18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Einstand
Der Weg der Wölfin


 
 
Gehe zu Seite 1, 2  Weiter
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag27.01.2024 22:59
Der Weg der Wölfin
von Hugin_Hrabnaz
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat


An dieser Stelle möchte ich mal - zunächst weitgehend kommentarlos - die ersten vier Seiten eines meiner beiden aktuellen Buchprojekte teilen. Zur ganz groben Einordnung: Es ist ein Fantasysetting, das von einer halbnomadischen arktischen bzw. subarktischen Zivilisation auf eisenzeitlichem Entwicklungsniveau inspiriert ist.

Ich stelle dazu mal keine Leitfragen oder dergleichen, sondern würde mich einfach freuen, wenn jemand von Euch mal hinein lesen möchte, und seine ersten Eindrücke mit mir teilen würde.

Danke im Voraus.



Der Weg der Wölfin

Kapitel I – Die Enkelin der Tundra

Szene I.1. – Stuorsalva


Es ist Herbst geworden über der kalten, baumlosen Steppe des Nordens. Die gleichwohl noch immer zaghaft wärmende Sonne steht bereits am frühen Nachmittag nurmehr tief über dem dunkelblauen Wasser des Hlekath. An dessen Ufern hat das Wollgras längst seine flaumigen, weißen Samenstände verloren und seine schlanken Halme und Blätter, die im Sommer noch satt und grün glänzten, legen ihr rostrotes Herbstkleid an. Ein frischer, aber nicht allzu stürmischer Wind zaubert gleichmäßige sanfte Wellen auf die Oberfläche des großen Sees, und ebensolche sanften Wellen durchziehen auch das bereits gelb und trocken gewordene Schilf an seinen Ufern, das in der Brise leise vor sich hin raschelt. Schritt für Schritt geht Qaanaaraq langsam den langen Brettersteg hinaus, der von der Jurte weg zum Anlegeplatz der Kajaks führt, mit denen ihr Vater und ihr Onkel zum Fischen hinaus auf den Hlekath fahren, und oft auch ein Stück weit den großen Strom hinab, der durch den See fließt. So wie die Sonne über den Himmel wandert, von Osten nach Westen. Der Fluss ist ihrem Volk heilig, wie auch der See, der Wind und die Sonne. Und die ihr so fremden schneebedeckten Berge weit im Süden und Osten, von wo der Fluss herkommt.

Qaanaaraq streift mit ihrer rechten Hand zärtlich über das Schilf und wirft die letzten, an den verblühten Rohrkolben hängenden wolligen Flugsamen in den Wind, so hoch sie kann. Sie schaut ihnen verträumt hinterher, wie sie langsam über den See fortgetragen werden. Wohin es sie wohl tragen wird? Eine Böe weht ihr das lange, schwarze Haar von hinten ins Gesicht, also bindet sie die Haare zusammen und hält sich schützend die Hand über die Augen, um nicht von der Sonne geblendet zu werden. So schaut sie am Ufer des Hlekath entlang nach Westen. Wann wird wohl ihr Onkel zurückkommen? Er ist am frühen Morgen mit seinem Kajak zum westlichen Ausgang des Sees gepaddelt, um genau dort nach Quappen zu fischen, wo der Strom von Hlath den großen See verlässt. Schon seit den Zeiten der Ahnen gilt dieser Ort Qaanaaraqs Stamm als der beste Fischgrund weit und breit, und sie kann sich nicht erinnern, dass der Onkel von dort einmal ohne einen reichen Fang nach Hause gekommen wäre.

Noch ist er nicht zu sehen, doch es ist auch noch eine ganze Weile hin, bis die Nacht hereinbricht. Kein Grund zur Sorge also. Qaanaaraq spannt ein langes, dünnes Schilfblatt zwischen ihre beiden Daumen und bläst hindurch, so dass es klingt, als rufe eine Graugans nach ihresgleichen. Doch die Schar von Gänsen, die sie am anderen Ufer des Sees ausmachen kann, nähert sich zwar ein wenig, fliegt jedoch schließlich unbeirrt weiter, über ihren Kopf hinweg, in Richtung der Berge am östlichen Horizont. Sie wendet sich von den Vögeln ab, und nimmt den Lederbeutel von ihrem Gürtel, um sich ein paar von den Moosbeeren zu nehmen, die sie im Sommer gesammelt und getrocknet hat. Sie schmecken süß und kräftig, aber auch ein wenig bitter. Qaanaaraq denkt an ihre Großmutter, die vor drei Wintern gestorben war. Diese kräftig roten Beeren, die an den sumpfigen Ufern von Fluss und See wachsen, seien wie das Leben selbst, hatte sie ihrer Enkelin beigebracht. Vor allem süß, doch immer auch ein wenig bitter. Außerdem sagte sie stets, dass man immer eine Handvoll dabeihaben solle, um sich dessen zu erinnern, und um nicht vor seiner Zeit zu welken. Und um zu gedeihen, ganz wie die immergrünen Pflanzen aus dem Moor, die rund um Stuorsalva so zahlreich waren, dass es Qaanaaraq wahrlich nicht an Moosbeeren mangelte. So lange ihre Großmutter lebte, hatte Qaanaaraq nie so recht verstanden, was sie gemeint hatte, als sie vom bittersüßen Leben und vom Welken sprach. Doch als die Großmutter dann gestorben und so zum ersten Mal der Tod in Qaanaaraqs Leben getreten war, begann ihr zu dämmern, dass die Beeren sie vor Unheil bewahren und an die Sterblichkeit gemahnen sollten. Sie setzt sich am seeseitigen Ende des Stegs auf die Bretter und lässt die Füße knapp über dem Wasser baumeln, während sie den Kopf in den Nacken legt und sich mit den Händen am Steg abstützt. Sie genießt dabei den unvergleichlichen Geschmack der Beeren. Obwohl sie ihre Großmutter vermisst, ist sie nicht traurig, sondern es huscht sogar ein Lächeln über ihr Gesicht, während sie an die sonnigen Sommertage denkt, an denen sie gemeinsam beim Beerensammeln waren und viel Spaß damit hatten, die Gänse zu locken, die Biber zu necken und Blumen zu pflücken, um am liebsten aus tief purpurnen Weidenröschen und mit feinen dunklen Adern reich verzierten rötlich-weißen Sumpfherzblättern bunte Kränze fürs Haar zu flechten.

Mit geschlossenen Augen tagträumt Qaanaaraq so vor sich hin als sie spürt, wie sich die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht allmählich verdunkeln und es ein wenig kühler wird. Als dann der Wind auffrischt, blinzelt sie und sieht, dass sich eine erste graue Wolke vor die Sonne geschoben hat und sich der Himmel nach und nach zuzieht. Von hinten nähern sich langsam schwere Schritte, doch Qaanaaraq bleibt ganz ruhig sitzen und wendet sich nicht um. Sie weiß, dass ihr Vater den Steg heraus geht, denn er zieht den rechten Fuß ein wenig nach, seit ihn im vergangenen Winter ein kranker Järv angegriffen und sich heftig in sein Bein verbissen hatte. Dennoch ist sein Schritt fest und gleichmäßig, als er sich nähert. Am Ende des Stegs bleibt Amaruq stehen und setzt sich neben seine Tochter. Ganz sanft legt er einen Umhang aus grauem Wolfsfell über ihre Schultern und stülpt ihr die Kapuze mit den Wolfsohren über den Kopf. Fürsorglich legt er ihr die rechte Hand auf die linke Schulter und flüstert ihr mit seiner tiefen Stimme leise zu: „Qaanaaraq’nnguaq, es wird kalt werden und schon bald regnen. Magst du nicht zur Jurte kommen? Dort ist es warm und trocken, und ich habe Buttertee auf dem Feuer stehen. Den hast du doch so gerne.“

Qaanaaraq greift nach Amaruqs Hand und wendet sich ihrem Vater zu: „Ich bleibe noch hier am Steg, Atâta. Der Onkel wird bald da sein und einen ganzen Kübel voller Quappen mitbringen. Er wird Hilfe beim Putzen der Fische brauchen. Ein wenig Regen macht mir nichts, und ein Sturm wird heute Abend nicht mehr nach Stuorsalva hereinkommen. Du weißt doch, dass ich immer gut zugehört habe, wenn Aanaq mir erzählt hat, woran ich erkenne, wie das Wetter sein wird. Hab keine Angst, mir passiert schon nichts.“

Amaruq atmet tief und laut hörbar durch, als er langsam wieder aufsteht. Qaanaaraq spürt, dass ihren Vater etwas beunruhigt. Sie springt flugs auf und nimmt Amaruq, dem sie inzwischen bis zum Kinn reicht, kurz und kräftig in den Arm. Sie lächelt ihn an und streicht ihm die langen, dunklen Haare, die schon von etlichen grauen Strähnen durchzogen sind, aus dem Gesicht: „Atâta, warum sorgst du dich? Das Wetter wird heute Nacht nicht schlimm werden und wir sind zu Hause in Stuorsalva. Der Große See liegt ruhig vor uns, und der kalte Winter der Tundra ist noch fern. Ebenso der Järv, den der Hunger in die Dörfer treibt. Was soll mir denn Schlimmes geschehen?“

Amaruq erwidert das Lächeln seiner Tochter zaghaft, doch es scheint ihr, als läge ein Schatten auf ihrem Vater, den auch sein Lächeln nicht zu vertreiben vermag. Qaanaaraq schmiegt sich an ihren Vater und Amaruq küsst seine Tochter flüchtig auf den Scheitel und seufzt. Qaanaaraq macht sich Sorgen, wegen des ungewöhnlichen Verhaltens ihres Vaters, den sie als tapferen und furchtlosen Häuptling kennt, der sonst stets Zuversicht und Stärke ausstrahlt. Was mag ihn an diesem Herbstabend so quälen und in Unruhe versetzen? Offenbar ist Amaruq nicht entgangen, dass seine Sorgen auch seine Tochter beunruhigen, und so kann er sich ihrem fragenden Blick nicht mehr erwehren, als er mit bestimmter und doch zitternder Stimme erwidert: „Qaanaaraq’nnguaq, ich habe nichts auf der Welt mehr lieb als dich, das weißt du doch, oder?“

[...]

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Häherfeder
Geschlecht:männlichEselsohr
H


Beiträge: 204



H
Beitrag27.01.2024 23:39

von Häherfeder
Antworten mit Zitat

Sagen wir mal so - es gibt Gründe, warum es sich grade in solchen Büchern empfiehlt, mit einer Actionsequenz oder ähnlichem zu starten, um den Charakter interessant zu etablieren und sich an " show dont tell" zu halten.
Die ganzen ersten 3 Absätze sind viel zu langatmig und würden von mir direkt überlesen werden, falls ich das Buch in einer Buchhandlung aufschlagen würde - und höchstwahrscheinlich würde ich nach so einem Einstieg dem Buch auch keine weitere Chance geben.
Der Vater macht es mit reichlich klischeehaften Aussagen wie " Ich habe Buttertee auf dem Feuer, den magst du doch so gerne" und " Du weißt, ich hab nichts mehr lieb als dich" nicht gerade besser...
Fazit ( alles nur meine Meinung) :
- viel zu viel Beschreibung vom Setting (ist am Beginn von Buch Todsünde)  und langweilig/ unnötig wirkende Etablierung der Hauptfigur ( deren Name gewöhnungsbedürftig ist und ebenfalls nicht zum guten Lesefluss beiträgt)
- Dialoge wirken zu hölzern/ unpassende Sprache/ nicht konfliktreich genug, um Interesse bei mir zu wecken
- der Leser hat nach einem solchen Einstieg weder die Möglichkeit, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren, noch irgendeine Ahnung was diese Geschichte überhaupt sein will und wo sie hinwill.
- der Beginn weckt keinerlei Emotionen beim Leser ( eben auch wegen mangelnder Konflikte)
- Formulierungen wie " was mag ihn so quälen und in Unruhe versetzen" wirken aus dem "Gedankenmund" der Tochter gegenüber dem Vater sehr hölzern/distanziert - das passt nicht zu dem guten Verhältnis der beiden

So, das war jetzt erstmal mein ganz grober erster Eindruck.
LG Häherfeder
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag28.01.2024 00:29

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank dafür, dass du es trotz der Langatmigkeit gelesen hast und mir ein paar Zeilen dazu da lässt.

Mir ist durchaus klar, und ich habe auch damit gerechnet, dass manche Leser einen solchen Einstieg als langatmig empfinden werden, und darauf keine Lust haben. Das nehme ich bewusst in Kauf, denn genau das ist Absicht. Völlige Entschleunigung, ruhende Bilder, langsame Kamerafahrt über die Szenerie. Daher wird der so (oder ähnlich) bleiben, denn ich liebe diese Art von Einstiegen im Fantasy-Kontext über alles. Gleichwohl danke für die ehrliche Stellungnahme hierzu. Ich schätze kritisches Feedback auch dann, wenn ich anderer Meinung bin.

Auch der Name ist obligatorisch, weil er eben in ihrer Heimat heißt, was er heißt und das durchaus wichtig für die Story ist, die erzählt werden soll. Die Hauptfigur wird später - in der Fremde - einen anderen, einfacheren Namen haben, Wulbjô (= Wölfin), aber in ihrer Heimat ist sie Qaanaaraq (= die Enkeltochter der Tundra).

Der Einstieg ohne Konflikte, "im Paradies", ist voll beabsichtigt, um den Kontrast zu dem zu erzeugen, was in den kommenden Jahren ihres Weges passieren wird. Ich bin kein Freund des harten, dynamischen, konfliktbeladenen Einstiegs in Bücher oder Kapitel und wähle gerne das Idyll, das alsbald - gerne langsam, aber sicher - zerfällt, aber nicht auf den ersten fünf Seiten. Man muss diese Art von Aufbau natürlich nicht mögen. Keine Frage. Aber ich bin da absoluter Tolkien-Jünger, der auch mal ein Kapitel lang "Über Hobbits" erzählt, bevor überhaupt irgendwelche Action kommt. Für meinen Teil hasse ich Hektik ganz generell und bin tendenziell kein Freund von Aktionsequenzen, weder in Bücher noch in Filmen. Worldbuilding, Characterbuilding und Dialoge sind eher die gewählten Schwerpunkte. Primärzielgruppe sind also Menschen, die ähnlich funktionieren. Trotzdem ist es natürlich interessant, auch die Wirkung auf Menschen mit diametral entgegen gesetzten Lesegewohnheiten zu lesen.

Interessant und bedenkenswert finde ich die Anmerkungen zur "hölzernen Sprache", denn das ist natürlich etwas, das ich zu vemeiden trachte, weil mir das Stilmittel der Sprache durchaus heilig ist. Hölzern soll sie nicht sein, wennschon es eine archaische, für moderne Ohren durchaus etwas gestelzt wirkend Sprache schon sein darf. Das nehme ich in Kauf, um einen antimodernen Duktus zu haben.

