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Gedankensprung


 
 
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Alaways
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 34
Beiträge: 96
Wohnort: Darmstadt


Beitrag02.02.2009 23:35
Gedankensprung
von Alaways
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Gedankensprung

Ich hatte nur einen Moment lang nicht aufgepasst, da war mir mein Gedanke verloren gegangen. Besorgt schaute ich zu Boden, hoffend ihn dort irgendwo erblicken zu können. Ich wollte nicht, dass fremde Hände ihn erfassten, geschweige denn, dass jemand über ihn stolperte. Dies war allein mein Gedanke. Äußerst wichtig, das hatte ich mir gemerkt. Die großen Fassaden zu beider Seiten erleichterten mir die Suche, da sie ein schnelles Fliehen verhinderten. Die alte Tram fuhr vorrüber und ich ersuchte fragend mit meinen glasigen Augen, ob mir mein Gedanke beim Vorrüberziehen ein Winken zuwarf. Vergeblich musste ich erkennen, dass die Tram heute nur von anderen Gedanken genutzt wurde. Ich schaute die Gasse entlang. Die Handtasche der alten Dame neben des Küsters Atelier schien verdächtig passend meinem Gedanken als Versteck zu dienen. Besser noch bot sich der Hut eines Streuners an, der darauf hoffte, dass jemand sein Innerstes mit Münzen beschenkte. Neben der alten Bäckerei, warf sich gerade ein Volk zufriedener Tauben in den hellschimmernden Azur. Wohlmöglich flogen sie just mit meinem Gedanken hinfort oder wirbelten ihn gar mit ihren Flügelchen gen Himmel. Langsam schlich eine schwarze Katze die Fassaden entlang. Hatte sie etwa meinen Gedanken erspäht? Schnell war sie hinter dem Pfarramt unter einem alten hölzernen Zaun verschwunden. Verzweifelt stand ich vor einer schwarzen Wand; befand mich vielleicht sogar im Nichts. Hektisch liefen Schatten vorrüber. Nirgends konnte ich meinen mir entlaufenen Gedanken erblicken. Überall lächelten mir andere, für mich unbedeutende Gedanken zu. Hilflos nahm ich das Glas von meinen Augen, um mir eine klare Sicht zu verschaffen. Wo war ich? Farbig, verzerrte Flecken hetzten vorbei. Ein schwarzer, nasser Schwamm tauchte plötzlich vor mir auf, wischte mit einem kraftvollen Schwung, alle Gedanken aus der belebten Straße hinfort. Die Wand um mich herum trat aus ihren Fugen, stürtze sich um mich herum. Saß mir dicht auf den Fersen, engte mir mein Sichtfeld ein. Ein Gefühl von Leere überflutete mein Gemüt. Die Klarheit wurde von Wellen überflüssiger Ungereimtheiten ertränkt. Denk, denk, denk. Nichts verschwindet aus geschlossenen Schubladen. Wo war der Schlüssel für den Gedankenschrank. Weg da, weg da, schrie jemand neben mir. Helligkeit stach mir ins Auge. Ruckartig schwebten Fassaden an ihren Platz zurück, verankerten sich mit dem roten Pflasterstein und drückten nun nur noch auf den Erdboden. Meine Augen verlangten nach ihrem Glas, liesen meine Hände automatisch in die Höhe gleiten. Just in dem Moment fuhr ein Postmann vorrüber. Schnell sprang ich ihm nach. Hielt ihn mit nur einem Finger an seinem Kragen fest. Hätten meine Augen nicht nach Glas verlangt, wäre mir mein Gedanken erneut entwischt. Gerade als der Postmann vorrüber fuhr, stach er mir ins Auge. Er hatte sich in einer Speiche an des Postmanns Drahtesel geklemmt und wartete auf seinen Absprung. Da packte ich ihn an den Ohren und pflanzte ihn mir ins Gedächtnis. Dort muss ich nun Acht darauf geben, dass er mir nicht noch ein zweites Mal verwelkt.

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yt
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 703
Wohnort: Sittensen
DSFo-Sponsor


Beitrag06.02.2009 14:02

von yt
Antworten mit Zitat

Moin,

überraschend gut.
Der Textblock trifft einen sehr hart. Ob hier nicht ein paar Absätze sinnvoll wären?

Dann könnte jeder Kritiker seine vielen Gedanken besser von deinem Unterscheiden smile

Die idee ist toll. Wirklich richtig schön erzählt. Vielleicht fällt mir noch später einmal etwas dazu ein, aber dein Gedanke hat mich ersteinmal überrascht. Ich koennte mir dazu ein ganz tolles Bilderbuch vorstellen.

