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Taleweaver Schneckenpost
T Alter: 35 Beiträge: 9
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T 22.04.2008 22:28 Die Schlacht von Taleweaver
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Schrillendes Piepen dröhnt durch meinen Schädel und reißt mich unsanft aus den schönsten Träumen von Freiheit. Mit der Agilität einer Leiche tasten meine trägen Finger nach der Lärmquelle. Sie umfassen das kalte Plastik der runden Form. Der elende Störenfried zischt durch den Raum, bis er an der Wand zerschellt. Ein Regen aus kleinsten mechanischen Bauteilen geht auf mich hernieder. Genugtuung. Ich habe noch genug Terror vor mir.
Mühsam quäle ich mich aus dem warmen, weichen Bett und blicke zu den Gardinen. Durch einen winzigen Spalt bricht ein greller Strahl herein und droht mein Auge zu zerreißen. Mit seiner Macht wirft er mich zurück. Ich taumle gegen die Bettkante und kann mich gerade noch vor dem Herabstürzen in den alles verschlingenden Abgrund des Traumlandes retten.
Überall diese Schmerzen! Die Augenlieder knistern beim Öffnen wie brüchiger Papyrus, Feuer verschlingt meine Augäpfel und von außen schlagen Hämmer auf meinen Schädel ein. Duschen bringt Erlösung. Bloß kein Licht!
So. Nun noch kurz die Tasche gepackt, einen Tee im Weg zur Tür schlürfen, rauf aufs Fahrrad und dann so sehr in die Pedale treten wie es die Muskeln erlauben. Du bist spät dran!
Verdammt. Alle rutschen sie ungeduldig auf ihren Stühlen herum. Sie haben alle ihren Sitzplatz. Was ist mit mir? Mein Bestimmungsort: Letzte Reihe, letzter Platz. Sie alle haben auf mich gewartet. Mein Herz donnert von innen an die Brust wie ein ungeölter Dieselmotor. Es stottert, holpert, schmerzt… auf meiner Stirn stehen die Tropfen. Tropfen von denen man erwarten könnte, sie seien aus Fieber hervorgegangen, doch mich umgibt ein Mantel aus Eis, der mich frösteln lässt, der meine Finger vereist. Wie soll ich da gleich schreiben?
Mein Magen rebelliert und schmirgelt verkrampft seine Innenwände aneinander. In meiner Kehle wächst eine Wüste. Wo ist meine Apfelschorle? Nein. Jetzt nur nichts in den Magen. So, alles feinsäuberlich auf dem Tisch aufgetürmt, was ich nun noch brauche, um den Aufgaben siegesmutig gegenüber zu stehen.
Ich sehe zu meiner Tischnachbarin. Mein Herz zuckt, verkrampft, hört auf zu schlagen, die Bildübertragung von Auge zu Gehirn stoppt, hat Sendepause, bin ich noch da? Da ist das Bild wieder. Nach vorne! Lehn dich nach vorne! Fuchtelnd greifen meine Hände nach der Tischkante und ich kann mich davor bewahren mit dem Stuhl um zukippen.
Meine Tischnachbarin, die nichts von alledem mitbekam, sieht herüber und sie fragt mich lächelnd ob mir was fehle. Ich kriege vor Anspannung nicht ein Wort heraus. Dann stammle ich, ich hätte meinen Taschenrechner vergessen und wüsste gar nicht, wie ich ohne ihn die Kostenkalkulation machen solle. Sie setzt wieder ihr Lächeln auf und in ihrer vorgestreckten Hand findet sich ihr zweiter Rechner. Ein Berg fällt von meiner Seele.
Du darfst nun wieder atmen. Nur ein kleines Lächeln auf meinen Lippen verrät, wie laut das Lachen in mir schallt. Nun aber Ruhe! Die Klausuren werden ausgeteilt. Es kann losgehen. Auf in die blutige Schlacht. Eine von fünf Schlachten, die den Krieg um das Abitur entscheiden. Sie alle ziehen ihre Waffen und auch ich stürme mit einem Schrei in die Fluten!
Weitere Werke von Taleweaver:
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Olifant Eselsohr
Beiträge: 417 Wohnort: München
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23.04.2008 00:37
von Olifant
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Hi Taleweaver,
also ich hatte während der Schulzeit immer viel mehr Angst vor den hübschen Mädels, als vor den Klausuren. Bei Deinem Protagonisten bin ich da noch unentschieden. Scheint aber irgendwie in meine Richtung zu gehen.
