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madrilena
Klammeraffe

Alter: 88
Beiträge: 647



Beitrag16.05.2013 19:54

von madrilena
Antworten mit Zitat

Im Augenblick scheint meine Schreiblust mich wieder einmal im Griff zu haben. Hier ist das nächste Kapitel und für jede Kritik, mag sie noch so hart sein, bin ich sehr dankbar.
madrilena


18
Sie gingen zielstrebig die Augustinergasse entlang bis zu dem Eckhaus mit der abgerundeten Fassade, in dem Lisa wohnte. Sie nahm diesmal nicht den Aufzug - einerseits wollte sie den Moment, in dem Philipp ihre Wohnung betreten würde, hinauszögern, andererseits sollte er ganz bewusst Schritt für Schritt in ihr Dasein kommen. Ob er das auch so empfand, wusste sie nicht.Vielleicht dachte er auch, dass es ihre täglichen sportlichen Übungen wären, aber das war ihr gleichgültig. Oben angekommen, schloss sie vorsichtig die Tür auf, ließ ihm den Vortritt, was eindeutig eine Einladung in ihr Leben bedeutete. Staunend stand er vor den großen Fenstern: „Was für ein Ausblick! Traumhaft.“ Sie genoss sein Erstaunen, fühlte sie sich in diesem Augenblick doch als innere Besitzerin jeden Zentimeters dieser Wohnung. Neugierig schaute er sich um, fragte dann: „Und dein Atelier? Ist es da oben“?, und er deutete auf die Wendeltreppe. Sie nickte und ging ihm voraus, stand einen Moment zögernd vor der verschlossenen Tür. In wenigen Minuten wäre sie nicht mehr nur noch eine Reisebekanntschaft, würde er mehr, viel mehr von ihr wissen, als sie gedacht hatte, ihm zu erlauben. Dann drückte sie die Klinke hinunter: „Komm“. Der Raum war durchflutet  von Sonnenlicht,  was allen Skulpturen, fertigen und unfertigen Werken eine ganz besondere Lebendigkeit verlieh.
Stumm war ihr Philipp gefolgt, als wüsste er um die Bedeutung, die dieser Raum für Lisa hatte. Dann blieb er abrupt stehen:
„Das – das ist deine Welt…!?“
Er ging tiefer in den Raum hinein, bemüht, leise aufzutreten, was Lisa beinahe die Tränen in die Augen trieb.
Er näherte sich der Skulptur auf dem Bock, betrachtete sie von allen Seiten. Ohne sich nach Lisa umzudrehen, die an der Tür stehen geblieben war, fing er leise an: „Lisa, ich glaube, ich kann nachempfinden, was dich zaudern ließ, mich in diese Welt eintreten zu lassen. Ich habe dein Zögern gespürt, und war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob mein Wunsch, dein Atelier, deine Kunst sehen zu wollen, nicht falsch war. Ich habe dir von meinem Buch erzählt und erinnere mich noch genau, wie verunsichert ich war. Würdest du verstehen, was ich schreiben möchte?  Könntest du nachvollziehen, was mir bei diesem Thema so wichtig war? Du hast mich verstanden, und das hat mich unendlich glücklich gemacht. Du hattest aber nicht von mir erwartet, dass ich dir von meinem Schreiben erzählen würde. Vielleicht ist „erwarten“ nicht das richtige Wort - ich bin auf dich zugegangen, ich war es, der Lust gehabt hat, dir von meinem Buch zu sprechen. Aber jetzt ist es nicht so. Du hast mir nicht angeboten, in dein Atelier zu kommen. Du wolltest mir deine Arbeiten noch nicht zeigen. Hast du es aus Höflichkeit getan, weil ich dich darum bat? Oder... ist es Vertrauen?“
Lisa hatte Philipp stumm, fast regungslos zugehört. Sie wusste, er lag mit seiner Vermutung richtig und dann auch wieder nicht. Sie hatte Angst vor der Nähe. Sie fühlte sich Lukas gegenüber schuldig, dass sie das Zusammensein mit  Philipp eigentlich wünschte. Sie traute ihren eigenen Gefühlen nicht, während sie nicht einen Moment an der Ehrlichkeit seines Interesses, sogar seiner Zuneigung zu ihr zweifelte.
„Vertrauen - ich glaube, es ist Vertrauen“, fast unhörbar flüsterte sie diese Worte und war ihm dankbar, dass er sie mit seiner nächsten Frage einer ausführlicheren Antwort enthob.
 „Warum hast du dich für Stein entschieden?“
Froh über sein Interesse antwortete sie: „Er ist für mich eine Art Ausgangspunkt. Immer schon habe ich mich für Steine interessiert, habe Formen in sie hinein interpretiert, habe Geschichten über sie ersonnen, wollte ihnen eine Seele geben. Vielleicht … weil der Stein das Sinnbild der Unvergänglichkeit ist – jedenfalls für mich.“
„Sinnbild der Unvergänglichkeit! Komisch – hast du nicht von deiner Angst vor dem Nichts gesprochen? Schaffst aber gleichzeitig Werke, die unvergänglich sein sollen. Wie vereinbarst du das in dir – schließt nicht das eine das andere aus?“
„Möglich – vielleicht finde ich Trost darin,  Steine deshalb zu berühren, weil sie schon seit Jahrmillionen existieren. Doch, wahrscheinlich hast du Recht, möglicherweise ist es tatsächlich ein  Widerspruch“, und sie fügte in Gedanken leise hinzu: ‚Wie so vieles in meinem Leben’.
Laut sagte sie:  „Komm, ich mach uns auf diesen Stühlen hier Platz, dann können wir noch ein wenig bleiben.“
Sie räumte Tücher, herumliegende Feile und Schmirgelpapier, Schlag- und Spitzeisen auf ein Wandgestell, wischte flüchtig über die staubigen Sitze. Zögernd ließ sich Philipp nieder, den Kopf gesenkt, der Rücken gebeugt, die Arme zwischen den Knien. Kutschersitz nannte man das in ihrer Gymnastikstunde, wenn sie sich von anstrengenden Übungen entspannen wollten. Jetzt schwiegen sie beide. Lisa gab sich ganz der Stille des Raumes hin. Einer Stille  erfüllt von den hier erlebten und gedachten Emotionen, vom hellen Tageslicht, dem Glanz und den Schatten der Figuren und noch unbehauenen Steinen. Sagte diese Stimmung, die so intensiv diesen Raum zu beherrschen schien, nicht  mehr über sie aus als jedes gesprochene Wort? Schaffte sie dieses seltsame Empfinden der Zusammengehörigkeit, vor dem sie selbst ständig zurückwich? Es war aber kein neues Erleben, sie hatte dieses Gefühl schon früher im Zusammensein mit Philipp empfunden und nicht nur damals, in Norwegen. Auch bei dem Gespräch über die Zeit. Aber gab es das – ein Sichfinden in der Kunst und doch frei zu bleiben, nicht schuldig zu werden?
Sie schloss einen Augenblick müde die Augen, sah im Geist Lukas vor sich: ‘Morgen gehe ich zu ihm. Ich werde ihm von Philipp erzählen, ich werde ihm von meinen Gefühlen sprechen. Glaubst du wirklich, dass du dich damit von der Verantwortung befreist? Dass es damit leichter zu ertragen wäre, dass du ihn betrügst, wenn auch bisher nur in Gedanken und Empfindungen? Du möchtest Absolution von einem Menschen, der dich nicht hören, nicht sehen, nicht verstehen kann’.
Als sie spürte, dass sie immer mehr in einer existenzlosen Unwirklichkeit versank, als das Schweigen zwischen Philipp und ihr lastend wurde, kehrte sie  zu ihrem Gespräch zurück:
„Warum Stein? Vielleicht wirklich deshalb, weil der Stein für Unsterblichkeit oder für Wiedergeburt oder wie immer man es nennen möchte, steht?“
Sie hielt einen Augenblick inne, sagte dann noch gequält: „Ich möchte so gern an eine lebendige Unendlichkeit glauben. Aber ich schaff es einfach nicht! Und wenn ich dann mit Steinen Gedanken und Vorstellungen, ja, sogar Visionen ausdrücken kann“, sie schluckte, es war so schwer, sich verständlich zu machen. Sie holte tief Luft, fuhr dann fort: „Meine Skulpturen sind Träume. Wenn ich also in gewisser Weise in ihre steinerne Zeitlosigkeit eindringe, schenken sie mir vielleicht eines Tages die Einsicht, dass nichts vergänglich ist – auch ich nicht“, fügte sie mit leiser Stimme hinzu.
Philipp hob den Kopf, stand auf und ging noch einmal zu ihrer letzten Arbeit, dem hingestreckten Frauenkörper. Sie beobachtete, wie er nachdenklich über den verletzten Rücken strich. Aber vielleicht würde er das ja gar nicht als Wunde wahrnehmen! Doch seine nächste Frage belehrte sie eines andern: „Musstest du der Figur diese Verletzung beibringen? Versinnbildlicht sie etwas, das dich nicht loslässt, das dich irgendwie am Lebenkönnen hindert?“
Sie stand auf, fest entschlossen, seine Frage unbeantwortet im Raum stehen zu lassen. Er würde bald wissen, was mit ihr geschah - spätestens wenn er das Zimmer von Lukas betrat.
Munterer als ihr zumute war, sagte sie: „Komm, lass uns rasch zum Italiener gehen, ich habe jetzt Hunger und dann rufe ich alle aus der Gruppe an.“


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Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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Gamone
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Beitrag17.05.2013 16:57

von Gamone
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Hallo Hilde,
beim Durchlesen ist mir das hier aufgefallen:

>Du hast mich verstanden, und das hat mich unendlich glücklich gemacht. Du hattest aber nicht von mir erwartet, dass ich dir von meinem Schreiben erzählen würde. Vielleicht ist „erwarten“ nicht das richtige Wort - ich bin auf dich zugegangen, ich war es, der Lust gehabt hat, dir von meinem Buch zu sprechen.< da passt erzählen besser, finde ich.

Nach dem ersten Lesen gefällt mir das Kapitel sehr gut. Hoffentlich vergeht Dir die Schreiblust nicht so schnell wieder!
Willst Du Phillip wirklcih mit ins Marienstift nehmen? Das wird aber hart,  beiden Protagonisten emotional gerecht zu werden. Bin gespannt, wie Du das umsetzen wirst!

