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Der Kugelschreiber


 
 
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Stift
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
S

Alter: 65
Beiträge: 29
Wohnort: An der Saale hellem Strande


S
Beitrag30.01.2013 23:13
Der Kugelschreiber
von Stift
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Der Kugelschreiber

Mein Kugelschreiber ist kaputt. Ich drücke oben auf den Knopf, doch die Miene erscheint nicht. Ich schraube die Kappe ab. Ein paar Bruchstücke fallen heraus. Ich werfe die Einzelteile an die Wand. Ausgerechnet heute. Heute wollte ich es anpacken, heute wollte ich weiter schreiben an meinem Roman, wenigstens ein Kapitel oder den Anfang eines Kapitels. Und nun so etwas. Ich trinke das bereitgestellte Glas Rotwein auf ex und verziehe mich in die Sofaecke.

Eine halbe Nußschale kniet neben meinem Kopf und macht ein besorgtes Gesicht. Ich erinnere mich dunkel daran, sie im vergangenen Advent mit Goldfarbe bemalt zu haben, aber da war sie noch eine ganze Nuss.
"Sie lebt!", schreit die halbe Nußschale.
"Sie lebt.", echot der gelbe Textmarker und stößt dem blauen Textmarker den Ellenbogen in die Seite. Der tut das selbe mit dem grünen Textmarker und der verfährt genauso mit dem rosa Textmarker. Die Buchstaben auf ihren Bauchbinden prangen schwarz und handtellergroß. Nur langsam verbinden sie sich zu dem Wort TopStar. Die Textmarker grüßen höflich und verschwinden. Statt dessen ist mir ein Schraubenzieher im Blaumann beim Aufstehen behilflich.
"Sie sind dumm.", raunt er mir zu. "Sie halten diesen Schreibtisch für die Welt."
Er rückt noch etwas näher an mein Ohr.
"Ich bin auch nicht von hier. Ich komme aus der Werkzeugkiste im Keller. War nur auf Montage hier oben, aber dieser Kerl hat mich glatt vergessen. Ist jetzt schon viele Wochen her. Du nimmst mich doch mit, wenn du hier wieder abhaust?"
Mit dem Kerl meint er wahrscheinlich meinen Mann.
"Der Kugelschreiber ist tot!", verkündet plötzlich die Schere.
"Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Die Obduktion ergab, dass er nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Er ist in seinem Innersten zerbrochen!"
Eine größere Gruppe kleiner bunter Büroklammern fällt unisono in Ohnmacht.
"Dieser Mord muss aufgeklärt werden!"
Beim Sprechen wechseln sich die beiden Köpfe der Schere ab. Zwischen den Köpfen taucht ein Radiergummi auf.
"Es könnte doch auch ein Unfall gewesen sein?"
Die Nase des Radiergummis ist etwas schmutzig. An der Seite klebt ein länglicher schwarzer Krümel. Der Radiergummi schnauft.
"Oder Selbstmord."
Der linke Kopf der Schere ist an der Reihe.
"Selbstmord! Der Kugelschreiber würde niemals Selbstmord begehen! Nicht er, nicht dieser Kugelschreiber!"
Die Schere hat die Hände in die Hüften gestemmt. Die Hüfte ist bei einer Schere da, wo der Niet sitzt, der die Schenkel miteinander verbindet. Scheren sind recht ansehnliche Gestalten, abgesehen davon, dass sie so große Füße haben. Die Schere benötigt dringend ein Taschentuch. Atemberaubend schön präsentiert sie den schwierigen Wechsel von höchster Empörung zu tiefster Trauer. Die Schere schnäuzt sich ausgiebig, scheint einen winzigen Augenblick zu benötigen, um sich wieder zu sammeln, sieht mir mit majestätischer Strenge in die Augen und verkündet:
"Es war Mord! Und Sie werden ihn aufklären."
Ihre Hoheit verschwinden und hinterlassen dabei eine Bugwelle aus Farben wie Chrom und Licht, die über meinem Kopf zusammenschlägt.
"Mord.", sagt der gelbe Textmarker und stößt dem blauen Textmarker in die Seite. Der tut das selbe mit dem grünen Textmarker und der verfährt so mit dem rosa Textmarker. Dann sind sie wieder weg. Der Schraubenzieher zieht mich vom Sofa.
"Gehen wir. Wir haben keine Zeit zu verlieren."
Mit dem Kinn deutet er in Richtung einer Gruppe von Buntstiften.
Der Platz um mich herum wird weit und allem Anschein nach ohne Grenzen. Der geflochtene Boden glänzt honiggelb bis zum Horizont. Ich bin in den Weidenkorb geraten, in dem ich gewöhnlich meine Schreibutensilien aufbewahre.
"Wenn irgend einer ein krummes Ding gedreht hat, wissen die beiden mit Sicherheit darüber Bescheid."
Der Schraubenzieher macht eine ungeduldige Bewegung.
"Komm schon, wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren. Hier suchst du ewig bis du gefunden hast, was du brauchst."
Wem sagt er das? Wie oft habe ich in diesem Korb gekramt. Verzweifelt gewühlt habe ich, aber ausgerechnet der Stift, den ich benötigte, war nicht zu finden. Die roten sind die schlimmsten.
"Mit dem Eislöffel will ich reden. Ist ein schwerer Junge."
Von welchem Eislöffel redet der eigentlich?
"Sie sind illegal hier, alle beide."
Zwei Löffel? In meinem Besteck fehlt nur einer. Der Schraubenzieher schüttelt den Kopf.
"Michelangelo ist der Eislöffel. Der kleine Dicke da zwischen den Buntstiften. Ist dauernd am Fressen. Der andere heißt Steigenberger. Ein Flaschenöffner, ziemlich eingebildet. Trägt seine Visitenkarte auf dem Bauch. Dabei ist er nur der Commis vom Dicken. Läuft ihm überall hinterher und leckt ihm den Arsch."
Ich erinnere mich an den Öffner und an das Hotel, aus dem wir ihn geklaut haben. Hier ist er also gelandet, als Lakai meines Eierlöffels. Unrecht Gut gedeiht nicht.
Der Schraubenzieher versetzt Michelangelo einen kräftigen Schlag auf die Schulter. Steigenberger interveniert aus sicherer Entfernung. Als er mich gewahrt verstummt er und versucht, in der Deckung der Buntstifte zu entkommen. Ich stelle ihm ein Bein. Da liegt er vor mir und grinst schuldbewusst.
"Hallo Chefin!"
"Sieh an, mein Eierlöffel und mein Flaschenöffner. Solltet ihr nicht in der Küche Dienst tun?"
Eierlöffel? Die Horde Buntstifte johlt. Michelangelo ist empört.
"Eierlöffel, aber Chefin, sie müssen mich verwechseln. Sieht denn so ein profaner Eierlöffel aus? Ich bin ein italienischer Eislöffel."
Er windet sich in der Hand des Schraubenzieher, der ihn am Kragen gepackt hat. Ich bemerke ein elegantes Bärtchen an seiner Oberlippe.
"Darf ich Ihnen ein kleines Dessert anbieten? Gleich dort drüben habe ich ein winziges Cafe eingerichtet. Ein ganz bescheidenes, mit Verlaub gesagt. Wenn sie die Güte haben würden ..."
Er versucht zu katzbuckeln. Dabei hängt er in seiner Jacke und zappelt wie ein Fisch am Haken. War er wirklich schon immer so fett? Mit dem Fuß trifft er Steigenberger.