Das schreibe ich nicht, um deinen Eindruck zu devalidieren. Der ist absolut willkommen und aus deiner Perspektive sicher richtig. Ich erkläre nur, dass der Ansatz und Einstieg sehr bewusst so gewählt ist.

Vielen lieben Dank für die Anmerkungen, gleichwohl.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag28.01.2024 00:41

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Kleiner Nachtrag:

"Show Don't Tell" lehne ich als leitendes Erzählprinzip ganz generell ab, da ich es einerseits oft sehr umständlich finde und andererseits bisweilen auch aufgesetzt und sperrig, zu versuchen, Dinge zu versubjektivieren, die sich auch einfach klassisch erzählen lassen. Natürlich gibt es Szenen, in denen "Show Don't Tell" eine starke Wirkung zeigt, und daher Anwendung finden darf und soll, aber ich möchte mich dem Prinzip nicht werkübergreifend unterordnen. Damit kann ich weder als Leser noch als Schreiber etwas anfangen, und ich habe mich durchaus ausführlich mit den Techniken und den Vor- und Nachteilen befasst. Witzigerweise finde ich die "Show don't tell"-Philiosophie anstrengender und oft langatmiger zu lesen, als einen deskriptiveren Erzählstil, zumindest wenn es eben ganz klar nicht um aktionsgeladene Sequenzen geht.

Sehr Interessant finde ich aber auf jeden Fall deine Anmerkung zum Dialog der beiden und dessen für dich nicht stimmigen Accord zum Verhältnis der beiden Protagonisten. Darüber werde ich auf jeden Fall in mich gehen. Bei der Geschichte mit dem Buttertee, kann ich dein Stutzen ein bisschen nachvollziehen, zumindest beim zweiten Halbsatz ("den magst du doch so gerne."). Das müsste er natürlich nicht erwähnen, da ja beide wissen, dass sie ihn mag. Andererseits meine ich, dass im Eltern-Kind-Verhältnis durchaus auch mal im Dialog Selbstverständlichkeiten betont werden, ohne dass dies aufgesetzt wäre, etwa, wenn man in einer problematischen Situation das direkte Wort zur Sache scheut. Das war hier der Gedanke: Amaruq will Qaanaaraq noch nicht direkt sagen, was ihn quält, und bietet ihr daher eine Komfortsituation an, um sie von ihrer Ahnung abzulenken.

Die Zuneigungsbekundung ist in dieser Form und an dieser Stelle allerdings tatsächlich wichtig, wobei das erst in den folgenden Absätzen deutlich wird, die ich hier (noch) nicht geteilt habe.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Soleatus
Reißwolf


Beiträge: 1000



Beitrag28.01.2024 02:04

von Soleatus
Antworten mit Zitat

Hallo Hugin!

Gegen einen "Einstieg ohne Konflikte" spricht ja nichts; nur muss dann die Sprache den Leser im Text halten, und das gelingt hier  – noch! – nicht. Gründe sehe ich da einige:

Der Text ist unnötig genau und dazu noch in dieser Genauigkeit sehr umständlich. Nicht böse sein, ich kürze einen Satz etwas zu Vorführzwecken:

"Ein frischer Wind ruft gleichmäßige, sanfte Wellen auf den See, und sanfte Wellen durchziehen auch das gelb und trocken gewordene Schilf an seinen Ufern, das in der Brise raschelt."

Verliere ich als Leser damit wirklich etwas von der Idylle, ist das nun kein ruhendes, entschleunigtes Bild mehr?! Für mich ändert sich nichts, aber ich muss mich nicht mit Wortmüll wie "ebensolchen" herumärgern. Warum raschelt das Schilf "vor sich hin"? Was meint das überhaupt?! Und warum ist das "Rascheln" ein "leises" – das ist doch ohnehin die Grundeinstellung eines Raschelns und muss nicht erwähnt werden!

Damit zusammen hängt, dass der Text den Leser erstickt und entmündigt:

"Sie setzt sich am seeseitigen Ende des Stegs auf die Bretter und lässt die Füße knapp über dem Wasser baumeln, ..."

Wofür das "seeseitigen"?! Du hast sie vorher auf dem Weg zum Anlegeplatz gezeigt, sie ist nicht umgedreht, das "Landende" des Stegs wäre völlig sinnfrei gerade; der Leser weiß, welches Ende gemeint ist, und du sagst es ihm trotzdem! Zumindest mein Vertrauen in den Text erschüttern die vielen derartigen Stellen ziemlich.

Das vielleicht noch: Du hast unglaublich viele vorangestellte Adjektive, die den Text sehr stark mechanisieren. Klar tragen solche Attribute zur "Entschleunigung" bei, aber es gibt ja viele Möglichkeiten, Attribute zu gestalten, und der Text gewönne sicher, wechseltest du zwischen ihnen; das hielte die Aufmerksamkeit des Lesers auf jeden Fall stärker beim Text als das jetzige immer gleiche vorangestellte Adjektiv.

Gruß,

Soleatus
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag28.01.2024 03:07

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Soleatus,

danke auch dir für dein Feedback, und böse bin ich sicherlich nicht, denn wollte ich keine anderen, kritischen, abweichenden Meinungen hören, dürfte ich den Text weder teilen noch veröffentlichen.

Gerne möchte ich auf ein paar Punkte deiner Nachricht eingehen:

Soleatus hat Folgendes geschrieben:

Der Text ist unnötig genau und dazu noch in dieser Genauigkeit sehr umständlich. Nicht böse sein, ich kürze einen Satz etwas zu Vorführzwecken:

"Ein frischer Wind ruft gleichmäßige, sanfte Wellen auf den See, und sanfte Wellen durchziehen auch das gelb und trocken gewordene Schilf an seinen Ufern, das in der Brise raschelt."

Verliere ich als Leser damit wirklich etwas von der Idylle, ist das nun kein ruhendes, entschleunigtes Bild mehr?! Für mich ändert sich nichts, aber ich muss mich nicht mit Wortmüll wie "ebensolchen" herumärgern. Warum raschelt das Schilf "vor sich hin"? Was meint das überhaupt?! Und warum ist das "Rascheln" ein "leises" – das ist doch ohnehin die Grundeinstellung eines Raschelns und muss nicht erwähnt werden!

Ich stelle nochmal meinen Satz gegenüber und markiere die Stellen, die deiner Meinung nach überflüssig, obsolet, störend sind:

"Ein frischer, aber nicht allzu stürmischer Wind zaubert gleichmäßige, sanfte Wellen auf die Oberfläche des großen Sees, und ebensolche sanften Wellen durchziehen auch das bereits gelb und trocken gewordene Schilf an seinen Ufern, das in der Brise leise vor sich hin raschelt."

Dazu kann ich Folgendes sagen: Ja, ich meine schon, dass die Idylle durch diese Straffungen ein gutes Stück weit verloren ginge und der Entschleunigungseffekt konterkariert würde. Mir ist das prosaische Konzept der Straffung von Sätzen durchaus geläufig, und auch die sprichwörtliche Adjektivfeindlichkeit der meisten Schreibschulen. Mir fehlt tatsächlich bei deinem Verbesserungsvorschlag weitgehend das Stimmungselement, auf das es mir entscheidend ankommt. Zudem wäre deine Variante für jeden, der mich kennt, halt ganz klar erkennbar "nicht ich", sondern eine bemüht nüchtern und reduziert schreibende Variante meiner selbst. Er klänge ein bisschen wie etwas, das mir deepL vorschlüge, um meinen Text stringenter und lesbarer zu machen, was aber dazu führte, dass ich eben meinen Stil und meine Marotte verlöre. Das heißt beileibe nicht, dass ich nicht an Schwächen arbeiten wollte, oder keine Fehler machte. Natürlich ist immer gehörig Potential zur Verbesserung da. Dafür sind wir ja hier. Trotzdem meine ich, dass der Beispielsatz nicht viel Straffung verträgt, und das aus den folgenden Gründen:

Für mein Gefühl sind genau diese gerne als Füllworte geschmähten Relativierungen von attributiven Zuschreibungen ein reizvolles Mittel, die Stimmung eben so zu transportieren, wie ich sie mir vorstelle. Sich im Moment, im Szenario ergehend:

Der Wind ist absichtlich nicht nur "frisch". Ein "frischer Wind" ist etwas Triviales, ein "frischer Wind", der "aber nicht allzu stürmisch" ist, ist ein ganz besonderer Wind, über den die Protagonistin als Kind der Tundra nachdenkt. Sie reflektiert über die Art des Windes. Deshalb muss der Wind mehr sein, als einfach ein "frischer Wind".

Das "zaubern" steht da statt "rufen", weil die animistische Religion des Stammes eine Beseeltheit der Natur annimmt. Es ist ein Akt der spirituellen Wahrnehmung der Umgebung, und eben kein rein sachlicher. Desgleichen gilt für das Schilf, das "vor sich hin" raschelt. Auch das Schilf ist beseelt. Es kann vor sich hin rascheln, wie ein Mensch vor sich hin summen oder in seinen Bart murmeln kann. Es ruht in sich und raschelt, weil es das ist, was das Schilf im Wind tut, und es interessiert sich dabei allenfalls marginal für das, was Qaanaaraq tut.

Der "große" See ist deshalb mit diesem Adjektiv versehen, weil es eben DER Große See ist. Der Lebensspender und heilige See des Stammes, nicht nur irgendein großer See. Es muss hier "der große" sein. Es ist sein Beiname "Hlekath" = "Der Große See" - man könnte allerdings erwägen, das "Groß" auch groß zu schreiben, um das zu verdeutlichen.

Die "Oberfläche" ist im Zweifel tatsächlich obsolet. Da hast du recht. Auf den Grund wird der Wind die Wellen nicht zaubern. Mir stellt sich zwar die Frage, ob es immer falsch sein muss, Offensichtliches zu schreiben, eben unter dem Aspekt, dass man manchmal auch Offensichtliches denkt, aber bei dem speziellen Begriff bin ich geneigt, dir zuzustimmen. Wellen sind immer an der Oberfläche zu sehen, und der Begriff an sich fördert die Stimmung auch nicht nennenswert.

Deinen Einwand zu "ebensolchen" kann ich grundsätzlich verstehen. Es ist ein Wort, das etwas technisch/amtsdeutsch klingt und vielleicht deshalb nicht allzu wohl gelitten ist. Hier muss ich einerseits zu meiner Schande einfach zugeben, dass ich auf exakt solche Worte ganz extrem stehe, wenn sie hin und wieder mal auftauschen, und zum anderen ist es auch hier tatsächlich wichtig und Absicht, die Gleichartigkeit der Wellenmuster auf dem See und im Schilf zu bebildern. Das Wasser-Meer und das Schilf-Meer pulsieren im Gleichklang und mit symmetrischen Wellenbildern.

Auch die Zeitdeterminanten wie "bereits" will ich so haben, weil sie für mich das Bild abrunden. Der Papyrus-Stylecheck markiert die Zeitwörter auch sehr gerne. Für mich fehlt etwas, wenn das "bereits" da nicht steht. Es unterstreicht den Wandel der Jahreszeiten, und ich meine, dass man das auch so sagen und denken würde, wenn man sich das Herbstlaub im Wald anschaut und erstmals in diesem Jahr bewusst darüber sinniert, dass es Herbst wird: "Oh, das Laub hat sich schon/bereits gelb gefärbt." - Man denkt das "bereits" mit: "Ist es schon wieder soweit." - Diesen Denkreflex spiegelt für mich das erzählerische Verwenden von "bereits". Ich denke nicht einfach: "Das Laub ist gelb.", sondern ich denke: "Das Laub ist schon gelb, weil der Herbst begonnen hat." - Vielleicht denke ich umständlich.

Bleibt das "leise" Rascheln. Hmm... ja... Rascheln ist sicher meistens als eher leises Geräusch konnotiert, wobei trockenes Schilf im Wind schon auch eine ganz ordentliche Geräuschkulisse entfalten kann. Generell bin ich aber kein Anhänger der allzu starken Adjektivfeindlichkeit. Natürlich braucht ein Substantiv im Regelfall keine drei aneinander gereihten Adjektive, und ich verstehe auch den Ansatz, dass man einen Text mit zu vielen Adjektiven überfrachten kann. Die Arbeit mit allzu nackten Substantiven gefällt mir aber persönlich auch nicht. Mir deucht der Sound einer Erzählung stimmiger, runder, gefühlvoller, wenn wenigstens Substantive, die graduelle Nuancen der Wahrnehmung zulassen, auch entsprechend attributiert werden. Das Rascheln kann also zum Beispiel "deutlich" sein, es kann "leise" sein, und es kann "kaum hörbar" sein.

Wie oben schon gesagt, mag ich das deskriptive Erzählen, und mir ist klar, dass das nicht jedermanns Sache ist, aber so extrem ausführlich wie hier mache ich das nicht dauernd. Diese Einstiegsszene ist insoweit ganz besonders intensiv mit Attributen und Adjektiven ausgestattet, weil sie in extrem auffälligem Maße bebildern soll, wie intensiv die Protagonistin quasi jeden Hauch ihrer Umgebung wahrnimmt. Es kommt darauf an, dass sie das tut, weil dieses Mitatmen mit dem Sound der Tundra, das Schlagen ihres Herzens mit dem Takt der Tundra, das sein soll, was sie ausmacht. Deshalb beschreibt die POV-Perspektive von Qaanaaraq in dieser Szene wirklich jede minimale Regung ihrer Umgebung, jeden Farbstrich auf den Blüten und jede Geschmacksnuance der Beeren. Gut, wir sind noch nicht ganz bei den Tasting Notes für Whisky, aber es geht ein bisschen in die Richtung. Das ist der leitende Gedanke bei der Gestaltung dieses Auftakts gewesen, weil ich der Meinung bin, dass die POV-Figur diese Wahrnehmung transportieren soll, damit der Leser SIE begreifen kann.

Zitat:

Damit zusammen hängt, dass der Text den Leser erstickt: "Sie setzt sich am seeseitigen Ende des Stegs auf die Bretter und lässt die Füße knapp über dem Wasser baumeln, ..." Wofür das "am seeseitigen"?! Du hast sie vorher auf dem Weg zum Anlegeplatz gezeigt, sie ist nicht umgedreht, das "Landende" des Stegs wäre völlig sinnfrei gerade; der Leser weiß, welches Ende gemeint ist, und du sagst es ihm trotzdem! Zumindest mein Vertrauen in den Text erschüttern die vielen derartigen Stellen ziemlich.

