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Ich will zu dir


 
 
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ricochet
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 68
Beiträge: 389
Wohnort: Graz


Beitrag16.01.2012 12:59
Ich will zu dir
von ricochet
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich kann dich förmlich sehen, mein Liebling, wie du auf dem schmalen Schotterweg stehst, der mich von meinen Nachbarn trennt. Vermutlich fasst deine Linke den Schal, da du im spätherbstlichen Wind nicht frieren möchtest, die Rechte weilt tief im Mantelsack vergraben. Aus deinen Augen laufen Tränen die Wangen hinunter, zwei gute Bekannte aus zärtlichen Momenten, aus Küssen und Berührungen der Leidenschaft. Ich hoffe, es schadet deinem Make-up nicht. Verwendest du immer noch so viel Zeit jeden Morgen darauf und so viel Geld im Schönheitssalon?
Du hast mich über zwei Jahre gepflegt, mein Liebling, warst über viele Jahre meine teure Gattin, später meine liebe Krankenschwester. Unerschütterlich bliebst du an meiner Seite und ich fand keine Gelegenheit, dir zu danken. Du weißt ja, wie sich gegen Ende hin die Ereignisse überstürzten. Wenn nicht du, wer dann? Du entsinnst dich bestimmt meiner verzweifelten Handbewegung, als ich nicht mehr reden konnte. Da wollte ich dir noch etwas mitteilen. Leider war ich bereits außerstande.
Mag sein, du wünschst dir nun einen kurzen Besuch bei mir, sozusagen in einer Art Zwischenreich, in dem wir uns für einen Atemzug der Ewigkeit zärtlich die Hände reichen, um dann für immer im Guten auseinanderzugehen. Oder gar einen Kuss, da der Schmerz dich drängt. Glaube mir, es wäre keine gute Idee. Es möchte gut und gern dein Ende sein. Reicht es nicht, wenn einer von uns beiden tot ist?
Da habe ich eine bessere Idee. Ich komme zu dir. Ja, ich will zu dir. Du wirst es sehen, bald bin ich bei dir. Vielleicht ist es richtig, was man sagt und manche Liebe oder sonstige mächtige Gefühle überdauern selbst den Tod.
Allerdings, bevor ich es vergesse: Ich sehe ihn auch; ihn, der wahrscheinlich eine Armlänge hinter dir steht, sofern er noch so etwas wie ein Gewissen hat. Er, der meine Medizin verschrieben hat, die du mir so überreichlich eingeflößt hast, ohne Rücksicht auf die Nebenwirkungen, an denen ich am Ende gestorben bin. Und den Totenschein hat er auch ausgestellt, er – du weißt, von wem ich rede.
Ihr wart der Meinung, eure Konspiration sei mir entgangen, aber ich war krank, nicht verblödet. Während ihr mich schlafend wähntet, lauschte ich euren Worten und allem, was ihr sonst noch getrieben habt Es war durchaus aufschlussreich, als ihr von Woche zu Woche die Lage einschätztet, wie lange ich noch durchhalten würde ...
Als es dann soweit war, beugtest du dich über mich, um dich zu überzeugen, dass es sich in der Tat um mein letztes Röcheln handelte. Da wollte ich dich packen, ich wollte dir an die Gurgel, auf dass du mit mir in die Ewigkeit fährst, in die Finsternis, zu den Würmern. Es reicht nämlich keineswegs, wenn nur ich steif, stinkend nach Verwesung im Sarg liege und der Ewigkeit entgegendämmere.
Ihr Lebenden sperrt uns Toten in Särge ein, beschwert uns mit meterdicker Erde, aus der zu guter Letzt ein Grabstein ragt, vorzugsweise Granit oder Marmor, je schwerer, desto besser. Und all das aus Angst, wir kehrten zurück in eure Welt, die ihr euch so fein eingerichtet und geplant habt. Und weißt du was, mein Liebling? Ihr habt Recht. Zu Zeiten werden um Mitternacht Kräfte frei, von denen du keine Ahnung hast. Wie der Volksmund sagt kann der Glaube Berge versetzen. Was sind da Sargdeckel, Grabsteine, oder gar deine lächerlichen Kerzchen?
Ich will zu dir. Du wirst es sehen, bald bin ich bei dir. Aber wenn ich komme, wird es nicht aus Rache geschehen. Da ich nun seit Zeiten, die ich nicht einzuschätzen vermag, hier unten liege, kann ich dir nicht mehr böse sein. Der Kuss der Ewigkeit enthob mich jeder Rachegelüste. Im Angesicht des Jenseits fühle ich mich frei aller niederen Absichten. Ich tue hier Blicke in das Universum, ein berauschender Reigen von Visionen, die jeder Beschreibung spotten. Es ist mein tiefster Wunsch, du mögest gemeinsam mit mir in diese Weiten des Universums blicken. Ich will ich dich zu mir holen, damit du ebenfalls an dieser Herrlichkeit partizipieren kannst. Ja, es ist wirklich so, ich werde als Freund kommen, als guter sogar.
Ich werde mich auch bemühen, dich nicht zu erschrecken, ich möchte nicht, dass dir die Würmer aus meinem Gesicht in den Ausschnitt fallen. Es kann durchaus bedeuten, dass dein Tod im meinem Gefolge sein wird, aber es steht nicht in meiner Macht, das zu ändern. Was ist das schon im Vergleich zu dem, was ich dir bieten kann? Auch du musst einmal sterben, was liegt schon daran, wenn es ein paar Jahre früher sind? Ach, du und er, ihr habt meine Erbschaft noch nicht verprasst ... Schließlich ist es ja darum gegangen, mich unter die Erde zu kriegen, solange du von meinem Geld noch etwas hast. Ich fürchte, darauf werde ich keine Rücksicht nehmen können. Lass mich dir zeigen, was wirklicher Reichtum ist. Wenn du alle Zeit der jenseitigen Welt zur Verfügung hast, wirst du mir dankbar sein.
Ich will zu dir, mein Liebling, und ich werde kommen, bald. Du wirst es sehen, du wirst mich sehen ... Und es wird dein Ende sein.



