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causa.sui
Geschlecht:männlichGänsefüßchen


Beiträge: 16



Beitrag23.11.2014 17:46
Feldpost
von causa.sui
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ahmet überschlug im Kopf, wie viele Straßen ihm noch blieben, bis er Feierabend hatte, als er die Treppe herunterging. Als Nächstes würde er den Wagen zurück in das Verteilzentrum fahren, noch die ersten Pakete für morgen einladen und nach Hause fahren. Abends half er seiner Tochter bei den Hausaufgaben, auch, wenn es ihm schwerfiel, seit sie in der Mittelstufe war. Er hatte in der Schule nicht viel gelernt. Das störte ihn nicht. Man gewöhnte sich daran, nicht alles zu verstehen, was die Leute sagten. Am Lieferwagen schulterte er ein Paket für das Nachbarhaus. Kurz vor dem Verlassen des Wagens sah er auf einer der Metallablagen ein Päckchen, das die gleichen Aufkleber und Stempel hatte, wie das von vor wenigen Augenblicken. Er war immer Stolz darauf gewesen, mit offene Augen durch die Welt zu gehen. Mentzer - der Name, der auf dem letzten Klingelschild gestanden hatte. Ahmet stöhnte; noch einmal fünf Etagen in die Höhe.
Aus dem Haus kam ihm ein glatzköpfiger Alter entgegen und ließ in herein. Oben klingelte er. Die Wohnungstür stand offen.
»Hallo? Ich habe noch ´was für Sie!«
Er wischte sich mit der Hand Schweiß von der Stirn und klopfte gegen die Tür. Es hallte im ganzen Treppenhaus.
»Hallo?«
Der Absender des Päckchens war ein Feldwebel namens Mentzer. Womöglich ihr Ehemann. Ahmet dachte nach. Vielleicht hörte sie ihn nur nicht. Ahmet beschloss, sich auf sein Gefühl zu verlassen und machte zwei Schritte in den Flur. Auf dem Boden vor ihm lag zerrissenes Packpapier.
»Frau Mentzer?«
Auf der Garderobe stand ein Foto von einem Mann in Uniform. Ahmet fühlte sich zusehends unwohler. Er wusste nicht viel über Gesetze, aber einfach in die Wohnung der Frau zu gehen, war nicht erlaubt. Er ging an der Garderobe vorbei. Daneben lag das nun leere erste Päckchen.
Die Tür zu seiner Rechten war nur angelehnt. Ahmet klopfte an und lauschte. Jemand befand sich in dem dahinterliegenden Raum.
Er schob die Tür langsam auf, ohne weiter darüber nachzudenken. Als Erstes sah er ein Doppelbett aus Eichenholz mit zwei passenden Nachtschränken. Nur eine Seite des Bettes war bezogen. Gegenüber der Tür sah er Frau Mentzer durch ein großes Fenster auf dem Balkon stehen. Sie zog sich an der Brüstung herauf, ein Bein auf einem Blumenhocker. Ahmet hatte gelernt, die Dinge zu erkennen, die er sah. Und was er sah, gefiel ihm nicht.
»Halt! Halt!«
Dieses Mal hörte sie ihn. Sie hatte sich nicht erschrocken, schien an ihm vorbei zu blicken, mit verquollenen roten Augen.
»Was wollen Sie? Lassen Sie mich in Ruhe ... alle sollen sie mich in Ruhe lassen.«
»Hier«, er hielt das Päckchen hoch, »von Ihrem Mann.«
Sie war von dem Hocker gestiegen und stand jetzt in der Balkontür.
»Mein Mann ... mein Mann ist tot. Der Brief liegt da auf dem Bett.«
»Aber das hier ist von ihm«, beharrte Ahmet.
Er ging langsam auf sie zu.
»Nehmen Sie.«
Gegen seine Erwartung tat sie es und beim Lesen des Absenders weinte sie. Nach dem Öffnen und Lesen des darin liegenden Briefes sank sie auf die Knie. An die unbezogene Seite des Bettes gelehnt, begann sie kraftlos zu lachen.

Ahmet verstand nicht viel von dem, was im Folgenden geschah, war aber glücklich darüber, die Wohnung betreten zu haben. Die Frau erklärte ihm, dass das erste Päckchen drei Dinge enthielt: Einen Brief eine Kette mit dem Ehering ihres Mannes und einige seiner Habseligkeiten. In dem Brief schilderte sein Freund und Kamerad, Lennard Krüger, dass sie die Kette neben dem ausgebrannten Wrack eines Panzerwagens gefunden hatten. Ihr Mann und die anderen Soldaten wollten zurück zur Basis. Die verbrannten Leichen waren nicht mehr zu identifizieren und man ging davon aus, alle seien umgekommen. Krüger fühlte sich verpflichtet, seinem Freund den Dienst zu erweisen, die Sachen an seine Frau zu versenden.
Doch das zweite Paket enthielt neben einem Schmuckkästchen und einen an Krügers Lebensgefährtin adressierten Umschlag einen zweiten Brief - von ihrem Mann. Denn er war nicht gestorben, nein, man hatte ihn gefangen genommen. Die Leiche, die man für Mentzer gehalten hatte, war in Wirklichkeit die eines Einheimischen gewesen, der verhört werden sollte. Ihrem Mann war die Flucht gelungen, und als er zurück zur Basis gefunden hatte, war Krügers Päckchen bereits auf dem Weg nach Deutschland gewesen. Doch das konnte er Mentzer nicht mehr sagen, denn Krüger selbst kam kurz zuvor bei einem Bombenattentat ums Leben.

Nachdem Ahmet seiner Tochter an diesem Abend bei den Hausaufgaben geholfen hatte, lag er noch lange wach im Bett. Seine Frau schlief bereits und schnarchte. Es ist komisch, oder? Hatte Frau Mentzer zu ihm gesagt. Dieser arme Krüger schreibt mir vom Tod meines Mannes und dabei musste er selbst kurz darauf sterben. Und jetzt soll ich den Brief und dieses Kästchen an sie weitergeben. Dabei kenne ich Krügers Freundin doch kaum. Darin sind Eheringe. Es ist komisch und grausam. Ahmet dachte darüber nach, was an diesem Tag geschehen war. Aber er war nicht gut im Denken und fand es auch bloß komisch und grausam.

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Gine
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 493
Wohnort: Berlin
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Beitrag23.11.2014 18:36

von Gine
Antworten mit Zitat

Auf ihre Weise ein ganz bezaubernde Geschichte.

Hier und da kann man noch feilen, aber vom Grundgedanken her sehr warm erzählt.

Macht nachdenklich. Und das ist wohl auch der Sinn des Ganzen. Wink

Danke,
die Gine

P.S: Nicht enttäuscht sein, dass ich hier keine Detailarbeit geleistet habe, ja? Das fällt mir, angesichts des Themas, einfach ein bisschen schwer, das ist alles.


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'Manchmal zweifle ich daran, dass ich überhaupt existiere.'
'Aus gutem Grund.'
'Wie meinst du das?'
'Ich habe dich erfunden.'
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