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Der Lauf der Welt


 
 
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Karl W.
Geschlecht:männlichErklärbär
K

Alter: 35
Beiträge: 4



K
Beitrag13.03.2012 03:38

von Karl W.
Antworten mit Zitat

Hallo!
Ich habe mich erst kürzlich hier im Forum angemeldet und Deine Geschichte ist die erste, die ich vollständig (und mehrmals) durchgelesen habe.

Zunächst zum Stil: Der gefällt mir nämlich recht gut und ist dem Inhalt weitestgehend angemessen. Die Sprache ist klar, nicht zu über-ambitioniert und bleibt dennoch vom Ende bis zum Anfang interessant.

Bei der Beschreibung von Gewaltszenen besteht oft die Gefahr übers Ziel hinaus zu schießen. Es ist ein Vorurteil das man aus Film und Fernsehen kennt: Je expliziter das Bild, desto intensiver der Eindruck. Das trifft für Filme nur selten zu, in der Literatur aber so gut wie nie. Dies berücksichtigend finde ich den ersten Abschnitt, in dem du die Gewaltszene hinter dem Bahndamm beschreibst, am Besten gelungen. Das Nötige wird gesagt, manches ausgeführt aber nicht alles auf den Punkt gebracht. "Irgendwann frieren die Schmerzen ein."
Das gelingt Dir an anderen Stellen für meinen Geschmack nicht ganz so gut:  "Ich sehe die gebleckten Zähne, sie stechen in die blutigen Muskeln und reißen das Fleisch in Stücke."
 
Was den letzten Textabschnitt betrifft würde ich mich dem Kritikpunkt meines Vorredners anschließen: "Und dann wird mir klar, dass gleich meine Schädeldecke zerspringen wird." Ich würde Behaupten, es kann jemandem überhaupt nicht 'klar werden', dass ihm gleich die Schädeldecke zerspringt, dafür ist die Verletzung viel zu abstrakt. Es liegt einfach zu viel "Splatter" in dieser Beschreibung, deshalb funktioniert sie nicht.
Trotzdem, was den Stil betrifft ein solider Text, den ich sehr gerne gelesen habe.
Inhaltlich habe ich an der Geschichte allerdings einiges auszusetzen. Bei der Wahl des Themas, den Figuren und der Behandlung des Themas fühle ich mich in negativer Weise an den Deutschunterricht der 8. und 9. Klasse erinnert. Die Pointe, die 'Moral' der Geschichte scheint einfach zu stark durch den Text hindurch und unterfordert den Leser dadurch. Das Thema ist nun einmal relativ abgegriffen und gerade deshalb ist es sehr schwierig  sich literarisch damit auseinanderzusetzen, ohne dass man dabei gängigen Klischees verfällt. Auf der einen Seite grobe Nazi-Schläger mit braunem Mantel, auf der Anderen Seite ein geistvoller, schwarzer Musiker der sich stets um einen Dialog bemüht. Bitte nicht falsch verstehen, aber das sind für mich Schablonen, Typen denen ihre "Moralität", ihre Eigenschaften sozusagen schon von vorherein eingeschrieben sind und keine plastischen, glaubwürdigen Figuren die sich auf einer Handlungsebene charakterisiert werden. Zugegebenermaßen ist es auch kein leichtes Unterfangen in einer Kurzgeschichte oder einem kurzen Text lebendige Figuren zu umreißen ohne sich dabei in ausufernden Beschreibungen derselben zu verlieren.
Die Geschichte eröffnet daher in ihrer Aussage für mich nichts Neues, fördert nichts zu tage und fordert nicht heraus, sie versucht sich stattdessen mit ethischen Gemeinplätzen bei ihrer potenziellen Leserschaft anzubiedern und das ist aufgrund des durchaus gelungenen Stils umso bedauernswerter.
Nun, ich hoffe die Kritik war nicht zu hart und du kannst mit einigen Punkten die ich angeführt habe irgendetwas anfangen. Grundsätzlich würde ich versuchen die Idee "hinter" der Geschichte subtiler zu verpacken und weniger um einen Gedanken herum zu schreiben, als vielmehr eine Quintessenz erst aus dem Prozess des Schreibens heraus zu entwickeln.


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MT
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Beitrag15.03.2012 09:41

von MT
Antworten mit Zitat

Karl W. hat Folgendes geschrieben:
Hallo!
Ich habe mich erst kürzlich hier im Forum angemeldet und Deine Geschichte ist die erste, die ich vollständig (und mehrmals) durchgelesen habe.

Zunächst zum Stil: Der gefällt mir nämlich recht gut und ist dem Inhalt weitestgehend angemessen. Die Sprache ist klar, nicht zu über-ambitioniert und bleibt dennoch vom Ende bis zum Anfang interessant.

Bei der Beschreibung von Gewaltszenen besteht oft die Gefahr übers Ziel hinaus zu schießen. Es ist ein Vorurteil das man aus Film und Fernsehen kennt: Je expliziter das Bild, desto intensiver der Eindruck. Das trifft für Filme nur selten zu, in der Literatur aber so gut wie nie. Dies berücksichtigend finde ich den ersten Abschnitt, in dem du die Gewaltszene hinter dem Bahndamm beschreibst, am Besten gelungen. Das Nötige wird gesagt, manches ausgeführt aber nicht alles auf den Punkt gebracht. "Irgendwann frieren die Schmerzen ein."
Das gelingt Dir an anderen Stellen für meinen Geschmack nicht ganz so gut:  "Ich sehe die gebleckten Zähne, sie stechen in die blutigen Muskeln und reißen das Fleisch in Stücke."
 
Was den letzten Textabschnitt betrifft würde ich mich dem Kritikpunkt meines Vorredners anschließen: "Und dann wird mir klar, dass gleich meine Schädeldecke zerspringen wird." Ich würde Behaupten, es kann jemandem überhaupt nicht 'klar werden', dass ihm gleich die Schädeldecke zerspringt, dafür ist die Verletzung viel zu abstrakt. Es liegt einfach zu viel "Splatter" in dieser Beschreibung, deshalb funktioniert sie nicht.
Trotzdem, was den Stil betrifft ein solider Text, den ich sehr gerne gelesen habe.
Inhaltlich habe ich an der Geschichte allerdings einiges auszusetzen. Bei der Wahl des Themas, den Figuren und der Behandlung des Themas fühle ich mich in negativer Weise an den Deutschunterricht der 8. und 9. Klasse erinnert. Die Pointe, die 'Moral' der Geschichte scheint einfach zu stark durch den Text hindurch und unterfordert den Leser dadurch. Das Thema ist nun einmal relativ abgegriffen und gerade deshalb ist es sehr schwierig  sich literarisch damit auseinanderzusetzen, ohne dass man dabei gängigen Klischees verfällt. Auf der einen Seite grobe Nazi-Schläger mit braunem Mantel, auf der Anderen Seite ein geistvoller, schwarzer Musiker der sich stets um einen Dialog bemüht. Bitte nicht falsch verstehen, aber das sind für mich Schablonen, Typen denen ihre "Moralität", ihre Eigenschaften sozusagen schon von vorherein eingeschrieben sind und keine plastischen, glaubwürdigen Figuren die sich auf einer Handlungsebene charakterisiert werden. Zugegebenermaßen ist es auch kein leichtes Unterfangen in einer Kurzgeschichte oder einem kurzen Text lebendige Figuren zu umreißen ohne sich dabei in ausufernden Beschreibungen derselben zu verlieren.
Die Geschichte eröffnet daher in ihrer Aussage für mich nichts Neues, fördert nichts zu tage und fordert nicht heraus, sie versucht sich stattdessen mit ethischen Gemeinplätzen bei ihrer potenziellen Leserschaft anzubiedern und das ist aufgrund des durchaus gelungenen Stils umso bedauernswerter.
Nun, ich hoffe die Kritik war nicht zu hart und du kannst mit einigen Punkten die ich angeführt habe irgendetwas anfangen. Grundsätzlich würde ich versuchen die Idee "hinter" der Geschichte subtiler zu verpacken und weniger um einen Gedanken herum zu schreiben, als vielmehr eine Quintessenz erst aus dem Prozess des Schreibens heraus zu entwickeln.

