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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Gruppenschreibstube - 3. Gemeinschaftsprojekt: Komödie
Kapitel 1: der Anfang (Name provisorisch)

 
 
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Lore
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 90
Beiträge: 932
Wohnort: Düsseldorf


Code Philomele
Frauenschicksale in einer Großstadt
Beitrag13.10.2007 21:46
Erstens kommt es anders....
von Lore
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

"Schau mal das Eichhörnchen ist ziemlich dick," sagte Onkel Alfred und
wies aus dem Fenster auf die baumbestandene Wiese .

"Pah..Eichhörnchen," die Greisin in dem breiten Himmelbett hieb mit
der runzligen Hand kräftig auf die Bettdecke.
"Kennst Du die beiden aussagekräftigsten Worte in der Geschichte der
menschlichen Zivilisation?
Halt`s Maul ?"

Granny war nicht gesonnen, sich ihren Auftritt vermiesen zu lassen.

" Ich hasse es, wenn ich über die Rituale anlässlich meiner Beerdigung
sprechen will, und Ihr Euch benehmt, als sei das ein Ereignis in
weiter Ferne, Ihr verdammten Weicheier."

Sie spielte mal wieder ihr halbjährliches Ritual * meine letzte
Reise*  durch, lag Ermattung simulierend in ihrem Bett und hatte die
halbe Familie um sich versammelt, bereit und willens, große Szenen
abzuliefern, ehe sie sich - wie auch sonst immer  -garantiert mit
ihrem Standardsatz aus den Kissen erheben würde: "alle Leute haben
wunderbare Kinder, ich frage mich nur, wo in meiner Familie all die
entsetzlichen Erwachsenen herkommen".

Bis dahin aber genoss sie es ersichtlich, die Puppen tanzen zu lassen
und obwohl die ziemlich weitverzweigte Verwandtschaft das längst
durchschaut hatte, wagte es niemand, ihrem Schauspiel etwa nicht
beizuwohnen.
Das hätte unweigerlich eine Testamentsänderung zur
Folge gehabt und die mochte niemand riskieren, denn Oma Olga hatte
nicht nur *etwas auf der hohen Kante*, sondern sie war das, was Onkel
Alfred mit bissigem Humor die verdammt reichste Despotin der
westlichen Hemisphäre nannte.
Allerdings sah er bei diesem Spruch immer so aus, als liebe er besagte
Despotin unverständlicherweise auch dann noch, wenn sie ihm empfahl,
sich doch zum Thanatopraktiker ausbilden zu lassen, damit er
wenigstens anlässlich ihrer Beisetzung nützlich sein würde.

Ich saß auf einem der Stühle rund um Olgas Bett und wartete
gottergeben darauf, dass sie mal wieder ihre Besitztümer
prophylaktisch reihum verteile, damit wir dann alle wieder auf die
nächste Show warten konnten.
Vorausgesetzt, einer der zukünftigen Erben hatte inzwischen nicht selber den Löffel abgegeben, was Oma Olga dann als persönlichen Affront einzustufen pflegte.

Ich war zwar ihr Lieblings-Großneffe, aber meine Bemühungen in der
Literatenszene Fuß zu fassen, pflegte sie mit dem Ausspruch zu
belegen, ich sei zuweilen ein geistiger Bulemist, nur seien
Diejenigen, die bei jedem zweiten Satz meines  Geschreibsels kotzen
müssten, leider die Leser.
.......................................................

SO...hier könnte also eingestiegen werden.
Vielleicht damit, dass er an dem Tag seinen besten Freund verliert.

Als er seiner neuen Freundin per
Handyfoto mitteilt, dass er noch im Meeting sitze und sich daher
verspäten werde, steht dieser Arsch nämlich hinter ihm und schwenkt
voll im Bild die Hüften als sei in Wirklichkeit eine wilde Party im
Gange.
Sie hat sich sofort von ihm getrennt.

Es muss noch eine Menge passieren, ehe er seinen *schwarzen Tag*
hinter sich bringt.
Und darunter durchaus existenziellere Ereignisse, als nur der Verlust
einer Freundschaft oder Liebe.
Da es aber eine Komödie sein muss, solls auch nicht unbedingt an die
Substanz gehen.

Gut wären aber auch andere Einstiege, ich lass mich mal überraschen.


Lore



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Blas Dich nicht auf, sonst bringet Dich
zum Platzen schon ein kleiner Stich
(Nietzsche)
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Probber
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Beitrag13.10.2007 23:04

von Probber
Antworten mit Zitat

Nicht schlecht, vor allem der letzte satz gefällt mir.