Mit gedachten Grüßen,
yt
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Maria
Geschlecht:weiblichEvolutionsbremse

Alter: 52
Beiträge: 5998

DSFo-Sponsor Ei 1
Ei 4


Beitrag24.02.2009 19:55

von Maria
Antworten mit Zitat

Hi,
da war ich neugierig was sonst noch von Dir zu finden ist.
Dieser Text ist um ein vielfaches besser.
Richtig gut, um genauer zu sein.

Die Idee ist toll, die Umsetzung auch. Das Tempo ist gut, das Lauern und Suchen.

Lediglich das Verwelken des Gedankens am Ende mag mir nicht gefallen. Passt für mich auch nicht gut zum "Gedankensprung". Das Verwelken ist ja ein langsamer Prozess, eingehen, im Sinne von falscher Pflege...  ich hoffe Du verstehst was ich mein.


Sprachlich kein Vergleich zu den Scherben. Aber so garnicht. Was war da los? wink

Gruß
Maria


_________________
Give me sweet lies, and keep your bitter truths.
Tyrion Lannister
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Enfant Terrible
Geschlecht:weiblichalte Motzbirne

Alter: 30
Beiträge: 7278
Wohnort: München


Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag25.02.2009 09:51

von Enfant Terrible
Antworten mit Zitat

Dieser Text hier ist ein Paradebeispiel für eine gelungene Verbildlichung einer Redewendung. Wunderbar zeigst du, wie man etwas Abgedroschenem mit geschickten Formulierungen neues Leben einhauchen kann. Der Text ist gefühlvoll, gut erzählt, nachvollziehbar und entbehrt nicht einer gewissen Spannung. Ein belletristischer Leckerbissen! Sehr schön gemacht!

_________________
"...und ich bringe dir das Feuer
um die Dunkelheit zu sehen"
ASP

Geschmacksverwirrte über meine Schreibe:
"Schreib nie mehr sowas. Ich bitte dich darum." © Eddie
"Deine Sprache ist so saftig, fast möchte man reinbeißen." © Hallogallo
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Alaways
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 34
Beiträge: 96
Wohnort: Darmstadt


Beitrag13.01.2010 15:32

von Alaways
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo ihr Lieben

dankeschön für eure netten Kommentare. Mit so viel positivem Feedback hätte ich nicht gerechnet. Wobei ich eingestehen muss, dass dies einer von wenigen Texten ist, der mir selbst auch gefällt.

Schön, dass ihr die Thematik verstanden habt. das freut mich.


@Maria: Ja die Spiegelscherben sind so gar nix geworden. Würde den Text auch gerne rausnehmen, aber es geht nicht, da dieser schon kommentiert wurde.

LG
Steffen
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Gast







Beitrag31.01.2010 20:08

von Gast
Antworten mit Zitat

Ich lasse hier auch mal eine paar Worte fallen und lasse sie liegen, damit sie zum Aufheben einladen..

Zitat:
Äußerst wichtig, das hatte ich mir gemerkt.

Bezieht sich das auf den Gedanken oder darauf, dass er allein Eigentum des Erzählers ist?

Zitat:
Die großen Fassaden zu beider Seiten

Entweder sollte das ein "beiden" werden, oder auf wen bezieht sich der Genitiv Plural?

Zitat:
beim Vorrüberziehen

Empfehle "im" Vorrüberziehen.

Zitat:
neben des Küsters Atelier

Achtung, bestimmter Artikel. Welcher Künstler denn?

Und wie gesagt, das "verwelken" klingt nach sterben und Tod, vergehen. "Entfliehen" wärde wohl schöner.

Sehr schön finde ich die Stelle mit den Tieren und der Verfolgung durch (ich nehme mal an) Höfe und Gassen (so habe ich es mir jedenfalls vorgestellt). Die Schilderung danach war ein wenig diffus, aber als Brillenträger kann ich sie durchaus nachvollziehen Wink Keine schlechte Idee, wirklich nicht. Es lohnt sich auf jeden Fall, noch mal drüberzuschauen, ein bisschen an manchen Formulierungen zu schleifen etc. pp. Gut gelungen!
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yt
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 703
Wohnort: Sittensen
DSFo-Sponsor


Beitrag04.02.2010 06:55

von yt
Antworten mit Zitat

Moin moin,

ich find den Text noch immer Klasse. Er funktioniert sogar, wenn man ihn einkürzt, oder damit spielt.

Also probiert das mal aus, nehmt euch Sätze, fast wahllos und baut sie neu zusammen, das ist total cool.
Manches wirkt dann abstrakt, leicht bizarr, aber zu 85% funktioniert es irgendwie und macht richtig Laune. Das kann man sicher noch ausbauen.
Man könnte ein mitmach Büchlein daraus machen, oder ein Flash Spiel.

Ich finds geil. 7 Federn, weil ich denke das man ihn noch lokker um 2 Federn steigern koennte, ... wenn ... ach eigentlich wuerd ich gern 8 geben ... aber ich bin unschluessig.

Kichernde Grüße mit
yours truly
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