Vielleicht liegt's an meinem juristischen Hauptberuf, dass ich mir derartige Kapriolen erlaube bzw. einen Hang dazu habe, ein bisschen übergenau zu beschreiben. Ja, an sich ist zugegebenermaßen klar, dass es das seeseitige Ende ist. Overexplaining? Kann schon sein. Mir gefiel das Wort. Gefällt es noch. Aber ja, es ist schon sehr an der Hand geführt. Unter dem Aspekt der "Entmüdigung" habe ich es nicht gesehen und verstanden, schon gar nicht intendiert. Dass das so ankommen kann, ist aber in jedem Fall interessant zu lesen.  

Das Ersticken ist eine interessante Wortwahl. Ersticken möchte ich freilich niemanden. Hättest du indes "ertrinken" geschrieben, hätte es teilweise die Intention der Szene erwischt. Dass der Leser ob der Flut der Wahrnehmungen der Protagonistin von ihrer Umgebung in diesen Eindrücken ertrinkt, wäre ein relativ angenehmer Effekt. Wie gesagt, für diese Szene. Ich denke gerade an "Sailor On The Seas Of Fate" von Michael Moorcock. Ohne mich mit ihm messen zu wollen oder zu können, aber irgendwo hat man dann halt doch seine Einflüsse, und dort ertrinkt man auch ein wenig in seiner attributiven Gestaltung der von Elric wahrgenommenen Umgebung. War mir so nicht bewusst.

Zitat:

Das vielleicht noch: Du hast unglaublich viele vorangestellte Adjektive, die den Text sehr stark mechanisieren. Klar tragen solche Attribute zur "Entschleunigung" bei, aber es gibt ja viele Möglichkeiten, Attribute zu gestalten, und der Text gewönne sicher, wechseltest du zwischen ihnen; das hielte die Aufmerksamkeit des Lesers auf jeden Fall stärker beim Text als das jetzige immer gleiche vorangestellte Adjektiv.

Das ist ein sehr wertvoller Hinweis. Unter diesem Aspekt werde ich sicher das eine oder andere nochmals kritisch hinterfragen. Wie schon gesagt, habe ich mir die verbreitete Empfehlung der Meidung von Adjektiven zwar nicht allzu sehr zu eigen gemacht. Doch eine Mechanisierung ist natürlich auch nicht mein Wunsch, auch wenn der Standard der Sprache natürlich schon das dem Nomen voran gestellte Adjektiv ist. Hier werde ich aber auf jeden Fall nochmals in mich gehen, und unter dem Aspekt prüfen, wie sich hier ein bisschen mehr stilistische Abwechslung erzeugen lässt. Auf jeden Fall ein schöner Denkanstoß.


Am Ende (wobei wir davon ja noch ein gutes Stück weg sind) muss ich sicherlich zugeben, dass ich einen leichten Hang zur deskriptiven Ausschweifung habe. Das ist zu einem guten Teil Absicht, zu der ich auch stehe, aber trotzdem schadet es natürlich nicht, sich zu hinterfragen, bevor es "too much" wird. Meine bisherigen Mitleser sind offenbar ähnlich gepolt wie ich und loben explizit die langen Sätze und schimpfen mich gerne mal, wenn ich aus einem Satz vier gemacht habe. Aber ich bin ja schließlich hier, um eben nicht zu sehr oder nur für die Filterblase zu schreiben. Daher ist auch deine Kritik fraglos nachvollziehbar, und gerade in dem Punkt, dass der von dir exemplarisch angesprochene Satz zu sehr und zu oft das Schema "Adjektiv + Substantiv" bedient, und dadurch ein wenig schematisch ist, der trifft auf jeden Fall zu.

Das Weglassen der von dir als überflüssig erachteten Attribute ist allerdings im Beispielsatz keine Option, da sie mir wichtig sind und auch mit den oben genannten Hintergedanken eingesetzt wurden. Über die Möglichkeit, die Attribute eleganter einzubringen, ohne die Satzlänge zu verdoppeln, muss ich sinnieren. Ich denke, dass ich das Ergebnis dieses Denkprozesses dann teilen werde.

Nochmals vielen Dank. Ich weiß die Befassung mit meinem Text sehr zu schätzen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Arminius
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 65
Beiträge: 1239
Wohnort: An der Elbe


Beitrag28.01.2024 08:35

von Arminius
Antworten mit Zitat

Muss man mögen. Es ist ja alles hübsch erzählt, dennoch neige ich den bereits geposteten Einschätzungen zu.
Ich will das kurz an zwei Beispielen begründen:

Sie setzt sich am seeseitigen Ende des Stegs auf die Bretter und lässt die Füße knapp über dem Wasser baumeln Beim Lesen eines solchen Satzes fühle ich mich als Rezipient nicht ernst genommen (Soleatus hat es bereits angesprochen). Der Satz wirkt auf mich überkonstruiert. Natürlich muss es das seeseitige Ende sein, sonst ergäbe die Handlung keinen Sinn, wäre zudem gar nicht möglich.

Ebenfalls eine Frage der Logik ist Folgendes:
Ein "frischer Wind" ist etwas Triviales, ein "frischer Wind", der "aber nicht allzu stürmisch" ist, ist ein ganz besonderer Wind In erster Linie ist er für mich ein unlogischer Wind. Ein Wind kann nicht gleichzeitig frisch und stürmisch sein, auch wenn du es mit dem Zusatz "nicht allzu" etwas abschwächst. Auch wenn er nicht "allzu stürmisch" ist, ist er eben noch stürmisch und nicht frisch. Das passt für mich einfach nicht zusammen.

Wie gesagt, man muss es mögen.


_________________
A mind is like a parachute. It doesn´t work if it is not open (Frank Zappa)
There is more stupidity than hydrogen in the universe, and it has a longer shelf life (Frank Zappa)
Information is not knowledge. Knowledge is not wisdom. Wisdom is not truth. Truth is not beauty. Beauty is not love. Love is not music. Music is the best (Frank Zappa)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Ralphie
Geschlecht:männlichForenonkel

Alter: 71
Beiträge: 6413
Wohnort: 50189 Elsdorf
DSFo-Sponsor


Beitrag28.01.2024 10:04

von Ralphie
Antworten mit Zitat

Also, ich finde den Anfang interessant. Was mich stört, ist die Gegenwartsform.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag28.01.2024 10:42

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke dir für dein Feedback, Arminius.

Die nochmalige nähere Auseinandersetzung mit dem "Wind" führt zu einer Revision der Stelle, da dein Einwand verfängt.

Im Einzelnen:

Arminius hat Folgendes geschrieben:

Muss man mögen. Es ist ja alles hübsch erzählt, dennoch neige ich den bereits geposteten Einschätzungen zu.

Dass der Erzählstil Geschmacksfrage ist, das ist mir klar. Nicht jeder wird einen solchen Ansatz mögen, und das Ansprechen einer möglichst breiten Zielgruppe ist auch explizit nicht das Ziel. Dass deiner Meinung nach "alles hübsch erzählt" sei, fasse ich durchaus als Lob auf, weil das in der Tat eine Prämisse ist, die mir sehr wichtig ist.

Arminius hat Folgendes geschrieben:

Ich will das kurz an zwei Beispielen begründen:

Sie setzt sich am seeseitigen Ende des Stegs auf die Bretter und lässt die Füße knapp über dem Wasser baumeln Beim Lesen eines solchen Satzes fühle ich mich als Rezipient nicht ernst genommen (Soleatus hat es bereits angesprochen). Der Satz wirkt auf mich überkonstruiert. Natürlich muss es das seeseitige Ende sein, sonst ergäbe die Handlung keinen Sinn, wäre zudem gar nicht möglich.

Den von dir und von Soleatus angesprochenen Aspekt, sich als Leser nicht ernst genommen zu fühlen, weil eine Selbstverständlichkeit angesprochen wird, finde ich so interessant wie kurios. Will sagen, ja, natürlich ist klar, dass es das "seeseitige" Ende des Steges ist. Schon allein weil die Füße über dem Wasser baumeln, muss sie über dem See sein, und der Steg hat ein Ende an Land, und eines im See. Andernfalls könnte sie noch irgendwo dazwischen am Rand sitzen, aber ich hab ja geschrieben, dass sie am Ende sitzt.

Aber mir geht nicht so recht ein, warum der Leser daraus schließen sollte, dass der Erzähler ihm nicht zutrauen würde, das zu wissen, ohne dass es geschrieben stünde. Letztlich ist das Wort sicherlich entbehrlich, was die Sinnstiftung angeht, dagegen lässt sich wenig argumentieren, und strebte man nach stenografischer Erzählweise, ließe man es selbstverständlich weg. Wenn ich nun aber den Satz mit und ohne das Wort nebeneinander lege und mir selbst vorlese, fließt er für meinen Geschmack schöner, wenn die Seeseitigkeit erwähnt ist. Für mein Gefühl passt es einfach in die Szene, die Seeseitigkeit des Ortes nochmals zu unterstreichen, an dem sie sich hinsetzt. Natürlich ist das ein kleiner Schnörkel mit zuvorderst pittoreskem Telos, aber mir käme der Satz einfach etwas zu nackt, kalt und pragmatisch vor, fehlte diese zugegebenermaßen dezent tautologische Hervorhebung. Letztlich ist das ein bisschen wie mit Rocksongs. Ein Punk-Fan hält oftmals jegliches Gitarrensolo und jegliches Drumfill für überflüssig, weil es dem Song nicht diene, während de Progrocker gerne mal gar nicht genug von der 23. instrumentalen Variation des Leitthemas bekommen kann. Ich mag beides, im passenden Moment. Die Szene ist eher eine Krautrock-Szene, keine Punk-Szene oder Death-Metal-Szene.

Schön ist allerdings zu sehen, dass ihr beide am gleichen Wörtchen hängen bleibt, an der Seeseitigkeit des Stegendes. Denn ja, es ist ein gutes Beispiel für diese Marotte, die ich habe, und bestimmt ein Wort, das weg könnte, ohne der Story irgendwie zu schaden. Man darf es ein bisschen bescheuert finden, dass ich solche Dinge mag.


Zitat:
Ebenfalls eine Frage der Logik ist Folgendes:
Ein "frischer Wind" ist etwas Triviales, ein "frischer Wind", der "aber nicht allzu stürmisch" ist, ist ein ganz besonderer Wind In erster Linie ist er für mich ein unlogischer Wind. Ein Wind kann nicht gleichzeitig frisch und stürmisch sein, auch wenn du es mit dem Zusatz "nicht allzu" etwas abschwächst. Auch wenn er nicht "allzu stürmisch" ist, ist er eben noch stürmisch und nicht frisch. Das passt für mich einfach nicht zusammen.

Was den "frischen, aber nicht allzu stürmischen Wind" angeht, hast du tatsächlich recht, wobei das Problem nicht das Attribut "stürmisch" ist, sondern der Partikel "allzu". Erst durch das "allzu" wird eine Äquivalenz zwischen "frisch" und "stürmisch" fingiert, die falsch ist. Wenn man die Beaufort-Skala bemüht, dann ist "frisch" = Bfr 5 und "stürmisch" = Bfr 8. Damit sind dazwischen noch die Attribute "stark" (6) und "steif" (7). "frischer, aber nicht stürmischer Wind" wäre damit deutlich logischer als die von mir gewählte Variante. Aber im Endeffekt würde ich euch hier zustimmen und schweren Herzens auf die Marotte der attributiven Selbstrelativierung verzichten, denn auch wenn kaum ein Leser die Beaufortskala im Kopf haben dürfte, ist es rein gefühlsmäßig den meisten klar, dass "frischer Wind" graduell ein gutes Stück weniger ist als "stürmischer Wind".

Ein einfach nur "frischer Wind" ist mir aber gleichwohl ein wenig zu flach und straight. Ein "frischer, aber nicht allzu stürmischer Wind" ist logisch problematisch, wie du richtig sagst, weil es "frisch" und "stürmisch" gleichsetzen würde. Und allein die Reduktion zu "frischer, aber nicht stürmischer Wind" wirkte in der Tat "erklärbärig" und über die Maßen tautologisch. Da verstünde sogar ich den Gedanken, dass sich der Leser ein bisschen veralbert fühlen könnte. So wie bei "Sie fuhr langsam, nicht allzu schnell, in die Kurve."

Ja, you've got something there...
... ich sinniere.
 Wink


Danke dir nochmal. Die konkrete Analyse von Textstellen ist immer ein hilfreiches Werkzeug zur Selbstreflexion.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag28.01.2024 11:12

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ralphie hat Folgendes geschrieben:
Also, ich finde den Anfang interessant. Was mich stört, ist die Gegenwartsform.



Hallo Ralphie,

danke für deinen Beitrag.

Erst einmal freut mich sehr, dass du den Anfang interessant findest.

Dass du als erster das Präsens ansprichst, finde ich auch spannend. Damit hätte ich schon früher gerechnet, da das selbst in meinem direkten Umfeld einen kleinen Stolperstein dargestellt hat.

Die Gegenwartsform ist ein Punkt, der am Anfang immer wieder von Mitlesern angesprochen wird, die meine Texte und den Weltenbau im Hintergrund begleiten. Einige haben es zunächst seltsam gefunden, weil ungewohnt, gerade im Fantasy-Genre, aber bisher fand es keiner von ihnen explizit störend. Sie haben sich alle relativ schnell, noch in der ersten Szene, daran gewöhnt und es auf den folgenden 500 Seiten nicht mehr angesprochen (das ist der aktuelle Stand meines anderen Buches aus dem selben Setting, das schon weiter gediehen ist, als dieses hier).

Die meisten wollten einfach interessehalber wissen, was der Hintergrund für die Wahl der Zeitform ist. Dafür gibt es letztlich mehrere Gründe, teils in meiner schreiberischen Biographie, teils in der Art, wie ich diese Geschichte ersinne, teils aber auch in meiner Haltung zum transportierten Inhalt.

Der trivialste, biographische Grund ist einfach, dass ich es gewohnt bin, im Präsens zu schreiben. Das ist die Folge von knapp 30 Jahren im musikjournalistischen Hobby mit einer vierstelligen Anzahl an Platten- und Liverezensionen, die wir immer im Präsens geschrieben haben, so als würde man "live vom Konzert" berichten und nicht retrospektiv, und Platten sind eh immer gegenwärtig, weil ich sie ja jederzeit auflegen kann.

Der werkseitige Grund ist die Art und Weise, wie ich die Story live so schreibe, wie sie sich mir entfaltet. Es fühlt sich also an, als wäre ich live dabei und beobachte die Szenen in dem Moment, in dem ich sie aufschreibe. Ich habe keinen lange feststehenden Plot, der dann nur noch ausformuliert werden muss, sondern ich warte einfach, was im Kopf passiert, wenn ich versuche mich in die Szene und die Protagonisten hinein zu versetzen, und schreibe dann mit. Ich schreibe also keine Story nieder, die ich mir irgendwann mal ausgedacht habe, sondern ich schreibe live mit. Da ist für mich dann das Präsens die natürliche Wiedergabeform. Livereport statt Gedankenprotokoll.

