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Der Weg der Wölfin


 
 
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Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag30.01.2024 16:11

von Hugin_Hrabnaz
Antworten mit Zitat

Vielen Dank für die Ergänzung, Hans.

HansGlogger hat Folgendes geschrieben:


"Die Tundra kleidet ihre Weiten in herbstliche Farben."


Ich weiß nicht, wie andere Leser das empfinden, aber für mich steht das am Rande der Lächerlichkeit.
Die Tundra wird hier weiblich personalisiert. Stell Dir mal vor, Du schreibst über eine Frau:
Sie kleidet ihre Weiten in herbstliche Farben.

Bei Metaphern droht die Gefahr ins Lächerliche abzugleiten.


Okay, der Satz war grundsätzlich nur ein kurzes Beispiel, um die Aktiv- und Passivrollen einander gegenüber zu stellen. Besonders toll ist er nicht, aber am Rande der Lächerlichkeit sehe ich ihn auch nicht, weil "die Tundra" trotz des weiblichen Genus ja keine Frau ist. Auf die Idee, die Tundra als "Frau mit Weiten" zu interpretieren, wäre ich jetzt nicht gekommen. Ist ein wenig weit hergeholt, oder? "Die Bundeswehr", die ihre Truppen in herbstliches Flecktarn kleidet, ist ja auch keine Frau, weiblicher Genus hin oder her. Besser wäre es sicher, wenn der Herbst die Weiten der Tundra in herbstliches Kleid hüllte, oder dergleichen. Aber egal, der Satz steht in der Form eh nicht als Auftakt des Kapitels zur Debatte.

Zitat:

Gestern hatte ich lange zu warten und Zeit zum Grübeln.
Steppe (wäre besser als Tundra) ist weiblich, Herbst männlich. Daraus lässt sich was basteln.

Der heiße, kurze Sommer ist vergangen. Die baumlose Steppe sehnt sich nach der Kühle des Herbstes.

Passt nur leider nicht zur Tundra. Also zweiter Versuch:

Die ersten kühlen Nächte des Herbstes bringen der baumlosen Steppe eine Ahnung von der Härte des bevorstehenden Winters.

statt Nächte des Herbstes ginge auch Herbstnächte.

statt "Ahnung bringen" ginge auch "lässt ahnen". Statt ahnen geht auch verkünden etc.
Statt Härte auch Kälte oder Strenge.

Hängt vom gewünschten Stil ab. Am Ende sollte auch noch die Satzmelodie passen. Bei einem 500 Seiten Roman kannst Du natürlich nicht stundenlang über jeden Satz grübeln, aber bei entscheidenden Stellen lohnt es sich schon.


Ja, der erste Satz ist sprachlich schön, inhaltlich nicht ganz zur Tundra passend. Die hat genug Kälte und muss sich nicht nach der Kühle, dem Herbst und dem Winter sehnen.

Der zweite, von dir vorgeschlagene Satz ist grundsätzlich sehr hübsch zu lesen. Gefällt mir und wäre ein sehr schöner Einstieg, für die ausführliche Beschreibung des Herbstwerdens in der Tundra an sich. Aus den Nächten würde ich die Tage oder die Abende machen, weil die Sonne ja noch am Himmel steht. Trotzdem habe ich mit der sprachlichen Fassung die bereits angesprochenen Probleme, eben zum einen, dass ich meine, hier obligatorisch das Perfekt als vollendete Gegenwart zu brauchen: Es ist zwar früher Herbst, aber trotzdem ist schon Herbst geworden (Perfekt), er ist nicht erst in den allerersten Zügen (Präsens). Mich stört das Perfekt als Erzählzeit der Vergangenheit in einer Präsenserzählung nicht; in einer Präteritumerzählung müsste hier natürlich das Plusquamperfekt stehen. Ich mag das Perfekt, und es passt für mich als Zeit der Wahl dieses Satzes.

Die Frage, ob der Herbst (oder die Tundra) aktives Subjekt sein soll, oder ob das Zustandspassiv doch das Mittel der Wahl ist, bleibt für mich indes wirklich spannend. Auch wenn ich mit dem Passiv ganz generell kein Problem habe, finde ich es dennoch reizvoll, weiter und intensiver über eine charmante Aktivlösung nachzudenken. Deine ersten Ideen hierzu sind spannend, und ich sinniere gerade darüber, wie ich sie aufgreifen könnte. Mir schwebt eine Aktivlösung vor, die gleichwohl die Zeitform des Perfekt bedient, und dennoch elegant bleibt.

Die bisherige Variante, die dir missfiel, sollte ein recht klassischer Märchen- oder Volksweisen-artiger Einstieg sein, wie in diesem Volkslied:


Der Winter ist gekommen
Und hat hinweg genommen
Der Erde grünes Kleid;
Schnee liegt auf Blütenkeimen,
Kein Blatt ist an den Bäumen,
Erstarrt die Flüsse weit und breit.


Wie schon erläutert, ist Folkloristisches, Mythisches, Eddisches ein Haupteinfluss meiner Arbeit, und daher habe ich keine Berührungsängste mit folkloristischen Formulierungen. Allerdings - da hast du tatsächlich einen sehr validen Punkt getroffen - auch hier ist der Winter aktiv. Zwar im Perfekt, aber aktiv.



Zitat:
-> Verliere ich hierdurch nicht den Kontrast zwischen dem anfänglichen Ruhen und der zaghaften Belebung?

Ahnen lassen, sich sehnen etc. ist auch passiv.

-> Darf ich voraussetzen, dass der durchschnittliche Leser die Tundra als baumlose Kaltsteppe imaginiert, oder muss ich es erklären (hier direkt laut im Einstige, oder später, dezenter)?

Kalte, baumlose Steppe finde ich besser

Ja, man kann passives Verhalten sicherlich im aktiven Modus ausdrücken, keine Frage. Auch den metereologischen Begriff "Kaltsteppe" würde ich nicht verwenden, habe ich nicht verwendet. Der diente hier nur der Frage nach dem erwartbaren Horizont des Leser. Man kann das auch auf mehrer Sätze oder Halbsätze verteilen, dass es keine Bäume gibt und dass es eine eher kalte Klimazone ist. Das geht alles.

Zitat:

-> Ist es gut, im ersten Satz die Tundra als Subjekt, als Handelnde zu haben, sie aber direkt im nächsten Satz durch die nächste Handelnde ("die Sonne") zu ersetzen?


Ich sehe es eher anders rum. Das Subjekt als personalisierter Gegenstand wie Sonne, Steppe sollte sich auf einen Satz beschränken.

Beispiel:
1. Satz
Die untergehende Sonne wirft ihr letztes Licht in die kalte, baumlose Steppe.
2. Satz
Die gleichwohl noch immer zaghaft wärmende Sonne steht bereits am frühen Nachmittag nurmehr tief über dem dunkelblauen Wasser des Hlekath.

Das ginge gar nicht. Allein schon weil Du im 2. Satz ein Pronomen verwenden müsstest, dessen Bezug unklar sein könnte. Dazu kann es leicht widersprüchlich oder lächerlich wirken. Im ersten Satz geht sie unter, im 2. steht sie .
Wenn das das so machen wolltest, dann solltest Du die Sätze mit einem Komma verbinden.


.

Das ist richtig.


Zitat:

Solche Sätze sind richtig viel Arbeit. Ich bringe mal, ganz unbescheiden,ein Zitat aus einem Text von mir. An den Anfang würde ich so etwas nie stellen, es steht aber an einer Schlüsselstelle.


Das Licht der untergehenden Sonne milderte das Braun der welkenden Pflanzen. Bald weht ein kalter Wind über sie und sie sind nicht mehr. Nur Samen bleiben von ihnen, aus dem neues Leben wächst, die kleinen Freuden, das große Leiden des Daseins wiederholend. Die unerlöste Sehnsucht des Seins lag mir auf der Brust wie eine Last von schweren Baumstämmen.


Das habe ich  immer wieder umformuliert und bin immer noch nicht ganz zufrieden, aber irgendwann muss man halt mit Abschnitt
fertig werden.

Gruß Hans

Ja, gerne, ich freue mich über Beispiele aus anderen Federn. Bei deinem Absatz stolpere ich ein wenig darüber, wie genau das scheidende Sonnenlicht das Braun des Welkens mildert. Das erfordert erst einmal eine Anstrengung der Vorstellungskraft. Du meinst, es tüncht das Braun rötlich-golden? Der Rest des Absatzes ist in jedem Fall sehr schön zu lesen.