LG


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madrilena
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Beitrag17.05.2013 17:59

von madrilena
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Danke - ich wünsche Dir ein friedliches Pfingstfest
LG madrilena


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madrilena
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Beitrag09.06.2013 12:15

von madrilena
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Hallo Simone Seit Pfingsten habe ich schon nichts mehr weiter hier reingestellt? Ich verspreche, dass ich jetzt wieder reger an meinem Buch arbeiten werde. Du fragst, ob ich Philipp wirklich so einfach mit ins Marienstift nehmen möchte. Ich finde das eigentlich eine gute Idee - langes Drumherumreden bringt ihr ja nichts und so hat sie gleich ohne große Erklärung ihre Situation geklärt. Danach wird es noch genügend Zündstoff geben, denn ist er jetzt so geschockt, dass er von sich aus die Beziehung ihr zuliebe beenden will???  Ich weiß es wirklich noch nicht. Aber jetzt kommt erstmal die Auseinandersetzung mit Caroline, bevor diese nach Berlin fährt.
Aber ich werde mich dransetzen.
LG madrilena


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Gamone
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Beitrag09.06.2013 15:54

von Gamone
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Oh ja! Lass es Zoff regnen! lol2
Ich hab Dich hier schon vermisst, aber so lange Du mir nciht abhanden kommst, ist ja alles gut!
LG
Gamone


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madrilena
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Beitrag21.06.2013 13:47

von madrilena
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Endlich habe ich wieder den Draht zu meinem Buch gefunden. Ich habe jetzt direkt nach dem Weihnachtsabend mit Philipp die Szene mit Caroline eingeschoben, so dass ich die nächsten Kapitel (ich glaube es ist nur eines) kurz wiederholen muss, wenn ich die folgenden Kapitel einstelle. Ich hoffe auf Kritik und auf feedbacks. Ich würde mich sehr darüber freuen.
Lieben Gruß madrilena

17
Caroline stand am Fenster und starrte in den noch recht kahlen Volkspark hinüber. Es war ein grauer Februartag – vom Horizont schob sich ein bleierner Himmel über die Landschaft. In der Ferne das Dröhnen eines Flugzeugs. Amelie saß in dem einzigen Sessel, den sie sich neben einer Couch angeschafft hatten, umgeben von gepackten Kisten.
„Caroline, so geht es doch nicht weiter. Wo ist dein Elan geblieben, die Vorfreude auf Berlin. Und wo das Glücksgefühl, etwas ganz Neues zu erleben?“
Amelie stand auf, trat hinter Caroline und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter.
“Was soll ich nur machen?“, stammelte Caroline. „Ich bin so enttäuscht, und… mir tut alles weh!“
Sie dachte immer wieder an das Gespräch mit ihrer Mutter, so als würde es gerade stattfinden. Dabei war es doch schon über zwei Monate her.  
Leise sagte sie: „Über zwei Monate. Noch nicht mal an Weihnachten habe ich mich gemeldet.  Nie hätte ich gedacht, dass wir uns so lange nicht sehen, nichts voneinander hören würden.“
"Dann mach endlich Schluss mit diesem Schweigen zwischen dir und deiner Mutter. Nur du kannst das. Sie versucht, mit dir Kontakt aufzunehmen, aber du gehst weder ans Telefon noch an dein Handy“, schimpfte Amelie.
"Ist das so schwer zu verstehen?" konterte Caroline trotzig. "Seit dem Unfall meines Vaters belügt sie mich schon. Sie erzählt mir nicht, dass Professor Zimmer von den beiden Möglichkeiten gesprochen hatte - mein Vater zu Hause oder in einem Heim zu pflegen. Und warum hat sie ihn dann ins Heim gegeben? Sie haben mich mein ganzes Leben lang glauben lassen, dass sie die große Liebe verkörperten. Aber so war es nicht. Sie schiebt ihn ab - sie schiebt ihn einfach ab! Und redet nicht mit mir, hat kein Vertrauen“.
 "Du siehst doch selbst, welche Katastrophe dieses Vertrauen ausgelöst hat", sagte Amelie. Ihr Tonfall wurde weich und sie streichelte Carolines Arm. "Schau mal, seit dem Kindergarten sind wir beide die besten Freundinnen. Wir kennen uns so lange und so gut, und ich erinnere mich doch noch daran, wie sehr du damals bei dem Unfall deines Vaters gelitten hast, wie sehr du ihn auch heute noch vermisst. Und wie ungerecht dir das Leben erscheint. Die vielen Tränen, deine Wut, deine Verzweiflung, und all unsere Gespräche, ich werde sie nie vergessen. Und deine Mutter? Meinst du nicht, dass deine Mutter genauso gelitten hat wie du?"
"Aber gerade deshalb kann sie Papa doch nicht einfach abschieben!“
„Lass doch endlich mal das Wort ‘abschieben’ weg. Das hat sie nicht getan. Jahrelang ging sie täglich ins Krankenhaus, hat sich um ihn gekümmert, saß den ganzen Tag an seinem Bett, verzichtete auf ihren Beruf, auf ihre Reisen, auch auf ein normales Leben mit Dir“!
"Amelie, es gibt doch noch Hoffnung. Wenn Papa heute zu sich kommt, wenn er aus dem Koma erwacht - was muss das für ein Gefühl sein, wenn er merkt, dass sie ihn nicht zu Hause hatte haben wollen“!
"Verdammt Caroline", die Freundin wandte sich ab und setzte sich auf die Lehne des Sofas. Das tat sie immer, wenn sie kurz davor war, die Wohnung zu verlassen, aber noch zu vertieft in ein Gespräch war. "Du bist doch kein Kind mehr. Du meinst, solange Lisa ihre Rolle als deine Mutter und Frau deines Vaters nach deinen Vorstellungen und Erwartungen erfüllt, kann sie sich deiner Liebe und Aufmerksamkeit immer gewiss sein. Aber ihr eigenes Leben darf sie nicht leben? Dann bestrafst du sie, indem du kein Wort mehr mit ihr redest?"
"Das habe ich nicht gesagt", erwiderte Caroline leicht gereizt. "Sie lebt doch ihr eigenes Leben. Sie hat das Reisen wieder aufgenommen. Sie hat ihre Kunst. Ist das nicht Leben, ist das nicht genug?“
„Willst du deiner Mutter vorschreiben, was genug ist und was nicht? Glaubst du, als Kind ein Recht dazu zu haben“?
Als Caroline nicht antwortete, fuhr Amelie fort: “ Was verlangst du eigentlich von deiner Mutter. Dass sie sich lebendig in ihren Erinnerungen begraben lässt. Du machst dir doch was vor, wenn du glaubst, dass nach all diesen Jahren das Leben plötzlich wieder ganz normal weiter gehen könnte, wenn dein Vater aus dem Koma auftauchen würde. Die Chancen stehen so schlecht - warum willst du das nicht endlich einsehen? Deine Mutter hat es erkannt, deine Mutter hat sich fürs Leben entschieden, ohne Lukas zu vernachlässigen. Reicht dir das nicht? Hättest du lieber, sie würde sich aufgeben. Dann hättest du nicht nur den Vater, sondern auch die Mutter verloren. Ist es das, was du willst“?
"Ich brauch einfach noch etwas Zeit", war Carolines einzige Antwort auf Amalies Worte..
"Zeit? Wozu?" fragte Amelie, während sie den Reißverschluss der Jacke hochzog und sich einen Schal um den Hals wickelte. "Um dich daran zu gewöhnen, dass auch deine Mutter ein Recht auf ein eigenes Leben hat? Braucht man dafür Zeit? Oder meintest du noch mehr Zeit, um zu schweigen und deiner Mutter damit zu verstehen geben, wie sehr sie dich verletzt hat?"
Caroline ging nicht auf Amelies Antwort ein, fragte statt dessen leise: "Musst du heute unbedingt zu diesem Termin?"
"Tut mir sehr leid, ich würde wirklich lieber bei dir bleiben, aber ich muss da hin. Vielleicht ist es auch besser so. Ich habe dir meine Meinung gesagt. Überleg's dir, ob du wirklich nach Berlin gehen willst, ohne vorher mit deiner Mutter zu sprechen. Du weißt ja, wo das Telefon steht und die Nummer deiner Mutter wirst du ja noch auswendig können“, fügte sie mit einem liebevollen Lächeln hinzu.
Caroline sah ihrer Freundin nach, wie sie die Wohnungstür hinter sich zuzog. Amelie war immer für sie da gewesen, und sie sehnte sich jetzt schon danach, sie in ein paar Stunden wieder zu sehen, um mit diesem Durcheinander ihrer Gefühle nicht allein zu sein. Ihre Gedanken wechselten zwischen Wut, Traurigkeit und Hilflosigkeit. Wollte sie Lisa wirklich mit ihrem Schweigen bestrafen? Oder war sie mit dem, was Professor Zimmer gesagt hatte, einfach überfordert? Aber wenn sie damit schon überfordert war, wie viel mehr musste es ihre Mutter sein - der Mann, der sie nicht mehr erkennt, die vielen Besuche im Pflegeheim, den Mut, noch einmal neu zu beginnen und jetzt auch noch die Tochter, die sie nicht versteht.
'Aber es ist doch mein Papa! Er war immer für uns da. Und jetzt’? Ihr war so elend zumute wie schon lange nicht mehr .
‚Ich beweg mich ständig im Kreis! Ich halt das nicht mehr aus.’ In Gedanken setzte sie die abgebrochene Diskussion mit der Freundin fort: ‚Warum ich mehr Zeit brauche, Amelie? Weil in mir ein Riesendurcheinander herrscht. Weil ich erst mit mir ins Reine kommen muss, damit ich dann ein ehrliches Gespräch mit meiner Mutter führen kann. Das kann ich noch nicht!’
Sie beschloss, dass sie erst einmal nach Berlin fahren, sich in der fremden Umgebung, in der Wohnung und der neuen beruflichen Verantwortung einrichten würde. Und dann…?
Sie zog die Beine eng an den Körper und legte das Gesicht auf ihre Knie. Sie fror und war müde und selbst der Gedanke an Berlin und ihr Leben dort hatte seinen Reiz verloren.
'Papa, was sagst du denn dazu?' hörte sie sich leise fragen. 'Du und Mama, ihr gehört einfach zusammen. Euch kann nichts und niemand trennen. Auch kein Unfall, keine Krankheit. Du kommst doch wieder zu uns zurück. Du hast mir versprochen, mich nie im Stich zu lassen, weißt du noch' ?
Es war dunkel geworden. Sie stand auf, ging zum Fenster und zog die Vorhänge zu. Dann suchte sie in ihrem CD-Schrank nach einer Musik, die ihrer Verzweiflung entsprach. Sie griff nach Ulysses Gaze von Eleni Karaindrou, wickelte sich in ihre Kuscheldecke und setzte sich auf den Boden mit dem Rücken zum Heizkörper. Bei der vierten Variation über Ulysses Thema fing sie hemmungslos an zu weinen.


