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Anton Maurer Gänsefüßchen
Alter: 34 Beiträge: 23 Wohnort: Baden bei Wien
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29.10.2016 23:34 Ikea: Der heilige Schrein von Anton Maurer
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Ein dezent ausgeschmückter Text zu einer Einkaufserfahrung. Herzlichen Dank für alle Rückmeldungen!
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Die Schließfächer funktionieren nicht. Seit zehn Minuten tippen meine Freundin und ich Codes ein, drücken mit zunehmender Intensität Türchen zu und sehen diese verfluchten Türchen in der nächsten Sekunde wieder aufspringen. Schließlich werfen wir unsere Rucksäcke und die Winterjacken entnervt in ein Einkaufswagerl. Die Ikea-Exkursion kann beginnen.
Am Samstagnachmittag, so scheint es, hat die ganze gelangweilte Nation nichts anderes zu tun, als zu Ikea zu fahren, oder vielmehr: Zu pilgern! In riesigen Scharen machen sich die Österreicher auf den Weg zum heiligen Schrein, einem blau-gelben Kasten mit billigen Möbeln. Was heißt da Möbel, zischen die Ikea-Apostel jetzt empört, hier geht es um viel mehr. Hier gehts um das große Ganze. Um ein Lebensgefühl. Um den neuen Lifestyle.
Als wir uns dem Eingang nähern, spüre ich die Euphorie, die uns umgibt. Überall Lippen, die geleckt werden, glänzende Erwachsenenaugen. 300 andere Kaufwütige haben dasselbe Ziel wie wir. 300 jackenbeladene Einkaufswagerl werden zum Eingang des Schreins gestoßen. Zum Schreingang, sozusagen. Staubildung. Wir halten eine letzte Einsatzbesprechung ab, gehen noch einmal Punkt für Punkt unsere Strategie durch: Vorhangabteilung suchen, Vorhänge auswählen, Ausgang finden. Der Plan ist perfekt, der Weg ist frei. Die Wallfahrt nimmt ihren Anfang. Wir kommen gut vorwärts, ein Frontalzusammenstoß hier, ein überfahrenes Kind da, sowas kann uns nicht aufhalten.
Je weiter wir uns vom Eingang des Konsumtempels entfernen, desto voller werden die Einkaufswagerl, die wir überholen. In ihnen türmen sich all die schönen bunten Dinge, die man eigentlich nicht braucht, zu deren Kauf man auf dem fünfzehn Kilometer langen sternförmigen Parcours vom Eingang bis zur Kassa aber verleitet wird: Schwimmkerzen, Plastikboxen, winzig kleine „Gäste-Handtücher“ um fünfzig Cent, Pferde-Kuchenbackformen und irgendwelche grünen Sachen in Plastiktöpfen. Nicht zu vergessen der Topfhandschuh „Stinn“ und das blütenweiße Geschirrtuch „Tekla“, die von den eifrigen Ikea-Aposteln in ihre Einkaufswagen gestopft werden, während ihnen der Schaum vom Munde tropft! Und oben drauf auf dem ganzen Unsinn sitzt der gelangweilte Nachwuchs mit seinem Smartphone, sofern darauf vergessen wurde, den Sprößling im Ikea-eigenen Kindergarten auszusetzen.
Ich hege den Verdacht, dass manche Kinder mehr Kontakt zur Ikea-Kindergartentante haben als zu ihrer Mutter. Der Nachwuchs soll sich frühzeitig an den Ikea-Tempel gewöhnen, denn dieser spielte in seinem kurzen Leben eine weitaus wichtigere Rolle, als so ein Dreikäsehoch denkt: Bereits zehn Prozent der heute lebenden Europäer wurden in einem Ikea-Bett gezeugt! Einige wurden bestimmt auch darin geboren, und getauft wird man heutzutage mit der Suppenkelle „Hjälte“ oder mit der Blumenvase „Blomfäste“.
