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Teil 5 Antananarivo- Die ersten Eindrücke


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag13.03.2008 02:03
Teil 5 Antananarivo- Die ersten Eindrücke
von teccla
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Antananarivo - Die ersten Eindrücke

„Hey! Aufstehen! Schaut mal raus!“ kam Sebastian ins Zimmer gestürmt.
Müde und benommen schlich ich zum Fenster. Da breitete sich vor mir ein wunderschönes Panorma aus. Die Stadt ist eingebettet in vielen grünen Hügeln. Wunderschön.
Azurblauer Himmel, strahlender Sonnenschein, blühende Bäume und die Freude diesen Sommer länger als zwei Monate genießen zu können.
“Klasse“ freute ich mich.
Sebastian war begeistert. Jan fühlte sich nicht wohl und war genervt.
Er warf nur einen Blick aus dem Fenster und meinte abfällig „Ja, ganz nett“.
Ich beachtete ihn und seine Befindlichkeiten nicht weiter. Meine Begeisterung war groß.

Im Hotelrestaurant trafen wir auf Torsten und Tina. Wir frühstückten gemeinsam und fuhren anschließend mit Torsten und Tina mit dem Taxi in die Stadt.
Dabei begann Torsten uns die Regeln zu erläutern.

Vor jeder Taxifahrt fand das Ritual des Verhandelns statt.
Torsten lehrte uns: Der Fahrer nennt einen Preis, man nimmt ein Drittel als Gegengebot und man einigt sich schließlich bei zwei Dritteln. Diese Lektion lernten wir recht schnell und das Handeln machte Spaß.
Wir wurden immer besser und verhandelten gnadenlos, gaben aber am Ende der Fahrt doch mehr als vereinbart war und lachten dann über die erstaunten Gesichter.

Nun tauchte wir ein in eine völlig andere Welt. Drehte sich letzte Woche noch alles um Krankenkasse, Wohnung, Versicherung abmelden und Möbelpacken, Finanzamt und Bankkonto, Zollpapiere, Tierarzt und Impfungen, sollte es nun um Visumverlängerung, Passbilder, Geschäftskonzept und Firmengründung gehen.
Wer ist wofür zuständig, wo können wir essen gehen, wo kann man Geld tauschen, gibt es irgendwo Katzenfutter und ein Internetcafe?

Wir fuhren nun in die City und ich konnte mich nicht satt sehen. Die Stadt zeigte sich unheimlich lebendig. Überall wohnten, gingen, liefen, lachten und erzählten Menschen.
Blühende Bäume, exotische Düfte und kräftige Farben. Alles erschien mir satter, kräftiger, intensiver. Ob es das Blau des Himmels war, das Grün der Bäume oder die Gerüche.
Das Leben schien mir prall entgegen zu kommen. Und ich ließ mich gern von ihm einnehmen. Öffnete alle Sinne, um möglichst viel davon einzusaugen.
Wo war ich nur die letzten Jahre? Wo war dieses pralle Leben in den letzten Jahren?
Wir fuhren vorbei an zahlreichen kleinen, großen, armen, protzigen, neuen und halb zerfallenen Häusern. Die Straßen waren vorwiegend eng.
Hier und da hupten Autos. Sie schienen eine eigene Sprache zu haben: „Hey ich habe Vorfahrt“
„Aber nein, ich habe es eilig.“
Ein schwarzer BMW, ich schätze ihn auf 25 Jahre nahm uns die Vorfahrt an einer stark befahrenen Kreuzung. Unser Taxifahrer musste stark bremsen bis zum Stillstand um einen Unfall zu vermeiden. Der schwarze BMW brauste davon.
In Deutschland hätte der Fahrer laut geflucht. Geschimpft, vielleicht sogar Anzeige erstattet.
Unser madagassischer Fahrer in seiner alten französischen Ente lächelte und schüttelte mit dem Kopf. Zu Torsten sagte er: „Der hat eine böse Frau zu Haus. Armer Kerl.“