Und dann gibt es noch einen irgendwo esoterischen Grund, der darin zu sehen ist, dass ich nicht aus einer mythischen Vergangenheit unserer eigenen Welt berichten möchte, sondern über eine Kultur, und über Menschen, die aktuell irgendwo in einer anderen Welt das erleben könnten, was sich mir zeigt. Da steckt am Ende mein Faible für die zirkuläre Weltschau heidnischer Konzepte drin, dass eben alles zugleich ist. Dass Ragnarök gleichermaßen in der Vergangenheit wie in der Zukunft liegt, und wir uns immer darauf zubewegen. Die jahreskreisliche Wiederholung von Werden und Vergehen. Beides ist jetzt und immer. Und von diesen Anschauungen steckt extrem viel in der Welt der Protagonisten, so dass sich auch hieraus das Präsens empfiehlt.


Langer Rede, kurzer Sinn:

Mir ist klar, dass die Wahl des Präsens als Haupterzählzeit für viele ungewohnt ist, für manche sicher auch erst einmal störend. Ich bin aber zuversichtlich, dass die meisten sich daran gewöhnen können und werden, wenn sie genug Interesse an der Story mitbringen. Wenn nicht, habe ich halt in diesen Fällen Pech gehabt. Eine Abfassung im Präteritum fühlte sich für mich persönlich aber grundfalsch an, auch wenn ich selbst nahezu ausschließlich Fantasy-Literatur im epischen Präteritum gelesen habe, und als Leser auch glänzend mit dem Präteritum klar komme. Schon bei Tolkien aber immer ein Tränchen im Knopfloch hatte, weil die Sprache schon das Gefühl vermittelt, dass diese wundersame Welt untergegangen sei.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Valentin
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 39
Beiträge: 177



Beitrag28.01.2024 11:59

von Valentin
Antworten mit Zitat

Hallo Hugin_Hrabnaz,

vorweg: Ich habe die anderen Kommentare nicht gelesen.

Ein Einstieg in eine Fantasy-Geschichte ohne einen Action-geladenen Prolog, der andeutet, in welche Richtung die Geschichte sich entwickeln wird bzw. was die Geschichte einzigartig macht (wie z.B. Magie-System, Technik etc.). Das ist mutig, weil es viele Leser abschrecken wird. Es gibt einen Grund, wieso viele solcher Geschichten nicht bei dem Farmjungen und seinem idyllischen Leben auf dem Land anfangen, denn die Idylle ist für viele Leser erst einmal eintönig. Viele Leser wollen den Konflikt bzw. das, was die Geschichte einzigartig macht. Viele sind aber nicht alle.
Da du sehr bildgewaltig und routiniert schreibst, gehe ich davon aus, dass es eine bewusste Entscheidung war, mit dem idyllischen Leben anzufangen, und du damit diese "andere" Leserschaft bedienen willst.

Dein Text ist sehr verdichtet mit Information, was zunächst etwas Gutes ist, aber zu viel des Guten ist auch ... erschlagend. Ich wusste irgendwann nicht mehr, was du mir alles an Infos um die Ohren gehauen hast. Smile Wenn ich es als Bild mit einem Wort beschreiben müsste, dann würde ich "unruhig" wählen. Ich vermutete, es liegt daran, dass der Text mehrheitlich (ein Gefühl, ich hab nicht nachgezählt) aus langen, verschachtelten Sätzen besteht. Da kommt keine Ruhe beim Lesen auf. Kurz habe ich überlegt, ob das der Konflikt in dem Text ist - also der Konflikt zwischen Autor und Leser. Es soll - schätze ich - eine idyllische Szene darstellen, die aber durch den Text so unruhig präsentiert wird, dass ich kämpfen musste, um bei der Sache zu bleiben. Ich hab mich gefragt: Wie sich das Leseempfinden wohl ändern würde, wenn du mit der Länge von Absätzen und Sätzen experimentieren würdest?

Bei den Dialogen war ich ratlos. Selbst wenn sie hölzern klingen sollen, weil es in diesem Setting so üblich ist, werde ich als Leser damit nicht warm. Es klang für mich nach einem altbackenen Bühnenspiel, das an irgendeinem Königshof spielt. Das beißt sich mit dem etablierten Setting bzw. den unbewussten Erwartungen, die das Setting bei mir weckt. Da braucht es für mich eine Erklärung, wieso die so reden.

Zitat:
Du weißt doch, dass ich immer gut zugehört habe, wenn Aanaq mir erzählt hat, woran ich erkenne, wie das Wetter sein wird.

Bei diesem Satz musste ich an das Maid-and-Butler-Dialogue Trope denken, wo sich der Butler und das Hausmädchen über etwas unterhalten, das beide wissen, was aber gesagt werden muss, damit der Zuschauer es auch weiß.
Beispiel:
"Wie du weißt, Abigail, ist der Herr des Hauses über das Wochenende verreist."
"Und wie du weißt, Alfred, bedeutet das, dass die Damen des Hauses Besuch bekommt."
"Ja, Abigail ..."
 
Das ist natürlich ein überspitzt dargestelltest Beispiel, und so eklatant lese ich es in deinem Text auch nicht.

Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, fällt mir auf, wieso der Text für mich zum Schluss hin auseinanderbricht. Das Setting und die Art, wie die Menschen miteinander reden, passt für mich nicht zusammen. Erneut überspitzt ausgedrückt: Ein Naturvolk, das wie ein paar Royales redet ...

Aber vielleicht sind das nur meine Vorurteile, die aus mir sprechen.

BG
Valentin


_________________
“Books aren't written - they're rewritten. Including your own. It is one of the hardest things to accept, especially after the seventh rewrite hasn't quite done it.” - Michael Crichton
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Struwwelpeter
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 30
Beiträge: 157



Beitrag28.01.2024 13:13

von Struwwelpeter
Antworten mit Zitat

Ich habe an sich nichts gegen einen ruhigeren Einstieg und längere Beschreibungen. Dann aber würde ich die Beschreibungen einzigartiger machen. Nehmen wir das Windbeispiel, frisch, aber nicht allzu stürmisch. Wie wäre es, wenn du ein Bild daraus machst? Diesen speziellen Wind dem Leser mit einem Gefühl begreifbar machen. Mehr Synästhesie. Gerade weil du anscheinend jedes Wort durchdenkst und rechtfertigen kannst. Dennoch musst du die Wirkung auf den Leser beachten. Eine archaische Sprache, die hölzern wirkt (Dialoge), verfehlt ihr Ziel. Gerade wenn  bei dir alles belebt ist, muss es atmen und nicht überpräzise seziert werden. Niemand nimmt eine solche Szenerie derart analytisch wahr. Aus der ganzheitlichen Wahrnehmung können einzelne Besonderheiten herausstechen. Die sich aufdrängen, die gewissermaßen herausperlen aus dem Fluss der Wahrnehmung.

Dann etwas, was mich schon im zweiten Satz gestört hat. Die gleichwohl noch immer zaghaft wärmende Sonne steht bereits am frühen Nachmittag nurmehr tief über dem dunkelblauen Wasser des Hlekath.

Wozu diese ganzen Wörter? Mindestens zwei müssen weg, gleichwohl und nurmehr wären meine Vorschläge zum Löschen. Es wirkt wie auf Stelzen, distanziert vom Leser, absichtliche Hindernisse, die das Eintauchen erschweren.


_________________
Ihre Locken waren Wendeltreppen in den Himmel.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag28.01.2024 13:15

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Valentin,

danke für deine sehr ausführliche Kommentierung. Ich kann dieser einige durchaus valide Fragen entnehmen, die du aufwirst, und über die es sich bestimmt lohnen wird, sie zu überdenken. Daher möchte ich sehr gerne auf alles eingehen, was du mir aufgeschrieben hast. Nicht aus Eitelkeit, oder zur Rechtfertigung, oder weil ich der geäußerten Kritik widersprechen wollte, sondern einfach, um im Rahmen dieses Diskurses zu erklären, warum ich gewisse Dinge so mache, wie ich sie mache. Wenn ihr versteht, wohin ich will, was ich erreichen will, dann ist der Austausch sicherlich fruchtbarer.


Valentin hat Folgendes geschrieben:

Ein Einstieg in eine Fantasy-Geschichte ohne einen Action-geladenen Prolog, der andeutet, in welche Richtung die Geschichte sich entwickeln wird bzw. was die Geschichte einzigartig macht (wie z.B. Magie-System, Technik etc.). Das ist mutig, weil es viele Leser abschrecken wird. Es gibt einen Grund, wieso viele solcher Geschichten nicht bei dem Farmjungen und seinem idyllischen Leben auf dem Land anfangen, denn die Idylle ist für viele Leser erst einmal eintönig. Viele Leser wollen den Konflikt bzw. das, was die Geschichte einzigartig macht. Viele sind aber nicht alle.
Da du sehr bildgewaltig und routiniert schreibst, gehe ich davon aus, dass es eine bewusste Entscheidung war, mit dem idyllischen Leben anzufangen, und du damit diese "andere" Leserschaft bedienen willst.


Im Grunde nimmst du hier einen wesentlichen Punkt direkt vorweg, den wesentlichen, mag man sagen: Ja, es sind durchaus alle Stilistika und Worte sehr bewusst und überdacht eingesetzt und nicht zufällig, weil ich halt nicht gewusst hätte, was ich will. Es ist also grundsätzlich eine aktive, gezielte Entscheidung für diese Art des Schreibens, und ich nehme damit auch sehr gerne in Kauf, für eine relativ überschaubare Zielgruppe zu schreiben, die ähnlich tickt wie ich selbst ("von Nerd zu Nerd" sozusagen), und eine fiktive Welt zunächst in aller Ruhe beschrieben haben will, bevor es zu dramatischen Handlungen kommt.

Es ist ganz ausdrücklich das Ziel, die Welt und die handelnden Personen so detailliert zu beschreiben und so behutsam und langsam einzuführen, dass der Leser das Setting kennen lernt, als habe er selbst eine Weile dort gelebt, und dass er die Personen so kennen lernt, als sei er ihnen über eine gewisse Zeit lang immer wieder begegnet. Es soll ein genuines, nicht effektheischerisches Interesse an der Welt selbst und an den Figuren in ihrem Sosein entstehen, durch Gewöhnung an sie, durch den Aufbau einer Beziehung. Sie sollen zum potentiellen imaginären Freund des Lesers werden, bevor er mit ihnen auf deren Reise geht. Dadurch soll zuerst der Trigger gesetzt werden, dass ich die Welt erkunden, und die Figur kennenlernen will, bevor "spannende Dinge" um sie passieren. Ich möchte, dass der Leser sich mit Qaanaaraq identifiziert, weil sie ein Mädchen aus einem Tundra-Idyll ist, mit einer innigen Beziehung zu ihrer Heimat und zu ihrem Vater, und zu ihrer verstorbenen Großmutter, und zu den Geistern und Wesen der Natur um sie herum. Interessiert sich der Leser schon gar nicht für die Tundra, und für Qaanaaraq. Will er sich nicht die Mühe machen und die Zeit nehmen, Welt und Wesen in ruhigen Bildern kennen zu lernen, dann darf er ein anderes Buch lesen. Das ist für mich völlig okay. Ich habe keinerlei Anspruch an Catchyness, an Mainstream, an Verkaufspotential und will nicht primär Leute ansprechen, die beim Anlesen der ersten zwei Seiten schon vom Plot mitgerissen sein wollen und aktionsgetrieben an Statisten vorbeirasen. Die Zielgruppe sind eher Menschen, die Bock drauf haben, über Jahre hinweg zusehen zu wollen, wie eine Welt wächst und wie die Menschen in ihr wachsen, altern, sterben und vielleicht wiedergeboren werden.

Es ist also bewusst ein Einstieg, der komplett von der Szenerie und von der Hauptfigur als solcher geführt sein soll, und nicht von der Handlung getrieben. Ich kann nichts mit Aktionszenen anfangen, die sich ereignen, bevor ich eine enge Beziehung zu den handelnden Figuren habe. Ich will erst wissen, wer Qaanaaraq ist, woher sie kommt, wie sie lebt, was sie ausmacht, wie sie interagiert, bevor die Heldenreise beginnt, die aktuell auf mindestens zwanzig Jahre ihres Lebens angelegt ist und - wenn ich lange genug lebe und schreiben kann - sicherlich einige Bücher füllen könnte.

Wem so etwas zu langweilig ist, der ist nicht Zielgruppe. So einfach ist das. Doch das sollte uns (mich) natürlich nicht daran hindern, die Zielgruppe durch ein offeneres Konzept ein bisschen zu erweitern, soweit dies möglich ist, ohne meinen wesentlichen Impetus des lebzeitig angelegten World- und Character-Buildings und meine Wahl des Stilmittels zu konterkarieren, und dazu soll mir das Feedback in diesem Thread dienen, und dafür bin ich auch dankbar.



Zitat:

Dein Text ist sehr verdichtet mit Information, was zunächst etwas Gutes ist, aber zu viel des Guten ist auch ... erschlagend. Ich wusste irgendwann nicht mehr, was du mir alles an Infos um die Ohren gehauen hast. Smile

Danke dir für das Lob im ersten Halbsatz. Die Kritik im zweiten Halbsatz nehme ich an, wobei sie mich ein wenig überrascht, da ich zugegebenermaßen sehr viel Information vermittle, was Absicht ist, aber gleichermaßen versuche, das Erzähltempo so langsam und die "Schnitte" so nachvollziehbar zu halten, dass sich eine genuin langsame Kamerafahrt über das Szenario abbildet, die dem Leser genug Zeit lässt, die zahlreichen Informationen zu sortieren und bildhaft abzuspeichern. Dass das für dich in dem Moment zu viel scheint, tut mir leid, das ist nicht Sinn der Übung.

Zitat:

Wenn ich es als Bild mit einem Wort beschreiben müsste, dann würde ich "unruhig" wählen. Ich vermutete, es liegt daran, dass der Text mehrheitlich (ein Gefühl, ich hab nicht nachgezählt) aus langen, verschachtelten Sätzen besteht. Da kommt keine Ruhe beim Lesen auf. Kurz habe ich überlegt, ob das der Konflikt in dem Text ist - also der Konflikt zwischen Autor und Leser. Es soll - schätze ich - eine idyllische Szene darstellen, die aber durch den Text so unruhig präsentiert wird, dass ich kämpfen musste, um bei der Sache zu bleiben. Ich hab mich gefragt: Wie sich das Leseempfinden wohl ändern würde, wenn du mit der Länge von Absätzen und Sätzen experimentieren würdest?