Moin Karl,

ich danke Dir herzlich für Deine Auseinandersetzung mit meinem Text. Und sei unbesorgt - auch wenn Dir Manches daran nicht gefällt, Deine Kritik kann ich gut "vertragen". wink

Zu viel Splatter, sagst Du. Ja und nein, sage ich. Das Fleisch und die Zähne sind - jetzt, da der Text bei mir eine Zeit abgehangen ist - auch m. E. zu viel. Das würde ich heute anders machen.
Nicht so dagegen den finalen Schlag. Hier soll ein Ausrufezeichen stehen, eine Abhebung vom Bisherigen. Ich finde es noch immer gelungen. Embarassed

Natürlich gibt es die unterschiedlichsten Graustufen. Hier aber habe ich mich bewusst für Schwarz-Weiß-Malerei entschieden. Denn allzu oft wird apostrophiert, man solle/dürfe/könne nicht so denken, so sei das Leben nicht. Ich sage: doch! So ist das Leben auch. Leider. Und zum Glück nur selten. Aber doch ab und an. Gerade im Bereich des Ausländerhasses, des radikalen Rassismus´ wird nach meinen Erfahrungen selten abgestuft, die Fronten sind klar. Und insoweit war es mein Ansinnen, ein Abbild der Realität zu schaffen, dass es auch gibt.

LGMT


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MT
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Beitrag24.09.2012 17:12
Wolken können uns nichts anhaben
von MT
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Ein herzliches Hallo an die Forumsgemeinde!
Für eine evtl. Teilnahme an einem Wettbewerb habe ich einen Text überarbeitet, der hier bereits als "Der Lauf der Welt" eingestellt war (siehe: http://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?t=32747). Bevor ich ihn abschicke, wäre es großartig, wenn ihr mal drüberschauen und einen Kommentar hinterlassen könntet. Thema des Wettbewerbs: Worte gegen Rechts.

Besten Dank!
Euer MT




Wolken können uns nichts anhaben


Sie haben mich hinter den Bahndamm geschleppt. Noch immer ist die Luft erfüllt vom Brandgeruch, das Feuer ist vier Tage her.
Manchmal, wenn meine Hoffnungen schwinden wie abziehender Rauch, dann höre ich Großvaters Worte:
„Selbst hinter dicksten Wolken leuchten am Nachthimmel die Sterne.“
„Aber dann kann ich die Sterne doch nicht sehen“, gab ich ihm als Kind einmal zur Antwort. Großvater lächelte, er küsste meine Stirn und sagt:
„Yaris, mein Junge. Wolken können uns nichts anhaben. Wir schieben sie mit unseren Herzen davon.“
Ich liege auf dem matschigen Dezemberboden, nicht weit entfernt von der Brandruine. Mein Gesicht ist blutverschmiert, die Unterlippe geplatzt. Wieder landet ein Tritt in meinem Bauch. Wie ein glühendes Eisen zieht der Schmerz den Hals hinauf. Hoch geschnürte Stiefel. Dirks Stiefel, in seiner Gruppe nennen ihn alle den Bannführer.
Die anderen um ihn herum lachen, einer kippt mir Bier auf den Kopf.
„Na, Gitarrenmann, ohne Klampfe unterwegs?“ Dirk lässt ein paar Mal den Baseballschläger gegen meine Stirn ticken.
„Komme auch ohne zurecht“, sage ich.
„Halt dein scheiß Maul, Nigger!“, schreit er zurück und tritt mir in die Rippen. Zweimal, dreimal, immer wieder. Bis der Schmerz zu Eis gefriert. Ich spüre nichts mehr. Dämmerung setzt ein.

*

Ein Protestmarsch. Von Gewerkschaften und Kirchen organisiert. Im Anschluss fand ein Konzert auf dem Marktplatz statt. Mit meinen drei Bandmitgliedern saß ich auf der Bühne, Gitarren, Bongos, Querflöte. Wir spielten eigene Songs, die Zuhörer applaudierten. Ein Stück trug den Titel Love in loveless times und handelte von der Liebe zweier Menschen in Zeiten des Mauerbaus. Bei meinem Gitarrensolo sah ich Tränen. Vor dem alten Rathaus war es still geworden.
Bis sich die Bomberjacken in die Veranstaltung schoben. Polizei griff ein, dennoch geriet die Situation außer Kontrolle. Wir rannten zur Rathaustreppe. Dort versperrten vier der Männer den Aufgang. Einer stach hervor. Er hatte seine schwarzen Haare zu einem Seitenscheitel gegelt, trug Stiefel mit roter Schnürung und einen langen, schwarzen Ledermantel.
„Bei uns ist kein Platz für scheiß Niggermusik“, sagte er, und schon rissen die anderen unsere Instrumente an sich und zerschlugen sie auf den Stufen.
„Dirk, die Bullen“, rief einer, doch der bewegte sich mit der Gelassenheit eines Mannes, der eine Situation einschätzen konnte. Ganz dicht trat er an mich heran.
„Sag Deiner Drecksmutter, sie soll sich in ihren Niggerbusch verkriechen, wo sie hergekommen ist.“
Ich schüttelte den Kopf und sagte:
„Instrumente könnt ihr zerstören! Aber die Lieder, die sind in uns drin!“
Wieder brüllte einer: „Los, Mann, lass uns abhauen!“
Dirk packte mich am Kragen.
„Ich gebe Dir einen guten Rat, Nigger: Lass die Singerei!“
Darauf landete sein Knie zwischen meinen Beinen. Offenbar misstraute er der Wirkung seiner Worte.

*

Regen prasselt auf den Feldweg und läuft in mäandernden Rinnsalen ab. Die Kleidung zerrissen, liege ich da und stelle mir meinen Körper als ein Stück Fleisch vor, das man Hunden zum Fraß vorgeworfen hat. Ich sehe die gebleckten Zähne, sie stechen in die roten Muskeln.
„Los“, sagt der Bannführer und gibt den Männern ein Zeichen. Sie schleifen mich zur Betonkante, die den Weg säumt. Der Bannführer kniet sich vor mich und grinst wie einer, der Überlegenheit spürt.
„Sag, Nigger, verstehst du meine deutsche Sprache?“
„Wahrscheinlich mehr als du.“ sagte ich, und meine Unterlippe puckerte an der eingerissen Stelle.
Der Bannführer nickt langsam, der Regen tropft von seinem Gelscheitel. Er steht auf, zieht ein Blatt Papier aus seiner Manteltasche und wirft es vor mir in den Matsch.
„Dann lies!“, sagt er.
Als ich die Worte sehe, sehe ich den Brand. Die Verletzten. Die viele Kinder.

*

Sie hatten gesammelt. Grundschüler, Mitglieder der Sportvereine aus dem Viertel. Die Aktion war von uns Streetworkern ins Leben gerufen worden, und selbst die Mitarbeiter der Stadtverwaltung hatten sich nicht lumpen lassen.
Eine Weihnachtsfeier im Asylbewerberheim – das hatte es noch nie gegeben. Die Bewohner des Bezirks waren eingeladen. Ein Tannenbaum stand im Gemeinschaftsraum, Geschenke für groß und klein darunter.
Leuchtende Kinderaugen. Der Geruch von Kaffee und Gebäck. Zögerlich betraten die Ersten den Saal, prüfend, doch schon bald war jeder Platz besetzt. Viele aus den angrenzenden Straßen waren gekommen. Menschen aller Herren Länder tasteten sich ab, nickten sich zu, gaben sich die Hand. Man sprach gestenreich, ersetzte Worte durch Lächeln. Fotos der Familien von nah und fern, Geschichten aus den Dörfern der Heimat, Offenheit für fremde Lebensbilder. Wie betrunken war ich von der Freude, die in den Raum erfüllt hatte. Ich nahm meine Gitarre:
„When the night comes and the darkness begins to reign. We all have a dream. And we never talk in vain.”
Die erste Strophe aus Love in loveless times. In den Augen der Menschen funkelte Kerzenschein.
Bis die Brandsätze durch die Fenster schlugen. Sofort vereisten alle Träume. Schreie, brennende Kleider, Entsetzen und Furcht in den Gesichtern. Alles floh zu den Ausgängen. Ein paar Meter neben mir brüllte mein Kollege Oliver in sein Telefon. Ich drehte mich um und sprang aus einem der Fenster.
„Yaris, nein!“, schrie er mir nach. Aber ich rannte auf die Kerle zu, die noch immer ihre brennenden Botschaften schleuderten. Einen von ihnen stieß ihn zu Boden. Ein Martinshorn erklang. Ich riss dem Mann die Maske vom Gesicht. Er befreite sich und packte mich am Kragen. Es dauerte nur einen Wimpernschlag, doch wir hatten uns wieder erkannt.
Sie rannten davon. Oliver kam und half mir auf, lange sahen wir uns an. Dann sagte er:
„Wir machen weiter! Jetzt erst recht.“