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1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
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madrilena
Klammeraffe

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Beitrag21.06.2013 13:53

von madrilena
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Das folgende Kapitel hatte ich schon reingestellt, aber für den Fluss der Geschichte ist es besser, kapitelweise vorzugehen.
Wie immer - Kritik, Kritik und Kritik bitte
LG madrilena

18
Heute hatte Lisa sich mit Monira Ayadi verabredet.  Die Anrufe der Gruppenmitglieder wurden immer drängender, in denen sie nach einem genauen Datum und weiteren Einzelheiten fragten.
Sie hätte allein gehen können, erinnerte sich aber auch an Philipps Angebot, sie bei diesen Gängen zu begleiten.
„Wenn er dabei ist, fühlst du dich doch viel sicherer, also ruf schon an.“ Sie wusste sofort, dass dieses Argument eine billige Ausrede war - für ein sicheres Auftreten brauchte sie keine Begleitung mehr. Die letzten Jahre waren eine harte Schule gewesen, die sie gezwungen hatten, die schwersten Entscheidungen und Schritte allein zu bewältigen.
„Und wie wäre es damit, wenn ich mir einfach eingestehen würde, dass ich gern mit ihm zusammen bin? “ Sie hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gesponnen, da wurde er schon wieder von ihren Schuldgefühlen abgewürgt. Warum denn Schuldgefühle und Zweifel? „Es geschieht doch gar nichts. Und überhaupt - vielleicht bilde ich mir ja nur ein, dass er mehr für mich empfindet als Sympathie.“
Erinnerungen tauchten auf, die auch diese Argumentation wieder zunichte machten. Da waren vor allem die vielen Reisen, von denen er keine einzige versäumte, wenn sie die Leiterin war. Ganz besonders die letzte Reise vor Monaten nach Norwegen. Unvergesslich das flirrende Licht,  das sich auf den Gletschern zu tausend kleinen glitzernden Sternen vervielfachte. Sie wusste nicht mehr, warum sie dort allein standen, staunend und versunken in das Schauspiel, das sich ihnen bot. Und plötzlich Philipps Stimme, leise, als spräche er nur zu sich:  „Dieses Licht verwandelt die Landschaft in ein Geheimnis, da frag ich mich, warum ich mich so wichtig nehme.“
Sie hatte im selben Moment das Gleiche gedacht und sich ungläubig gefragt, woher diese Übereinstimmung mit einem Menschen kam, den sie doch nur von verschiedenen Reisen her kannte.
Er hatte wohl ihre Rührung gespürt und als wollte er sich und sie wieder in die Gegenwart zurückholen, halb lachend, halb ernst gemeint: „Übrigens – dich treffen zu können, ruiniert mich allmählich.“
Bemüht, wieder zu ihrer alten Sicherheit zurückzufinden, hatte sie gefragt: „Ich dachte, du fährst der Länder wegen mit“.
Noch heute spürte sie diese Erregung, die sie durchflutete bei dem Gefühl,  wieder wahrgenommen zu werden.  Nach all den Jahren, in denen sie sich mit ihren Sehnsüchten und dem oft atemlosen Verlangen nach Nähe, nach Berührung und Zärtlichkeit in ihre Einsamkeit und Kunst zurückgezogen hatte.
Sie erinnerte sich an Philipps Hand, die ihre Hände umfasste und hatte in diesem kurzen Moment gespürt, nur ein einziges kleines Zeichen von ihr, eine zögerliche Bewegung und ihr Leben würde sich von einem Augenblick zum andern verändern. Damals hatte sie ihre Hände vorsichtig aus seiner Umarmung - denn als solche hatte sie  diese Geste empfunden - gelöst, hatte sich bemüht, das Begehren in seinen Augen zu übersehen und nur geantwortet: „Lassen wir es so, wie es jetzt ist, bitte Philipp“. Nach diesen Worten hatte sie sich abgewandt, um ihm nicht die Möglichkeit einer Antwort, eines Widerspruchs zu geben, war zur Gruppe zurück gegangen und hatte gehofft, dass er ihre Ablehnung, die keine Zurückweisung war, angenommen hätte. Und doch gewusst, dass sie sich mit diesem Hoffen etwas vormachte.
Jetzt suchte sie nach ihrem Handy, rief Philipp an und verabredete sich mit ihm in der Schillerstraße. Da sie auf ihn warten wollte, ging sie in das kleine Eiscafé, bekannt für seinen exzellenten Espresso.  Als Philipp schon nach kurzer Zeit auftauchte, - hatte er ihren Anruf doch erwartet’? - machten sie sich auf zu ihrem Treffen mit Frau Ayadi, die ihnen freudestrahlend selbst die Tür ihres Reisebüros öffnete.
Neben ihr stand ein junger Mann. Groß, schlank,  von der Sonne gebräunte Hautfarbe. Lisa schätzte ihn auf ungefähr 30 Jahre – irgendwann erfuhr sie, dass sie ihn um zwei Jahre älter gemacht hatte. Der Fremde ging auf Lisa und Philipp wie selbstverständlich zu, verbeugte sich leicht und meinte in tadellosem Deutsch mit einem schwäbischen Akzent: „Ich bin Samir, ihr zukünftiger Wüstenbegleiter.“ Sein Händedruck war fest und sympathisch, aber noch gewinnender war sein Lächeln. Sein von dem Schwäbischen weiches Deutsch klang nicht lächerlich, sondern eher vertrauenerweckend, wurde damit doch sofort eine Art Brücke zwischen ihnen gebaut, weil die Verständigung keine sprachlichen Schwierigkeiten bedeutete.
Lisa reagierte sehr schnell und meinte mit einem verschmitzten Lächeln: „Salam nalaikum“ und merkte, dass er diese Begrüßung genauso empfand, wie sie gemeint war – als Respekt dem Gast gegenüber.
Frau Ayadi lachte übers ganze Gesicht. „Na, ist die Überraschung gelungen?“
„Ich freue mich so sehr auf diese Reise mit Ihnen“, wandte sich Samir an Lisa und Philipp.
„Wollen Sie uns heute schon abholen“, scherzte Philipp.
„Nein, nein, aber ich wollte Sie vor Antritt ihrer Reise gern kennen lernen. Wissen Sie, es geschieht sehr selten, dass sich Gruppen entscheiden, nicht die berühmten Städte wie Fez, Casablanca oder gar Marrakesch zu besuchen, sondern nur einige Tage durch die Wüste wandern wollen. Bei Einzeltouristen geschieht dies öfter, nicht aber bei Gruppen!“
Hier fühlte sich Lisa aufgefordert, den Hintergrund ihrer Wünsche ein wenig zu erklären.
„Samir, ich darf Sie doch so nennen, vor allem auch deshalb, weil es mir lieb wäre, wenn Sie zu mir „Lisa“ und nicht Frau Lohmann sagen, wir sind eine ganz besondere Gruppe. Wir kennen uns schon sehr viele Jahre und haben bereits die schönsten Reisen gemacht - immer typische Touristenziele meidend. Wir haben lange überlegt, ob wir eine normale Marokkotour machen wollten oder etwas ganz Ausgefallenes. Durch Bildbände, Reiseberichte, Fotografien beeinflusst, wollten wir „Unterwegs am Rande der Unendlichkeit“ sein, wie es so treffend in einem der Bücher geschrieben wurde. Wir versprechen uns davon etwas Einmaliges, etwas noch nie Erlebtes und vor allem auch eine innere Erfahrung, die bei normalen Trips einfach nicht zu machen sind.“
Sie spürte, dass Samir sie sofort verstand.
„Es ist gut, dass wir uns heute schon treffen“, meinte er, „ich wollte, dass Sie wissen sollten, mit wem Sie es zu tun haben. Tarek konnte leider nicht mitkommen...“
Lisa unterbrach ihn: „Wer ist Tarek?“
„Tarek wird auf der Reise der Führer unserer kleinen Kamelkarawane sein.“
Sie setzten sich, Frau Ayadi servierte Tee, während Samir sehr gezielte Fragen stellte nach Planung, Ausrüstung, Wünschen.
„Über Wünsche können wir vielleicht noch nicht sprechen“, meinte Philipp. „Noch wissen wir wenig bis nichts über diese Tour außer die Informationen, die wir“, er nickte in Richtung von Frau Ayadi „von unserer Reiseplanerin erhalten haben.“
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag - wir treffen uns in den nächsten Tagen mit Ihrer Gruppe. Sie bestimmen den Zeitpunkt, ich bin nur gekommen, um Sie kennen zu lernen, vor allem aber auch, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben werden in diesen Wochen Ihrer ganz besonderen Erfahrungen.“
Lisa und Philipp waren mit diesem Vorschlag einverstanden - sie wollten jetzt auch weder von Samir, noch Tarek, ja noch nicht einmal von ihrer Reise mehr wissen, als sie bis jetzt gehört hatten. Mit der Gruppe wollten sie alles erfahren, denn vor allem Lisa wünschte sich, dass gerade diesmal die Gruppe nicht aus einzelnen Teilnehmern bestehen sollte, sondern eine Einheit mit verschiedenen Aspekten bildete wie ein Kaleidoskop, eingefasst in ein rundes gleichmäßiges Äußeres, aber innerlich sich darbietend in schillernden, in verschiedenen und immer anders aufleuchtenden Farben.
Sie verabschiedeten sich, nachdem Lisa versprochen hatte, dass sie heute noch alle Mitreisenden anrufen würde, damit man schnell einen Termin finden konnte, an dem sie sich gemeinsam mit Samir, der wieder zurück nach Marokko wollte, treffen könnten.
Lisa und Philipp schlenderten die Ludwigstraße in Richtung Domplatz, nahmen unterwegs noch einen Espresso, als Philipp meinte: „Wenn ich jetzt schon mal in Mainz bin, darf ich dann dein Atelier sehen? Es interessiert mich so sehr, was du aus Stein machst, was dir bei deiner Kunst wichtig ist“.
Sie erschrak - heute schon? Damit hatte sie gar nicht gerechnet. Aber wenn sie ihm schon nicht die Wahrheit über Lukas sagen wollte, sollte sie nicht auch noch aus ihrer Kunst ein Geheimnis machen.
„Also gut, gehen wir kurz zu mir. Und ich schlage vor, dass wir danach beim Italiener nebenan essen gehen - natürlich nur, wenn du Lust hast.“ Ihre Stimme klang ruhig, obgleich sie innerlich zitterte und sich gleichzeitig fragte, warum die Aufregung? Er will nur dein Atelier sehen! Und doch - ihn in ihr Atelier zu lassen, bedeutete gleichzeitig, ihm den Zugang zu ihren Träumen zu erlauben.  Und ein wenig dramatisierend dachte sie noch: ‚Nicht nur zu meinen Träumen, es ist auch ein Teil meines Selbst, den ich bisher nicht versteckt, aber gehütet habe wie ein unendlich wichtiges Eigenes. Vor wem versteckt? Für wen gehütet’? Sie schluckte: ‘Für Lukas? Lukas, der noch da war und doch nicht mehr das Leben mit ihr teilte? Lukas, den sie nicht mehr in dem Menschen erkennen konnte, der auf der Pflegestation des Marienstifts lag, nicht tot und nicht lebendig!“ Ein so heftiger Schmerz durchzuckte sie bei diesen Gedanken, dass sie einen Augenblick strauchelte und nur dank des festen Griffs von Philipp nicht stürzte.
Philipp fasste dieses Straucheln natürlich anders auf, konnte ja auch von diesem Teil ihres Lebens nichts wissen.
„Lisa, lass uns ehrlich zueinander sein - wenn du, aus welchem Grund auch immer, nicht möchtest, dass ich dein Atelier sehe, sag es einfach. Ich interessiere mich wirklich sehr für deine Kunst“, er zögerte und fuhr dann leise fort: „es ist mir so wichtig, dich kennen zu lernen und du weißt es. Aber dazu gehört eben alles, auch was dich tief innerlich beschäftigt. Doch auf gar keinen Fall will ich mich dir aufdrängen, wenn du noch nicht dazu bereit bist. Ich weiß sehr wenig von dir, aber das, was du ausstrahlst, deine Art zu sein, zu handeln hat mich von der ersten Minute an beeindruckt.“
‘Mein Gott, das ist ja fast eine Liebeserklärung’, dachte Lisa erschreckt und doch unendlich berührt. ‘Ich muss mit ihm sprechen, ich kann ihn einfach nicht so im Ungewissen lassen über Lukas und allem, was mir so wichtig ist. Aber heute noch nicht. Ich werde ihm mein Atelier zeigen, wir werden von unserer Kunst sprechen, und von Lukas werde ich ihm noch vor unserer Tour  erzählen. Alles andere wäre einfach unfair. Aber wie soll ich jetzt reagieren?’
Sie überwand all ihre Bedenken, hängte sich bei ihm ein und meinte: „Zu meinem Atelier ist es gar nicht weit. Du kennst ja bereits den Weg.“


