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The Black Angel's Death Song


 
 
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HI Hansen
Schneckenpost

Alter: 53
Beiträge: 8
Wohnort: Ferschweiler


Beitrag05.09.2015 18:16
The Black Angel's Death Song
von HI Hansen
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Liebe Forenmitglieder,

ich danke vorab für Kritik und Feedback zum folgenden Text. Es ist eine historische Fiktion, die ich - hüstel - in groben Zügen vor einiger Zeit geträumt habe. Dieser Traum verfolgte mich ziemlich, deswegen stellte ich das Ganze in diesem Text zusammen. Es spielt um 1825 und eine der Figuren, die real existierten, ist der preußische König Friedrich Wilhelm III. Mehr will ich nicht vorab verraten, außer, daß es vermutlich nie ein derartiges Attentat gegeben haben soll. Träume, halt wink

Mein Name ist Gideon Hunziger. Ich zähle noch keine dreiunddreißig Jahre, lebte in Prillwitz, bis zu dem Tage als mich die Beiden ansprachen. Dort habe ich als Küster unserer Kirche gedient; auch als Totengräber, denn ich habe kein Handwerk gelernt. Im Süden war meine Heimat, bin in Roßla geboren und gut einige Jahre dort immer gern nach dem Kyffhäuser gewandert um den großen Kaiser zu sehen, wenn er kommt. Dann aber bin ich dem Korsen Auge in Auge gegenübergestanden! Damals, bei Leipzig, da hätte ich ihn tödlich streifen können! Doch hat mir ein Franzmann das Knie zerschmettert, und ich armer Knirps bin so grade mit meinem Leben davongekommen. Oh, wie ist das dann übel mir gegangen, denn mein Vater ist nicht aus der Schlacht heimgekehrt und meine Mutter war schon immer siech! Der Oheim Karl hat mich, kaum das ich dann fünfzehn Jahre zählte, mit einem Empfehlungsschreiben hier herunter zum alten Boll geschickt. Drei Monate war ich unterwegs, habe mich auch mal irreleiten lassen, und stieß nach einigen Tagen auf die Oder, so nannte ein Fuhrwerker mir den Fluß, der mich dann in den Norden mitnahm, bis ich wieder Fahrt auf Neubrandenburg fand. Der alte Boll hat mich nach Prillwitz verwiesen und so hab ich dann dort erst eine lange, harte Schulbank gedrückt. Ja, zwei Jahre hat mich der Alte mit den Knirpsen auf die Bank gezwungen, jeden Vormittag, damit mir der Schädel brummen sollte. Dann lag der Alte plötzlich selber in der engen Kiste, noch gar nicht einmal sehr alt. So nahmen mich die Bolls dann nach Neubrandenburg in ihr Hause auf, wo ich mir gerne die Zeit mit Franzel vertrieb oder auf den kleinen Ernst Obacht geben mußte. Einmal dann, nach Jahren ist der König in die Stadt gekommen, und ich bin mit Franzel und Ernst dorthin gegangen, ihn zu sehen. Naja, ich denke immer nur an den Korsen, der mir so nah war, ich hätte ihn wirklich beinahe gehabt, auch wenn ich dann dem Schlag von dem Anderen wohl nicht mehr hätte so ausweichen können.

Der Franz ließ mir eine Nachricht aus Halle kommen, worauf ich nach Greifswald hinging, damit ich dort eine Sendung für ihn übernähme, auf die er schon Monate wartete. Die Sammlung seines Vaters an Altertümern mochte er damit erweitern. Dort angekommen, sprachen mich die Zwei an. Ich kann nicht sagen, mit welchem Bedürfnis sie sich an mich wendeten, doch kam ich ihnen nicht aus dem Wege. Selbst auf der Heimreise stellten sie mir nach, ohne je gesagt zu haben, was ihr Begehr denn sei. Die kleine Truhe, die ich immer fest an mich preßte, bedachten sie mit keinem Blicke.

