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Leonida Wortedrechsler
Alter: 30 Beiträge: 92
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24.12.2014 02:02 Goethes Weihnachtsbaum von Leonida
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Einen fröhlichen vierundzwanzigsten Dezember allerseits!
Die Kurzgeschichte, zu der ich hier sehr gerne etwas Feedback erhalten würde, ist ein Weihnachtsgeschenk an meine Mutter. Sie ist ein leidenschaftlicher Goethe-Fan. Daher habe ich beim Schreiben vor allem darauf geachtet, die historischen Fakten so galant wie möglich einzubauen.
Falls noch jemand vor dem Heiligen Abend - zwischen Festmahlsvorbereitungen oder Last-Minute-Shopping - Lust zum Lesen und Feedbacken hat, würde ich mich sehr freuen. Aber das ist wohl eher unwahrscheinlich Auch danach sind Verbesserungsvorschläge und Anregung für mein persönliches Weiterkommen mehr als willkommen.
Ich wünsche euch allen einen besinnlichen Heiligen Abend
„Prächtig, ganz so wie früher!“ sagte Goethe zufrieden. Gemeinsam mit Herzog Carl August und der jungen Herzogin Luise begutachtete er den im roten Salon aufgestellten Weihnachtsbaum. Der Herzog wies auf das Sitzensemble und sie setzten sich. Hinter dem Baum bescherte ihnen die Fensterfront des Salons eine einmalige Aussicht auf das verschneite Weimar. Es war der Abend des 24. Dezembers 1775.
„Nun sagt mir bloß nicht, Ihr hattet so eine Fichte schon als Bub im Elternhaus!“erwiderte Carl August. Er staunte nicht schlecht über den dichten Nadelbaum. Von oben bis unten hing er voll von roten Schleifen, Gebäckstückchen wie Springerlen aus Eierzucker, rot glasierten Äpfeln und vergoldeten Walnüssen.
„Nicht ganz. Einen richtigen Baum habe ich an Weihnachten das erste Mal in Leipzig gesehen. In meinem Elternhaus war es eine Art Pyramide, in die Tannenzweige gesteckt wurden. Sie war außerdem geschmückt mit Kerzen. Wobei ich gut verstehen kann, dass Durchlaucht auf diese nach der schmerzlichen Erfahrung mit dem abgebrannten Stadtschloss lieber verzichten möchten“, beeilte sich Goethe hinzuzufügen.
„Ich verbinde mit der Weihnachtspyramide die herrlichsten Erinnerungen. Die Zeit um Weihnachten ist mir seit meiner Kindheit die liebste von allen. Die Lieder, die einfallende Kälte und nicht zuletzt der Anblick von lauter süßen Leckereien, das lässt mich eine ganz besondere Herzenswärme verspüren“, erwiderte Goethe. Er war betört von der Fülle von Wärme spendenden Gedanken, Dinge die er mit dem Heiligen Abend verband. Er sollte beizeiten einmal ein Gedicht dazu verfassen, dachte er bei sich.
Luise konnte sich nicht länger zurückhalten und stibitzte ein Springerle vom Baum. Sie warf einen kurzen Blick auf das runde Gebäckstück. „Ein Vogel, wie hübsch.“ Es verschwand in ihrem Mund.
Carl August bedachte sie mit einem rügenden Blick. „Wir wollten doch bis zum Morgen warten, Luise.“
„Seid nicht zu streng mit ihr, mein Fürst. Es ist schließlich der erste Weihnachtsbaum, den Eure junge Gattin zu Gesicht bekommt.“ Goethe rutschte auf seinem gepolsterten Stuhl in eine etwas bequemere Sitzposition. Er wollte das frisch vermählte Ehepaar vor einer ihrer üblichen Zankereien bewahren. „Als ich selbst noch etwas jünger war, konnte auch ich mich angesichts der ganzen Leckereien nur selten beherrschen.“ Goethe schmunzelte, doch nur einen kurzen Moment. Er litt noch immer unter jenem merkwürdigem Gefühl, das ein alter Bettler heute Vormittag in ihm ausgelöst hatte.
