Eine Erzählung

[Valeska]

Gemächlich schlenderte Hannah den staubigen Feldweg entlang. Der Himmel über ihr blitzte blau wie ein nagelneuer VW Touran der Farbe Divingblue metallic.

Gut hundert Meter hinter Hannah mündete der Weg in die Landstraße L156, die von Lunsen über die Weser nach Achim führt. Der Kalender bezeichnete den heutigen Tag als einen Sonntag im Mai, deshalb nutzten Autos diese beschauliche Strecke nur in angemessenem zeitlichen Abstand voneinander.

Im Moment gehörte dieses norddeutsche Fleckchen Erde Hannah ganz allein. Kein Lüftchen, kein Vogeltschilpen, kein Abgase spuckender LKW von Ahlers Getränke GmbH wagte ihr Alleinsein zu stören. Hannah schob die Sonnenbrille mit den zerkratzen Gläsern hoch in ihre braunen Löckchen und blieb neben einer Kolonie wilder Akeleien stehen. Eine Handvoll kleiner lila-blauer Blüten hielt sich tapfer aufrecht, obwohl die Verdunstung von Wasser über die Blätter enorm sein musste.

Hannah wünschte sich sehnlich ein ähnliches Durchhaltevermögen. Ihr Körper schien in Sachen  Wasserverlust und Verdunstung einen neuen Rekord aufstellen zu wollen. Hannahs enges H&M-T-Shirt wies unter ihren Achseln bereits unangenehme, männerfaustgroße Flecken auf. Wie gut, dass sie sich gestern in der Marktpassage noch das neue Deodorant mit Sommerduft besorgt hatte.

Doch als ihr der süßliche Deoduft in die Nase stieg, begannen sich ihre pochenden Kopfschmerzen zu verstärken, bis sie das Gefühl hatte, irgendjemand hätte ihr sommersprossiges Haupt als Fußball missbraucht. Hannah seufzte und betrachtete die brennenden tiefroten Kratzer auf ihren Armen.

Mit sicherlich überhöhter Geschwindigkeit brauste ein Auto die L156 entlang. Bremsen quietschten wie ein schlecht eingestelltes Mikrophon, als der Wagen schlingernd neben der Einmündung von Hannahs Feldweg zum Stehen kam. Hannah versteckte ihre Augen wieder hinter den verschrammten, braun getönten Gläsern und machte sich auf den Rückweg zur Landstraße.

Als die junge Frau vom Sandweg auf den Asphalt der L156 trat, stand der Fahrer des flotten BMW Coupé bereits auf der Fahrbahn. Seine schlanke Beifahrerin lief verschreckt um den teuren Wagen. Ihre rosigen Hände mit den langen pinkfarbenen Fingernägeln flatterten unkontrolliert durch die Luft und ließen ihren Fahrer sicherlich um seinen silbernen Lack fürchten.

Doch statt sich um seine hysterische Freundin zu kümmern, zückte der BMW-Fahrer ein Fotohandy und wählte hastig die Eins-Eins-Null. Vergeblich um einen ruhigen, sachlichen Tonfall bemüht, gab er dann dem Beamten in der Notrufzentrale seinen Standort durch.

Schließlich fasste er seine schlanke Blondine am Arm und schaffte einen Sicherheitsabstand zwischen ihr und seinem Autolack. »Die Polizei wird in zwei Minuten da sein, Schatz, und der Notarzt auch. Du kannst dich jetzt bitte wieder beruhigen.«

Hannah glaubte nicht, dass ein Notarzt hier noch viel nützten würde. Mitten auf der L156 lag in einer kleinen Lache angetrockneten Blutes ein Toter. Für die hysterische BMW-Freundin allerdings wäre eine Beruhigungsspritze aus der Tasche eines Arztes wahrscheinlich hilfreich, und wenn man Hannah eine Kopfschmerztablette anböte, würde sie bestimmt auch nicht nein sagen.

