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Zettel Wortedrechsler
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Beiträge: 87
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Z 12.12.2021 17:52 Der Hüter des Alten Volkes von Zettel
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Der Hüter des Alten Volkes
Ich bin Wasser. Ich bin Schuppe. Mein sehniger Hals ist mit Kiemen geschmückt. Wenn das Nachtmeer erwacht, steige ich auf wie Dunst und treibe in der Gischt. Sobald ich rufe, ist es ein dünner Pfiff über den Wellen, ein gewaltiger Schrei aber in den Tiefen unter mir, der die versunkenen Mauern durchdringt und die fahlen Leiber erzittern lässt im Traum, bis starre Augen sich öffnen und Erinnerung sich breit macht in Häusern, Tempeln und Palästen.
Jetzt erheben sich die Unsterblichen, aus dem Menschenvolk geboren, dem Meer geopfert zu Zeiten des Streits der kraftstrotzenden Himmel mit den magmatischen Abgründen um die berstende Erde. Jetzt huldigen sie mir, ihrem Beschützer, der über ihnen mit prallem Bauch die Wellen pflügt, um diese Parade von lebenshungrigen Wiedergängern abzunehmen. Mäuler schnappen, nach Anerkennung lechzend. Telleraugen aus den dunkelsten Gründen stieren gebannt auf die geringste meiner Gesten, in der Hoffnung, ein Zeichen meiner Gnade zu entdecken.
So driften wir dahin, meine vielgliedrige Prozession im Schimmern von Perlmutt und Krill, und ich, ihr Engel, dem sie voller Urvertrauen folgen. Ich kenne alle Winde. Ich bin mit jeder Strömung vertraut, folge den Fährten der behäbigen Wale ebenso wie denen der stets hungrigen Haie. Überall unter mir drängt mein Blick zähe Dunkelheit zurück, reißt verborgene Städte und Landschaften aus der willfährigen Nacht. Wir halten ein bei Mausoleen. Wir grüßen die Ahnen, und mancher grüßt uns wieder, übermütig mit der Schwanzflosse peitschend, um dann wieder abzutauchen in sein Gelass, einen trüben Nebel aus Muschelkalk hinterlassend. Die Krater, die der ewig junge Erdkern speist, beleuchten unseren Weg und wärmen die fragilen Kreaturen aus dem Oberwasser, die erfrieren müssten ohne die archaische Glut dieser brodelnden Wallfahrtsorte.
Die Edelsten des Meeres begleiten uns, umkreisen unseren Zug in keckem Übermut. Delfine tanzen auf ihren Fluken, zirpende Botschaften der Liebe verteilend. Wale stimmen ihre mystischen Gesänge an, überliefert aus den Urseen kollektiver Erinnerung. Oktopoden folgen uns in lasziven Schüben, überholt von euphorischen Muränen und angespornt von einem Firmament aus Seesternen, an dem eitle Kugelfische sich als Monde bewundern lassen. Dazwischen Riesenschildkröten im Hochzeitsrausch, die Lungenfische mit ihren alten Legenden von dem einen Ozean und Quastenflosser, deren Gelübde lautet, nie mehr an irgendein Land zu gehen. Als bloßer Schatten eskortiert uns der als schrecklich verrufene Leviathan, den wir nicht fürchten müssen, da sein Zorn nur die da oben trifft.
Schon nähern wir uns dem angestrebten Ziel, dem alle solange entgegenträumten in ihren Katakomben und Grüften. Die am hellsten strahlenden Leuchtfische der Tiefsee weisen uns darauf hin, indem sie ein fluoreszierendes Spalier für meine aufgeregten Schützlinge bilden, eine pulsierende Milchstraße des Meeres, aus der sich bald der gesamte Tross auf den weiten Festplatz ergießt, dessen Äonen alte Felsplatten von längst versunkenen Gebirgen stammen, deren Gipfel sich einst über die düstersten Wolken erhoben. Die Ungeduldigsten aus der Freudenparade beginnen gleich mit entfesselten Tänzen, noch ehe die lockenden Muschelhörner ertönen, und die fremdartigsten Fischschwärme zucken synchron im ansteigenden Rhythmus der elektrischen Schläge von erregten Zitteraalen, die das tiefe Dröhnen aus dem Schlund eines überfressenen Walhais kontrapunktiert. Von dem Spektakel angelockt, wühlen sich nun auch die scheuesten Geschöpfe aus dem Sand und schwimmen, krabbeln und schlängeln sich dem wilden Reigen entgegen. Und alle, alle feiern sie mein Fest, dessen ekstatisches Tosen ich wohlwollend von oben betrachte.