Auf jeden Fall vielen Dank für die Denkanstöße und Anregungen. Vielleicht komme ich demnächst bald mit einer neuen Version um die Ecke.

Hier mal ganz kurz die ersten Zeilen meines aktuellen Hauptprojekts zum Vergleich:


Die Nacht ist längst herein gebrochen über Raidh. Die vielen schmalen Gassen der Stadt, die sternförmig vom Marktplatz ausgehen, werden nurmehr vom Schein der Fackeln erhellt. Auf der Anhöhe im Westen, hoch über der Stadt, ist es vor allem der Tempel, von dessen Fenstern und von dessen Hof der rötlich-gelbe Glanz des Feuers ausgeht. Es ist, als versuche das warme Licht gleichermaßen trotzig wie vergeblich, die eiskalte Winternacht zum Tauen zu bringen.


Auch hier ist der Anfang im Perfekt der vollendeten Gegenwart und im Zustandspassiv (sprachlich-formell zwar Aktiv, aber aus Sicht der Stadt mit passiver Note, auch wenn natürlich die Nacht aktiv handelt). Ich scheine das zu mögen. Erst im vierten Satz kommt die konkrete Aktivierung durch das warme Licht.

Auf mich wirkt diese Gestaltungsweise - wie gesagt - entschleunigend, beruhigend, dämpfend, und genau das will ich haben. Klar, damit breche ich mit dem oft gehegten Wunsch, aktionsgetrieben, aktiv, zupackend in eine Geschichte einzusteigen, um den Leser mitzureißen. Ich will den Leser aber nicht mit Spannung ködern und direkt mit Aktivität konfrontieren, sondern ihn zum sich Niederlassen einladen, durch ein ruhendes Szenario. Dass die Ruhe trügerisch sein kann, mag er vielleicht ob des Settings alsbald ahnen.

Ernst gemeinte Frage: Ist die Intention schwer nachvollziehbar?

Viele Grüße,
Rüdiger.


P.S.:
Dass beide Anfänge sich strukturell und technisch sehr stark ähneln, ist mir bewusst, und ich habe ja weiter oben schon geschrieben, dass ich bei zunehmendem Output sicher aufpassen muss, dass daraus nicht mein "Schema F" wird. Hier ist der Absatz der anderen Geschichte nur zur Veranschaulichung der erzählerischen Motivation abgebildet.
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CrazyFoxx
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Beitrag08.02.2024 13:36

von CrazyFoxx
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Hallo Hugin_Hrabnaz,

ich finde die Szenerie wirklich schön, doch ist mir der Text zu "langatmig".
Ich stelle aber erst mal voran, dass ich die vorangegangenen Kritiken und auch deine Antworten darauf nicht gelesen habe.

Für mich war es beim Lesen ziemlich schwierig, den Fokus auf Grund der vielen, für mich zum Teil auch banalen, Beschreibungen nicht zu verlieren. Natürlich kenne ich den weiteren Verlauf der Geschichte nicht, muss aber gestehen, dass ich wohl leider auch nicht weiter lesen würde.

Die Nutzung und Platzierung der Absätze macht für mich Sinn, es trennt die einzeln angesprochenen Aspekte gut voneinander.

Im Allgemeinen kann ich sagen, dass ich mich zumindest im Anfang deiner Geschichte nicht "verlieren" kann. Ich bin nicht 100%-ig im Lesefluss, obwohl es sehr schön geschrieben ist. Statt dessen springen meine Augen im Text hin und her, versuchen einen versteckten Sinn hinter bestimmten Adjektiven zu suchen (den ich auch oftmals finden kann).

Ich glaube, dass so eine entschleunigende Szene, die mir eher spirituell als energetisch vorkommt, nicht viele Leser anspricht, wenn sie direkt zu Anfang präsentiert wird. Ich fände zum Beispiel eine vorangestellte Szene, in dem Amaruq und der Onkel im Sturm versuchen, mit ihren Kajaks wieder zurück zur Jurte zu kommen, irgendwie ansprechender.

Auch will mir der Name deiner Protagonistin nicht über die Lippen kommen, was bei mir zu einer gewissen Form der Ablehnung führt. Mich würde jedoch interessieren, ob es einen bestimmten Grund hat, dass sie von ihrem Vater ’nnguaq genannt wird. Hat das für das Volk eine tiefere Bedeutung, wie die Namenendungen -chan, -sama, -kun etc. im Japanischen?

Liebe Grüße aus Ostfriesland, CrazyFoxx
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Hugin_Hrabnaz
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Beitrag08.02.2024 14:41

von Hugin_Hrabnaz
Antworten mit Zitat

Hallo CrazyFoxx,

erst einmal vielen lieben Dank für dein Feedback, zu dem ich gerne etwas sage.

Zunächst zu deiner direkten Frage:

Das Suffix -'nnguaq wird mit Endnote und Verweis aufs Glossar erklärt. Es ist letztlich einfach der Diminuitiv oder die Verniedlichungs- bzw- Koseform. Wenn "Qaanaaraq" = "die Tundra" ist, dann ist "Qaanaaraq'nnguaq" = "die kleine Tundra", = "das Tundralein", oder eben "die Enkeltochter der Tundra". Das Glossar erklärt auch sehr ausführlich, dass dieses Suffix in der beschriebenen Kultur im Eltern-Kind-Verhältnis normal und angemessen ist, oder sonst von alten Leuten gegenüber kleinen Kindern. Die Protagonistin selbst wird sich nicht "Qaanaaraq'nnguaq" nennen, sondern nur "Qaanaaraq". Das Sprachsystem und Vokabular ist lose an das Grönländische und an das Inuktitut angelehnt.

https://en.wiktionary.org/wiki/Category:Greenlandic_terms_suffixed_with_-nnguaq

Der Name ist an sich nicht schwierig auszusprechen, Kanarak, nur das "K" etwas weiter im Rachen als ein typisches deutsches "K", die ersten beiden "A" länger als das letzte, das "R" eher als stimmhafter alveolarer Tap wie im Englischen.



Dass du die Szenerie als "wirklich schön" bezeichnest, und den Text als "schön geschrieben", freut mich, denn das ist eines der Hauptziele, die ich verfolge. Formelle und szenische Ästhetik, die aber gerne auch etwas verschroben bis umständlich sein darf. Dass sie völlig entschleunigt ist, und daher für jemanden, der einen aktionsgetriebenen Einstieg bevorzugt, langatmig wirken kann, das ist die Schattenseite der Übung.

Letztlich ist dies eine recht bewusste Entscheidung, die meinen persönlichen Präferenzen als Leser geschuldet ist, denn ich will mich am liebsten erst in aller Seelenruhe in einer Welt niederlassen können, bevor ich Lust darauf habe, mit den Protagonisten Abenteuer zu erleben. Ich fühle mich in Büchern (und Filmen) am wohlsten, die zunächst genau diesen Effekt vermitteln: Ruhe, Geborgenheit, Entschleunigung, eine Wohlfühlatmosphäre, in der sich die Schatten erst langsam manifestieren. Gerne im Film nach einer halben Stunde der Einleitung, oder im Buch auf Seite 20 bis 50. Ich will selbst so von einer Story eingefangen werden, dass mein Interesse bereits durch das Sosein der Figuren und der Szenerie geweckt und getragen wird, ohne dass ich Spannung und Action bräuchte. Das ist für mich als Konsument der "Moment der Flucht" aus der Realität in die andere Welt, die mich erst umschmeicheln und annehmen soll, bevor sie mir ihre Drangsal offenbart. Diese Präferenz als Leser spiegelt sich in meinen Präferenzen als Schreiber eben fast zwangsläufig wieder.

Auch deine Wahrnehmung als "spirituell" statt "energetisch" fasse ich durchaus als Kompliment auf, denn auch das entspricht mir und meinen Zielen durchaus. Es ist durchaus ein Ziel, dass der Leser, der vielleicht ein gewisses Rousseau-Faible hat, sich wünschen würde, in diesem Noble-Savage-Idyll leben zu können, wie es Qaanaaraq tut, mit ihrem Vater, der sie liebt, an einem wunderschönen See, mit der Sippe, um sie herum, im Einklang mit der Natur, die sie fühlen kann usw... Dass auch diese Welt Trauer, Tod, Drama im Gepäck hat, wie jede Welt, darf der Leser annehmen, aber ich will ihm das nicht auf den ersten Seiten um die Ohren hauen, denn ein aktiongetriebener Einstieg hat auf mich fast immer einen distanzierenden Effekt.