Endlich hatte der Autofahrer seinen Schatz an den sicheren und leichenfreien Straßenrand auf der anderen Seite seiner Karosse verfrachtet. Er kam zurück und hockte sich neben den toten Mann auf der Straße. Hannah stand bereits dort herum und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Denn beide steckten nur in billigen, schmalen Riemchensandalen, die kaum geeignet waren, ihre empfindlichen Fußsohlen vor der vom schwarzen Teer abgestrahlten Hitze zu bewahren.

Unter der braun gebrannten Gesichtshaut hatte der Tote schon einen beeindruckend leichenblassen Farbton angenommen. »Dass ein so junger Mensch sterben muss ...«, murmelte Hannah.

Der Besitzer des BMW blickte stirnrunzelnd zu ihr auf. Wahrscheinlich hatte er auch endlich kapiert, dass er diesem zerbrochenen Menschen nicht mehr helfen konnte, der allmählich auf dem Asphalt geröstet wurde.

»Ist das dort Ihr Wagen?«, fragte er Hannah und nickte zu dem zerknautschten dunkelroten Golf, der hinter ihr an einem Alleebaum klebte.

[lupus]

Hi Valeska!

ein cooler Text. So ein herrlich ruhiger Einstieg, ein Plätschern, ein kurzes Aufzucken, wieder Plätschen und: Zack.

Der erste Absatz is super
Beim zweiten hätt ich dann fast aufgegeben: Häh? ein spaziergang? naturbeschreibung? Fad! (Aber ich hab geahnt, dass da was kommt)

[Maria]

hola,

sehr coole Idee  

ich war erst auf dem völlig falschen Dampfer und dachte Hannah's Körper liegt da... Weil ich das so erwartet hatte... tjaja, falsch gedacht, überrascht worden.

Mir ist auch der eine Satz speziell hängen geblieben - der mit den flatternden Nägeln. Wirklich geil. Es lebt und man hört ihre Stimme. Große Klasse.

Nicht um des Suchen willens: an folgenden Stellen, bin ich beim Lesen kurz hängen geblieben, das teil ich Dir jetzt mit, ist vielleicht absolut unwichtig und von mir auch nicht als Fehlermeldung gedacht. Aber warum nicht laut denken:

[Locard]

Hallo Valeska!

Während des Lesens der ersten Absätze dachte ich, dass du vielleicht unter den Fittichen der Wirtschaft stehst und Geld dafür bekommst, sofern du Schleichwerbung betreibst.
Zwar wird immer wieder gepredigt, dass wir den Kindern einen Namen geben sollten, aber wie ich finde, übertreibst du es ein wenig.
Der VW Touran der Farbe DivingBlue metallic, die Landstraße 156, der KW von Ahlers Getränke GmbH, das H&M-Tshirt, das BMW Coupé. Mich wundert es, dass du nur "Fotohandy" schreibst und nicht dabei noch die Marke erwähnst. Viele Dinge bringen mich leider nicht weiter oder erzeugen nur eher schlecht als recht ein Bild in meinem Kopf.
Die Farbe DivingBlue metallic - ich habe keine Ahnung, wie die Farbe denn aussieht. Ist es ein dunkelblau, hellblau, schimmerndes blau?!
Was für ein H&M-T-Shirt ist es denn? Es gibt hunderte TShirts dort. Taillierte, Bestickte, Bauchfreie, Tiefausgeschnittene .... Ich weiß zwar, dass Hannah bei Hennes und Mauritz einkauft, aber was sie dort kauft, dass muss ich mir selbst zusammen basteln
Meiner Meinung nach hättest du auch ruhig einmal mehr den Begriff Landstraße verwenden können als dieses ständige L156.

[Merlinor]

Hallo Valeska

Mit dieser Geschichte bin ich jetzt nicht gerade glücklich.  

Zum einen stößt mir die dauernde Nennung von irgendwelchen Markennamen am Beginn des Textes sauer auf, zum anderen finde ich eine Reihe von Formulierungen zu krampfhaft und bemüht.