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madrilena
Klammeraffe

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Beitrag21.06.2013 13:59

von madrilena
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Auch schon gepostet. Man möge es mir nachsehen, aber es ist meiner Meinung nach besser so, das Neue und das Alte zu verbinden.

19
[i]Sie gingen zielstrebig die Augustinergasse entlang bis zu dem Eckhaus mit der abgerundeten Fassade, in dem Lisa wohnte. Sie nahm diesmal nicht den Aufzug - einerseits wollte sie den Moment, in dem Philipp ihre Wohnung betreten würde, hinauszögern, andererseits sollte er ganz bewusst Schritt für Schritt in ihr Dasein kommen. Ob er das auch so empfand, wusste sie nicht.Vielleicht dachte er auch, dass es ihre täglichen sportlichen Übungen wären, aber das war ihr gleichgültig. Oben angekommen, schloss sie vorsichtig die Tür auf, ließ ihm den Vortritt, was eindeutig eine Einladung in ihr Leben bedeutete. Staunend stand er vor den großen Fenstern: „Was für ein Ausblick! Traumhaft.“ Sie genoss sein Erstaunen, fühlte sie sich in diesem Augenblick doch als innere Besitzerin jeden Zentimeters dieser Wohnung. Neugierig schaute er sich um, fragte dann: „Und dein Atelier? Ist es da oben“?, und er deutete auf die Wendeltreppe. Sie nickte und ging ihm voraus, stand einen Moment zögernd vor der verschlossenen Tür. In wenigen Minuten wäre sie nicht mehr nur noch eine Reisebekanntschaft, würde er mehr, viel mehr von ihr wissen, als sie gedacht hatte, ihm zu erlauben. Dann drückte sie die Klinke hinunter: „Komm“. Der Raum war durchflutet  von Sonnenlicht,  was allen Skulpturen, fertigen und unfertigen Werken eine ganz besondere Lebendigkeit verlieh.
Stumm war ihr Philipp gefolgt, als wüsste er um die Bedeutung, die dieser Raum für Lisa hatte. Dann blieb er abrupt stehen:
„Das – das ist deine Welt…!?“
Er ging tiefer in den Raum hinein, bemüht, leise aufzutreten, was Lisa beinahe die Tränen in die Augen trieb.
Er näherte sich der Skulptur auf dem Bock, betrachtete sie von allen Seiten. Ohne sich nach Lisa umzudrehen, die an der Tür stehen geblieben war, fing er leise an: „Lisa, ich glaube, ich kann nachempfinden, was dich zaudern ließ, mich in diese Welt eintreten zu lassen. Ich habe dein Zögern gespürt, und war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob mein Wunsch, dein Atelier, deine Kunst sehen zu wollen, nicht falsch war. Ich habe dir von meinem Buch erzählt und erinnere mich noch genau, wie verunsichert ich war. Würdest du verstehen, was ich schreiben möchte?  Könntest du nachvollziehen, was mir bei diesem Thema so wichtig war? Du hast mich verstanden, und das hat mich einfach nur glücklich gemacht. Du hattest aber nicht von mir erwartet, dass ich dir von meinem Schreiben erzählen würde. Vielleicht ist „erwarten“ nicht das richtige Wort - ich bin auf dich zugegangen, ich war es, der Lust gehabt hat, dir von meinem Buch zu sprechen. Aber jetzt ist es nicht so. Du hast mir nicht angeboten, hierher zu kommen. Du wolltest mir deine Arbeiten noch nicht zeigen. Hast du es aus Höflichkeit getan, weil ich dich darum bat? Oder... ist es Vertrauen?“
Lisa hatte Philipp stumm, fast regungslos zugehört. Sie wusste, er lag mit seiner Vermutung richtig und dann auch wieder nicht. Sie hatte Angst vor der Nähe. Sie fühlte sich Lukas gegenüber schuldig, dass sie das Zusammensein mit  Philipp eigentlich wünschte. Sie traute ihren eigenen Gefühlen nicht, während sie nicht einen Moment an der Ehrlichkeit seines Interesses, sogar seiner Zuneigung zu ihr zweifelte.
„Vertrauen - ich glaube, es ist Vertrauen“, fast unhörbar flüsterte sie diese Worte und war ihm dankbar, dass er sie mit seiner nächsten Frage einer ausführlicheren Antwort enthob.
 „Warum hast du dich für Stein entschieden?“
Froh über sein Interesse antwortete sie: „Er ist für mich eine Art Ausgangspunkt. Immer schon habe ich mich für Steine interessiert, habe Formen in sie hinein interpretiert, habe Geschichten über sie ersonnen, wollte ihnen eine Seele geben. Vielleicht … weil der Stein das Sinnbild der Unvergänglichkeit ist – jedenfalls für mich.“
„Sinnbild der Unvergänglichkeit! Komisch – hast du nicht von deiner Angst vor dem Nichts gesprochen? Davon, dass du an Unvergängliches nicht glauben kannst. Und dennoch schaffst du Werke,   die unvergänglich sein sollen. Wie vereinbarst du das in dir – schließt nicht das eine das andere aus?“
„Möglich – vielleicht finde ich Trost darin,  Steine deshalb zu berühren, weil sie schon seit Jahrmillionen existieren. Doch, wahrscheinlich hast du Recht, möglicherweise ist es tatsächlich ein  Widerspruch“, und sie fügte in Gedanken leise hinzu: ‚Wie so vieles in meinem Leben’.
Laut sagte sie:  „Komm, ich mach uns auf diesen Stühlen hier Platz, dann können wir noch ein wenig bleiben.“
Sie räumte Tücher, herumliegende Feile und Schmirgelpapier, Schlag- und Spitzeisen auf ein Wandgestell, wischte flüchtig über die staubigen Sitze. Zögernd ließ sich Philipp nieder, den Kopf gesenkt, der Rücken gebeugt, die Arme zwischen den Knien. Beide  schwiegen sie. Lisa gab sich ganz der Stille des Raumes hin. Einer Stille  erfüllt von den hier erlebten und gedachten Emotionen, vom hellen Tageslicht, dem Glanz und den Schatten der Figuren und noch unbehauenen Steinen. Sagte diese Stimmung, die so intensiv diesen Raum zu beherrschen schien, nicht  mehr über sie aus als jedes gesprochene Wort? Schaffte sie dieses seltsame Empfinden der Zusammengehörigkeit, vor dem sie selbst ständig zurückwich? Es war aber kein neues Erleben, sie hatte dieses Gefühl schon früher im Zusammensein mit Philipp empfunden und nicht nur damals, in Norwegen. Auch bei dem Gespräch über die Zeit. Aber gab es das – ein Sichfinden in der Kunst und doch frei zu bleiben, nicht schuldig zu werden?
Sie schloss einen Augenblick müde die Augen, sah im Geist Lukas vor sich: ‘Morgen gehe ich zu ihm. Ich werde ihm von Philipp erzählen, ihm von meinen Gefühlen sprechen. Und - befreit mich das dann von der Verantwortung? Bild ich mir wirklich ein, dass es damit leichter zu ertragen, zu akzeptieren wäre, dass ich ihn betrüge, wenn auch bisher nur in Gedanken und Empfindungen? Versprech ich mir Absolution von einem Menschen, der mich nicht hören, nicht sehen, nicht verstehen kann’.
Als sie spürte, dass sie immer mehr in einer existenzlosen Unwirklichkeit versank, als das Schweigen zwischen Philipp und ihr lastend wurde, kehrte sie  zu ihrem Gespräch zurück:
„Warum Stein? Vielleicht wirklich deshalb, weil der Stein für Unzerstörbarkeit oder wie immer man es nennen möchte, steht?“
Sie hielt einen Augenblick inne, sagte dann noch gequält: „Ich möchte so gern an eine lebendige Unendlichkeit glauben. Aber ich schaff es einfach nicht! Und wenn ich dann mit Steinen Gedanken und Vorstellungen, ja, sogar Visionen ausdrücken kann“, sie schluckte, es war so schwer, sich verständlich zu machen. Sie holte tief Luft, fuhr dann fort: „Meine Skulpturen sind Träume. Wenn ich also in gewisser Weise in ihre steinerne Zeitlosigkeit eindringe, schenken sie mir vielleicht eines Tages die Einsicht, dass nichts vergänglich ist – auch ich nicht“, fügte sie mit leiser Stimme hinzu.
Philipp schien zu spüren, wie schwer es ihr fiel, sich ihm seelisch so nackt zu zeigen. So empfand sie es als erlösend, als er aufstand,  und noch einmal zu ihrer letzten Arbeit ging, dem hingestreckten Frauenkörper. Sie beobachtete, wie er nachdenklich über den verletzten Rücken strich. Aber vielleicht würde er das ja gar nicht als Wunde wahrnehmen! Doch seine nächste Frage belehrte sie eines andern: „Musstest du der Figur diese Verletzung beibringen? Versinnbildlicht sie etwas, das dich nicht loslässt, das dich irgendwie am Lebenkönnen hindert?“
Sie stand auf, fest entschlossen, seine Frage unbeantwortet im Raum stehen zu lassen. Er würde bald wissen, was mit ihr los war - spätestens wenn er das Zimmer von Lukas betrat.
Munterer als ihr zumute war, sagte sie: „Komm, lass uns rasch zum Italiener gehen, ich habe jetzt Hunger und dann rufe ich alle aus der Gruppe an.“
[/i]


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1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
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2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
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Maria
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Beitrag21.06.2013 14:06

von Maria
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Hey madrilena,
welchen Thread können wir denn zurückstellen? Doppelte Posts wollen wir unbedingt vermeiden.
Danke für Info und Gruß
Maria


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Gamone
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Beitrag21.06.2013 14:33

von Gamone
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Hallo Maria, ich glaube, den zu löschenden Post findest Du bei den Buchvorstellungen. Hier
http://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?p=745591#745591. Da war etwas schief gelaufen.



