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Mogmeier Grobspalter
Moderator Alter: 50 Beiträge: 2677 Wohnort: Reutlingen
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27.01.2017 00:14 David Foster Wallace – »Unendlicher Spaß« von Mogmeier
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Dürfte ich für die Beschreibung des Romans, »Unendlicher Spaß«, nur ein einziges Wort verwenden, dann würde ich wohl sagen: Sensationell!
Verschweigen möchte ich nicht, dass dieses Buch reichlich über 1500 Seiten lang ist. Also mehr als 1500 Seiten, die sich aber lohnen, meine ich.
Im Klappentext des Buchs wird es in etwa schon angedeutet, dass sich die "Handlung" um einen Film dreht, der, wie das Buch selbst, »Unendlicher Spaß« heißt. Dieser Film soll so unterhaltsam sein, dass jeder, der ihn sich anschaut, jeglichen Willen verliert, noch irgendetwas anderes zu tun und z.B. auch nicht mal mehr in der Lage ist, zum Verrichten seiner Notdurft, auf Toilette zu gehen.
Die Story spielt in naher Zukunft, der herkömmliche Kalender wurde ersetzt durch die Sponsorenzeitrechnung. Unternehmen können sich sozusagen vom Staat ein Jahr erkaufen und es nach ihrem Produkt benennen. So spielt ein Großteil der Handlung im »Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche«.
So spaßig wie das erstmal klingt, ist das Buch dann aber doch nicht, obwohl das Buch, finde ich, eine Gesellschaftskritik allererster Güte ist, mit viel Klarsicht und Treffsicherheit ohne weltverbessernden Zeigefinger, dafür aber so skurril-absurd-brillant, dass man stellenweise fast Muskelkater vom Lachen bekommt. – Vieles darin ist aber eben sehr makaber und finster angelegt, schließlich werden auch sehr bitterernste Themen angesprochen (Kindesmisshandlung u. -missbrauch, Alkohol- u. Drogensucht, Suizid usw.) und das ohne vorgehaltene Hand. Und dabei wird das Buch dann schon recht beängstigend, denn als Leser ist man nicht nur im Geschehen drin, sondern erlebt den Ekel und Schmerz des jeweiligen Opfers, als wäre man das Opfer selbst.
Die Ironie des Buchs findet sich in der Zeit, in der die Geschichte spielt (die nahe Zukunft), wenn man bedenkt, dass dieses Buch in den 90ern geschrieben worden ist, könnte man meinen, dieser Roman sei ein Spiegelbild unseres gegenwärtigen Gesellschaftstreibens. Einiges von dem, was heute gerade so passiert (gerade auch so im US-amerikanischen Raum), ist praktisch in diesem Buch vorausgesagt worden, wie zum Beispiel seltsam aufdringlich anmutende Handelsabkommen und ein noch seltsamerer Präsident. Der Präsident in der Geschichte wird, wenn ich mich recht erinnere, als mikrofonschwingender Showmaster dargestellt, bei dessen Gehabe und Getue könnte man glatt meinen, es handele sich dabei um einen gewissen Donald Trump.
Gewiss hat dieses Buch auch seine Ecken und Kanten (erste Zusammenhänge, die einen Handlungsstrang vermuten lassen, werden erst so zwischen den Seiten 700 und 800 deutlich, oder so), aber es ist dennoch ein unendlicher Spaß!
EDIT: Tennis. Tennis ist darin auch ein dominantes Thema. Ich fühle mich gerade so, als könnte ich es nun mit allen möglichen Tennisgrößen aufnehmen und sie in Grund und Boden spielen.
Parallel zum Tennis gibt es aber auch noch das ›Eschaton-Spiel‹. ,
_________________ »Nichtstun ist besser, als mit viel Mühe nichts schaffen.«
Laotse |
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Babella Klammeraffe
Alter: 61 Beiträge: 890
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27.01.2017 17:53
von Babella
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Ich lese gerade "Der bleiche König" von D.F.Wallace und finde es ebenfalls sensationell. Es ist genauso dick, ich dachte nicht, dass ich in meinem derzeit doch recht angefülltem Alltag Lust auf so einen Wälzer habe, aber ich fürchte, wenn ich den durch habe, fange ich "Unendlicher Spaß" an.