Die Idee ist an sich gut, aber die Ausführung leider nicht. Tote „rösten“ nicht auf Strassen und Autos „kleben“ nicht an Alleebäumen. Zumindest nicht, wenn es sich, wie hier, um ein tragisches Ereignis handelt.
Woher kommen die Kratzer an Hannahs Armen? Sagt sie wirklich etwas so banales wie: „Dass ein so junger Mensch sterben muss?“
Ausdrücke wie „leichenfreier Strassenrand“ etc. sind mir hier einfach zu flapsig und der Geschichte nicht angemessen. Das ist „Comic-Stil“ ...

Du kannst es besser, viel besser.

Herzlich      

Merlinor

[lupus]

Sorry, ich muss hier ganz vehement widersprechen:

gerade die Nennung von Markennamen gibt dem ganzen einen Kick. DA ist diese Gesellschaft, die so auf MArken wert legt, die glaubt es sei so wichtig, sich Gucci und Zeugs draufzupappen, und DORT geht's um das einzig wichtige: das Leben , den Tot.

Und genau so ist es: das Rösten, das Kleben. Fleisch auf heißem Asphalt wird nun mal geröstet (=Faktum). Alles andere ist einfach nur PC.

Je länger ich darüber Nachdenk, desto besser wird der Text *Spaltpilzmodus*

lg
Wolfgang

[Maria]

@rösten, leichenfrei etc.
Ich finde gerade den Slang im Zusammenhang mit Drama-Drama gut.
Der Tod als solches muss doch nicht immer andächtig, schwermütig und vorsichtig formuliert werden.
Die Kratzer am Arm waren für mich der hint, dass hannah verletzt war. Wenn sie sich mit ihrer Karre um den Baum wickelt, wäre es für mich auffällig gewesen, hätte sie keine Verletzungen davon getragen... oder interpretier ich das falsch?

Mei. Die Geschmäcker sind halt verschieden...

Kekse?

[Locard]

Ich sehe das ja auch nicht so, dass man dem Tod immer nur mit Respekt begegnen muss. Das wäre zu engstirnig und auch langweilig. Aber für mich geht der Stil nicht mit dem Inhalt konform. Natürlich kann man dem Ganzen Drama mit einer Leichtigkeit, eine Ironie, Sarkasmus oder Zynismus entgegentreten, aber dann sollte auch solch eine Stimmung erzeugt werden. Und das geschieht zumindest bei mir nicht.

Außerdem denke ich, dass es weitaus bessere Szenen geben könnte, die die Kluft zwischen gesellschaftlichem Status und dem Essenziellen im Leben darstellt. Hier wäre das nicht eindrucksvoll genug, nicht präsent genug, um sich der Geschichte auf diese Weise zu nähern.
Lupus, wer verkörpert hier für dich denn die Gesellschaft? Und wer das wirklich Wichtige? Die These hängt noch etwas in der Luft, wäre aber sicherlich wert, in irgendeiner Form als Geschichte aufzutauchen.

Natürlich sind Geschmäcker verschieden und deswegen kommt es doch zu tollen Diskussionen! Ich finde, dass man so etwas abwürgen sollte Wir gehen uns ja auch nicht persönlich an, sondern nehmen bloß Stellung zum Text. Das ist völlig legitim. Und ganz vielleicht, helfen die verschiedenen Sichtweisen dem Autor weiter.

[Valeska]

Hallo alle miteinander,

huch, na, da hab ich ja regelrecht eine Diskussion ausgelöst .. (sorry, dass ich mich nicht eher gemeldet habe -> Latinumsprüfung)

Eigentlich sollte das hier nur der Anfang einer etwas längeren Erzählung sein (sonst hätte ich in den Titel auch KuGe geschrieben ...), in der es im wahrsten Sinne der Worte um Gott, die Welt und den Tod gehen soll (es ist noch nicht gründlich ausgearbeitet, aber ich hatte plötzlich diese Eingebung, habe dann schon mal diesen Anfang geschrieben und wollte ihn euch nicht vorenthalten). Wie schön, dass ihr schon so viel rauslesen konntet ...

Also im Einzelnen ...