Liebe Hilde, ich habe erst am Wochende Zeit zum Lesen. Aber am Montag bekommst Du dann mein Feedback!
Liebe Grüße


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madrilena
Klammeraffe

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Beitrag21.06.2013 22:31

von madrilena
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Liebste Gamone - Du bist einfach so nett - ja, Du hast es gemerkt, dass es nicht hier war, wo mir ein Text zweimal reingerutscht ist. Danke
Und mit dem Lesen nimm Dir Zeit, falls Du überhaupt Lust dazu hast. Ich wollte nur endlich mal wieder schreiben und habe hier halt das Neue reingestellt, allerdings dann auch die vorherigen oder nachherigen Kapitel. Dann ist es für Dich nicht zu viel zu lesen, denn bei einigen hast Du mir ja schon toll geholfen.
Ich hoffe, Deiner Omi geht es einigermaßen.
Ich wünsche Dir ein harmonisches Wochenende.
Lieben Gruß madrilena


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madrilena
Klammeraffe

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Beitrag23.06.2013 18:45

von madrilena
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Ich merke, dass ich eher Verwirrung gestiftet habe mit der neuen chronologischen Fassung. Gut, wenn man dann einfach etwas überschlagen kann, allerdings habe ich natürlich alle oder wenigstens fast alle Änderungsvorschläge berücksichtigt. Ich musste einfach eine innere Ordnung in den Text bringen. Ob noch jemand Lust hat, auf die Geschichte einzugehen? Mir mit Kritik klar zu machen, was nicht so gelungen ist???? Jetzt jedenfalls geht es so weiter:

20
Von Caroline hatte Lisa nichts mehr gehört, bis sie eine kurze Nachricht von Amelie in Händen hielt. „Lisa, Caro wird in einem Monat endgültig nach Berlin ziehen. Ich wollte, dass du davon unterrichtet bist, obgleich Caro das vielleicht als Verrat auffassen könnte - aber sie weiß nicht, dass ich dir schreibe. Ob du davor noch einmal Kontakt zu ihr aufnehmen möchtest, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht solltest du Caroline Zeit lassen - sie ist im Augenblick völlig verwirrt, aber sie liebt dich, sie braucht dich, auch wenn sie sich dies nicht eingesteht.“
Der Zettel fiel ihr aus der Hand, sie bückte sich nicht. Stammelte: ‘Caroline braucht mich? Caroline liebt mich? Und Caroline zieht ohne ein Wort einfach fort!’  
Lisa spürte, wie die Beine unter ihr nachgeben wollten, sie ließ sich auf den nächstbesten Stuhl sinken: ‘Caroline, das kannst du mir doch nicht antun! Was habe ich denn getan, was nicht auch du tust - nämlich mein Leben irgendwie leben, ohne meinen Mann und doch nicht frei!’
Und was kann Caroline dafür? Da war sie wieder, die hartnäckige Stimme, die ihr jede Verteidigung immer wieder zerstörte: ‘Sie ist ja schließlich nicht mit Lukas verheiratet’. Na und, sie lässt ihn doch auch allein, sie ist seine Tochter. Du weißt genau, dass das etwas völlig anderes ist.’
‘Jaaa’, es war wie ein Schrei, der ihr entfuhr, der sie aufrüttelte und mit all ihrer Entschlossenheit, zu der sie fähig war, entschied sie, morgen zu Caroline zu gehen.

Am nächsten Morgen regnete es in Strömen. Dennoch war die leise Ahnung des kommenden Frühjahrs nicht mehr auszulöschen.
‘Regen, grauer Himmel - das passt doch zu dem, was ich vorhabe’, dachte Lisa, als sie ins Auto stieg, um in die Görresstraße zu fahren.
‚Ob Caroline um diese Zeit überhaupt zu Hause ist’?
Sie parkte vorsichtshalber in der Windhorststraße, weil sie nicht riskieren wollte, dass Caroline sie vielleicht schon vom Fenster aus entdeckte und ihr einfach nicht aufmachen würde.
Je näher sie Carolines Wohnung kam, desto langsamer wurde ihr Schritt. ‘Ob es richtig ist, hierher zu gehen? Ob ich nicht Caroline die Initiative überlassen sollte und mit ihrer Entscheidung, gleichgültig, wie sie ausfallen würde, erst mal leben müsste.' Fragen nichts als Fragen!
'Aber sie ist doch mein Kind! Sie kann doch nicht einfach so weg gehen! Doch, kann sie’,
Lisa merkte, wie ihr die Tränen kamen. Nein, nicht jetzt! Um Gottes Willen kein Mitleid erregen. Sie suchte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch und dachte: ‘Sie wird es tun und irgendwann - irgendwann wird sie die Mutter vielleicht verstehen oder zumindest einsehen, dass ein anderer Weg unmöglich gewesen wäre. Aber  wann?’
Zögernd näherte sie sich der Haustür. Hielt einen Augenblick inne, bevor sie auf den Klingelknopf neben Carolines und Amelies Namen drückte. Sie wohnten hoch oben in einer Maisonette-Wohnung mit einem traumhaften Blick bis zum Volkspark.
Als der Türöffner summte, drückte Lisa leise die Tür auf. ‘Wie gut,  dass es keinen Aufzug gab. Ich möchte jede Stufe einzeln nehmen. Zeit gewinnen? Ja, wahrscheinlich! ‘
Sie wurde immer aufgeregter. Wie würde Caroline reagieren, wenn sie überhaupt da war? Wie würde die Begegnung verlaufen? Sie blieb verschnaufend stehen. Ob sie ihr klarmachen könnte, dass sie, Lisa, nicht aus egoistischer Bequemlichkeit den Vater einer guten Pflege anvertraut hatte. Sondern dass sie sich einfach nicht in der Lage fühlte, den Anforderungen einer solchen Pflege gerecht zu werden? Und dass sie - genau wie ihre Tochter - noch ein Recht auf ein eigenes, ein erfülltes Leben hatte, was ja nicht bedeutete, dass Lukas keinen Platz mehr in darin hätte.
Aber welchen Platz denn?
Nein, so wollte sie nicht denken, nicht jetzt.
Carolines Wohnungstür war nur angelehnt. Wer immer zu Hause war, musste jemanden erwarten. Sie wollte nicht einfach eintreten. Daher drückte ich nochmals auf den Klingelknopf und hörte gleich darauf Carolines Stimme: „Christian, komm doch rein – ich bin gerade in der Küche“.
Wer war Christian? Traurig wurde ihr bewusst, wie wenig Caroline sie an ihrem Leben teilnehmen ließ.
Trotz der Enttäuschung darüber stärkte sie dieses Wissen aber auch. Sie würde dem, was nun kommen mochte, ruhig entgegen  treten. Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür ganz und ging in Richtung Küche, der Stimme Carolines nach. Ihre Tochter stand  mit dem Rücken zu ihr am Herd und briet kleine Pfannkuchen.
„Warum bist du denn so schüchtern, ich habe doch absichtlich die Tür…“ in diesem Augenblick entdeckte sie ihre Mutter. „Ach, du bist es“.
Lisa hatte sich auf einen kühlen Empfang vorbereitet, aber nicht auf diesen ablehnend-gleichgültigen Ton. Caroline konnte sich noch nie verstellen, stets hatte Lisa schon am Klang der Stimme erkannt, was und wie sie sich fühlte.
Caroline hatte sich wieder ihren Pfannkuchen zugewandt, als sei Lisa  Luft für sie.
„Caroline, wir müssen sprechen! Dieses Schweigen kann ich kaum aushalten. Dein Umzug nach Berlin rückt immer näher. Willst du  so weggehen?“ Sie hasste den bettelnden Ton in ihren Worten und konnte doch nicht anders.
Caroline nahm den letzten Pfannkuchen aus der Pfanne, stellte die Herdplatte ab und blieb noch einen Augenblick abgewandt stehen. Dann drehte sie sich um, sagte leise: „Ich kann es einfach nicht fassen, dass du Papa so verrätst. Immer hast du behauptet, er und ich wären dein Leben, offensichtlich war das gelogen, denn du schiebst ihn einfach ab.“
Jedes Wort war wie eine Ohrfeige. Bevor Caro weiter sprechen konnte, unterbrach Lisa sie: „Stimmt, ihr wart der Inhalt meines Lebens, von meinem Beruf mal abgesehen.“ Sie schaute Caroline ernst an, und fuhr eindringlich fort: „Aber es stimmt einfach nicht, dass ich meinen Mann abschiebe. Kannst du mich nicht ein ganz klein wenig verstehen? Dort - im Marienstift liegt Lukas, aber er ist nicht mehr  der Lukas, den du geliebt hast, der zu meinem Leben gehörte. Mit dem ich - zusammen mit dir - die lebendigsten, die innigsten Augenblicke geteilt habe. Lebenserinnerungen, die für ihn nicht mehr existieren“.
Während sie sprach, ermahnte sie sich gleichzeitig: ‚Ruhig, lass dich nicht aus der Fassung bringen’, deshalb schwieg sie einen Augenblick, atmete tief durch und fügte hinzu: „Viereinhalb Jahre ist es her, dass ich diesen schrecklichen Anruf bekam. viereinhalb Jahre ist es her, dass alles, unser ganzes Leben, unsere Pläne, unser Zusammensein für immer zerstört worden war. In wenigen Sekunden, an einer Leitplanke der Autobahn.“   
„Du brauchst mich nicht daran zu erinnern. Mir hat sich der Tag gewiss genauso unauslöschlich eingeprägt wie dir.“
Caroline ließ sich auf einen Küchenstuhl sinken, Ihrer Mutter bot sie keinen an. Lisa konnte den Anblick ihrer Tochter kaum ertragen.  Sie wollte zu ihr, sie in den Arm nehmen, ihr erklären, dass ihre Entscheidung, die Pflege Lukas’ Menschen zu überlassen, die ihm das Leben, sofern man es noch so nennen konnte, erträglicher machten als sie es könnte, Liebe gewesen war.
Aber nichts an Caroline deutete darauf hin, dass sie eine Umarmung ertragen würde. Lisa trat ans Fenster. Ihr Blick streifte über den einsam dem Regen überlassenen Volkspark. Genauso einsam, wie sie sich in diesem Augenblick fühlte.
„Caroline, ich konnte und kann die Pflege von Lukas nicht übernehmen. Ich bin nicht entsprechend geschult. Im Marienstift sind Menschen, die wissen, wie sie ihn betten, wie sie ihn waschen und beatmen müssen, wenn es nötig ist. Wie sie ihm am verträglichsten die Nahrung geben können. Ich hatte dir nie gesagt, wie sehr ich um eine Lösung mit mir gerungen habe. Wie ich, als ich entschied, dass es für Deinen Vater der einzig mögliche Weg ist, in einem Heim versorgt zu werden, danach gesucht habe, damit er in das schönste, das für seine Pflege berühmteste Haus kam. Dich wollte ich damit belasten. Ich hatte mir gewünscht, du würdest nie von einer anderen Möglichkeit, die nie eine Möglichkeit gewesen war, erfahren.“
Atemlos hielt Lisa inne, sie hatte wie gehetzt gesprochen, wollte Caroline erreichen, wollte ihr begreiflich machen, dass ihre Entscheidung nichts mit Bequemlichkeit zu tun hatte.
Umso härter trafen sie Carolines nächste Worte: „Warum machst du dir eigentlich etwas vor? Du hast dir wunderbare Erklärungen zurecht gelegt, denn du wolltest ungestört dein eigenes Leben führen. Du hättest die Pflege erlernen können. Du hättest dir Hilfe holen können, die im Haus gewohnt hätte. Aber das würde bedeuten, dass du deine Reisen, deine Kunst, deine Art zu leben hättest einschränken müssen. Das war dir Papa nicht wert!“
Lisa spürte wie ein ungeheurer Zorn in ihr hochstieg. Sie ballte die Hände zu Fäusten, so fest, dass sie schmerzten, um einen Wutanfall unterdrücken zu können.
„Wie leicht du es dir machst. Mich verurteilst du, aber selbst hast du nicht daran gedacht, auch nur einen Augenblick deines Lebens dem Vater zuliebe zu ändern.“ Am liebsten hätte sie geschrien, aber sie nahm ihre ganze Beherrschung zu Hilfe und sagte noch: „Das hättest du auch nicht machen müssen, ich hätte das nicht zugelassen. Aber es ist eben so leicht, anderen die Verantwortung zuzuschieben und sich selbst ins eigene Leben zurückzuziehen“.
Caroline stand entschlossen auf. „Ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt. Ich erwarte gleich Besuch und...“.
Weiter kam sie nicht. Lisa hatte sich umgedreht. War zur Tür gegangen. Hatte sie ganz langsam geöffnet, hoffend, dass Caroline noch irgendetwas Versöhnliches sagen würde, dass sie die Mutter zurückhalten würde. Doch von Caroline kam nichts. Da verließ sie  rasch die Wohnung, rannte fast die Treppen hinunter, wäre beinahe mit einem jungen Mann zusammengestoßen - das war wohl der erwartete Christian - , fuhr es ihr durch den Kopf, aber sie blieb nicht stehen, lief weiter,  aus dem Haus, zum Auto, warf sich hinter das Steuer, ließ den Wagen an und raste los. Ein paar Meter weiter hielt sie an und brach in hemmungsloses Weinen aus.


