Liebe Liebe, ...

[Tayfun]

.


Gezeichnete Augen
verwässert von  Irrtümern
einer Suche,
die aus nichts bestand
als  fortschreitender Desillusion.
Diagnose: Nie angekommen.
Therapie: Nie aufhören.

Liebe Liebe,

gefangen, gehäutet,
ausgeweidet
liegst du vor mir,
damit ich dich immer weiter zerstückele.

Und wenn ich dich ganz  zermahlen habe
zu Kornesgröße,
bewahre ich dich  -
vielleicht  - eine Handvoll von dir
säe ich neu,
sollte mir wieder Frühling blühen.

Den Rest
verbacke ich zu Kuchen,
friere ihn ein -
Vorrat
für ungeteilte Zeiten.

Mein Gefrierschrank:
ein Neuer
im Stahldesign und très chic.
Fundgrube,  bescheidenes Arrangement
einer Neige Sekt und viel Selters  -
gesundheitsbewußt, zweckmäßig.

Herzlichst, eine Frau

P.S.: Später
Gefrierschrank defekt.
Kuchen zu verschenken.

P.P.S.: Zu spät
Gefrierbrand, ungenießbar.

Aber meine Saat – im Dunkel des Winters vergessen –  hat Früchte getragen,  erzählt mir vom Frühling!
Jeden Tag!

[Mana]

Liebe Tayfun,

ein sehr schönes und modernes Gedicht. Ich bin begeistert^^

Hier ein paar Ideen, vielleicht gefallen sie dir:

[Gast]

Schön. Besonders der Gefrierschrank gefällt mir und hat mein tiefstes Mitgefühl.

Sehr modern, wie schon gesagt. Der Anfang macht mir Schwierigkeiten.

[Mana]

verwässert findeich gerade gelungen, es projeziert das Bildvon weinenden Augen

[Gast]

Bei mir hat das Wort eher einen negativen Klang ("Mensch, was hast du denn da zusammengekocht? Die Suppe ist ja total verwässert!"), aber man könnte dabei natürlich auch an Weinen denken, da hast Du recht. Allerdings ruft es bei mir diese Assoziation nicht hervor. So sind halt Gedichte. Sie erzeugen in jedem eine andere Vorstellung. Das ist wirklich das spannende daran. Jetzt, wo Du das noch mal erwähnt hast, denke ich ständig über das Wort "verwässert" nach und in welchem Zusammenhang ich es überall schon gehört habe.

Liebe Grüße
Angela

[Mana]

verwässert denke bedeutet auch im ersten Sinne "veirrt" wie du es auch zuerst verstanden hast, aber der Gedanke kam bei mir erst als zweites. ich glaub beides ist richtig und wichtig....

[Tayfun]

Danke euch beiden, lieber Mana-Rolf, liebe Angela, für eure Rückmeldungen und vor allem die Verbesserungsvorschläge.

Dennoch die Nachfrage nochmals an alle Grammatikexperten:

die aus nichts bestand
als fortschreitender Desillusion
oder
als fortschreitende Desillusion
(hört sich in meinen Ohren falsch an, kann doch nicht sein, oder?)

Mana, das "immer" wird gestrichen, hast recht. Kornesgröße bleibt aber, bin Müslitante    und soll ja auch Saat (des Lebens) sein. Staub kann man ja nicht mehr säen, ist mir zu windig, zu leicht verblasbar, mit Schmutz, Dreck assoziiert.

Die "verwässerten" Augen. Da habe ich auch lange überlegt. Ein eckiger Ausdruck, der hängen bleibt:
= voll Wasser, voll Tränen,
= verdünnt, Assoziationsbrücke zu dünnhäutig
= zu viel gesehen, zu viel erlebt
= auch drin: wie Augen auf Drogen, süchtige Augen

Diese LI-Frau ist ja vielschichtig und auch verquer. Eine Frau von heute eben. Ein bißchen Sex in the City-Single, gemischt mit biederer Hausfrau plus selbstbewußter Businessclass - ein Mischmasch eben.

Ach, irgendwie war das Ganze ein Experiment, noch dazu hat es sich beim Schreiben selbständig gemacht. Deshalb bin ich ja so neugierig darauf, was andere dazu sagen. Habe lange überlegt, ob ich es überhaupt wagen soll, einzustellen.

LG Tayfun

[Gast]

als fortschreitender Illusion – Deine ursprüngliche Form war richtig. Es heißt ja "Aus wem oder was bestand es?", nicht "aus wer oder was bestand es?"

Liebe Grüße
Angela

[Norhild]