"Na los, du Faulpelz, beweg dich. Einen großen Eisbecher für die Chefin!"
Und mit einem Blick nach oben setzt er hinzu:
"Und einen für unseren Freund, den Schraubenzieher."
"Wann habt ihr den Kugelschreiber das letzte Mal gesehen?"
Am Abend davor. Kugelschreiber und Füllfederhalter saßen wie beinahe jeden Abend in Michelangelos Cafe.
"Haben sie gestritten?"
Nein. Der Kugelschreiber wollte dem Federhalter wohl etwas erzählen, aber der hat wie immer mit der Bedienung geflirtet.
Steigenberger nickt heftig und ununterbrochen. Wir sitzen auf Korbsesseln unter einer Palme aus weißem Druckerpapier. Die hat meine Tochter vor Jahren gebastelt. Am Nachbartisch sitzen die Textmarker. Der grüne trinkt Waldmeisterlimonade, der rosa trinkt Himbeerlimonade, der gelbe trinkt Zitronenlimonade und der blaue trinkt Blue Curacao. Er ist besoffen.
"Der Kugelschreiber, sagt er angestrengt mit fester Stimme, der Kugelschreiber war nämlich mein Freund."
Die Textmarker lachen los.
"Der war doch schwul!", kichert endlich der gelbe Textmarker.
"Sagt nicht, dass ... "
Der blaue Textmarker unterbricht seine Rede um geräuschvoll aufzustoßen.
"Sagt nicht, dass der Kugelschreiber schwul war!"
Der blaue Textmarker schwankt und entschließt sich endlich, seinen Platz wieder einzunehmen. Der rosa Textmarker bittet eine große schlanke Büroklammer um die Rechnung.
"Erst kürzlich entdeckte nämlich mein Freund, also der Kugelschreiber, die weibliche Seite in seinem Innersten.", schluchzt der blaue Textmarker.
Ein schwuler Kugelschreiber auf meinem Schreibtisch? Ich verbrühe mir die Zunge am Capuccino.
"Der Füllfederhalter, der hatte ihm dringend geraten, danach zu suchen."
Ist mein Füller etwa auch schwul?
"Seitdem der Federhalter entdeckt hat, wie wertvoll ihm die Tinte in seinem Inneren ist, hat er viel mehr Erfolg bei der Büroklammer. Das hat er mir selber erzählt."
Die große schlanke Büroklammer errötet. Sie bemüht sich, die Posten auf dem Rechnungsblock zu addieren. Die Zungenspitze schiebt sich zwischen ihre Lippen. Der blaue Textmarker schwärmt.
"Ihr kupfernes Haar leuchtet in so zauberhaften Wellen, am Abend, wenn die alten Schreibtischlampe angeht."
Der grüne, der gelbe und der rosa Textmarker treten sich gegenseitig auf die Füße. Sie treten auch dem blauen Textmarker auf die Füße, aber der bemerkt es nicht.
"Sie hatte ihm schon lange den Schraubdeckel verdreht. Es hat ihm nichts genützt, seine goldene Feder zu spreizen. Aber als er dann die weibliche Seite in seinem Innersten entdeckt hatte ..."
Die Büroklammer nennt einen viel zu niedrigen Betrag.
"Das ziehe ich ihr vom Lohn ab.", knurrt Michelangelo. Steigenberger zückt ein Büchlein und notiert Datum und Lohnabzug für die Büroklammer. Ich erkundige mich nach dem Wohnsitz des Füllfederhalters.
"Wohnsitz hat hier keiner. Entweder du findest ihn oder du findest ihn nicht."
Die Büroklammer weiß, wo der Füllfederhalters steckt. Er hat da eine Villa außerhalb der Stadt. Ein silbernes Etui mit Polstern, da kommt eine einfache Büroklammer wie sie nicht hin. Die schöne Büroklammer seufzt.
"Weiber!", knurrt Michelangelo.
"Weiß gar nicht, was die an diesem Schnösel findet."
Irgend etwas hat dem Schraubenzieher plötzlich die Laune verdorben.