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | Sie umfassen das kalte Plastik der runden Form. | Der böse, böse Wecker! Besser wäre: Sie umfassen die runde Form aus kaltem Plastik.
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | Ich habe noch genug Terror vor mir. | Ich weiß, was Du meinst. Aber das Wort Terror finde ich irgendwie unpassend. Zu stark! Aufregung fände ich besser, wenn auch nicht ideal.
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | Die Augenlieder knistern beim Öffnen wie brüchiger Papyrus, Feuer verschlingt meine Augäpfel und von außen schlagen Hämmer auf meinen Schädel ein. | Außen schreibt man in diesem Fall groß. Aber eigentlich möchte ich anmerken, dass hier die Reihenfolge nicht ganz stimmt. Denn die Augen hatte er zu diesem Zeitpunkt schon offen, sonst hätte er den Vorhang nicht gesehen. Ich würde diesen Satz vor die Stelle setzen, an der er sich mühsam aus dem warmen Bett quält.
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | Überall diese Schmerzen! Duschen bringt Erlösung. Bloß kein Licht!
So. Nun noch kurz die Tasche gepackt, einen Tee auf dem Weg zur Tür schlürfen, rauf aufs Fahrrad und dann so sehr in die Pedale treten, wie es die Muskeln erlauben. Du bist spät dran! | Zwischen diesen beiden Absätzen erfolgt ein übergroßer, zeitlicher Sprung. Einen Satz zum Aufwachen und Anziehen würde ich dem Protagonisten an Deiner Stelle schon noch gönnen. Sonst kriegt man beim Lesen diesen unangenehmen Von-Null-auf-Hundert-Schock.
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | ...auf meiner Stirn stehen die Tropfen. Tropfen von denen man erwarten könnte, sie seien aus Fieber hervorgegangen.... | Also mein erster Gedanke war eher die hektische Radelei.....
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | Mein Magen rebelliert und schmirgelt verkrampft seine Innenwände aneinander. In meiner Kehle wächst eine Wüste. Wo ist meine Apfelschorle? Nein. Jetzt nur nichts in den Magen. So, alles feinsäuberlich auf dem Tisch aufgetürmt, was ich nun noch brauche, um den geordneten Schlachtreihen der Aufgaben siegesmutig gegenüber zu stehen. | Das Fett gedruckte ist nur ein Vorschlag, weil Du Dich auch später weiterhin der Kriegsmetaphern bedienst. Der Absatz verdient ein paar Daumen nach oben und einen Schmunzelorden. Jedenfalls, wenn’s nach mir geht.
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | mit dem Stuhl umzukippen. | Kleiner Verschreiber.
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | Sie alle ziehen ihre Waffen und auch ich stürme mit einem Schrei in die Fluten! | In die Fluten? Da gäbe es, glaube ich, passendere Metaphern, bei denen ebenfalls die Waffen gezückt werden. Z.B. in die Bresche springen, dem Gegner entgegen stürmen, auf den Gegner werfen, ...
Der Text gefällt mir enorm gut. Trotz der Tatsache, dass der Inhalt möglicherweise ein wenig banal ist.
Macht aber nichts. Die Sprache ist bildreich, vielfältig und einfallsreich.
Und außerdem kommt sehr gut rüber, dass für Deinen Erzähler gerade eine spannende Phase des Lebens beginnt. Auch wenn er es vielleicht noch gar nicht weiß.
_________________ Liebe Grüße,
Olifant |
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silvie111 Eselsohr
Alter: 38 Beiträge: 203 Wohnort: Tübingen
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23.04.2008 08:18
von silvie111
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Hallo Taleweaver,
Olifant hat bereits das angemerkt, was ich auch größtenteils gesehen hab.
Ansonsten kann ich nur sagen; klasse Schreibstil! Du verstehst es wirklich den Leser in seinen Bann zu ziehen, ihm Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Du beherrscht die Kunst des "Zeigens" statt "Beschreibens" sehr, sehr gut. Weiter so!
(Obwohl ich mich deiner Meinung übers Abi nicht anschließen kann. Wart mal ab, bis du an der Uni bist! )
Liebe Grüße,
silvie
EDIT: Ach ja, das mit dem Tee schlürfen gibt einen Kontrast zu der morgendlichen Hektik. Da muss man ja erst Wasser kochen lassen und den Tee noch ziehen lassen. Hat der Prota doch so viel Zeit?
