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Dieses Werk wurde für den kleinen Literaten nominiert Der wahre Mensch


 
 
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Hard2drive
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Beitrag23.05.2009 20:48
Der wahre Mensch
von Hard2drive
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Meine konkrete Frage zu dem Text: Provoziert er nur? Oder steckt eine Aussage darin?


Der wahre Mensch …     von hard2drive
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst einmal bedanke ich mich, dass Sie wieder so zahlreich erschienen sind. Nun, das Thema unseres heutigen Kolloquiums der gelebten Zwischenmenschlichkeit lautet: Wie können wir uns von der instinktgesteuerten Kreatur zum wahren Menschen entwickeln?“
Richard Borggrefe hielt mit erhobenem Zeigefinger inne und ließ mit gerunzelter Stirn die Blicke über sein Auditorium schweifen. Atemlose Stille bis auf ein leises Schnarchen aus der hintersten Reihe. „Dazu müssen wir uns zunächst die Frage stellen: Was macht den Menschen denn aus?“ Pathetisch breitete er den linken Arm aus und starrte auf einen imaginären Punkt an der Decke. Aus dem Publikum kam ein leises Kichern, jemand klatschte kurz zaghaft in die Hände.
 „Ist es unser aufrechter Gang? Unsere feine Kleidung? Unsere Sprache?“  Mit verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln schüttelte er den Kopf. „Nein! Vielleicht aber unsere Intelligenz, werden manche von Ihnen ausrufen, meine hochverehrten Herrschaften.“ Fragend blickte er sich um. Schweigen, nur ein gedämpftes Knattern entweichender Darmgase drang aus der linken Seite des Saales. Erneut schüttelte er den Kopf, während er mit seinem Materialwagen weiter in den Saal fuhr.
„All dies stellt keinen wahren qualitativen Unterschied zwischen Mensch und Tier dar. Auch Affen können aufrecht gehen, oder Pinguine. Und Kleidung? Wozu braucht ein Bär einen Anzug, liebe Freunde, er hat hervorragendes Naturfell.“  Er nahm seine Latexhandschuhe vom Wagen und streifte sie über.
„Und Intelligenz? Otto Koehler berichtet, dass  Schmutzgeier dafür bekannt sind, so lange Steine gegen Straußeneier zu schleudern, bis diese zerspringen; danach verzehren sie deren Inhalt.“  Er öffnete die Cremedose und griff mit zwei Fingern hinein.
„ Ist das nicht intelligent?“  Er schrie diese Frage förmlich in den Saal. Jemand weinte vor ihm, ein heiseres Keuchen aus einer anderen Ecke. Beschwichtigend hielt er die Handflächen vor seine Brust. Als Ruhe einkehrte fuhr er fort.
„Und wie steht es mit den Gefühlen? Der Emotion? Und...“ kurz innehaltend zwinkerte Borggrefe  mit einem kecken Lächeln der grauhaarigen Frau vor ihm mit den tiefen Runzeln in ihrem hohlwangigen blassen  Gesicht zu. Ihre Sauerstoffsonde war ihr aus der Nase gerutscht.
 „ ... der Liebe?“ vollendete er seine Frage mit einem schwärmerischen Blick in die Runde.
„Liebe ist in letzter Konsequenz ausgelebter E-go-is-mus !“  Während er das letzte Wort laut und betont skandierte verteilte er die Creme auf der geröteten wunden Scham der alten Frau. Sie wimmerte unterdrückt. „Machen wir uns doch nichts vor, meine geschätzten Brüder und Schwestern. „Liebe ist nur ein Deal. Wir lieben die Mutter, weil sie uns säugt. Wir lieben unseren Partner, damit wir nicht alleine sind. Wir lieben unsere Kinder, damit sie uns später versorgen. Wir reden uns ein, dass wir einen Gott lieben, um die Illusion eines Lebens nach dem Tode aufrecht zu erhalten...“ Er verschloss routiniert die Windel, warf die Handschuhe in den Müllcontainer und schob den Wagen zum nächsten Bett.
„Gott! Oh Gott!“ lamentierte er theatralisch, indem er seine Hände über dem Kof zusammenschlug.
 „Wie konnte ich dieses unselige Wort für ein Wesen, dass niemals von einem Menschen dieser Erde erblickt wurde überhaupt in den Mund nehmen? Mal von den Halluzinationen schizophrener Irrer, drogensüchtiger Junkies und verlogener homophiler Pfaffen abgesehen hat doch bis heute niemand diesen „Mister Gott“ jemals gesehen? Oder hatte vielleicht jemand in unserer geschätzten Mitte vielleicht doch schonmal das Vergnügen? Nun?“
Er fixierte auffordernd der Reihe nach sein Publikum. Keine Reaktion. Nur das Piepsen der Überwachungsmonitore. „Dachte ich mir...“ murmelte er triumphierend und fuhr fort, den Rasierschaum anzurühren.