*

„Lies endlich!“, brüllt der Bannführer. „Wenn du meine deutsche Sprache verstehst, dann lies!“
ICH HABE NIEMANDEN ERKANNT, steht auf dem Zettel. Die Buchstaben scheinen zu schweben, ich kann sie kaum erkennen. Unter Schmerzen hole ich Luft.
„When the night comes“, beginne ich mehr zu hauchen. Jede Silbe hinterlässt einen brennenden Schmerz. Ich stelle mir vor, Oliver stünde noch einmal vor mir und reichte mir die Hand.
„And the darkness begins to reign“, mache ich weiter.
Darauf gibt der Bannführer seinen Leuten erneut ein Zeichen. Einer beugt sich zu mir und reißt meinen Kopf an den Haaren empor.
„Los, beiß drauf!“, sagt Dirk, und ich verstehe nicht gleich. Da stößt der andere meinen Kopf auf die Steinkante, dass die Zähne knirschen. Ich schreie auf.
„Beiß auf die scheiß Kante“, brüllt der andere. Flüsternd, mit dem Geschmack meines Blutes im Mund, hangele ich mich weiter durch die Strophe, „We all have a dream“, bis die Stimme des Bannführers auf mich herabfällt.
„Wo, sagtest Du noch, Gitarrenmann, sind deine scheiß Niggerlieder?“
Er hebt den Baseballschläger und holt aus. Mein Körper existiert nicht mehr, ich spüre ihn nicht mehr, höre nur noch das Holz, das die Luft in zwei Hälften trennt.
Selbst hinter dicksten Wolken leuchten am Nachthimmel die Sterne, denke ich noch, bevor der Tag geht. Und Wolken können uns nichts anhaben.
Wir schieben sie mit unseren Herzen davon.

(Ende)


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Beitrag24.09.2012 17:42

von KeTam
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Hallo MT,

ich habe mich auf deine Geschichte gestürzt, weil ich deine Texte immer sehr gerne lese. Da kommt was an bei mir.
Aber diese Geschichte ist mir zu "süß".
Das liegt vor allem an den "Zutaten".
Weihnachtfeier im Asylantenheim, alle sind glücklich, verstehen sich auch ohne Worte.
Bongospielen gegen Rechts.
Der Protagonist, der zusammengetreten wird, singt??
Erinnert sich an einen "Mutmach-Satz" seines Großvaters?
Ich finde das Ganze viel zu schwarz/weiß.
Alle "Guten" verstehen sich super mit den "guten" Asylanten, der Protagonist ist ein Held und erträgt schlimmste Schmerzen, bleibt stark.
Nein. Für mich geht das gar nicht.
Das ist mir alles zu "weihnachtlich".

Sorry.
 Embarassed

Liebe Grüße, KeTam.
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Beitrag25.09.2012 09:29

von MT
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Hi KeTam,

Zitat:
ich habe mich auf deine Geschichte gestürzt, weil ich deine Texte immer sehr gerne lese. Da kommt was an bei mir.

Das freut mich natürlich! smile

Zitat:
Aber diese Geschichte ist mir zu "süß".
Das liegt vor allem an den "Zutaten".

Das freutmich natürlich weniger. sad

Zitat:
Weihnachtfeier im Asylantenheim, alle sind glücklich, verstehen sich auch ohne Worte.
Bongospielen gegen Rechts.
Der Protagonist, der zusammengetreten wird, singt??
Erinnert sich an einen "Mutmach-Satz" seines Großvaters?
Ich finde das Ganze viel zu schwarz/weiß.
Alle "Guten" verstehen sich super mit den "guten" Asylanten, der Protagonist ist ein Held und erträgt schlimmste Schmerzen, bleibt stark.
Nein. Für mich geht das gar nicht.
Das ist mir alles zu "weihnachtlich".

Sorry.

Autoren, Intellektuelle und alle, die "weiter" denken, unterliegen m. E. häufig dem Wunsch, alles müsse vielschichtig sein, mehrdimensional, in gewisser Weise anspruchsvoll. Ich jedoch habe oft das einfache, das banale, das statische kennengelernt. Daher bin ich auch überzeugt davon, dass es eine (!) Facette des Themas ist, das/die ich hier aufgreife. Natürlich hast Du Recht - da ist alles in meinem Text schwarz und weiß. Aber mal ehrlich: Ist das nicht auch ein (!) Abbild der Realität? Völlig richtig: es gibt natürlich auch die bösen Ausländer und die nicht ganz so bösen Neonazis. Für mich aber bestimmt das Bild sehr häufig dieses schwarz-weiß-Dasein.

Es geht nicht darum, dass der Held singt. Schau einmal genauer. Er singt nicht. Er hofft. Sein "Gesang" ist Metapher. Ich hätte ihn ebenso gut reden, lachen oder sonstwas lassen können. Es geht mir darum zu zeigen, dass es sich lohnt zu hoffen. Dass es gut ist, sich zu wehren - mit den eigenen, den persönlichen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen. Es geht um den Wiederstand in Kopf und Herz.

Und übrigens: Weihnachten ist ein Platzhalter. Da kann sonstwas hin. Nimm ein Straßenfest im Sommer. Ganz egal.

Schade, wenn Dich der Text nicht erreichen konnte. Beim nächsten Mal vielleicht wieder. Danke fürs Lesen und Kommentieren.

LGMT


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Beitrag25.09.2012 10:00

von KeTam
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MT hat Folgendes geschrieben:

Ich jedoch habe oft das einfache, das banale, das statische kennengelernt.


Hallo MT,

so habe ich das auch erlebt.
Aber ich finde dein Text beschreibt eben NICHT das Banale.
Nicht das alltägliche.
Alltäglich wäre z.B. die Geschichte eines "ausländischen" Kindes, dass gehänselt wird, ausgeschlossen ist. Oder eine Familie, die keine Wohnung findet, weil sie ausländische Wurzeln hat.
Ein verächtlicher Blick, ein "Scheiss Ausländer" im Vorbeigehen.
Es sind nicht unbedingt die großen Schlagzeilen. Nicht nur.
Ich denke da auch an die Intention des Textes. Wenn etwas so brutales passiert, klar, die meisten werden sich von so was distanzieren, finden es schrecklich. Und deshalb bringt das niemanden zum Nachdenken über die Problematik. Und diese fängt eben bei den kleinen Dingen an, die jeder im Alltag schon erlebt hat, oder Zeuge davon wurde.
Wenn man die Leser einer Geschichte dazu bringt dort hin zu schauen, dann sensibilisiert man evtl.
Du zeigts ein Opfer, das stark ist, nicht zerbricht. Aber wie viele zerbrechen schon an viel weniger drastischen Erlebnissen?
Wie tief gräbt es sich in die Psyche eines Menschen ein, die alltäglichen "Gemeinheiten" zu erleben, dass alltägliche Anders-Sein?
Das was du beschreibst ist schlimm. Aber es sind eben auch die kleinen, scheinbar belanglosen Dinge, die schon schlimm genug sind.
Ob man mit Texten im Denken der Menschen was verändern kann, weiß ich nicht. Aber wenn das so ist, müsste man die Leser eben dazu bringen genauer hin zu schauen, und ihnen nicht das zeigen, was sie sowieso schon sehen. Eben weil es nicht zu übersehen ist.