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1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
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Isa
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Beitrag24.06.2013 09:31

von Isa
Antworten mit Zitat

Hallo madrilena,

gibt nichts auszusetzen, liest sich sehr schön, hier nur ein paar Winzigkeiten.

Zitat:
Sie wurde immer aufgeregter. Wie würde Caroline reagieren, wenn sie überhaupt da war? Wie würde die Begegnung verlaufen? Sie blieb verschnaufend stehen.

Sie blieb einen Augenblick stehen, um zu verschnaufen

Zitat:
„Warum bist du denn so schüchtern, ich habe doch absichtlich die Tür…“ in diesem Augenblick entdeckte sie ihre Mutter. „Ach, du bist es“.

„Ach, du bist es“, und ihre Miene verriet keinerlei Regung.

Zitat:
Caroline nahm den letzten Pfannkuchen aus der Pfanne, stellte die Herdplatte ab und blieb noch einen Augenblick abgewandt stehen. Dann drehte sie sich um, sagte leise: „Ich kann es einfach nicht fassen, dass du Papa so verrätst. Immer hast du behauptet, er und ich wären dein Leben, offensichtlich war das gelogen, denn du schiebst ihn einfach ab.“

Dann drehte sie sich um und sagte leise zischend: "...


Zitat:
Caroline stand entschlossen auf. „Ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt. Ich erwarte gleich Besuch und...“.
Weiter kam sie nicht. Lisa hatte sich umgedreht.

... Lisa hatte sich bereits umgedreht.

LG, Isa
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madrilena
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Beitrag24.06.2013 09:35

von madrilena
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Liebe Isa - ich danke Dir sehr für Dein feedback und werde alle Deine Anregungen nutzen, ganz einfach deshalb, weil sie gut sind.
Ich bin so froh, dass ich jetzt wieder den Anschluss an meinen Text gefunden habe. Solche Schreibpausen und wenn es nur ein oder zwei Monate sind, gefallen mir gar nicht.
LG madrilena


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Isa
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Beitrag24.06.2013 09:49

von Isa
Antworten mit Zitat

Zitat:
Solche Schreibpausen und wenn es nur ein oder zwei Monate sind, gefallen mir gar nicht.


das kann ich verstehen, aber ich habe den Eindruck, dass du dich gleich wieder "heimisch" fühlst.

Liebe Grüße,
Isa
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Gamone
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Beitrag24.06.2013 11:37

von Gamone
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Hallo Hilde

ich dachter erst "Wow, jetzt ist sie nciht mehr zu stoppen!" Aber Du hast ja doch noch aufgehört Wink So schnell komm ich gar nicht hinterher!

Ich fang dann mal an;

Zu 17:

Zitat:
"Ich brauch einfach noch etwas Zeit", war Carolines einzige Antwort auf Amalies Worte.. Ein Punkt reicht

Zitat:
Caroline ging nicht auf Amelies Antwort ein, fragte stattdessen leise: "Musst du heute unbedingt zu diesem Termin?"

Zitat:
'Aber es ist doch mein Papa! Er war immer für uns da. Und jetzt’? Ihr war so elend zumute wie schon lange nicht mehr .Kein Leerzeichen

Zitat:
Sie beschloss, dass sie erst einmal nach Berlin fahren, sich in der fremden Umgebung, in der Wohnung und der neuen beruflichen Verantwortung einrichten würde. Und dann…?   Laut Para gehört zwischen dann und die Punkte ein Leerzeichen

Zitat:
'Du und Mama, ihr gehört einfach zusammen. Euch kann nichts und niemand trennen. Auch kein Unfall, keine Krankheit. Du kommst doch wieder zu uns zurück. Du hast mir versprochen, mich nie im Stich zu lassen, weißt du noch' ? Die Zeichen umdrehen

Zu 18:
Zitat:
Sie hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gesponnen, da wurde er schon wieder von ihren Schuldgefühlen abgewürgt Ach pfui Teufel. Abgewürg ist aber häßlich.

Zitat:
Nach diesen Worten hatte sie sich abgewandt, um ihm nicht die Möglichkeit einer Antwort, eines Widerspruchs zu geben, war zur Gruppe zurückgegangen und hatte gehofft, dass er ihre Ablehnung, die keine Zurückweisung war, angenommen hätte.


Der Rest folgt später.

LG


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Beitrag24.06.2013 12:41

von Gamone
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Zu 19:
Zitat:
„Und dein Atelier? Ist es da oben“?, Zeichen tauschen

Zitat:
In wenigen Minuten wäre sie nicht mehr nur noch eine Reisebekanntschaft, würde er mehr, viel mehr von ihr wissen, als sie gedacht hatte, ihm zu erlauben. Umständlich formuliert

Zitat:
„Das – das ist deine Welt…!?“  Leerzeichen dazwischen

Zitat:
- ich bin auf dich zugegangen, ich war es, der Lust gehabt hat, dir von meinem Buch zu sprechen. Zu erzählen

Zitat:
Oder... ist es Vertrauen? Leerzeichen dazwischen

Zitat:
Bilde ich mir wirklich ein, dass es damit leichter zu ertragen, zu akzeptieren wäre, dass ich ihn betrüge, wenn auch bisher nur in Gedanken und Empfindungen? Verspreche ich mir Absolution von einem Menschen, der mich nicht hören, nicht sehen, nicht verstehen kann’.

zu 20;
Zitat:
‘Jaaa’, es war wie ein Schrei, der ihr entfuhr
Schreit sie oder ist es nur ein innerer Schrei?

Zitat:
‘Sie wird es tun und irgendwann - irgendwann wird sie die Mutter vielleicht verstehen oder zumindest einsehen, dass ein anderer Weg unmöglich gewesen wäre. Aber wann?’
Unmöglich im Allgemeinen war es nicht, es war Lisa unmöglich. Das solltest Du vielleicht rausstellen.

Zitat:
„Caroline, wir müssen sprechen! Dieses Schweigen kann ich kaum aushalten. Dein Umzug nach Berlin rückt immer näher. Willst du so weggehen?“ Sie hasste den bettelnden Ton in ihren Worten und konnte doch nicht anders.
Das muss viel drastischer. Kaum klingt für mich wie: "Ist nicht toll, aber geht schon"

Zitat:
Lisa spürte wie ein ungeheurer Zorn in ihr hochstieg. Sie ballte die Hände zu Fäusten, so fest, dass sie schmerzten, um einen Wutanfall unterdrücken zu können.
Wutanfälle haben Kinder, Erwachsene haben allenfalls einen Wutausbruch. Aber das finde ich auch nicht schön. Lisa kann auch einfach ihre Wut unterdrücken, gell?


Alles in allem finde ich die Umstellung gelungen. Und auch die Emotionen gut beschrieben. Caroline kann man verstehen, aber auch Lisa.

Das war's für heute, ich muss los, mich weiter ärgern!