Endlich kam Prillwitz in Sicht. Ich saß noch auf dem Fuhrwerke, daß mich seit Stargard mitgenommen hatte. Dort hatte ich mich in trüber Abendstimmung aus der Beobachtung der Zwei herausgeschlichen. Franz empfing mich dort in meiner kleinen, alten Heimat, freute sich, wie ich es selten bei ihm gesehen hatte, über diese kleinen Utensilien, die er aus der Holzkiste herauszog. Eines war ein Kamm, ich erinnre' mich genau, den er strahlend vor seine Augen hielt: „Mindestens viele hundert Jahr' schon alt!“ Es war ein so schönes Bild. „Endlich in der Heimat wieder!“, rief er. Zwei Tage hernach, Franzel war wieder über Neubrandenburg gen Halle zum Studium, hatte ich mein nicht sehr üppig Tagwerk erledigt und wanderte am Tollensesee entlang, bis ich mich in den Osten verlor und plötzlich vor Stargards Toren stand. Kaum, daß ich einige Momente verloren durch die Strassen herumirrte, standen die Zwei vor einer Schenke, wiesen auf mich, riefen mir zu und ich konnte nicht mehr umhin, ihnen in das Innere des Krummen Dolches zu folgen. Dort saß ich schnell zwischen Ihnen und endlich ließen sie mich ihre Namen wissen. Der größere und fraglos ältere der Zwei hieß András Tokody. Er nannte sich einen ungarischen Edlen, den die verhaßten Habsburger von Grund und Boden vertrieben hatten, da er keine Gefolgschaft leisten wollte. Tiefer Schrecken durchfuhr mich, als er ihnen mit geballter Faust grollend drohte. In den folgenden Tagen hörte ich noch oft den Fluch auf den elenden Franz, den Totengräber! Der Andere war kleiner, aber dennoch von größerer Kraft, wie mir vom ersten Momente an schien, und so fürchtete ich mich vor diesem wesentlich mehr, zumal er einen groben Stoff nur nutzte, um seinen schmalen Körper zu bedecken. Seinen Namen ließ meine Zunge kaum ohne Fehl aussprechen. Er nannte sich Zsolt Sztáray. Er stammte aus einer Händlerfamilie, die in Buda wohl mehr als tausende Ellen Lager besaß, die unzählige Boten, Reisende und Rechner beschäftigte und die ihm nicht zu helfen vermochte in seinem Elend, wie ich von ihm auch später erfuhr. Siebzehn Jahre sei es nun her, seit er die Heimat verlassen habe, um der Welt gegen den Korsen beizustehen.

Den großen Kampf bei Leipzig hatte er in einem Regiment der Preußischen Armee bestanden, dem er folgte, bis zum Tage von Waterloo, als ihm der General Blücher selbst Dank sagte. Der Kampf nun gewonnen, hielt Sztáray die Hand auf, um den Lohn eines Jahres harten Dienstes für die freien Völker zu erhalten. Doch man trieb ihn mit Knüppeln davon. Es solle ihn doch sein eigen Volk auszahlen, oder die elenden Wiener, die im faulen Prunke ertranken.

So habe er sich umhergetrieben. Sieben Jahre lang habe er in allerlei Unternehmungen  verdingt, bis endlich in Koblenz er dem Landsmann, dem verlorenen Tokody, begegnete. Man erkannte schnell des anderen Geist und geschwind war man nach ersten Streichen der Stadt verwiesen. Auf dem Weg nach Osten schworen sie dieser kleingeistigen Welt die höchste Rache, doch wollten sich die beiden Schadenslüsternen zunächst nicht auf einen generalen Gedanken einigen. Auch wollte immer der tägliche Hunger gestillt werden. So verwandt man eine üble Zeit, durch die Lande zu ziehen, ohne das der nächste Tag je wußte, welche Gestalt er denn tragen würde. Auch wurden die Pläne, die man schmiedete immer zerfahrener, wußte man heute nicht ob der Feind ein Habsburger, ein Preusse, Russe oder gar ein Landsmann sei. Zuoft träumte man wirr vor sich her, ertranken Tokody und Sztáray ihren Schmerz während trübem Abendglanz im Branntwein und versuchten sich nach Morgengrauen darin, Geld für den nächsten Umtrunk auf allerlei dunkle Art zu erwerben.