Wenn ich mir deine anderen Texte anschaue, weiß ich dass du die Mittel hättest, um eine "kleine Begebenheit" so zu schildern, dass emotional beim Leser etwas ankommt.

Naja, das ist jetzt nur meine Meinung, mein Empfinden.

Liebe Grüße, KeTam.
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MT
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Beitrag25.09.2012 10:34

von MT
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Die Geschichte ist einem Strafverfahren entnommen, das ein Kollege begleitet hat. Wir haben sehr lange darüber diskutiert, ob er ihn vertreten solle/könne/dürfe. Im Ergebnis hat er es getan. Ein gestandener Strafverteidiger, der am Schluss der Verhandlungen sprachlos war.

Der Text war der Versuch, Unglaublichkeiten nachzuzeichnen. Ich habe mich bewusst sehr drastischer Mittel bedient - sie sind der Realität entnommen. Nix geschönt, nix verschärft.

Mit ist vorgeworfen worden, das alles erinnere an "American History X". Schon damals habe ich gesagt, dass mir diese Sendung vollkommen unbekannt ist. Ich wusste nicht, dass das Steinbeißen dort offenbar ein vielfach bemühtes Thema ist. So gesehen wirkt mein Text dann wie kalter Kaffee. Nur: das konnte ich nicht ahnen, als ich mich an einem realen Fall orientierte.

Mein Versuch scheint nicht aufgegangen zu sein. Wäre spannend, wenn sich weitere Stimmen zu Wort melden würden.

Danke nochmals, liebe KeTam.

LGMT


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Rübenach
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R
Beitrag25.09.2012 10:42
Re: Wolken können uns nichts anhaben
von Rübenach
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Hallo MT,

hier ein paar Gedanken zu deinem Text:

MT hat Folgendes geschrieben:


Wolken können uns nichts anhaben


Sie haben mich hinter den Bahndamm geschleppt. Noch immer ist die Luft erfüllt vom Brandgeruch, das Feuer ist vier Tage her.
Manchmal, wenn meine Hoffnungen schwinden wie abziehender Rauch, dann höre ich Großvaters Worte:
„Selbst hinter dicksten Wolken leuchten am Nachthimmel die Sterne.“
„Aber dann kann ich die Sterne doch nicht sehen“, gab ich ihm als Kind einmal zur Antwort. Großvater lächelte, er küsste meine Stirn und sagt:
„Yaris, mein Junge. Wolken können uns nichts anhaben. Wir schieben sie mit unseren Herzen davon.“
Ich liege auf dem matschigen Dezemberboden, nicht weit entfernt von der Brandruine. Mein Gesicht ist blutverschmiert, die Unterlippe geplatzt. Wieder landet ein Tritt in meinem Bauch. Wie ein glühendes Eisen zieht der Schmerz den Hals hinauf. Hoch geschnürte Stiefel. Dirks Stiefel, in seiner Gruppe nennen ihn alle den Bannführer. würde ich streichen. dass d. der chef der gruppe ist, geht aus dem weiteren text hervor. dass es nazis sind auch. Wenn du es stehenläßt, dann mache nach Dirks Stiefel einen Punkt, kein Komma
Die anderen um ihn herum lachen, einer kippt mir Bier auf den Kopf.
„Na, Gitarrenmann, ohne Klampfe unterwegs?“ Dirk lässt ein paar Mal den Baseballschläger gegen meine Stirn ticken.
„Komme auch ohne zurecht“, sage ich.
„Halt dein scheiß Maul, Nigger!“, schreit er zurück und tritt mir in die Rippen. Zweimal, dreimal, immer wieder. Bis der Schmerz zu Eis gefriert. Ich spüre nichts mehr. Dämmerung setzt ein.

*

Ein Protestmarsch. Von Gewerkschaften und Kirchen organisiert. Im Anschluss fand ein Konzert auf dem Marktplatz statt. Mit meinen drei Bandmitgliedern saß ich auf der Bühne, Gitarren, Bongos, Querflöte. Wir spielten eigene Songs, die Zuhörer applaudierten. Ein Stück trug den Titel Love in loveless times und handelte von der Liebe zweier Menschen in Zeiten des Mauerbaus. Warum in Zeiten des Mauerbaus? Yaris ist zu jung, um den Mauerbau erlebt zu haben. Außerdem lässt sein (afrikanischer?) Vorname auch keine Verbindung zum Mauerbau zu. 1963 gab es nicht so viele Afrikaner in Deutschland. Außerdem assoziiere ich Mauerbau mit Ost-West Konflikt und der ist weder Thema deines Textes, noch spielt das Motiv im weiteren Verlauf der Geschichte eine Rolle. Bei meinem Gitarrensolo sah ich Tränen. Vor dem alten Rathaus war es still geworden.
Bis sich die Bomberjacken in die Veranstaltung schoben. Polizei griff ein, dennoch geriet die Situation außer Kontrolle. Wir rannten zur Rathaustreppe. Dort versperrten vier der Männer den Aufgang. Einer stach hervor. Er hatte seine schwarzen Haare zu einem Seitenscheitel gegelt, trug Stiefel mit roter Schnürung und einen langen, schwarzen Ledermantel.
„Bei uns ist kein Platz für scheiß Niggermusik“, sagte er, und schon rissen die anderen unsere Instrumente an sich und zerschlugen sie auf den Stufen.
„Dirk, die Bullen“, rief einer, doch der bewegte sich mit der Gelassenheit eines Mannes, der eine Situation einschätzen konnte. Ganz dicht trat er an mich heran.
„Sag Deiner Drecksmutter, sie soll sich in ihren Niggerbusch verkriechen, wo sie hergekommen ist.“
Ich schüttelte den Kopf und sagte:
„Instrumente könnt ihr zerstören! Aber die Lieder, die sind in uns drin!“
Wieder brüllte einer: „Los, Mann, lass uns abhauen!“
Dirk packte mich am Kragen.
„Ich gebe Dir einen guten Rat, Nigger: Lass die Singerei!“
Darauf landete sein Knie zwischen meinen Beinen. Offenbar misstraute er der Wirkung seiner Worte. Schöner Satz, aber passt er zur Perspektive des Ich-Erzählers, der gerade am Boden liegt und zusammengetreten wird?

*

Regen prasselt auf den Feldweg und läuft in mäandernden Rinnsalen ab. Die Kleidung zerrissen, liege ich da und stelle mir meinen Körper als ein Stück Fleisch vor, das man Hunden zum Fraß vorgeworfen hat. Ich sehe die gebleckten Zähne, sie stechen in die roten Muskeln.
„Los“, sagt der Bannführer und gibt den Männern ein Zeichen. Sie schleifen mich zur Betonkante, die den Weg säumt. Der Bannführer kniet sich vor mich und grinst wie einer, der Überlegenheit spürt.
„Sag, Nigger, verstehst du meine deutsche Sprache?“
„Wahrscheinlich mehr hier finde ich besser besser. als du.“ sagte ich, und meine Unterlippe puckerte an der eingerissen Stelle.
Der Bannführer nickt langsam, der Regen tropft von seinem Gelscheitel. Er steht auf, zieht ein Blatt Papier aus seiner Manteltasche und wirft es vor mir in den Matsch.
„Dann lies!“, sagt er.
Als ich die Worte sehe, sehe ich den Brand. Die Verletzten. Die viele Kinder.