_________________ Wer ein langes Buch schreibt, hatte keine Zeit ein kurzes zu schreiben
(Die Stadt der träumenden Bücher) |
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Taleweaver Schneckenpost
T Alter: 35 Beiträge: 9
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MosesBob Gehirn²
Administrator Alter: 44 Beiträge: 18339
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23.04.2008 17:52
von MosesBob
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Hallo Taleweaver!
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | Schrillendes Piepen dröhnt durch meinen Schädel und reißt mich unsanft aus den schönsten Träumen von Freiheit. Mit der Agilität einer Leiche tasten meine trägen Finger nach der Lärmquelle. Sie umfassen das kalte Plastik der runden Form. Der elende Störenfried zischt durch den Raum, bis er an der Wand zerschellt. Ein Regen aus kleinsten mechanischen Bauteilen geht auf mich hernieder. Genugtuung. Ich habe noch genug Terror vor mir. |
1. Der Anfang wirkt aufgrund zweier Adjektive überladen. Dass dich ein schrillendes Piepen unsanft aus dem Schlaf reißt (!), ergibt sich aus dem Kontext. Ebenso, dass deine Finger träge nach der Lärmquelle tasten – schließlich sprichst du ihnen am Anfang des Satzes die Agilität einer Leiche zu, also werden sie wohl kaum flink sein. Diese beiden Beispiele haben denselben Charakter wie „Langsam erhob ich mich gemächlich aus dem Bett.“ In deinem Fall versteckt sich das doppelte Lottchen aber geschickter. Ich würde beide Adjektive streichen. Weder der Lesefluss, noch die Informationen über die Mattheit deines Protagonisten würden dabei reduziert werden.
2. In den Absatz gehört ein Komma. Ich würde zwei oder drei Sätze verbinden – genaugenommen den Wurf des Weckers –, weil der Absatz für mein Befinden sonst zu ungelenk wirkt. Das mag beabsichtigt sein in Anbetracht des Befindens deines Protagonistens, unterbricht aber den ansonsten flüssigen Leserhythmus.
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | Durch einen winzigen Spalt bricht ein greller Strahl herein und droht mein Auge zu zerreißen. |
Bildreicher und einschneidender wäre es, wenn das Licht deine Augen zerreißt und nicht nur zu zerreißen droht (zumal du wenig später schreibst, dass „Feuer deine Augäpfel verschlingt“). Solche Verben wie „scheinen“ oder „drohen“ klingen im ersten Moment ganz gut, aber oft – oft, nicht immer –, ist der direkte Weg der deutlichste und prägnanteste für den Leser. Zwei Beispiele:
„Ich hatte einen Mörderkater, der mir den Schädel zu sprengen schien.“
„Ich hatte einen Mörderkater, der mir den Schädel zu sprengen drohte.“
Und jetzt lassen wir die verharmlosenden und fadenscheinigen Verben mal weg:
„Ich hatte einen Mörderkater, der mir den Schädel sprengte.“
Der Kater sprengt mir den Schädel und tut nicht nur so! Dass das metaphorisch gemeint ist, erschließt sich dem Leser aufgrund des gesunden Menschenverstands.
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | Ich taumle gegen die Bettkante und kann mich gerade noch vor dem Herabstürzen in den alles verschlingenden Abgrund des Traumlandes retten. |
Auch dieser Satz wirkt überladen, nicht zuletzt auch wegen des Genitivs am Ende. Das geht einfacher, komprimierter.
Taleweaver hat Folgendes geschrieben: | Meine Tischnachbarin, die nichts von alledem mitbekam, sieht herüber und sie fragt mich lächelnd ob mir was fehle. |
Ich würde hier ruhig im Präsens bleiben, denn dein Zustand hält, wenn man es genau nimmt, an.
Das sind die Punkte, die mir zusätzlich zu den anderen Anmerkungen hier noch aufgefallen sind. Ansonsten hat der Text durchaus seinen Charme. Schöne Verben setzt du ein!
Beste Grüße,
Martin
_________________ Das Leben geht weiter – das tut es immer.
(James Herbert)
Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
(Sir Peter Ustinov)
Der Weise lebt still inmitten der Welt, sein Herz ist ein offener Raum.
