Bruno

[Gabi]

Hier wieder ein Text von mir. Ich nenne ihn einfach Bruno. Kritiken und Anmerkungen sind unbedingt erwünscht!
Übrigens mein erster Text in der Ich-Perspektive.


Wie viel Verstand braucht man, um glücklich zu sein? Oder besser gefragt. Wie misst man Verstand? Kann es sein, dass Menschen mit weniger Verstand zufriedener sind?
Diese Frage stell ich mir immer dann, wenn ich Bruno sehe.

Auf dem Weg zum Aldi fahre ich durch eine verkehrsberuhigte Straße. Ich drehe das Radio lauter, und meine Finger klopfen im Takt auf das Lenkrad zu Michael Jacksons Beat it. Eine Gruppe Teenager trudelt mit Rucksäcken und Decken in der Hand in Richtung See. Ich halte, um sie über den Zebrastreifen zu lassen.
Auf der linken Straßeseite steht Bruno in der prallen Sonne. Die Hände auf den Rücken verschränkt, versucht er, in jedes Auto hineinzusehen, das an ihm vorbei fährt. Die Teenager beachten ihn nicht, als er ihnen lachend und kopfnickend hinterher sieht.
Doch das scheint Bruno nicht zu stören. Einer der jungen Leuten schnippt einen Zigarettenstummel hinter sich auf den Gehweg. Bruno bewegt sich mit seinem x-förmigen Gang auf die glühende Kippe hinzu, pickt sie vom Boden auf und nimmt einen kräftigen Zug. Sein Gesicht strahlt um die Wette mit der orangefarbenen Warnweste die er trägt, als er den Rauch in den wolkenlosen Himmel bläst.

Ich drücke auf die Hupe, wie immer, wenn ich an ihm vorbei fahre.
Bruno reckt seinen kahlen Kopf nach vorne, um mich besser erkennen zu können. Ich halte meine Hand aus dem Fenster und winke ihm zu.
Die Augen zu Schlitzen verengt mustert er mich. Als er mich erkennt, hebt er die Hand zum Gruß und lacht lauthals los. Dabei hebt und senkt sich sein dicker Bauch. Amüsiert schüttele ich den Kopf, als ich den ersten Gang einlege, um weiter zu fahren. Im Rückspiegel schaue ich noch mal nach ihm. Die Hände auf den Rücken verschränkt, schaut er wieder in jedes Auto, das an ihm vorbeifährt.

Während ich meine Ware auf das Band lege, öffnet sich der Zigarettenbehälter an der Kasse. Der Kunde vor mir nimmt sich eine Schachtel heraus. Ich überlege nicht lange, bevor ich die Kassiererin bitte, ihn noch nicht zu schließen, damit ich mir auch eine Packung nehmen kann.
Ich räume meine Ware in den Kofferraum, wobei ich wieder an Bruno denken muss. Der Asphalt  reflektiert die Hitze der Sonne, und auf dem brütendheißen Parkplatz rinnt mir der Schweiß über das Gesicht. Meine Gedanken drehen sich weiterhin um Bruno, als sich der Einkaufswagen langsam leert und der Kofferraum sich füllt.
Warum weiß ich eigentlich, dass  Bruno Bruno heißt?
Ich versuche mich zu erinnern, und es fällt mir wieder ein.

[Ralphie]

Wie du das schreibst, ist einfach großartig. Ich glaube, jeder hat seinen eigenen Bruno. Toll gemacht.

[Gabi]

Uiii, danke Ralphie.

Oder besser gefragt: Wie misst man Verstand.

Du hast natürlich vollkommen Recht und ich wollte es auch so schreiben, doch irgendwie hab ich dann doch einen Punkt gesetzt.

L.G.
Gabi

[Gabi]

Nach solch lobenden Worten fühle ich mich so motiviert, dass ich direkt die Fortsetzung einstelle. Eigentlich den Rest der Geschichte. Ganz frisch, dampft noch.