Zitat:
Ich war zwar ihr Lieblings-Großneffe, aber meine Bemühungen in der Literatenszene Fuß zu fassen, pflegte sie mit dem Ausspruch zu
belegen, ich sei zuweilen ein geistiger Bulemist, nur seien
Diejenigen, die bei jedem zweiten Satz meines Geschreibsels kotzen
müssten, leider die Leser.


ich weiß nicht, ob ich unbedingt 'kotzen' schreiben würde, aber da es ja die 'Ich-Perspektive' ist, weiß ich ja schließlich auch nicht, wie der Protagonist sonst so drauf ist.


Also mir gefällt die Idee an sich ganz gut, habe sogar schon ein Bild im Kopf. Jede Menge Kleinigkeiten, die den Tag so versüßen - das morgendliche Aufstehen, wenn der Wecker klingelt - und der Tinitus der letzten alkoholreichen Nacht, das verkaterte zur Arbeit Gehen (irgendein deprimierender Job), da kommt er zu spät an und muß sich erst mal vom Chef die Leviten lesen lassen. Bearbeitung eines Kunden, der ihn von Anfang bis Ende telefonisch beleidigt, während er gar nicht so richtig hinhört und bei Kaffee und Donut seine Zeitung liest. Und so weiter ...
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Lore
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Code Philomele
Frauenschicksale in einer Großstadt
Beitrag13.10.2007 23:21

von Lore
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Zitat:
ich weiß nicht, ob ich unbedingt 'kotzen' schreiben würde, aber da es ja die 'Ich-Perspektive' ist, weiß ich ja schließlich auch nicht, wie der Protagonist sonst so drauf ist.


Wie der sonst so drauf ist, müssen natürlich die Mitschreiber entscheiden, also auch Du, oder wie sehe ich das?

Und ja, der Tag muss turbulent werden, das auf jeden Fall.

Lore


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Probber
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Beitrag13.10.2007 23:35

von Probber
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Genau, das siehst du richtig - hier entscheiden wir gemeinsam, welchen Weg die Geschichte nehmen soll. Deswegen hatte ich den Protagonisten zur Diskussion gestellt.
Bin mal gespannt, was anderen dazu einfällt.  Very Happy
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M
Gänsefüßchen
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M
Beitrag15.01.2008 18:29

von M
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„Jungchen!“, sagte sie zu mir. „Wie sieht’s aus? Hast Du was Selbstgeschriebenes dabei? Deine Geschichtchen wären ein echter Trost für mich in dieser Stunde.“
„Nein, Granny.“, antwortete ich ihr, obwohl das natürlich gelogen war, denn ich kannte meine Oma Olga, auch wenn sie nicht meine Oma war, und ich wusste, was als Nächstes folgen würde. Sie würde vor versammelter Verwandtschaft meine Werke verreißen, ach was, verreißen, sie würde sie in den Dreck werfen, mit Füßen darauf herumtrampeln und sie verbal mehrfach die Toilette hinunterspülen.
„Aber, du hast doch ...“, erwiderte meine Mutter, die auf dem Stuhl links neben mir saß.
„Nein! Habe ich nicht.“
„Ich hab’s doch aber vorhin gesehen.“
„Verdammt noch mal: Nein!“
„Wenn du doch aber der Oma eine Freude damit machen würdest.“
Was für eine Sprache spreche ich hier eigentlich, wenn mich nicht mal mehr die eigene Mutter versteht? Sicher wäre Oma Olga hocherfreut, nur leider auf meine Kosten.
Oma Olga hob ihren Kopf aus ihrem Kopfkissen.
„Das würdest du wirklich, Jungchen“
„Ich habe aber keine Geschichte hier.“
„Das ist wirklich schade, denn immer wenn ich deine Geschichtchen höre, kommt mir der Tod viel weniger grausam vor. Sie sind ein echter Grund so schnell wie möglich aus dem Leben zu scheiden.“
Ich sah, wie Tante Adele schmunzelte, trotzdem sie sich die Hand vor den Mund hielt. Auch ihr Mann, Onkel Hannes, grinste dämlich. Offensichtlich brauchte ich nicht mal etwas vortragen, damit mich Oma Olga vor meiner Verwandtschaft lächerlich machte.
„Weißt du was dein Problem ist, Jungchen?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten – sicher hatte sie auch keine erwartet - fuhr sie fort: „Du hast keine Phantasie. Du schreibst nur lauter Wirklichkeit. Das will keiner lesen. Wenn sich Leute ein Buch kaufen, wollen sie der Welt entfliehen und nicht das lesen, was sie auch sonst jeden Tag vorfinden, sobald sie aus dem Bett klettern.“
Ich schüttelte den Kopf. „Davon verstehst du nichts, Granny.“
„Und ob ich was davon verstehe. Sieh her!“ Oma Olga wies mit ihrer Hand auf ihren Nachtschrank auf dem die Präsente der Verwandtschaft und Medikamente inzwischen sämtliche Ablagefläche blockierten. „Alles voll mit unnutzem Gedöns: Taschentücher, Wärmflasche, Salben und dann noch diese nutzlosen Tabletten. Alles Realität. Keiner weiß, was eine kranke Großmutter wirklich braucht.“
„Kuchen und Wein?“, fragte ich und hob die Augenbrauen. „Das ist doch ein Märchen.“
„Genau. Nicht mal Klosterfrau Melissengeist hat mir einer mitgebracht.“
„Und darüber soll ich schreiben? Das wäre phantasievoll?“
„Was?“
„Ob ich mit Klosterfrau Melissengeist mehr Phantasie hätte?“, sprach ich laut und deutlich. Anscheinend gehörte diesmal auch Schwerhörigkeit zu ihrem Krankheitsritual.
„Quatsch nicht! Ich will Kuchen und Wein!“
„Aber dann wäre es ja real und nicht mehr phantasievoll.“
„Mir tut der Kopf weh.“, jammerte Oma plötzlich und fasste sich an die Stirn.
„Nun lass doch mal die Oma mit deinem Unsinn zufrieden.“, sagte meine Mutter.
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M
Gänsefüßchen
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Beiträge: 34