*

Sie hatten gesammelt. Grundschüler, Mitglieder der Sportvereine aus dem Viertel. Die Aktion war von uns Streetworkern ins Leben gerufen worden, und selbst die Mitarbeiter der Stadtverwaltung hatten sich nicht lumpen lassen.
Eine Weihnachtsfeier im Asylbewerberheim – das hatte es noch nie gegeben. Die Bewohner des Bezirks waren eingeladen. Ein Tannenbaum stand im Gemeinschaftsraum, Geschenke für groß und klein darunter.
Leuchtende Kinderaugen. Der Geruch von Kaffee und Gebäck. Zögerlich betraten die Ersten den Saal, prüfend, doch schon bald war jeder Platz besetzt. Viele aus den angrenzenden Straßen waren gekommen. Menschen aller Herren Länder tasteten sich ab, nickten sich zu, gaben sich die Hand. Man sprach gestenreich, ersetzte Worte durch Lächeln. Fotos der Familien von nah und fern, Geschichten aus den Dörfern der Heimat, Offenheit für fremde Lebensbilder. Wie betrunken war ich von der Freude, die in den Raum erfüllt hatte. Ich nahm meine Gitarre:
„When the night comes and the darkness begins to reign. We all have a dream. And we never talk in vain.”
Die erste Strophe aus Love in loveless times. In den Augen der Menschen funkelte Kerzenschein.
Bis die Brandsätze durch die Fenster schlugen. Sofort vereisten alle Träume. Schreie, brennende Kleider, Entsetzen und Furcht in den Gesichtern. Alles floh zu den Ausgängen. Ein paar Meter neben mir brüllte mein Kollege Oliver in sein Telefon. Ich drehte mich um und sprang aus einem der Fenster.
„Yaris, nein!“, schrie er mir nach. Aber ich rannte auf die Kerle zu, die noch immer ihre brennenden Botschaften schleuderten. Einen von ihnen stieß ihn zu Boden. Wen? Wer ist "ihn"Ein Martinshorn erklang. Ich riss dem Mann die Maske vom Gesicht. Er befreite sich und packte mich am Kragen. Es dauerte nur einen Wimpernschlag, doch wir hatten uns wieder erkannt.
Sie rannten davon. Oliver kam und half mir auf, lange sahen wir uns an. Dann sagte er:
„Wir machen weiter! Jetzt erst recht.“

*

„Lies endlich!“, brüllt der Bannführer. „Wenn du meine deutsche Sprache verstehst, dann lies!“
ICH HABE NIEMANDEN ERKANNT, steht auf dem Zettel. Die Buchstaben scheinen zu schweben, ich kann sie kaum erkennen. Unter Schmerzen hole ich Luft.
„When the night comes“, beginne ich mehr zu hauchen. Jede Silbe hinterlässt einen brennenden Schmerz. Ich stelle mir vor, Oliver stünde noch einmal vor mir und reichte mir die Hand.
„And the darkness begins to reign“, mache ich weiter.
Darauf gibt der Bannführer seinen Leuten erneut ein Zeichen. Einer beugt sich zu mir und reißt meinen Kopf an den Haaren empor.
„Los, beiß drauf!“, sagt Dirk, und ich verstehe nicht gleich. Da stößt der andere meinen Kopf auf die Steinkante, dass die Zähne knirschen. Ich schreie auf.
„Beiß auf die scheiß Kante“, brüllt der andere. Flüsternd, mit dem Geschmack meines Blutes im Mund, hangele ich mich weiter durch die Strophe, „We all have a dream“, bis die Stimme des Bannführers auf mich herabfällt.
„Wo, sagtest Du noch, Gitarrenmann, sind deine scheiß Niggerlieder?“
Er hebt den Baseballschläger und holt aus. Mein Körper existiert nicht mehr, ich spüre ihn nicht mehr, höre nur noch das Holz, das die Luft in zwei Hälften trennt.
Selbst hinter dicksten Wolken leuchten am Nachthimmel die Sterne, denke ich noch, bevor der Tag geht. Und Wolken können uns nichts anhaben.
Wir schieben sie mit unseren Herzen davon.

(Ende)


Grundsätzlich tue ich mich schwer mit Heldengeschichten, vor allem, wenn die Helden zu heldenhaft sind. In so weit gebe ich KeTam recht. Ein, zwei Nummern kleiner, unspektakülärer wäre auch gegangen. Aber es ist ja leider so, dass hier ein Ausschnitt aus unserer Wirklichkeit gezeigt wird.
Es ist also schon legitim, diese Geschichte zu schreiben.

Wenn dieser Yaris nicht SO heldenhaft wäre. Laß ihn wenigstens nicht alleine auf die Brandstifter zulaufen.

LG Rübenach

€dit meint, meine Anmerkungen hätte ich geschrieben, ohne MTs letzten post zu kennen.


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MT
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Beitrag25.09.2012 11:02

von MT
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Hi, Rübenach,

danke für Deine Gedanken. Aus der (echten) Akte ergibt sich, dass Yaris tatsächlich allein auf die Brandstifter zugesprungen ist. Ich hatte zunächst vielfach Veränderungen am realen Fall vorgenommen (1. Fassung von "Der Lauf der Welt"). Das aber gefiel mir alles nicht, weil es nicht das abbildete, was tatsächlich geschehen war. Also strickte ich grundsätzlich um.

Ich finde, Yaris ist gar kein soo großer Held. Embarassed Er ist mutig, ja. Aber auch "wahnsinnig", wenn er so handelt, wie er handelt.

Der Mauerbau hinkt, das gebe ich zu. Ich wollte auf ein diktatorisches System hinaus, dass neben dem Nationalsozialismus steht und menschenverachtende Unterdrückung beinhaltet). Das ist die einzige Stelle, die erfunden ist (welche Lieder sie spielten, weiß ich nicht).

Deine Details sind im übrigen gekauft. Danke!

LGMT


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last-virgin
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Beitrag25.09.2012 11:09
re
von last-virgin
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Hallo MT,

ich finde es immer wieder wichtig, auf solche gesellschaftlichen Auswüchse hinzuweisen, dafür zu sensibilisieren, dass nicht weg geschaut wird und ich finde Deine Geschichte hat das Potential dazu.
Dennoch muß ich hier mit Rübenach gehen, ein paar Töne leiser würden dem ganzen gut bekommen.

--------------------------------------------------------------------------------
 
"Die Geschichte ist einem Strafverfahren entnommen, das ein Kollege begleitet hat. Wir haben sehr lange darüber diskutiert, ob er ihn vertreten solle/könne/dürfe. Im Ergebnis hat er es getan. Ein gestandener Strafverteidiger, der am Schluss der Verhandlungen sprachlos war.

Der Text war der Versuch, Unglaublichkeiten nachzuzeichnen. Ich habe mich bewusst sehr drastischer Mittel bedient - sie sind der Realität entnommen. Nix geschönt, nix verschärft "

aber es ist legitim, in der künstlerischen Verarbeitung mehr als ein nur Nachzeichnen vorzunehmen, um das Ziel der Sensibilisierung zu erreichen, die geht selten mit drastischen Tönen einher.

Mich würde schon interessieren, was einen gestandenen Strafverteidiger,  am Schluss der Verhandlungen sprachlos gemacht hat.

Ist nur meine Meinung, ich wünsche mir, dass Du einen Weg dazu findest. Du hast etwas zu sagen.

lg

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Beitrag25.09.2012 11:11
re
von last-virgin
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ich glaube, jeder große Held ist ein bisschen wahnsinnig, oder sogar sehr;-)

lg last-virgin


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Pütchen
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Beitrag26.09.2012 15:04

von Pütchen
Antworten mit Zitat

Lieber MT smile extra

Nun weiß ich gar nicht, ob mich jetzt der Autor oder dieser geniale Titel gerufen haben? Auf jeden Fall muss ich nutzen, dass ich zufällig mal Internet habe und einen Kurz-Kommentar hinterlassen Very Happy

Jetzt ist es hier so warm und ich habe eine Gänsehaut wink

Mir hat dein Text sehr gut gefallen. Sprachlich, inhaltlich ... ich fand den Ton so angenehm, hm, unaufdringlich. Verstehst du, was ich damit meine?

Eigentlich wollte ich gerade kochen, aber ich konnte mich nicht losreißen.