Du machst einen konkreten Gegenvorschlag dergestalt, dass z.B. Qaanaaraq mit ihrem Onkel im Kajak gegen den Seegang kämpfen könnte. Das ist auch ein toller möglicher Einstieg in ein Buch oder in ein Kapitel, keine Frage, und mag vielleicht sogar spontan mehr Leser ködern, zum Weiterlesen einladen. Das kann gut sein. Speziell bei diesem Buch habe ich auch noch einen sehr weiten Weg und viel Zeit, darüber zu befinden, ob vor dieser Szene noch eine andere kommen mag. Für den Moment bin ich jedoch relativ überzeugt, dass ich erst das Paradies präsentieren muss, bevor Qaanaaraq ihr Paradies verlieren wird, und diesen gravierenden Verlust meine ich, dass ich am besten spürbar machen kann, wenn ich den Zustand des vollkommenen Idylls zunächst ausgiebig ausbreite. Ich denke, dass es schwieriger und umständlicher ist, den Umfang des Verlusts des Protagonisten in Rückblenden begreifbar zu machen (generell mag ich Rückblenden nicht besonders und bevorzuge lineare Erzählstränge), als den Protagonisten dem Leser in dessen Paradies vorzustellen, aus dem er dann auch gemeinsam mit dem Protagonisten vertrieben wird. Ja, das ist die Strategie dahinter, das Szenario genau so auszubreiten, als spirituellen, meditativen, völlig entschleunigten Einstieg, dessen Schatten langsam im ersten Kapitel aufzusteigen beginnen.

Gleichwohl, ich sinniere gerne mal darüber, ob ich als Prolog etwas Aktionsreicheres setzen könnte. Eine größere potentielle Reichweite als Nebeneffekt schadet natürlich nicht, aber ich habe nicht die Absicht, irgendetwas allein mit dem Ziel zu machen, die potentielle Reichweite zu vergrößern, denn Reichweite ist mir nicht wichtig, sondern das zu transportieren, was sich für mich richtig anfühlt. Dafür sind die bisherigen Rückmeldungen - wenn auch überwiegend kritisch - gar kein schlechter Indikator.

Was du über die Adjektivsuche und die möglichen versteckten Bedeutungen sagst, die du teilweise findest, finde ich spannend. Wäre super, wenn du mir da noch was dazu schreiben könntest, was dir da aufgefallen ist und was du meinst herauszulesen. Foreshadowing ist natürlich ein Stück weit darin angelegt, ich wäre gespannt, ob das Sinn macht, was ankommt.


An dich und an alle anderen Beitragenden gerichtet: Ich schätze all euer Feedback sehr, und es bringt mich tatsächlich auch weiter. Daher hoffe ich, dass nicht der Eindruck entsteht, dass ich jede Kritik wegdiskutieren und wegargumentieren wollte. Das ist gar nicht die Absicht, denn mir (und ich denke euch auch) ist klar, dass stilistische, erzählerische, sprachliche und inhaltliche Präferenzen so unterschiedlich sind, wie die Leute. Das prägt die Ratschläge. Für mich ist interessant zu sehen, wie genau das Geschriebene bei unterschiedlichen Lesern ankommt. Dass der eine dieses langatmig findet, der andere jenes umständlich und der dritte das nächste zu höfisch, das ist alles Feedback, das mich weiter bringt, aber nicht unbedingt heißt, dass ich es deswegen ändern werde. Es ist für mich ein Prozess, der mein Bewusstsein für Wahrnehmungen schärft und mir bei der Entscheidung hilft, ob ich diese möglicherweise negativen Wahrnehmungen mancher Rezipienten in Kauf nehmen muss, weil es mein Weg ist, die Geschichte zu erzählen, oder ob ich meinen Weg auch so gehen kann, dass er weniger potentielle Rezipienten hinaus kegelt.

So oder so, ein ganz großes Dankeschön an dich, CrazyFoxx, und an alle anderen, die sich bisher die Mühe gemacht haben, mir Feedback zu geben.

Liebe Grüße aus dem Schwabenland zurück nach Ostfriesland,

Hugin
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CrazyFoxx
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Beitrag08.02.2024 15:23

von CrazyFoxx
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Ich freue mich schon, wenn ich auch nur leichte Denkanstöße geben kann ^.^

Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
Für den Moment bin ich jedoch relativ überzeugt, dass ich erst das Paradies präsentieren muss, bevor Qaanaaraq ihr Paradies verlieren wird, und diesen gravierenden Verlust meine ich, dass ich am besten spürbar machen kann, wenn ich den Zustand des vollkommenen Idylls zunächst ausgiebig ausbreite.


Das vorgeschlagene Szenario schließt das Paradies für mich bei Weitem nicht aus, denn es kann auch den Einklang mit der Natur verdeutlichen. Ich mag in solchen Passagen, wenn man selbst die Widrigkeiten, die die Natur bietet, als Eigenarten beschreibt. Wie die Marotte, die ein geliebter Verwandter hat (man weiß, dass es anstrengend sein kann, liebt aber die Person deswegen ja nicht weniger).

Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
Obwohl sie ihre Großmutter vermisst, ist sie nicht traurig, sondern es huscht sogar ein Lächeln über ihr Gesicht,


Hier bekomme ich ja auch nicht direkt das Gefühl, dass das Paradies, dass es für deine Protagonistin ist, sehr erschüttert. Dann wäre anzunehmen, dass auch das Wetter dem keinen Abbruch tun könnte.

Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
Sie schmecken süß und kräftig, aber auch ein wenig bitter.


Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
die im Sommer noch satt und grün glänzten, legen ihr rostrotes Herbstkleid an


Das sind 2 Beispiele, die mir auf Anhieb wieder eingefallen sind.

Ich hoffe, das war hilfreich
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Hugin_Hrabnaz
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Wohnort: Ulm


Beitrag08.02.2024 17:03

von Hugin_Hrabnaz
Antworten mit Zitat

CrazyFoxx hat Folgendes geschrieben:

Das vorgeschlagene Szenario schließt das Paradies für mich bei Weitem nicht aus, denn es kann auch den Einklang mit der Natur verdeutlichen. Ich mag in solchen Passagen, wenn man selbst die Widrigkeiten, die die Natur bietet, als Eigenarten beschreibt. Wie die Marotte, die ein geliebter Verwandter hat (man weiß, dass es anstrengend sein kann, liebt aber die Person deswegen ja nicht weniger).

Das ist natürlich richtig, dass ein naturnahes Leben im Idyll gewisse naturgegebene Härten nicht ausschließen muss, um trotzdem als geliebtes Refugium vom Protagonisten und vom Leser wahrgenommen zu werden, und natürlich sollte es möglich sein, eine dynamisch-dramatische Fischerszene mit dem Onkel abbilden zu können, die das Idyll nicht stört, aber trotzdem weniger statisch ist, als mein bisher gewählter Einstieg.

Das ist wirklich ein erwägenswerter Einstieg, jedenfalls in ein Kapitel. Ob er als erstes Kapitel des Buches passt, oder als Prolog, darüber denke ich noch nach. Um begreifbar zu machen, warum mir dieses "Ruhe vor dem Sturm"-Bild als Einstieg so wichtig ist, muss ich das Konzept der Storyline der Figur ein bisschen ausführlicher umreißen, ich hoffe, dass das okay ist.

Daher zum Plot und zur Figur als Hintergrund das Folgende:


Es ist grundsätzlich vorauszuschicken, dass zu dem Zeitpunkt an dem dieses Projekt eine Veröffentlichung erfahren soll, bereits ein weiteres Buch erschienen sein soll, das etwas später spielt, ca. 15 Jahre später, um genau zu sein. In diesem Buch gibt es eine andere Protagonistin und die hiesige Protagonistin spielt dort nur am Rande eine Rolle, namentlich in Geschichten, Liedern und Erzählungen, sowie in einer ganz kurzen aber durchaus bedeutungsvollen Begegnung mit der dortigen Hauptfigur. "Der Weg der Wölfin" ist also ein im Frühstadium befindliches Prequel zu meinem aktuellen Hauptprojekt, das die Vorgeschichte einer dortigen Nebenfigur erzählt, und erklärt, wie die Hauptfiguren der beiden Geschichten mit einander verbunden sind. 15 Jahre später wird Qaanaaraq nicht mehr in ihrer Heimat sein und auch nicht mehr unter diesem Namen bekannt, sondern eine Fürstengattin wider Willen, in der Fremde, in einem goldenen Käfig.