Da reiten die Kleinsten der meinen auf bizarren Fischleibern, übersät mit geschmeidigen Tentakeln. Da wirbeln stachelige Seeigel über den Tanzplatz, von Jongleuren mit breiten Flossen geschickt in Bewegung gehalten. Ein prächtiger Manta hat die Herde der Seepferdchen zu einem abenteuerlichen Gleitflug über das Defilee der Festgäste eingeladen. Einander fremde Spezies erfahren sich unbefangen, tauschen Intimes, und Räuber wie Opfer winden sich in hemmungslosem Begehren, während am Rande des Taumels Geysire heiße Fontänen speien, die wie Säulen erstehen und sprudelnd glitzernde Bläschen hinauf zur Oberfläche senden, wo ein blasser Mond erfolglos die dunklen Wogen zu durchdringen versucht.
Dieses Anblicks ungebremsten Glücks nicht müde werdend, betrachte ich die kindische Tollheit meiner Schutzbefohlenen, genieße den in den Farben der Nacht schillernden Wust aus Körpern jeglicher Gestalt und jeder Größe. Langsam aber, ganz sachte ebbt der Trubel ab. Die Hörner verstummen, die stumme Balz kommt zur Ruhe. Und aus dieser Stille heraus ahnen jetzt alle das lebenslang vertraute Säuseln, aus dem langsam eine Melodie erwächst, zu der es vor Jahrhunderten noch Worte gegeben hat. Das alte Sehnsuchtslied ist es von der Wiedervereinigung der Brüder und Schwestern, jenen die mit mir feiern und den anderen, die oben leben müssen unter der Glut der Sonne, die ihre Haut und ihre Äcker verdorren lässt, den Winden ausgesetzt, die immer stärker und wütender werden und zerstören an Leben, was ihre Kriege und Seuchen bislang noch verschont haben.
Und so beginnt wieder einmal die Zeit der Trauer nach dem Fieber der Glückseligkeit. Mein kleines naives Volk wird zurückkehren müssen in die vom Salz zernagten Ruinen ihrer Schlafstätten. Sie werden weiter träumen müssen von der Zusammenführung des Blutes, und so sehr ich ihnen auch Trost spende und mein Herz für sie breche immer und immer wieder, werden sie doch nicht begreifen, was ich längst weiß.
Ich bin Wasser. Ich bin Schuppe. Mir beichten die Stürme ihre wachsende Kraft. Mich bitten die vernichtenden Wogen, die auf die Ufer stürzen, um meinen Segen. Selbst die Sonne, die das Feuer schickt, bedarf meines Rates, und wenn das Himmelszelt sich verdunkelt, weil schwarze Wolken mit den Orkanen reisen, so sind diese doch nur die Herolde der allerletzten Botschaft – die da oben sind nicht zu retten.
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kioto Eselsohr
Alter: 71 Beiträge: 442 Wohnort: Rendsburg
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15.12.2021 17:18
von kioto
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Hallo Zettel,
Ich habe den sehr interessanten Text gerne gelesen. Du hast dir sehr viel Mühe gegeben, Bilder aus dem Ozean zu einer leicht surreal wirkende Kollage zu vereinen. Der Text wirkt fast religiös. Auch der etwas komplexe Satzbau passt gut zum Thema.
Der Schluss mit seiner doch altbekannten Botschaft reißt mich als Leser etwas abrupt aus der Phantasie.
_________________ Stanislav Lem: Literatur versucht, gewöhnliche Dinge ungewöhnlich zu beschreiben, man erfährt fast alles über fast nichts.
Phantastik beschreibt ungewöhnliche Dinge (leider m.M.) meist gewöhnlich, man erfährt fast nicht über fast alles.
