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Wolkario


 
 
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fritzi
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
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Alter: 58
Beiträge: 17
Wohnort: Salzkotten


F
Beitrag16.02.2014 01:51
Wolkario
von fritzi
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo,
 
was haltet ihr von dieser Geschichte für Kinder. Ich habe sie vor vielen Jahren für die vierjährige Tochter einer Freundin geschrieben. Heute, ich habe inzwischen einen dreizehnjährigen Sohn erzählt er gelegentlich von dieser Geschichte und hat sie selber noch einige Male gelesen.

Wolkario

„Soll ich dir vielleicht helfen, die Schuhe zuzubinden, Suza?“
„Kann ich selber.“
Mama lächelte. Ich war wütend
„Nun komm schon, Schätzchen, sonst bist du wieder zu spät.“
„Ich will aber nachmittags nicht in den Kindergarten. Kann ich nicht bei dir bleiben?“
„Suza, ich muss noch arbeiten. Außerdem sind alle deine Freunde auch im Kindergarten. Dort könnt ihr doch herrlich zusammen spielen.“
Ungeduldig wartete Mama darauf, dass ich mir die Schuhe zuband, doch ich saß auf der ersten Treppenstufe unserer Wendeltreppe und versuchte jede Bewegung so langsam wie möglich auszuführen.
„Hier sind 50 Cent. Kauf dir etwas beim Bäcker.“
Beim dem Gedanken an Lakritzschnecken ließ die Wut nach. Also stand ich auf. Mama gab mir ein Küsschen auf die Stirn.
„Wenn du erst dort bist, wirst du dich freuen.“
Ich dachte nur an die Lakritzschnecken und verließ das Haus. Tscharack. Die Tür fiel ins Schloss, Mama war nicht mehr in Sicht. Mit der einen Hand umklammerte ich das Geldstück, mit der anderen hielt ich mich am Geländer fest. Vorsichtig ging ich die lange Steintreppe hinunter bis auf den Hof. Von der Straße aus sah ich schon die bunten Klettergerüste des Spielplatzes. Zügig lief ich bis zum Lattenzaun, der den Spielplatz umgab. Dann kletterte ich auf die unterste Latte. Ich lehnte mich über das oberste Brett und ließ meine Arme wie eine Stoffpuppe hinunterbaumeln. Überall lachten fröhliche Kinder. Auf der Rutschbahn, im Sandkasten und oben auf dem Klettergerüst. Zwei Mädchen schaukelten um die Wette. Die langen Haare wehten im Wind und sie kreischten laut vor Freude. Einige Mütter saßen auf den Bänken und unterhielten sich miteinander. Meine Mutter spielte nie mit mir und schon gar nicht auf dem Spielplatz. Sie saß immer hinter ihrer Nähmaschine und nähte Kleider. Immer.
Ich zuckte vor Schreck zusammen, als mir plötzlich jemand von hinten auf die Schulter tippte.
„Musst du denn heute nicht in den Kindergarten, Suza.“ „Tante Vera“, rief ich voller Freude und fiel fast hin.
„Doch, ich bin ja auf dem Weg, aber schneller geht’s eben nicht“.
Tante Vera lachte.
„Schick siehst du aus. Der Rock ist doch bestimmt neu.“
„Den hat Mama mir genäht.“ Stolz strich ich mit den Händen über den rotgeblümten Stoff. Dann drehte ich mich einmal schnell um meine eigene Achse, so dass sich der Rock zu einer Glocke aufbauschte.
„Der steht dir wirkliche gut, Suza“, schmunzelte Tante Vera.