Die Szene, deren Anfang ich zum Einstieg in dieses Thema geteilt habe, ist jene Szene, an der ihre "Vertreibung aus dem Paradies" beginnt, und ihr Vater, der sie wirklich sehr lieb hat, wird diese Kausalkette auslösen. Er "muss" sie auslösen, weil ihre Kultur es will. Wir begegnen Qaanaaraq also erstmals zu der Zeit, als sie in der Anschauung ihrer heimatlichen, arktischen, animistischen, halbnomadischen Zivilisation vom Kind zur Erwachsenen wird, und ihr Vater sie darauf vorbereiten muss, dass bald ihre "Geistreise" beginnen wird, ein Initiationsritus, in der sich das Kind an der Schwelle zum Erwachsenen allein in der Wildnis der Natur stellen muss, um von den Geistern der beseelten Natur zu lernen, was sein Weg im Leben sein soll.

Dazu wird sie die Heimat und den Stamm verlassen müssen, und dem großen Strom aufwärts bis an dessen Quelle, auf das Dach der Welt, also bis hoch in die Winterberge folgen, und dort, wenn die Geister es wollen, dass dies der Weg sein soll, das Eibenholz für einen Bogen zu schlagen. Die Probleme dabei sind mehrerlei: Zum einen das raue Klima, die wilde Natur und die wilden Tiere; zum anderen die Tatsache, dass das Ziel der Reise nicht in den Stammlanden der Wölfe der Tundra liegt, dem besagten halbnomadischen Stamm dessen Kultur jener der Sami und der Inuit ähnelt, sondern südöstlich, hinter der Grenze zum Fürstentum Raidh, einem protogermanischen Kulturkreis auf hochmittelalterlicher Zivilisationsstufe. Die Winterberge sind also nicht nur unwirtliches Hochgebirge, sondern auch Wasserscheide und Kulturgrenze.

Es ist also durchaus möglich, dass Qaanaaraq, wenn sie nicht umkehrt, sondern die Prüfung zu Ende bringen will, nicht nur um Überleben in der Natur fürchten muss, sondern auch "verloren gehen" könnte, sprich, von dem ihrem Stamm feindlich gesinnten südöstlichen Nachbarvolk gefangen wird, oder Schlimmeres.


Diese Geschichte, soll das Buch erzählen.

Ich hole deshalb so weit aus, um die beabsichtigte Dramaturgie anzudeuten, und damit den Grund begreifbar zu machen, warum ich in der völligen Ruhe beginnen will.

Dass viele Leute spannende Einstiege eher ansprechen, habe ich indes begriffen, auch wenn ich es persönlich anders lieber habe, da der Kontrast für mich intensiver ist, wenn ich aus der Ruhe in den Sturm gehe.

Dessen ungeachtet mag ich deinen Ansatz gerne mal weiterspinnen und einen Prolog erwägen, der etwa Qaanaaraq recht kurz in einer problematischen, aber nicht völlig ausweglosen Szene auf ihrem späteren Weg zeigt, die zumindest, was den Prolog angeht, endet, bevor sie zu Ende ist, um dann zu "Kapitel 1" zurück zu gehen, dessen Anfang hier im ersten Beitrag skizziert ist, um dann einige Kapitel später wieder zu der Szene zurückzukehren, die im Prolog unvollendet abbrach.

Das wäre für mich ein schlüssiges Aufbaukonzept, auch wenn ich bevorzugt linear vorgehender Präsensschreiber, kein allzu großer Fan von Vor- und Rückblenden bin.

Einfach mit einer Actionszene anzufangen, um eine Actionszene als Einstieg zu haben, wenn ich konzeptionell ganz bewusst von der Ruhe in den Sturm will, ist für mich recht schwierig zu rechtfertigen, da ich Schwierigkeiten mit Szenen habe, deren Zweck sich im Ködern des Lesers erschöpft. Natürlich lässt sich auch ein actiongeladener Einstieg mit Bedeutung für den Gesamtplot sowie für das World- und Characterbuilding ersinnen, keine Frage, doch für mich stellt sich auch dann die Frage, ob es - um in musikalischen Vergleichen zu sprechen - sich schlüssig anfühlt, eine Geschichte mit einem kurzen Vivace-Auftakt zu beginnen, um dann ein scharfes Break in ein sehr ausgedehntes Adagio-Kapitel durchzuführen, bevor wir dann wieder accelerando über mehrere Kapitel hinweg zu weiteren Tempoverschärfungen streben.

Gedankenspiele. Es ist noch nichts in Stein gehauen. Meine Frage ist, ob der Leser dann den lebhaften Auftakt nicht als Blender wahrnähme, wenn danach ein ruhender Megalith folgt, dem man zwangsläufig anmerkt, dass dieser genau das ist, was der Autor an dieser Stelle haben wollte?

CrazyFoxx hat Folgendes geschrieben:

Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
Obwohl sie ihre Großmutter vermisst, ist sie nicht traurig, sondern es huscht sogar ein Lächeln über ihr Gesicht,


Hier bekomme ich ja auch nicht direkt das Gefühl, dass das Paradies, dass es für deine Protagonistin ist, sehr erschüttert. Dann wäre anzunehmen, dass auch das Wetter dem keinen Abbruch tun könnte.

Das erste Kapitel hat etwa 14 Seiten. Im ersten Beitrag habe ich etwa 4 davon abgebildet. Direkt an den durchaus etwas klischeehaften, aber sehr ernst gemeinten letzten Satz des Vaters schließt sich dann an, dass sich die drohenden Schatten nach und nach manifestieren, aus den Erzählungen des Vaters, der Vorbereitung auf den Ritus, und der Aufarbeitung gewisser vergangener Unbill. Den Tod der Mutter im Zuge der Geburt, das Schicksal manch anderer, die den Weg vor ihr gegangen sind, aber auch die Erörterung möglicher Alternativen, die sich auf dem Weg zeigen können. Das erste Kapitel besteht also keineswegs nur aus Idyll, aber ja, Action hat es verbindlich nicht. Nur Gespräche zwischen Vater und Tochter und Bilder von Kultur und Landschaft.


CrazyFoxx hat Folgendes geschrieben:

Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
Sie schmecken süß und kräftig, aber auch ein wenig bitter.


Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
die im Sommer noch satt und grün glänzten, legen ihr rostrotes Herbstkleid an


Das sind 2 Beispiele, die mir auf Anhieb wieder eingefallen sind.

Ich hoffe, das war hilfreich

Ja, danke dafür. Freut mich, dass die Stellen einen kleinen Widerhaken setzen konnten.


Dein Feedback ist in der Tat hilfreich, denn dieser Weg der Reflexion über das Geschiebene ist für mich immer sehr inspirierend und motivierend.
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Hugin_Hrabnaz
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Beitrag08.02.2024 19:46

von Hugin_Hrabnaz
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Eine kleine Idee und eine Frage dazu:

Nachdem viele von Euch den bisherigen Einstieg in diese Geschichte zu statisch und langatmig zu finden scheinen, und mehrfach, auch zuletzt von CrazyFoxx vorgeschlagen wurde, eine schnellere, aktionsgetriebenere Szene als Auftakt zu wählen, habe ich ein bisschen darüber nachgedacht, was sich da anböte.

Der erste Gedanke war ja (siehe oben), eine spätere Szene als Prolog zu nutzen, dann für das nach wie vor gewollt statische, deskriptive Kapitel 1 zurück zu blenden, und später irgendwann wieder am Prolog anzuknüpfen. Daran störe ich mich insoweit ein bisschen, weil ich wie gesagt lineare Erzählstränge bevorzuge und jedenfalls auf der Erzählerebene nicht gerne mit Rück- und Vorblenden arbeite.

Völlig zusammenhanglos eine Actionszene vorzuschalten, nur um eine ebensolche zu haben, taugt mir auch so gar nicht. Aber ich habe mir überlegt, ob ich einen Prolog schreiben könnte, der als Anknüpfungspunkt dieses Zitat aus dem bisherigen Auftakt hernimmt:

Zitat:


Sie weiß, dass ihr Vater den Steg heraus geht, denn er zieht den rechten Fuß ein wenig nach, seit ihn im vergangenen Winter ein kranker Järv angegriffen und sich heftig in sein Bein verbissen hatte.



Man könnte als Prolog eine Szene schildern, in der Qaanaaraq ihrem Vater hilft, als er von dem Järv (Vielfraß) angegriffen wird. Das kann bei Nacht geschehen, in einem Unwetter, man muss nicht allzu ausführlich die Welt beschreiben (denn das kommt ja noch), und es bietet genug Raum für ein wenig Dramatik, ordentlich Action und vielleicht auch einen kleinen Ausblick darauf, warum Qaanaaraq die "Enkeltochter der Tundra" ist, weil sie etwa in besonderer Weise auf das wilde Tier reagiert oder es beeinflussen kann.