Ganz allein war der Achtundzwanzigjährige aus der Stadt geritten. In einem kleinen Waldstück nördlich von Weimar hatte er gefunden, wonach er begehrte: Eine hübsch gewachsene Fichte. Die Allerschönste wollte er für das junge Herzogpaar schlagen. Gerade klopfte er den Schnee von ihr, um sie genauer begutachten zu können. Plötzlich tauchte ein gekrümmter, weißhaariger Bettler neben ihm auf und erschreckte den jungen Dichter beinah zu Tode.
„Dieses Fichtchen will Er hauen?“ krächzte der Unbekannte. Er bibberte, den er trug nichts weiter als seine dünnen Lumpen am Leib.
Goethe schaute sich zunächst vorsichtig im Waldstück um, ob sich auch kein anderes Gesinde im Schnee versteckt hielt, bevor er antwortete: „Aber ja, Kerl. Hast du etwas einzuwenden?“ Das starke Zittern des Alten bereitete ihm Sorge. Auch wenn es sich um einen Rumtreiber handelte, niemand sollte kurz vorm Heiligen Abend im Wald erfrieren. Er musste nicht lange überlegen. So gab er dem Männlein die purpurrote Decke, in die er sich bei seinem Ritt zum Schutz vor dem leichten Schneefall eingewickelt hatte.
„Habt Dank, guter Herr. Haut das Fichtlein nur. Habt ein gutes Herz. Das Fichtlein wird’s Euch am Heiligen Abend vergelten.“
Diese Begebenheit lag nur ein paar Stunden zurück. Doch als Goethe den Weihnachtsbaum betrachtete, erschien ihm die Szene wie ein lange zurückliegender Traum. Goldener Tand hatte den nicht weniger glitzernden Schnee vom Vormittag abgelöst. Und der alte Bettler war jetzt hoffentlich irgendwo untergekommen, vielleicht auch noch draußen, aber zumindest eingehüllt in seine weiche, rote Decke.
„Woran denkt Ihr, teurer Freund?“ Carl August riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ich bin froh, Euer Hoheit, heute Abend hier zu sein. Belvedere ist wundervoll hergerichtet, aber noch viel wichtiger ist die im Schloss herrschende Wärme und die Herzlichkeit.“
Der Herzog staunte über seine Worte. Alsbald verließen die drei den roten Salon um die Weihnachtsvesper zu besuchen.
Nach der Vesper und dem darauffolgenden Festmahl trieb es Goethe noch einmal in den roten Salon. Eigentlich wollte man erst am nächsten Morgen wieder nach dem Weihnachtsbaum sehen und sich an den süßen Leckereien erfreuen. Der Dichter stellte seinen Leuchter ab und ließ sich auf das Sofa sinken. Einen Moment lang genoss er die stille Besinnlichkeit, ganz allein mit der Fichte. Auch das verschneite Weimar, seine neue Heimat, leistete ihm durch die Fensterfront hindurch Gesellschaft. Der geschmückte Baum leuchtete herrlich im Licht der einzelnen Kerze. Goethe hörte ein Stimmchen in seinem Kopf, das ihm erst einzelne Worte, dann ganze Zeilen flüsterte. Der Baum inspirierte ihn. Hinter dem Baum erhellte sich plötzlich der Himmel über dem Städtchen. Goethe sprang auf. Etwas sauste durch die Luft. Eine Sternschnuppe? Nein, es war ein goldener Schlitten. Goethe kniff die Augen zusammen, das konnte doch nicht wahr sein! Seine Einbildung musste ihm einen Streich gespielt haben. Doch das Bild ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Ein fliegender Schlitten, darin ein weißhaariger Mann – eingehüllt in eine purpurrote Decke.
Sein erstes Weihnachtsfest in Weimar würde Goethe nie mehr vergessen.
Weitere Werke von Leonida:
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Jack Burns Reißwolf
Alter: 54 Beiträge: 1443
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24.12.2014 04:25
von Jack Burns
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Na, wenn es so eilig ist, dann schau ich doch mal drüber, liebe Leonida
Thematisch ist es nicht meins, aber um so objektiver kann ich mich der äußeren Form widmen.
Zuerst mal ganz allgemein: Eine schöne Idee, das Weihnachtliche und Goethe zu verknüpfen. Deine Mutter wird es sicher sehr freuen. Auch in der Ausführung ist es Dir gar wohl gelungen. Du verwendest in richtiger Dosis altmodische Redewendungen und erschaffst eine schöne heile Weihnachtsatmosphäre. Für mein Gefühl könnten einige kurze Sätze durch Konjunktionen zu längeren verknüpft werden. Es wirkt an einigen Stellen zu hektisch, zu modern.
