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Übung – Telegramme für Bandwürmer

 
 
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Nihil
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Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag03.09.2010 11:14
Übung – Telegramme für Bandwürmer
von Nihil
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Die Satzlänge ist einer der Aspekte des Schreibens, den man am einfachsten variieren kann und der dennoch den sprachlichen Stil stark prägt. Je nach Geschmack lesen oder schreiben die Einen kurze, prägnante Sätze und die Anderen ufern gerne einmal aus und schreiben statt zwei Sätzen einen. Beide Möglichkeiten bergen sowohl Vor- und Nachteile und beide können den Lesern mit der Zeit auf den Geist gehen – wenn sie nicht ausgewogen benutzt werden.

Aufgabe:Eure Aufgabe ist es nun, einen Text zu verfassen, in dem sich lange und kurze Sätze regelmäßig abwechseln. Etwa zweimal kurz, zweimal lang. Auf diese Weise erzeugt Ihr einen abwechslungsreichen Sprachrhythmus und haltet die Waage zwischen zu viel und zu wenig. Der Inhalt ist nebensächlich.

Beispiel:

    Sie packte ihre Sachen. Dann ging sie los. Der Weg war weit. Doch bald war sie da. Das freute sie.


Hier herrscht nicht nur Beschreibungsarmut, auch der Stakkato-Rhythmus nervt.

    Mit an Pedanterie grenzender Genauigkeit, die Lissi vermutlich von ihrer Mutter geerbt hatte, die ähnlichen Charakters war, packte sie ihre Schultasche und stellte sie derart auf die Fliesen des Flurs, dass die Unterseite des Ranzens und die Fugen sich parallel zueinander verhielten. Als die Uhr genau Halb Fünf schlug, denn das war für sie die übliche Zeit, das Haus zu verlassen, öffnete sie die Tür und atmete die frische Luft ein, die der Frühlingssturm der vergangenen Nacht über die Stadt gebracht hatte. Unter diesen Umständen, die Lissi sich nicht einmal, wenn sie sich noch so anstrengte, besser denken konnte, würde es sehr viel Spaß machen, die dreiundzwanzig Kilometer Schulweg zu Fuß zurückzulegen – denn Bewegung tat gut und hielt Geist und Körper gesund. [...]


Auch hier erklärt sich das Problem von selbst. Es fällt schwer, der Handlung überhaupt zu folgen, weil man die Sprache zunächst einmal bewusst verstehen muss. Außerdem wird im zweiten Beispiel viel zu viel Unnötiges beschrieben.

Ziel: Einseitigen Satzlängen entgegen zu wirken und einen angenehmen, fließenden Sprachstil entwickeln.
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Nihil
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Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag12.04.2011 01:16

von Nihil
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Noch eine kleine Anmerkung / Ergänzung: 

Achtet genauer auf den Rhythmus der Sprache, nicht nur bei dem, was ihr schreibt, sondern auch bei euren Lieblingsautoren. (Damit ihr euch da ein, zwei Dinge abschauen könnt, wenn ihr wollt.) Man nimmt ihn meistens nicht bewusst war, und doch trägt er viel zum Stil und der Lesart eines Autors bei. Oben sind bereits zwei Beispiele aufgeführt, aber ich gehe noch etwas näher auf Unterschiede ein.

1 hat Folgendes geschrieben:
Paul geht nicht. Er macht nichts. Er denkt nichts. Wie angewachsen steht er da und genießt den Moment.


Die ersten drei Sätze bestehen aus drei einsilbigen Wörtern. Werden solche kurzen Sätze aneinander gereiht, entsteht ein abgehackter Rhythmus, der (zumindest in meinen Ohren, da will ich nichts Absolutes formulieren) ein wenig künstlich klingt auf längeren Strecken. Eine natürliche Sprechweise besteht im Deutschen aus längersilbigen Wörtern und längeren Sätzen, weshalb absichtlich kurze Sätze auf etwas aufmerksam machen können. Hier korrespondiert die Kürze auch inhaltlich mit dem Gesagten: Paul genießt nur den Moment, die einfachen Sätze helfen das ausdrücken. Sie vermitteln Ruhe. Die gleich aufgebaute Grammatik und die bewegungslosen Verben tun ihr Übriges. Nach mehreren solcher kurzen Sätze sollte allerdings ein längerer folgen wie oben, es sei denn, man strebt gerade einen getrennten, maschinellen Stil an.