Das alles auf 3 bis 5 Seiten. Vielleicht sogar aus der POV-Perspektive des Vaters.

Könnte ich mir vorstellen.

Bleibt die Frage, die ich im vorigen Post aufgeworfen habe, ob es den Leser irritieren würde, wenn ein kurzer, schneller Prolog, dann in ein weitwinkliges, ausladendes erstes Kapitel mündet? Dass ich dieses "langatmige" erste Kapitel unbedingt haben will, steht allerdings fest.
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CrazyFoxx
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Beitrag09.02.2024 09:49

von CrazyFoxx
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Guten Morgen Hugin,

ich finde die Idee, mit dem Järv-Angriff zu beginnen, eigentlich ganz gut. Ein großer Freund von Zeitsprüngen in der Erzählebene bin ich nämlich auch nicht, zumindest was Vor- und Rückblenden betrifft. (Sprünge über einige Tage sind eine meiner "Schreiberischen Eigenarten")
Um deinen Schreibstil und die Geschwindigkeit nicht allzu sehr zu verändern, würde ich mit Adjektiven wie "plötzlich", oder "unvermittelt" recht sparsam umgehen.
Auch fände ich es interessant, wenn deutlich würde, dass Qaanaaraq (zumindest schreiben lässt sich der Name für mich inzwischen leichter) dem Tier keine mutwillige Absicht unterstellt.

Wenn du den Prolog, der mMn nicht aus der POV des Vaters direkt sondern des Allgemeinen Erzählers bleiben sollte, fertig hast, würde ich ihn sehr gerne lesen.

Liebe Grüße aus Ostfriesland, CrazyFoxx
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Globo85
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Beitrag09.02.2024 10:19

von Globo85
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Hallo Hugin,

von mir auch nur ein paar kurze Gedanken, und natürlich auch nur meine Sichtweise.

Ich finde schon, dass du es schaffst, eine gewisse mystische Atmosphäre zu schaffen mit deinem Einstieg, auch wenn ich die Einwände der anderen absolut nachvollziehen kann.

Es ist immer eine Gratwanderung, so ein Bucheinstieg, und du kein Romananfang wird es schaffen, wirklich jeden anzusprechen.

Der "Tipp" mit dem actionreichen Einstieg wird für meine Begriffe manchmal ein bisschen an der Sache vorbei ausgelegt. Ähnlich der Show, don't tell -Regel.

Bei letzterer geht es meines Erachtens nach nicht darum, überhaupt keine Tell-Anteile im Text zu haben, das wird ausufernd und überdramatisch. Sondern es geht nur darum, zu sensibilisieren und die "entscheidenden" Momente eben zu shown, um das Lesy tiefer reinzuziehen, die "nichtentscheidenden" Momente dann aber entgegen eines falsch verstandenen Dogmas eben doch "tellend" zusammenzufassen.

Beim Actioneinstieg gilt glaube ich ähnliches: Es geht nicht um Action um der Action willen. Es geht (für mich) darum, eine Verbindung zum Lesy herzustellen, ein attachement. Das kann auf unterschiedliche Art geschehen. Zum Beispiel, indem ich die Protagonistin in einer dramatischen Situation zeige (=showe) und so eine Verbindung zwischen ihr und Lesy stattfinden kann.

Es könnte aber auch auf andere Art passieren, z.B. indem ich ein absolutes Alleinstellungsmerkmal meiner Erzählweise/meines Weltenbaus/Sonstiges zeige. Also das Lesy über die Ungewöhnlichkeit meines Romans so sehr an mein Buch binde, dass es weiterlesen will.

Und es gibt sicher auch noch viele andere Varianten. Aber im Romaneinstieg muss es meiner Meinung nach um Lesybindung gehen, um nichts anderes. Denn es hilft ja alles nichts, wenn nach der ersten Seite das Buch weggelegt wird.

Und diese für eine solche Bindung fehlt mir persönlich (aber das ist eben auch nur mein Eindruck) noch etwas in deinem Einstieg. Das muss, finde ich, eben kein actionreicher Prolog sein, oder ein actionreiches erstes Kapitel. Es könnte eine Frage sein, die aufgeworfen wird, ein Mysterium, ein Alleinstellungsmerkmal deiner Welt, ein Alleinstellungsmerkmal deiner Protagonistin, wasauchimmer.

Aber es sollte sehr zügig und sehr deutlich im Text auftauchen meiner Meinung nach. Ich schreibe das alles nur, weil du ja sehr deutlich gemacht hast, dass es dir gerade um die "friedvolle Welt" am Anfang geht, die dann eben brökelt. Aber (nicht unbedingt für die Protagonistin, aber zumindest für das Lesy) dieses Bröklen sollte dann zumindest schon am Anfang "angekündigt werden, wenn kein anderer Aspekt für die angesprochene Bindung da ist.

Ein Prolog mit einem anderen POV ist aber auch ein vielgenutztes (und damit offensichtlich funktionierendes) Mittel. Also wenn du dich damit anfreunden kannst, go for it. Ich wollte nur noch ein Stimme dafür in die Wagschale werfen, dass es nicht Action sein muss. "Nur" Bindung. Und um diese zu erreichen, kann Action ein probates und bewährtes Mittel sein.
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Hugin_Hrabnaz
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Beitrag09.02.2024 10:38

von Hugin_Hrabnaz
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Auch dir einen guten Morgen, CrazyFoxx.

Ja, Zeitsprünge nach vorne müssen natürlich in der Regel schon sein, zumindest bei Werken deren Storyline Monate oder Jahre erfasst, wie es in der Fantasy ja üblich ist. Ich muss mich dazu immer ein wenig zwingen, weil ich schon eine gewisse Tendenz dazu habe, wie in einem Tagebuch wirklich alles zu erzählen, aber da muss ich dann tatsächlich mal den fleißigen Kollegen rechtgeben, die an Einsparpotential gemahnen und daran, die Story zu entschlacken. So hart es ist: Der Leser muss nicht unbedingt auch alle langweiligen Tage im Leben des Protagonisten miterlebt haben.

Rückblenden finde ich auch nur auf der Erzählebene schwierig, in Gedanken oder Erzählungen einer POV-Figur kann und soll das aber natürlich schon passieren, dass man an Vergangenes zurückdenkt oder davon berichtet.

Der Schreibstil ist schon stabil, das Tempo variiert aber schon je nach Stimmung der Szene und den Anforderungen der Handlung. Wobei in der Tat beschleunigende zeitliche Adjektive sicherlich nicht mein bevorzugtes Stilmittel sind. Mit einem inflationären Gebrauch ist also sicher nicht zu rechnen. Dass aber auch in einer ruhigen Szene und bei einem langsamen Tempo mal was "plötzlich" passieren kann, ist auch klar. Wenn das so ist, dann schreibe ich es auch.

Aber ja, ich verstehe schon, was du meinst. Es wäre komisch, wenn der kurze Prolog so hektisch und aktiongetrieben wäre wie die Kampfszenen in einem Kung-Fu-Film, und das erste Kapitel dann das komplette Gegenteil präsentiert. Das werde ich vermeiden. Erzählstakkato ist nicht das meine, auch in Szenen mit Kämpfen und dergleichen, bleibt es bei einer eher langsamen "Kameraführung" ohne "Jump Scares". Smile

Der Gedanke, dass das Tier nicht böse ist, ist natürlich überzeugend. Habe es ja im bisherigen Text auch schon als "krank" bezeichnet. Schwarz-weiß-Malerei ist ohnehin nicht das meine. Selbst die Antagonisten sind in meinen Stories generell nicht böse per se. Ich mag da den GRR-Martin-Denkansatz "the villain is just the hero of the other side". Einen "einfach nur bösen" Antagonisten finde ich flach. Wenn man mit einer Hauptfigur nicht wenigstens ein bisschen mitfühlen kann, finde ich sie nutzlos.

Mit POV-Vater meinte ich schon den Erzählermodus und nicht die Ich-Perspektive des Vaters, aber eben nicht als auktorialer, allwissender Erzähler, sondern als Erzähler, der den Wissenshorizont von Amaruq hat, und nicht das Wissen aller Beteiligter. Das ist generell so mein Vorgehen, dass jedes Kapitel zwar vom Erzähler in der dritten Person vermittelt wird, aber von einem POV-Erzähler, der nur in der Gefühlswelt und der Sinneswahrnehmung einer Figur steckt. Diese kann von Szene zu Szene wechseln.

Ich melde mich, wenn der Prolog fertig ist.