Das Kunterbunt der Strassen wurde intensiviert durch den großen großen Kontrast von totaler Armut und übermäßigem Reichtum. Um gut aussehende Häuser warenMauern mit Glassplittern darauf zum Schutz, ebenso Gitter vor den Fenstern, die aber mit schönem Muster nicht unbedingt hässlich aussahen. Prachtvolle Villen standen neben Holzhütten.
“Wenn ich so viel Geld hätte,“ meinte Sebastian „ich würde doch mein Haus in eine schöne Gegend stellen und nicht in ein Viertel, wo es überall stinkt und man jede Nacht Angst vor einem Einbruch haben muss.“
“Stimmt, aber ich hätte keine Freude daran, wenn ich morgens aus dem Haus komme und das Elend vor meiner Tür sehe. Ich hätte ein permanent schlechtes Gewissen, dass es mir so gut geht und diese Menschen im Elend leben.“
“Scheint ihnen aber nichts auszumachen..“
“Ja, sie wachsen damit auf und kennen es nicht anders. Vielleicht ist das der Grund für diesen Kontrast.“
“In anderen Ländern gibt es arme Viertel und reiche Stadtbezirke, aber hier lebt der Bettler mit dem Wohlhabenden Tür an Tür.“
“Auf der anderen Seite ist es ja auch nicht richtig, die Augen zu schließen und zu tun, als würde es keine Armut geben. Du kannst nun mal nicht die ganze Welt retten.“
“Nein, du kannst nicht Samariter spielen und versuchen allen zu helfen.“
“Nein. Das kann ich nicht. Aber ich kann versuchen, selbst eine Existenz aufzubauen und dann kann man sehen, welche Möglichkeiten es gibt und welche Art von Hilfe sinnvoll ist.“
Die Straßen waren recht verwinkelt und verbaut. Immer wieder sahen wir enge Schluchten zwischen den Häuserreihen.
Torsten erklärte, dass es ein Gesetz gibt, welches besagt, dass zwischen den Häusern immer ein Meter Platz bleiben muss, um den dahinter liegenden Häusern das Wegerecht zu sichern.
Ein solches Gesetz würde in Deutschland vielleicht so manchen Nachbarschaftsstreit verhindern.
Überall an den Straßenrändern saßen Händler, vor sich ausgebreitet ein Tuch mit Dingen, die sie zum Kauf anboten, vom Kugelschreiber bis zur Batterie, Zigaretten, sogar Selbstgebackenes, Nähzeug, Autoersatzteile usw. Es gab einfach alles. Man musste nur wissen, wo.
„Sag mal Torsten, hier gibt es ja alles.“
„Ja, du musst nur wissen wo. Es gibt eine Straße, da gibt es nichts anderes als Dinge für den Schneider. Nähgarn. Reißverschlüsse, Knöpfe usw. Die ganze lange Strasse ein Händler neben dem anderen. Ich habe lange gesucht, bis ich sie gefunden hatte. Es gibt dort alles. Du wirst auf jeden Fall fündig, wenn du Utensilien zum Nähen suchst.“
Dort, wo Wasser floß, an Brunnen oder eigens dafür sprudelnden Leitungen, saßen Frauen und wuschen Wäsche, die sie anschließend auf die Wiese oder an Mauern und Zäunen auslegten zum Trocknen.
“Welchen Sinn macht es, gewaschene Wäsche wieder auf die schmutzige Mauer zu legen?“ fragte Sebastian und ich konnte nur mit den Schultern zucken. Ich hatte keine Antwort.
Man konnte nur auf diese Art die Wäsche trocknen, wenn man keine Möglichkeit hat, eine Leine zu spannen, oder kein Geld hat für eine Wäscheleine. Wäscheklammern waren Luxus.
Wir fuhren an einer Straße vorüber, die von der Hauptstraße weg führte. In der Mitte befanden sich Gleise, scheinbar nicht mehr befahren. Dieser ganze Weg war ein einziger Schlammtümpel. Ca. dreißig cm hoch, schätzte ich die braune Masse. In diesem Dreck lebten Menschen, hielten Markt, legten ihre Babys auf verdreckte zerrissene Tücher. Ich traute mich nicht, diese Szene zu fotografieren. Wir saßen ratlos mit unseren sauberen Sommersachen im Taxi und waren betroffen. „Schau mal. Dazu fällt mir nichts mehr ein.“
“Nein, Basti, wer in aller Welt kann da helfen. Solches Elend kenne ich nur aus dem Fernsehen. Live erleben ist schon etwas anderes.“