Sie wohnte in dem alten schiefen Haus gegenüber von uns. Ihr Mann war vor einigen Jahren gestorben und ihre Kinder wohnten in fremden Städten. Manchmal ging ich morgens schon ganz früh zu ihr. Dann nahm sie mich mit in den Hühnerstall. Dort ging es lebhaft zu. Sicher konnten die Hühner denken, denn sie veranstalteten einen richtigen Freudentanz, wenn sie Tante Vera nur sahen. Mein Lieblingshuhn war Carla, weil es so schöne Federn hatte. Ganz glänzend waren sie. Tante Vera gab mir dann einen Korb und ich durfte die Eier einsammeln. Meistens waren sie noch warm. Danach gingen wir zurück in ihre Küche, um zu frühstücken. Tante Vera kochte mir einen Kaffee auf ihrem alten Gasherd. Einen Kinderkaffee, versteht sich. Oma machte mir morgens immer einen lauwarmen Kakao. Der war auch nicht schlecht, aber lieber trank ich Kaffee wie die Erwachsenen. Tante Vera freute sich immer über meinen Besuch. Sie hatte immer Zeit. Und sie konnte Zöpfe flechten. Manchmal kämmte sie mir mein langes Haar und machte mir anschließend eine neue Frisur. Einmal hat sie mir sogar eine rote Schleife ins Haar gebunden. Außerdem konnte sie die spannendsten Geschichten der Welt der erzählen.
Mama, Papa und mein älterer Bruder, Hans, waren immer beschäftigt. Hans war Fußballer und ging fast jeden Tag trainieren. Wenn ich krank war, spielte er mit mir Mühle oder ‘Mensch ärgere dich nicht’. Aber meistens musste ich alleine spielen. Tante Vera war meine beste Freundin.
„Ich habe den gleichen Weg wie du, Suza. Sollen wir ein Stück zusammengehen?“ Tante Vera reichte mir ihre Hand.
 „Bist du eigentlich nie traurig, dass Onkel Winnie nicht mehr lebt?“, fragte ich sie. „Doch“. Sie schaute in die Ferne, sah aber nicht traurig aus. „Manchmal vermisse ich ihn sogar sehr. Schade, dass du ihn nicht mehr gekannt hast, du hättest ihn bestimmt gemocht.“
„Du, Tante Vera?“.
„Ja?“
„Wo ist der Onkel Winnie denn jetzt?“
Ich sah erwartungsvoll auf ihre Lippen, die sich zu einem Schmunzeln verzogen. „Wenn wir das nur wüssten, Suza. Keiner ist jemals wieder auferstanden. Manche Menschen glauben, dass man stirbt und dann ist einfach alles vorbei.“
„Glaubst du an Gott?“
„Ja, das tue ich. Er hat mir oft geholfen.“ Jetzt drückte sie meine Hand ganz fest. „Hast du ihn denn gesehen?“
Tante Vera blieb stehen, bückte sich zu mir herunter, stellte ihre Tasche ab und nahm meine Hände. Unsere Nasen stießen fast aneinander.
„Gott kann man nicht sehen, man kann ihn aber spüren“.
„Papa hat gesagt, er wäre sich nicht ganz sicher, ob es einen Gott gibt oder nicht. Aber Oma sagt, dass er immer bei ihr ist. Weißt du, der Gott ist etwas ganz Besonderes. Aber irgendwie finde ich es komisch, dass ihn noch keiner kennengelernt hat. Findest du nicht?“
Jetzt nahm Tante Vera mich in die Arme und gab mir einen Kuss.
„Weißt du Suza, ich kenne viele Leute, die an Gott glauben, aber auch einige, die es nicht tun. Das muss jeder für sich entscheiden, denn es gibt keine Beweise dafür, dass er existiert. Das nennt man Glaube, Suza.“
Sie drückte mich ganz fest. Was hatte ich nur gesagt, dass sie so reagierte, fragte ich mich. Eines war sicher: Tante Vera hatte mich richtig lieb. Wenn wir über manche Dinge sprachen, hatte sie mich noch lieber als an den anderen Tagen. Ich war mir nicht sicher woran es lag, aber es musste damit zusammenhängen, worüber wir redeten.