„Viele gelehrte Philosophen versuchten in ihrer Verzweiflung die Menschheit mit angeblichen Gottesbeweisen zu übertölpeln. Betrachten wir uns doch einmal die Argumentation des berühmten Anselm von Canterbury, der von 1033 bis 1109 auf Erden gewandelt ist. Er behauptet listig, dass das,  über das nichts Größeres gedacht werden kann,  Gott sein müsse.“ Spöttisch lächelnd verteilte er den Schaum mit dem Rasierpinsel  im Gesicht des Mannes, der mit geschlossenen Augen mühsam mit halb geöffnetem Mund atmend in seinem Bett lag.
„Ich möchte hier an dieser Stelle nicht weiter auf die abstruse und schwache Argumentationskette dieses sogenannten Beweises eingehen. Dies würde den Rahmen unserer Veranstaltung bei weitem sprengen.“ Er klappte geschickt das Messer aus und schabte versiert die grauen Bartstoppeln des Mannes mit eleganten Handbewegungen ab, den Schaum wischte er an einem weißen Tuch über seinem linken Handgelenk von seinem Messer.
 „Später können sich gerne Interessierte an mich wenden, um einen Termin zu vereinbaren, gemeinsam dieses komplexe Thema näher zu diskutieren.“ Freundlich lächelnd blickte er über die Köpfe der Anwesenden, während er seine Rasierutensilien wieder verstaute.
„Nun, niemand hat Lust?“ Er ging zum nächsten Bett. „Das ist nicht weiter schlimm. Wie ich schon sagte, alles hohles Geschwätz und Spiegelfechtereien“.  Er schlug die Bettdecke der abgemagerten Gestalt beiseite und betastete prüfend den prall gespannten Unterbauch des Mannes. Dieser stöhnte leise vor sich hin. Borggrefe nickte ihm aufmunternd zu während er in seiner Rede fortfuhr.
„So kommen wir doch endlich zu unserer Ausgangsfrage zurück: Wie überwinden wir unsere Kreatürlichkeit und erreichen die wahre Menschenwürde?“ Wieder blickte er sich auffordernd um und zog sich sterile Einmalhandschuhe Größe 8 an.
„Nun? Niemand weiß es? Sie da hinten in der letzten Reihe vielleicht? Ja, Sie auf der Bettpfanne! Nein? Auch nicht?“ bedauernd widmete er sich wieder seiner Aufgabe. Er nahm die Tube mit dem Gleitgel und drückte seinen Inhalt auf das Ende des Katheters.
„Nun, dann will ich es Ihnen verraten...“ Mit einem wissenden Lächeln und einem tiefen Seufzer fuhr er fort. „Wir müssen unsere Körperlichkeit  überwinden! Unser Körper hindert uns daran,  Mensch zu sein und damit meine ich die wahre und letzte Essenz dieser Begrifflichkeit!“
 Er hielt den schlaffen Penis des Mannes in seiner linken Hand und schob den Katheter mit der Rechten durch die Harnröhre in Richtung Blase. Der Mann verzog weiter wimmernd das Gesicht, eine Träne rann seine Wange hinunter.
„Wenn unser Körper Hunger hat, brauchen wir Essen, dass wir anderen, die mehr davon haben neiden oder es gar von ihnen nehmen. Wenn unser Körper dem Triebe der Lust verfällt,  stehlen wir die Weiber unserer Nächsten. Wenn unser Körper Platz braucht, marschieren wir in die Länder unserer Nachbarn und beginnen Kriege!“
 Dunkelgelber Urin floss rasch durch den Katheter und sammelte sich im Auffangbeutel. Zufrieden fixierte Borggrefe den Schlauch, tätschelte dem Alten zum Abschied die Wange und zog mit seinem Wagen weiter wie die Marketenderin zur nächsten Schlacht.
„Ohne Körper gibt es keinen Hunger, keinen Durst, keinen Schmerz ...“ Der durchdringende Gestank verriet, worin die Aufgabe Borggrefes beim nächsten Pflegebedürftigen bestand. Er öffnete die Windel, beseitigte mit ihr den gröbsten Kot und sprühte dann den Reinigungsschaum über After und Gesäß der Person.
„Ohne Körper existiert nur Geist, und der Geist ist die höchste Form der Existenz. Er kennt keinen Neid, keinen Hass , keinen Mangel... er will nur sein.“  Nachdem er seine Arbeit beendet hatte, schob er seinen Wagen zur Ausgangstür des Saales, entledigte sich seiner Gummischürze und schaute sich noch einmal nachdenklich um.
„Vielleicht wird es uns eines Tages gelingen, ein ewiges Leben in einer virtuellen Welt zu fristen, deren Eigenschaften wir selbst bestimmen können. Der Eine möchte vielleicht immerwährende Freuden am Meer  geniessen , unter Palmen mit einem Schirmchen-Drink? Der Andere möchte vielleicht  immerwährende Wollust in einem orientalischen Harem erleben ? Wer weiß?“
 Er öffnete achselzuckend die Tür der Palliativstation des Altenheims. „Bis dahin bleibt nur Selbtmord oder Euthanasie!“ Die Tür schlug zu.



