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Die Mitglieder des Systems


 
 
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Strafraumbewohner
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 35
Beiträge: 14
Wohnort: Hamburg


Beitrag16.11.2008 20:00
Die Mitglieder des Systems
von Strafraumbewohner
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Seid gegrüßt alle miteinander. Nach langer Zeit voller Probleme, Sorgen und anderer Dinge gibt es auch von mir mal wieder was zu lesen.
Die Geschichte entstand vor einem Jahr und viel mir kürzlich mal wieder in die Hände. Nachdem ich sie noch ein wenig überarbeitet habe findet ihr sie jetzt hier. Bei meinen Eltern hat sie für eine Menge Gelächter gesorgt. Aber was sabbel ich hier eigentlich rum...

Die Mitglieder des Systems

„Aua! Peter komm mal schnell.“ Eine unscheinbare, leicht demütige Stimme drang aus der Küche und bahnte sich ihren Weg durch das Gewirr von Gängen und Zimmern dieser Wohnung, bis in das Wohnzimmer, wo der Ausruf in zwei Ohren wanderte, die gleich daraufhin aufschrecken.
„Was ist denn los?“ Eine leichtfüßige und grazil anmutende Person, mit den Kurven eines Streichholzes, galoppiert in die Küche und erkundigt sich nach dem Anlass, dieses doch recht schreckhaften, Ausrufes. Das ist also der Peter, der da nun steht und auf das Geschehen hinabblickt, in der Hoffnung, die Küche würde noch vier Wände haben und er müsse keinen großen Kraftakt mehr leisten. Mit einem genauen Blick mustere ich ihn. Seine großen dünnen Füße halten ihn in einer Position, die man heutzutage Aufrechter Gang nennt. Mit seinen langen Fangarmen versucht er immer wieder höher gelegene Gegenstände zu erreichen, die für seine Frau so unerreichbar hoch angelagert sind, dass ein Erreichen dieser Gegenstände aus eigener Kraft für Brigitte, wie sie von Mitgliedern des Systems liebevoll genannt wird, zu einem Griff nach den Sternen werden lässt. Ja, diese beiden Personen gehören zu den verrücktesten Familienmitgliedern denen ich jemals begegnet bin. Immer und immer wieder stellen sie die gleichen Fragen und immer wieder versuchen sie die gleichen Probleme zu lösen, die sie schon so oft vor sich her geschoben haben.
„Kannst du mal bitte das Fleisch umdrehen, hier spritzt das Fett immer so, ich habe mich verbrannt.“ Jammernd und nach Hilfe suchend schaut Brigitte ihren Peter an, der sich bereitwillig an den Herd stellt und mit seiner Hand den Pfannenwender greift. Leider verschwindet der Pfannenwender dann irgendwo in einer Falte der Hand, was das Umdrehen des Fleisches nicht leichter macht.
Brigitte hatte inzwischen den Wasserhahn angestellt und ihre rechte Hand gekühlt. Dabei verbrauchte sie Wassermassen, die ausreichen würden die Sahara in ein Meer zu verwandeln.
Als ich die beiden nun so beobachte, stellte ich das leichte Bedürfnis fest, mich zu räuspern, was ich darauf auch vollzog. Jedoch ohne die weit reichenden Konsequenzen bedacht zu haben.
„Peter, ruf schnell einen Krankenwagen. Der Typ dort drüben am Tisch stirbt gleich.“
Brigitte hatte Peter auf mich aufmerksam gemacht. Mein Räuspern schien falsch verstanden worden zu sein.
„Ich habe mich nur geräuspert.“ Ich musste mich nun verteidigen, auf Krankenhausaufenthalte hatte ich heute keine Lust mehr.
„Ich will dir doch nur helfen!“ Brigitte war anscheinend immer noch davon überzeugt, dass dieses Räuspern ein Anzeichen für meinen nahenden Tod sei.
„Ich bitte dich, jeder Kommentar von dir stellt eine größere Gefahr für mein Leben dar als dieses Räuspern, also wenn jemand ins Krankenhaus muss dann du und nicht ich.“