Eines Nachts jedoch wurde Tokody von seinem jüngeren Freunde wütend aus dem Schlaf gerissen, darauf dieser ihm berichtete im Traume von Gesichtern bedrängt worden zu sein, und er, Sztáray, nun wisse, wohin es sie ziehe! Es ginge um das Leben Friedrich Wilhelms, des Preussenkönigs! Sie beide müßten dieses beenden. Es müsse nun geschieden werden, und alles, was sie noch bräuchten seien die tötlichen Worte und einen, der sie spräche. Dieses Geschehen vollzog sich in einer schlimmen Märznacht in Berlin und die Magyaren fühlten den Frevel mit solcher Stärke in ihrer Brust brennen, daß sie diese Stadt noch vor der Mittagszeit verließen und nicht mehr von der Strecke in den Norden abwichen. Hier trafen sie bald auf die Tore der altehrwürdigen Stadt Greifswald, und dort sahen sie mich und erkannten meinen Platz in ihrem Plangespinst. Wie ich schon berichtete, konnte ich dem bösen Ansinnen der Beiden noch bis zu meiner Rückkehr nach Stargard entgehen. Dort wurde ich ein Teil des Netzes, das den guten König einnehmen und zu Tode bringen sollte. Aus der Schenke nahmen sie mich auf die Straße, einen kurzen Stich in eine geringe Talsenke hinab, dort östlich von der Stargarder Burg. Im dichten Busch hatten sie sich einen Unterstand aus Gestrauch, Stein und Baum geschaffen; Sztáray lief auch immer flink den Stamm hinauf zum Ausguck. Ich saß auf lichten Grasbücheln, ich bekam nun Angst. Der gealterte Tokody, der graue Stich im Gesicht, die Augen, die sich in ihre Höhlen zurückgezogen hatten und dagegen dieser feurige Sztáray. Solche Unterschiede mochten sich nicht in meinem Geiste treffen und vereinigt Werke starten und zu Ende bringen. „Was denkst Du über den König?“, rief Sztáray aus dem Baume herab. Ich stierte in das Grün über meinem Schädel und mochte nicht sehr gescheit geschaut haben, es entgegte mir ein schallend Lachen, in das auch der müde Tokody nach einigem Schnaufen einfiel. Nie hatte ich mir darüber einen Gedanken gemacht, und so sprach ich es auch aus. „Aha! Dann kannst Du unser Mann sein, Gideon! Das haben wir uns genauso ausgemalt, als wir Dich zum ersten Male sahen.“ Immer noch kam keine Erleuchtung, als Tokody mir müde eine Schrift zusteckte. Ich besah mir die gestochen zu Papier gebrachten Zeichen und versuchte die Worte im Geist zu formen. Die Stirn in kraus gelegt, hatte ich die ersten zwei Zeilen entziffert, da sprang der fesche Sztáray aus dem Baum herab, riß mir das Blatt aus der Hand. „Na, das Augenrollen mußt Du noch sehr gut lernen, nicht wahr, András?“ Tokody nickte: „Er muß noch viel, viel lernen!“ „Was wollt ihr mit dem König?“, warf ich in die Runde. Sztáray hatte, das Blatt in der Hand, in einem Strauch gewühlt und dort eine braune Flasche gefunden und schnell entkorkt. Mit einem stechenden Blick hielt er sie mir entgegen, worauf ich sie griff und trank. „Wir wollen nichts mit Deinem König, Gideon.“ Sztáray hatte sich zu mir herabgesenkt, sprach raunend, beschwörend: „Alleine sein Leben wollen wir ihm abspenstig machen.“ Noch einen Schluck mußte ich trinken. Die Dämmerung setzte ein und so schwand des Lichtes Stärke von oberhalb der Burg. Der alte Tokody hatte sich mit einiger Mühe erhoben, legte mir die Hand auf die Schulter: „Wirst Du uns dabei helfen? Du brauchst kein Schwert gegen Deinen König zu erheben. Alleine begleiten mußt Du uns auf Hohenzieritz, dort wirst Du diesen Text vortragen,“ er hielt das Blatt wieder in die Höhe, das er Sztáray aus der Hand genommen hatte, „und alles weitere wird von unserer Hand geschehen.“ „Wieso?“ Sztáray wandte sich ab, um leise grollend den Baum zu besteigen. Tokody ließ sich nun neben mir nieder. „Was er hat er Euch getan, daß Ihr sein Leben nehmen wollt?“ „Was hat er für Dich getan, Gideon?“ Darauf wußte ich nichts zu sagen, doch nach einigem Sinnen sprach ich in Franzel's Art: „Er wacht doch über uns.“ „Oh, ja“, rief András Tokody mit Wucht aus, „dieser König wacht über uns und er wacht gut. Nein, ich will Dich nicht mit einer hintergründigen Ironie in die Irre leiten, die Du nicht verstehen wirst, junger Mann. Verstehe, wir beide, Du und ich zählen für diesen Mann nichts. Wir sind gerade gut genug, als Untertanen zu gelten, mehr nicht. Hast Du in Deinem jungen Leben bereits in einer Schlacht gestanden?“ Die Erinnerung an mein Heldentum in der alten Heimat  sprang mir in den Rücken: „Ja, ich hab dem Korsen bei Leipzig gegenübergestanden. Beinahe hätte ich ihm einen üblen Hieb gegeben.“ Zunächst strahlend und wie aus einem Füllhorn sprudelnd, erstarb dann meine Stimme und meine Schultern sanken zusammen. „Gut, Gideon. Gegen diesen Tyrann haben wir alle vereint gestanden. Ja, der Franzmann hat das ganze Abendland geeint in stummer Wut, die sich dort in Leipzig und in Belgien in einen furiosen Sturm der Befreiung gebündelt hat. Wir haben ihn jeder für sich, dennoch gemeinsam in die Hölle geschleudert. Ja, auch Zsolt war in Leipzig. Er ist mit einem preussischen Regiment bis nach Waterloo gezogen, um den Despoten zu stürzen. Er führt den Säbel sicher und gut, weißt Du? Davon versteht er etwas, das ist sein bestes Handwerk, und ich will nicht wissen, wieviele Franzmänner er aufgespießt hat. Das wäre ein feiner Turm, wenn wir sie alle hier in den Himmel türmen könnten. Ja, das wäre die einzige Chance für diese feigen Spitzel in die Nähe von unserem Herrgott zu kommen!“ Tokodys schon vergessener Haß auf den alten Gegner schüttelte ihn nun von Neuem. Ich reichte ihm die Flasche, aus der er einen tiefen Schluck nahm. Die Sterne in jener Nacht glühten rot vor Zorn. Der Trunk nahm mich derweil in wärmende Arme und bald lag ich schlafend im Gras. Fühlte mich sicher und angenommen, bereit. Träumte von meiner Begegnung mit dem König, den ich bisher gerade für einen kurzen Moment je gesehen hatte. Würde ich diese Prüfung bestehen können?