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Garine
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Beitrag23.05.2009 21:14

von Garine
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Shocked   heftig ... das muss ich erstmal sacken lassen

Gabriele


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Murmel
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Beitrag23.05.2009 22:49

von Murmel
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Shocked

Er provoziert.  Damit findet der Text sicher seine Anhänger, vor allem in der Intellektuellen Abteilung, mich hast du aber nicht gewonnen.

Es ist mir zu viel leeres Gelaber (schreibtechnisch). Ich hab nicht einmal alles gelesen.


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Garrison
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Beitrag23.05.2009 23:30

von Garrison
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Mir gefällt der Text an sich ganz gut. Lesbar geschrieben, ich konnte mir alles gut vorstellen.
Nur die Argumentation deines Pflegers hinkt. Er predigt, dass sich die Menschheit über die körperlichen Bedürfnisse erheben müsse, bringt aber als Beispiele der Glückseligkeit eben dann genau Lusterfüllung in virtuellen Welten. Er lehnt Gott ab, stellt sich aber ein, ich will es mal "menschengemachtes Paradies" nennen, vor. Ein Jenseits im Diesseits.

Würde er seiner eigenen Argumentation logisch folgen, müssten die Sterbenskranken, die er versorgt, genau das Ideal des Menschen für ihn sein: So gut wie losgelöst vom Körper, allein auf ihren Geist reduziert.

Aber er verachtet sie - gut daran zu erkennen, dass er sie einfach so "nebenbei" versorgt.
Kein sehr kluger Mann, auch wenn er sich dafür halten mag. Wink

Was ich sagen will, ist, dass der Text in sich nicht viel Konsistenz aufweist. Er ist provokant, ja, aber er regt nicht zum Nachdenken an (was eine gute Provokation wäre), weil er sich dafür zu stark selbst widerspricht.

Ich hoffe, meine Kritik hat dir geholfen.


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Maria
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Beitrag23.05.2009 23:46

von Maria
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Hey Hard2drive,

provokant ist es. Weiß leider nicht genau auf was Du hinaus wolltest: den Leser mit der Aussage zu schockieren oder einen grausamen Redner zu skizzieren.

Im zweiten Fall: Um mich zu schocken oder zu provozieren müsste mich der Text mehr mitnehmen (oder bin ich ein herzloser Freak?). Ich hab den Text jetzt öfter gelesen, gut und flüssig geschrieben, keine Frage, gefällt mir.

Möglicherweise ist es zuviel "Gerede" (ohne es abwerten zu wollen) weniger Monolog mit mehr zeigenden (Lufthol)-Elementen, würde den Text nicht so schnell machen, es ist mir zuviel an derbem Input hintereinander. Ich komme nicht dazu mich richtig zu empören, weil der Pfleger/Arzt gleich weiter schwafelt und noch einen Gedanken nachschiebt und noch einen. usw.
Für mich zuviel des Bösen erzählt, zu wenig davon kommt aber bei mir an.

Mehr vom Redner zu zeigen, seinen Tätigkeiten - ohne dabei ins Plakative oder Entwürdigende (bezogen auf seine Handlungen) zu gleiten - hätte für mich sicherlich mehr Effekt erzielt. Absichtlich, dass Du ihn nicht weiter zeigst und beschreibst? Wie bewegt er sich etc. Er schlägt zwar die Hände über dem Kopf zusammen und triumphiert etc. aber sehen kann ich das nicht, und so bleibt der Text ein klein wenig leblos.

Wenn ich auch sagen muss, dass diese routinierte Abwicklung seiner Tätigkeiten hier einige Verachtung ausdrücken. Als würde er Schrauben sortieren. Guter Kniff.

Vielleicht bin ich auf der falschen Fährte und Dir gehts nur um eine Aussage und nicht um den Charakter an sich.

Aber ich bin neugierig auf weiteres von Dir, wirklich.

Bin gespannt.

Herzlich willkommen wink

maria


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Angst
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Beitrag24.05.2009 01:03

von Angst
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Hm, ja. Ich sehe das ähnlich wie Garrison. Dein Herr Borggrefe kann mich nicht ansatzweise überzeugen. Es wirkt auf mich, als würde er querbeet jeden nur erdenklichen Philosophen durchackern, ein bisschen dies, ein bisschen das, aber leider nichts so richtig. Die Lektüre hat mir Spass gemacht, weil ich mir instinktiv Gegenargumente überlegt habe. Zu gerne würde ich diesen Borggrefe verbal in den Boden stampfen Twisted Evil (Worauf ich jetzt leider verzichten muss, da dies eine nähere Auseinandersetzung mit dem Text erfordern würde.)