„Jetzt müssen wir uns aber beeilen, der Kindergarten hat schon längst angefangen.“ Tante Vera reichte mir ihre Hand und wir gingen gemeinsam den kleinen Hang hinauf. Als wir vor der Metzgerei standen, sagte sie: „So Suza, ich muss hier hinein und Fleisch kaufen. Du kennst ja den Weg. Bis zum Kindergarten ist es nicht mehr weit.“
„Ist gut“, antwortete ich.
Tante Vera gab mir ein Küsschen und bevor ich gerade um die Ecke biegen wollte, winkte sie mir noch einmal zu. Ich hüpfte die vier Treppenstufen zum Bäcker hoch und ein alter Mann öffnete mir die schwere Glastür.
„Hereinspaziert, junge Frau“, ertönte sein zittriges Stimmchen.
„Guten Tag, Opa Brillo“, erwiderte ich und machte einen Knicks. Das tat ich immer, wenn ich Opa Brillo sah.
„Hallo Suza, du bist heute aber spät dran“, sagte der Bäcker.  
Er reichte mir eine Tüte über die Theke und ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihm mein Geldstück zu geben. Neugierig öffnete ich Tüte und sah nach, ob auch wirklich Lakritzschnecken drin waren. Sie waren natürlich drin, aber ich schaute trotzdem immer nach. Eine nahm ich heraus, löste das Ende am äußeren Rand und steckte es in den Mund. Die Schnecke hing jetzt wie eine Pfeife an meinem Kinn. „Tschüs, Suza,“ hörte ich noch den Bäcker sagen.
„Tschüs“ rief ich ohne mich umzudrehen und sprang auf die Straße. Jetzt lagen nur noch zwei Häuserecken vor mir. Als ich an der Post vorbeikam, setzte ich mich noch mal ganz kurz auf die niedrige Natursteinmauer und aß eine Lakritzschnecke. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, ließ meine Beine baumeln und beobachtete die vielen Wolken am Himmel. Einige zogen in Gruppen vorbei, andere reisten ganz alleine. Bedrohlich wirkten auf mich die großen dunkleren Wolken. Sie zogen schneller vorbei als die anderen, so als würden sie verfolgt oder aber als wenn sie eine andere Wolke jagen würden. Ich fragte mich, wo sie nachts blieben. Ob sie auch irgendwo anhielten? Schließlich konnten sie nicht ewig ohne Pause reisen. Eine Wolke viel mir auf. Sie hatte etwas Besonderes und erinnerte mich an die Rosenblüten aus Tante Veras Garten. Ganz weich und zart. Was würde ich dafür geben, um einmal auf so einer Wolke mitzufahren. Was war denn das? Ich traute meinen Augen nicht. Oben auf der Wolke sah ich plötzlich ein kleines Männlein. Es winkte mir zu. Meinte es wirklich mich? Ich schaute mich um, konnte aber niemanden entdecken. Tatsächlich. Das Männlein gab mir mit der Hand ein Zeichen hochzukommen. Was passierte dort oben? Jetzt sah ich, wie es eine schwarze dicke Schnur herunterließ. Ich konnte es kaum fassen. Die Schnur wurde immer länger und länger. Jetzt hing sie über dem Dach von Frau Pepola. Gleich würde sie den Boden berühren. Wenn ich jetzt schnell losrennen würde, dachte ich, kann ich mich daran festhalten und mitfliegen. Hoch über die Bäume. Die Schnur streifte jetzt fast den Boden. Schnell steckte ich meine Tüte in die Tasche und rannte los. Meine Beine bewegten sich so schnell sie konnten, denn ich hatte Angst, das Männlein könnte die Schnur hochziehen, bevor ich sie schnappen konnte. Jetzt hatte ich sie gefasst. Es war eine dicke Lakritzschnur. Mit Händen und Füßen klammerte ich mich an ihr fest und schon flog ich durch die Lüfte. Der Kopf des