Das ist interessant, denn hier scheinen die subjektiven Wahrnehmungen wirklich krass abzuweichen, von Mensch zu Mensch. Meine Sätze sind statistisch gesehen tendenziell lang, aber nicht überlang, fast immer mit Nebensätzen, ja, aber für mein Gefühl nicht übermäßig verschachtelt. Auch das ist eine sehr bewusste stilistische Entscheidung, da ich - genau andersherum wie bei dir - kurze Sätze hektisch und unruhig finde, und tendenziell lange, jedoch natürlich nachvollziehbar bleibende Sätze, eher beruhigend, einschmeichelnd und wegtragend. Ich habe zahlreiche Kapitel meiner Arbeiten bereits dahin gehend überarbeitet, aus einem drei- oder vierzeiligen Satz, doch lieber zwei Zweizeiler zu machen, gängigen Schreibratgebern folgend, merke dabei aber, dass die Trennung des Hauptsatzes von seinen relativen, kausalen oder finalen Nebensätzen auf mich unnatürlich und unflüssig wirkt. Ich habe eine Handlung und ihre Causa bzw. ihren Telos sehr gerne in einem Satz und empfinde diese Koppelung als schlüssig. Was aber für mich auch zwingend in neue Sätze gehört, sind neue Handlungselemente, oder Nebenereignisse, die nicht in einem logisch zwingenden inhaltlichen Zusammenhang zum Hauptsatz stehen. Mein eifrigster "Beta"-Mitleser schimpft mich immer, wenn ich von den langen Sätzen abrücke. Aber natürlich. Die Länge und der Grad der Verschachtelung dürfen die Lesbarkeit nicht nennenswert hindern.

Zitat:

Bei den Dialogen war ich ratlos. Selbst wenn sie hölzern klingen sollen, weil es in diesem Setting so üblich ist, werde ich als Leser damit nicht warm. Es klang für mich nach einem altbackenen Bühnenspiel, das an irgendeinem Königshof spielt. Das beißt sich mit dem etablierten Setting bzw. den unbewussten Erwartungen, die das Setting bei mir weckt. Da braucht es für mich eine Erklärung, wieso die so reden.

Ich habe mich ganz generell sowohl im Erzähltext auch im Dialog für eine sehr archaische, altertümelnde Sprache entschieden. Auch das war eine bewusste stilistische Entscheidung, und ja, das Bühnenspiel, Shakespeare, Snorri, die Versedda und dergleichen mehr, sind sicherlich wesentliche Einflüsse. Ich habe mich auch sehr ausgiebig in Bücher und Onlinequellen über die Indogermanische, Protogermanische, Altnordische, Althochdeutsche und die Samische und die Inuit-Sprache eingelesen, mich mit deren Grammatiken befasst usw... Daraus ergibt sich, für viele sicher überraschend, dass dort die Sprachform in vielerlei Hinsicht nicht einfacher, basischer war, sondern im Gegenteil, komplexer, vielschichtiger. Es gab beispielsweise mehr Fälle als heute, mehr Numera (neben Singular und Plural auch den Dual), die Fälle unterschieden sich stärker als heute, ebenso die Flexionsformen der Verba und Nomina. Dass ein Naturvolk eine etwas poetisch anmutende Sprache hat, ist daher nicht wirklich überraschend.

Zitat:

Zitat:
Du weißt doch, dass ich immer gut zugehört habe, wenn Aanaq mir erzählt hat, woran ich erkenne, wie das Wetter sein wird.

Bei diesem Satz musste ich an das Maid-and-Butler-Dialogue Trope denken, wo sich der Butler und das Hausmädchen über etwas unterhalten, das beide wissen, was aber gesagt werden muss, damit der Zuschauer es auch weiß.
Beispiel:
"Wie du weißt, Abigail, ist der Herr des Hauses über das Wochenende verreist."
"Und wie du weißt, Alfred, bedeutet das, dass die Damen des Hauses Besuch bekommt."
"Ja, Abigail ..."

Ich verstehe, woher die Kritik und die Irritation kommt, und ich habe mir auch hier oft die Frage gestellt, ob Qaanaaraq und Amaruq im sehr vertrauten, intimen Vater-Tochter-Dialog wirklich Dinge erwähnen würden, die sie - natürlich - über einander ohnehin wissen, oder ob das der Erzähler tun muss. Ich bin nach reiflicher Abwägung zum Ergebnis gekommen, dass sie es tun würden, weil Menschen genau das tun. Wenn man mit Freunden und Familienangehörigen in ganz alltäglichen Situationen zusammen ist, macht man das dauernd. Man schaut sich nicht dauernd nur in die Augen und versteht sich blind, sondern man spricht immer und immer wieder über Dinge, die man ohnehin von einander weiß, weil man gerne zusammen in Erinnerungen schwelgt, gemeinsam über vergangene Erlebnisse schmunzelt, lacht oder trauert, und man verbalisiert diese dabei auch.

In der von dir angesprochenen Szene hat Qaanaaraq das Gefühl, dass ihr Vater sich Sorgen um sie macht. Sie weiß nicht warum, doch sie vermutet, dass er Angst um sie hat, wenn sie bei Nacht noch draußen ist. Das ist nicht der wahre Grund für seine Sorgen, doch das weiß sie in dem Moment noch nicht. Also versucht sie, ein Mädchen an der Schwelle zur Jugendlichen, ihn zu beruhigen, indem sie ihn daran erinnert, dass sie von ihrer Großmutter doch alles gelernt hat, was sie wissen muss, um in der Natur drohende Gefahren zu erkennen. Ich glaube, dass Kinder das so sagen, wenn sich ihre Eltern um sie - aus ihrer Sicht unnötig - Sorgen machen: "Ja, Mama. Ich trinke nicht mehr als zwei Cola. Ich weiß, dass das nicht gesund ist."

Zitat:

Das ist natürlich ein überspitzt dargestelltest Beispiel, und so eklatant lese ich es in deinem Text auch nicht.

Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, fällt mir auf, wieso der Text für mich zum Schluss hin auseinanderbricht. Das Setting und die Art, wie die Menschen miteinander reden, passt für mich nicht zusammen. Erneut überspitzt ausgedrückt: Ein Naturvolk, das wie ein paar Royales redet ...

Aber vielleicht sind das nur meine Vorurteile, die aus mir sprechen.

Nun, auch nochmals: Ein begreifbarer Reflex. Für mich ist es aber gerade das Setting, das diese Sprache erfordert, die bildhaft ist, bisweilen umständlich, archaisch, leicht angestaubt, die sich moderner Sprachraffung und deren Simplifizierung verschließt. Auch die Sprachform, sowohl der Erzählung als auch der Dialoge dient dem Setting und der Entschleunigung.

Dass sich für dich ein Widerspruch zwischen der "gewählten" Sprache der Protagonisten und ihrer Provenienz ergibt, finde ich schade, denn denn genau das Gegenteil ist die Absicht, dass die Sprachform das Setting verstärken soll. Ich werde mich noch mal ein wenig in klassische Sprachformen mongolischer, tibetischer, nordamerikanischer und arktischer Naturvölker vertiefen, um hier einen klaren und fundierten Schluss zu ziehen, ob die Dialogform zwischen den beiden so passend ist oder eher nicht.
 


So oder so: Vielen lieben Dank für deinen Input. Er ist sehr willkommen und absolut hilfreich.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag28.01.2024 13:47

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Struwwelpeter hat Folgendes geschrieben:

Ich habe an sich nichts gegen einen ruhigeren Einstieg und längere Beschreibungen. Dann aber würde ich die Beschreibungen einzigartiger machen. Nehmen wir das Windbeispiel, frisch, aber nicht allzu stürmisch. Wie wäre es, wenn du ein Bild daraus machst? Diesen speziellen Wind dem Leser mit einem Gefühl begreifbar machen. Mehr Synästhesie. Gerade weil du anscheinend jedes Wort durchdenkst und rechtfertigen kannst. Dennoch musst du die Wirkung auf den Leser beachten. Eine archaische Sprache, die hölzern wirkt (Dialoge), verfehlt ihr Ziel. Gerade wenn bei dir alles belebt ist, muss es atmen und nicht überpräzise seziert werden. Niemand nimmt eine solche Szenerie derart analytisch wahr. Aus der ganzheitlichen Wahrnehmung können einzelne Besonderheiten herausstechen. Die sich aufdrängen, die gewissermaßen herausperlen aus dem Fluss der Wahrnehmung.

Das ist ein spannender Ansatz, wobei es ein Stück weit auf "show don't tell" hinausläuft, und das ist ein Konzept, das ich - wie oben schon gesagt - nicht sonderlich mag. Trotzdem gebe ich zu, dass die Beschreibung des Einstiegsszenarios noch ein bisschen mehr Bauchgefühl der POV-Figur statt auktorialer Analyse vertragen könnte. Das Bild dessen, was dieser spezielle Wind tut, zeichne ich zwar durch die Wellen, die sich auf dem See bilden, und im Schilf widerspiegeln usw... Dennoch, mit diesem Impetus der ganzheitlichen Wahrnehmung durch Qaanaaraq im Hinterkopf lese ich sehr gerne nochmals über die Szene drüber. Das herüberzubringen wäre ein Gewinn. Danke für den Hinweis.
 

Struwwelpeter hat Folgendes geschrieben:

Dann etwas, was mich schon im zweiten Satz gestört hat. Die gleichwohl noch immer zaghaft wärmende Sonne steht bereits am frühen Nachmittag nurmehr tief über dem dunkelblauen Wasser des Hlekath.

Wozu diese ganzen Wörter? Mindestens zwei müssen weg, gleichwohl und nurmehr wären meine Vorschläge zum Löschen. Es wirkt wie auf Stelzen, distanziert vom Leser, absichtliche Hindernisse, die das Eintauchen erschweren.

Über diesem Satz habe ich lange gebrütet, weil mir durchaus bewusst ist, dass etwa 90% der potentiellen Leser sich an solchen Worten stören und diese, ganz wie du sagst, als "gestelzt" empfinden könnten. Der Satz ist aus dieser Perspektive ein bisschen "gestelzt", keine Frage. Ich bin ehrlich: Er soll es sein. Menschen, die auf diese für andere etwas affektiert wirkenden Beifügungen stehen, werden sie zu schätzen wissen. Die Worte sind gleichwohl nicht Selbstzweck, sondern sie haben alle eine inhaltliche Bestimmung:

gleichwohl => sie wärmt, obwohl sie tief steht, was bemerkenswert ist, weil eine Sonne knapp über dem Horizont nur in einem sehr rauen Klima noch ein spürbares Gefühl von Wärme gibt
noch immer => weil sie bald vielleicht nicht mehr wärmen kann, sei es, weil Wolken aufziehen, oder weil es Nacht wird, oder weil der Wind zunimmt, das bleibt erstmal offen
bereits => weil es im Winterhalbjahr nördlich des Polarkreises deutlich früher Nacht wird, als wir das gewohnt sind
nurmehr => auch hier will ich die zeitliche Dimension absichtlich nochmal herausheben, weil sie ganz kurz davor ist, im Blau des Sees zu versinken

Also ja, ich will diese geballte Masse an vermeintlichen Füllwörtern tatsächlich genau so haben, weil ich die Szene mit ihnen sehe und nicht ohne sie, und weil ich diesen umständlichen Duktus einfach schön finde. Natürlich kann man den Satz "entschlacken" und einfach schreiben:

"Die nur noch zaghaft wärmende Sonne steht am frühen Nachmittag tief über dem dunkelblauen Wasser des Hlekath."

oder noch entblößter

"Die Sonne steht am frühen Nachmittag tief über dem dunkelblauen Wasser des Hlekath. Sie wärmt kaum noch."

oder jede denkbare Variante dazwischen.

Für mich ist die Ausgangsversion aber unterm Strich im Hinblick meiner Ziele mit dem Text die schönste und die passendste, trotz und wegen der Stelzen. Würde mich jemand dazu zwingen zu straffen, wüsste ich nicht, welches der vier von dir monierten Wörter ich tilgen sollte. Am ehesten vielleicht "noch immer", weil sich das auch aus der Tageszeit und dem Sonnenstand schließen lässt. Für mich fühlte sich der Satz aber ohne diese Beifügung definitiv ärmer an, als mit ihr. Amputiert.

Gleichwohl (!) auch vielen Dank für diesen Teil der Anmerkung, den ich als konstruktiv und bedenkenswert empfinde, und in anderem Kontext vielleicht auch umsetzenswert. An dieser Stelle und in diesem Setting möchte ich die Stelzen dennoch behalten.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag28.01.2024 15:21

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Damit ihr ein etwas konkreteres Bild davon habt, was dieses Buch sein soll und was - sollte es zur Vollendung und Veröffentlichung gelangen - in Sachen Zielgruppe und Ausgangsbasis intendiert ist, gebe ich noch ein paar Rahmendaten an:

1.
Wenn das Buch erscheinen sollte, dann wird es eine Art Prequel zu meinem aktuell langsam auf die Vollendung zugehenden ersten Buch aus dieser Fantasy-Welt sein. Das bedeutet also, dass der potentielle Leser mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits wissen wird, wer aus Qaanaaraq in zirka zwanzig Jahren der Storyline geworden sein wird. Er wird das Buch also lesen, weil er mehr über ihre Herkunft, ihre Kindheit, ihre Heldenreise erfahren will, die sie bis zu dem Punkt hinter sich gebracht hat, an dem sie uns im anderen Buch begegnet. Das kann vielleicht ein Stück weit erklären, warum ich davon ausgehe, dass der Leser, der dann dieses Buch aufschlagen wird, bereits weiß, wer ihm hier auf der ersten Seite begegnet, dass er also bereits ein gewisses Interesse an Qaanaaraq hat, die im anderen Buch eine in Sachen Präsenz zwar sehr kleine, aber in Sachen Lebenslauf und Persönlichkeitsentwicklung dennoch immens wichtige Rolle für die dortige Hauptfigur spielt.

2.
Im anderen Buch kennt man Qaanaaraq als "die Wölfin vom Eibental". Sie ist die Gemahlin des dortigen Häuptlings, und sie steht in einem eher schlechten Ruf, weil ihre nomadische Herkunft in dem Kulturkreis, in dem sie nun lebt, Argwohn und Vorurteile weckt. Sie wird daher auch nicht bei ihrem Namen genannt, sondern mit dem Begriff betitelt, der in diesem Land der generische Begriff für ihr Volk ist ("die Wölfe aus der Tundra"). Sprich, sie bzw. allein ihre Gegenwart an der Seite des Häuptlings wird von vielen Menschen im Eibental und vor allem darüber hinaus, in anderen Gegenden des Landes, als ursächlich für allerlei Probleme angesehen. Dass sie daran möglicherweise unschuldig ist, wird gerne ignoriert, aus xenophoben oder auch abergläubischen Gründen, mag man sagen. Sie ist jedenfalls - das erfährt man andeutungsweise im anderen Buch - eine jener Figuren, die dazu beigetragen hat, dass die dortige Protagonistin als kleines Kind überleben konnte, obwohl man ihr nach dem Leben trachtete (ansatzweise vergleichbar mit der Geschichte um Moses und die Tochter des Pharaohs).