Natürlich gibt's auch Kritik:

Zitat:
Regen prasselt auf den Feldweg und läuft in mäandernden Rinnsalen ab. Die Kleidung zerrissen, liege ich da und stelle mir meinen Körper als ein Stück Fleisch vor, das man Hunden zum Fraß vorgeworfen hat. Ich sehe die gebleckten Zähne, sie stechen in die roten Muskeln.


Über das "stechen" bin ich kurz gestolpert. Eigentlich kein schlechtes Bild, so beim drüber nachdenken gefällt es mir auch, aber beim ersten Lesen musste ich zweimal darüber.

Zitat:
„Los“, sagt der Bannführer und gibt den Männern ein Zeichen. Sie schleifen mich zur Betonkante, die den Weg säumt. Der Bannführer kniet sich vor mich und grinst wie einer, der Überlegenheit spürt.
„Sag, Nigger, verstehst du meine deutsche Sprache?“
„Wahrscheinlich mehr als du.“ <-- Komma statt Punkt sagte ich, und meine Unterlippe puckerte an der eingerissen Stelle.



Ansonsten habe ich eigentlich gar nicht viel anzumerken - vielleicht einfach: Danke! smile

Liebes Grüßle, Pütchen


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Gast







Beitrag26.09.2012 15:29
Re: Wolken können uns nichts anhaben
von Gast
Antworten mit Zitat

MT hat Folgendes geschrieben:

„Wo, sagtest Du noch, Gitarrenmann, sind deine scheiß Niggerlieder?“
Er hebt den Baseballschläger und holt aus. Mein Körper existiert nicht mehr, ich spüre ihn nicht mehr, höre nur noch das Holz, das die Luft in zwei Hälften trennt.
Selbst hinter dicksten Wolken leuchten am Nachthimmel die Sterne, denke ich noch, bevor der Tag geht. Und Wolken können uns nichts anhaben.
Wir schieben sie mit unseren Herzen davon.

(Ende)


Der letzte Absatz ist Hammer. Das Holz, das die Luft in zwei Hälften trennt, ist ein in Stein gemeißelter Satz. Da hast Du mich! Aber du hast mich lange zappeln lassen.

Vorne war's mir zu sehr Gutmensch, Schlechtmensch. Und zu lang. Und die Tränen, die Du von der Bühne gesehen hast, waren mir zu zuckrig. Ich mag solche Geschichten gern schnell und atemlos. So wie der letzte Absatz... Und selbst den hätte ich eingekürzt und hinter "denke ich noch" zu Ende gehen lassen.

Trotzdem: Großes Lob!
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adelbo
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Beitrag26.09.2012 15:35

von adelbo
Antworten mit Zitat

Hallo Markus,

ich verstehe durchaus, warum der Strafverteidiger sprachlos war.
Mich macht diese Geschichte auch fast sprachlos. Ich musste mich zwingen weiter zu lesen, weil ich Gewalt in jeglicher Form ablehne, einfach Angst vor körperlicher Gewalt habe.
Aber ich habe zu Ende gelesen und ich finde die Geschichte, so wie sie dasteht, verdammt gut geschrieben.
Ich würde auch den Kontrast zwischen der, in Anführungszeichen, heilen Welt der Weihnachtsfeier, die ja im Grunde auch keine heile Welt darstellt, sondern nur den Versuch von einigen dokumentiert, für andere für kurze Zeit eine heile Welt zu inszenieren, würde ich genauso belassen.

Es gibt für mein Leseempfinden ein paar kleine Schönheitsfehler, wenn es dich interessiert, markiere ich die Stellen. Aber ansonsten für mich ein starker Text, nicht zu leise, nicht zu hart. Er packt, er greift in meinen Augen.
Liebe Grüße
adelbo

edit: auch die Tränen gehören für mich in die Geschichte, so wie eben Tränen zu Menschen gehören.


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Beitrag27.09.2012 08:43
Re: re
von MT
Antworten mit Zitat

last-virgin hat Folgendes geschrieben:
Hallo MT,

ich finde es immer wieder wichtig, auf solche gesellschaftlichen Auswüchse hinzuweisen, dafür zu sensibilisieren, dass nicht weg geschaut wird und ich finde Deine Geschichte hat das Potential dazu.
Dennoch muß ich hier mit Rübenach gehen, ein paar Töne leiser würden dem ganzen gut bekommen.

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"Die Geschichte ist einem Strafverfahren entnommen, das ein Kollege begleitet hat. Wir haben sehr lange darüber diskutiert, ob er ihn vertreten solle/könne/dürfe. Im Ergebnis hat er es getan. Ein gestandener Strafverteidiger, der am Schluss der Verhandlungen sprachlos war.

Der Text war der Versuch, Unglaublichkeiten nachzuzeichnen. Ich habe mich bewusst sehr drastischer Mittel bedient - sie sind der Realität entnommen. Nix geschönt, nix verschärft "

aber es ist legitim, in der künstlerischen Verarbeitung mehr als ein nur Nachzeichnen vorzunehmen, um das Ziel der Sensibilisierung zu erreichen, die geht selten mit drastischen Tönen einher.

Mich würde schon interessieren, was einen gestandenen Strafverteidiger,  am Schluss der Verhandlungen sprachlos gemacht hat.

Ist nur meine Meinung, ich wünsche mir, dass Du einen Weg dazu findest. Du hast etwas zu sagen.

lg

last-virgin

Hi last-virgin,

klar ist es legitim, künstlerisch in die Realität "einzugreifen", davon mache ich sogar oftmals Gebrauch (hier zB: http://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?t=31578). Bei diesem Text ging es mir jedoch gerade um ein "nacktes" Abbilden eines realen Falles. Daher fallen mir auch Änderungen in Richtung "leisere Töne" schwer.

Mein Kollege war geschockt von der Kaltblütigkeit des Täters und seiner Abgestumpftheit während der Sitzungstage.

Danke Dir!

LGMT


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Beitrag27.09.2012 08:50

von MT
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Puetchen hat Folgendes geschrieben:
Lieber MT smile extra

Nun weiß ich gar nicht, ob mich jetzt der Autor oder dieser geniale Titel gerufen haben? Auf jeden Fall muss ich nutzen, dass ich zufällig mal Internet habe und einen Kurz-Kommentar hinterlassen Very Happy

Jetzt ist es hier so warm und ich habe eine Gänsehaut wink

Mir hat dein Text sehr gut gefallen. Sprachlich, inhaltlich ... ich fand den Ton so angenehm, hm, unaufdringlich. Verstehst du, was ich damit meine?

Eigentlich wollte ich gerade kochen, aber ich konnte mich nicht losreißen.

Natürlich gibt's auch Kritik:

Zitat:
Regen prasselt auf den Feldweg und läuft in mäandernden Rinnsalen ab. Die Kleidung zerrissen, liege ich da und stelle mir meinen Körper als ein Stück Fleisch vor, das man Hunden zum Fraß vorgeworfen hat. Ich sehe die gebleckten Zähne, sie stechen in die roten Muskeln.


Über das "stechen" bin ich kurz gestolpert. Eigentlich kein schlechtes Bild, so beim drüber nachdenken gefällt es mir auch, aber beim ersten Lesen musste ich zweimal darüber.

Zitat:
„Los“, sagt der Bannführer und gibt den Männern ein Zeichen. Sie schleifen mich zur Betonkante, die den Weg säumt. Der Bannführer kniet sich vor mich und grinst wie einer, der Überlegenheit spürt.
„Sag, Nigger, verstehst du meine deutsche Sprache?“
„Wahrscheinlich mehr als du.“ <-- Komma statt Punkt sagte ich, und meine Unterlippe puckerte an der eingerissen Stelle.



Ansonsten habe ich eigentlich gar nicht viel anzumerken - vielleicht einfach: Danke! smile

Liebes Grüßle, Pütchen



Mod-Edit: Beitrag verspult  Embarassed
Boro muss retten ...