Gestört hat mich, dass sein Vortrag logisch nicht einwandfrei strukturiert ist. Wieso spricht er so lange über die Liebe? Über Gott? Was hat das mit der Ausgangsfrage zu tun? Das wird mir überhaupt nicht klar. Da könnte man doch auf den Verdacht kommen, er wolle nur provozieren. Übrigens: dafür, dass er sich so überheblich als Atheist brüstet, ist er mir zu sehr Dualist. Borggrefe glaubt nicht an Gott, weil niemand seine Existenz begründen kann. Mich würde mal interessieren, wie er mir die Existenz des Geistes begründen würde. Auch diese Idee der Überwindung des Körperlichen kommt derjenigen des Christentum "bedrohlich" nahe.

Ich fand den Text eigentlich recht unterhaltsam. (Schockierend nicht.) Handwerklich sicher gelungen, nur inhaltlich nicht ausgereift.

Liebe Grüsse,
Scheinheilige


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Hard2drive
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Beitrag24.05.2009 07:52

von Hard2drive
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Ich danke euch allen zunächst einmal für eure Mühe, den Text zu lesen. Eure Kritik empfand ich als ehrlich und fundiert.
Ich hatte vor, eine Art Kurzgeschichtenserie mit der Figur „Borggrefe“ zu schreiben. Ähnlich wie auf der Palliativstation des Altenheims hält er selbstgefällige Monologe vor „wehrlosem“ Publikum. Der Titel könnte vielleicht heißen „Borggrefe spricht ...“ oder so ähnlich.
So könnte B. z.B. auch in einer Leichenhalle agieren, d.h. er hält Monologe und arbeitet zugleich als Leichenwäscher. Weitere denkbare Schauplätze: Gefängnis, Tierheim, ... Oder aber auch  -etwas abgedreht – als DJ in der Disco oder als Kassierer im Großmarkt, wo ihm niemand zuhört (weil zu laut, oder das „Publikum“ zu sehr mit sich selbst beschäftigt).

Zu Garrison und Murmel: Er soll provozieren, aber nicht bewirken, dass der Autor „menschenverachtend“ rüberkommt. Das ist problematisch! Wenn er missverstanden wird, kann der Autor für diesen „Schmutz“ an die Wand genagelt werden. Das war meine Befürchtung.

Zu Maria: Ja, aus dem oben Gesagten geht hervor, dass es mir mehr um die Aussage geht, als um die „Person?“ Borggrefes.

Zu Scheinheilige:  Wenn Du Dir instinktiv Gegenargumente überlegt hast, dann hat der Text doch etwas bewirkt, oder? Und das freut mich ehrlich.

LG

Hard2drive


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Murmel
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Beitrag24.05.2009 15:42

von Murmel
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Hard2drive hat Folgendes geschrieben:
Zu Garrison und Murmel: Er soll provozieren, aber nicht bewirken, dass der Autor „menschenverachtend“ rüberkommt. Das ist problematisch! Wenn er missverstanden wird, kann der Autor für diesen „Schmutz“ an die Wand genagelt werden. Das war meine Befürchtung.


Ich sehe durchaus einen Unterschied zwischen der Figur und dem Autoren. Nicht jeder Autor, der Horror oder Krimis schreibt ist, eine Verbrecherseele, nur weil er sich in die Tiefen eines Mörders versetzen kann.

Nein, mein Problem war, dass mich das leere Gerede aus dem Lesefluss geworfen hat. So nach dem Motto: kann man den nicht abstellen? (oder: lieber Autor, komm doch zum Punkt).

Weniger ist manchmal mehr.


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Garine
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Beitrag24.05.2009 15:51

von Garine
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Murmel hat Folgendes geschrieben:
Nein, mein Problem war, dass mich das leere Gerede aus dem Lesefluss geworfen hat. So nach dem Motto: kann man den nicht abstellen? (oder: lieber Autor, komm doch zum Punkt).
Weniger ist manchmal mehr.


Genau das war auch mein Problem. Ich musste zweimal ansetzen, um den Text komplett zu lesen. Schwafelt der nur, oder kommt da noch was, fragte ich mich immer wieder.

Was mich Anfangs schon ins Schleudern brachte, wo sich noch nicht herauskristalisierte wo das ganze spielt, war die Tatsache, dass Männlein und Weiblein zusammen in einem Zimmer liegen.

Ich kenne mich auf einer Palliativstation nicht aus, doch finde ich das alleine schon einen Hammer.

Liebe Grüße Gabriele


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Hoody
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Beitrag24.05.2009 15:51

von Hoody
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Kann mich nur den Meinungen der anderen anschließen.
Aber die Person gefällt mir.