(Laotse) |
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Taleweaver Schneckenpost
T Alter: 35 Beiträge: 9
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T 24.04.2008 10:51
von Taleweaver
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HIER DIE ÜBERARBEITETE FASSUNG:
Schrillendes Piepen dröhnt durch meinen Schädel und reißt mich unsanft aus den schönsten Träumen von Freiheit. Mit der Agilität einer Leiche tasten meine Finger nach der Lärmquelle. Sie umfassen die runde Form aus kaltem Plastik. Der elende Störenfried zischt durch den Raum, zerschellt an der Wand und ein Regen aus kleinsten mechanischen Bauteilen geht auf mich hernieder. Genugtuung! Ich habe noch genug Aufregung vor mir.
Überall diese Schmerzen! Die Augenlieder knistern beim Öffnen wie brüchiger Papyrus, Feuer verschlingt meine Augäpfel und von Außen schlagen Hämmer auf meinen Schädel ein. Bloß kein Licht!
Mühsam quäle ich mich aus dem warmen, weichen Bett und blicke zu den Gardinen. Durch einen winzigen Spalt bricht ein greller Strahl herein und zerreißt meine Augen. Mit seiner Macht wirft er mich zurück. Ich taumle gegen die Bettkante und kann mich gerade noch vor erneutem Herabstürzen ins Traumland retten. Alles ist so unerträglich! Duschen soll Erlösung bringen.
So. Rein in die Klamotten, ein Blick auf die Uhr, nur keine Panik, noch kurz die Tasche gepackt, einen Tee auf dem Weg zur Tür schlürfen, meiner Mutter einen Kuss auf die Wange gehaucht, rauf aufs Fahrrad und dann so sehr in die Pedale treten wie es die Muskeln erlauben. Du bist spät dran! Also doch Panik!
Verdammt. Alle rutschen sie ungeduldig auf ihren Stühlen herum. Sie haben alle ihren Sitzplatz. Was ist mit mir? Mein Bestimmungsort: Letzte Reihe, letzter Platz. Sie alle haben auf mich gewartet. Mein Herz donnert von innen an die Brust wie ein ungeölter Dieselmotor. Es stottert, holpert, schmerzt… auf meiner Stirn stehen die Tropfen. Tropfen von denen man erwarten könnte, sie seien aus Fieber hervorgegangen oder der Radelei, doch mich umgibt ein Mantel aus Eis, der mich frösteln lässt, der meine Finger vereist. Wie soll ich da gleich schreiben?
Mein Magen rebelliert und schmirgelt verkrampft seine Innenwände aneinander. In meiner Kehle wächst eine Wüste. Wo ist meine Apfelschorle? Nein. Jetzt nur nichts in den Magen. So, alles feinsäuberlich auf dem Tisch aufgetürmt, was ich nun noch brauche, um der Brandung von, vor Gift schäumenden, Aufgaben siegesmutig gegenüber zu stehen.
Ich sehe zu meiner Tischnachbarin. Mein Herz zuckt, verkrampft, hört auf zu schlagen, die Bildübertragung von Auge zu Gehirn stoppt, hat Sendepause, bin ich noch da? Da ist das Bild wieder. Nach vorne! Lehn dich nach vorne! Fuchtelnd greifen meine Hände nach der Tischkante und ich kann mich davor bewahren mit dem Stuhl umzukippen.
Meine Tischnachbarin, die nichts von alledem mitbekommen hatte, sieht herüber und sie fragt mich lächelnd ob mir was fehle. Ich kriege vor Anspannung nicht ein Wort heraus. Dann stammle ich, ich hätte meinen Taschenrechner vergessen und wüsste gar nicht, wie ich ohne ihn die Kostenkalkulation machen solle. Sie setzt wieder ihr Lächeln auf und in ihrer vorgestreckten Hand findet sich ihr zweiter Rechner. Ein Berg fällt von meiner Seele.
Du darfst nun wieder atmen. Nur ein kleines Lächeln auf meinen Lippen verrät, wie laut das Lachen in mir schallt. Nun aber Ruhe! Die Klausuren werden ausgeteilt. Es kann losgehen. Auf in die blutige Schlacht. Eine von fünf Schlachten, die den Krieg um das Abitur entscheiden. Sie alle ziehen ihre Waffen und auch ich stürme mit einem Schrei in die Fluten!
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