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Von Großvätern und Enkeln


 
 
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HPG
Schneckenpost

Alter: 83
Beiträge: 10
Wohnort: Egelsbach


Beitrag16.12.2010 09:08
Von Großvätern und Enkeln
von HPG
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Nachstehendes passt zwar nicht zur Jahreszeit, aber zur (heutigen) Zeit:

Niemand sollte die Zuneigung unterschätzen, die Großväter und Enkel füreinander empfinden. Der Opa ist zugleich Kamerad und Spießgeselle, lässt sich nicht einmal von dreitägigem Regenwetter davon abhalten, das Zelt im Garten aufzubauen, wenn der Enkel im Freien übernachten möchte. Entzogenes Taschengeld durch die Eltern gleicht er großzügig aus. Selbst beim ersten Liebesschmerz suchen die sonst so coolen Jungs Trost bei ihm.

Großmütter haben es da von jeher etwas schwerer, ihre Begegnung mit den Nachkömmlingen findet auf einer anderen Ebene statt: Die Oma wird als verlängerter Arm der Mutter wahrgenommen. Man nimmt ihre fürsorgliche Betreuung als Bevormundung wahr, rückt sie ihnen doch schon bei den ersten Anzeichen von Schnee oder Frost, mit dicken Jacken, Mützen und Schals auf den Pelz. Und – obwohl sie es genau weiß: Die Knaben essen nur Pizza, Pommes oder Nudeln – versucht sie immer wieder vergeblich, sie für Obst und Gemüse zu begeistern. Dabei behaupten doch auch ernst zu nehmende Ernährungswissenschaftler, die Portion Ketchup zu den fettigen Kartoffelstangen könne den Vitaminbedarf der Gameboy-Fraktion gut abdecken. Ich weiß nicht recht? Mir war in diesem Alter ein Apfel oder eine Portion Johannisbeeren aus Omas Garten lieber!

Die Prioritäten haben sich eben etwas verschoben, das Grundmuster ist geblieben: Die Generationen lernen voneinander. Unsere Großväter wussten, wie man Drachen baut, welches Holz am ehesten für einen Flitzebogen geeignet ist und wie man einen Fahrradschlauch flickt. Wir wissen das alles auch, nur unser Wissen wird nicht mehr nachgefragt. Drachen gibt’s bei Aldi im Sonderangebot, mit Flitzebogen spielen die Buben nicht mehr und Fahrräder gehen merkwürdigerweise nicht mehr so oft platt wie zu unserer Zeit. Um den Anschluss nicht ganz zu verlieren, heißt es „Umdenken“. Der moderne Großvater beschäftigt sich mit Digitalkamera, PC und Handy, hält über die modernen Kommunikationsmittel den Kontakt zum Nachwuchs.

Es ist immer wieder verblüffend: Da sitzt du, ein erfahrener Mann, den lieben langen Vormittag am Computer, plagst dich mühsam mit dem Kauderwelsch ab, den irgend so ein japanischer Analphabet bei der Übersetzung des Handbuches für Deutsch gehalten hatte und nichts klappt. Dann kommt der Jungspund von der Schule, blickt dir gelangweilt über die Schulter, drückt lässig ein, zwei Knöpfe und murmelt was von: „Der kapiert’s nie ...“, geht in die Küche und fragt die Oma, was es zu essen gibt. Ein Aufatmen – das Ding funktioniert wieder. Du bist ein wenig stolz auf den Schlacks, so was gab’s früher nicht!

Bei Vergleichen zu früher sollte man sich sowieso etwas zurücknehmen. Wir mussten noch zum Kindergarten oder zur Schule laufen. Inzwischen ist das Out – Kinder laufen nicht mehr! Sie werden von genervten Müttern in lastwagengroßen Pkws von einem Event zum anderen gekarrt. Erst neulich fuhr mich eine – obwohl es verboten ist, mit Handy am Ohr – fast über den Haufen, als ich mit dem Rad vom Bäcker kam und sie mit ihrem Töchterchen auf dem Weg zum Kindergarten war. Sie kurbelte die Scheibe herunter und entschuldigte sich mit Eile wegen eines Fußpflegetermins. Ja können sich die jungen Dinger nicht einmal mehr die Zehennägel selbst schneiden? Da wurde allerhand versäumt, dachte ich im ersten Zorn. Das Lächeln der kleinen Tochter auf dem hinteren Sitz versöhnte mich wieder. Was können Kinder für ihre Eltern?