Hier mal die Stellen dir mir gefallen haben, vielleicht kannst du die Figur für irgendeine Geschichte benutzen, denn der Charakter gefiel mir:


Zitat:
Dazu müssen wir uns zunächst die Frage stellen: Was macht den Menschen denn aus?“ Pathetisch breitete er den linken Arm aus und starrte auf einen imaginären Punkt an der Decke.

Zitat:

Und Intelligenz? Otto Koehler berichtet, dass Schmutzgeier dafür bekannt sind, so lange Steine gegen Straußeneier zu schleudern, bis diese zerspringen; danach verzehren sie deren Inhalt.“ Er öffnete die Cremedose und griff mit zwei Fingern hinein.
„ Ist das nicht intelligent?“ Er schrie diese Frage förmlich in den Saal.

Meine Lieblingsstelle. Einfach unglaublich was du für ein Bild in meinen Kopf damit erschaffst. Ich weiß nicht ob du das bist auf deinen Avatar, aber ich habe mir den Typen im Text so vorgestellt, und es passt perfekt. Gänsehaut.


Zitat:
Und wie steht es mit den Gefühlen? Der Emotion? Und...“ kurz innehaltend zwinkerte Borggrefe mit einem kecken Lächeln der grauhaarigen Frau vor ihm mit den tiefen Runzeln in ihrem hohlwangigen blassen Gesicht zu. Ihre Sauerstoffsonde war ihr aus der Nase gerutscht.
„ ... der Liebe?“ vollendete er seine Frage mit einem schwärmerischen Blick in die Runde.

EBenfalls eine schöne Stelle. Ich liebe den Charakter, er ist irgendwie Verrückt. Solche Stellen kennt ja man aus Filmen. Irgendwelche Typen stehen vor einen großen Publikum und reden dann so, mich fasziniert das immer total.

Bitte stell eine Audiodatei rein und rede so wie der.
Mir gefällt es. Erst schrie er und dann redet er, so denke ich es mir jedenfalls, ganz leise und sagt: Der Liebe?



lg Hubi =)


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Angst
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A
Beitrag24.05.2009 17:22

von Angst
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Hard2drive hat Folgendes geschrieben:
Zu Scheinheilige:  Wenn Du Dir instinktiv Gegenargumente überlegt hast, dann hat der Text doch etwas bewirkt, oder?

Ja und Nein. Bewirkt hat der Text natürlich etwas, nur glaube ich nicht das, was du bezwecken wolltest. Dadurch, dass mich die Argumente dieses Herrn überhaupt nicht überzeugen, kann er mich nicht mitreissen. Auf mich (Ich betone: auf mich) wirkt er fast schon unfreiwillig komisch.

Spass hat mir das Lesen trotzdem gemacht. Vielleicht sollte ich mir mal ne Figur als Antithese ausdenken Wink

Liebe Grüsse,
Scheinheilige


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Hard2drive
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Wohnort: Köln


Beitrag24.05.2009 17:26

von Hard2drive
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Gute Idee, Scheinheilige ...

Würde ich gerne lesen.

LG

hard2drive


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schreibmalwieder
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Beiträge: 60



S
Beitrag24.05.2009 18:49

von schreibmalwieder
Antworten mit Zitat

Hallo hard2drive

Zitat:
Ich hatte vor, eine Art Kurzgeschichtenserie mit der Figur „Borggrefe“ zu schreiben. Ähnlich wie auf der Palliativstation des Altenheims hält er selbstgefällige Monologe vor „wehrlosem“ Publikum....


Ich glaube, hier könnte das Problem Deiner Figur liegen. Sie tritt hinter das Konzept "selbstgefälliger Monolog" zurück. Dabei wäre es durchaus spannend zu wissen, ob Borggrefe ein Philosphiestudent und Computerspielefreak ist, der mal als Zivi in dem Altenheim gelandet ist, oder ein belesener Altenpfleger, der sich vielleicht den Frust von der Seele redet, während er die Patienten, an sich liebevoll und umsichtig, versorgt. Oder ist Borggrefe - und das legt der letzte Satz für mich nahe - ein wahnsinniger Serienmörder, der wegen seines großen Wissens um die Arbeit in der Altenpflege seine Morde bislang vollkommen unsichtbar durchziehen konnte. Oder - und auch das macht der letzte Satz möglich - handelt es sich bei ihm um einen Pfleger, der den Angehörigen und Alten den Wunsch nach Sterbehilfe nur allzu gern erfüllt?

Was mir fehlt ist Borggrefe als Charakter, denn das Konzept finde ich langweilig. Du beschreibst gut, gehst gut mit der Sprache um, aber Du erzählst keine Geschichte und führst keinen Charakter ein.