"Der Kugelschreiber hat ein Auge auf die Schere geworfen."
Diese Aussage kommt unvermittelt und von hinten. Eine Allesklebertube dienert und bietet an, weitere Informationen zu beschaffen.
"Ich selber", sagt die Allesklebertube, "habe ihn ausdrücklich vor diesem Weibsstück gewarnt. 'Sieh dir den Klebestreifen an!', habe ich gesagt. 'Was war das früher für eine imposante Rolle.', habe ich gesagt."
Die Allesklebertube seufzt. Damals war auch sie noch nicht so zerdrückt. Aber dem Klebestreifen, dem war es übel ergangen. Stück für Stück hat die Schere ihn gestutzt. Weil ihm das Klebrige nicht zu Gesicht stehen würde. Sie hat ja keine Ahnung von der wahren Berufung eines Klebestreifens, diese Schere. Und nun, leer und dem Sinn seines Lebens beraubt, war der Klebestreifen der Depression anheim gefallen. Die Schere verließ ihn. Sie wollte einen Geliebten, der seinen Mann stand, einen mit einer Villa vor der Stadt. Vor der Büroklammer sollte sich der Kugelschreiber ebenso in Acht nehmen. Und er sollte hinterher nicht sagen, sie hätte ihn nicht gewarnt.
"Also diese falsche Schlange, die hat es ja faustdick hinter den Ohren. Man braucht sie ja nur anzusehen. Wie die poussiert. Und wie sie es immer wieder schafft, nach oben zu kommen und zu leuchten."
Meinen Einwand, der Kugelschreiber könne sich nicht mehr beschweren, überhörte die Allesklebertube.
"Also ich", fährt die Allesklebertube fort,"finde die Nacktheit dieser Büroklammer ja obszön. Es gibt durchaus auch vernünftige Büroklammern in diesen hübschen bunten Kleidchen. Die sind auch nicht so aufdringlich, bleiben auf dem Boden."
Die Allesklebertube streicht sich über ihre faltig gewordene Oberfläche. Die gelbe Farbe ist an einigen Stellen abgeplatzt. An einem besonders scharfen Knick in der Allesklebertube entdecke ich Spuren von Inkontinenz. Ich sehe geflissentlich darüber hinweg. Vorsichtig erinnere ich daran, dass die schöne Büroklammer doch die Freundin des Federhalters sei und nicht die des Kugelschreibers.
"Die ..." In diesem Moment nähert sich eine Gruppe Bleistifte, die Allesklebertube verabschiedet sich hastig mit einem "Wie schon gesagt, meine Lieben, ich weiß von der Sache gar nichts."und verschwindet.
Der Schraubenzieher stöhnt.
"Was war das denn?"
Und nach ein paar Schritten in irgend eine Richtung: "Haben wir jetzt ein Motiv?"
"Was denn für ein Motiv?"
"Na Eifersucht. Der Füllfederhalter ist mit der schönen Büroklammer liiert und der Kugelschreiber will auch was von ihr. Es sind immer wieder die Frauen, die Männerfreundschaften zerbrechen lassen."
Ich erinnere den Schraubenzieher an das Alibi des Federhalters. Der lag in seinem silbernen Etui.
"Dann diese falsche Schlange, die Büroklammer. Allen verdreht sie den Kopf!"
Was sollte es für die Büroklammer für einen Grund geben, den Kugelschreiber umzubringen?
"Er ist ihr auf die Schliche gekommen. Hat sie mit einem andern erwischt. Vielleicht wollte er es dem Federhalter erzählen."
"Vielleicht wollte der Kugelschreiber dem Füller von seinem eigene Verhältnis mit der Büroklammer erzählen? Scheint ja ein ehrlicher Kerl gewesen zu sein."
Der Schraubenzieher schüttelt den Kopf.
"Der Kugelschreiber hatte kein Verhältnis mit der Büroklammer. Der war nicht nur ehrlich, der war treudoof. Er hätte sich niemals an die Schnalle von seinem Freund herangemacht!"
Was für eine Schnalle? Ich denke, wir reden von der Büroklammer?
"Klar, Büroklammer, sage ich doch. Der Federhalter war ja immer unterwegs."
Der Schraubenzieher beißt sich auf die Zunge. Verlegen sieht er zu Boden.
"Dann warst du das? Du hast den Kugelschreiber umgebracht, damit der euch nicht verrät?"
"Quatsch!", der Schraubenzieher zuckt mit den Schultern.
"Glaubst du, dann wäre ich noch hier? Wenn ich erstmal aus diesem blöden Korb heraus gekommen wäre, dann wäre ich verduftet in Richtung Keller."
Das leuchtet mir ein. Bleibt der Verdacht gegen die Büroklammer. Nein, die hat an diesem Abend wie immer in Michelangelos Café bedient. Und danach?
"Sie kann's nicht gewesen sein.", sagt der Schraubenzieher und errötet erneut. Wir sind wieder so schlau wie am Anfang.
Aus der lärmenden Gruppe Bleistifte löst sich ein schlaksiger junger Kerl. Er streckt die rechte Hand mit abgespreiztem Daumen, Zeigefinger und kleinem Finger in die Höhe.
"Rock`n Roll, hey Alter, was geht ab!", spricht er den Schraubenzieher an.
Mein Begleiter spreizt die Finger in der selben Weise.
"Hey Rock`n Roll, nicht viel, Alter!"
"Hey Alter, wir gehen zum Spitz. Da ist krass die Party mit voll frisches Futter!"
Der Schraubenzieher übersetzt für mich.
"Er meint die neuen Buntstifte."