3.
"Der Weg der Wölfin" erzählt den Anfang der Geschichte, unter welchen Umständen sie ihre Heimat verlässt und wie sie schließlich ins Eibental kommt. Wer also irgendwann einmal das Buch liest, wird wissen, wo, wer und was Qaanaaraq in zwanzig Jahren sein wird, und er wird es lesen, weil er das weiß, also weil ein Interesse für die Hauptfigur bereits besteht. Das könnte also ein Grund und eine Rechtfertigung für den äußerst soften Einstieg in die Geschichte sein, wobei sich natürlich auch ein harter Einstieg so rechtfertigen ließe. Während der potentielle Leser aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Qaanaaraq schon kennt, als die Wölfin, kennt er die Kultur, aus der sie ursprünglich stammt, bisher allenfalls vom Hörensagen, und deshalb liegt so viel Fokus auf dem Setting.

4.
Vier Dinge will ich allerdings ehrlicherweise auch anmerken, die ich selbst in gewisser Weise systematisch und buchübergreifend als problematisch ansehe:

4.1.
Der softe Einstieg ist wohl so etwas wie ein Fetisch für mich, und zwar sowohl als Einstieg in ein Buch, wie auch als Einstieg in die Kapitel und Szenen. So ist auch der Anfang des erwähnten anderen Buches, das später in der Zeitlinie spielt, aber verbindlich zuerst vollendet werden wird, recht ähnlich gestaltet. Relativ "bildgewaltiger" (ich zitiere Valentin) deskriptiver Einstieg in das Setting und die Location, dann Zoom auf die Hauptfigur und ihr Äußeres und Inneres nebst ihrem Umgang mit ihrer Umgebung, bevor sich dann ein erster Dialog anbahnt. Dort ist es allerdings ein Fremder, doch der Dialog ist ebenfalls ruhig und reflektiv, nicht auf Konflikt oder Spannung angelegt. Das folgt erst in der zweiten Szene, und dann steigert sich die Dramatik, bis auf einem Cliffhanger ein Orts- und POV-Wechsel folgt. Was ich also ein Stück weit befürchte, ist, dass sich eine gewisse Schematik meiner Einstiegsszenen abzeichnet. Das wird man natürlich nicht merken, wenn man nur ein Buch bzw. eine Szene kennt, aber da muss ich aufpassen. Schon vor dem Hintergrund lese ich eure Anmerkungen mit großem Interesse, weil sie mir Alternativen zu meinem konzeptionellen Wohlfühlschema aufzeigen, die durchaus erwägenswert sind, selbst wenn ich es für diese eine Szene beibehalten sollte, wie es ist: Es kommen ja noch anderes Szenen.

4.2.
Natürlich ist bei Erstveröffentlichung zunächst mal zu erwarten, dass diese Geschichte vornehmlich Leute angehen werden, die zuvor die erste Geschichte gelesen haben. Allerdings kann es ja gut sein, dass auch jemand als erstes "Der Weg der Wölfin" liest, der vorher die andere Story nicht gelesen hat. Sei es zufällig oder absichtlich, weil er in der Storyline chronologisch lesen will. Daher muss ich sicherlich aufpassen, dass diese Geschichte auch geeignet ist initial ein genuines Interesse an der Protagonistin zu wecken, und nicht darauf zu vertrauen, dass der potentielle Leser dieses Interesse bereits aus dem anderen Buch mitbringt. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich mir die Einstiegsszene sicherlich nochmal zu Gemüte zu führen.

4.3.
Der Text, den ich im ersten Beitrag abgebildet habe, ist ungefähr viereinhalb Normseiten lang; die Auftaktszene mit der Protagonistin und ihrem Vater hat insgesamt 15 Normseiten. Wer es also jetzt schon langatmig findet, der wird viel Freude haben. Wink - Ich erwähne es aber deshalb, weil ich möchte, dass ihr wisst, dass die Einstiegsszene natürlich nicht mit der als recht selbstverständlich ansehbaren Liebesbekundung des Vaters seiner Tochter gegenüber endet. Ich wollte aber nicht gleich auf einmal eine riesige Textmenge ins Einstand-Forum posten, bevor sich abzeichnet, ob Interesse an mehr da ist. 15 Seiten auf einmal können ja auch mal eine Befassung mit dem Text hindern.

4.4.
Zuletzt kann ich nicht anders, als doch zuzugeben, dass ich einen gewissen Hang zum "Overexplaining" habe. Damit gebe ich ausdrücklich den Beiträgen von Soleatus und Arminius ein Stück weit recht. Wobei ich das Problem weniger in der gewählten Sprachform und den Füllwörtern sehe, und auch nicht in der gelegentlichen Betonung von Selbstverständlichkeiten. Diese Stilmittel wähle ich durchaus bewusst und gezielt. Aber es fällt mir tatsächlich relativ schwer, generell etwas ungesagt zu lassen, sprich, eine Lücke zu lassen, wo aus erzählerischer Sicht eine Lücke sein darf. Das kann dann auch zur informationellen Überforderung führen, die Valentin angedeutet hat. Zwar habe ich bisher noch nicht damit angefangen, zu erzählen, wie die Menschen aufs Klo gehen oder sich die Fingernägel schneiden, aber wie man ein Reh ausnimmt, oder einen Tee kocht, das kann schon passieren, weil es einfach die Welt stärker bebildern soll. Das führt summa summarum dann zu einem bisweilen schon sehr langsamen Erzähltempo, so dass das bisherige Hauptwerk auf bisher ca. 500 Seiten lediglich ca. zwei Wochen Timeline behandelt (allerdings bei 4 POV-Perspektiven). Wenn ich vor habe, ein ganzes Leben zu erzählen, werde ich irgendwo und irgendwann noch das Straffen lernen müssen. Sonst brauche ich fünf meiner Leben, um jenes der Protagonistin ausbreiten zu können. Dammit... Wink

Nochmal danke für eure Aufmerksamkeit und euer Feedback.
Ich weiß das sehr zu schätzen, dass ihr euch die Zeit nehmt.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Valentin
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 39
Beiträge: 177



Beitrag29.01.2024 08:54

von Valentin
Antworten mit Zitat

Hi Hugin_Hrabnaz,

Zitat:
Ich habe mich ganz generell sowohl im Erzähltext auch im Dialog für eine sehr archaische, altertümelnde Sprache entschieden. Auch das war eine bewusste stilistische Entscheidung, und ja, das Bühnenspiel, Shakespeare, Snorri, die Versedda und dergleichen mehr, sind sicherlich wesentliche Einflüsse. Ich habe mich auch sehr ausgiebig in Bücher und Onlinequellen über die Indogermanische, Protogermanische, Altnordische, Althochdeutsche und die Samische und die Inuit-Sprache eingelesen, mich mit deren Grammatiken befasst usw... Daraus ergibt sich, für viele sicher überraschend, dass dort die Sprachform in vielerlei Hinsicht nicht einfacher, basischer war, sondern im Gegenteil, komplexer, vielschichtiger. Es gab beispielsweise mehr Fälle als heute, mehr Numera (neben Singular und Plural auch den Dual), die Fälle unterschieden sich stärker als heute, ebenso die Flexionsformen der Verba und Nomina. Dass ein Naturvolk eine etwas poetisch anmutende Sprache hat, ist daher nicht wirklich überraschend.


Und schon wieder etwas dazugelernt. Danke dafür.

Aus deiner Antwort lese ich heraus, dass du dir viele Gedanken um die Geschichte, aber vor allem auch um die Sprache und Wortwahl gemacht hast. Das ist gut, denn du weißt, was du willst.

Es entsteht meiner Meinung nach dennoch ein Problem für dich als Autor dadurch. Hier im Forum hast du den Luxus, dich erklären zu können, mit mehr oder weniger Gleichgesinnten zu debattieren, Dinge gerade rücken zu können. Diesen Dialog wirst du so mit deinen Lesern nicht führen können, insbesondere nicht mit dem potentiellen Leser, der dein Buch in einem Buchladen aufschlägt und quer liest.

Also stellt sich die Frage: Erzeugen deine Worte die gewünschten Wirkung/Emotionen bei dem Leser?
So wie ich die Kommentare überflogen habe, sind die meisten Leser eher irritiert. Wenn das für dich fein ist, weil du nur eine bestimmte Art von Leser ansprechen willst (wir sozusagen nicht die Zielgruppe sind), dann ist das aus meiner Sicht auch fein. Dann wären Leitfragen für das Feedback hilfreicher, damit wir konkreter wissen, woran du arbeiten willst. Die Sprache scheint es nicht zu sein.

Ich weiß nicht, ob es in deiner angestrebten Zielgruppe üblich ist, aber vielleicht würde ein Vorwort helfen, indem du bestimmte Punkte wie z.B. die Sprachform erläuterst, um somit Irritationen zu vermeiden.

BG
Valentin


_________________
“Books aren't written - they're rewritten. Including your own. It is one of the hardest things to accept, especially after the seventh rewrite hasn't quite done it.” - Michael Crichton
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
HansGlogger
Geschlecht:männlichKlammeraffe
H

Alter: 65
Beiträge: 614
Wohnort: Bayern


H
Beitrag29.01.2024 10:08

von HansGlogger
Antworten mit Zitat

Hi Hugin_Hrabnaz,
Deine Erklärungen zum Text habe ich gelesen, den Text auch, tat mich aber schwer.
Zuerst mal eine Binse: Wer erfolgreich Regeln brechen will wie:  "spannend beginnen, nicht mit dem Wetter" , der muss sie perfekt beherrschen. Versuche mal einen regelgerechten Einstieg.

Nun aber zum Text selbst: Wenn Du einen langsamen Einstieg verfasst, sollte der Text stilistisch vollendet sein. Ich zitiere mal Ernst Jünger "Auf den Marmorklippen". Der Roman beginnt langsam mit allgemeinen Betrachtungen über die Vergänglichkeit des Glücks, die sich über eine gute Seite erstrecken.

Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift. Wie unwiderruflich sind sie doch dahin, und unbarmherziger sind wir von ihnen getrennt als durch alle Entfernungen.

Jünger gilt als großer Stilist. Wer in schöner Sprache schwelgen will (wie ich mal in einer Rezension zum Buch las), der wird von so einem Einstieg gepackt.

Nehme ich dagegen Deinen ersten Satz:

Es ist Herbst geworden über der kalten, baumlosen Steppe des Nordens.

Schon das Modalverb "geworden" im ersten Satz.
siehe:
https://www.rankeffect.de/mag/online-marketing/modalverben-und-passivsaetze/

Der Herbst oder die Steppe sollte hier aktiv sein. Ich kann dir jetzt keinen perfekten Satz hinlegen dafür zitiere ich den ersten Satz aus Trakls "Der Herbst des Einsamen"

Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle.

Das Gedicht beginnt aktiv. Der dunkle Herbst handelt.


_________________
Wenn keiner ja sagt, sollt ihr's sagen.
Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein.
Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben.
Wenn alle mittun, steht allein.
Lothar Zenetti, Was keiner wagt
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag29.01.2024 13:35

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Hans,

erst einmal vielen lieben Dank für deine Anmerkungen. Sie sind in einem Punkt sehr erwägenswert und ich werde schauen, was ich daraus mache, denn deine Jünger- und Trakl-Zitate und deine Hinweise dazu, was du daran gut findest, besser als meinen gewählten Einstieg, sind es auf jeden Fall wert, intensiv darüber nachzudenken.

Trotzdem möchte ich vorab kurz etwas zu den gerne zitierten Hinweisen von Schreibratgebern und Styleguides von Schreibschulen sagen. Mir sind diese Regeln tatsächlich alle geläufig, weil ich entsprechende Bücher gelesen und - so hoffe ich - auch verstanden habe. Ebenso habe ich tatsächlich meine Texte auch interessehalber durch den Papyrus-Stylecheck und entsprechende Online-Tools von deepL & Co. gejagt. Die Tipps haben durchaus ihre Berechtigung, als grobe Orientierung, aber ich denke, dass man ihnen allenfalls mit Bedacht folgen sollte, keinesfalls sklavisch, denn ihre Intention ist klar: Sie zielen primär auf Straffung ab, auf die Reduktion auf das (vermeintlich) Wesentliche, auf eine Erhöhung der Lesbarkeit auch für flüchtige Leser, für eine möglichst breite Zielgruppe, auf Eingängigkeit und schnelle Informationsübermittlung. Auch der von dir verlinkte Ratgeber ist von einer Seite für Online Marketing. Das führt bei deren strikter oder umfangreicher Anwendung zwangsläufig ein Stück weit zu einer Entindividualisierung (ja, ich weiß, schlimmer Nominalstil, das Wort) des Schreibstils, zu einer gewissen Stromlinienförmigkeit.

Das zunächst als obiter dictum, weil du dich in deiner Kritik auf drei der ganz klassischen Schreibempfehlungen beziehst (Meidung des Passivs, Meidung der [modalen?] Hilfsverben, aktiver Einstieg ohne Wetter), die ich - tatsächlich - allesamt im ersten Satz missachte. Nun ja, fast, jedenfalls.

HansGlogger hat Folgendes geschrieben:
Hi Hugin_Hrabnaz,
Deine Erklärungen zum Text habe ich gelesen, den Text auch, tat mich aber schwer.
Zuerst mal eine Binse: Wer erfolgreich Regeln brechen will wie:  "spannend beginnen, nicht mit dem Wetter" , der muss sie perfekt beherrschen. Versuche mal einen regelgerechten Einstieg.

Ich habe zu dem Thema mit dem "Wetter" auch im zugehörigen Thread im Stil-Forum geschrieben. Von Perfektion möchte ich nicht sprechen, denn das wäre anmaßend und zudem sehr subjektiv. Was der eine perfekt findet, findet der andere völlig öde oder gar Schlimmeres. Was ich sagen kann, das ist, dass ich einen "Wetter"- bzw. Setting-lastigen Beginn haben will, weil ich diese Art von Einstieg liebe. Warum, habe ich erklärt. Das sehe ich nicht als Regelbruch, sondern als gezielte Entscheidung für einen sanften, entschleunigenden, beschaulichen, nicht spannenden Ambience-Beginn einer Erzählung.