M
Beitrag16.01.2008 14:10

von M
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„Ah ...aua.“, stöhnte die Oma und ihr Kopf sackte zurück ins Kissen.
„Siehst du was du angerichtet hast.“, stimmte nun auch Tante Adele ein. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und tätschelte Omas Wange.
Onkel Hannes fragte: „Soll ich dir die Stirn mit dem Japanischen Heilpflanzenöl einreiben, das wir mitgebracht haben, Ohmchen?“
Was für eine Heuchlerbande. Die Beiden waren die Ersten die über Oma herzogen, sobald sie sich einigermaßen sicher waren, dass Oma Olga nicht mehr in Hörweite war.
„Lass das!“, rief Oma Olga und schlug Tante Adeles Hand so sehr, dass ein klatschendes Geräusch durchs Schlafzimmer peitschte. Tante Adele wich zurück und rieb sich die getroffene Hand. Der beleidigte Gesichtsausdruck der darauf folgte, war es wert, im Familiealbum verewigt zu werden, fand ich. Ich fummelte meine Digitalkamera aus meiner Jackentasche, trat einen Schritt vor, um das Motiv besser einfangen zu können und: Blitz!
Tante Adele blinzelte und drehte ihren Kopf schräg, genau wie eine Kuh der man das erste Mal ans Euter fasst, um sie zu melken.
Gleich noch mal: Blitz!
„Chris! Was soll das?“, fragte sie - und dann an meine Mutter gewandt: „Kannst du deinen Sohn nicht besser erziehen, Martha? Wenn unser Hendrik so etwas machen würde, hätte er schon längst Eine sitzen. Bei deinem Sohn merkt man wirklich, dass der Vater fehlt.“
Meine Mutter starrte sie mit aufgerissenen Augen an.
„Bestimmt wohnt mein Vater nicht mehr bei uns, weil seine Schwägerin ihm auf den Keks ging.“, nahm ich meiner Mutter die Antwort ab, obwohl ich mir sicher war, dass sie das nicht wollte.
„Hör auf damit, Chris.“, mischte sie sich nun doch ein. „Setz dich hin.“
Ich stecke die Kamera wieder ein und ließ mich auf meinen Holzstuhl fallen. Der begann ein klagendes Knarren von sich zu geben, dann ein Krächzen und ein Quietschen, um einen Augenblick später zusammenzubrechen. Ich rollte über Omas speckigen Linoleumfußboden und prallte mit dem Hinterkopf gegen die Kante des riesigen Schlafzimmerschranks.
Für einige Sekunden wirbelten winzige, gelbe Glühwürmchen vor meinen Augen.
„Scheiße!“, schrie ich. „So ein Mistding.“ Ich rappelte mich wieder auf und befühlte die getroffene Stelle an meinem Kopf. „Ah ...“ Schnell zog ich meine Hand zurück und sah, dass die Fingerspitzen mit Blut beschmiert waren.
„Du blutest ja.“, rief meine Mutter und sprang auf.
Mensch, was wäre ich nur ohne meine Mutter? Etwa auf den Gedanken gekommen, dass das Blut an meinem Kopf vom Schrank stamme?
Wenn man doch auch nur Beobachtungsgabe im Familienalbum festhalten könnte, ich würde die meiner Mutter sofort einkleben, wenn es denn eine derartige Brillanz vertrüge.
Mütter sind oft so genial.
Tante Adele und hob ein einzelnes Stuhlbein auf. „Mensch nee, der schöne Stuhl.“
„Nun lass doch mal den blöden Stuhl. Siehst du nicht das Chris verletzt ist.“ Meine Mutter zog meinen Kopf ein Stück zu sich herunter, um ihn genauer betrachten zu können. „Das muss genäht werden.“
„Unsinn.“, sagte ich zu ihr, und schüttelte mich aus ihren Händen.
„Denkt vielleicht auch mal einer an mich?“, klagte auf einmal Omas Stimme aus dem Sterbebett.
„Du musst ins Krankenhaus.“, sagte meine Mutter.
„Kommt überhaupt nicht in Frage.“, entgegnete ihr Oma Olga.
„Du nicht. Er.“
„Kommt überhaupt nicht in Frage.“, sagte ich.
„Ich glaube, der Hendrik bekommt das wieder hin. Der ist ja handwerklich so geschickt.“, sagte Tante Adele und passte eine Querstrebe an das Stuhlbein, das sie bereits in ihrer Hand hielt.
Nicht, wenn ich den kompletten verkorksten Ast unseres Familienstammbaum, aus dem Hendrik hervorspross, mit dem Stuhlbein erschlage, dachte ich.
Oma sprang aus dem Bett. „Komm mal mit, Jungchen und ihr anderen bleibt hier.“
Alle starrten sie an, ob ihrer wundersamen Heilung.
„Was glotzt ihr so? Von mir aus könnt ihr jetzt auch nach Hause gehen.“ Sie griff meinen Oberarm und zog mich in ihre Küche und ich eine Blutspur hinter mir her.
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M
Gänsefüßchen
M