Endlich erreichten wir die City und stiegen in der Rue d’Independance aus.
Aus Richtung Bahnhof kommend, gingen wir zu den großen Treppen.
Es war heiß und die vielen Menschen um uns herum bildeten einen bunten Strom, dem ich mich überließ.
Wir stiegen nun diese endlosen Treppen hinauf, die links und rechts der Hauptstraße aufwärts führten, deren Absätze man ersehnte, weil die Puste ausging.
Auf diesen Treppen befanden sich unzählige Händler, die die typischen Touristenartikel anboten, von der Ansichtskarte, Kunsthandwerk bis zur Sonnenbrille. Natürlich ergab sich hier die Möglichkeit, an dem einen oder anderen Stand zu verweilen, um etwas Luft zu holen. Die Pause wurde kaschiert, niemand merkte, dass man kurz vor dem Umkippen war.
Ich schnappte nach Luft, jede Zigarette bereuend.
An einer dieser Treppen befand sich das Goetheinstitut von Madagaskar.
Wir hätten es übersehen, doch Torsten kannte sich aus und spielte den Guide.
Die Straßen waren überfüllt mit Menschen. Straßenhändler, Bettler, Kinder. Immer wieder wurden wir angesprochen, hatten Mühe, uns im Gewühl nicht aus den Augen zu verlieren.
Denn alle Menschen schienen sich in Zeitlupe zu bewegen. Unser deutscher, normaler Schnellschritt war hier außergewöhnlich.
Manchmal machte Sebastian diese langsamen Bewegungen nach. Er erntete Gelächter.
“In dieser Hitze werden wir uns auch bald langsamer bewegen. Man passt sich an.“
“Aber soo warm ist es ja nun auch nicht. Ich werde mich an dieses Latschen nie gewöhnen.“ verkündete er trotzig.

Und wie wir uns anpassten, schmunzele ich heute in mich hinein. Drei Jahre später meinte Sebastian: „Wir laufen fast langsamer als die Madagassen.“ Was bei 36 Grad Celsius auch kein Wunder war.
Antananarivo kurz Tana genannt, war schön anzusehen und hatte sehr viele wunderschöne Aussichtspunkte, aber es stank damals an vielen Ecken, an denen uriniert wurde.
Wir gingen an Dreck und Elend vorüber. Dazu kamen die Abgase. Die Straßen waren verstopft und du warst zu Fuß schneller. Kein Kat, kein Umweltschutz. Es stank und die Hitze tat ihr Übriges.

Viele Menschen liefen völlig zerlumpt herum. Es gab viele Obdachlose. Kinder, die ein altes schmutziges Höschen an hatten, das einzige Kleidungsstück, das sie offenbar besaßen. Kleine Kinder im Alter von zwei Jahren oder noch jünger wurden von älteren Geschwistern durch die Straßen getragen, kaum was auf dem Leib, bettelnd.
Erschreckend von einem etwa vier-jährigen Jungen zu hören: „Give me money!“ Wurden sie zum Betteln erzogen?

Die Eindrücke waren so widersprüchlich wie das Land selbst.
Madagaskar ist bekannt für endemische Pflanzen und Tierarten, für seine Natur.
Doch wir sahen, wie Tiere geschlagen, getreten, getötet wurden.
Wälder fiellen der Brandrodung zum Opfer.
Von Naturschönheiten kann man nicht leben, vom Verkauf der Holzkohle schon.
„Torsten, das kann doch nicht sein. Was ist hier los?“ ereiferten wir uns typisch deutsch.
„Die neue Regierung hat Maßnahmen getroffen, um der Zerstörung der Natur entgegen zu wirken. Doch bis sie Ergebnisse zeigen, wird noch einige Zeit vergehen.“ erklärte er uns.