Auch wenn Borggrefe ein sendungsbewusster Missionar wider alle gesellschaftlichen Missstände ist, sollte er greifbare Attribute haben. Das muss gar nicht unbedingt sein Aussehen sein, sondern kann durchaus in anderen Teilen seiner Person verankert sein.

Ein zweiter Punkt, der mich gestört hat ist, dass er keinen einheitlichen Sprachstil hat, was ihn auch schwer wiedererkennbar macht. Dafür möchte ich einige Beispiele heraussuchen:

Zitat:
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst einmal bedanke ich mich, dass Sie wieder so zahlreich erschienen sind. Nun, das Thema unseres heutigen Kolloquiums der gelebten Zwischenmenschlichkeit lautet: Wie können wir uns von der instinktgesteuerten Kreatur zum wahren Menschen entwickeln

Du beginnst im Akademikerjargon, das ist klar erkennbar. Das "Kolloqiuum der gelebten Zwischenmenschlichkeit" ist aber schon ein krasser Bruch damit. Dann kommt die komplett individuelle Fragestellung - wie sie wiederum typisch für christliche, esoterische oder beliebige populär-/parawissenschaftliche Vorträge ist: "Wie können wir uns ... zum wahren ... entwickeln" - das klingt nach missionierender Lebenshilfe.

Zitat:
All dies stellt keinen wahren qualitativen Unterschied zwischen Mensch und Tier dar. Auch Affen können aufrecht gehen, oder Pinguine. Und Kleidung? Wozu braucht ein Bär einen Anzug, liebe Freunde, er hat hervorragendes Naturfell.

Einer der liebsten Tricks - auch in Akademikerkreisen: Behaupten und durch common sense belegen. Deine Variante mit "Otto Koehler berichtet ..." finde ich aber eleganter, weil sie Borggrefe als Absender klarer charakterisiert und den elaborierteren Gedankengang ermöglicht, auf den es dem Altenpfleger anzukommen scheint.

Zitat:
"Gott! Oh Gott!“ lamentierte er theatralisch, indem er seine Hände über dem Kof zusammenschlug.
„Wie konnte ich dieses unselige Wort für ein Wesen, dass niemals von einem Menschen dieser Erde erblickt wurde überhaupt in den Mund nehmen? Mal von den Halluzinationen schizophrener Irrer, drogensüchtiger Junkies und verlogener homophiler Pfaffen abgesehen hat doch bis heute niemand diesen „Mister Gott“ jemals gesehen? Oder hatte vielleicht jemand in unserer geschätzten Mitte vielleicht doch schonmal das Vergnügen? Nun?“

Wieso "lamentierte er theatralisch" und wieso nur mit den Händen über dem Kopf? Jetzt kommen zwei Absätze, die komplett mit der akademischen Sprechweise brechen: HIer fände ich es passender, wenn er unaufgeregter über das Phänomen des Gottesglaubens referieren könnte - oder die ganze Figur müsste viel abgedrehter sein, dass sie sich jetzt endgültig nur noch im Vortrag verliert z.B. und beginnt die Alten zu vernachlässigen oder was auch immer Dir passt.

Außerdem fällt dieser Satz m.E. auch stilitisch etwas ab: zu viele Adjektive (und drogensüchtige Junkies sind weiße Schimmel), die harte (aber viel zu pauschale) Kirchenkritik und der Anglizismus "Mister Gott" haben mich total herausgebracht.

Das waren einige Beispiele - ich hoffe, Du kannst damit etwas anfangen. Außerdem fände ich es durchaus spannend zu erfahren, wer Borggrefe ist und würde auch gerne mehr von ihm lesen.

VG Karl
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Hard2drive
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Beitrag24.05.2009 19:22

von Hard2drive
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Hallo schreibmalwieder,

ich muss sagen, ich bin begeistert von Deinem Kommentar. Denn zumindest in Ansätzen beschreibst Du das, was Borggrefe wirklich ist: Ein kranker Geist, ein Narziss, vielleicht sogar schizophren, mehr auf äußere theatralische Wirkung als auf Inhalt und Substanz bedacht. Das kann er auch durchaus so tun, denn: wer will ihn daran hindern, wer will ihm widersprechen? Sein - wie gesagt - wehrloses Publikum? Hier hat er leichtes Spiel. Keinen ebenbürtigen Kontrahenten, der ihm widerspricht. Er lässt einfach seinen aus Frustration aufgestauten emotionalen Müll heraus.
Und genau das möchte ich fortführen. Borggrefe der Nihilist, der keinen Widerspruch fürchten muss. Jetzt sage ich mal etwas ganz Gewagtes: ein bisschen ist doch Borggrefe so, wie ein Stefan Raab ...? Ich hoffe, ich werde jetzt dafür nicht in die Pfanne gehauen.