Das Mädchen strahlte mich an. So was ist mir schon öfter passiert, anscheinend verwechseln mich Kinder wegen meines Bartes mit dem Weihnachtsmann. Es tut mir leid Kids, der bin ich nicht, aber lächelt nur weiter! Ich fragte das Mädchen – bevor die Mutter wieder eilig losbrauste, nach seinem Namen. „Susanne“, säuselte sie sanft und strahlte noch mehr. Ein schöner Name, der Herrgott hatte ein Einsehen! Sind anscheinend wieder im Kommen – die alten Namen. Zwei Buben aus unserer Familie heißen Philipp und einer sogar Johannes – gut so! Vorbei die Zeiten, in denen man Mädchen Birgit, Svea oder Rana und Jungen Lasse, Niels und Sven nannte. Ich nehme mal an, ihre Eltern hatten sich damals entweder zu viel Abba-Musik reingezogen oder einmal zu oft im Ikeakatalog geblättert.

Jeden vierten Freitag treffe ich mich mit ein paar alten Freunden beim Apfelwein. Wir reden dann über unsere Jugend und was sich seitdem alles verändert hat. In unregelmäßigen Abständen erscheint auch der Fritz. Nach dem Tod seiner Frau ist er nach Rödelheim zur Tochter gezogen und kümmert sich um seinen Enkel. Der Schwiegersohn arbeitet bei der Zeitung und die Tochter ist Lektorin in einem Verlag. Der Bub sieht seine Eltern nur abends und an den Wochenenden. Wird tagsüber, wenn er nicht im Kindergarten ist, vom Opa versorgt und das merkt man auch. Mit seinen fünf Jahren ist der Kevin ein aufgewecktes Kerlchen. Was er nicht vom Opa kennt, bringen ihm die Reporterkollegen seines Vaters bei. Kevins Eltern führen ein offenes Haus und zählen sich wahrscheinlich nicht gerade zu den bildungsfernen Menschen, können aber nicht verhindern, dass sie der Kleine mit seinem losen Mundwerk oft in arge Verlegenheit bringt.

Beim letzten Treffen erzählte unser Freund von einem Besuch beim Kinderarzt. Da er unter der Woche als alleinerziehender Großvater fungiert, musste Fritz den Enkelsohn zur vorgeschriebenen Untersuchung „U9“ begleiten.
„Das ist eine Untersuchung die zwischen dem 60. bis 64. Lebensmonat stattfindet“, klärte Fritz auf, als er in unsere ratlosen Gesichter blickte.

Die Praxis befindet sich in der Frankfurter Innenstadt und kann mit der S-Bahn gut erreicht werden. Nach dem Frühstück, es war noch finster, zog man los. Unterwegs fing Kevin an zu quengeln, wollte, dass ihm der Opa eines dieser Science-Fiction-Heftchen kaufen soll, die man jetzt überall sieht. Mit Prinz Eisenherz oder Tarzan, wie wir, geben die sich ja heute nicht mehr ab. Um dem Opa auf die Sprünge zu helfen – er wusste um dessen Schwäche für die nette Kioskbesitzerin – sagte Kevin unschuldig: „Da kannst du mit Frau Weber ein bisschen poussieren. Die Mama hat zum Papa gesagt, der Opa steht auf der alten Schachtel.“ Er habe darauf nicht geantwortet, berichtete Fritz.

Beim Doktor – so Fritz, sei zunächst alles gut gelaufen. Die Übungen: Steht beidseitig acht Sekunden freihändig auf einem Bein, hüpft auf jedem Bein sicher fünf Mal auf der Stelle, habe Kevin mit Bravour erledigt. Man näherte sich dem Test: sicher in der Definition von Worten. Der Doktor bemerkte den blauen Fleck an Kevins Stirn und fragte: „Bist du im Kindergarten hingefallen und hast dir wehgetan?“
Kevin, im Brustton der Überzeugung: „Nein ..., das war die Mama.“
Freund Fritz dementierte und war einigermaßen entsetzt. Der Arzt fragte weiter: „Sag mal Kevin, was macht ihr denn so den ganzen Tag im Kindergarten?“
„Also ..., wir rülpsen, furzen und prügeln uns.“
Fritz schluckte und grinste verlegen. Der Doktor gelassen: „Was bekommst du denn morgens zum Frühstück, Kevin.“
„Pizza und Apfelwein, dann bin ich meistens betrunken“, kam es wie aus der Pistole geschossen.
Er sei fassungslos gewesen, versicherte Fritz. Der Arzt habe gelächelt und der Sprechstundenhilfe nach einigen medizinischen Floskeln: „Kevin zeigt durchaus altersgerechtes Verhalten. Seiner Einschulung im nächsten Jahr steht nichts im Weg“, in den PC diktiert.



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mit besten Grüßen HPG
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lady-in-black
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Der goldene Käfig Extrem Süßes!