Es ist also gewollt und gezielt. Das heißt natürlich beileibe nicht, dass es dann auch gut gemacht sein muss. Hier bin ich an euren Meinungen sehr interessiert. Deshalb habe ich den Thread gestartet. Mein Ziel ist jedoch nicht, mich an Schreibratgeber anzupassen, sondern durch die hier gesammelten Eindrücke literaturerfahrener Menschen, weitere "Blicke von außen" auf meinen Text zu bekommen, also zu sehen, ob ich eure guten wie vor allem eure schlechten Eindrücke so hinnehmen und in Kauf nehmen muss, weil ich davon überzeugt bin, dass etwas so bleiben soll, oder ob es einen Weg gibt, diese schlechten Eindrücke durch eine Modifikation einzufangen, mit der ich leben kann, um mehr potentielle Leser zu erreichen.

Mit dieser Vorbemerkung dann zu deinen einzelnen kritischen Anmerkungen:

Zitat:

Nun aber zum Text selbst: Wenn Du einen langsamen Einstieg verfasst, sollte der Text stilistisch vollendet sein. Ich zitiere mal Ernst Jünger "Auf den Marmorklippen". Der Roman beginnt langsam mit allgemeinen Betrachtungen über die Vergänglichkeit des Glücks, die sich über eine gute Seite erstrecken.

Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift. Wie unwiderruflich sind sie doch dahin, und unbarmherziger sind wir von ihnen getrennt als durch alle Entfernungen.
Trotzdem gilt Jünger großer Stilist.


Ganz fraglos ist das ein sehr, sehr schöner Einstieg. Ich schätze Jünger, und mag seinen Schreibstil ungemein. Ob der Einstieg dem meinen irgendwie vergleichbar ist, weiß ich nicht, da Jünger hier ja das Stilmittel der direkten Ansprache des Lesers wählt, und so quasi in einen fiktiven Dialog mit dem Leser tritt, um mit ihm Erfahrungen und Erlebnisse betreffend das Glück und dessen Vergänglichkeit zu erörtern. Der Einstieg ist zugegebenermaßen weitaus zupackender als meiner. Das ist gar keine Frage, weil er eben direkt eine Positionierung des Lesers erfordert. Damit frage ich mich, ob es wirklich ein "ruhiger" Einstieg ist, da er eine sofortige Resonanz fordert. Es ist aber definitiv ein sehr starker und stilistisch schöner Auftakt.


Zitat:
Nehme ich dagegen Deinen ersten Satz:

Es ist Herbst geworden über der kalten, baumlosen Steppe des Nordens.

Schon das Modalverb "geworden" im ersten Satz.
siehe:
https://www.rankeffect.de/mag/online-marketing/modalverben-und-passivsaetze/

Zum Schreibratgeber-Link siehe bereits oben. Gleichwohl nehme ich deinen Einwand ernst, aber nicht, weil das im Ratgeber steht, sondern weil es dein Eindruck ist, den du angesichts des Textes mit mir teilst.

Zunächst einmal ist es kein Modalverb, sondern einfach ein ganz normales Hilfsverb im Rahmen der Bildung der Zeitform des Perfekt im Passiv. Ja, damit sind es dann aus Schreibratgebersicht trotzdem zwei Fouls. Einmal das von dir erwähnte Foul "Passiv", zum anderen das weitere Foul "Perfekt", dessen Meidung auch gerne von Ratgebern empfohlen wird, vornehmlich aus dem Grund, dass es das Hauptverb vom Hilfsverb trennt und dadurch die Lesbarkeit reduziere. Vorliegend ist zwischen dem Hilfsverb und dem Hauptverb exakt ein Wort ("Herbst"). Das schafft der Leser. Das Perfekt ist aus meiner Sicht hier die (einzig) richtige Zeitform, im Sinne der vollendeten Gegenwart (vgl. Schopenhauer, Ueber Schriftstellerei und Stil).

Zitat:

Der Herbst oder die Steppe sollte hier aktiv sein.

Das ist jetzt der Punkt, an dem du mich hast!

Jedenfalls grüble ich darüber, ob der Herbst oder die Steppe in diesem ersten Satz aktiv sein sollte, oder ob ich sie passiv haben möchte. Wie mehrfach gesagt, war es explizit das Ziel, das erste Bild in cineastischer Hinsicht als "Still" zu präsentieren. Eine ruhende herbstliche Tundra Landschaft zu zeichnen, die dann quasi Schritt für Schritt zunächst von der Sonne schwach angewärmt und als nächstes vom frischen Wind belebt wird, bevor dann die Protagonistin ins Bild genommen wird, die zwar aktiv ist (sie geht), aber auch betont entschleunigt agiert (Schritt für Schritt).

Kurz gesagt: Alle drei denkbaren Kritikpunkte am ersten Satz habe ich bewusst gewählt. Das unpersönliche, distanzierte "es" als Subjekt, das Perfekt als Indikator der vollendeten Gegenwart und auch das Zustandspassiv als Verstärkung des initialen Ruhens des Szenarios, das dann ganz langsam, Schritt für Schritt von den Akteuren (Sonne, Wind, Qaanaaraq) belebt wird. Quasi aus dem "Still und starr ruht der See" heraus in eine sehr, sehr zaghafte Belebung hinein.

Das war das Ziel. Ob ich es gut gemacht habe, ist eine ganz andere Frage, ob es dem Leser gefällt, noch einmal eine andere.

Ich seziere das jetzt ausdrücklich nicht in der Form, um deinen Einwand irgendwie zu entwerten. Dein Einwand ist wirklich absolut bedenkenswert. Was ich versuche, ist zu ergründen, ob ich meinem Ziel näher komme, wenn ich den Herbst oder die Tundra bereits im ersten Satz des Textes vom passiven Zustand in die actio versetzen möchte. Stärkt das die schreiberische Intention, oder schwächt es sie ab?

Zitat:

Ich kann dir jetzt keinen perfekten Satz hinlegen dafür zitiere ich den ersten Satz aus Trakls "Der Herbst des Einsamen"

Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle.

Das Gedicht beginnt aktiv. Der dunkle Herbst handelt.

Das ist ein toller Einstieg in ein Gedicht, und ja, es ist sehr aktiv gestaltet und erzeugt so bereits mit dem ersten Satz eine mitreißende Dynamik, denn der Herbst ist der Handelnde, der hier Frucht und Fülle bringt. Doch auch Trakl nutzt nur drei Zeilen später sowohl Passiv als auch Perfekt:

"Gekeltert ist der Wein, die milde Stille"

Er hat sich entschieden, den Herbst zum Protagonisten des Gedichts zu machen. Der Wein indes ist ein passives "Wesen" seines Werkes, der einfach gekeltert ist.

Für mich ist also die Kernfrage, die du wirklich schön heraus gearbeitet hast, wofür ich dir danke:

Soll der Herbst der Handelnde sein?

Oder würde seine Aktivierung vielmehr die geschilderte Intention konterkarieren, dass der initiale "Frozen Still" als Einstiegsbild in drei Schritten von anderen Akteuren (Sonne, Wind, Qaanaaraq) erst aufgetaut werden muss.

Schreibratgeberweisheiten zu Passiv, Hilfsverben, Perfekt sind da erst einmal völlig sekundär, wichtig ist immer nur der Spirit und das Feeling der Szene, und in unserem Diskurs natürlich, ob das, was ich vermitteln will, auch so ankommt. Daher im Lichte der hiesigen Ausführungen spezifizierend gefragt:

Fändest du es persönlich - in Ansehung der erzählerischen Intention - besser, wenn der Herbst an dieser Stelle agiert?

Ehrliche und völlig unpolemische Frage. Es geht nicht darum, dich zu widerlegen und mich zu rechtfertigen, sondern ich bin wirklich sehr an deiner Antwort interessiert. Es wäre technisch ja ohne Weiteres möglich, den Satz zu aktivieren, den Herbst (oder die Steppe) zu subjektivieren und die Zeitform zu "präsentieren", und damit alles zu vermeiden, was Schreibratgeber vermieden haben wollen.

Tendenziell würde ich eher dazu neigen, die Steppe zu subjektivieren, denn das wäre in Ansehung der Person der Protagonistin sinniger, als den Herbst zu subjektivieren, denn immerhin wird Qaanaaraq ja als die Enkeltochter der Tundra eingeführt.

Jetzt mal bloß kurz aus dem Stegreif ein Beispiel, das jetzt natürlich noch nicht den ultimativen Sound hat:


"Die Tundra kleidet ihre Weiten in herbstliche Farben."


Die Tundra ist jetzt aktiv, die Zeitform ist das Präsens, wir haben kein Hilfsverb mehr, und auch der Info-Dump, dass es eine "kalte, baumlose Steppe" ist, wurde getilgt.

Ganz wertfrei und ergebnisoffen gerfragt, mit echtem Interesse an deiner Antwort:

Ist es so besser, oder geht die stilistische Anpassung zu Lasten des gewählten Stils, des intendierten Szenarios und der zu transportierenden Info?

Ja, ein solcher Einstieg ist aktiver, unmittelbarer, weniger distanziert. Da gebe ich dir völlig Recht. Es stellen sich aber die folgenden Fragen, die ich für mich noch nicht abschließend für mich beantwortet habe:

-> Verliere ich hierdurch nicht den Kontrast zwischen dem anfänglichen Ruhen und der zaghaften Belebung?

-> Darf ich voraussetzen, dass der durchschnittliche Leser die Tundra als baumlose Kaltsteppe imaginiert, oder muss ich es erklären (hier direkt laut im Einstige, oder später, dezenter)?

-> Ist es richtig, hier das Präsens statt des Perfekts zu verwenden? Ich denke, dass zwar beides vertretbar wäre, das Perfekt aber letztlich die für die Szene geschaffene Zeitform, da der Prozess des Kleidens in die Herbstfarben in der Vergangenheit begonnen hat und zum nun vorhandenen Zustand geführt hat (vollendete Gegenwart); dafür erforderliches Hilfsverb hin oder her.

-> Ist es gut, im ersten Satz die Tundra als Subjekt, als Handelnde zu haben, sie aber direkt im nächsten Satz durch die nächste Handelnde ("die Sonne") zu ersetzen?


Wie gesagt, ich bin wirklich gespannt darauf, wie du das in der konkreten Szene siehst, denn der Denkansatz ist sicher sinnig.

Dafür sind die Schreibratgeber letztlich schon gut. Ich denke zwar nicht, dass man nach "Vollkommenheit" streben muss, wenn man von ihnen abweichen will (jedenfalls nicht mehr, als wenn man sich an sie hält), aber es ist sicher sinnvoll, sich zu überlegen, ob man einen guten Grund hat, davon abzuweichen.

Nochmals vielen Dank für den Input und es wäre schön, du fändet die Zeit, auf die aufgeworfenen Gegenfragen einzugehen.

Liebe Grüße,
Rüdiger.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag29.01.2024 14:51

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Valentin hat Folgendes geschrieben:

Aus deiner Antwort lese ich heraus, dass du dir viele Gedanken um die Geschichte, aber vor allem auch um die Sprache und Wortwahl gemacht hast. Das ist gut, denn du weißt, was du willst.

Ja, ich weiß durchaus, was ich will, und ich mache mir auch viele Gedanken. Trotzdem ist es natürlich nicht garantiert, dass die Intention auch so ankommt. Der Thread ist die Feldstudie, in wie weit Intentionen zur Fehlinterpretation geneigt sind, und daher einer Überarbeitung bedürfen. Wie auch an Hans gerichtet bereits gesagt: Das Feedback ist mir viel wert, weil ich wissen möchte, welche Schlüsse schlimmstenfalls aus meinem Stil und meinen Worten gezogen werden. Dann sehe ich, ob ich damit leben kann, dass manche diese Schlüsse ziehen, oder ob ich das Bedürfnis habe, nachzuarbeiten, um diese Schlüsse zu vermeiden. Denn auch wenn man selbst weiß, wohin man will, ist man nicht dagegen gefeit, es falsch anzupacken, und somit auf Rezipientenseite sein Ziel zu verfehlen. Auch wenn man nie von allen richtig verstanden werden wird, ist doch jeder Hinweis auf mögliches Fehlgehen der Intention ein guter Spiegel für die Selbstreflexion.

Zitat:

Es entsteht meiner Meinung nach dennoch ein Problem für dich als Autor dadurch. Hier im Forum hast du den Luxus, dich erklären zu können, mit mehr oder weniger Gleichgesinnten zu debattieren, Dinge gerade rücken zu können. Diesen Dialog wirst du so mit deinen Lesern nicht führen können, insbesondere nicht mit dem potentiellen Leser, der dein Buch in einem Buchladen aufschlägt und quer liest.

Das ist absolut richtig. Deshalb betreibe ich diese Selbstreflexionsübungen ja auch, bevor das Buch in den Druck geht, und bereits während des Schreibprozesses, sehr ausgiebig. Hier im Forum, aber davor auch schon seit Jahren mit einer kleinen Gruppe anderer Nerds. Da ich diese Gruppe im Wesentlichen sehr gut erreiche, weil sie mich und meine Intentionen kennt, droht natürlich die Filterblasen-Gefahr. Daher auch zuletzt der Schritt hierher, in dieses Forum, um eine breitere Basis von Rezipienten, mit auch anders gelagerten Schwerpunkten und eben ohne persönliches Kennen, zu erreichen und deren Feedback zu würdigen.

Zitat:

Also stellt sich die Frage: Erzeugen deine Worte die gewünschten Wirkung/Emotionen bei dem Leser?
So wie ich die Kommentare überflogen habe, sind die meisten Leser eher irritiert. Wenn das für dich fein ist, weil du nur eine bestimmte Art von Leser ansprechen willst (wir sozusagen nicht die Zielgruppe sind), dann ist das aus meiner Sicht auch fein. Dann wären Leitfragen für das Feedback hilfreicher, damit wir konkreter wissen, woran du arbeiten willst. Die Sprache scheint es nicht zu sein.

Es ist für mich ganz grundsätzlich fein, nur eine sehr kleine Gruppe von Lesern anzusprechen, da ich keinerlei kommerzielle Interessen verfolge und auch keinen Deal mit einem Verlag will. Es ist geplant, das alles im Eigenverlag und im Eigenvertrieb zu machen, eben um an keinerlei Konventionen gebunden zu sein. Denn auch hier bin ich bei Schopenhauer: Konventionen und der Wusch zum Geldverdienen oder nach Anerkennung der Masse sind der Tod der Kreativität. Was gleichwohl nicht der Tod der Kreativität ist, das ist, über unterschiedliche Wahrnehmungen nachzudenken, und daraus seine Schlüsse zu ziehen, an denen man hoffentlich wachsen kann. Allerdings sollte man einen Satz m.E. eben nicht ändern, weil ein Schreibratgeber das sagt, oder ein Leser, oder ein Kritiker, sondern weil dich der Rat, die Kritik, das Feedback davon überzeugt hat, dass du selbst es jetzt anders haben willst. Nach solchen Hinweisen suche ich, und für die bin ich auch sehr offen. Sowohl bei euch, als auch in meinem Mitleserkreis. Ich suche nicht nach dem Placet der Rezipienten, sondern nach den möglichen Ergebnissen der Rezeption, um ihre Vor- und Nachteile abwägen zu können.