Nochmals vielen Dank für dein Engagement.

Liebe Grüße,
Hugin
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Arminius
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Beitrag09.02.2024 10:39

von Arminius
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Globo85 hat Folgendes geschrieben:
Der "Tipp" mit dem actionreichen Einstieg wird für meine Begriffe manchmal ein bisschen an der Sache vorbei ausgelegt. Ähnlich der Show, don't tell -Regel.

Bei letzterer geht es meines Erachtens nach nicht darum, überhaupt keine Tell-Anteile im Text zu haben, das wird ausufernd und überdramatisch. Sondern es geht nur darum, zu sensibilisieren und die "entscheidenden" Momente eben zu shown, um das Lesy tiefer reinzuziehen, die "nichtentscheidenden" Momente dann aber entgegen eines falsch verstandenen Dogmas eben doch "tellend" zusammenzufassen.

Kurzes off-topic: eine sehr vernünftige, weil undoktrinäre Sichtweise.
Bin schon weg ...


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Hugin_Hrabnaz
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Beitrag09.02.2024 12:16

von Hugin_Hrabnaz
Antworten mit Zitat

Arminius hat Folgendes geschrieben:
Globo85 hat Folgendes geschrieben:
Der "Tipp" mit dem actionreichen Einstieg wird für meine Begriffe manchmal ein bisschen an der Sache vorbei ausgelegt. Ähnlich der Show, don't tell -Regel.

Bei letzterer geht es meines Erachtens nach nicht darum, überhaupt keine Tell-Anteile im Text zu haben, das wird ausufernd und überdramatisch. Sondern es geht nur darum, zu sensibilisieren und die "entscheidenden" Momente eben zu shown, um das Lesy tiefer reinzuziehen, die "nichtentscheidenden" Momente dann aber entgegen eines falsch verstandenen Dogmas eben doch "tellend" zusammenzufassen.

Kurzes off-topic: eine sehr vernünftige, weil undoktrinäre Sichtweise.
Bin schon weg ...


Darfst ruhig da bleiben, Arminius.

Ich bin da ganz bei dir und bei der undoktrinären Sichtweise von Globo85, dass die klassischen "Schreibregeln" nicht dazu da sind, sklavisch befolgt zu werden, denn das führt am Ende zu - bemühtem - Murks. Speziell, was du zu "Show don't tell!" sagst, ist völlig richtig. Immer showen und nie tellen zu wollen, macht sicherlich keinen guten Storyteller aus dir und ist viel zu umständlich. Erst dadurch, dass man den Kniff an besonderen Stellen einsetzt, werden diese Stellen dann auch besonders hervorgehoben.

Vermutlich merkt man meine Zustimmung in dem Punkt schon daran, dass ich die "goldenen Regeln" weitgehend alle - durchaus bewusst - öfters einfach Regeln sein lasse als dass ich sie umsetzen würde (siehe Perfekt, Passiv, Füllwörter, Adjektive, Hilfsverben, Modalverben, Substantivierungen usw...). Die Sprache hat diese Elemente, weil sie einen Zweck erfüllen. Sie zu eben diesen Zwecken nicht zu nutzen, wäre Unfug. Die Regeln können aber trotzdem dabei helfen, Bewusstsein dafür zu schaffen, ob der "Regelverstoß" einem sinnvollen Zweck dient, oder ob er tatsächlich aus Unachtsamkeit geschah und überdacht werden sollte.

Trotzdem nehme ich, nicht der Regel wegen, sondern eures Feedbacks wegen, zur Kenntnis, dass der von mir auch bewusst so gewählte "maximal entschleunigte" Einstieg doch nahezu allen Kommentierenden zu statisch scheint. Damit könnte ich generell leben, weil ich ihn halt so haben will.

Trotzdem hat mir die Anmerkung von CrazyFoxx die Idee sympathisch gemacht, den Prolog dafür zu nutzen, ein gewisses dramatisches Potential der Geschichte anzudeuten, bevor die eigentliche Erzählung im ruhenden Bild beginnt. Ein Prolog war ohnehin geplant, wobei ich bisher ein Gedicht über die Tundra im Sinn hatte. Ein solcher Prolog würde aber noch mehr entschleunigen und mich ggf. vollends zum prosaischen Landschaftsmaler machen.

Daher ein guter Gedanke, der eine Erwägung wert ist.

Danke fürs Mitlesen und Mitdenken!
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Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag20.02.2024 02:56

von Hugin_Hrabnaz
Antworten mit Zitat

Globo85 hat Folgendes geschrieben:
Hallo Hugin,

von mir auch nur ein paar kurze Gedanken, und natürlich auch nur meine Sichtweise.

Ich finde schon, dass du es schaffst, eine gewisse mystische Atmosphäre zu schaffen mit deinem Einstieg, auch wenn ich die Einwände der anderen absolut nachvollziehen kann.

Es ist immer eine Gratwanderung, so ein Bucheinstieg, und du kein Romananfang wird es schaffen, wirklich jeden anzusprechen.

Der "Tipp" mit dem actionreichen Einstieg wird für meine Begriffe manchmal ein bisschen an der Sache vorbei ausgelegt. Ähnlich der Show, don't tell -Regel.

Bei letzterer geht es meines Erachtens nach nicht darum, überhaupt keine Tell-Anteile im Text zu haben, das wird ausufernd und überdramatisch. Sondern es geht nur darum, zu sensibilisieren und die "entscheidenden" Momente eben zu shown, um das Lesy tiefer reinzuziehen, die "nichtentscheidenden" Momente dann aber entgegen eines falsch verstandenen Dogmas eben doch "tellend" zusammenzufassen.

Beim Actioneinstieg gilt glaube ich ähnliches: Es geht nicht um Action um der Action willen. Es geht (für mich) darum, eine Verbindung zum Lesy herzustellen, ein attachement. Das kann auf unterschiedliche Art geschehen. Zum Beispiel, indem ich die Protagonistin in einer dramatischen Situation zeige (=showe) und so eine Verbindung zwischen ihr und Lesy stattfinden kann.

Es könnte aber auch auf andere Art passieren, z.B. indem ich ein absolutes Alleinstellungsmerkmal meiner Erzählweise/meines Weltenbaus/Sonstiges zeige. Also das Lesy über die Ungewöhnlichkeit meines Romans so sehr an mein Buch binde, dass es weiterlesen will.

Und es gibt sicher auch noch viele andere Varianten. Aber im Romaneinstieg muss es meiner Meinung nach um Lesybindung gehen, um nichts anderes. Denn es hilft ja alles nichts, wenn nach der ersten Seite das Buch weggelegt wird.

Und diese für eine solche Bindung fehlt mir persönlich (aber das ist eben auch nur mein Eindruck) noch etwas in deinem Einstieg. Das muss, finde ich, eben kein actionreicher Prolog sein, oder ein actionreiches erstes Kapitel. Es könnte eine Frage sein, die aufgeworfen wird, ein Mysterium, ein Alleinstellungsmerkmal deiner Welt, ein Alleinstellungsmerkmal deiner Protagonistin, wasauchimmer.

Aber es sollte sehr zügig und sehr deutlich im Text auftauchen meiner Meinung nach. Ich schreibe das alles nur, weil du ja sehr deutlich gemacht hast, dass es dir gerade um die "friedvolle Welt" am Anfang geht, die dann eben brökelt. Aber (nicht unbedingt für die Protagonistin, aber zumindest für das Lesy) dieses Bröklen sollte dann zumindest schon am Anfang "angekündigt werden, wenn kein anderer Aspekt für die angesprochene Bindung da ist.

Ein Prolog mit einem anderen POV ist aber auch ein vielgenutztes (und damit offensichtlich funktionierendes) Mittel. Also wenn du dich damit anfreunden kannst, go for it. Ich wollte nur noch ein Stimme dafür in die Wagschale werfen, dass es nicht Action sein muss. "Nur" Bindung. Und um diese zu erreichen, kann Action ein probates und bewährtes Mittel sein.



Hallo Globo85,

bisher hatte ich nur auf einen kleinen Teil deiner Anmerkungen geantwortet, daher möchte ich das Versäumte jetzt noch nachholen. Sorry, dass das so spät kommt.

Den Hinweis, dass das Bröckeln des Idylls für den Leser idealerweise nicht erst auf Seite 4 oder 5, sondern schon früher angedeutet werden sollte, um den Leser frühzeitiger in diese Dramatik einzubinden, nehme ich sehr ernst, denn das mag in der Tat ein Schlüssel zu einer internsiveren Einbeziehung des Lesers vom Start weg sein.