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Phenolphthalein
Geschlecht:männlichKlammeraffe


Beiträge: 838

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Beitrag16.01.2012 16:15

von Phenolphthalein
Antworten mit Zitat

Hallo ricochet!

Die Geschichte finde ich interessant und ich kann nichts Handfestes kritisieren.
Also versuche ich es mal mit einer vermutlich vollkommen subjektiven Betrachtung.

ricochet hat Folgendes geschrieben:
Du entsinnst dich bestimmt meiner verzweifelten Handbewegung, als ich nicht mehr reden konnte. Da wollte ich dir noch etwas mitteilen. Leider war ich bereits außerstande.

Das geht aus dem hervor, was davor steht. Ich hätte das weggelassen.

ricochet hat Folgendes geschrieben:
Glaube mir, es wäre keine gute Idee. Es möchte gut und gern dein Ende sein. Reicht es nicht, wenn einer von uns beiden tot ist?

Das bedeutet sicherlich, dass er es nicht weiß, oder?  Hm, darüber bin ich gestolpert. (Auch beim zweiten Lesen). Ich kann nur nicht sagen warum? Wink

ricochet hat Folgendes geschrieben:
Ihr Lebenden sperrt uns Toten in Särge ein, beschwert uns mit meterdicker Erde, aus der zu guter Letzt ein Grabstein ragt, vorzugsweise Granit oder Marmor, je schwerer, desto besser. Und all das aus Angst, wir kehrten zurück in eure Welt, die ihr euch so fein eingerichtet und geplant habt.

Das ist zwar für die Einschätzung des Protagonisten (und die Geschichte) wichtig, aber ich glaube, dass das auf die meisten Menschen als Grund nicht richtig ist.

ricochet hat Folgendes geschrieben:
Im Angesicht des Jenseits fühle ich mich frei aller niederen Absichten.

Das passt aber nicht zudem was du zuvor geschrieben hast noch zudem, was folgt.

Warum will er denn zum Beispiel unbedingt zu ihr? Wirklich, weil er ihr die Unentgeltlichkeit des Jenseits zeigen will? Ich denke, dahinter liegen hauptsächlich egoistische Motive.
- es steht nicht in meiner Macht, das zu ändern. Doch, er könnte fortbleiben
- darauf werde ich keine Rücksicht nehmen können. Doch, er könnte immer noch fortbleiben  Wink
- Auch du musst einmal sterben, was liegt schon daran, wenn es ein paar Jahre früher sind?  Das kann man auch genauso andersrum sehen. Schließlich erwartet sie die Unendlichkeit, ob nun einige Jahre früher, oder später.
Wenn du diesen "Konflikt" mit deiner Geschichte beabsichtigt hast, dann entschuldige was ich geschrieben habe.

Ich hoffe diese Eindrücke helfen Dir weiter.

Liebe Grüße


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-Arthur Schopenhauer
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ricochet
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 68
Beiträge: 389
Wohnort: Graz


Beitrag16.01.2012 18:02

von ricochet
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Lieber Phenolphthalein,

danke für deine fundierte Auseinandersetzung mit dem Text.

Phenolphthalein hat Folgendes geschrieben:

ricochet hat Folgendes geschrieben:
Ihr Lebenden sperrt uns Toten in Särge ein, beschwert uns mit meterdicker Erde, aus der zu guter Letzt ein Grabstein ragt, vorzugsweise Granit oder Marmor, je schwerer, desto besser. Und all das aus Angst, wir kehrten zurück in eure Welt, die ihr euch so fein eingerichtet und geplant habt.

Das ist zwar für die Einschätzung des Protagonisten (und die Geschichte) wichtig, aber ich glaube, dass das auf die meisten Menschen als Grund nicht richtig ist.