Mittlerweile war es Mittag, die Sonne stand im Zenit und es wurde zunehmend heißer. Die ersten Eindrücke der Stadt wurden vom strahlend blauen Himmel, lachenden Menschen und flirrender, staubiger Hitze begleitet. Das Laufen fiel schwer, es war zu heiß.
Wir beschlossen, Geld zu tauschen, noch bevor wir ein Lokal aufsuchen.
„Doch um diese Zeit haben die Banken geschlossen, wo willst du Geld tauschen?“
Torsten führte uns in eine Straße, die links und rechts mit einem Palmenhain geschmückt war. Die hellen hohen modernen Häuser ließen fast an Miami erinnern, wenn dort nicht alte Autos gestanden hätten. Auf den Fußgängerwegen standen Grüppchen von Männern.
Wir stellten uns direkt vor eine Bank und warteten. Es dauerte nur wenige Minuten, dann kam aus diesen Gruppen einzelne Männer zu uns herüber und nannten einen Preis, den Kurs für einen Euro.
“Ach bei der Bank bekomme ich schon 6700 FMG. Das ist zu wenig, was du bietest!“
“6750 FMG.“
Torsten blieb hart. „7000 FMG“
Der Mann ging wieder zu seiner Gruppe und diskutierte dort. Man schaute zu uns herüber.
Mir wurde mulmig.
Ein anderer kam und bot sofort „6750“
“Na das ist schon etwas besser, aber nicht genug.“
“Wie viel wollt ihr tauschen?“
“500 Euro“
“Was für Scheine?“
“Hunderter“
“Moment“ der Mann im zerfransten T-shirt entfernte sich kurz, kam wieder und sagte: “6800 FMG“.
Torsten lachte nur: „Nein 7000 FMG“.
Der Mann überlegte, schaute uns an. Torsten drehte ihm den Rücken zu und wandte sich ab.
Zu uns sagte Torsten leise „Ich will 6850 FMG, das wäre gut. Mehr ist nicht drin.“
Der Mann durch das scheinbare Desinteresse von Torsten irritiert meldete sich zu Wort. Er tippte Torsten auf die Schulter und nannte den angestrebten Preis: „6850“.
Okay, man war sich handelseinig. Nun wurden die Handys gezückt und die Summe ausgerechnet. 3.425.000 FMG wechselten den Besitzer. Der Mann holte ein Bündel Geldscheine aus der Jacke.
Torsten sagte, wir sollen die Euros noch nicht vorholen und auch nicht hingeben, bevor nicht gezählt wurde. Es waren zusammen getackerte Geldbündel von jeweils zehn Scheinen, wobei der zehnte Schein, wie ein Umschlag um die anderen geheftet wurde.
Erst wurden die Bündel gezählt, dann wurde geprüft, ob zwischen jedem quer liegenden Schein, neun weitere zu finden waren.
Es ging ziemlich schnell. Erst als wir nickten und die Summe bestätigten, gab Torsten „grünes Licht“, die Euroscheine hervor zu holen und abzugeben.
Der Mann verschwand augenblicklich. Wir gingen wieder Richtung Rue d'Indepedance. Es war Zeit für das Mittagessen. Immer noch waren die Straßen voller Menschen.
An einem kleinen Parkplatz beobachtete ich eine Frau , die in einem großen Jeep auf dem Beifahrersitz offensichtlich auf den Fahrer wartete. Sie war Madagassin und ihr zahlreicher Goldschmuck ließ auf einen gehobenen Lebensstandard schließen. Ein Obstverkäufer näherte sich dem Wagen, bot ihr seine Letchees an. Sie nahm aus seinem Korb eine Hand voll und diskutierte mit ihm über den Preis, dabei spuckte sie die Kerne gegen seine Brust. Der Händler stand in unterwürfiger Haltung und ließ es über sich ergehen. Anscheinend wurden sie nicht einig. Sie griff noch einmal in den Korb und spuckte weiterhin die Kerne gegen seinen Oberkörper. Er stellte sich etwas zur Seite, sie drehte sich ihm zu und traf ihn weiterhin. Dann gab sie ihm zu verstehen, dass sie an seinen Letchees nicht interessiert sei, knallte die Wagentür zu und schloss das Fenster. Seltsamer weise hing an ihrem Rückspiegel ein großes silbernes Kruzifix.
Als Ausländer bist du die absolute Attraktion, die Kinder lernen sicher schon mit den ersten Worten "Vahaza" (ausgesprochen: vasa) und rufen schon von weitem: "Bonjour Vahaza" oder "Salut Vahaza". Wo du auch auftauchst, überall hörst du das Wort "Vahaza" zigfach.
Sebastian wurde mürrisch. „Alle starren mich an. Bin ich ein Mondkalb?“
„Du bist weiß und blond, das reicht schon. Aber sie sind nett und grüßen freundlich.“
„Aber jeder grüßt mich, das nervt.“ murrte er.