Scheinbar hatte ich es wieder einmal geschafft mit einer harten, direkten Kritik die Fronten abzustecken. Manchmal musste das einfach sein, um die unwesentlichen und unwichtigen Beiträge der anderen Familienmitglieder auszusortieren und die Fakten aufzunehmen, die für mich von Bedeutung sind. Leider musste ich in den letzten Jahren einen starken Abfall der wichtigen Beiträge feststellen. Schlimmer noch wurden immer mehr Beiträge geliefert die eigentlich sofort in den Papierkorb gehörten. Jedoch verbietet es mir meine Höflichkeit, meine Mutter, direkt nachdem sie ein Gespräch versucht zu beginnen, abzubrechen. So war es ebenfalls vor knapp einer Woche, als Brigitte mich darauf aufmerksam machte, dass in China ein Sack Reis umgefallen sei. Innerhalb weniger Sekunden donnerten bei mir die Alarmglocken und dröhnten in mir, wie das schrille Klingeln eines Weckers morgens vor dem Aufstehen. Dazu signalisierte in mir ein Auswahlsystem sofort, dass diese Informationen in die Rubrik Unwichtiger als Unwichtig gehörten. Normalerweise würde ich nun versuchen unter allen Umständen davon zu kommen, um in sicherer Entfernung einen Systemneustart durchzuführen und mein Erinnerungsvermögen, von den unwichtigen Reisinformationen, zu reinigen. Jedoch hielt mich an diesem Tag die starke Verbundenheit zu dem Stück Kuchen, dass sich auf meinem Teller befand, in der Nähe meiner Mutter. Auch ein Weglaufen mit dem Teller war keine Lösung, da es für mindestens einen von uns, mit irreparablen Schäden ausgegangen wäre. Ich blieb also sitzen. Was ich gleich darauf bereute, da meine Mutter mir nun alle Einzelheiten des Reissack Falls schilderte. Ja meine Mutter, ein unwesentliches Wesen das mit großer Besorgnis um mich, Einfluss auf mich zu nehmen versuchte.
„Wo ist denn der blaue Rucksack hingekommen?“ Ich war zurück in der Realität als mein Vater aus seiner Sendemast hohen Position durch lautes rufen versuchte mit meiner Mutter zu kommunizieren. Problem hierbei stellte in erster Linie der Höhenunterschied dar. Vater, mit  gefühlten 2,25 Meter thront deutlich über Mutter, mit ihren geschätzten 30 Zentimetern. Nun kann es also vorkommen, dass bei Gesprächen zwischen den beiden, Wortfetzen und sogar ganze Sätze, auf dem Weg von unten nach oben und umgekehrt, sich einfach in Luft auflösen.
Darum führen beide ihre Gespräche in einer Lautstärke die sonst nur Flugzeuge zum starten benutzen.
„Ach Peter, natürlich in der Kammer. Wo soll er denn sonst sein?“
Peter machte sich nun ohne große Umschweife auf den Weg zur Kammer. Keinesfalls die Kammer des Schreckens. Jedoch ein Schrecken für jeden Gegenstand. Einmal hier abgelegt, erblickt er das Tageslicht nur noch in seltensten Fällen. Und wenn doch, dann nur um gleich darauf in den Müllcontainer geworfen zu werden.
Peter hat nun die Tür geöffnet und ruft gleich darauf fragend in die Küche.
„Wo denn, hier ist er nicht.“
Brigitte wurde dadurch natürlich aufgeschreckt. Konnte sie sich geirrt haben? Nein, das konnte sie sich nicht. Und das musste sie natürlich beweisen. Darum kam sie angerannt und stand nun knapp hinter Peter.
„Da hinten in der Ecke unter den anderen Sachen ist der doch. Ich weiß gar nicht was du hast.“
Peter begann leicht zu wühlen.
„Also hier ist er nicht.“
„Komisch der muss doch da sein, vorletztes Jahr war er doch auch noch da.“
„Wenn hier vernünftig aufgeräumt wäre, dann würde man auch mal was wieder finden.“ Peter hatte den Geräuschpegel stark angehoben.
Für Brigitte war klar, dass Peter nur wieder ablenken wollte.
„Die Kammer ist doch aufgeräumt. Alles steht an seinem Platz.“
„Und warum finde ich dann nichts wieder?“
„Du musst nur mal richtig suchen.“ Brigitte stand mit fassungslosem Gesichtsausdruck da und wartete die Reaktionen Peters ab.