Als der neue Morgen uns drei merkwürdige Gestalten weckte, da speisten die beiden Ungarn mich mit hartem Brot und am vergangenen Tage entwendeten Würsten. Sztárays Appetit war ungeheuerlich, seine Energie von ähnlichem Feuer und so war er es, der den alten Tokody und mich Unsicheren auf den Weg trieb. Die Beiden hatten Kunde erfahren, daß der König sich in diesen Tagen in Großherzog Georgs Schloß zu Hohenzieritz aufhielt, und diese Gunst wollten sie nicht tatenlos verstreichen sehen. Auf dem zunächst beschwerlichen Weg hin zum Tollensesee ließen die Zwei mich noch meist geschützt vor ihren Beschwörungen, die erst wieder einsetzten, als wir das Nemerower Holz erreichten, da wir dort auch eine erste Rast begannen. Tokody griff erneut zu jenem Papier, das er in seinem Beutel aufbewahrte. „Gideon, erinnerst Du Dich an meine Frage, was Du über Deinen König denkst, und was wir Dir über unsere Pläne verrieten?“ Ich nickte, während Tokody zweifelnd meine krause Stirn betrachtete. Er griff meine Hand: „Dein König ist kein guter Mann, dessen kannst Du sicher sein. Wir beide wissen auch, daß es nicht rechtens ist, das Leben eines jedweden Menschen zu beenden. Wir wollen keine Mörder sein, sei dessen ebenfalls gewiß, Gideon!“ Immer noch traf mich der harte, prüfende Blick des alten Ungarn. „Aber wir alle standen bereits in unserem Leben in einem Krieg und wissen, daß nur Taten zählen. Die Herren, für die wir den Korsen in die Hölle gefegt haben, sie haben sich gegen uns gewendet. Sie packen uns am Genick und schütteln alle Freiheiten von uns ab. Wir aber irren durch unser Leben und finden keinen Wert mehr in unseren Taten wider. Unser Schicksal ist allein das Holz für die Öfen, das Wasser für die Mühlen zu sein, die für das Wohlergehen weniger und unsäglicher Tyrannen zu sorgen. Dein Herr, dieser Friedrich Wilhelm, ist ein gottloses Beispiel für die unsägliche Torheit des Schicksals, das ihn an diese Position hingeschleudert hat. Er ist ein lebendes Beispiel für den Hass des Herrn auf seine Schöpfung. Ein Verfechter der Versklavung des Volkes, das nicht seinen eigenen Sinn, ein lebendiges Leben, ein vernünftiges Trachten verfolgen darf,“ Tokody spürte, daß ich ihm nicht mehr folgen konnte, „wir leben nur noch in Ketten und dämmern hin zum Tode.“ Der feste Druck, mit dem er meine Hand hielt, lockerte sich. Er strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Umarme mich, Gideon.“ Ich wußte kaum noch, wie mir geschah, doch schlossen seine Arme sich um mich. Wilder hat mein Herz nicht mehr geschlagen, seit ich dem Korsen in die Augen sah. „Wir Menschen müssen in Liebe miteinander leben,“ flüsterte er mir zu. Drohend setzte er nach: „Die Herren selbst, sie sind keine Menschen mehr.“ Das Feuer wurde gelöscht, das Wasserkesselchen eingepackt, der Weg fortgesetzt. Sztáray lief voraus, wachsamer als ein Rudel Füchse. Tokody nahm sich nun meiner Belehrung an: „Der König hält sich also zur Zeit auf Hohenzieritz auf. Es soll ein Ort der Muße für ihn sein, damit er der kleingeistigen Berliner Bürokratie entfliehen kann, die ihn so sehr fordert. Dabei vergessen wir nicht, daß er selbst der größte Tor ist. Nicht einmal lesen soll er können.“ Angewidert spuckte er aus, bevor er fortfuhr: „Der Großherzog Georg hat seit einigen Jahren ein großes Herz für die Poesie, und damit hat er seinen Schwager nach einiger Diskutiererei infiziert. Der König besitzt zwar kein reales Verständnis für diese Wortkunst, doch liebt er es, wenn die Verehrung seiner untertänigen Poeten sich darin zeigt, das sie ihm alleine ihre Werke auf Hohenzieritz vorzutragen pflegen. Er läßt sich hinter eine spanische Wand nieder und schläft, während davor die Dichter ihre Lobeshymnen vortragen. Und ebendies werden wir tun, Gideon. Du bist der Dichter und wirst unsere Poesie vortragen. Wir werden uns derweil als deine Diener ausgeben, die während des Vortrages im Hintergrund verweilen. Im rechten Momente begeben Zsolt und ich uns hinter den königlichen Schutzschild um Friedrich Wilhelm einen Besuch abzustatten. Du aber darfst in Deinem Vortrage nie inne halten.“  Tokodys Stimme besaß einen drohenden Unterton, durch den sich eine dunkle Wolke des Verhängnisses bildete, unter deren Schutz wir unseren Weg fortsetzten. Ich begann mich zu fürchten, während wir unseren Weg fortsetzten. Ein Mensch würde sterben, wenn uns niemand stellen würde. Meine Zweifel standen mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn Sztáray stieß Tokody an und raunte ihm mir unverständliche Worte ins Ohr. Sztárays stechende Augen ruhten nun unvermindert auf mir; selbst als in der folgenden Nacht ich endlich entschlief, tauchte er in meinem Traume auf, hier jedoch bewegungslos im hintergründigen Dunkel verharrend. Ein Wasserschwall weckte mich, es war noch dunkel. Wir waren nahe Wustrow und die Ungarn hatten vor, noch an diesem Tage ihre Tat gegen den König zu begehen. Tokody kroch mir ins Genick und hämmerte mir in den folgenden Stunden meine Worte auf das genaueste in den Schädel. Kein Stottern, kein Schleifen war gestattet. Am späten Vormittage erreichten wir den Anblick Hohenzieritz', und in meinem Innern nur ein Kreiseln, eine unerträgliche Angst, eine tiefe Ãœbelkeit. Neue Kleider wurden mir gereicht.