Liebe Grüße


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Beitrag24.06.2013 15:11

von madrilena
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Hallo liebe Simone - danke für Deine ungeheure Mühe. Was ich mit Deinen Kommas mache, machst Du mit meinen Leerzeichen etc. Aber auch alle anderen Einwände sind gut und werde ich gleich einfügen. Nur das Wort abwürgen lass ich stehen, es soll, es muss stark sein, die Schuldgefühle ersticken wirklich sehr viel.
Über was musst Du Dich denn ärgern, Du Ärmste. Ich wünsche Dir dennoch einen guten und harmonischen Tag.
Lieben Gruß Hilde


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Beitrag24.06.2013 15:14

von madrilena
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Hallo Isa - weißt du, wenn nicht ein innerer freiwilliger Zwang (und das ist kein Widerspruch) dahinter steht, schreibt man viel weniger und unlustiger. Ich muss spüren, dass ich schreiben möchte, dann klappt es auch. Aber das wird vielleicht allen so gehen, die schreiben.
Dir lieben Gruß madrilena


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4."leben" ISBN 10:3934136656
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madrilena
Klammeraffe

Alter: 88
Beiträge: 647



Beitrag03.07.2013 21:41

von madrilena
Antworten mit Zitat

Endlich geht es mal wieder weiter. Es stürmt im Augenblick zu viel auf mich ein. Aber bald geh ich in Urlaub und dann können die Worte wieder strömen.
Für Kritik wäre ich sehr dankbar
LG madrilena


21

Mit der Gruppe traf sich Lisa wieder im Café dell’Arte, das zu ihrer aller Lieblingstreffpunkt geworden war. Sie hatte ziemlich kurzfristig auch Samir erreicht, der gerade eben alle Reisemitglieder mit seinem strahlenden Lächeln, seinem schwäbischen Akzent und seinem festen Händedruck begrüßte. Viele Fragen stürmten auf ihn ein, aber offensichtlich konnte nichts ihn aus der Ruhe bringen, denn geduldig gab er auf jede auftauchende Unklarheit Antwort.
Lisa beobachtete vor allem die Gruppe und war sehr stolz darauf, dass alles, was Gudrun oder Birgitte, Isabelle oder Werner, Leonor oder Christa und auch Philipp wissen wollten, sachlich fundiert war. Nicht einen Augenblick lang spürte sie Unsicherheiten oder Ängste von Seiten ihrer Gruppe.
Ein wenig beunruhigt schaute sie allerdings zu Christa, die offensichtlich von Samir nicht nur als zukünftigen Reisebegleiter begeistert war. Er schien ihr auch als Mann absolut nicht gleichgültig zu sein. Während Werners Gesichtsausdruck sich immer mehr verdüsterte. Das fehlte noch - Eifersuchtsdramen in der Wüste. Und sie nahm sich vor, mit Christa zu sprechen.
Warum eigentlich mit Christa - sie hatte doch ziemlich deutlich gezeigt, dass sie dem Werben Werners gleichgültig gegenüberstand. Also musste sie mit Werner sprechen. Das könnte doch eigentlich Philipp machen? Nein, besser nicht, damit würde sie ihm eine Stellung einräumen, die die anderen Gruppenmitglieder gewiss nicht akzeptieren würden. Es konnte in einer solchen Gruppe nicht noch jemanden geben, der außer der Reiseleiterin das Sagen hatte.  Auch wenn sie selbst sich schon längst nicht mehr als Reiseleiterin sah. Sie wollte schlicht und einfach ein Mitglied der Gruppe sein, allerdings mit einer gewissen Verantwortung für die Unternehmungen.
Ach Gott, warum muss nur alles immer so schwierig sein. ‘Und wie wird es mit mir und Philipp? Wie werden wir mit der Nähe fertig?’ Sie wusste es nicht. ‘Ich sollte mir jetzt auch nicht so den Kopf über Dinge zerbrechen, die vielleicht gar keine Rolle spielen werden’, beruhigte sie sich selbst. Es fehlten noch mehr als vier Wochen bis zum Beginn ihrer Reise, Zeit genug, um einiges zu klären.
Samir verabschiedete sich, nachdem alle Fragen, die die einzelnen sich aufgeschrieben hatten, beantwortet waren. Er hatte von ihrer Ankunft in Casablanca gesprochen, davon, dass er sie dort erwarten und dann mit ihnen noch am gleichen Abend nach Ouarzazate weiterfliegen würde. Er wusste auch schon das Hotel, in dem sie die erste Nacht dieses Abenteuers verbringen würden.  Er erzählte ihnen von Tarek und seinen Aufgaben auf dieser Tour. Er ließ Bilder rumgehen von den Zelten, die für alle, die nicht im Freien in Schlafsäcken übernachten wollten, zur Verfügung standen. Und schwärmte vom leckeren Essen, das jeden Tag frisch auf den Tisch käme, was ihm niemand glauben wollte. Er sprach  von leuchtenden  Sonnenuntergängen und  vom nächtlichen Sternenhimmel. Die Gesichter wurden immer verträumter, und Lisa hatte den Eindruck, als wären alle am liebsten sofort zum Flughafen gefahren.
Samir begleitete Lisa und Philipp noch zum Domplatz, dort nahm er ein Taxi, und es schien Lisa einen Augenblick lang. als ginge ein Freund. ‘Und das nach den wenigen Stunden, die wir uns gesehen haben?’ Sie empfand es als gutes Vorzeichen und als sie es Philipp sagte, war er der gleichen Meinung.
„Hast du heute noch was vor?“
Was sollte sie schon vorhaben? Ihre Tochter wollte sie nicht sehen, ihr Mann merkte nichts von ihrer Anwesenheit, warum nicht noch ein wenig mit Philipp durch Mainz streifen?
 „Wir könnten gemeinsam essen gehen, einverstanden“, war ihre Antwort. Sie wählte den Augustinerkeller, die Atmosphäre dort gefiel ihr und das Essen war obendrein recht gut.
Als sie nach dem schummrigen Licht des Restaurants wieder in die Tageshelle traten, meinte Lisa: „Was hältst du davon, ein wenig in die römische Vergangenheit von Mainz hinabzusteigen. Zum Beispiel in den Isistempel. Ich könnte mir vorstellen, dass er dir genauso gefallen wird wie mir“, und dachte gleichzeitig fast ängstllich, ‘und was - wenn er sich  gar nicht für etwas interessiert, was mir wichtig ist’?
Doch als sie sich an ihre gemeinsamen Reisen erinnerte, wusste sie, dass sie genau das Richtige vorgeschlagen hatte. Staunend stieg er mit ihr die vielen Treppen hinunter in die Dunkelheit mit dem verschwebenden Licht indirekter Leuchten. Und als sie leise murmelte: „Diese Stille hier – für mich ist es nicht die Stille der Vergänglichkeit, eher das unhörbare Atmen einer Vergangenheit,“ merkte sie am zustimmenden Nicken von Philipp, dass er sie verstand.
Um die anderen Besucher nicht zu stören, erklärte Lisa flüsternd:  „Ein Tempel für die altägyptische Gottheit Isis. Als Mater Magna verehrt und angebetet seit dem 3. Jahrhundert vor Chr. in Rom. Und zwar als Muttergottheit, also als Frau.“ Sie  hielt einen Augenblick inne und meinte dann verwundert über ihren Mut, ihm gegenüber zu diesen sehr intimen  Empfindungen zu stehen: „Ich glaube, zu ihr könnte ich beten. Nicht zu einem Mann. Nicht zu einem Vater.“
Philipp sah sie erstaunt an: „Warum nicht? Hast du schon immer so empfunden?“
Sie überlegte einen Augenblick, bevor sie antwortete: „Bewusst – nein, dafür war ich zu traditionell erzogen. Aber schon bald habe ich mich über eine ausschließlich männliche Gottesgestalt aufgeregt. Stell dir doch mal vor, hier ist der Tempel einer Muttergottheit aus dem 3. Jahrhundert vor Chr., und heute dürfen Frauen in vielen Religionen noch nicht mal einfache Priesterinnen werden, von einer Gleichberechtigung in jeder Hinsicht ganz abgesehen.“
Sie merkte, dass ihr das Gespräch entglitt und auch nicht so recht in diese Umgebung passte, also fügte sie nur noch hinzu: „Übrigens war es schon dreihundert Jahre nach Chr. mit diesem Kult hier in Mainz vorbei. Das bedeutet doch, dass 1700 Jahre die Menschen über diese Stätte gelaufen sind und nicht gewusst, nicht einmal geahnt haben, welch verborgenen Schätze unter ihren Füßen ruhten.“
Sie hatte sich bei Philipp untergehakt: „Ist das nicht schrecklich? Vor 1700 Jahren wurde hier gebetet, wurden Opfergaben auf Altären verbrannt, und dann versinkt alles im Abgrund des Vergessens, um eines Tages, bei dem banalen Bau einer Einkaufspassage, zufällig gefunden zu werden.“
„Und was ist daran so erschreckend?“
„Verstehst du denn nicht? So viel intensives Leben, gelebter Glaube, so viel Liebe und plötzlich nichts mehr – einfach unter- oder in anderen Kulturen aufgegangen und dann … irgendwann zufällig wieder entdeckt. Das ist es, was mich erschreckt. Ich habe Angst vor diesem Nicht-sein. Hier haben wenigstens Zeugnisse von Kulturen überlebt. Was aber bleibt von uns, von mir?“
Philipp hatte zärtlich ihren Arm gedrückt – für einen Augenblick das Gefühl von Nähe und Verstandenwerden.
Schweigend waren sie  noch eine Weile vorbei an Tafeln mit erklärenden Texten zu den ausgestellten Funden gegangen, bevor sie Lust hatten, wieder ans Tageslicht zu steigen, um in die Gegenwart zurückzukehren. Einer Gegenwart, die mit ihrer Hetze, den einkaufenden Menschen, dem Stimmengewirr, den geduldig Wartenden in der langen Schlange vor dem Eisverkaufsstand und der Überfülle der Angebote in einem so krassen Gegensatz stand zu der Welt, aus der sie gerade aufgetaucht waren.
Sie gingen ins Eiscafé der Römerpassage, bestellten einen Espresso und Lisa meinte: „Du hast noch gar nichts zu den Erklärungen von Samir gesagt. Gibt es jetzt noch Fragen? Glaubst du, dass alle sich  nun ohne Vorbehalte vorbereiten können?“
„Welche Vorbehalte? Jeder hat seine Fragen gestellt und beantwortet bekommen. Jetzt werde ich langsam die Sachen zusammen suchen, die mir für die Reise wichtig erscheinen, und das wird allen andern genauso ergehen. Wie schnell ist ein Monat vorbei. Freust du dich eigentlich oder machst du dir nur Sorgen darum, wie alles klappen wird?“
„Quatsch, ich bin doch nicht für erwachsene Menschen verantwortlich. Allerdings bin ich die Reiseleiterin, und da muss ich schon sicher sein, dass erst einmal alle Unklarheiten beseitigt sind.“
„Mach dir nicht so viel unnötige Gedanken.“
Er bestellte ihnen noch einen Espresso und während sie auf den Kellner warteten, fragte er: „Darf ich dir mal einen Vorschlag machen?“
Lisa sah ihn neugierig an: „Welchen?“
„Hast du Lust, auch einmal nach Konstanz zu kommen, einfach um die Stadt kennen zu lernen, in der ich wohne?“
Sie hatte alles erwartet, nur nicht das. Doch bevor sie sich bewusst wurde, was er da eigentlich gefragt hatte, hörte sie sich sagen: „Warum nicht? Gar keine schlechte Idee - es ist Ewigkeiten her, dass ich am Bodensee gewesen bin.“


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
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Gamone
Geschlecht:weiblichEselsohr
G

Alter: 46
Beiträge: 360
Wohnort: NRW


G
Beitrag04.07.2013 19:23

von Gamone
Antworten mit Zitat

Moin Hilde!
Urlaubsreif bin ich auch! Aber es ist ja nicht mehr lang.
 
Ich weiß nicht genau wo, aber bei einem Treffen der Reisegruppe hast Du schon erklärt, dass es deren Lieblingscafé ist.
Das "einverstanden" finde ich überflüssig, kann aber auch stehenbleiben. Und der vorwitzige Punkt hat da wohl ein Komma rausgeschmissen Wink

War schön zu lesen!