Pütchen


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Beitrag27.09.2012 08:52
Re: Wolken können uns nichts anhaben
von MT
Antworten mit Zitat

Leif_Lasse_Andersson hat Folgendes geschrieben:
MT hat Folgendes geschrieben:

„Wo, sagtest Du noch, Gitarrenmann, sind deine scheiß Niggerlieder?“
Er hebt den Baseballschläger und holt aus. Mein Körper existiert nicht mehr, ich spüre ihn nicht mehr, höre nur noch das Holz, das die Luft in zwei Hälften trennt.
Selbst hinter dicksten Wolken leuchten am Nachthimmel die Sterne, denke ich noch, bevor der Tag geht. Und Wolken können uns nichts anhaben.
Wir schieben sie mit unseren Herzen davon.

(Ende)


Der letzte Absatz ist Hammer. Das Holz, das die Luft in zwei Hälften trennt, ist ein in Stein gemeißelter Satz. Da hast Du mich! Aber du hast mich lange zappeln lassen.

Vorne war's mir zu sehr Gutmensch, Schlechtmensch. Und zu lang. Und die Tränen, die Du von der Bühne gesehen hast, waren mir zu zuckrig. Ich mag solche Geschichten gern schnell und atemlos. So wie der letzte Absatz... Und selbst den hätte ich eingekürzt und hinter "denke ich noch" zu Ende gehen lassen.

Trotzdem: Großes Lob!

Hi LLA,

auch an Dich ein herzliches Dankeschön. Freut mich, wenn der Text (weitgehend) angekommen ist.

Noch schneller soll er sein? Noch kürzer womöglich? Hm, ich glaube, das kann ich nicht; er hat jetzt ca. 6000 Zeichen, ca. 2500 weniger als in der Ausgangsfassung...  Embarassed

Schön, dass Du einen Kommentar hiergelassen hat. Danke.

LGMT


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Beitrag27.09.2012 08:56

von MT
Antworten mit Zitat

adelbo hat Folgendes geschrieben:
Hallo Markus,

ich verstehe durchaus, warum der Strafverteidiger sprachlos war.
Mich macht diese Geschichte auch fast sprachlos. Ich musste mich zwingen weiter zu lesen, weil ich Gewalt in jeglicher Form ablehne, einfach Angst vor körperlicher Gewalt habe.
Aber ich habe zu Ende gelesen und ich finde die Geschichte, so wie sie dasteht, verdammt gut geschrieben.
Ich würde auch den Kontrast zwischen der, in Anführungszeichen, heilen Welt der Weihnachtsfeier, die ja im Grunde auch keine heile Welt darstellt, sondern nur den Versuch von einigen dokumentiert, für andere für kurze Zeit eine heile Welt zu inszenieren, würde ich genauso belassen.

Es gibt für mein Leseempfinden ein paar kleine Schönheitsfehler, wenn es dich interessiert, markiere ich die Stellen. Aber ansonsten für mich ein starker Text, nicht zu leise, nicht zu hart. Er packt, er greift in meinen Augen.
Liebe Grüße
adelbo

edit: auch die Tränen gehören für mich in die Geschichte, so wie eben Tränen zu Menschen gehören.

Hi, adelbo,

vielen, lieben Dank auch an Dich!

Ja, man mag zeitweilig nicht weiterlesen. Ich mochte zeitweilig nicht weiterschreiben. Auch mir macht solcherlei Ausmaß stumpfer Gewalt große Angst. Und dennoch: Am Ende bleibt Hoffnung. Trotz allem.

Bei den Tränen bin ich vollkommen bei Dir.

... und an Deinen Detailkritiken sehr interessiert.

Liebe Grüße
Markus


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Beitrag27.09.2012 09:51

von Gast
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Zitat:
Einen von ihnen stieß ihn zu Boden.


ich

*

Handwerklich sauber, manchmal in den Formulierungen sehr dicke, passt aber zum Text.

Ich mag das ja gar nicht. Diese Einfachheit der Sichtweise, ich habe noch nie etwas erlebt, das einfach war, das kein Dahinter hatte.
Aber es ist vielleicht eine juristische Sicht der Welt, die am Ende etwas auf eine Entscheidung zurückführt und dem Täter unterstellt, er hätte die freie Wahl gehabt, diese zu treffen. Nur so kann Rechtsprechung überhaupt funktionieren.

Also, ich mag den Text gar nicht  - deine Gewinnchancen stehen somit außerordentlich gut lol2
Er ist stark, hat guten Drive und ich glaube, der Text erreicht sehr viele Menschen und bewirkt vielleicht, was du dir erhoffst.
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Beitrag27.09.2012 10:54

von MT
Antworten mit Zitat

debruma hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Einen von ihnen stieß ihn zu Boden.


ich

*

Handwerklich sauber, manchmal in den Formulierungen sehr dicke, passt aber zum Text.

Ich mag das ja gar nicht. Diese Einfachheit der Sichtweise, ich habe noch nie etwas erlebt, das einfach war, das kein Dahinter hatte.
Aber es ist vielleicht eine juristische Sicht der Welt, die am Ende etwas auf eine Entscheidung zurückführt und dem Täter unterstellt, er hätte die freie Wahl gehabt, diese zu treffen. Nur so kann Rechtsprechung überhaupt funktionieren.

Also, ich mag den Text gar nicht  - deine Gewinnchancen stehen somit außerordentlich gut lol2
Er ist stark, hat guten Drive und ich glaube, der Text erreicht sehr viele Menschen und bewirkt vielleicht, was du dir erhoffst.

Moin, debruma,

danke für Deine Zeilen. Ich gebe Dir Recht: in aller Regel existiert ein Dahinter. Aber dennoch: manchmal geht es nur stumpf zu. Ich glaube, man macht sich davon oftmals gar keinen Begriff (ist wohl auch gut so...). Und darauf kam's mir an: Sprachlosigkeit.

Wenn Du den Text nicht magst, gewinne ich! lol Prima.

Und wenn er viele Menschen erreicht, hätte ich etwas erreicht.

Danke.

MT


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Beitrag27.09.2012 11:17

von Rheinsberg
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MT, ich glaube, ich gehöre auch generell zu deinen Fans.
Ich mag bei dem Text nicht Erbsen zählen. Kleine Änderungen, wie z.T. schon vorgeschlagen, sicher.
Insgesamt geht der so in Ordnung - das Weihnachtsfest und die Tränen könntest du noch mal überdenken.

Insgesamt auch bei mir großes Schlucken. Dieser infame "American History X" hat leider schon mehr Nachahmer gefunden - ich erinner mich an einen ganz üblen Mord in der Uckermark.
Für diesen Wettberwerb taugt der Text mit Sicherheit. Und für Juristen allemal.  Wink

Etwas "Leiseres" habe ich mal hier irgendwo eingestellt - aber das, was du schreibst, ist bzw. war einer meiner Alpträume.
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Beitrag27.09.2012 11:37

von adelbo
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Hallo Markus,
ich merke einmal an, was ich persönlich anders machen würde.


Zitat:
Sie haben mich hinter den Bahndamm geschleppt. Noch immer ist die Luft erfüllt vom Brandgeruch, das Feuer ist vier Tage her. (den Satz würde ich umstellen, Das Feuer ist vier Tage her, noch immer..)
Manchmal, wenn meine Hoffnungen schwinden wie abziehender Rauch, dann höre ich Großvaters Worte:
„Selbst hinter dicksten Wolken leuchten am Nachthimmel die Sterne.“
„Aber dann kann ich die Sterne doch nicht sehen“, gab ich ihm als Kind einmal zur Antwort. Großvater lächelte, er küsste meine Stirn und sagt: (sagte?)
„Yaris, mein Junge. Wolken können uns nichts anhaben. Wir schieben sie mit unseren Herzen davon.“
Ich liege auf dem matschigen Dezemberboden, nicht weit entfernt von der Brandruine. Mein Gesicht ist blutverschmiert, die Unterlippe geplatzt. Wieder landet ein Tritt in meinem Bauch. Wie ein glühendes Eisen zieht der Schmerz den Hals hinauf. Hoch geschnürte Stiefel. Dirks Stiefel, in seiner Gruppe nennen ihn alle den Bannführer. (nennen ihn? ist er es nicht?)
Die anderen um ihn herum lachen, einer kippt mir Bier auf den Kopf.
„Na, Gitarrenmann, ohne Klampfe unterwegs?“ Dirk lässt ein paar Mal den Baseballschläger gegen meine Stirn ticken. (ticken? eine Uhr tickt?)
„Komme auch ohne zurecht“, sage ich.
„Halt dein scheiß Maul, Nigger!“, schreit er zurück und tritt mir in die Rippen. Zweimal, dreimal, immer wieder. Bis der Schmerz zu Eis gefriert. Ich spüre nichts mehr. Dämmerung setzt ein.