Danke für deinen Tipp! Ich schreibe auch noch mehr, wenn ich mit dem bleichen König durch bin.
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Mogmeier Grobspalter
Moderator Alter: 50 Beiträge: 2677 Wohnort: Reutlingen
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28.01.2017 00:28
von Mogmeier
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Oha, »Der bleiche König« steht bei mir auch noch auf der Liste, aber vorher lese ich erstmal, ebenfalls von Wallace, »Kleines Mädchen mit komischen Haaren«.
Aber jetzt mache ich erstmal eine Lesepause, also eine Pause vom Lesen, meine ich; verständlich, nach so ’nem Wälzer.
Noch ein Tipp zu »Unendlicher Spaß«
Wer Berührungsängste mit langen Bandwurmsätzen, die zeitweilig sogar mehr als eine Seite lang sind, hat, sei es z.B. weil von Bandwurmsätzen traumatisiert, eine Psychose und oder Zwangsneurose diesbezüglich entwickelt hat, die einen sozial-gesellschaftlich an den Rand oder infrage stellen könnten, sich deswegen nun nicht mehr unters Volk traut und sich lieber daheim abschottet oder was auch immer, vielleicht sogar deswegen starke Medikamente nehmen muss, oder aber solche Bandwurmsätze eben nun mal nicht ausstehen kann, egal ob aus eigener Ambition heraus oder aus der Aufdringlichkeit eines Schreibratgebers, der steif und fest behauptet, Bandwurmsätze seien aus der Mode, der wird beim Lesen dieses Buchs wahrscheinlich erstmal in Ohnmacht fallen, denn Bandwurmsätze – könnte man meinen – sind so ziemlich alle Sätze innerhalb dieses Buchs.
Noch ein weiterer Tipp
Das Buch ist gespickt mit allerhand Fußnoten (in ca. 140 Seiten aufgelistet). Die sollte man nicht unbeachtet überlesen! – Man taucht dadurch nicht nur noch tiefer in die Story ein, sondern wird darin auch mit dem einen oder anderen i-Tüpfelchen konfrontiert, das für den einen oder anderen zusätzlichen Lacher sorgt. – Okay, einiges davon zieht sich über acht Seiten hin (wenn das überhaupt reicht) und das ist recht nervend, weil – wie für Fußnoten nun mal so üblich – alles recht winzig gedruckt ist. Es empfiehlt sich also ein zweites Lesezeichen.
_________________ »Nichtstun ist besser, als mit viel Mühe nichts schaffen.«
Laotse |
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Babella Klammeraffe
Alter: 61 Beiträge: 890
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28.01.2017 09:49
von Babella
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Ja genau. Fußnoten. Das macht er im bleichen König ebenso.
Die durch akribische Liebe zum Detail gewirkten Bandwurmsätze erinnern mich an Prousts "Suche". Man muss sich darauf einlassen, aber dann ist es ein außergewöhnlicher Lesegenuss.
Er beschreibt zum Beispiel einen Menschen mit einer Angststörung, der zu Schweißausbrüche neigt und sein ganzes Denken darauf fixiert. Da spürt man beim Lesen förmlich die bohrenden Blicke im Nacken, die dieser Mensch sich nur einbildet. Das ist geradezu gespenstisch.
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Mogmeier Grobspalter
Moderator Alter: 50 Beiträge: 2677 Wohnort: Reutlingen
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29.01.2017 01:03
von Mogmeier
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An die Bandwurmsätze und den überhaupt sehr experimentellen Schreibstil gewöhnt man sich recht schnell.
Na ja, ich habe eigentlich schon gewusst, worauf ich mich da einlasse, schließlich habe ich vorher seinen Debütroman gelesen (»Der Besen im System«). Ein Roman, der mit ’nem Satz aufhört, der
_________________ »Nichtstun ist besser, als mit viel Mühe nichts schaffen.«
Laotse |
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