Wie in einem schweren Traum zogen die nächsten Stunden vorüber. Wir erreichten das Schloß. Die Worte, die mir die Ungarn eingeschärft hatten, verließen fehlerfrei meinen Mund und die Dienerschaft des Großherzogs führte mich in einen Empfangsraum und bedeuteten mir zu warten. Meine Begleiter wies man vor die Türe. Ich verwahrte mich dagegen, forderte, daß sie an meiner Seite warteten und mir auch vor den König folgen sollten. Ein angedeutetes Kopfschütteln von Seiten des Pagen, bald unmerkliche Annerkennung in Tokodys Augen. Wir wurden nach einer ersten Wartezeit von Großherzog Georg empfangen, der nach Referenzen meines Werkes suchte, die ich, nach Auskunft der Ungarn gab, doch er schien nicht zufriedengestellt. Aber er wollte die Angelegenheit nicht vertiefen und überließ uns einer weiteren Zeit des Harrens. Mir schien, als sei die Dämmerung bereits angebrochen, da erschien der Page und es ward der Moment gekommen, auf den mich Sztáray und Tokody so fein vorbereitet hatten. Die Zeilen zogen unentwegt durch meinen Geist, das Reale schien mich kaum mehr zu berühren. Wie eine Marionette bewegte ich mich in das Kaminzimmer, sah die spanische Wand. Der Schatten, der sich darauf abbildete, flackerte mit der Bewegung der Flammen. Der Page betrachtete meine Begleiter, wandte sich dann um und schloß die Türe. Ich hörte die Stimme des Königs, der meinen Namen erfrug. Ohne Zögern gab ich Antwort, zählte auch die Stationen meines poetischen Weges auf. Ein beruhigtes Grunzen erscholl von jenseits des Schirms. „So trage denn Dein Werk mir vor.“
Ein leichtes Zittern überfiel mich. Ein Blick nach Tokody. Ich begann meinen Vortrag:
„So führen denn die Wege mich
aus einer üblen Finsternis hervor,
vor diesen Toren halte ich -
besinne und treibe meinen Geist empor
hinauf noch nie geahnte Höhen zu erklimmen,
die den Herren böse Träume werden.