Beiträge: 34



M
Beitrag17.01.2008 12:25

von M
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„So, nu’ setz dich erst mal da hin.“ Sie zog einen Küchenstuhl heran und platzierte mich darauf. Ihre runzligen, altersfleckigen Hände kramten eine Weile in einer Küchenschrankschublade und holten eine Pflasterpackung hervor. Als Nächstes griff sie nach einer Flasche mit klarer Flüssigkeit aus einem der oberen Schränke, stellte sie auf Tisch und noch zwei Gläser dazu. Sie goss die Gläser halbvoll. Einen Schluck kippte sie auf ihr Taschentuch und drückte es auf meine Kopfwunde.
„Spinnst du?“, schrie ich sie an. Es brannte auf meinem Schädel, als hätte sie eine Hand voll brennender Zigaretten auf meinem Kopf ausgedrückt.
„Ruhe! Das muss desinfiziert werden.“
„Wir sind doch hier nicht im Wilden Westen. Warum nimmst du nicht gleich ein Brandeisen?“
„Ach ja, eigentlich gehört es auch anders `rum. Ich werde wohl doch etwas tüddelich. Trink erst mal.“ Sie reichte mir eines der beiden Gläser und  schenkte mir ein zahnloses Lächeln dazu.
Ich nahm einen Schluck und im selben Moment, brannte es nicht mehr nur auf meinem Kopf.
Ich habe zwar noch nie Salzsäure probiert, aber ich war mir sicher: So muss es sein. Genau, wie in diesem Augenblick. Ich spürte millimetergenau, wo dieses Zeug gerade meine Speiseröhre hinunter kroch, wie es sich den Weg in meinen Magen suchte und dort alles zerfraß. Ich begann zu keuchen und zu husten.
„Nimm schnell noch einen Schluck.“
„Bist du irre?“ Doch schon hielt sie mir das Glas an die Lippen und kippte dessen Inhalt in meinen Mund. „Wehe du spuckst das aus. Das ist noch gute alte Medizin, gemacht von Opa. Gott hab ihn seelig.“
Ich schluckte das Zeug herunter, es war ja nun auch egal. Alles oberhalb meines Bauchnabels stand ja schon in Flammen.
Oma Olga  nahm das andere Glas und leerte es in einem Zug. „Aaaa...“, war das einzige, was sie danach von sich gab. Sie wischte sich mit dem Ärmel ihres Nachthemds über den Mund. Dann goss sie wieder ein. Wieder halbvoll.
Hier war wohl eher Russland als der Wilde Westen.
Oma Olga schnitt einen Streifen Pflaster ab und pappte ihn mir auf den Kopf.
„Wie soll ich das denn wieder abkriegen? Du hast es über meine Haare geklebt.“
„Stell dich nicht so an und nimm noch einen Schluck, dann geht es dir gleich besser. Hauptsache ist, du saust mir nicht die ganze Wohnung mit deinem Blut voll.“
Sie hatte nicht ganz Unrecht. Die Feuersbrunst in meinem Bauch war bereits vorüber. Es prasselte zwar noch heftig, aber die Wärme wurde wohliger.
Ich trank - ohne Absetzen.
Noch einmal loderten die Flammen auf, aber längst nicht mehr so verheerend, wie beim ersten Mal. Sicher waren die meisten meiner Schmerzrezeptoren schon ein Raub der Flammen geworden.
„Aaa...“ Ich wischte mir den Mund mit meinem Jackenärmel ab.
„Werd nicht albern.“, ermahnte mich die Oma und kippte den Inhalt ihres Glases in ihren alten Schlund. Wir knallten unsere Gläser auf den Tisch.
