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Unsichtbar


 
 
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Jongleur
Gänsefüßchen

Alter: 31
Beiträge: 24
Wohnort: Halle


Beitrag25.03.2008 00:14
Unsichtbar
von Jongleur
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Alles begann mit diesem Buch über Indianer, die sich unsichtbar machen konnten, um sich ihrer Beute zu nähern. Ich fand es im Buchladen »Herbert«, als ich auf meinen Zug wartete. Der Laden war klein und stickig. Aber da er im Gegensatz zur Bahnhofshalle beheizt war, trat ich ein. Ich setzte mich auf einen roten Sessel, der so aussah, als würde er jeden fressen, der sich auf ihm niederlässt.

Hinter der Theke lauerte ein altes klappriges Mannsgestell. Es gaffte mich an, als wäre ich ein Penner. Ich fürchtete, dass er mich rauswerfen würde und nahm mir aus einer nebenstehenden Kiste ein abgegriffenes Taschenbuch. Auf dem Deckel stand in silbrigen Lettern: »Die Windkinder des Amazonas«. Erst habe ich es gar nicht lesen wollen. Aber dann zog es mich in seinen Bann. Es erinnerte mich an meine Zeit in Gurupá im Amazonasdelta. Ich konnte mir nicht mehr vorstellen, ohne die Schwarte den Laden zu verlassen. Doch mein letztes Geld war für den Fahrschein draufgegangen. Bevor ich mir überlegen konnte, wie ich das Buch hinausschmuggeln würde, stand der Alte vor mir:
»Das interessiert Sie wohl?«
»Ja«, sagte ich und dachte, dass ich vielleicht nur warten müsse, bis der Alte kurz verschwinden und ich mich samt Buch aus dem Staub machen würde. »Ich will Geografie und Geschichte von Gurupá studieren. Und in dem Buch wird einiges von den anliegenden Deltas erzählt.« Ich tat so, als ob ich eine interessante Stelle gefunden hätte und vertiefte mich wieder in das Buch. Der Alte schnalzte mit der Zunge und verschwand geradewegs hinter den Regalen. Jetzt könnte ich den Laden unbemerkt verlassen. Ich drehte mich um. Er war weg, und ich wollte aufstehen, aber es schien, als habe sich der Sessel an mir festgebissen.

Der Alte kam mit einer Papierrolle zurück: »Ah, ja ich hätte da was«, sagte er und lächelte als ob er wusste, dass ich nicht aufstehen konnte. »Hier, eine topografische Karte von Gurupá. Wenn Sie sich die mal anschauen wollen. Sie steht aber nicht zum Verkauf.« Er rollte die Karte auf. Ein flüchtiger Blick genügte mir, ich zeigte auf den nordöstlichen Teil: »Sie ist ungenau. Diesen Fluss gibt es nicht und erst recht nicht diese Insel.«

Wieder dachte ich an das Buch. Sollte ich die Seiten herausreißen, sobald der Alte wegsah und nur die Hülle zurücklassen? Nein, das wäre zu auffällig. Der Alte, sichtlich gereizt, räusperte sich und sagte:
»Ich kannte den Indianer, der die Karte gezeichnet hat. Drei Monate brauchte er dafür. Sie ist perfekt.«
»Ich war fast ein Jahr dort und weiß, es gibt da keinen Flusslauf, der in den Amazonas mündet«, entgegnete ich.
Der Alte beugte sich über mich: »Und ich verbrachte sieben Jahre in dem Gebiet. Mit eigenen Augen habe ich die Insel und den Fluss gesehen. Und er mündet in den Amazonas.«

Was konnte ich jetzt noch erwidern? Ich fühlte eine besondere Bindung zu diesem Ort, der mich verzaubert  hatte. Aber dieser Mann war ja so viel länger als ich dort gewesen. Also stammelte ich etwas, wie »Entschuldigung« und sah verlegen auf meine Schuhe.
»Und gut ist’s«. Er reichte mir die Hand. »Mein Name ist Franz Herbert und wie heißen Sie?«
»Sebastian.« Plötzlich konnte ich wieder aufstehen. »Mein Name ist Sebastian Flecht.«
Der Alte wies hinter sich: »Wie wäre es, wenn wir uns bei südamerikanischem Kaffee weiter unterhalten würden?«
»Sehr gerne.« Ich war erleichtert. Wir gingen hinter die Theke, die mit Bücherkisten zugestellt war.
»Setzen Sie sich«, sagte Franz Herbert. Als er merkte, dass ich nicht wusste wohin, zeigte er auf eine spanisch beschriftete Kiste. Dann verschwand er durch einen Wandvorhang.

Sollte ich jetzt noch mit dem Buch abhauen? Unsichtbar wie ein Amazonasindianer wäre das kein Problem. Doch nun war ich auch neugierig auf die Erzählungen des Alten. Da kam er auch schon wieder mit einer roten Kanne. Kaffeeduft erfüllte den Raum, und er goss mir und sich die Becher randvoll.
»Köstlich«, sagte ich nach dem ersten Schluck. »Da merkt man das südamerikanische Temperament!«
Franz Herbert sagte schmunzelnd: »Wirklich? Meine letzten Vorräte habe ich vor Jahren verbraucht. Der hier ist aus dem Supermarkt nebenan - aber auch nicht zu verachten.«
Wir lachten und Franz Herbert erzählte: »Damals auf dem Hausboot gab es täglich Kaffee zum Frühstück. Ich bin mit Indianern den Amazonas hoch und wieder runter gefahren. Wir fischten riesige Ungetüme wie den Tambaquí oder die kleineren Räuber, die Piranhas. Jeder der Fischer hatte ein eigenes Rasiermesser aus Piranhaszähnen. Den Fang tauschten wir gegen Kaffee, Tabak oder Mangos.«