Damals, vor ungefähr acht Jahren, als mein Sohn noch hier in diesem Fußballverein spielte, sahen wir ihn jeden zweiten Samstag bei den Heimspielen. Bei Wind und Wetter verweilte er vor dem Tor und begrüßte jedes Auto, das auf den Parkplatz fuhr mit erhobener Hand. Wir hielten noch nicht ganz, da riss er auch schon die Tür auf.
„Taach!“, rief er dann, wobei er einem galant den Weg aus dem Wagen zeigte.
Den Spielen schaute er mit voller Begeisterung zu. Jubelnd sprang er am Rand hin und her, als ein Tor für die Heimmannschaft fiel. Ich weiß nicht, was damals interessanter war, das Spiel oder Brunos Begeisterungsfähigkeit. Wir amüsierten uns köstlich über ihn.
Nach dem Spiel stand er wieder auf dem Parkplatz. Ungeduldig hüpfte er von einem Bein auf das andere und bohrte dabei in der Nase. Wenn er uns dann sah, stürmte er auf uns zu und streckte uns die Hand hin.
„Tschüüss!“
„Tschüss Bruno“, lächelte ich ihn an und achtete darauf, dass ich etwas zu tragen hatte, damit ich ihm nicht die Hand geben konnte.
Sobald das Auto aufgeschlossen war, öffnete er mir die Tür. Schnell zog ich meine Beine in den Wagen, denn wenn er wieder jemanden auf dem Parkplatz kommen sah, schlug er sie eilig zu.
Eines Samstags, es regnete in Strömen und Bruno stand trotzdem am Spielfeldrand. Der Regen tropfte von seiner dunkelblauen Kapuze, die er sich tief in das Gesicht gezogen hatte. Der Platz war rutschig und die Kinder fielen mehr hin, als dass sie Fußball spielten.
Kevin stürzte kurz vor dem Tor und schlug mit dem Kopf gegen den Pfosten. Das bedrohliche an dem Unfall war, dass er nicht schrie. Bruno stürmte sofort auf den Platz, wobei er sich im Lauf seiner Regenjacke entledigte. Er ließ sich vor Kevin auf die Knie fallen. Seine helle Baumwollhose sog sofort die aufgeweichte Asche auf. Er rollte seine Jacke ein und schob sie dem bewusstlosen Jungen unter den Kopf.
„Geh weg, Bruno. Du kannst das nicht. Du bist behindert.“ Kevins sechsjähriger Bruder funkelte ihn böse an.
Bruno hob den Kopf und blickte den Jungen entsetzt an. Verständnislos schüttelte er den Kopf, während er sich erhob. Der Regen tropfte von seinem Gesicht und in seinen Augen schwammen Tränen. Er stolperte zurück, wobei er den Jungen weiterhin fassungslos ansah. Dann drehte er sich herum und lief über den Platz davon.
Wir haben ihn nie wieder auf dem Fußballplatz gesehen.

Von da an weiß ich, dass er Bruno heißt und seinen Blick werde ich nie wieder vergessen.
Ich betrachte die Zigarettenschachtel in meinen Händen, bevor ich in den Wagen steige.

Bruno steht immer noch an der selben Stelle auf dem Gehweg vor dem Behindertenwohnheim. Ich parke kurz vor ihm auf dem Seitenstreifen, nehme die Zigarettenschachtel und steige aus. Er sieht mich und kommt lachend auf mich zu.
„Taach.“ Bruno hält mir die Hand hin.
Diesmal erwidere ich seinen Handschlag und zwinkere ihm zu, bevor ich ihm die Zigaretten hinhalte.
Bruno nimmt sie, dreht und wendet sie in seinen Händen und strahlt mich an.
"Daanke schöön." Er fragt nicht nach einem Wieso oder Warum.
Ich streichle ihm über den Oberarm und gehe zurück zum Wagen. Während ich losfahre, beobachte ich, wie er sich eine Zigarette anzündet.
Sein Gesichtsausdruck verrät, dass er glücklich ist.