kleinen Männleins ragte über die Wolke hinweg und ein strahlendes Gesicht schaute zu mir herunter. Das Männlein zog mich langsam hoch. Ich roch das Lakritz und hatte Lust an der Schnur zu lecken. Doch der Gedanke, dass sie dann vielleicht weich würde und reißen könnte, hielt mich davon ab. Ich schwebte bereits über den Dächern unseres Dorfes. Von hier oben sah alles ganz anders aus. Auf dem Platz vor der Metzgerei, sah ich wie Tante Vera mit einer Frau sprach. Ich wünschte, dass sie mich sehen könnte und rief ihr etwas zu, aber sie hörte mich nicht. Auf der Höhe der Kirchturmspitze sah ich zum ersten Mal ganz deutlich den goldenen Hahn, den ich so oft von unten beobachtet hatte. Er war riesig und glänzte so sehr, dass er mich blendete. Ich wollte ihn gerade anfassen, als ich einen Ruck spürte.
„Hallo“, hörte ich das Männlein rufen und schaute zu ihm hoch.
„Hallo“ schrie ich und war ganz aufgeregt. Wie riesig die Wolke auf einmal war. Jetzt konnte ich sie fast berühren. Das Männlein zog noch einmal mit Leibeskräften an der Schnur und hievte mich in sein Wolkenboot.
„Herzlich willkommen auf Rosarien“, begrüßten mich zwei Reihen goldig glänzender Zähne. Das hatte ich noch nie gesehen. Das kleine Männlein schien Gedanken lesen zu können und sagte: „Die braucht man, wenn man hier oben lebt. Normale Zähne sind nicht stabil genug. Jetzt bekam ich Angst, ich könnte auf dieser Reise meine Zähne verlieren.
„Angst?“
Das Männlein konnte tatsächlich Gedanken lesen. „Ich werde dir sagen, wann du auf gar keinen Fall den Mund aufmachen darfst, dann wird dir nichts passieren.
„Ich heiße Wolkario und du?“
„Ich bin Suza“, antwortete ich.
Seine schlitzigen Augen funkelten, wie zwei Sterne. Hier oben war alles viel heller als bei uns. Zum ersten Mal sah ich die Sonne ganz deutlich. Wie riesig sie auf einmal war. Von der Erde konnte man nicht erkennen, dass sie tatsächlich Augen, Nase und Mund hatte. Sie konnte sogar lächeln.
Jetzt schaute ich mich auf dem Wolkenboot um, und sah am hinteren Ende vier große Metalltrommeln, auf die schwarze Schnüre aufgerollt waren. Die fünfte war abgerollt. Flink wie ein Eichhörnchen sprang das magere Männlein an die abgerollte Trommel und begann die Schnur blitzschnell mit einer quietschenden Kurbel aufzurollen.
Warum hast du so viele Trommeln“, fragte ich Wolkario.
„Jede Wolke kann so viele Erdenmenschen mitnehmen, wie Trommeln auf dem Wolkenboot sind“, antwortete er mir. Ich hatte eine Idee. Ob er einverstanden wäre, wenn wir Tante Vera auch hochhoben würden? Doch bevor ich ihn fragten konnte, sagte er, dass nur die Menschen auf die Wolke dürften, denen sie von unten auffällt. „Nur wer sie als Rose erkennt, hat die Chance mitzufliegen. Jede Wolke hat etwas Besonderes und demjenigen, der das von der Erde aus sieht, dem lassen wir die Schnur hinunter“, sagte Wolkario.
Am vorderen Ende des Wolkenbootes befand sich ein Steuerrad, wie auf einem großen Schiff. Das Männlein sah mich an und fragte mit seiner Kinderstimme, die gar nicht zu seiner äußerlichen Erscheinung passte: „Gefällt es dir hier oben?“
Ich nickte mit dem Kopf und sah mich neugierig um. Die Innenwände waren mit weißen Rosenblättern ausgekleidet und der Boden gab nach wie eine Matratze.

