BLIND oder: I'll find my way home

[princess of night]

I'll find my way home

Es ist Montag morgen. Ich stehe unter meiner Dusche und das warme Wasser prasselt an mir herunter. Mein Kopf lehnt an den hellblauen Fliesen und ich genieße die Entspannung. Mein Blick: starr, unbeweglich auf die Armatur vor mir. Jeden Wassertropfen, der seinen Weg hinunter in die Duschtasse sucht, beobachte ich. Dieses Prozedere geht minutenlang. Dann drehe ich mich um und schaue auf den Duschvorhang. Er sieht aus wie eine Tiffanyglasarbeit in hellblau, dunkelblau und weiß mir ein paar durchsichtigen Bruchstücken dazwischen. Ich kann hindurchsehen. Schemen des Bades sind zu erkennen. Der Spiegel, das Waschbecken, die Toilette, der Wandschrank. Dann greife ich zum Duschgel. Ich nehme das mit Cocosduft. Oder doch das mit Rosen und Aloe Vera? Nein- ich bleibe bei Cocos. Der Schaum auf meiner Haut wird mehr und mehr und sammelt sich ebenso wie vorher die Tropfen in Rinnsalen auf dem Duschboden hinab in den Abfluss. Auf wiedersehen Schaum. Auf wiedersehen? Nein- ihn werde ich sicherlich nicht wiedersehen. Aber viele andere Dinge in unserem Bad, außerhalb des Bades. Denn ich kann SEHEN! Ich kann WIEDER sehen. Bis vor ein paar Stunden konnte ich es nicht.
Meine Nase tut noch immer weh von der blutigen Begegnung mit meinem offenen Schlafzimmerfenster. Ich wollte ganz normal aus dem Bett aufstehen und hatte vergessen das das Fenster aufstand. Kunststofffenster sind ,wie jeder weiß, stabiler als eine Nasenwand und somit war ich die Unterlegene beim Zusammenstoß. Denn:
 Für etwa 4 ½ Tage konnte ich nichts sehen. Ich war blind. Verursacht durch Risse in meiner Augenhornhaut, ausgelöst durch Augentrockenheit und Unwissen, denn ich hatte zu Beginn der Beschwerden an meinen Augen gerieben und gescheuert. Völlig blöd und falsch. Aber da dachte ich ja auch noch es sein nur eine kleine Unpässlichkeit meiner Augen. Da aber meine Lider immer mehr zu quollen und meine Augen wirklich unerträglich schmerzten fuhr mich meine Freundin Anja nach einer schmerzhaften schlaflosen Nacht Freitag morgen in die Kölner Augenklinik. Diagnose: Erosionen auf der Hornhaut.
Schmerzmittel: keine.
Behandlung: Stündlich Salbe und Antibiotikum in die Augen.
Außerdem: Ruhe.
Anja führte mich sicher aus der Klinik wieder in ihr Auto und man brachte mich nach Hause.