Beitrag16.12.2010 09:56

von lady-in-black
Antworten mit Zitat

Moin HPG  Smile

Also das Wichtigste gleich zu Beginn: Das du schreiben kannst, steht für mich außer Zweifel  Wink  Daumen hoch

Allerdings hast du dich - nach meiner Auffassung - um eine Generation vertan. Was du beschreibst, trifft nämlich unglaublich verblüffend auf die Beziehung zwischen meinen Eltern und meinen bereits erwachsenen Kindern zu. Ich bin diejenige mit dem aktuellen Oma-Status.  Cool

Daher ist die Geschichte m.E. in einigen Punkten etwas widersprüchlich, weil z.B. mein Mann (als Großvater) nicht auf modern "umdenken" musste. Für meine Generation ist der Umgang mit PC, Digitalkameras etc. ebenfalls Normalität. Auch hätte es bei uns keine ratlosen Gesichter bezüglich der U-Untersuchungen gegeben, weil diese bereits bei unseren eigenen Kindern existierten.

Hervorragend hast du die Geschichte mit den Müttern in den großen Autos vor dem Kindergarten erkannt.  Smile
Aber das hätten ebenfalls bereits die Oma's sein können ...  Wink

Gerne gelesen.

Vielleicht melden sich ja noch andere Großeltern und schildern ihre Sichtweise.  Wink


_________________
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Ernst Clemens
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 78
Beiträge: 594
Wohnort: München


Beitrag16.12.2010 10:23

von Ernst Clemens
Antworten mit Zitat

hallo HPG,

als aktiver großvater kann ich mich dem kommentar von lady voll anschließen: eine generation hast du übersprungen!

trotzdem hat mir dein text gefallen. die wichtigsten punkte hast du in klare worte gefasst.

weiterhin viel spaß mit deinem/deinen enkel/n

ernst
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Gast3
Klammeraffe
G


Beiträge: 794
Wohnort: BY


G
Beitrag16.12.2010 21:40

von Gast3
Antworten mit Zitat

Lieber HPG,

ich mag deine Art zu schreiben ausgesprochen gern. Der "alleinerziehende Großvater" hat mir hier jetzt am besten gefallen smile
Freu mich schon jetzt auf deine nächste Geschichte.

Liebe Grüße
schneestern


_________________
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Gast







Beitrag17.12.2010 15:52

von Gast
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Lieber HPG,

auch diese Geschichte gefällt mir sehr gut. Wie schon bei deinen anderen Texten gelingt es dir auch hier, mich für einen Moment in deine Geschichte zu bannen. Ich kann abschalten und entspannen.
Das ist für mich Unterhaltungslektüre im positiven Sinn.  

Sehr gerne gelesen.

Liebe Grüße
Monika
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HPG
Schneckenpost

Alter: 83
Beiträge: 10
Wohnort: Egelsbach


Beitrag17.12.2010 17:58

von HPG
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Danke,

es ist immer wieder schön, wenn man so nette Zuschriften von Menschen erhält, mit denen man ein gemeinsames Hobby teilt.

Liebe lady-in-black, die fast 20 Jahre Altersunterschied zwischen uns werden wohl den Eindruck der „übersprungenen“ Generation ausmachen. Mein Opa (geb. 1893) hat mir beim Drachenbauen usw. geholfen. Heute bin ich (geb. 1941) der Großvater und mein Enkel (geb. 1993), unterstützt mich ab und zu bei einem kniffeligen PC-Problem.


_________________
mit besten Grüßen HPG
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Mercedes de Bonaventura
Geschlecht:weiblichMetonymia

Alter: 40
Beiträge: 1254
Wohnort: Graz


Beitrag19.12.2010 12:54

von Mercedes de Bonaventura
Antworten mit Zitat

Guten Morgen HPG!



Ich mach es kurz und bündig:
Gefällt mir.
Gerne gelesen.
(der Anfang/erster Absatz: total stimmig!)


Fazit:
Cooler Großvater!
(mein pépé bekommt schon Panik, wenn bloß das Telefon klingelt.Laughing   )




Lg Merci.


_________________
"Every secret of a writer's soul, every experience of his life, every quality of his mind is written large in his works."
(Virginia Woolf)
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Ilona
Klammeraffe
I


Beiträge: 558
Wohnort: irgendwo in Hessen


I
Beitrag19.12.2010 13:19

von Ilona
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Deine geschcihten lesen sich einfach herzerwärmend. Ich lese sie wirklich gern, Man merkst Du fühlst etwas, während DU schreibst.

Grüße von

Ilona
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Nina
Geschlecht:weiblichDichterin


Beiträge: 5012
Wohnort: Berlin


Beitrag19.12.2010 13:43

von Nina
Antworten mit Zitat

Hallo HPG,

schön zu lesen Deine Geschichte. Eine Formulierung ist mir ins Auge gesprungen, und zwar diese:

Zitat:
und Fahrräder gehen merkwürdigerweise nicht mehr so oft platt


Fahrräder "gehen" nicht und schon gar nicht platt, *g*- wenn schon, dann die Fahrradreifen.

Ansonsten: sehr schön.

LG
Nina


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Liebe tut der Seele gut.
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