Vor dem Steuerrad befanden sich zwei Sitzschalen aus Rosenblüten.
„Komm, setz dich neben mich.“ Wolkario zeigte auf die Blütenschale.  Ich ließ mich in den weichen Sessel fallen.
„Schnall dich schnell an.“ Er reichte mir den Gurt und machte ihn fest. Hastig öffnete er das Fach neben dem Steuer und griff nach einer Art Fahrradhelm aus reinem Gold.
„Zieh den an. Das ist wichtig. Und diese Brille.“ Wolkario gab mir eine große Brille, die meine Augen schützte.
Er selbst setzte sich eine so riesige Brille auf, dass sie sein halbes Gesicht verdeckte. Ich spürte, wie sich Angst mein Magenzusammenzog.
„Siehst du die graue Herde dort hinten?“
Ich sah eine Herde von riesigen grauen Elefanten, die mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit auf uns zu flog. „Ja“, antwortete ich und begann mich zu fürchten. „Du musst keine Angst haben“, beruhigte er mich und konzentrierte sich auf das Steuer.
„Wir fliegen jetzt durch Windien, dass ist das Land mit den stärksten Winden, die es gibt. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Plötzlich spürte ich, wie ein so starker Wind aufkam, dass meine Haare, die unter dem Helm hervorschauten, waagerecht wie ein Brett in der Luft hingen. Die Kraft des Windes drückte mich in den Sessel. Mit aller Kraft kniff ich die Lippen zusammen, aus Angst, der Wind könnte mir die Zähne wegreißen. Unser Wolkenboot begann leicht zu wackeln, dann immer stärker, bis wir schließlich so durchgeschüttelt wurden, dass ich glaubte, wir würden mit der ganzen Wolke abstürzen. Meine schweißnassen Hände hielt ich vor meinen Bauch, um mich zu schützen. Als ich uns plötzlich auf die langen Stoßzähne eines Elefanten zufliegen sah, schrie ich so laut ich konnte. In letzter Minute riss Wolkario das Steuer herum und wir zischten wie ein Blitz zwischen den Beinen des Elefanten hindurch. Geschafft, dachte ich erleichtert, als ich ein stämmiges Elefantenbein auf meinen Kopf zukommen sah. Wieder schrie ich auf und mit einer blitzartigen Bewegung schafften wir es, links an ihm vorbeizurasen. Ich war so in Angst, dass ich meine Augen schloss und darauf wartete, dass Wolkario uns durch die Herde hindurchmanövrierte. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber auf einmal spürte ich, dass der Wind etwas nachließ. Ganz langsam öffnete ich erst das linke, dann das rechte Auge. Die Gefahr war noch nicht vorbei, aber der Wind wurde schwächer und es kamen nur noch vereinzelnd Elefanten auf uns zu, die Wolkario ohne große Anstrengung umfahren konnte.
„Geschafft.“ Wolkario strahlte mich glücklich an und machte seinen Gurt los. Ich war froh, dass ich noch lebte.
„Ob mich schon jemand vermisste?“ Wieder konnte Wolkario meine Gedanken lesen.
„Ja, deine Mutter vermisst dich.“
"Woher weißt du das? Vorsichtig löste ich die Schnalle des Gurts und drehte mich mit dem ganzen Körper in seine Richtung. Jetzt erst sah ich, wie anders er doch aussah. Seine Finger waren viel länger als unsere und seine Haare hatten sich zu einem stabilen, windschützenden Helm um den Kopf legt. Seine Nasenlöcher waren etwas größer als unsere und konnten durch kleine Metallplättchen geschlossen werden. Ich sah gerade wie die Plättchen zur Seite gingen, als sich der Helm wieder in normale Haare verwandelte.
„Du bist aber komisch“, sagte ich ganz erstaunt.
„Wir müssen uns hier oben schützen. Du hast ja selbst gesehen, was es bedeutet durch Windien zu fahren. Es gibt Orte, die sind noch viel gefährlicher als Windien. Ohne die Brille hätte dir der Wind die Augen in den Kopf gedrückt.“ Ich musste lachen und führte mit einer schnellen Bewegung meine Hand an die Nase, um zu sehen, ob sie sich verbogen hatte. Alles beim Alten, beruhigte ich mich, als ich sie fühlte und keinen Unterschied bemerkte. Jetzt fing Wolkario an zu lachen und hielt sich den Bauch fest. Ich musste mitlachen, weil er so lustig aussah. Seine Augen waren nur noch kleine Schlitze und das Gold in seinem Mund blendete mich, wie vorher der Hahn auf dem Kirchturm.
„Komm mit, Suza,“ sagte er aufeinmal und stand nach zwei kurzen Sprüngen vor den Metalltrommeln. Neugierig folgte ich ihm, war aber nicht so schnell wie er. Zwischen den Trommeln  entdeckte ich eine rote und eine gelbe Falltür.