„Ich räume hier demnächst mal richtig auf.“ Peter hatte das Suchen nach dem Rucksack aufgegeben und die Tür, hinter der das Land der Kammer wartete, wieder geschlossen.
Ja die leeren Versprechungen, ein ungelöstes Rätsel in dieser Familie. Tagtäglich werden so viele Vorhaben ins Auge gefasst. Wo sie dann auch meistens bleiben. Die Zeit tut dann ihr übriges und die Vorhaben bleiben auf der Strecke. Zumindest sind dies die Begründungen aus den Mündern meiner Eltern.
„Was meinst du was ich den ganzen Tag zu tun habe?“
Wie oft ich diesen Satz mir schon anhören musste. Ganz sicher öfters als Thomas Gottschalk in seiner Karriere sagte: „Top die Wette gilt.“
An sich wäre es kein Problem für mich damit zu leben, dass mein Vater wenig Zeit hat und viele Dinge täglich erledigen muss. Jedoch stellte sich für mich heraus, dass er immer öfter der Meinung sei, ich hätte doch am Tag nichts zu tun und könnte dieses und jenes noch erledigen. Und wenn ich ihn dann auf einen freien Termin aufmerksam mache, wann ich die aufgetragenen Aufgaben erledigen könnte, dann darf ich mir anhören: „Ja, ja.“ Was soll dass denn bitte heißen? Ist es nicht normal einen Termin auf das Wochenende zu verlegen, wenn man den Auftrag dazu an einem Montag bekommt?
Na Gut, Eltern sind komische Wesen und versuchen sich auf einer Ebene mit ihren Kindern zu unterhalten. Jedoch stellt sich dieses als durchaus schwieriger dar, als sie zu glauben meinen. Denn sie beherrschen die Sprache einfach nicht. Zudem haben sie oftmals weltfremde Ansichten, von den Geschehnissen, auf diesem Planeten den wir uns alle teilen.
Mein Vater zum Beispiel ist immer noch der Ansicht, dass Kapital ein Herz haben könnte. Ihm mitzuteilen, dass das Gegenteil der Fall ist, ist für mich ein großes Unterfangen, dessen Ziel noch in weiter Ferne liegt. Ich hoffe inbrünstig dieses Ziel noch vor dem nächsten Weltmeistertitel von Michael Schuhmacher erreichen zu können. Angesichts dieses engen Zeitrahmens und der schwere des Falles, mache ich mir aber berechtigte Sorgen.
Aber nicht nur die Zeit ist bei diesem Unterfangen ein Problem. Auch der drastische Sprachunterschied stellt ein Problem dar. Jugendsprache und Seniorenkommunikationsvokabeln ähneln sich wie Finnisch und Deutsch. Da ich jedoch nicht erwarten kann, dass meine Eltern in dem Alter noch eine neue Sprache lernen, bemühe ich mich Kommunikation auf einem Niveau mit ihnen zu betreiben, dass es erlaubt ihnen gewisse Vorzüge dieser Welt und sonstige Fehleinschätzungen näher zu bringen.
Ja meine Eltern, immer noch glauben sie, sie könnten mir etwas lehren über die Vorgänge in der großen weiten Welt und könnten meinen Weg positiv beeinflussen. Doch die Realität sieht anders aus. Meine Aufgabe ist es meinen Eltern die Vorgänge in der globalisierten Welt näher zu bringen und sie aufzuklären warum derjenige dorthin geht und der andere dort einkauft und nicht dort. Wäre mir vor dem Eintritt in diese Welt die schwere dieses Unterfangens deutlich gewesen, wäre ich noch länger in dem Bauch meiner Mutter geblieben.
Immerhin wären mir dann auch die lästigen Diskussionen erspart geblieben, in denen ich freiwillig den kürzeren ziehe, um meinen Eltern das gewisse Gefühl zu überlassen. Der klügere gibt halt nach.
Letzten Endes bin ich aber zufrieden, der Tagesablauf mit meinen Eltern ist kurz und knapp gesagt, akzeptabel. Verschiedene Vorgänge innerhalb dieses Systems sind, für die Außenwelt, sowieso nicht zu verstehen. So dass ich die Vorzüge dieses Zusammenlebens, nur begrenzt deutlich machen kann. Für meine Eltern sind sie aber erkenn- und nachvollziehbar, denn sie sind Mitglieder des Systems.



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