LG

hard2drive


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Sun Wukong
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Beitrag27.05.2009 18:55

von Sun Wukong
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Aloha! Ich kann den Anmerkungen der anderen nichts hinzufügen, finde aber Deinen Raab-Vergleich sehr interessant... Vielleicht bekommen wir irgendwann eine ähnlich grotesk-düstere TVShow-Szene zu lesen?
Mit solchen provokanten, aber auch sehr plastischen Eindrücken könnte man sicher auch gut eine Gesellschaft skizzieren. Also nicht die Person Borggrefe in den Mittelpunkt stellen, sondern eine groteske Utopie erschaffen, in der blitzlichtartig u.a. solche manischen Figuren als Metaphern für zeitgenössische Zumutungen (Raab etc) auftreten. Dazu würde dann auch passen, wie von schreibmalwieder angemerkt wurde, dass die Figur hinter dem Monolog zurücktritt. Vielleicht kennst Du ja "Dr. Benway"? Musste eher an 'ihn' als an einen Zivi oder Serienmörder denken.
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Hard2drive
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Beitrag27.05.2009 19:20

von Hard2drive
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Hallo Kealakekua,

Ja, ich habe die Cronenberg-Verfilmung von Naked Lunch gesehen.
Danke Dir, interessanter Vergleich ...

LG

hard2drive


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Beitrag01.06.2009 06:14

von Jocelyn
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Hallo hard2drive!

Ich hatte keine Schwierigkeiten, deinen Text in einem Flutsch zu lesen und auch durchzuhalten.
Und ich musste sogar lachen! Schwarzer Humor kann das bei mir durchaus auslösen, mag auch an meiner Profession liegen.

Erstaunt war ich, dass dieser Pfleger auf einer Palliativeinrichung arbeitet. Mich erinnerte es eher an meine Zeiten auf Intensiv.

Schließlich ist er ein entsetzlicher, widerlicher Selbstdarsteller, der die Wehrlosigkeit, das Siechtum seines "Publikums" schamlos ausnutzt! Solche Menschen arbeiten in der Regel nicht im Palliativbereich.

Der Vergleich mit Stefan Raab ist interessant. Du hast mir damit schön transparent gemacht, warum ich den Typen einerseits vereinnehmend, andererseits auch abstoßend finde. Es fasziniert, wenn jemand sich so überzeugend selbstdarstellen kann, und es stößt ab, wenn die Zweifel fehlen. Und das Leisesein.

Dieser Borggrefe ist gerade  durch sein permanentes Lautsein so unsympahthisch. Die Scham des Anderen kann man nur mit leisen Tönen respektieren. Borggrefe hasst, glaube ich, die Menschen. Jedenfalls dann, wenn er seinen Kittel anhat. Nun, es wäre verlogen, würde einer, der tagtäglich mit so viel Elend zu tun hat, es abstreiten, solche Gefühle zu kennen. Die entscheidende Frage wäre, wie gehe ich dann damit um? So, wie er es tut, bestimmt nicht.

Oder er hat seinen Beruf über, und rettet sich auf die überhebliche, machtgeile  Schiene, es irgendwie auszuhalten. Deshalb halte ich in auch für befähigt, zum Killer "zu mutieren".

Schöner Text, der nachdenklich macht in seiner Eindringlichkeit.

Caecilia


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(Jim Croce)

Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)

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Jocelyn
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Beitrag01.06.2009 16:24

von Jocelyn
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Zitat:
„Ohne Körper existiert nur Geist, und der Geist ist die höchste Form der Existenz. Er kennt keinen Neid, keinen Hass , keinen Mangel... er will nur sein.“ Nachdem er seine Arbeit beendet hatte, schob er seinen Wagen zur Ausgangstür des Saales, entledigte sich seiner Gummischürze und schaute sich noch einmal nachdenklich um.
„Vielleicht wird es uns eines Tages gelingen, ein ewiges Leben in einer virtuellen Welt zu fristen, deren Eigenschaften wir selbst bestimmen können. Der Eine möchte vielleicht immerwährende Freuden am Meer geniessen , unter Palmen mit einem Schirmchen-Drink? Der Andere möchte vielleicht immerwährende Wollust in einem orientalischen Harem erleben ? Wer weiß?“
Er öffnete achselzuckend die Tür der Palliativstation des Altenheims. „Bis dahin bleibt nur Selbtmord oder Euthanasie!“ Die Tür schlug zu.


Mmmh, muss mal noch was nachschieben, es ist ein bisschen gesackt.

Borggrefe findet in seiner beruflichen Tätigkeit und bei den Menschen, die er pflegt, nicht das, was er sucht: den wahren Menschen.
Er findet nur pure Körperlichkeit. Körperlichkeit, die zur erdrückenden Last geworden ist. Einziger Beweis dessen, dass die Menschen vor seinen Augen leben. In seine Augen ein erbärmliches Leben. Was aber auch daran liegt, dass er auch keinen anderen Kontakt zu ihnen, als den körperlichen, in seiner Arbeit sucht. Statt dessen erhöht er sich selbst in philosophischen Ausschweifungen.