2 hat Folgendes geschrieben:
Sie wusste nicht, wo sie war, wusste nicht, welchen Menschen sie trauen konnte, wusste überhaupt nicht, was sie tun musste, um zu überleben. Dann das Geräusch. Die Kugel in der Mauer neben ihr. Sie rannte los. Ihr Herz sprang hoch. Ihre Lungen schnappten heftig.


Auch hier gibt es einen Kontrast zwischen kurz und lang, aber die Stimmung ist eine andere, gehetzter. Der erste Satz baut eine Steigerung auf durch die Wiederholung des Wortes „wissen“. Er wird oft gebrochen, dass heißt, es werden viele Nebensätze eingeschoben, die die Gleichmäßigkeit zerstören. Dem folgen kurze, elliptische Sätze, die in diesem Zusammenhang nicht friedlich, sondern angespannt wirken. Das liegt wieder daran, dass die kurzen Sätze einfacher sind und auch hier gut ins Geschehen passen, so wie auch der Instinkt die Verantwortung übernimmt, wenn man bedroht wird. (Mit der Schlussfolgerung werden nicht alle übereinstimmen, aber ich denke, man merkt die Übereinstimmun dennoch.) Die Sätze sind reduziert und sagen nur das Wichtigste aus: Die Protagonistin wird bedroht, sie weiß nicht von wem, sie weiß nicht, aus welcher Richtung der Schuss genau kam, sie weiß nur, dass sie fortlaufen muss. Kurze Sätze können also in solchen Situationen auch helfen, zu viele Informationen auszuplaudern.

3 hat Folgendes geschrieben:
Sie nahm den weißen Hut mit rosa Schleife mit leichtem Schaudern mit Zeigefinger und Daumen von der mit Mahagonischarnieren besetzten Truhe auf dem Dachboden ihrer Eltern.


Dieser Satz hat zwei störende Fehler: Er ist erstens zu genau, hat zu viele adverbiale Bestimmungen in sich, was zweitens dazu führt, dass er sich in die Länge zieht. Man verlangt förmlich nach einem Punkt oder wenigstens einem Komma. Den Inhalt, den man sicherlich auch verbessern könnte, lassen wir bei einer neuen Version mal außen vor:

Zitat:
Sie nahm den weißen Hut mit rosa Schleife, den auf der Truhe, die mit Mahagonischarnieren besetzt war und auf dem Dachboden ihrer Eltern stand. Sie erschauderte leicht, wagte nur, ihn mit Zeigefinger und Daumen zu berühren.


Der Inhalt überschwemmt einen immer noch, aber der Satz liest sich von der Struktur her angenehmer.

4 hat Folgendes geschrieben:
Ich kauerte in einem kleinen Verschlag, dort auf dem Dach der Drogerie, um einen guten Blick auf die Gasse darunter zu haben, in der Marie – ich hatte sie so sehr geliebt – gestorben war. Als ihre Mörderin, gehetzt, von der Tat umnachtet, nochmals in diese Gasse kam, nicht zuletzt, weil sie wohl vermutete, dort Beweise zurückgelassen zu haben, machte ich mich, ebenso gehetzt und umnachtet, bereit. Ich spannte den Lauf der Pistole, indem ich mich weiter über die Brüstung lehnte, gerade soweit, dass ich mir noch sicher war, nicht gesehen zu werden und drückte schließlich – meine Hand war still und schien blutleer – ab.


Klar ist, dass man solche verschachtelten Sätze ebenso wie extrem kurze nicht ausschließlich benutzen kann. Abschnittsweise und je nachdem, was man erreichen möchte, sind Bandwurmsätze aber ein gutes Ausdrucksmittel. Im Beispiel oben scheint eine genaue Beschreibung des Tathergangs im Vordergrund zu stehen, etwa wenn ein Ich-Erzähler dem Leser erklärt, wie die Tat geschehen ist. Manchen mag dieser Stil zu genau oder penibel vorkommen, aber durch die häufige Unterteilung der Sätze und die Eigenart des Deutschen, Verben häufig ans Ende der Sätze zu stellen, kann eine andere Art der Spannung entstehen. Etwa, wenn man zu Beginn dieses Beispiels noch nicht weiß, ob Marie nur in die Gasse ging oder ihr etwas anderes passierte. Ein Überraschungseffekt wird damit nur selten gelingen, aber dennoch wird auf diese Weise, vor allem durch den Rhythmus, das Verb besonders betont. Der letzte Satz hier klingt (wenigstens in meiner Wahrnehmung) endgültiger, weil er mit einer einzelnen Silbe endet, die außerdem für das Verständnis des Satzes wichtig ist. Den Effekt kann man ausnutzen, um den Leser zu größerer Konzentration zu zwingen, sollte es damit aber nicht übertreiben.
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