Oh doch. Nach Werner Fuchs ("Todesbilder in der modernen Gesellschaft") ist es in der Tat eine kollektive Urangst aller Lebenen, die Toten könnten ins Reich des Lebendigen zurückkehren. Daher sämtliche Begräbnisriten, die einzig und allein den Zweck haben, die Toten mögen dort bleiben, wo sie sind.

Du schreibst:
- es steht nicht in meiner Macht, das zu ändern. Doch, er könnte fortbleiben
Gemeint ist, dass es nicht in des Protagonisten Macht steht, ob er den Tod mitbringt.

ricochet hat Folgendes geschrieben:
Im Angesicht des Jenseits fühle ich mich frei aller niederen Absichten.

Das passt aber nicht zudem was du zuvor geschrieben hast noch zudem, was folgt.

Der Prot fühlt sich frei, ob er es in einem objektiven Sinne wirklich ist, ist damit nicht gesagt.

danke für die übrigen Hinweise, ich werde sie mir durch den Kopf gehen lassen.

LG


rico


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Phenolphthalein
Geschlecht:männlichKlammeraffe


Beiträge: 838

DSFo-Sponsor


Beitrag16.01.2012 18:45

von Phenolphthalein
Antworten mit Zitat

Hallo rico!

ricochet hat Folgendes geschrieben:
danke für deine fundierte Auseinandersetzung mit dem Text.


Oh, danke!  Ein nettes Kompliment! Smile

ricochet hat Folgendes geschrieben:
Der Prot fühlt sich frei, ob er es in einem objektiven Sinne wirklich ist, ist damit nicht gesagt.


Da muss ich Dir recht geben. Da habe ich wohl mit meiner Interpretation etwas übers Ziel hinausgeschossen.  Embarassed



Liebe Grüße

Phenolphthalein


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hexsaa
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Beitrag16.01.2012 18:49

von hexsaa
Antworten mit Zitat

Hallo ricochet,

Interessanter Text. Ist er Teil eines größeren Werkes oder handelt es sich um eine Kurzgeschichte? Wäre auf jedem Fall ein Einstieg der mich neugierig macht.

Zitat:
Ihr wart der Meinung, eure Konspiration sei mir entgangen, aber ich war krank, nicht verblödet. Während ihr mich schlafend wähntet, lauschte ich euren Worten und allem, was ihr sonst noch getrieben habt


Wenn er wusste, dass seine Frau und ihr Liebhaber ihn ermordern wollten, warum hat er sich nicht gewehrt? Vielleicht solltest du das in ein oder zwei Sätzen erklären.

Zitat:
Ihr Lebenden sperrt uns Toten in Särge ein, beschwert uns mit meterdicker Erde, aus der zu guter Letzt ein Grabstein ragt, vorzugsweise Granit oder Marmor, je schwerer, desto besser. Und all das aus Angst, wir kehrten zurück in eure Welt, die ihr euch so fein eingerichtet und geplant habt. Und weißt du was, mein Liebling? Ihr habt Recht.


Das ist meiner Meinung nach der coolste Abschnitt des Textes.  wink

Zitat:
Es kann durchaus bedeuten, dass dein Tod im meinem Gefolge sein wird, aber es steht nicht in meiner Macht, das zu ändern. Was ist das schon im Vergleich zu dem, was ich dir bieten kann? Auch du musst einmal sterben, was liegt schon daran, wenn es ein paar Jahre früher sind?


Den ersten Satz finde ich etwas missverständlich. Bedeutet es, dass sie sterben könnte, sollte er tatsächlich zurückkommen?
Auch der nächste Satz erscheint mir seltsam. Ich würde irgendetwas in der Art vorziehen: Auch du musst einmal sterben, was macht es schon für einen Unterschied, wenn es ein paar Jahre früher sind?

Ansonsten:  Daumen hoch

Lg
hexsaa


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ricochet
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Alter: 68
Beiträge: 389
Wohnort: Graz


Beitrag16.01.2012 19:17

von ricochet
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo hexsaa,

hexsaa hat Folgendes geschrieben:

Zitat:
Ihr wart der Meinung, eure Konspiration sei mir entgangen, aber ich war krank, nicht verblödet. Während ihr mich schlafend wähntet, lauschte ich euren Worten und allem, was ihr sonst noch getrieben habt


Wenn er wusste, dass seine Frau und ihr Liebhaber ihn ermordern wollten, warum hat er sich nicht gewehrt? Vielleicht solltest du das in ein oder zwei Sätzen erklären.


Als der Prot merkt, wie ihm wirklich geschieht, ist es zu spät, er kann sich nicht mehr wehren. Aber du hast recht, das muss deutlicher rüber. Danke für den Hinweis.

Auch deine zweite Anregung ("was macht es für einen Unterschied ...") werde ich übernehmen.

Es handelt sich um eine KG.

LG


rico


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