Während des Essens im Restaurant erzählte uns Torsten, dass in Deutschland den Kindern vom "schwarzen Mann" erzählt wird, der kommt, wenn sie nicht artig sind.
Ja, die Geschichte kenne ich, die wollte man mir auch immer einreden.
„Hier ist es allen Ernstes der "weiße Mann" der kommt, wenn sie ungehorsam sind, er nimmt die Kinder, steckt sie in einen großen Sack, nimmt sie mit oder er isst ihr Herz.
Also wenn ein kleines Kind dich sieht und fängt furchtbar zu weinen an, dann hilft kein ermunterndes Lächeln, auch kein Bonbon. Aber zum Glück kommt dies sehr selten vor und eher auf dem Land, als in der Stadt.“
Gut, zu wissen. Aber in Antananarivo sind die Kinder an Vahaza´s gewöhnt, auch an weiße.

Nach dem Essen brachen wir auf, um uns weiter um zuschauen. Jan und Sebastian wollten erkunden, welche Technik in den Geschäften angeboten wurde.
Wir liefen durch die Straßen zurück in Richtung Treppen. Und wieder ging es aufwärts. Ich bereute erneut jede Zigarette und konnte das Tempo nicht halten. Die letzten Stufen wurden zur Qual.
Endlich geschafft. Wir wurden mit einem schönen kleinen Rosenpark belohnt. Eine Bank im Schatten, das wäre jetzt super. Doch alles war besetzt.
Torsten zog uns weiter, denn gleich um die Ecke war das „Buffet d’Jardin“. Gegenüber hatte die Post ein kleines Internetcafé eingerichtet. Noch hatte es geschlossen, wie die meisten Geschäfte über die Mittagszeit.

“Torsten, wo sind eigentlich die Alten? Ich sehe nur junge Menschen.“ fragte ich ihn.
“Die Lebenserwartung beträgt nur 45 Jahre. Da sind nicht mehr viele Alte über.“ meinte er lapidar.
“Hmm, aber so viele junge Menschen, da komme ich mir ja richtig alt vor.“
So löcherten wir Torsten mit unseren Fragen und hatten immer wieder Themen, die sich aus dem Erleben und Beobachten ergaben.
Torsten war geduldig und versuchte zu alles erklären.
Wir setzten uns an einen beschatteten Tisch. Die Sonnenschirme deckten fast alle Sitzgruppen ab. Eine kalte Cola und die Speisekarte, und schon waren alle Wünsche erfüllt.
Man saß ziemlich abseits des Treibens und konnte doch gut beobachten. Vor dem Restaurant parkten viele Taxen, ging das bunte Treiben der Hauptstraße weiter.

Ganz erstaunlich waren die Autos, des Deutschen liebstes Kind.
„Würde es hier einen deutschen TÜV geben, wären die Straßen auf einen Schlag leer.“ stellte Jan fest.
Trotzdem haben wir es nur einmal erlebt, dass wir vor dem Ziel das Taxi verlassen mussten, weil es einfach abgequalmt ist.
An den meisten Taxen fehlten die Türklinken oder die Scheibenwischer, ein anständiges Armaturenbrett war ziemlicher Luxus. Der Tank war eine Flasche neben dem Fahrersitz. Getankt wurden immer nur 1-2 Liter Sprit. Die Fenster waren offen, weil man die Türen nur von außen öffnen konnte, die Fensterheber kaputt waren oder die Fensterscheiben fehlten gänzlich.
Trotzdem waren diese Kisten super sauber. Sie wurden geputzt und gehütet. Manche Autos schätzte ich auf über vierzig Jahre. Ein deutscher Raritätensammler hätte hier seine große Freude oder ein Oldtimer-Automobilclub.
“Wo sind hier die Toiletten?“
“Da musst du da rein, in die eigentliche Gaststätte und dann rechts halten.“ Gab Torsten die Anweisung an Sebastian.
Die Toiletten waren eine Story für sich. Nur ein Loch im Boden. Wir hielten uns in Restaurants mit europäischem Standard auf, war natürlich etwas teurer. Auch im Hotel hatten wir die gewohnten sanitären Einrichtungen.
Toilettenpapier war Luxus, den wir uns aber gern leisteten.
Torsten, der schon einige Zeit in Madagaskar lebte, nutzte die einheimischen Toiletten.
Als Sebastian von seinem Toilettengang zurück kehrte, fragte Basti unvermittelt: “Torsten, wie machst du das ohne Toilettenpapier?“
Torsten entgegnete ihm grinsend „Du musst verreiben.“
Wir sahen uns an und lachten laut los.
„Na mal im Ernst. Die Madagassen spülen sich mit Wasser ab. Man nimmt eine Blechbüchse die dort bereit steht, füllt diese mit Wasser und geht damit auf Toilette. Nach Verrichtung spülen sie sich mit Wasser ab. So einfach, du musst nur wissen wie.“ lächelte Torsten, der eingeweihte.
Hm. Eigentlich viel hygienischer und sparsamer. Man fasst nichts an, geht in die Hocke.
Wie schafft man das, sich die Kleidung nicht nass zu machen?
Gibt man deshalb grundsätzlich nicht die linke Hand in diesen Ländern?