Liebe Grüße
Simone


madrilena hat Folgendes geschrieben:
21

Mit der Gruppe traf sich Lisa wieder im Café dell’Arte, das zu ihrer aller Lieblingstreffpunkt geworden war. Das hast Du schon mal geschrieben, glaube ich.
 Sie hatte ziemlich kurzfristig auch Samir erreicht, der gerade eben alle Reisemitglieder mit seinem strahlenden Lächeln, seinem schwäbischen Akzent und seinem festen Händedruck begrüßte. Viele Fragen stürmten auf ihn ein, aber offensichtlich konnte nichts ihn aus der Ruhe bringen, denn geduldig gab er auf jede auftauchende Unklarheit Antwort.
Lisa beobachtete vor allem die Gruppe und war sehr stolz darauf, dass alles, was Gudrun oder Birgitte, Isabelle oder Werner, Leonor oder Christa und auch Philipp wissen wollten, sachlich fundiert war. Nicht einen Augenblick lang spürte sie Unsicherheiten oder Ängste von Seiten ihrer Gruppe.
Ein wenig beunruhigt schaute sie allerdings zu Christa, die offensichtlich von Samir nicht nur als zukünftigen Reisebegleiter begeistert war. Er schien ihr auch als Mann absolut nicht gleichgültig zu sein. Während Werners Gesichtsausdruck sich immer mehr verdüsterte. Das fehlte noch - Eifersuchtsdramen in der Wüste. Und sie nahm sich vor, mit Christa zu sprechen.
Warum eigentlich mit Christa - sie hatte doch ziemlich deutlich gezeigt, dass sie dem Werben Werners gleichgültig gegenüberstand. Also musste sie mit Werner sprechen. Das könnte doch eigentlich Philipp machen? Nein, besser nicht, damit würde sie ihm eine Stellung einräumen, die die anderen Gruppenmitglieder gewiss nicht akzeptieren würden. Es konnte in einer solchen Gruppe nicht noch jemanden geben, der außer der Reiseleiterin das Sagen hatte.  Auch wenn sie selbst sich schon längst nicht mehr als Reiseleiterin sah. Sie wollte schlicht und einfach ein Mitglied der Gruppe sein, allerdings mit einer gewissen Verantwortung für die Unternehmungen.
Ach Gott, warum muss nur alles immer so schwierig sein. ‘Und wie wird es mit mir und Philipp? Wie werden wir mit der Nähe fertig?’ Sie wusste es nicht. ‘Ich sollte mir jetzt auch nicht so den Kopf über Dinge zerbrechen, die vielleicht gar keine Rolle spielen werden’, beruhigte sie sich selbst. Es fehlten noch mehr als vier Wochen bis zum Beginn ihrer Reise, Zeit genug, um einiges zu klären.
Samir verabschiedete sich, nachdem alle Fragen, die die einzelnen sich aufgeschrieben hatten, beantwortet waren. Er hatte von ihrer Ankunft in Casablanca gesprochen, davon, dass er sie dort erwarten und dann mit ihnen noch am gleichen Abend nach Ouarzazate weiterfliegen würde. Er wusste auch schon das Hotel, in dem sie die erste Nacht dieses Abenteuers verbringen würden.  Er erzählte ihnen von Tarek und seinen Aufgaben auf dieser Tour. Er ließ Bilder rumgehen von den Zelten, die für alle, die nicht im Freien in Schlafsäcken übernachten wollten, zur Verfügung standen. Und schwärmte vom leckeren Essen, das jeden Tag frisch auf den Tisch käme, was ihm niemand glauben wollte. Er sprach  von leuchtenden  Sonnenuntergängen und  vom nächtlichen Sternenhimmel. Die Gesichter wurden immer verträumter, und Lisa hatte den Eindruck, als wären alle am liebsten sofort zum Flughafen gefahren.
Samir begleitete Lisa und Philipp noch zum Domplatz, dort nahm er ein Taxi, und es schien Lisa einen Augenblick lang. als Komma ginge ein Freund. ‘Und das nach den wenigen Stunden, die wir uns gesehen haben?’ Sie empfand es als gutes Vorzeichen und als sie es Philipp sagte, war er der gleichen Meinung.
„Hast du heute noch was vor?“
Was sollte sie schon vorhaben? Ihre Tochter wollte sie nicht sehen, ihr Mann merkte nichts von ihrer Anwesenheit, warum nicht noch ein wenig mit Philipp durch Mainz streifen?
 „Wir könnten gemeinsam essen gehen, einverstanden“, war ihre Antwort. Sie wählte den Augustinerkeller, die Atmosphäre dort gefiel ihr und das Essen war obendrein recht gut.
Als sie nach dem schummrigen Licht des Restaurants wieder in die Tageshelle traten, meinte Lisa: „Was hältst du davon, ein wenig in die römische Vergangenheit von Mainz hinabzusteigen. Zum Beispiel in den Isistempel. Ich könnte mir vorstellen, dass er dir genauso gefallen wird wie mir“, und dachte gleichzeitig fast ängstllich, ‘und was - wenn er sich  gar nicht für etwas interessiert, was mir wichtig ist’?
Doch als sie sich an ihre gemeinsamen Reisen erinnerte, wusste sie, dass sie genau das Richtige vorgeschlagen hatte. Staunend stieg er mit ihr die vielen Treppen hinunter in die Dunkelheit mit dem verschwebenden Licht indirekter Leuchten. Und als sie leise murmelte: „Diese Stille hier – für mich ist es nicht die Stille der Vergänglichkeit, eher das unhörbare Atmen einer Vergangenheit,“ merkte sie am zustimmenden Nicken von Philipp, dass er sie verstand.
Um die anderen Besucher nicht zu stören, erklärte Lisa flüsternd:  „Ein Tempel für die altägyptische Gottheit Isis. Als Mater Magna verehrt und angebetet seit dem 3. Jahrhundert vor Chr. in Rom. Und zwar als Muttergottheit, also als Frau.“ Sie  hielt einen Augenblick inne und meinte dann verwundert über ihren Mut, ihm gegenüber zu diesen sehr intimen  Empfindungen zu stehen: „Ich glaube, zu ihr könnte ich beten. Nicht zu einem Mann. Nicht zu einem Vater.“
Philipp sah sie erstaunt an: „Warum nicht? Hast du schon immer so empfunden?“
Sie überlegte einen Augenblick, bevor sie antwortete: „Bewusst – nein, dafür war ich zu traditionell erzogen. Aber schon bald habe ich mich über eine ausschließlich männliche Gottesgestalt aufgeregt. Stell dir doch mal vor, hier ist der Tempel einer Muttergottheit aus dem 3. Jahrhundert vor Chr., und heute dürfen Frauen in vielen Religionen noch nicht mal einfache Priesterinnen werden, von einer Gleichberechtigung in jeder Hinsicht ganz abgesehen.“
Sie merkte, dass ihr das Gespräch entglitt und auch nicht so recht in diese Umgebung passte, also fügte sie nur noch hinzu: „Übrigens war es schon dreihundert Jahre nach Chr. mit diesem Kult hier in Mainz vorbei. Das bedeutet doch, dass 1700 Jahre die Menschen über diese Stätte gelaufen sind und nicht gewusst, nicht einmal geahnt haben, welch verborgenen Schätze unter ihren Füßen ruhten.“
Sie hatte sich bei Philipp untergehakt: „Ist das nicht schrecklich? Vor 1700 Jahren wurde hier gebetet, wurden Opfergaben auf Altären verbrannt, und dann versinkt alles im Abgrund des Vergessens, um eines Tages, bei dem banalen Bau einer Einkaufspassage, zufällig gefunden zu werden.“
„Und was ist daran so erschreckend?“
„Verstehst du denn nicht? So viel intensives Leben, gelebter Glaube, so viel Liebe und plötzlich nichts mehr – einfach unter- oder in anderen Kulturen aufgegangen und dann … irgendwann zufällig wieder entdeckt. Das ist es, was mich erschreckt. Ich habe Angst vor diesem Nicht-sein. Hier haben wenigstens Zeugnisse von Kulturen überlebt. Was aber bleibt von uns, von mir?“
Philipp hatte zärtlich ihren Arm gedrückt – für einen Augenblick das Gefühl von Nähe und Verstandenwerden.
Schweigend waren sie  noch eine Weile vorbei an Tafeln mit erklärenden Texten zu den ausgestellten Funden gegangen, bevor sie Lust hatten, wieder ans Tageslicht zu steigen, um in die Gegenwart zurückzukehren. Einer Gegenwart, die mit ihrer Hetze, den einkaufenden Menschen, dem Stimmengewirr, den geduldig Wartenden in der langen Schlange vor dem Eisverkaufsstand und der Überfülle der Angebote in einem so krassen Gegensatz stand zu der Welt, aus der sie gerade aufgetaucht waren.
Sie gingen ins Eiscafé der Römerpassage, bestellten einen Espresso und Lisa meinte: „Du hast noch gar nichts zu den Erklärungen von Samir gesagt. Gibt es jetzt noch Fragen? Glaubst du, dass alle sich  nun ohne Vorbehalte vorbereiten können?“
„Welche Vorbehalte? Jeder hat seine Fragen gestellt und beantwortet bekommen. Jetzt werde ich langsam die Sachen zusammen suchen, die mir für die Reise wichtig erscheinen, und das wird allen andern genauso ergehen. Wie schnell ist ein Monat vorbei. Freust du dich eigentlich oder machst du dir nur Sorgen darum, wie alles klappen wird?“
„Quatsch, ich bin doch nicht für erwachsene Menschen verantwortlich. Allerdings bin ich die Reiseleiterin, und da muss ich schon sicher sein, dass erst einmal alle Unklarheiten beseitigt sind.“
„Mach dir nicht so viel unnötige Gedanken.“
Er bestellte ihnen noch einen Espresso und während sie auf den Kellner warteten, fragte er: „Darf ich dir mal einen Vorschlag machen?“
Lisa sah ihn neugierig an: „Welchen?“
„Hast du Lust, auch einmal nach Konstanz zu kommen, einfach um die Stadt kennen zu lernen, in der ich wohne?“
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madrilena
Klammeraffe

Alter: 88
Beiträge: 647



Beitrag04.07.2013 20:40

von madrilena
Antworten mit Zitat

Danke Simone - ich habe eigentlich angenommen, dass Du im Augenblick ganz und gar mit der AG ausgelastet bist und für nichts anderes mehr Zeit hast. Urlaubsreif - ja, das bin ich wahrhaftig auch, aber es dauert ja nicht mehr lang bis zum 20. Juli. Kann sein, dass ich das mit dem Lieblingscafé schon mal gebracht habe, aber das war - glaube ich - nur im Zusammenhang mit Lisa und jetzt ist es die Gruppe. Aber ich werde nachschauen.
Ich wünsche Dir einen schönen Sommerabend.
LG Hilde


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1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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