Ich denke das kannst Du so anbieten. Als Weihnachtsgeschenk, muss es wohl nicht im Detail lektoriert werden, oder?
Falls doch gewünscht, ich mach mal 'n bisschen:
Zitat: | „Prächtig, ganz so wie früher!“ sagte Goethe zufrieden. Gemeinsam mit Herzog Carl August und der jungen Herzogin Luise begutachtete er den im roten Salon aufgestellten Weihnachtsbaum. Der Herzog wies auf das Sitzensemble und sie setzten sich. Hinter dem Baum bescherte ihnen die Fensterfront des Salons eine einmalige Aussicht auf das verschneite Weimar. Es war der Abend des 24. Dezembers das klingt so trocken. vielleicht eher Vorweihnachtsabend. Nee. Auch doof. Dann lass es halt. 1775.
„Nun sagt mir bloß nicht, Ihr hattet so eine Fichte schon als Bub im Elternhaus!“erwiderte Carl August. Er staunte nicht schlecht über den dichten Nadelbaum. Von oben bis unten hing er voll von roten Schleifen, Gebäckstückchen wie Springerlen aus Eierzucker, rot glasierten Äpfeln und vergoldeten Walnüssen.
„Nicht ganz. Einen richtigen Baum habe ich an Weihnachten das erste Mal in Leipzig gesehen. In meinem Elternhaus war es eine Art Pyramide, in die Tannenzweige gesteckt wurden. Sie war außerdem geschmückt mit Kerzen. Wobei ich gut verstehen kann, dass Durchlaucht auf diese nach der schmerzlichen Erfahrung mit dem abgebrannten Stadtschloss lieber verzichten möchten“, beeilte sich Goethe hinzuzufügen.
„Ich verbinde mit der Weihnachtspyramide die herrlichsten Erinnerungen. Die Zeit um Weihnachten ist mir seit meiner Kindheit die liebste von allen. Die Lieder, die einfallende Kälte und nicht zuletzt der Anblick von lauter süßen Leckereien, das lässt mich eine ganz besondere Herzenswärme verspüren“, erwiderte Goethe. Er war betörtdas Wort verbinde ich mit einer schönen Frau. von der Fülle von Wärme spendenden Gedanken, Dinge die er mit dem Heiligen Abend verband. Er sollte beizeiten einmal ein Gedicht dazu verfassen, dachte er bei sich.Nach meinem Gefühl (!) passt hier direkte Gedankensprache. 'Ich sollte bezeiten...', dachte er
Luise konnte sich nicht länger zurückhalten und stibitzte ein Springerle vom Baum. Sie warf einen kurzen Blick auf das runde Gebäckstück. „Ein Vogel, wie hübsch.“ Es verschwand in ihrem Mund.
Carl August bedachte sie mit einem rügenden Blick. „Wir wollten doch bis zum Morgen warten, Luise.“Anm: War der wirklich so ein Spießer?
„Seid nicht zu streng mit ihr, mein Fürst. Es ist schließlich der erste Weihnachtsbaum, den Eure junge Gattin zu Gesicht bekommt.“ Goethe rutschte auf seinem gepolsterten Stuhl in eine etwas bequemere Sitzposition. Er wollte das frisch vermählte Ehepaar vor einer ihrer üblichen Zankereien bewahren. „Als ich selbst noch etwas jünger war, konnte auch ich mich angesichts der ganzen Leckereien nur selten beherrschen.“ Goethe schmunzelte, doch nur einen kurzen Moment. Er litt noch immer unter jenem merkwürdigem Gefühl, das ein alter Bettler heute Vormittag in ihm ausgelöst hatte.
Ganz allein war der Achtundzwanzigjährige aus der Stadt geritten. In einem kleinen Waldstück nördlich von Weimar hatte er gefunden, wonach er begehrte: Eine hübsch gewachsene Fichte. Die Allerschönste wollte er für das junge Herzogpaar schlagen. Gerade klopfte er den Schnee von ihr, um sie genauer begutachten zu können. Plötzlich tauchte ein gekrümmter, weißhaariger Bettler neben ihm auf und erschreckte den jungen Dichter beinah zu Tode.