So sehen Dich denn aus vier Augen
Deine Ängste blitzend an
allein Dir fehlt der wahre Glauben,
das Dir dieses widerfahren kann
so schnell, vom Blute rot die Ohren Dir erglimmen
sollen fallen sie, wie die Träume eines Kind.“
Meine Stimme erhob sich, wie ein Flehen gegen das Schicksal, dessen Hand ich führte. Die Ungarn hatten sich am Rande des Zimmers in die Höhe der spanischen Wand geschlichen und bewegten sich nun auf den König hin, der weder meinen Worten, noch den Gestalten, die nach ihm trachteten, Aufmerksamkeit zu schenken schien.
„So ist gelähmt und stumm Dein Sinn
feste im Griffe des großen Schrecken
hält der die kalte Klinge an deinen Halse hin,
so ist's zu spät zu rufen nach der Hilfe Deiner fahlen Recken“
ich flüsterte die nächsten Worte, die mir nur schleichend aus dem Munde flohen.
„muß der König leiden“
ich sah erhobene Hand eines Gefährten, die über dem massigen Körper des Königs drohte und die nächste Zeile stand mir in den Augen geschrieben:
„muß der König sterben
und ist's getan, dann ist's zu spät“
doch blieb mir der Atem, floh mir der Mut, versagte die Stimme, die Hand blieb erhoben... mir fleuchten die Sinne.

Weitere Werke von HI Hansen:


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Ylajali
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Alter: 41
Beiträge: 89



Beitrag10.09.2015 22:14

von Ylajali
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Puuh, das ist ja richtig Arbeit diesen Text zu lesen. Leider sträubt sich mir bei der Sprache, mit der du versuchst dem Ganzen die Atmosphäre des 19. Jhds. einzuhauchen alles und ich hatte schon nach ein paar Sätzen keine große Lust mehr weiterzulesen - was schade ist, da die Geschichte gegen Ende wirklich interessant wird.

Für mich stellen sich folgende Fragen:

Wie wichtig / nötig sind die langen Erklärungen zu Gideons Vergangenheit und Tokodys Geschichte ?