Mit ist natürlich die Philosophie bekannt, dass man möglichst schnell auf den Punkt kommen sollte, der dem Leser mit oder ohne Aktionssequenzen Identifikation ermöglicht. Das habe ich nun zwar zunächst einmal sehr bewusst nicht getan, jedenfalls nicht über die Schiene der Devianz vom Idyll, aber dennoch erwäge ich hier ein früheres Aufbrechen der Strategie.

An sich war die konzeptionelle Idee jene, zunächst die Identifikation mit dem Idyll an sich zu erzeugen, ähnlich wie Tolkien mit dem Prolog "Über Hobbits", wenn auch deutlich weniger ausufernd. Tolkien hat erst einen ellenlangen Prolog über das Leben der Hobbits, bevor er die eigentliche Erzählung des "Herrn der Ringe" mit einem "langerwarteten Fest" ebenfalls massiv entschleunigt beginnen lässt. Ich will mich natürlich weder mit Tolkien messen noch ihn kopieren, aber man hat halt seine Einflüsse, und letztlich war es diese Strategie Tolkiens, die mich dazu brachten, in diese Welt eintauchen zu wollen, und in Literatur überhaupt.

Mein Einstieg in die Welt von Mittelerde, die ich Zeit Lebens bislang nicht mehr verlassen wollte, war, dass ein quasi dokumentarisches, naturwissenschaftliches, soziokulturelles Interesse an den Hobbits und den anderen Wesen dieser Welt entstand, und an der Welt selbst. Ich war also gerade nicht der oft beschworene Typ Leser, der Prologe, Epiloge, Glossare und ausführliche Landschaftsbeschreibungen erst einmal überblättert und zur Handlung vorblättert, sondern ich habe den Prolog mit allen Details aufgesogen, inklusive der verschiedenen Barfußgrößen und Behaarungstypen der unterschiedlichen Hobbit-Sippen, gleich beim ersten Lesen die Karte studiert und sogar selber parallel zum Lesen eine eigene Karte dazu gezeichnet, in die ich die Wanderwege eingezeichnet habe. Das nur zum Hintergrund des Werkelns, das eben von den eigenen Präferenzen in Sachen "High Fantasy" (also exzessiven World-Building-Affairs) massiv geprägt ist.

Es ist aber keineswegs nur Tolkien, der mich mit dieser Weise einnimmt. Aktuell habe ich gerade zunächst Jo Nesbø "Blutmond" gelesen, der "schulmäßig" vorgeht, mitten in einem Dialog, aufgeregtes Hin und Her. Das nächste Buch auf der Agenda war und ist von Jin Yong "Die Legende der Adlerkrieger". Einstieg mit einer etwa dreiviertelseitigen Beschreibung der Szenerie, Umgebung, Wetter, Dorfplatz... und dann ein etwa zweiseitiger Monolog eines alten Geschichtenerzählers mit einer Sanduhrtrommel, der erzählt, teils gesprochen, teils gesungen, was nördlich der Grenze zwischen den Reichen der Jin-Jurchen und der Song-Chinesen passiert ist, während die Dörfler ihm lauschen und sich ihre Meinung zur Erzählung bilden. Ein weiterer Lieblingsautor - Michael Moorcock - setzt ebenfalls gerne stimmungsvolle, deskriptive Kapitelköpfe, sei es, um den Protagonisten zu beschreiben, oder die Umgebung, in der er sich bewegt. Mich fasziniert einfach das Konzept der märchenhaften, detailliert deskriptiven, erzählerischen, stimmungsmalerischen Einstiege, was nicht heißt, dass ich andere Einstiege nicht mögen würde, aber für diese Story hier, jedenfalls für ihr erstes Kapitel, braucht es irgendwie diesen Effekt.

Trotzdem, und das ist der entscheidende Punkt an deinem Kommentar, den ich gerne mitnehmen und aufgreifen möchte, hast du völlig recht, dass es auch dem World-Building-Fetischisten keineswegs schaden kann, dem Leser bereits auf der ersten Seite der Geschichte einen für ihn deutlichen, für die Protagonistin aber eher verborgenen Hinweis auf die Fragilität des Idylls zu geben. Der kommt in der bisherigen Fassung - sofern man nicht bereits die ausgeprägte Herbststimmung an sich als Vanitas-Referenz und Vorbote des Verfalls deuten möchte -  ja genau an der Stelle, an der ich im Eingangsbeitrag abgebrochen habe, nämlich als Qaanaaraq eben das Unbehagen des Vaters bemerkt und ihn darauf anspricht. Er wird ihr nun langsam offenbaren, was ansteht, namentlich ihr Initiationsritus, der natürlich große Gefahren für sie birgt.

Aus all euren Beiträgen entnehme ich, dass diese Offenbarung der Schatten auf dem Idyll (zu?) spät kommt (es ist auf Normseite 4 und 5). Das nehme ich so hin, denn ich weiß, dass nicht jeder Leser eine vierseitige Beschreibung eines Stegs an einem idyllischen Tundra-See  überdauern wird, an dem ein junges Mädel mit der Hand durch die Wollgrashalme streicht und Graugänse anlockt, während es darauf wartet, dass der Onkel Fische heimbringt. Das habe ich verstanden.

Das Problem, das sich mir stellt, ist, dass die frühere Andeutung von Unbill und Drangsal - ganz gleich ob im Rahmen eines Prologes oder im Wege des Foreshadowings frühzeitiger im ersten Kapitel - möglicherweise die Absicht konterkarieren könnte, dass der Leser das Idyll in Ruhe mit der Protagonistin ergründen kann, bevor er dunklen Ahnungen folgend der Spannung erliegt und dadurch den Fokus auf das Idyll zu schnell verliert, bevor er es richtig kennengelernt hat, und deshalb nicht hinreichend nachfühlen kann, was die Protagonistin verliert. Kurz gesagt und gefragt: Kann der Leser die Tundra so lieben lernen, wie die Protagonistin sie liebt, wenn er bereits von Anfang an weiß, dass sie ihr alsbald entrissen wird? Wird er nicht zu sehr vom Idyll abgelenkt, weil er innerlich bereits nach dessen Verlust forscht.

Dass es passieren wird, ist ja irgendwie so oder so klar, denn kaum einer wird über 500+ Seiten den Herbst in der Tundra nur als Idyll erzählen. Ist es daher sinnvoll, den bevorstehenden Bruch in der Stimmung als Spannungseffekt bereits in den ersten zwei, drei Absätzen anzukündigen?

Umsetzen ließe sich das ja ohne Weiteres, etwa dergestalt, dass schon beim ersten Befassen mit dem Innenleben der Protagonistin, diese daran denkt, dass der Vater zuletzt komisch war. Oder dass äußere Vorzeichen in der Natur vorhanden sind, die eine ungute Stimmung zeichnen.

In meinem aktuellen Hauptprojekt (dieselbe Welt, urbanes Setting, protogermanischer Kulturkreis, 15 Jahre später, 400 Kilometer südöstlich) beginne ich die erste Szene zwar ähnlich langsam und deskriptiv, aber von Anfang an deutlich dunkler. Wir lernen die traumatisierte Hauptfigur in einem Versteck kennen, mit Schmerzen kämpfend und sich vor fremden Blicken verbergend. Dort erfährt man auf der ersten Seite zumindest, dass es ihr nicht gut geht und dass sie auf der Flucht ist. Trotzdem ist auch dort dieser Ort, an dem wir sie kennenlernen ein "safe space", wenn auch ein unheimlicher.

Hier in diesem Projekt schließt sich als nächstes ein sehr langer Dialog zwischen Qaanaaraq und ihrem Vater an, den man mir natürlich auch direkt als nächstes Storytelling-Foul ankreiden kann, weil es lange Monologe des Vaters geben wird, nur durch kurze Rück- und Gegenfragen unterbrochen, in welchen er der Tochter die Tradition und das Ritual erklärt und von vergangenen Reisen junger Menschen berichtet. Es wird ja einmal mehr gerne empfohlen, genau das nicht zu tun: Die direkte Rede zu nutzen, um die Welt zu erklären. Aber ist es nicht das, was die Alten tun, um ihre Kinder zu unterweisen? Anhand von Bildern, Lieder, Sagen, Legenden? Gerade in Zeiten und Zivilisationen mit mündlich tradiertem Wissen.