„Dieses Fichtchen will Er hauen?“ krächzte der Unbekannte. Er bibberte, denn er trug nichts weiter als seine dünnen Lumpen am Leib.
Goethe schaute sich zunächst vorsichtig im Waldstück um, ob sich auch kein anderes Gesinde im Schnee versteckt hielt, bevor er antwortete: „Aber ja, Kerl. Hast du etwas einzuwenden?“ Das starke Zittern des Alten bereitete ihm Sorge. Hier wechselt mir die Stimmung zu rasch vom Anmeckern zum Besorgtsein. Da könnte noch ein überleitender Satz rein. Auch wenn es sich um einen Rumtreiber handelte, niemand sollte kurz vorm Heiligen Abend im Wald erfrieren. Er musste nicht lange überlegen. So gab er dem Männlein die purpurrote Decke, in die er sich bei seinem Ritt zum Schutz vor dem leichten Schneefall eingewickelt hatte.
„Habt Dank, guter Herr. Haut das Fichtlein nur. Habt ein gutes Herz. Das Fichtlein wird’s Euch am Heiligen Abend vergelten.“
Diese Begebenheit lag nur ein paar Stunden zurück. Doch als Goethe den Weihnachtsbaum betrachtete, erschien ihm die Szene wie ein lange weit passt schöner zurückliegender Traum. Goldener Tand hatte den nicht weniger glitzernden Schnee vom Vormittag abgelöst. Und der alte Bettler war jetzt hoffentlich irgendwo untergekommen, vielleicht auch noch draußen, aber zumindest eingehüllt in seine weiche, rote Decke.
„Woran denkt Ihr, teurer Freund?“ Carl August riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ich bin froh, Euer Hoheit, heute Abend hier zu sein. Belvedere ist wundervoll hergerichtet, aber noch viel wichtiger ist die im Schloss herrschende Wärme und die Herzlichkeit.“
Der Herzog staunte über seine Worte. Alsbald verließen die drei den roten Salon um die Weihnachtsvesper zu besuchen.
Nach der Vesper und dem darauffolgenden Festmahl trieb es Goethe noch einmal in den roten Salon. Eigentlich wollte man erst am nächsten Morgen wieder nach dem Weihnachtsbaum sehen und sich an den süßen Leckereien erfreuen. Der Dichter stellte seinen Leuchter ab und ließ sich auf das Sofa sinken. Einen Moment lang genoss er die stille Besinnlichkeit, ganz allein mit der Fichte. Auch das verschneite Weimar, seine neue Heimat, leistete ihm durch die Fensterfront hindurch Gesellschaft. Der geschmückte Baum leuchtete herrlich im Licht der einzelnen Kerze. Goethe hörte ein Stimmchen in seinem Kopf, das ihm erst einzelne Worte, dann ganze Zeilen flüsterte. Der Baum inspirierte ihn. Hinter dem Baum erhellte sich plötzlich der Himmel über dem Städtchen. Goethe sprang auf. Etwas sauste durch die Luft. Eine Sternschnuppe? Nein, es war ein goldener Schlitten. Goethe kniff die Augen zusammen, das konnte doch nicht wahr sein! Anm: Sollte er nicht eher die Augen aufreißen? Seine Einbildung musste ihm einen Streich gespielt haben. Doch das Bild ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Ein fliegender Schlitten, darin ein weißhaariger Mann – eingehüllt in eine purpurrote Decke.
Sein erstes Weihnachtsfest in Weimar würde Goethe nie mehr vergessen. |
Wie gesagt; für den Anlass musst Du eigentlich nix ändern.
Schönes Weihnachtsfest wünsche ich.
Grüße
Martin
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Rheinsberg écrivaine émigrée
Alter: 64 Beiträge: 2251 NaNoWriMo: 35000 Wohnort: Amman
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24.12.2014 08:58
von Rheinsberg
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Mal auf die Schnelle zwei Anmerkungen: als G. den alten Mann trifft, schaut er sich um, ob nicht noch weiteres "Gesinde" dort versteckt sei - muss "Gesindel" heißen. Gesinde ist Dienerschaft, Gesindel Räuber u.ä.