Gruß, Werner am NO-Kanal |
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Zettel Wortedrechsler
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Beiträge: 87
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Kascha Leseratte
Beiträge: 144 Wohnort: Wald der Träume
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16.12.2021 17:40 Re: Der Hüter des Alten Volkes von Kascha
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Eine Geschichte, die den Leser in die Tiefe des Meeres hinabzieht ... gelungen, Zettel! Auch wenn ich manchmal Mühe hatte, zu folgen, aber das ist (wahrscheinlich) irgendwo beabsichtigt.
Ich bin mir nicht sicher, ob hier vielleicht ein paar Adjektive zu viel schwimmen. Sie wirken einprägender, wenn sie sich nicht mit fünf weiteren im Satz um Aufmerksamkeit streiten müssen. Lieber ein paar wenige bewusst gesetzte, wo sie nötig sind und schön klingen.
Mhm ... Ich liebe verschachtelte Sätze, solange sie gut strukturiert sind. Da muss ich mich selbst oft ein wenig bremsen. Vielleicht sind in deinem Text manche aber doch etwas zu lang und kompliziert:
"Sobald ich rufe, ist es ein dünner Pfiff über den Wellen, ein gewaltiger Schrei aber in den Tiefen unter mir, der die versunkenen Mauern durchdringt und die fahlen Leiber erzittern lässt im Traum, bis starre Augen sich öffnen und Erinnerung sich breit macht in Häusern, Tempeln und Palästen."
Was ist das 'Ich' eigentlich für ein Geschöpf? Ein paar Hinweise sind ja verstreut, aber ... ein übergroßer Parasit? Schiffshalter? Was reitet auf Fischen und hat einen prallen Bauch ... Ich würde es gerne verstehen, aber du kannst es auch für dich behalten, wenn ich nicht clever genug bin, darauf zu kommen.
Deine Beschreibungen sind wundervoll bildlich, ungewöhnlich und wecken die Bewunderung für das Meer. Ich würde gerne welche zitieren, aber dein Text ist voll davon. Einfach alle streiten darum, schöner als die vorige zu sein.
Könntest du den stets hungrigen Haien vielleicht ein andere Beschreibung geben? Sie sind nicht immer hungrig, das ist bloß eines der vielen Vorurteile dieser wunderbaren Tiere. Ich liebe Haie und bei solchen Worten stellt sich mir immer alles auf ...
Und der Schluss, das Übliche, was wir alle schon wissen (sollten) . So wenige erkennen dieses mächtige, prachtvolle Reich in den Ozeanen.
Gut gemacht!
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Zettel Wortedrechsler
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Beiträge: 87
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Kascha Leseratte
Beiträge: 144 Wohnort: Wald der Träume
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18.12.2021 00:09
von Kascha
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Vielen Dank für die Antwort, Zettel! Jetzt verstehe ich ein bisschen besser. Das Verklärende ist dir auf jeden Fall gelungen
Liebe Grüße zurück,
Kascha
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Eulenfeder8 Schneckenpost
Beiträge: 14
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17.05.2023 21:31
von Eulenfeder8
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Hallo, Zettel,
ich habe den Text sehr gerne gelesen und mich in die schillernde, dunkle, gleichzeitig vielfältig bunte Welt bringen lassen.
Der ausladende Satzbau mit vielen Wendungen und die vielen bildlichen, eher untypischen Beschreibungen machen den Erzähler/das mächtige Ozeanwesen greifbarer und geben ihm einen gewissen göttlichen Touch.Man hat sofort verstanden, dass der Erzähler ein fremdes Wesen ist und sich die Wasserwelt trotzdem gut vorstellen können.
Allerdings musste ich mich sehr konzentrieren, um die vielen Andeutungen und Umschreibungen zu verstehen. Zwischen den langen, verschlungenen Sätzen wären ein paar kürzere, klare Beschreibungen hilfreich gewesen. Was ist es für ein Wesen, welche Beziehung hat es zu den Menschen, was für ein Fest wird gefeiert, ...
Für die kürze des Textes trotzdem ein gelungenes und auch inhaltlich schönes Werk.
Viele Grüße
Eulenfeder8
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