Neben mir räuspert sich höflich ein sehr kleiner, abgegriffener, tintenfleckiger, alter Bleistiftstummel.
"War ein feiner Mann, der Kugelschreiber."
Das sagen hier alle. Trotzdem ist er tot. Und allem Anschein nach hat ihn jemand umgebracht.
"Er war sehr verzweifelt.", gibt der alte Bleistift zu bedenken.
Verzweifelt? Etwa doch eine unglückliche Liebe zur schönen Büroklammer? Sein kurzer Atem zwingt den alten Bleistift zum Stehenbleiben. Wütend stößt er die Spitze eines Zahnstochers in den Korbboden.
"Habt ihr jungen Leute denn gar nichts weiter im Kopf als eure Liebschaften! Der Kugelschreiber war ein feiner Mann, er war zu etwas Höherem berufen, aber ihr denkt immer nur an Liebeleien. Ich rede hier von wahrer Leidenschaft!"

Der stark frequentierter Laden weist zumindest äußerlich Ähnlichkeiten mit einem Friseursalon auf. Ein bereits ziemlich kurz geratener Buntstift wird von meinem guten alten Bleistiftspitzer umtänzelt. Der bemüht sich, den Stift in eine funktionsfähige Form zu bringen und dabei die maximal mögliche Anzahl von Nachrichten jeglicher Art zu erhalten oder loszuwerden. Mit einem kleinen Besen, den ich als einen lange vermissten Bestandteil meiner Kosmetiktasche identifiziere, entfernt der Spitzer noch rasch ein paar Späne von den schmalen Schultern des Buntstiftes. Dann wendet er sich mir zu. Ich ziehe den Kopf ein.
"Hast du das Rätsel gelöst?"
Das Messer des Bleistiftspitzers glänzt bedrohlich. Ich schüttle wortlos den Kopf.
"Was meinst du, was hier meine Aufgabe ist?"
"Stifte anspitzen?"
Der Bleistiftanspitzer wechselt die Gesichtsfarbe.
"Du siehst nur das Sichtbare. Du siehst gar nichts."
Auf einmal löst sich der Bleistiftanspitzer vor meinen Augen in Luft auf. Seine Stimme dröhnt durch einen unsichtbaren Lautsprecher.
"Ich bin das Medium! Ich mache die Nachrichten! Ich bin das Radio! Ich bin das Fernsehen! Ich bin die Zeitung! Jeder hat seine Berufung!"
Der Bleistiftanspitzer erscheint wieder in Originalfarbe. Auf der Stelle beginnt er zu schrumpfen. Kurz bevor er seine gewöhnliche Größe erreicht hat, haucht er:
"Ich würde sonst auch sterben."

Ich erwache. In meiner Hand halte ich einen Schraubenzieher. Ich trage ihn auf seinen Platz in den Keller. Meine Zungenspitze schmerzt ein wenig. Es fühlt sich an, als hätte ich sie mir verbrüht.

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Lupo
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 364
Wohnort: Pegnesien