Wir brauchen Vorhänge. In der Vorhangabteilung stellen wir fest, dass es durchsichtige Vorhänge gibt, durchscheinende und blickdichte. Einsatzbesprechung. Wir wollen blickdichte. Die Auswahl ist groß, grau ist billiger als lila. Und anständiger, finden wir. Die angebotenen Modelle sind ausnahmslos drei Meter lang, unser Zimmer ist zwei Meter hoch. Wir brauchen Hilfe und halten Ausschau nach Ikea-Priestern oder -Angestellten, diese haben sich aber offenbar alle längst in Sicherheit gebracht. Ein Aufkleber befreit uns aus dem Dilemma: Wir können die Vorhänge beim Ikea-Nähservice kürzen lassen, steht da, oder ein aufbügelbares Band kaufen, mit dem der Vorhang umgeschlagen und festgeklebt werden kann. Das Bügelband kostet 3,99 € und ist irgendwie geil, also nehmen wir es mit. Drei Stunden später stehen wir an der Kassa.
Anschließend gesellen wir uns, weil wir mittlerweile völlig dehydriert und halb verhungert sind, zu den 300 anderen Gourmets, die im Ikea-Restaurant selbstbewusst zwanzig Minuten in der Schlange stehen, um dann mit heiligem Ernst an der Wand stehend ein paar Fleischbällchen zu verzehren. Dass die skandinavische Cuisine europaweit wohl die fadeste ist, hat für uns Ikea-Jünger keine Relevanz.
Nachdem wir unser Mahl beendet haben, warten wir auf das Ikea-Shuttle: Der Gratisbus bringt uns zurück zu unserem traurigen Leben in der Gosse. Unterwegs gibt es einen kleinen Unfall, als der Busfahrer nach einer unübersichtlichen Kurve plötzlich auf die Bremse springt. Ein zwei Meter hoher, bleischwerer Karton, den jemand zwischen zwei Sitzreihen gestellt hatte, fällt auf meinen Kopf, doing. Der Besitzer des verpackten Möbelstücks entschuldigt sich nicht. Wahrscheinlich ist es eine Ehre, von einem Ikea-Schrank erschlagen zu werden.
Weitere Werke von Anton Maurer:
_________________ Satire- und Reiseblogger auf teufel-komm-raus.at |
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Tape Dispenser Eselsohr
T
Beiträge: 272
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T 30.10.2016 00:08
von Tape Dispenser
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Hallo Anton,
der Text funktioniert für mich nicht. Du behauptest zwar, dass Ikea einen Wallfahrtsort darstellt, aber du unternimmst zu wenig, um dieses Bild auch umzusetzen. Du vergleicht die Kunden zwar als Jünger und verwendest Wörter wie Pilger, Schrein, Wallfahrt, deine Beobachtungen sind aber nun nicht überspitzt genug, dass man es als Satire/Ironie wahrnehmen könnte. Ahnen ja, aber Satire lebt ja nun einmal von Überspitzung/Übertreibung, und davon ist mir eindeutig zu wenig im Text. Hinzu kommt, dass du stellenweise ganz normale Beobachtungen einfließen lässt, die nichts weiter mit der Absicht des Textes zu tun haben (Gardinen, aufbügelbares Klebeband, Busfahrt).
Insgesamt liest es sich von daher wie eine bloße Aneinanderreihung zusammenhangsloser Sätze und einfach in den Raum gestellter Behauptungen.
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Rodge Klammeraffe
Beiträge: 845 Wohnort: Hamburg
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31.10.2016 10:11
von Rodge
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Moin, moin,
nicht schlecht, ich habe zu Ende gelesen (was ich nicht immer tue). Mir ist nicht ganz klar, was der Text will und es fehlt aus meiner Sicht auch so ein bisschen Augenzwinkern oder Selbstkritiki, da der Prota in der Geschichte andern das ankreidet, was er selber tut und das geht für mich nicht ohne Selsbstkritik. Könnte insgesamt noch etwas weniger ausgetreten sein, z. B. die Verkäufer, die sich in Sicherheit gebracht haben, das ist mir dann doch zu klischeehaft.
Aber dennoch, nicht schlecht, könnte gut werden, wenn du noch dran feilst.
Grüße
Rodge
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Rodge Klammeraffe
Beiträge: 845 Wohnort: Hamburg
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31.10.2016 10:11
von Rodge
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Moin, moin,
nicht schlecht, ich habe zu Ende gelesen (was ich nicht immer tue). Mir ist nicht ganz klar, was der Text will und es fehlt aus meiner Sicht auch so ein bisschen Augenzwinkern oder Selbstkritiki, da der Prota in der Geschichte andern das ankreidet, was er selber tut und das geht für mich nicht ohne Selsbstkritik. Könnte insgesamt noch etwas weniger ausgetreten sein, z. B. die Verkäufer, die sich in Sicherheit gebracht haben, das ist mir dann doch zu klischeehaft.