[Elvis Brucelee]

Also, ich habe beim Lesen geweint.  

Was ich aber nicht verstanden habe, wieso steht er am Tor und begrüßt gleichzeitig die Leute auf dem Parkplatz? Welcher Fußballverein erlaubt es, dass die Zuschauer bis an den Spielfeldrand fahren?

Ansonsten schöne Geschichte.

[Gabi]

Hallo Mir!

Vielleicht hab ich mich ein wenig missverständlich ausgedrückt. Ich meinte das Tor zum Parkplatz und nicht das Fußballtor. Hätte ich besser Gatter oder etwas ähnliches schreiben sollen.

Es freut mich, dass es dir gefällt und dich berührt hat.
Danke.

L.G.
Gabi

[Elvis Brucelee]

Du weißt doch, wie sensibel Düsseldorfer sind.  

Die Sache mit dem Tor verwirrt tatsächlich ein wenig, obwohl ich mir schon gedacht hatte wie das gemeint war.  Aber stell dir mal vor ein glücklicher Mensch hätte dies gelesen, der hätte das glatt falsch verstanden.

Übrigens finde ich glücklich sein eigentlich viel schlauer als das Gegenteil davon. Insofern stellt sich die Frage: hat Bruno tatsächlich weniger Verstand
Vielleicht ist er einfach nur sehr weise und keiner merkt es.  

EDIT: Ralphie ist im Übrigen sehr hübsch geworden.

[Gabi]

So Mir, extra für Düsseldorfer stelle ich jetzt die den geänderten Satz ein.
Nee, Quatsch. Du hattest vollkommen Recht. Bei einem Fußballplatz stellt man sich unter Tor nur das eine Tor vor.

Bei Wind und Wetter verweilte er vor den Spielen an der Einfahrt und begrüßte jedes Auto, das auf den Parkplatz fuhr, mit erhobener Hand.

Ich denke, dass ist jetzt verständlicher.

Wegen Brunos Verstand. Tja, das ist so eine Frage, die ich direkt zu Anfang stelle. Woran misst man Verstand?

[Elvis Brucelee]

Tja, ein glücklicher Mensch, der vielleicht sogar noch aus Düsseldorf kommt, könnte sich folgende Frage stellen: wieso gibt es für das Fußballfeld eine Einfahrt? Meinst du statt Fußball nicht eigentlich eher so etwas wie Polo, nur mit Autos statt mit Pferden? Wie nennt sich solch eine Sportart?

Liebe Grüße in die verbotene Stadt vom glücklichen Korinthenkacker

 

[Gabi]

Hallo? Mir, die Einfahrt zu dem Parkplatz vor dem Fussballplatz. Ich glaub du hast noch nicht so viel Zeit auf einem Fussballplatz verbracht. Na, ja vielleicht später mal, wenn der Fußball in Düsseldorf wieder angekommen ist. Fortuna arbeitet ja dran und das Stadion steht schon. Hoffnung besteht also noch. Aber Schluss jetzt, sonst leidet noch mein armer Bruno, der noch keinen Düsseldorfer kennen gelernt hat.

[Elvis Brucelee]

Hey Vorsicht, ich kenne sogar einen Bruno hier in Düsseldorf. Doch unsere Brunos haben einen Doktor in Physik und sind nicht sonderlich glücklich, dafür aber sehr nett  
Und außerdem habe ich als Kind selber Fußball gespielt. Ich war ein großes Nachwuchstalent des SG Dietzenbach (das liegt bei Frankfurt und nicht bei Düsseldorf). Allerdings kam irgendwann die Pubertät und ich habe Fußball gegen viel Sex eingetauscht (Fußballer waren damals nicht sonderlich gefragt bei den Damen). Einen Bruno hatten wir in Dietzenbach übrigens nicht, dafür einen Ferdinand, der war aber nicht so nett und klug wie euer Bruno in Köln, und auch nicht so glücklich, denn er hatte tatsächlich nicht sonderlich viel Verstand und verdrosch immer alle Kinder, die ihm begegneten.