Dann: Weihnachtsvesper: Christvesper - wenn ich mich nicht irre, ist das ein katholischer Begriff, Weimar dürfte aber damals tief evangelisch gewesen sein. Hast du das irgendwie nachgeprüft?
_________________ "Write what should not be forgotten…" Isabel Allende
"Books are written with blood, tears, laughter and kisses. " - Isabel Allende
"Die größte Gefahr ist die Selbstzensur. Dass ich Texte zu bestimmten Themen gar nicht schreibe, weil ich ahnen kann, welche Reaktionen sie hervorrufen." - Ingrid Brodnig |
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Leonida Wortedrechsler
Alter: 30 Beiträge: 92
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24.12.2014 12:10
von Leonida
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Hallo ihr Lieben und vielen Dank für's Feedback!
Jack Burns: Deine Anmerkungen finde ich sehr hilfreich. Ob Carl August wirklich ein "Spießer" gewesen ist, weiß ich nicht. Ich habe das eingebaut, weil die zwei von Anfang an keine besonders glückliche Ehe geführt haben sollen. Um das zum Ausdruck zu bringen, meckert er sie halt ein bisschen an.
Rheinsberg: Bei dem kleinen, aber feinen L-Unterschied klingelt bei mir etwas. In Zukunft werde ich es nicht nochmal vergessen, danke!
Ich habe tatsächlich nachgeguckt, auch Protestanten feiern die Vesper. Werde es aber in dein "Christvesper" umändern, das hört sich schöner an.
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Leonida Wortedrechsler
Alter: 30 Beiträge: 92
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24.12.2014 15:26
von Leonida
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Zur Feier des Tages hier die fertige Version! Jetzt hoffe ich nur, dass mein Drucker nicht noch streikt
Ich wünsche allen gesegnete Feiertage Genießt die schönste Zeit des Jahres!
Bäume leuchtend
Bäume leuchtend, Bäume blendend,
Überall das Süße spendend.
In dem Glanze sich bewegend,
Alt und junges Herz erregend -
Solch ein Fest ist uns bescheret.
Mancher Gaben Schmuck verehret;
Staunend schaun wir auf und nieder,
Hin und Her und immer wieder.
Aber, Fürst, wenn dir's begegnet
Und ein Abend so dich segnet,
Dass als Lichter, dass als Flammen
Von dir glänzten all zusammen
Alles, was du ausgerichtet,
Alle, die sich dir verpflichtet:
Mit erhöhten Geistesblicken
Fühltest herrliches Entzücken.
Johann Wolfgang von Goethe
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„Prächtig, ganz so wie früher!“ sagte Goethe zufrieden. Gemeinsam mit Herzog Carl August und der jungen Herzogin Luise begutachtete er den im roten Salon aufgestellten Weihnachtsbaum. Der Herzog wies auf das Sitzensemble und sie setzten sich. Hinter dem Baum bescherte ihnen die Fensterfront des Salons eine einmalige Aussicht auf das verschneite Weimar. Es war der Abend des 24. Dezembers 1775.
„Nun sagt mir bloß nicht, Ihr hattet so eine Fichte schon als Bub im Elternhaus!“erwiderte Carl August. Er staunte nicht schlecht über den dichten Nadelbaum. Von oben bis unten hing er voll von roten Schleifen, Gebäckstückchen wie Springerlen aus Eierzucker, rot glasierten Äpfeln und vergoldeten Walnüssen.
„Nicht ganz. Einen richtigen Baum habe ich an Weihnachten das erste Mal in Leipzig gesehen. In meinem Elternhaus war es eine Art Pyramide, in die geschmückte Tannenzweige gesteckt wurden. Sie war außerdem geschmückt mit Kerzen. Wobei ich gut verstehen kann, dass Durchlaucht auf diese nach der schmerzlichen Erfahrung mit dem abgebrannten Stadtschloss lieber verzichten möchten“, beeilte sich Goethe hinzuzufügen.
„Ich verbinde mit der Weihnachtspyramide die herrlichsten Erinnerungen. Die Zeit um Weihnachten ist mir seit meiner Kindheit die liebste von allen. Die Lieder, die einfallende Kälte und nicht zuletzt der Anblick von lauter süßen Leckereien, das lässt mich eine ganz besondere Herzenswärme verspüren“, erwiderte Goethe. Er war betört von der Fülle von Wärme spendenden Gedanken, Dinge die er mit dem Heiligen Abend verband. Ich sollte beizeiten einmal ein Gedicht dazu verfassen, dachte er bei sich.