„Lass uns hineingehen“, sagte Wolkario und hob die rote Tür an, so dass wir in das Innere der Wolke kamen. Ich stieg eine rote Leiter hinunter und traute meinen Augen nicht. Von hier aus konnte man, wie durch eine Glasscheibe, alles sehen, was auf der Erde passierte. Wir legten uns auf den Bauch und schauten hinunter. „Dort, dort drüben“, rief ich begeistert, „dort wohne ich“. Im Inneren der Wolke bestanden die Wände aus verschieden großen Schubladen, jede einzelne mit einem roten Griff geschmückt. Wolkario drehte sich flink auf die Seite und öffnete eine der vielen Schubladen. Mit seinen langen Fingern nahm er zwei kleine gläserne Löffel heraus. Einen drückte er mir in die Hand.
„Was soll ich damit?“, fragte ich. „Das ist eine Löffellupe“, antwortete Wolkario und machte mir vor, wie ich sie benutzen konnte. Ich hielt den Löffel vor mein linkes Auge und konnte es nicht fassen. Es war ein Zauberlöffel, mit dem ich in alle Häuser sehen konnte. Tante Vera lag auf dem Sofa und las ein Buch. Mama saß wie immer an der Nähmaschine und neben ihr stand meine Tante Carolin.
„Sieh nur“, platze es aus mir heraus, „meine Mutter“. Jetzt wurde ich ein bisschen traurig, denn sieh war so beschäftigt, dass sie sicher nicht an mich dachte. Für alle hatte sie mal wieder Zeit, nur für mich nicht. Wolkario reichte mir eine kleine Flasche mit rotem Saft. „Trink einen Schluck, dann wirst du vieles verstehen“. Ich schaute ihn misstrauisch an, nahm die Flasche und trank trotzdem, weil ich schon fast verdurstet war. „Stopp“, befahl mir Wolkario böse. „Das ist ein Zaubermittel, kein Wasser du Dummköpfchen“. Auf einmal spürte ich, was es mit diesem Getränk auf sich hatte. Ich hörte ganz deutlich, was Mama mit Tante Carolin besprach.
„Natürlich, weiß ich, dass Suza nicht gerne in den Kindergarten geht. Aber was soll ich denn machen. Wenn ich nicht nebenbei nähe, können wir das Haus nicht abbezahlen. Dann müssten wir woanders hinziehen. Wenn ich weiter mitarbeite, habe ich zwar weniger Zeit für Suza, aber wir können hierbleiben. Bald wird sie das auch verstehen. Gott sei Dank, kann ich nähen. Schau mal, was ich hier für Suza gemacht habe.“ Jetzt zeigte sie meiner Tante einen wunderschönen roten Mantel. Sie strich immer wieder mit ihren zarten Händen darüber.
„Sie wird wie eine kleine Prinzessin darin aussehen“, sagte sie zu Tante Carolin. Wokario nahm mir den Löffel aus der Hand und sah mich an.
„Verstehst du jetzt, warum du in den Kindergarten gehen musst?“
Mir wurde klar, dass meine Mutter immer so in Eile war, weil sie Geld verdienen musste, um das Haus zu bezahlen. Dann liebte sie mich also doch. Und einen Mantel hatte sie auch für mich genäht. Es war der schönste Mantel, den ich je gesehen hatte. Jetzt wollte ich sofort nach Hause. Gut, dass Wolkario Gedanken lesen konnte. „Komm mit, ich lass dir die Schnur hinunter, wir sind direkt über eurem Garten“, sagte er. Wir stiegen die rote Treppe hoch und krabbelten wieder auf die Wolke. Wolkario stellte sich an die Trommel und gab mir das Ende der Schnur. Ich band es mir um den Bauch. „Wenn du möchtest, kannst du gerne wieder mal mitfahren. Ich fliege fast jede Woche über die Post.“
„Mach ich“, rief ich ihm zu und hing schon in der Luft. Die Häuser wurden immer größer und ich konnte schon fast unser Dach berühren. Dann schaute ich zu Wolkario und sah wie er mir zuwinkte. Ich winkte zurück, bis ich den Boden unter den Füßen spürte. Schnell machte ich die Schnur los, sah ein letztes Mal zu ihm hoch und warf ihm einen Handkuss zu. Wolkario zog die Lakritzschnur hoch, die sich wie eine Schlange in der Luft bewegte.
„Suza, wem winkst du denn da zu“, hörte ich meine Mutter rufen, die am geöffneten Fenster stand und mich beobachte.
„Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Wo warst du denn so lange? Der Kindergarten ist doch schon seit einer halben Stunde aus?“
„Ludwig hat mir noch schnell die Katzenbabys von Mizi gezeigt. Sie sind heute Nacht geboren worden“, log ich ausnahmsweise.
„Komm mal rein, Schätzchen, ich habe eine riesengroße Überraschung für dich“, winkte sie mich herbei. Schade, dass ich den wunderschönen Mantel schon gesehen hatte. Ich freute mich trotzdem riesig. Aber das Schönste war, dass ich jetzt wusste, dass Mama mich nicht loswerden wollte. Sie liebte mich über alles.