Er schenkte Kaffee nach, bevor er weitersprach: »Am liebsten wäre ich für immer dort geblieben. Aber leider vertrug ich das Klima nicht und musste zurück nach Deutschland. Das ist nun fast dreißig Jahre her, seitdem führe ich diese Buchhandlung.« Er blickte nachdenklich in seinen Kaffee. Doch in seiner Stimme lag nichts Trauriges als er sagte: »Es kommt mir immer noch so vor, als wäre meine Seele in Südamerika geblieben. So kann ich nur von meinen Freunden am Amazonas träumen.«

Er schaute auf: »Und wie verliebten Sie sich in den Regenwald?«
Ich nahm den letzten Schluck aus meinem Becher. Bilder, die ich glaubte vergessen zu haben, sah ich nun wieder ganz deutlich.
»Ich habe nach meinem Abi in einem Projekt mitgewirkt, bei dem wir die Ureinwohner des Amazonas studierten. Wir blieben immer nur einen knappen Monat bei jedem Stamm, weil er stets weiterzog, damit sich die Natur regenerieren konnte. Es war eine besondere Zeit für mich, und ich will unbedingt zurück, allein schon wegen der Umgangsformen, die ich dort erlebte: Alle behandeln einander mit Respekt. - Am Anfang fühlte ich mich noch den Indianern überlegen, dachte sogar, ihnen etwas beibringen zu können. Doch dann lernte ich jeden Tag von ihnen mehr als in meiner gesamten Schulzeit.«

Franz Herbert sah mir tief in die Augen. Es war, als könnte er bis in mein Innerstes sehen. Dann stand er auf und verschwand hinter den Regalen.
Wieder sah ich mir den Buchdeckel an, las die Zeilen: »Die Windkinder des Amazonas«. Und erst jetzt fiel mir der Name des Autors ins Auge.
Da drang die Stimme des Alten an mein Ohr: »Sie verpassen Ihren Zug!«

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Jongleur
Gänsefüßchen

Alter: 31
Beiträge: 24
Wohnort: Halle


Beitrag25.03.2008 00:17

von Jongleur
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich habe diese Kurzgeschichte in einem Praktikum bei dem Autor Christoph Kuhn geschrieben. Als Tipp an alle die ihr Schülerpraktikum noch vor sich haben.
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Jongleur
Gänsefüßchen

Alter: 31
Beiträge: 24
Wohnort: Halle


Beitrag25.03.2008 00:20

von Jongleur
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich habe »Unsichtbar« aus »Überall« entwickelt, nur noch mal so. Exclamation
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Mana
Mensch

Alter: 39
Beiträge: 2227
Wohnort: Düsseldorf


Apollon
Beitrag25.03.2008 00:48

von Mana
Antworten mit Zitat

Ich find es ist sehr gut geschrieben und auch Inhaltlich ists net langweilig, aber mir fehlt da was. Ich lass es mal etwas in meinem Kopf herumschwirren, vielleicht fällt mir da ja noch was ein.

_________________
Der Verstand schreibt mit Tinte, das Herz mit Leidenschaft...

Wissenschaft ist ein stahlharter Metalldildo zum umschnallen.- Vince Masuka

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"Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse
Und mich in gott und gott in mich zusammenfasse." von Johannes Scheffler
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eqvis
Geschlecht:weiblichWortedrechsler


Beiträge: 62
Wohnort: Tübingen


Beitrag27.04.2013 11:50
Komisch
von eqvis
Antworten mit Zitat

Hallo Jongleur,

ich finde es seltsam, dass Du nur eine einzige Antwort bekommen hast. Ich selbst habe gerade meinen zweiten Text in die Werkstatt gestellt und schon zwei Antworten bekommen. Ich fand diesen Text von Dir, weil der Titel der selbe ist wie meiner.
Vielleicht bist Du auch unsichtbar geworden? Mehr im Sinne von meinem Unsichtbar (unbewusst, ungewollt).

Mir ist es etwas seltsam vorgekommen, dass der junge Mann sagt er wolle Geografie und Geschichte von Gurupá studieren (da kam mir sofort der Gedanke: geht das überhaupt? Was ist das für ein Studium?). Und ich fand diesen Streit um die Genauigkeit der Karte etwas seltsam (überheblich sogar: was nicht gut mit den letzten Zeilen zusammen passt, wo es scheint der junge Mann hätte seine westliche Überheblichkeit mit den Indianern überwunden).

Insgesamt fand ich Deinen Text toll und habe ihn gern gelesen Smile


_________________
Gruß,
Eqvis

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Jongleur
Gänsefüßchen

Alter: 31
Beiträge: 24
Wohnort: Halle


Beitrag09.12.2013 01:54

von Jongleur
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Unsichtbar war ich und werd ich wohl vorerst auch bleiben. Der Text, nein alle meine Texte hier, wurden vor einer halben Ewigkeit geschrieben. Eine weitere halbe Ewigkeit wird es dauern bis etwas neues dazukommt, aber die Chance, dass ich hier wieder was reinstelle ist, verdankt dir seine Existenz. Hatte ganz vergessen, dass es dieses Forum gibt, ganz zu schweigen von meinem Passwort. Danke für deine wohlgemeinte Kritik, aber mit diesem Text, wie mit allen anderen hier, werde ich nichts mehr anfangen.

Beste Grüße
Jongleur
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