Das funktioniert hier super, und ich bin dafür auch sehr dankbar, dass ihr euch die Mühe macht, mir dieses Feedback zu geben. Wenn ich es am Ende anders sehe, heißt das nicht, dass ihr mit einer Bemerkung falsch liegt, oder dass ich nicht gleichwohl dankbar dafür wäre. Jeder Gedanke ist willkommen.

Zitat:

Ich weiß nicht, ob es in deiner angestrebten Zielgruppe üblich ist, aber vielleicht würde ein Vorwort helfen, indem du bestimmte Punkte wie z.B. die Sprachform erläuterst, um somit Irritationen zu vermeiden.

Es wird ein sehr umfangreiches Glossar und Endnoten geben zu allerlei Dingen um die Sprache und die Welt an sich, so ähnlich wie die Appendizes bei den Tolkien-Sachen. Ein Vorwort zur Erklärung der gewählten Stilistik, meine ich nicht, dass erforderlich ist. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass der Leser, der an derlei Stoff Interesse hat, sich relativ bald zurecht finden wird. Das zeigt die Erfahrung mit 10 bis 15 Leuten recht unterschiedlicher Provenienz, die bisher die kompletten Entwürfe gelesen haben.

Auch wenn es mir persönlich absolut reichen würde, wenn 15 Leute Spaß daran haben, oder auch nur ich, besteht durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es auch ein paar mehr werden, und ich einen ersten Run von 100 Stück über ein paar Jahre vielleicht zur Hälfte weg bekomme. Den Rest dann gerne auch posthum. Im Endeffekt ist das alles ein Lifetime-Projekt. Ich will Geschichten aus der Welt aufschreiben und vielleicht veröffentlichen, so lange mir die Gesundheit das erlaubt. Wer dabei sein will, ist herzlich eingeladen. Alles andere ist sekundär.

Trotzdem nochmal: Das hindert mich nicht daran, Kritik zu suchen und anzunehmen, um das alles zu optimieren, so dass es vielleicht doch mehr Leute anspricht als wenn ich einfach nur mein Ding mache. Umsetzen möchte ich aber, wie gesagt, Kritik nur, wenn sie mich davon überzeugt, dass die Abhilfe ein Ergebnis hervorbringt, das auch ich besser finde, als den Status quo. Denn nur mit dem Telos gewisse Erwartungen oder Standards zu erfüllen, verbiege ich mich nicht. Das mache ich allenfalls für Dinge, die mir den Lebenserhalt sichern sollen, nicht für das, was das Leben lebenswert macht.

Zur Sicherheit nochmal:

Ich nehme die Kritik hier sehr ernst, und ich bin sehr glücklich darüber, dass so viel Feedback kommt, auch wenn es nicht allzu viel Lob ist, bisher. Überhöfliche Schulterklopfer braucht man nicht, wenn man Kritik in einem Fachforum erbittet. Daher hoffe ich, dass auch ihr mein Feedback nicht als Wegwischen von Kritik oder als Sturheit lest. Es dient nur dazu, dass ihr mich besser versteht, denn dann wird auch die Kritik konkreter und damit für mich zielführender.

Leitfragen vorzugeben, erleichtert euch natürlich das Feedback, klar, aber zunächst ging es mir um die Palette der möglichen Eindrücke, um die ungelenkte Spontanverortung von außen, und das Feedback finde ich bisher super, von allen Beteiligten.

Dankeschön!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Arminius
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 65
Beiträge: 1239
Wohnort: An der Elbe


Beitrag29.01.2024 15:12

von Arminius
Antworten mit Zitat

Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
Deshalb betreibe ich diese Selbstreflexionsübungen ja auch, bevor das Buch in den Druck geht

Das klingt so, als habest Du bereits einen Verleger gefunden, der das Manuskript (es ist ja noch kein Buch) herausbringt. Weshalb dann noch die Selbstreflexion und der Erfahrungsaustausch hier im Forum? (wobei ich es begrüße, dass Du den Text eingestellt hast; die ganze Diskussion hier hat meinen Horizont erweitert). Ein Verlag weiß i.d.R., worauf er sich bei einem Manuskript einlässt, wenn er es akzeptiert. Übrigens hätte ich keinen Zweifel gehabt, dass es den einen oder anderen Verlag gibt, der Dein Konzept versteht und dem es gut ins Portfolio passt.
Wie dem auch sei: viel Erfolg!
Arminius


_________________
A mind is like a parachute. It doesn´t work if it is not open (Frank Zappa)
There is more stupidity than hydrogen in the universe, and it has a longer shelf life (Frank Zappa)
Information is not knowledge. Knowledge is not wisdom. Wisdom is not truth. Truth is not beauty. Beauty is not love. Love is not music. Music is the best (Frank Zappa)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag29.01.2024 15:45

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Arminius hat Folgendes geschrieben:
Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
Deshalb betreibe ich diese Selbstreflexionsübungen ja auch, bevor das Buch in den Druck geht

Das klingt so, als habest Du bereits einen Verleger gefunden, der das Manuskript (es ist ja noch kein Buch) herausbringt. Weshalb dann noch die Selbstreflexion und der Erfahrungsaustausch hier im Forum? (wobei ich es begrüße, dass Du den Text eingestellt hast; die ganze Diskussion hier hat meinen Horizont erweitert). Ein Verlag weiß i.d.R., worauf er sich bei einem Manuskript einlässt, wenn er es akzeptiert. Übrigens hätte ich keinen Zweifel gehabt, dass es den einen oder anderen Verlag gibt, der Dein Konzept versteht und dem es gut ins Portfolio passt.
Wie dem auch sei: viel Erfolg!
Arminius


Oh, sorry, das war ein semantisches Missverständnis, das ich hier durch mangelnde Präzision ausgelöst habe. Das "bevor das Buch in den Druck geht" war als unbestimmt fernes zukünftiges Ereignis gedacht, nicht ein konkret bevorstehendes. Gemeint im Sinne "deshalb betreibe ich Selbstreflexion, bevor es zu spät dafür ist".

Den Verleger habe ich gleichwohl: Der werde ich selbst sein. Einen anderen Plan gibt es nicht, gab es nie. Außer ein sympathischer Verleger drängte sich mir auf. Bewerbungen werde ich keine verschicken, also rechne ich damit nicht.

Wie schon angedeutet, verbringe ich schon sehr, sehr viele Jahre im Heavy-Metal-Underground, und ich fand immer die Eigenpressung und den Direktvertrieb eines Albums von der Band zum Fan, ohne Label, ohne Ketten, ohne Distro, ohne Markterwägungen und ohne Gewinnerzielungsabsicht am erstrebenswertesten, weil die Band eben die volle und alleinige "artistic control" hat, und die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass du genau das zu hören bekommst, was diese Band ausmacht, weil sie voll und ganz dahinter steht und sich nicht an Marktstrategien und dergleichen anpassen muss, nur weil ein Manager, Agent, Labelboss das so haben möchte. Das heißt nicht, dass sie kein Feedback von Fans, Presse, Kritikern etc... haben will, und auch nicht, dass sie nicht darüber nachdenkt, ob sie durch dieses Feedback besser werden kann. Denn natürlich tut es jedem gut, wenn er die Leute erreichen kann.

Wie ich oben als Antwort an Valentin geschrieben habe: Der Thread und der geteilte Auszug dienen mir dazu, möglicherweise negative Dinge an meinem Text zu entdecken, die mir bisher unabsichtlich entgangen sind, oder die zwar absichtlich dort sind, aber so missverständlich sind, dass ich sie besser ändern sollte. Das betrifft sowohl die sprachliche als auch die inhaltliche Ebene, denn natürlich passieren Fehler auch dann, wenn man grundsätzlich weiß, was man will. Sei es aus Betriebsblindheit oder aus Flüchtigkeit, oder weil man auf dem Schlauch steht.

Es kamen hier auch schon ein paar sehr sinnige Hinweise insoweit, also war und ist die Diskussion hier für mich sinnvoll, bereichernd und fruchtbar. Das sind manchmal nur Nuancen, denn den grundsätzlichen Stil an sich, will ich schon so haben. Aber mich bringt diese Art der gemeinsamen Analyse absolut weiter, weil es immer bereichernd ist, verschiedene Perspektiven auf einen Text zu analysieren und so ggf. gewisse Stellschrauben justieren zu können.

Dass die Diskussion auch dir etwas gebracht hat, freut mich sehr. Es wäre schade, wenn es Einbahnstraße bliebe, denn ich will nicht anderer Leute Zeit eigennützig stehlen.

Interessant finde ich deine Zuversicht, dass sich durchaus ein Verleger finden könnte. Ich weiß zwar nicht, ob ich das überhaupt will (siehe oben), aber allein die Perspektive, dass es ggf. klappen könnte, ist durchaus nett.

So oder so: Danke für deine Beiträge! Sollte dir noch was einfallen, gerne! Es ist also nicht so weit, dass wir bereits kurz vor einem Druck wären. Das dauert schon noch ein halbes Jahr, mindestens. Von daher kann Feedback durchaus noch zu einer Verbesserung der Arbeit führen und ist nicht vergeblich.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
HansGlogger
Geschlecht:männlichKlammeraffe
H

Alter: 65
Beiträge: 614
Wohnort: Bayern


H
Beitrag30.01.2024 09:54

von HansGlogger
Antworten mit Zitat

Hallo Hugin_Hrabnaz
Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
Hallo Hans,

Jetzt mal bloß kurz aus dem Stegreif ein Beispiel, das jetzt natürlich noch nicht den ultimativen Sound hat:


"Die Tundra kleidet ihre Weiten in herbstliche Farben."


Ich weiß nicht, wie andere Leser das empfinden, aber für mich steht das am Rande der Lächerlichkeit.
Die Tundra wird hier weiblich personalisiert. Stell Dir mal vor, Du schreibst über eine Frau:
Sie kleidet ihre Weiten in herbstliche Farben.

Bei Metaphern droht die Gefahr ins Lächerliche abzugleiten.


Ganz wertfrei und ergebnisoffen gefragt, mit echtem Interesse an deiner Antwort:

Ist es so besser, oder geht die stilistische Anpassung zu Lasten des gewählten Stils, des intendierten Szenarios und der zu transportierenden Info?

Gestern hatte ich lange zu warten und Zeit zum Grübeln.
Steppe (wäre besser als Tundra) ist weiblich, Herbst männlich. Daraus lässt sich was basteln.

Der heiße, kurze Sommer ist vergangen. Die baumlose Steppe sehnt sich nach der Kühle des Herbstes.

Passt nur leider nicht zur Tundra. Also zweiter Versuch:

Die ersten kühlen Nächte des Herbstes bringen der baumlosen Steppe eine Ahnung von der Härte des bevorstehenden Winters.

statt Nächte des Herbstes ginge auch Herbstnächte.

statt "Ahnung bringen" ginge auch "lässt ahnen". Statt ahnen geht auch verkünden etc.
Statt Härte auch Kälte oder Strenge.
Hängt vom gewünschten Stil ab. Am Ende sollte auch noch die Satzmelodie passen. Bei einem 500 Seiten Roman kannst Du natürlich nicht stundenlang über jeden Satz grübeln, aber bei entscheidenden Stellen lohnt es sich schon.


-> Verliere ich hierdurch nicht den Kontrast zwischen dem anfänglichen Ruhen und der zaghaften Belebung?

Ahnen lassen, sich sehnen etc. ist auch passiv.

-> Darf ich voraussetzen, dass der durchschnittliche Leser die Tundra als baumlose Kaltsteppe imaginiert, oder muss ich es erklären (hier direkt laut im Einstige, oder später, dezenter)?

Kalte, baumlose Steppe finde ich besser


-> Ist es gut, im ersten Satz die Tundra als Subjekt, als Handelnde zu haben, sie aber direkt im nächsten Satz durch die nächste Handelnde ("die Sonne") zu ersetzen?


Ich sehe es eher anders rum. Das Subjekt als personalisierter Gegenstand wie Sonne, Steppe sollte sich auf einen Satz beschränken.

Beispiel:
1. Satz
Die untergehende Sonne wirft ihr letztes Licht in die kalte, baumlose Steppe.
2. Satz
Die gleichwohl noch immer zaghaft wärmende Sonne steht bereits am frühen Nachmittag nurmehr tief über dem dunkelblauen Wasser des Hlekath.

Das ginge gar nicht. Allein schon weil Du im 2. Satz ein Pronomen verwenden müsstest, dessen Bezug unklar sein könnte. Dazu kann es leicht widersprüchlich oder lächerlich wirken. Im ersten Satz geht sie unter, im 2. steht sie .
Wenn das das so machen wolltest, dann solltest Du die Sätze mit einem Komma verbinden.


.


Solche Sätze sind richtig viel Arbeit. Ich bringe mal, ganz unbescheiden,ein Zitat aus einem Text von mir. An den Anfang würde ich so etwas nie stellen, es steht aber an einer Schlüsselstelle.


Das Licht der untergehenden Sonne milderte das Braun der welkenden Pflanzen. Bald weht ein kalter Wind über sie und sie sind nicht mehr. Nur Samen bleiben von ihnen, aus dem neues Leben wächst, die kleinen Freuden, das große Leiden des Daseins wiederholend. Die unerlöste Sehnsucht des Seins lag mir auf der Brust wie eine Last von schweren Baumstämmen.


Das habe ich  immer wieder umformuliert und bin immer noch nicht ganz zufrieden, aber irgendwann muss man halt mit Abschnitt
fertig werden.

Gruß Hans


_________________
Wenn keiner ja sagt, sollt ihr's sagen.
Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein.
Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben.
Wenn alle mittun, steht allein.
Lothar Zenetti, Was keiner wagt
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 2 Gehe zu Seite 1, 2  Weiter

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Einstand
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Der Glücksritter
von Peter Hort
Peter Hort Werkstatt 0 22.04.2024 20:39 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Einstand
Der Bandit
von dirkheg
dirkheg Einstand 5 22.04.2024 12:43 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Rechtliches / Urheberrecht / Copyright
Nach Vertragsabschluss wird der Verla...
von Mion
Mion Rechtliches / Urheberrecht / Copyright 34 22.04.2024 12:05 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Roter Teppich & Check-In
Der rote Teppich hat Flecken - oder t...
von schreiby
schreiby Roter Teppich & Check-In 5 22.04.2024 10:09 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Trash
Der Renegat
von wohe
wohe Trash 2 22.04.2024 08:58 Letzten Beitrag anzeigen

BuchBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlung

von Berti_Baum

von jon

von Jarda

von EdgarAllanPoe

von seppman

von Piratin

von Nina

von Ruth

von femme-fatale233

von Rufina

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!