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KeTam
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Beitrag16.02.2014 15:41

von KeTam
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Hallo fitzi,

ich hab jetzt nur mal rein gelesen, weil mir der Beitrag ehrlich gesagt viel zu lang ist. Um etwas so langes zu lesen, muss es mich schon so richtig packen und das tut es leider nicht.

Was mir aufgefallen ist, ist, dass du aus der Perspektive eines Kindergartenkindes schreibst, also max. sechs Jahre alt, es sich aber nicht so anhört.

Ganz pauschal gesagt: So denkt ein Kind dieses Alters nicht ...

Beispiel: "Ihr Mann war vor einigen Jahren gestorben und ihre Kinder wohnten in fremden Städten ..."

So was weiß ein Kind. Klar. Hats gehört von Mama, oder so. Aber in dem Moment denkt ein Kind so was nicht.

Mein Sohn ist sechs, wenn der mir erzählen würde, was er auf dem Spielplatz sieht, dann ist sein Fokus auf ganz andere Dinge gerichtet, als der eines Erwachsenen.

Naja, nur so viel von mir.

Lg, KeTam.
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fritzi
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Beitrag16.02.2014 18:05
Wolkario
von fritzi
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Hallo KeTam,

vielen Dank für deine Offenheit! Ich werde mir die Geschichte nochmal daraufhin ansehen.

Ich habe die Geschichte vor zwei oder drei Jahren tatsächlich mal überarbeitet, weil ich sie viel zu einfach geschrieben fand. Inzwischen habe ich sie so oft gelesen, dass mir das gar nicht mehr aufgefallen ist.


Nochmals ganz herzlichen Dank!!

LG
Fritzi


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KeTam
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Beitrag16.02.2014 18:29

von KeTam
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Hallo fritzi,

freut mich! Ich stell es mir allerdings wahnsinnig schwer vor,aus der Perspektive eines so kleinen Kindes zu schreiben.

Z.B. der Satz, in dem die Mutter als ungeduldig bezeichnet wird.
Ein Kind kennt diesen Begriff, in dem alter. Aber ich frag mich, wie denkt ein Kind das? An was macht es die Ungeduld der Mutter fest?

Vielleicht könntest du generell auch mehr drauf achten zu zeigen, anstatt zu beschreiben? Das macht das Ganze auch lebendiger!

Viel Erfolg bei der Überarbeitung!

Du könntest die überarbeitete Version ja in kleinen Häppchen servieren.

Lg, KeTam.
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fritzi
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Beitrag16.02.2014 19:25

von fritzi
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KeTam hat Folgendes geschrieben:
Hallo fritzi,

freut mich! Ich stell es mir allerdings wahnsinnig schwer vor,aus der Perspektive eines so kleinen Kindes zu schreiben.

Z.B. der Satz, in dem die Mutter als ungeduldig bezeichnet wird.
Ein Kind kennt diesen Begriff, in dem alter. Aber ich frag mich, wie denkt ein Kind das? An was macht es die Ungeduld der Mutter fest?

Vielleicht könntest du generell auch mehr drauf achten zu zeigen, anstatt zu beschreiben? Das macht das Ganze auch lebendiger!

Viel Erfolg bei der Überarbeitung!