Kannst du dir vorstellen, die Handlung in einer schlichteren, moderneren Sprache wiederzugeben? Auch wenn sicherlich viel Arbeit darin steckt, diese historische Mundart nachzubilden, erscheint sie mir doch als ziemliche Barriere im Lesefluss und -genuss.
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HI Hansen
Schneckenpost

Alter: 53
Beiträge: 8
Wohnort: Ferschweiler


Beitrag11.09.2015 13:30

von HI Hansen
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen, vielen Dank erstmal für die Rückmeldung.
Die Antwort auf Deine Fragen, bzw. Anmerkungen zielen von meiner Seite vermutlich eher darauf, dass in diesem Text vieles ungesagt bleibt. Insofern bleibt es dem Leser überlassen, diese Lücken zu füllen.  Auch überlege ich, ob ich die Erklärung, die hier nun folgt, schon vorab hätte geben sollen, oder sie möglicherweise mit dem Text zu kombinieren.
Der Text beginnt mit der Vorstellung des Autors und endet plötzlich in dem Moment, in welchem der Autor quasi bewusstlos umkippt. Aufgrund der Situation, in welcher er sich dabei befindet, wird er diese spätere Zusammenfassung seines Lebens in Haft schreiben. Wir können davon ausgehen, dass er wegen versuchten Mordes und Hochverrats exekutiert wird. Was mit seinen ungarischen Freunden geschieht, bleibt dabei im Dunkeln.
Der geschriebene Stil ist, auch jenseits einer möglichen, kompletten Ãœberarbeitung wie oben angemerkt,  in Frage zu stellen. Hunziger ist zunächst ein ungebildeter Mensch, gleichzeitig jemand, der in seinem Leben recht gut damit gefahren ist, zu imitieren. Ich weiß nicht wirklich, in welchem Stil eine solche Person tatsächlich einen solchen Bericht verfasst hätte.  Ich ging davon aus, dass er sich möglicherweise sprachlich an seinem Lehrer Boll orientieren würde. Doch das ist natürlich nur eine Vermutung. Einen einfacheren sprachlichen Stil einführen? Ist auf jeden Fall eine Möglichkeit.
Die Vorgeschichten Hunzigers und der beiden Ungarn sind insofern wichtig, als das diese die einzigen fiktiven Persönlichkeiten sind. Alle anderen genannten Menschen waren real.
Hunziger: Er ist, wie schon geschrieben, ein ungebildeter Mensch, der das Glück hatte, verantwortungsbewussten Menschen anvertraut zu werden, die ihm die Möglichkeit von Bildung gaben und eine Aufgabe übertrugen. Er selbst hängt seiner verpassten Möglichkeit hinterher, als Teilnehmer der sog. Völkerschlacht gegen die Truppen Bonapartes, diesem gegenübergestanden zu haben. Er nennt ihn abfällig den Korsen. Ein Zeichen seiner Fähigkeit Information aufzuschnappen, auch wenn diese im Grunde belanglos ist. Ob die von ihm geschilderte Situation real ist, wissen wir nicht, ist es auch eher unwahrscheinlich. Hunziger beschreibt, dass ihn ein folgender Hieb gegen die Beine der Chance beraubte. Wie er darauf lebend aus der Schlacht gekommen ist, bleibt im Dunkel. Auf jeden Fall hinkt er, auch Jahre nach diesen Geschehnissen noch. Da er ein generell eher langsamer Mensch ist, wird ihn dieser Einsatz in einer Schlacht vermutlich traumatisiert haben. Dabei könnte das von ihm beschriebene Geschehen also auch eher in einem Randbereich der Kämpfe stattgefunden haben, und das es sich bei Hunzigers Korsen eher um einen etwas höheren Rang gehandelt haben, als die anderen, in diesem Bereich eingesetzten französischen Soldaten. Woher hätte Hunziger auch wissen können, wie Bonaparte aussah?
Er ist einer, der hinterher läuft.
Die beiden Ungarn verkörpern in gewissem Masse Herz und Hirn. Beide stammen nicht aus der Unterschicht ihrer Heimat, doch ist diese seinerzeit auch „nur“ Teil des habsburgischen Reiches. Ob Abenteuerlust oder andere Gründe dahinter stecken, dass beide sich der gegnerischen Koalition zu Bonaparte anschließen, wird von Hunziger in seinem Bericht nicht klar geschildert.