*

Ein Protestmarsch. Von Gewerkschaften und Kirchen organisiert. Im Anschluss fand ein Konzert auf dem Marktplatz statt. Mit meinen drei Bandmitgliedern saß ich auf der Bühne, Gitarren, Bongos, Querflöte. Wir spielten eigene Songs, die Zuhörer applaudierten. Ein Stück trug den Titel Love in loveless times und handelte von der Liebe zweier Menschen in Zeiten des Mauerbaus. (vielleicht Teilung Deutschlands) Bei meinem Gitarrensolo sah ich Tränen. Vor dem alten Rathaus war es still geworden.
Bis sich die Bomberjacken in die Veranstaltung schoben. Polizei griff ein, dennoch geriet die Situation außer Kontrolle. Wir rannten zur Rathaustreppe. Dort versperrten vier der Männer den Aufgang. Einer stach hervor. (das liest sich für mich etwas abrupt, vielleicht noch, "fiel auf" dahinter)  Er hatte seine schwarzen Haare zu einem Seitenscheitel gegelt, trug Stiefel mit roter Schnürung und einen langen, schwarzen Ledermantel.
„Bei uns ist kein Platz für scheiß Niggermusik“, sagte er, und schon rissen die anderen unsere Instrumente an sich und zerschlugen sie auf den Stufen.
„Dirk, die Bullen“, rief einer, doch der bewegte sich mit der Gelassenheit eines Mannes, der eine Situation einschätzen konnte. Ganz dicht trat er an mich heran.
„Sag Deiner Drecksmutter, sie soll sich in ihren Niggerbusch verkriechen, wo sie hergekommen ist.“
Ich schüttelte den Kopf und sagte:
„Instrumente könnt ihr zerstören! Aber die Lieder, die sind in uns drin!“
Wieder brüllte einer: „Los, Mann, lass uns abhauen!“
Dirk packte mich am Kragen.
„Ich gebe Dir einen guten Rat, Nigger: Lass die Singerei!“
Darauf landete sein Knie zwischen meinen Beinen. Offenbar misstraute er der Wirkung seiner Worte. (den Satz würde ich weglassen)

*

Regen prasselt auf den Feldweg und läuft in mäandernden Rinnsalen ab. Die Kleidung zerrissen, liege ich da und stelle mir meinen Körper als ein Stück Fleisch vor, das man Hunden zum Fraß vorgeworfen hat. Ich sehe die gebleckten Zähne, sie stechen in die roten Muskeln.
„Los“, sagt der Bannführer und gibt den Männern ein Zeichen. Sie schleifen mich zur Betonkante, die den Weg säumt. Der Bannführer kniet sich vor mich und grinst wie einer (jemand?), der Überlegenheit spürt.
„Sag, Nigger, verstehst du meine deutsche Sprache?“
„Wahrscheinlich mehr als du.“ sagte ich, und meine Unterlippe puckerte an der eingerissen Stelle.
Der Bannführer nickt langsam, der Regen tropft von seinem Gelscheitel. Er steht auf, zieht ein Blatt Papier aus seiner Manteltasche und wirft es vor mir in den Matsch.
„Dann lies!“, sagt er.
Als ich die Worte sehe, sehe ich den Brand. Die Verletzten. Die viele Kinder.

*

Sie hatten gesammelt. Grundschüler, Mitglieder der Sportvereine aus dem Viertel. Die Aktion war von uns Streetworkern ins Leben gerufen worden, und selbst die Mitarbeiter der Stadtverwaltung hatten sich nicht lumpen lassen.
Eine Weihnachtsfeier im Asylbewerberheim – das hatte es noch nie gegeben. Die Bewohner des Bezirks waren eingeladen. Ein Tannenbaum stand im Gemeinschaftsraum, Geschenke für groß und klein darunter.
Leuchtende Kinderaugen. Der Geruch von Kaffee und Gebäck. Zögerlich betraten die Ersten den Saal, prüfend, doch schon bald war jeder Platz besetzt. Viele aus den angrenzenden Straßen waren gekommen. Menschen aller Herren Länder tasteten sich ab, nickten sich zu, gaben sich die Hand. Man sprach gestenreich, ersetzte Worte durch Lächeln. Fotos der Familien von nah und fern, Geschichten aus den Dörfern der Heimat, Offenheit für fremde Lebensbilder. Wie betrunken war ich von der Freude, die in den Raum erfüllt hatte. Ich nahm meine Gitarre:
„When the night comes and the darkness begins to reign. We all have a dream. And we never talk in vain.”
Die erste Strophe aus Love in loveless times. In den Augen der Menschen funkelte Kerzenschein.
Bis die Brandsätze durch die Fenster schlugen. Sofort vereisten alle Träume. Schreie, brennende Kleider, Entsetzen und Furcht in den Gesichtern. Alles floh zu den Ausgängen. Ein paar Meter neben mir brüllte mein Kollege Oliver in sein Telefon. Ich drehte mich um und sprang aus einem der Fenster.
„Yaris, nein!“, schrie er mir nach. Aber ich rannte auf die Kerle zu, die noch immer ihre brennenden Botschaften schleuderten. Einen von ihnen stieß ihn zu Boden. Ein Martinshorn erklang. Ich riss dem Mann die Maske vom Gesicht. Er befreite sich und packte mich am Kragen. Es dauerte nur einen Wimpernschlag, doch wir hatten uns wieder erkannt.
Sie rannten davon. Oliver kam und half mir auf, lange sahen wir uns an. Dann sagte er:
„Wir machen weiter! Jetzt erst recht.“

*

„Lies endlich!“, brüllt der Bannführer. „Wenn du meine deutsche Sprache verstehst, dann lies!“
ICH HABE NIEMANDEN ERKANNT, steht auf dem Zettel. Die Buchstaben scheinen zu schweben, ich kann sie kaum erkennen. Unter Schmerzen hole ich Luft.
„When the night comes“, beginne ich mehr zu hauchen. Jede Silbe hinterlässt einen brennenden Schmerz. Ich stelle mir vor, Oliver stünde noch einmal vor mir und reichte mir die Hand.
„And the darkness begins to reign“, mache ich weiter.
Darauf gibt der Bannführer seinen Leuten erneut ein Zeichen. Einer beugt sich zu mir und reißt meinen Kopf an den Haaren empor.
„Los, beiß drauf!“, sagt Dirk, und ich verstehe nicht gleich. Da stößt der andere meinen Kopf auf die Steinkante, dass die Zähne knirschen. Ich schreie auf.
„Beiß auf die scheiß Kante“, brüllt der andere. Flüsternd, mit dem Geschmack meines Blutes im Mund, hangele ich mich weiter durch die Strophe, „We all have a dream“, bis die Stimme des Bannführers auf mich herabfällt.
„Wo, sagtest Du noch, Gitarrenmann, sind deine scheiß Niggerlieder?“
Er hebt den Baseballschläger und holt aus. Mein Körper existiert nicht mehr, ich spüre ihn nicht mehr, höre nur noch das Holz, das die Luft in zwei Hälften trennt. (teilt?)
Selbst hinter dicksten Wolken leuchten am Nachthimmel die Sterne, denke ich noch, bevor der Tag geht. Und Wolken können uns nichts anhaben.
Wir schieben sie mit unseren Herzen davon.

(Ende


Ich drücke dir für den Wettbewerb die Daumen.

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