In der eigenen Wohnung sollte man sich ja auskennen. Nachts ist wahrscheinlich schon jeder mal durch sein unbeleuchtetes zu Hause gegangen und dies relativ sicher. Doch vollkommen blind, das war etwas anderes. Mal liegt ein großer Hund im Weg rum, mal steht ein Stuhl plötzlich anders als man es gewohnt ist. Schuhe achtlos ausgezogen mitten im Wohnzimmer, all diese kleinen Nickeligkeiten des Alltags können fiese Hindernisse werden.
Dazu kommt plötzliche Stille um mich herum. Ich mag keinen Fernseher anschalten. Ich kann ja doch nichts sehen. Aber auch keine Musik hören. Ich will mich erstmal über eine Ohren orientieren und da stört Musik. Ich ertappe mich dabei, das ich Grimassen schneide, also den Mund verziehe vor lauter Konzentration auf die Geräusche um mich herum. Meine Kopfhaltung wird schief, schräg. Wäre ich ein Hund man könnte sehen wie ich meine Ohren spitze.
Meine Familie kam wunderbar schnell mit der neuen Situation klar. Es wurden lustige Bemerkungen gemacht. Entweder um die Stimmung zu lockern oder um deren Unsicherheit zu überspielen. Das weiß ich noch nicht ganz genau.
Ich übertrug meinem Sohn Dinge die zu erledigen waren und auf mein nachfragen, ob er es auch ordentlich gemacht hat bekomme ich Antworten wie: „Ja hab ich aber du kannst ja nochmal nachschauen wenn du magst.“ wir kichern alle.
Nahrungsaufnahme war diesem Zustand wird auch relativ abenteuerlich. Mein Mann musste in dieser Zeit kochen. Da er kein Paul Bocuse ist gab es einfache Gerichte wie zum Beispiel Spaghetti Bolognese oder auch noch fast rohe Pommes mit Grillhähnchen. Er schnitt mir meine Nudeln der Einfachheit halber klein und ich verlangte nach einem Löffel. Ich schaufelte mir die Nudeln auf den Löffel und führte ihn zu meinem Mund. Dachte ich. Es befanden sich ca. eineinhalb Nudeln und 0,02 Milligramm Soße auf meinem Löffel. Juhu- ich hatte mich selber überlistet. Eine neue Form der Diät. Das war nicht FDH ,das war FDM. Das Minimum des Möglichen. Mein Mann sah sich das ganze eine Weile an und war dann so frei mir bei der Essensaufnahme zu helfen. Ich wurde gefüttert. „Nun weißt du wie es ist, wenn ich mal alt bin und du mich füttern musst Schatz.“ bemerkte ich und grinste süffisant. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich nicht sehen aber da wir den gleichen schrägen Humor haben denke ich es hat ihn ebenso amüsiert. Denn irgendwie war ich ihm ja auch ein wenig ausgeliefert. Jeder der sehen kann sollte mal versuchen mit geschlossenen Augen Suppe zu essen. Man muss zwar danach den Boden wischen und die Tischdecke wechseln aber dies Experiment lohnt sich.
Das die verbleibenden Sinne sich auf diesen Umstand einrichten geht sehr schnell. Es ist erstaunlich wie der Körper sich auf ein Handicap einstellen kann. Hören und Riechen wird wirklich besser oder  ist einfach deshalb so weil man sich mehr auf die verbleibenden Möglichkeiten konzentriert?
Genauso ist es mit dem Tastsinn. Während der Tage meines wandeln in der Dunkelheit habe ich vieles ertasten müssen. Wände, Türen, Mauern, Treppengeländer, und das Resultat daraus:
ALLE MEINE FINGERNÄGEL SIND ABGEBROCHEN!! Ja das ist wirklich ärgerlich. Nicht das ich keine anderen Probleme hätte, aber ich denke der weibliche Leser wird mich verstehen können.
Oder Schminken- mit gequollenen Augen ja sowieso nicht möglich. Und Make Up blind im Gesicht verteilen-nein. Ich versuchte es gar nicht erst. Mein Mann liebt mich auch morgens nach dem aufwachen ungeschminkt, insofern war ich mir sicher mit meinen schmucken Augenverbänden liebt er mich auch.

Nun kann ich endlich wieder sehen. Meine Familie, meine Tiere, die Natur Freunde. Ich darf wieder arbeiten. Kann alles Revue passieren lassen und sagen: Ich hab einen Weg gefunden durch die Dunkelheit und es war wirklich eine interessante Erfahrung.

[SylviaB]

Liebe Prinzess,

zunächst, herzlich Willkommen zurück bei den Sehenden. Ich bin froh, dass es so glimpflich ausgegangen ist. Es hätte ganz klar auch anders kommen können.

Zum zweiten, hätte ich gern gewußt wie es war, so hilflos zu sein. Du beschreibst die Situation aber deine Gefühle werden hier nicht bedacht. Du bekamst Augensalbe, wer gab sie dir, denn selbst war das sicher nicht möglich und wie war es so ein absolutes Vertrauen haben zu müssen. Denn man verläßt sich ja nun am liebsten immer auf sich selbst. Wie war das Gefühl, so rumzuliegen und nichts tun zu können?

Verstehst du was ich mein? Das fehlt mir hier ein bisserl....

Ganz lieben Gruß
und ich freu mich dich wieder hier zu haben. Hab dich vermißt!

Sylvia

[princess of night]

huhu sylvia..ja du hast recht..das mit den gefühlen werde ich noch beschreiben.ich wollte nur erstmal einen groben überblick angeben..das andere kommt noch..aber ich bin ja jetzt schon über die 500 magischen wörter hinweg ,daher habe ich vor es in mehreren teilen zu erzählen:-)
LG
princess

[SylviaB]

Oki, ich bin gespannt... ich finde das ist eine Erfahrung, die man nicht alle Tage macht und jeder kann tatsächlich davon profitieren. Wer mal einen Blinden in seinem Roman/Geschichte einflechten will, der kann hier bei dir eine Menge darüber lernen.

*soifz* Wir haben uns echt gesorgt, mein Mann und ich...

[Rheinsberg]

Herzlich willkommen zurück, ich habe mich grade so gefreut, als ich sah, dass du gepostet hast! (Meine Leipziger Freundin würde sagen: da freu ich mir 'nen Kullerkeks!)
Gut zu wissen, dass du wieder ok bist und es soweit überstanden hast. Ich habe mir auch Sorgen gemacht und du wurdest hier vermisst.

[princess of night]

vielen dank nochmal für eure anteilnahme..nun könnt ihr wenn ihr wollt auch den zweiten teil lesen..die gefühlswelt und das drumherum...
LG
princess