Beide sind schließlich von den Preußen enttäuscht, mit denen sie kämpften und die nun nicht an eine Entlohnung denken. Der Gedanke  sich an die habsburgische Seite zu wenden, deren Bürger sie schließlich sind, denken beide wohl nicht. Hierfür mögen sie Gründe haben, die auch mit ihrer persönlichen Geschichte zu tun haben. Wichtig ist jedoch, dass sich für Sztáray und Tokody ein Zwiespalt öffnet. Beide haben Grund zur Wut auf den preußischen König, den von der Geschichte auch nicht unbedingt gut beleumundete Friedrich Wilhelm III., doch ist ihr Handeln, ihre Planung  jenseits aller Realität. Nicht jedoch ihre Argumentation, die sie gegenüber Hunziger aufbauen, der noch vom weisen und gerechten König träumt. Die Ungarn sind hier fest in der Realität der Restauration, die nach dem Wiener Kongress 1815 einsetzt, verankert. Alleine, dass sie beide völlig unwichtig erscheinen, lässt sie noch durch das längst entstandene Ãœberwachungsnetzwerk jener Tage schlüpfen.  In dieser Knebelung von Staats wegen liegen die Wurzeln des Vormärz, der seinen Höhepunkt 1832 mit dem Hambacher Fest erreicht. Die beiden Ungarn sind insofern begründete Terroristen. Oder Freiheitskämpfer. Hier liegt der Schlüssel zur Wertung der Geschichte.


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Tape Dispenser
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Beiträge: 272



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Beitrag20.09.2015 18:09

von Tape Dispenser
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Hallo HI Hansen

Mich wundert es, dass bislang so wenig Feedback zu deinem Text eingegangen ist. Ich vermute mal weil es einfacher ist kürzere Texte mal eben so nebenbei auseinandernehmen, was bei deinen Geschichten (ich habe mir auch deine andere Geschichte durchgelesen) nicht so einfach ist.

Das ist jedenfalls die Erklärung, die ich für mich gefunden habe. Handwerklich heben sich beide Text für mich deutlich von dem Niveau ab, was man üblicherweise im Einstand erwarten kann. Und ich denke, das ist genau das Problem, warum du so wenig Rückmeldungen bekommen hast.

Ein anderer Grund ist vielleicht, dass deine Texte ziemlich lang sind, und da komme ich zu meiner Kritik, wobei die Länge mich nicht abschreckt, sondern eher die Sprache, die du wählst. Sie ist sperrig zu lesen und ich denke, wenn es die eine Anliegen ist, historisch-fiktionale Themen aufzubereiten, dann spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, diese Geschichten in einer moderneren Sprache zu erzählen.

Auch bei deinem Erstlingseinstand kommt die Sprache in vielen Wendungen die du gebrauchst für mich gewollt sperrig = artifiziell daher. Selbst deine Kommentare lesen sich so als "versuchtest du dich permanent zu befleissigen die Bedeutung des Textes mittels Verwendung einer möglichst gespreizten Wortwahl heraufzubeschwören".

Da frage ich dich: Wer will so etwas heutzutage noch lesen? Biedermeier gefällt nicht jedem.

Wo ich mich als Leser aber verschaukelt vorkomme, ist die Wahl des Titels. "The Black Angel's Death Song". Soll das mehr Klicks produzieren?
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HI Hansen
Schneckenpost

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Wohnort: Ferschweiler


Beitrag20.09.2015 21:00

von HI Hansen
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Na, verschaukelt ist jetzt schon etwas heftig, nicht wahr?

Aber okay, der Hintergrund des Titels ist ja hier nicht zu finden. Die beiden hier vorgestellten Texte sind Teil einer Sammlung, die ich in den letzten Jahren geschrieben hatte und die bis dato mehr oder weniger vor sich mehr moderten. Der Titel der Sammlung war "one hundred bitter records", die Texte hatten alle Songtitel und da kommt der "black angel's death song" von Velvet Underground daher. Der andere Titel "21st century shizoid man" taucht hingegen tatsächlich in der Geschichte auf.

Auf jeden Fall danke für die Finger am korrekten Fleck.


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