Aber dennoch, nicht schlecht, könnte gut werden, wenn du noch dran feilst.
Grüße
Rodge
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Anton Maurer Gänsefüßchen
Alter: 34 Beiträge: 23 Wohnort: Baden bei Wien
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03.11.2016 00:53
von Anton Maurer
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Vielen Dank für die Rückmeldungen!
Der Text ist keine reinrassige Satire, das stimmt, er ist auch eine Erzählung. Warum? Weil die Geschichte (von den Übertreibungen abgesehen) so passiert ist. Das macht das Ganze für mich weniger dicht und dadurch glaubwürdiger.
Was ich will? Mir das Maul zerreißen.
_________________ Satire- und Reiseblogger auf teufel-komm-raus.at |
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Kalyptra Schneckenpost
Beiträge: 13
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06.11.2016 19:15
von Kalyptra
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Hallo Anton,
ich habe an dem Text etwa die gleiche Kritik wie Tape Dispenser. Durch die Mischung aus Nacherzählung und der Wallfahrt Analogie ist es für mich nichts halbes und nichts ganzes.
Das merke ich zb hier:
Am Samstagnachmittag, so scheint es, hat die ganze gelangweilte Nation nichts anderes zu tun, als zu Ikea zu fahren, oder vielmehr: Zu pilgern!
Der erste Teil des Satzes ist ein Gedanke, den wahrscheinlich 80% der gelangweilten Nation selber schon mal hatte (Was machen die hier alle? Haben die nichts besseres zu tun?). Klar, du hast es selbst erlebt und daher ist es für dich "weniger dicht und dadurch glaubwürdiger".
Aber sind das wirklich Eigenschaften, die dieser Text braucht?
Und der zweite Teil: "oder vielmehr: Zu pilgern!" wirkt einfach nicht, wenn du ihn recht achtlos hintendranhängst. Für mich nimmt das den ganzen Witz.
Und es passt auch nicht zum Bild der 'gelangweilten Nation'. Man pilgert doch nicht aus Langeweile, sondern aus Verehrung? Die Mischung ist für mich nicht stimmig.
Für meinen Geschmack würde der Text profitieren wenn du dich für die reine Nacherzählung oder die Wallfahrt Analogie entscheidest.
_________________ And the silken sad uncertain rustling of each purple curtain
Thrilled me - filled me with fantastic terrors never felt before.
E.A.P |
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Kalyptra Schneckenpost
Beiträge: 13
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06.11.2016 19:26
von Kalyptra
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Hallo,
ich melde mich nochmal, weil ich gerade einen Eintrag aus deinem Blog gelesen habe. (Der Kunstkenner.)
Ich finde du schreibst gute und lustige Nacherzählungen.
Wenn ich daher vorher meinte: "Der erste Teil des Satzes ist ein Gedanke, den wahrscheinlich 80% der gelangweilten Nation selber schon mal hatte" meine ich das nicht negativ, sondern will damit sagen, dass man diese Situation gut kennt und daher gerne einen lustige Text darüber liest.
Trotzdem würde ich, wenn du in diesem Stil bleibst, weiterhin das pilgern rausnehmen, aus den genannten Gründen. Versuch doch mal, die zwei Seiten des Textes streng zu trennen und zwei Texte draus zu machen.
Liebe Grüße
_________________ And the silken sad uncertain rustling of each purple curtain
Thrilled me - filled me with fantastic terrors never felt before.
E.A.P |
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Stagepilot Wortedrechsler
S Alter: 55 Beiträge: 50 Wohnort: SüdSuedWest
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S 15.11.2016 19:03
von Stagepilot
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Seh ich auch so wie die vorherigen Kommentare. Zudem frage ich mich, ob man IKEA nehmen muss. Besser und womöglich ungefährlicher scheint mir ein Fantasiename zu wählen, der nah am gemeinten ist zB Akaja.
_________________ Du sollst nicht übermäßig fressen, saufen, spielen: Schreib und lass die Verben tanzen!🤸 |
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Babella Klammeraffe
Alter: 61 Beiträge: 890
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16.11.2016 08:50
von Babella
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Worüber genau zerreißt du dir das Maul? Über Leute, die bei Ikea einkaufen, während du es selbst tust? Darüber, dass es dort samstags voll ist? Samstags ist es überall voll, das liegt daran, dass die Leute an dem Tag frei haben und sonntags die Läden zu sind. Das macht aus ihnen aber keine Pilger. Junge Familien richten ihr Heim ein und müssen ihre Kinder nun mal mitnehmen.