Seine Arbeitsweise lässt den Glauben an den Geist verloren gehen. Dann hofft er auf die Erlösung durch die virtuelle Welt.  
Das ist hier im Forum ja fast schon eine Art Selbstkritik,  Wink !

Und sonst sieht er als Ausweg nur Selbstmord oder Euthanasie!
Als seinen Ausweg oder den der Kranken, kann man fragen?

Für ihn gibt es eine Ausweg: Schließlich kann er nach getaner Arbeit, wenn auch im Fließbandmodus, einfach die Tür zuschlagen. Er ist dann draußen, die anderen bleiben da, wo sie sind.

Bis es ihn vielleicht auch mal ereilt.  Twisted Evil

Caecilia


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Hard2drive
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Beitrag01.06.2009 16:29

von Hard2drive
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Hallo Caecilia,
ich danke Dir für Deine Meinung. Du kommst - genauso wie ich - aus dem medizinischen Bereich und Du kannst nachempfinden, was ich fühlte, als ich den Text schrieb.Wenn ich ehrlich bin, hatte ich bei der Schilderung des Schauplatzes der Geschichte tatsächlich zunächst an eine Intensivstation gedacht. Da es aber unwahrscheinlich gewesen wäre, dass ein irrer Borggrefe auf der Intensivstation sich so hätte frei entfalten können, habe ich eine Palliativabteilung daraus gemacht. Nun ja, auch das fanden einige Kritiker als zu weit weg von der Realität: z.B. Männer und Frauen in einem Saal. Aber auf der einen Seite sind in solchen Intensiv-Pflegeabteilungen die Patienten oft nur durch dünne Boxenwände voneinander getrennt und auf der anderen Seite, kam es mir auf diese Details gar nicht an.
Auch emotional war ich an dem Tag misanthropisch drauf. So ist die Story dann wohl auch geworden. Manchmal kotzt es mich an, wenn ich die naiv-verlogene Sicht der Gesellschaft auf den Menschen sehe: Wir sind die Krone der Schöpfung, das Leben ist unantastbar, die unbegrenzten Möglichkeiten der Medizin, der Arzt als Halbgott, in Würde sterben ... Mir kommt dann oft die Galle hoch. Aus so einer Stimmung heraus, habe ich diesen bösen Text verfasst: Schaut euch an, was der Mensch ist! Ein vergängliches Stück Fleisch mit einem Fünkchen Seele, nicht mehr ...
Versteht mich nicht falsch: Das ist nicht schlimm, und schon gar nicht verachtenswert, aber: Seid doch ein bisschen bescheidener und reißt nicht die Klappe so weit auf.
In diesem Sinne

liebe Grüße

hard2drive


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Jocelyn
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Beitrag01.06.2009 16:54

von Jocelyn
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Zitat:
Schaut euch an, was der Mensch ist! Ein vergängliches Stück Fleisch mit einem Fünkchen Seele, nicht mehr ...
Versteht mich nicht falsch: Das ist nicht schlimm, und schon gar nicht verachtenswert, aber: Seid doch ein bisschen bescheidener und reißt nicht die Klappe so weit auf.


Ja und Nein.

Ich verstehe vollkommen, was du meinst, total! Und das frustriert mich manchmal auch.

Bescheidenheit: ja, davon könnte es mehr geben, und die kann man nicht jedem in seiner Dringlichkeit begreiflich machen, deshalb hat mir dein Text so gut gefallen, da ich mich letztendlich wiedergefunden habe.

Trotzdem muss der Glaube an das Mehr, das Geistige, Bestand behalten.
Ohne ihn wird es zu arm, ohne ihn entsteht keine Kunst, die für mich als Kondensator unerlässlich ist.

Und den Glauben an die Liebe möchte ich auch nicht verlieren, nöööö!

Caecilia


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Beitrag01.06.2009 17:05

von Hard2drive
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Das ist völlig richtig was Du sagst, Caecilia.
Wenn ich in meinem inneren Gleichgewicht bin, dann denke ich genauso. Aber wenn Du in einer depressiv-miesen Stimmung bist und Dich Deine dunkle Seite in den Klauen hat, dann kommen solche Texte dabei raus.
Manchmal denke ich mir -wenn ich sowas ein paar Tage später nochmal lese - dass man das so nicht vorweisen kann, aus Furcht vor negativen Reaktionen. Aber ist es nicht das, was ein "Möchtegern"-Autor lernen sollte zu erreichen: ehrliche Gefühle im Leser zu erwecken? Auch wenn diese Gefühle Wut, Abscheu, Ablehnung beinhalten?

LG

hard2drive


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