Ich wischte mir über die Stirn und zog meine Jacke aus. Das tat ich sonst nie, da es bei Oma Olga immer so kalt war, dass einem der Rotz an der Nase gefror. Nun aber knisterte ein gemütliches Kaminfeuerchen in meinem Magen und meine Jacke hatte keinen Nutzen mehr. Ich warf sie in die Ecke am Fenster und sie landete im Kübel, in dem Olgaoma die Küchenabfälle sammelte, um sie hinterher an die Schweine zu verfüttern. Meistens vergaß sie den Deckel drauf zu legen. So auch heute. Es platschte im Kübel. Es muss wohl Suppe in den letzten Tagen gegeben haben. Kartoffelschalen hätten einen anderen Sound. Knochen auch, erst recht wenn sie alt und trocken sind. Möhrenschalen klingen auch nicht nach Suppe, eher ähnlich den Kartoffelschalen. Ich sollte mal ein Musikstück für diese Instrumente des Abfalls  schreiben, schlug ich meinem kreativen Geist vor, wird sicher lustig, dachte ich mir und kicherte. Ich war doch gar kein Komponist, fiel mir ein. Aber wäre ich dann  nicht auch eher ein Kompostnist. Bei dem Gedanken musste wieder kichern, was war ich doch für ein lustiger Schelm. Ich schüttelte, über mich selbst amüsiert, grinsend den Kopf, und ich sah, wie Omas faltiges Gesicht lautlos Fragen stellte. Sie hatte den Kopf zu Seite geneigt und ihre kleinen, schlitzigen Augen noch schlitziger gemacht. Ja, ich würde ihr eine Ode aus dem Müll schreiben, dass wird ihr sicher gefallen.
Während ich mir über die Klangwelten des Biomülls den Kopf zerbrach, füllte Ollgaoma nach.
„Nastrovje!“, sagte sie.
Also doch Russland. Wir stießen unsere Gläser aneinander - und weg damit.
Eine Jacke klingt auch anders, schoss es mir in den Kopf. Eine Jacke platscht doch nicht mit solch einem Ton in einem Suppenkübel, mit solch einem Plopp – Mist, meine Kamera. Ich schoss hoch ...und gleich wieder runter. „Shit.“ Ich konnte nicht mehr stehen. Ich versuchte es noch mal. Wieder nichts. Ich fiel zurück auf den Stuhl. Bleib ich eben sitzen, schlug ich mir vor.
„Was ist?“, fragte eine Ollahoma, deren Umrisse sich auflösten. Alle ihre Konturen verschwammen vor meinen Augen. Ich versuchte meinen Blick zu schärfen, in dem ich abwechselt mal das eine und nach einigen Sekunden das andere Auge schloss. Dann beide Augen halb auf, aber Oma wurde nicht schärfer, stellte ich fest und mein lachender Kopf schlug auf den Tisch. Oma zog ihn wieder hoch. „Du lös dich aulff, Oma.“, lallte ich und grinste sie an.
„Red’ nich’ solch einen Blödsinn. Das könnte Dir wohl so passen. So weit ist es noch lange nicht.“
Die Flasche schwebte schon wieder über den Gläsern, dieser kleine, glasige Zeppelin. Dann entlud er seiner flüssigen Fracht.
„Ich werde sowieso dafür sorgen, dass es nichts mehr zu erben gibt. Prost!“, sagte Oma.
„Prost, Oma!“, sagte ich und schluckte.
Opas Trunk schmerzte nicht mehr, weder innen noch außen. Weder an meiner Kopfwunde, noch in meinem Magen. Nichts schmerzte mehr.
Irgendwann hörte ich nur noch meine Mutter in die Küche kommen, dann nichts mehr.
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