Dass es so passiert ist - geschenkt. Nicht alle Sachen, die man erlebt hat, sind so interessant, dass man sie aufschreiben muss. Um einen witzigen Text zu schreiben, müsstest du viel konkreter, temporeicher erzählen. Mir ist das auch zu selbstgefälltig. Die anderen kaufen lauter Zeug, das "keiner" braucht - na klar, das siehst du so.
Man merkt, dass du lästern willst. Naja.
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Anton Maurer Gänsefüßchen
Alter: 34 Beiträge: 23 Wohnort: Baden bei Wien
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16.11.2016 23:51
von Anton Maurer
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Vielen Dank für alle Kommentare, vor allem an @Kalyptra!
Wenn ich die erzählenden Elemente rausnehme, bleibt, fürchte ich, nicht mehr viel von dem Text übrig!
Babella hat Folgendes geschrieben: | Worüber genau zerreißt du dir das Maul? Über Leute, die bei Ikea einkaufen, während du es selbst tust? |
Über Leute, für die Ikea längst mehr ist als nur Einkaufen. Anlassfall für den Text ist eine Bekannte von mir, für die ein Ikea-Einkauf ein Monatshöhepunkt ist, der genüsslich geplant und anschließend über einen längeren Zeitraum in der Konversation aufgearbeitet wird. Die Bekannte hat ein Kind, das sich bei Ikea "richtig zuhause" fühlt. Ich habe das Gefühl, dass es bei Ikea weitaus mehr quasi-religiöse Eiferer gibt als meine Bekannte... Deshalb habe ich darüber geschrieben.
_________________ Satire- und Reiseblogger auf teufel-komm-raus.at |
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Rübenach Exposéadler
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Beiträge: 2832
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R 17.11.2016 10:44
von Rübenach
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Anton Maurer hat Folgendes geschrieben: |
Über Leute, für die Ikea längst mehr ist als nur Einkaufen. Anlassfall für den Text ist eine Bekannte von mir, für die ein Ikea-Einkauf ein Monatshöhepunkt ist, der genüsslich geplant und anschließend über einen längeren Zeitraum in der Konversation aufgearbeitet wird. Die Bekannte hat ein Kind, das sich bei Ikea "richtig zuhause" fühlt. Ich habe das Gefühl, dass es bei Ikea weitaus mehr quasi-religiöse Eiferer gibt als meine Bekannte... Deshalb habe ich darüber geschrieben. |
sorry, aber genau darüber hast du nicht geschrieben.
_________________ "Vielleicht sollten mehr Leute Schreibblockaden haben." Joy Williams |
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Anton Maurer Gänsefüßchen
Alter: 34 Beiträge: 23 Wohnort: Baden bei Wien
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17.11.2016 12:47
von Anton Maurer
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Vielleicht ein bisschen konkreter? Worüber habe ich nicht geschrieben?
_________________ Satire- und Reiseblogger auf teufel-komm-raus.at |
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James Blond Eselsohr
Alter: 71 Beiträge: 448 Wohnort: HAMBURG
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17.11.2016 14:09
von James Blond
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Anton Maurer hat Folgendes geschrieben: | Vielleicht ein bisschen konkreter? Worüber habe ich nicht geschrieben? |
Oh,
dies alles aufzuzählen, würde sicher eine Menge Zeit in Anspruch nehmen!
Bleiben wir besser, bei dem, was du beschrieben hast: Ein stinknormaler Einkauf bei einem skandinavischen Möbelanbieter.
Du hast dort Vorhänge erstanden und dir beim Einkauf so deine Gedanken gemacht. Schön.
Doch für eine echte Satire fehlt dem Text die bissige Übertreibung beim Blick auf die Absurditäten des Megashops samt seiner Bewohner. Dein Stift ist für Bosheiten noch nicht spitz genug, alles kommt so brav und voraussehbar daher, wie es eben den guten Jungen von nebenan kennzeichnet. Heiligtum und Kult werden zwar genannt, aber leider nicht dargestellt, es mangelt an karikierenden, bzw. entlarvenden Beobachtungen. Geh noch mal suchen, der Pfeffer liegt im Detail!
Grüße
JB
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