Luise konnte sich nicht länger zurückhalten und stibitzte ein Springerle vom Baum. Sie warf einen kurzen Blick auf das runde Gebäckstück. „Ein Vogel, wie hübsch.“ Es verschwand in ihrem Mund.
Carl August bedachte sie mit einem rügenden Blick. „Wir wollten doch bis zum Morgen warten, Luise.“
„Seid nicht zu streng mit ihr, mein Fürst. Es ist schließlich der erste Weihnachtsbaum, den Eure junge Gattin zu Gesicht bekommt.“ Goethe rutschte auf seinem gepolsterten Stuhl in eine etwas bequemere Sitzposition. Er wollte das frisch vermählte Ehepaar vor einer ihrer üblichen Zankereien bewahren. „Als ich selbst noch etwas jünger war, konnte auch ich mich angesichts der ganzen Leckereien nur selten beherrschen.“ Goethe schmunzelte, doch nur einen kurzen Moment. Er litt noch immer unter jenem merkwürdigem Gefühl, das ein alter Bettler heute Vormittag in ihm ausgelöst hatte.
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Ganz allein war der Achtundzwanzigjährige aus der Stadt geritten. In einem kleinen Waldstück nördlich von Weimar hatte er gefunden, wonach er begehrte: Eine hübsch gewachsene Fichte. Die Allerschönste wollte er für das junge Herzogpaar schlagen. Gerade klopfte er den Schnee von ihr, um sie genauer begutachten zu können. Plötzlich tauchte ein gekrümmter, weißhaariger Bettler neben ihm auf und erschreckte den jungen Dichter beinah zu Tode.
„Dieses Fichtchen will Er hauen?“ krächzte der Unbekannte. Er bibberte, denn er trug nichts weiter als seine dünnen Lumpen am Leib.
Goethe schaute sich zunächst vorsichtig im Waldstück um, ob sich auch kein anderes Gesindel im Schnee versteckt hielt, bevor er antwortete: „Aber ja, Kerl. Hast du etwas einzuwenden?“ Der Alte war wohl ganz allein hergekommen und zitterte besorgniserregend. Auch wenn es sich um einen Rumtreiber handelte, niemand sollte kurz vorm Heiligen Abend im Wald erfrieren. Er musste nicht lange überlegen. So gab er dem Männlein die purpurrote Decke, in die er sich bei seinem Ritt zum Schutz vor dem leichten Schneefall eingwickelt hatte.
„Habt Dank, guter Herr. Haut das Fichtlein nur. Habt ein gutes Herz. Das Fichtlein wird’s Euch am Heiligen Abend vergelten.“
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Diese Begebenheit lag nur ein paar Stunden zurück. Doch als Goethe den Weihnachtsbaum betrachtete, erschien ihm die Szene wie ein weit zurückliegender Traum. Goldener Tand hatte den nicht weniger glitzernden Schnee vom Vormittag abgelöst. Und der alte Bettler war jetzt hoffentlich irgendwo untergekommen, vielleicht auch noch draußen, aber zumindest eingehüllt in seine weiche, rote Decke.
„Woran denkt Ihr, teurer Freund?“ Carl August riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ich bin froh, Euer Hoheit, heute Abend hier zu sein. Belvedere ist wundervoll hergerichtet, aber noch viel wichtiger ist die im Schloß herrschende Wärme und die Herzlichkeit.“ Der Herzog staunte über seine Worte. Alsbald verließen die drei den roten Salon um die Christvesper zu besuchen.
