moralisch vollkommen gefestigte Suchanfragen ihr Vertrauen in mich zurückzugewinnen.

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John McCrea
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 50
Beiträge: 152
Wohnort: OWL


Beitrag22.03.2022 12:45

von John McCrea
Antworten mit Zitat

Hallo Hera,

ich habe den Text komplett gelesen und muss sagen, dass Du mein Interesse soweit geweckt hast, dass ich wirklich gerne gelesen habe.

Ich halte den Begriff "Big Brother" für nicht zulässig, was das Ansteuern auf die Fixierung zu einer Suchmaschine angeht. "Big Brother" ist mir in dem Zusammenhang einfach zu stark für eine Applikation.

Ansonsten ist dieser Prolog einer Geschichte ganz gut geschrieben. Unauffällig von der Sprache, wie auch der Protagonist, unauffällig seine Beziehung zu dem Internet pflegt.

Das Thema hat für mich durchaus einen Reiz.
Internetuser agieren unterschiedlich im Internet. Als es aufkam, gab es viel anarchisches Ausleben, eine offensichtliche Freiheit menschliche Ideen zu erkunden, sich selbst darzustellen und zu agieren.
Erstaunlicherweise scheint es mittlerweile einen Zusammenhang zu geben zwischen dem eigenen Surfverhalten, welches mittlerweile oftmals gemauert zu sein scheint und dem Einsetzen von Kontrollen bezüglich angemessener Inhalte und Kontrollstellen.


_________________
Italian Leather Sofa
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Hera Klit
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 61
Beiträge: 447



Beitrag22.03.2022 13:20

von Hera Klit
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank lieber John,

ich glaube du unterschätzt da die Macht und den Einfluss einer Suchmaschine.

Ich habe den Text geschrieben, nach meiner Lektüre der Biographie von Edward Snowden und dem Buch von Noam Chomsky über die Macht der Medien.

Ich denke mal, die Zeiten, als das Internet ein freies Medium war, sind lange
vorbei. Es wird wie die anderen Medien mehr und mehr ein Mittel der
staatlichen Propaganda(heute PR genannt).

Wir steuern auf ein potenziertes 1984 zu, das ist gewiss.

Liebe Grüße
Hera
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