Du könntest die überarbeitete Version ja in kleinen Häppchen servieren.

Lg, KeTam.



Hallo KeTam,

ich habe die Geschichte nochmal auf deine erste Kritik hin durchgelesen und sind viele korrekturbedürftige Stellen aufgefallen.
Komisch ist, dass ich diese Dinge weiß, aber offensichtlich vergesse, wenn ich selber schreibe.

Danke dir!!!

Was schreibst du eigentlich?

LG
Tina


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KeTam
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Beitrag16.02.2014 19:40

von KeTam
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fritzi hat Folgendes geschrieben:

Komisch ist, dass ich diese Dinge weiß, aber offensichtlich vergesse, wenn ich selber schreibe.

Danke dir!!!

Was schreibst du eigentlich?



Hach, das geht mir genauso. Ich schreib Psycho Thriller ...
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fritzi
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Beitrag16.02.2014 20:50
fritzi
von fritzi
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KeTam hat Folgendes geschrieben:
fritzi hat Folgendes geschrieben:

Komisch ist, dass ich diese Dinge weiß, aber offensichtlich vergesse, wenn ich selber schreibe.

Danke dir!!!

Was schreibst du eigentlich?



Hach, das geht mir genauso. Ich schreib Psycho Thriller ...


Hast du schon etwas veröffentlicht?


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KeTam
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Beitrag16.02.2014 21:00

von KeTam
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Im Herbst erscheint mein Debüt. smile
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fritzi
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Beitrag16.02.2014 21:39

von fritzi
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KeTam hat Folgendes geschrieben:
Im Herbst erscheint mein Debüt. smile



Glückwunsch. Auch ein Thriller?


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Nicki
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Beitrag16.02.2014 21:54

von Nicki
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Hallo Fritzi
auch ich habe den Text nur angelesen und dann nach  unten gescrollt. Viel zu lang für einen ausführlichen Kommentar.
Das heißt, nicht der Text ist zu lang, sondern eher die Zeit zu kurz, die ich dafür aufbringen kann. Embarassed
Den Kritikpunkten KeTams kann ich mich in allen Punkten nur anschließen, vielleicht noch zusätzlich Folgendes: Ich könnte mir vorstellen, dass auch die Ich-Perspektive für eine Kleinkindergeschichte nicht optimal ist, vor allem, wenn die Zielgruppe nicht älter als vier Jahre sein soll.
Wenn der Vorleser von einem Ich spricht, müsste doch ein Kind in dem Alter immer den Vorleser damit gleichsetzen. Kann ein Vierjähriger das schon differenzieren? Versuch einmal, die Geschichte in einer einfacheren Sprache auf die Hälfte zu kürzen und versuche mal die dritte Person. Ich glaube, der Text gewinnt dadurch einiges.


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MfG
Nicki

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fritzi
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Beitrag16.02.2014 22:06

von fritzi
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Nicki hat Folgendes geschrieben:
Hallo Fritzi
auch ich habe den Text nur angelesen und dann nach  unten gescrollt. Viel zu lang für einen ausführlichen Kommentar.
Das heißt, nicht der Text ist zu lang, sondern eher die Zeit zu kurz, die ich dafür aufbringen kann. Embarassed
Den Kritikpunkten KeTams kann ich mich in allen Punkten nur anschließen, vielleicht noch zusätzlich Folgendes: Ich könnte mir vorstellen, dass auch die Ich-Perspektive für eine Kleinkindergeschichte nicht optimal ist, vor allem, wenn die Zielgruppe nicht älter als vier Jahre sein soll.
Wenn der Vorleser von einem Ich spricht, müsste doch ein Kind in dem Alter immer den Vorleser damit gleichsetzen. Kann ein Vierjähriger das schon differenzieren? Versuch einmal, die Geschichte in einer einfacheren Sprache auf die Hälfte zu kürzen und versuche mal die dritte Person. Ich glaube, der Text gewinnt dadurch einiges.


Auch dir vielen Dank!

Ich werde mich schon morgen an den Text setzen und schauen, ob ich das umsetzen kann.

Liebe Grüße

Fritzi


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