*
Nach der Vesper und dem darauffolgenden Festmahl trieb es Goethe noch einmal in den roten Salon. Eigentlich wollte man erst am nächsten Morgen wieder nach dem Weihnachtsbaum sehen und sich an den süßen Leckereien erfreuen. Der Dichter stellte seinen Leuchter ab und ließ sich auf das Sofa sinken. Einen Moment lang genoß er die stille Besinnlichkeit, ganz allein mit der Fichte. Auch das verschneite Weimar, seine neue Heimat, leistete ihm durch die Fensterfront hindurch Gesellschaft. Der geschmückte Baum leuchtete herrlich im Licht der einzelnen Kerze. Goethe hörte ein Stimmchen in seinem Kopf, das ihm erst einzelne Worte, dann ganze Zeilen flüsterte. Die Fichte inspirierte ihn. Hinter ihr erhellte sich plötzlich der Himmel über dem Städtchen. Goethe sprang auf. Etwas sauste durch die Luft. Eine Sternschnuppe? Nein, es war ein goldener Schlitten. Goethe riss die Augen weit auf, das konnte doch nicht wahr sein! Schon waren es nur noch die Sterne, die den Himmel erleuchteten. Seine Einbildung musste ihm einen Streich gespielt haben. Doch das Bild ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Ein fliegender Schlitten, darin ein weißhaariger Mann – eingehüllt in eine purpurrote Decke.
Sein erstes Weihnachtsfest in Weimar würde Goethe nie mehr vergessen.
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Papa Schlumpf Eselsohr
Alter: 64 Beiträge: 373 Wohnort: Friedersdorf
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24.12.2014 17:18
von Papa Schlumpf
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Liebe Leonida,
Goethe unterm Weihnachtsbaum ist eine wahrhaft verlockende Idee, wenn auch historisch schwer zu belegen, wie der Weihnachtsmann in der geläufigen Form, der wohl eher Kind des Biedermeier ist. Stört mich alles nicht. Aber der (spätere) Geheime Rat war Hesse, verwendete also kaum das bajuwarische "an Weihnachten", bevorzugte eher das heute noch hochdeutsche "zu". Das stört irgendwie. Trotzdem nette Geschichte, ein frohes Fest!
P. S.
_________________ Nicht alles, was wir bewirken, haben wir auch gewollt. |
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Rainer Prem Reißwolf
R Alter: 66 Beiträge: 1270 Wohnort: Wiesbaden
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R 27.12.2014 19:11
von Rainer Prem
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Hallo,
Leonida hat Folgendes geschrieben: |
...
„Prächtig, ganz so wie früher!“ sagte Goethe zufrieden.
...
Sein erstes Weihnachtsfest in Weimar würde Goethe nie mehr vergessen. |
Ich bin ja jetzt eigentlich zu spät dran. Deshalb nur zwei Dinge:
A) das ist eine schöne Geschichte, auch der Gag mit dem Weihnachtsmann ist süß.
B) Ich störe mich ein bisschen daran, dass du deine Hauptperson immer nur bei dem Nachnamen oder einem anderen Attribut (Dichter, Achtundzwanzigjähriger) nennst.
Benutze doch stattdessen hauptsächlich seinen Vornamen, dann können wir Leser besser eine Beziehung zu ihm aufbauen. Bei den anderen beiden Personen machst du es ja auch...
Grüße
Rainer
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livingjukebox Wortedrechsler
Alter: 41 Beiträge: 78 Wohnort: Kreis Soest
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27.12.2014 19:48
von livingjukebox
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Halo Leonida,
ich habe deine Geschichte gleich mehrmals gelesen, bis ich mich in der Lage gefühlt habe, etwas dazu zu schreiben. Deshalb mein später Kommentar.
Ich denke, das ist mit Sicherheit ein sehr schönes Weihnachtsgeschenk für deine Mutter gewesen. Also ich hätte mich auf jeden Fall sehr darüber gefreut, gerne gelesen.
Gruß Lars
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Leonida Wortedrechsler
Alter: 30 Beiträge: 92
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27.12.2014 23:39
von Leonida
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Meine Mum hat sich tatsächlich gefreut. Und ich freue mich über euer Feedback!
Papa Schlumpf:
Vielen Dank für den Hinweis. Über hessische und bajuwarische Präpositionsvorlieben habe ich ehrlich gesagt nicht nachgedacht - und hätte es im übrigen auch nicht richtig zuordnen können.
Rainer Prem:
Was du kritisierst, ist mir tatsächlich schon selbst aufgefallen bei meinem Text, aber ich habe es bewusst so gelassen. Es hörte sich für mich irgendwie natürlicher an, Goethe zu schreiben statt "Johann" oder noch besser "Johann Wolfgang"... Goethe ist im Gegensatz zu Carl August nunmal in erster Linie unter seinem Nachnamen bekannt. Daher möchte ich gerne dabei bleiben.
livingjukebox:
Danke für dein Lob, Lars!
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