„Sehen wir uns noch ein paar Geschäfte an?“
„Ja, wir müssen noch zahlen.“ sagte ich und rief in Richtung des Kellners „Hallo!“
Doch er rührte sich nicht. Drehte sich nicht um und ignorierte uns völlig.
Torsten lachte und drehte sich zum Kellner. Er zischte einen Laut, ähnlich wie „X“, nur lang anhaltend. Sofort drehte sich der Ober um und kam zum Tisch.
„Diese Methode funktioniert immer“ gab Torsten an. Aha.
Und es war tatsächlich so. Nur ein langes „XXXXX“ und man wird beachtet.
Wir bemerkten, dass der Kellner selbst 1000 und 2000 mit dem Taschenrechner berechnete, dabei sogar ganz sorgfältig alle Nullen eingab.
“Was lernen die Kinder in der Schule? Das ist doch Grundwissen!“
“60 % der Bevölkerung sollen Analphabeten sein.“ sagte Torsten. “Die Schule beginnt, wann du willst. Also wenn dein Kind 5 Jahre alt ist und du meinst, es ist Zeit für die Schule, dann meldest du es an. Es gibt neuerdings auch Kleinkredite mit denen die Eltern die Chance bekommen, ihr Kind für den Schulanfang auszurüsten, um alles kaufen zu können, was es benötigt, wie Schulmappe, Stifte, Hefte usw. Die Schulzeit beträgt 8 Jahre. Wenn es weiter zur Schule gehen soll, dann kostet es sehr viel Geld. Das kann sich dann nicht jeder leisten. Schulbücher gibt es auch, genau ein Exemplar für eine Klassenstufe für jedes Fach. Die Schüler dürfen es sich in der Bibliothek ansehen, aber nicht ausleihen. Es gibt ja nur das eine.“
“Und ich möchte nicht wissen, wie alt das ist.“ Ergänzte ich kopfschüttelnd.
Wir gingen in der Nachmittagssonne eine schmale Strasse entlang. Viele Läden reihten sich aneinander. Ein Tross Autos kam uns hupend entgegen. Die fröhlichen Fahrgäste winkten.
“Hey, hast du die gesehen?“
“Eine Hochzeitsgesellschaft!“
“Jeden Samstag ist Hochzeitstag, überall wird geheiratet. Sie fahren dann hupend durch die Straßen mit bunt geschmückten Autos.“ erklärte Torsten.
“Heute ist aber nicht Samstag.“
“Na ja, ist ja keine Pflicht am Samstag zu heiraten. Gibt ja Ausnahmen.“
“Eigentlich ist es egal, an welchem Tag man lebenslänglich bekommt.“ bemerkte Sebastian.
„Männer!“



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Lore
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Frauenschicksale in einer Großstadt
Beitrag27.03.2008 00:04

von Lore
Antworten mit Zitat

Jetzt wird die Geschichte bunt und...ungeheuer informativ, eine schöne Abwechslung.
Ein Art Luftholen vor der Problematik der Beziehungen.

Dieser Torsten war bis jetzt ja ein absoluter Glücksfall.

Ich lese diese Landesbeschreibungen sehr gerne, sicher deshalb, weil sie mir als die von Anderen gemachten Erfahrungen absolut reichen, ich bin selbst ein Reisemuffel und in Länder, in denen das Thermometer über 30 Grad steigt, werde ich nie gesichtet. Laughing

Aber dies hier ist bunt, üppig, man kann das alles fast riechen und schmecken.

Lore


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