Das meine ich nicht böse, und ich bin da auch null beleidigt, weil ich eure Perspektive total verstehe und sie ja explizit erbitte. Ich mache das auch nicht, um alle Hinweise wegzudiskutieren und nachher nichts ändern zu wollen. Das ist nicht Ziel der Übung, denn ich ändere gerne Dinge, wenn ich davon überzeugt bin, dass es bessere Lösungen gibt. Die bessere Lösung ist für mich indes nicht unbedingt eine bessere Marktfähigkeit des fertigen Produkts, sondern eine Lösung, welche die beabsichtigte Stimmung besser und unmittelbarer transportiert. Wenn dabei die Marktfähigkeit gefördert wird, okay, fair enough und gerne genommener Nebeneffekt, aber niemals der Grund, etwas zu ändern.

Dennoch, wir sind uns darüber einig, dass es auch für die Primärzielgruppe der World-Building-Nerds sicher gut ist, möglichst schnell vom Setting und von der Hauptfigur eingenommen zu sein. Das wird ein Hauch mehr unmittelbarer Dramatik und Foreshadowing im Einstieg möglicherweise fördern können, also werde ich darüber weiter sinnieren müssen. Vielleicht bin ich für diesen Einstieg bisher tatsächlich zu sehr verhakt in Luftaufnahmen von Lappland wie aus den Intros der Nils-Holgersson-Comics, und Dokumentarfilme über die Tundra, aber die Imagerie fasziniert mich einfach.

Ich überlege momentan, wie ich mit einer anderen Technik, den Kreis der von Szenerie und Protagonistin und angesprochenen Leser zaghaft erweitern kann, ohne den prägenden Spirit der Szene grundlegend zu verlieren. Etwa das frühzeitige Einflechten von "special traits" der Protagonistin als "Empathiefänger".

Danke auch dir nochmals für deinen sehr konstruktiven Beitrag!

Liebe Grüße,
Rüdiger.
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Globo85
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Beitrag20.02.2024 10:44

von Globo85
Antworten mit Zitat

Hallo Rüdiger,

ich versuche noch mal ein wenig zu präzisieren, was ich eigentlich mit meinem Beitrag meinte.

Alles was du schreibst, deine Inspiration durch Tolkiens Werk (und andere), deine Intention mit dem Beginn ect., all das kann ich total nachempfinden.

Ich bin selbst ein riesiger Tolkien-Fan und lese den Herrn der Ringe so alle 1-2 Jahre, schätze ich. Mit Prolog. Ich mag den Prolog. Ich mag generell eig ganz gern Prologe, auch wenn ich mir der Diskussion um ebensolche völlig bewusst bin.

Es geht (für mich) nicht um schnellen Einstieg oder langsamen, sondern um (für mich) gut gemachten. Und hier kommen wir zurück zu dem, was ich in meinem urspünglichen Post sagen wollte: Ich glaube es geht beim Romananfang um attachment, dieses "den Lesenden an die Angel bekommen". Dafür gibts unendlich viele Wege (Action wurde genannt). Dein Weg kann einer sein, das will ich nicht in Abrede stellen. Der Vorschlag, das dem Idyll drohende Unheil früher anzukündigen, wäre eine weitere Möglichkeit, mit Sicherheit nicht die letzte/beste. Eben nur eine weitere.

Vielleicht funktioniert auch "bloß" Naturbeschreibung, der Erfolg von Der Gesang der Flusskrebse basiert wohl auch zu einem großen Teil auf den wundervollen, "spürbaren" Beschreibungen.

Eine außergewöhnliche Protagonistin könnte funktionieren, oder auch ein Alleinstellungsmerkmal deiner Welt. Whatever halt.

Zitat:
Ist es daher sinnvoll, den bevorstehenden Bruch in der Stimmung als Spannungseffekt bereits in den ersten zwei, drei Absätzen anzukündigen?

Das wird dir wahrscheinlich niemand beantworten können, weil es auf deine Zielsetzung ankommt. Willst du möglichst viele Lesys erreichen: Dann spricht wohl eher mehr dafür, einen rascheren Einstieg zu wählen, weil das momentan wohl eher dem Zeitgeist entspricht (und das meine ich völlig wertungsfrei). Willst du genau das Buch schreiben, das du schreiben willst? Dann spricht wohl eher mehr dafür, es nicht zu tun, weil du ja eine sehr klare Vorstellung von deinem Beginn hast.

Es gibt kein richtig/falsch bei dieser Entscheidung.

Zitat:
Kann der Leser die Tundra so lieben lernen, wie die Protagonistin sie liebt, wenn er bereits von Anfang an weiß, dass sie ihr alsbald entrissen wird? Wird er nicht zu sehr vom Idyll abgelenkt, weil er innerlich bereits nach dessen Verlust forscht.

Das allerdings halte ich für unproblematisch. Einmal schreibst du es ja quasi selbst schon:
Zitat:
Dass es passieren wird, ist ja irgendwie so oder so klar, denn kaum einer wird über 500+ Seiten den Herbst in der Tundra nur als Idyll erzählen.

"Gegenbeispiel" wäre für mich auch die Verfilmung vom Herrn der Ringe. Durch den dortigen Prolog (Geschichte des Rings) wird gezeigt, was alles drohen kann, der worst case. Die Konsequenzen für ein Scheitern des Protagonisten. Durch den Kontrast kann man (evtl. ist wohl auch einfach individuell) die anschließend gezeigte Idylle des Auenlands sogar noch viel mehr schätzen.

Auch hier gilt wohl wieder: Geschmäcker sind verschieden, mir (als bloß einem Leser, der aber sowohl kein Problem mit langsamen Einstiegen hat, als auch gern High Fantasy liest) wäre der Einstieg momentan eben zu wenig, um wirklich gecatcht zu werden.

Viel Erfolg weiterhin.
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Hugin_Hrabnaz
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Beitrag20.02.2024 11:18

von Hugin_Hrabnaz
Antworten mit Zitat

Vielen Dank für die näheren Erläuterungen, Globo.

Mir ist klar, dass mir hier niemand ein Patentrezept für einen funktionierenden Einstieg liefern kann, der für mich, für ihn und für möglichst viele andere passen soll. Das ist logischerweise nicht mein Ansinnen, den serviert zu bekommen.

Für mich ist der Anfang in Ordnung, weil er genau das transportiert, was ich damit transportieren will. Aber, und das macht deine Bedenken absolut nachvollziehbar: Ich habe natürlich den Wissens- und Fühlensvorsprung vor dem potentiellen Leser, dass ich in dem Moment bereits aus der anderen Geschichte weiß, wer Qaanaaraq irgendwann sein wird, und was sie bis dahin erlebt haben wird. Das heißt, dass ich selbst - und ein potentieller zukünftiger Leser, der zuvor die andere Geschichte gelesen hat - bereits ein Affektionsinteresse mitbringen, was dazu führt, dass dieser spezielle Fokus auf Qaanaaraq und ihre Umgebung funktioniert.

Dass dies für den komplett unbefangenen Neueinstieger in das Thema grundlegend anders sein kann, ist mir durch diesen Thread schon sehr klar geworden, und das ist eine gute Sache, denn in diesem frühen Stadium ist ja noch extrem viel Designarbeit möglich. Später auch, aber halt anstrengender.

Die Zielsetzung ist tatsächlich primär, die Geschichte zu schreiben, die ich schreiben will, das allerdings nicht "trotzig und unbeirrt", sondern schon offen und lernend, mit Selbstreflexion, um besser zu werden, daher auch der Weg hierher. Der Zeitgeist ist allerdings genauso wenig der Gradmesser wie die Reichweite, als vielmehr durchaus, die Leser zu erreichen, einzufangen und zu binden, die eben meine Präferenzen teilen, und diese Gruppe darf natürlich gerne durch behutsame Anpassung von Stil und Form wachsen.

Deshalb sind deine Beiträge auch wertvoll, speziell im Hinblick auf deine Präferenz für Tolkien, und deine bekundete Akzeptanz gegenüber Prologen, langsamen Einstiegen und High Fantasy. Das bedeutet, dass du absolut Zielgruppe sein könntest, und das gibt dem Feedback zusätzlichen Reiz.

Ich denke, dass ich dadurch für den Moment etwas zum Grübeln habe, weil ich anerkennen kann und muss, dass gerade auch der Fantasy-Leser vielleicht besser und schneller gebunden werden kann, wenn ich an der Catchyness des Einstiegs noch etwas arbeite. Der Gedanke mit den Persönlichkeitszügen der Hauptfigur ist da besonders spannend für mich. Die kommen im ersten Kapitel noch ordentlich zu tragen, aber halt später, so ab Seite 7 oder 8. Das mag etwas spät sein.

Ich glaube mir fällt etwas ein. Smile

Vielen Dank nochmals für deine Mühe,
Rüdiger.
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