Beitrag31.01.2013 08:12
Ich bin ein Locher,
von Lupo
Antworten mit Zitat

holt mich hier raus!
Liebe Stiftin,
wenn man im Lager von McPaper einschläft, dann kann so ein Traum mit seinem anfänglichen Unterhaltungswert recht erfrischend wirken. Bald jedoch trete ich auf einen alten Kaugummi, der sich unter meinem Schuh in die Länge zieht und mich nicht voran kommen lässt. Die Parabeläste der Bild- und Sachebene sind hier nur schwach gespreizt, was mich in meiner Vorstellung als einen unfreiwilligen Zuhörer am Nebentisch dieser Runde festhält, wo die Belegschaft nach einem Betriebsausflug sich in alkoholgelockerten Vertraulichkeiten ergeht.
Einige Formulierungen würde ich anders gestalten:
""Sie lebt!", schreit die halbe Nußschale. " ruft
""Sie sind dumm.", raunt er mir zu. "Sie halten diesen Schreibtisch für die Welt." Hier wir eine mögliche Schlusspointe vorweggenommen.
"Mit dem Kerl meint er wahrscheinlich meinen Mann." Unnötiger Kommentar!
""Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Die Obduktion ergab, dass er nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Er ist in seinem Innersten zerbrochen!" Bitte auch im Traum ein Mindestmaß an Logik! Der Schere als Zeugin wird unterstellt, sie habe den Kuli bereits obduziert.
"Gruppe kleiner bunter Büroklammern fällt unisono in Ohnmacht." unisono heißt gleichlautend. Was sagen sie denn, während sie in Ohnmacht fallen?
"Die Hüfte ist bei einer Schere da, wo der Niet sitzt, " Ich blöder Leser habe noch nie eine Schere gesehen und muss wohl für diese Erläuterung dankbar sein.
" Scheren sind recht ansehnliche Gestalten," Wieder so einer der häufigen Kommentare!
"hinterlassen dabei eine Bugwelle " Die Bugwelle schwillt am Bug, also vorn. Was sie hinterlassen könnte, wäre ein Kielwasser.
"Der Platz um mich herum wird weit und allem Anschein nach ohne Grenzen." wird grenzenlos weit
""Wenn irgend einer ein krummes Ding gedreht hat, wissen die beiden mit Sicherheit darüber Bescheid." Welche beiden? Die Gruppe von Buntstiften?
"Hier ist er also gelandet, als Lakai meines Eierlöffels. Unrecht Gut gedeiht nicht." Unnötiger Kommentar.
"Er versucht zu katzbuckeln." Dito
"Eine Allesklebertube dienert und bietet an, weitere Informationen zu beschaffen." zu liefern. Sie muss nicht erst recherchieren, weil sie schon alles zu wissen glaubt.
"Die Allesklebertube seufzt. Damals ... nicht sagen, sie hätte ihn nicht gewarnt." Erzählt das alles die Tube? Oder wer?
" ein sehr kleiner, abgegriffener, tintenfleckiger, alter Bleistiftstummel. " Gehen hier nicht noch mehr Adjektive rein? Lackschuppig, stumpfminig, matschholzig, spuckmuffig?
"Der stark frequentierter Laden weist zumindest äußerlich Ähnlichkeiten mit einem Friseursalon auf." Ja und? Was soll diese Information?
"Es fühlt sich an, als hätte ich sie mir verbrüht." Sie! Cappuccino im Schlaf getrunken?

Bedienung! Die Rechnung bitte, ich möchte gehen! Lupo.
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Schreib vor Glück
Schneckenpost
S


Beiträge: 6



S
Beitrag02.02.2013 18:58
Kritik zur Schreibtischtäter-Geschichte
von Schreib vor Glück
Antworten mit Zitat

Hallo Stift,

danke für das Einstellen Deines Textes.

Die Idee fand ich als Fingerübung ganz nett und nehme an, dass Du das auch als warm-up für etwas anderes geschrieben hast.

Ich würde stark kürzen und generell sehr viel weniger Protagonisten auftauchen lassen und den Szenenort eher zusätzlich begrenzen (vielleicht nur die kleine Kramkiste), statt ihn endlos weit werden zu lassen. Dann wird die Erzählung vielleicht dichter und verliert an Längen.

Du hast ein Faible für Vollständigkeit: Alle Gegenstände des Schreibtischs sollen erfasst werden und die Textmarker müssen sich alle in die Seite stoßen, nacheinander. Das schafft beim Leser eher Langeweile, weil wir alle bereits wissen, was so auf dem Schreibtisch herumliegen kann.

Noch zwei logische Brüche: Sie setzt sich von Schreibtisch weg in die Sofaecke. Wie kommt sie von da wieder an/auf den Tisch? Lass Sie sich doch am Schreibtisch betrinken, dann hast Du sie an Ort und Stelle. Und, zweiter Bruch: Lass Sie dort auch brummschädelig wieder aufwachen. Die Geschichte hat genug Fantastisches im Mittelteil, da brauch ich als Leserin wenigstens einen logischen Grund, von dem aus ich starte und wo ich wieder lande. Deshalb wurde ich dort auch noch ein bißchen textlich ausbauen. Ich "sehe" die Hauptprotagonistin nämlich nur schlecht, alle anderen sind ja, zum Teil übergenau, beschrieben.

Die Krimistory nimmt bei dem langen Handlungsbogen keine Fahrt auf. Ich habe auch die Auflösung nicht erfasst. Anscheinend sehe auch ich nur das Sichtbare?

Herzliche Grüße,
Schreib vor Glück!
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