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Schwalben am Abendhimmel


 
 
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ichbinderautor
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 28
Beiträge: 14
Wohnort: Koblenz


Beitrag14.03.2024 00:37
Schwalben am Abendhimmel
von ichbinderautor
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Mein zweiter Einstandstext. Diesmal etwas länger, aber thematisch ganz anders. Ein Auszug aus einem der ersten Kapitel meines (Low-)Sci-Fi-Thrillers. Ich bin gespannt auf das Feedback!

Wenn es etwas gab, dass sie am allerwenigsten leiden konnte, dann war es dieses schreckliche Gefühl am Morgen danach. Das konnte man nicht einfach abstreifen wie Klamotten nach einem langen Arbeitstag. Da half es auch nicht, sich auf dem Sofa hinzulegen und ein Glas Wein zu trinken. Tiefe, nicht greifbare Reue und furchtbare Scham. Diese unangenehme Kombination war nicht von einem auf den anderen Moment weg wie etwa ein plötzlicher Gedanke, dass man etwas vergessen hat und es dann doch in der Tasche findet, sondern begleitete sie meist den ganzen Tag und ab und an auch bis in den Morgen darauf. Aber auch das ging vorbei. Irgendwann verschwand dieses Gefühl und verhallte wie die Rufe von tieffliegenden Schwalben in den sommerlichen Abendhimmel. In diesem Moment waren die Schwalben aber direkt vor ihrem Ohr und kreischten unüberhörbar schmerzhaft.
Sie stand auf und ging in die Richtung, in welcher sie das Badezimmer noch grob in Erinnerung hatte. Ihre Nachtbekanntschaft ließ sie schlafen, im besten Fall würde sie gleich wieder verschwinden und die beiden wären wieder Fremde.
Bingo, die Tür führte tatsächlich ins Badezimmer. Bei ihrem letzten Mal war sie in der Abstellkammer gelandet. Eine kleine Katzenwäsche musste reichen, duschen würde sie zuhause, das war viel angenehmer und erfahrungsgemäß waren die meisten Duschen ohne Thermostat nicht sehr kooperativ. Ohne eine erfrischende Dusche war der Tag für sie nicht viel wert. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie es wohl Handwerkern und anderen Menschen ging, die erst nach der Arbeit duschten. Michelle duschte jedoch oft zweimal: Die für sie heilige Pflichtdusche morgens und abends noch einmal, wenn es einen besonders heftigen Fall gab oder auch einfach nur, um sich von den Lasten des Tages zu reinigen. Wenn sie Nachtschicht hatte, kehrte sie das Ganze einfach um.
„Schon wach? Ich habe leider kein Frühstück da. Ich esse morgens nicht viel“, hörte sie die verschlafene Stimme durch die Tür.
Ihr Plan war also durchkreuzt.
„Ich brauche auch nichts. Schon gut“, antwortete sie, während sie sich ihre Jeans auf Halbmast überstreifte.
Dann stöberte sie auf dem Klo ein wenig auf dem Handy in den Nachrichten, wobei sie die Schlagzeilen viel mehr überflog. Wie sie feststellte, gab es nichts was besonders erwähnenswert war, wenn man vom üblichen Politik- und Weltgeschehen absah. Keine schlechten Neuigkeiten über die Zentrale Kriminalinspektion Koblenz und ihr Name stand glücklicherweise auch nicht in der Zeitung.
„Sag mal, willst du sicher nicht noch einen Kaffee oder so trinken? Ich trinke zwar lieber Tee, aber das kann ich bestimmt organisieren. Irgendwo müsste ich auch noch Instant-Kaffee haben.“
„Nein, danke. Ich muss jetzt los“, antwortete sie beiläufig, während sie ihre Sachen hastig einsammelte.
„Okay, wie du meinst. Ich fand es echt nett mit dir“, sagte Tom und kratzte sich am Bein.
Obwohl sie vergangene Nacht miteinander geschlafen hatten, empfand sie es jetzt als sehr unangenehm, dass er vor ihr nur in Boxershorts stand. Gestern fand sie die Konversation im Chat noch anregend und hatte sich nach knapp einer Woche zu einem Treffen in einer Bar hinreißen lassen. Das Mephisto war vielleicht nicht der beste Ort für ruhige Gespräche, aber sie kam seit ihrer Jugend gerne dorthin. Jetzt sah die Sache aber anders aus. Zum Glück war sie keine Paketbotin. Wer weiß, welche sensiblen Anblicke diese Menschen bekamen. Sie schüttelte sich innerlich.
„Ich fand es auch gut. Danke.“
„Sehen wir uns noch einmal?“, fragte er, während sie schon mit halbem Bein im Flur stand.
„Ich schreibe dir.“
Er lächelte, aber Michelle würde ihn sicher nicht noch einmal sehen. Es war einfach ein Arrangement zwischen zwei Erwachsenen. Etwas Einmaliges und nichts, was man weiter vertiefen hätte müssen. Sie fand ihn attraktiv und hatte ihren Spaß. Sie fühlte sich deswegen auch nicht schlecht oder ihm gegenüber abgeneigt, es war eher dieses Gefühl, es getan zu haben. Dieser Schweiß, dieses Animalische, diese Gerüche und mechanischen Bewegungen ohne große Gefühle: es widerte sie an und ließ sie dann nicht los. Wie eine schleimige Kreatur, die aus einer Höhle gekrochen kommt und mit ihren glitschigen Armen nach ihren Knöcheln langt, um sie hineinzuziehen. Aber es war ein notwendiges Übel. Es überkam sie einfach ab und an, wie es fast jeden Menschen überkommt. Und dann wollte sie unbedingt mit in diese Höhle, so schleimig, dreckig und düster es auch sein mochte – nur um am nächsten Morgen beschämt und angeekelt aufzuwachen. Streng genommen überkam sie der Ekel schon direkt danach, aber den verdrängte sie meist mit einem festen Schlaf.
Als sie im Erdgeschoss angekommen war, hörte sie die Tür oben ins Schloss fallen. Anscheinend hatte er noch gewartet und gehofft, dass sie zurückkommen würde und einen Kaffee mittränke oder sie sich noch unterhalten könnten. Vermutlich wäre ihm jedes Thema recht gewesen – möglicherweise das Wetter oder auch Quantenphysik, aber Michelle wollte einfach nur nach Hause, duschen und sich endlich dieses schleimige und unreine Gefühl abwaschen. Die Klauen der Kreatur waren noch sehr präsent an ihren Knöcheln zu spüren …
Ihr Auto hatte sie eine Querstraße weiter geparkt. Auf dem Weg dahin hatte sie das Gefühl, dass die Menschen, die an ihr vorbeizogen mit ihren Blicken verurteilten, aber das bildete sie sich wahrscheinlich nur ein. Niemand verurteilte sie, einzig und allein sie selbst und das wegen einer ganz banalen und absolut menschlichen Verhaltensweise. Außerdem waren es nur wenige Menschen, die sie vermeintlich beobachteten, es war immerhin gerade einmal fünf Uhr in der Früh.
Sie schloss auf und setzte sich hinter das Lenkrad. Ein prüfender Blick in das Handschuhfach. Alles noch da. Sie sah sich kurz um, holte die Walther hervor und wog sie in der Hand. Es hatte sich gefühlt nichts an ihrem Gewicht seit gestern verändert. Zur Sicherheit überprüfte sie das Magazin – fünfzehn Schuss, genau wie am Abend zuvor. Niemand hatte sich an ihrem Auto zu schaffen gemacht. Allerdings lud das Auto auch nicht dazu ein, aufgebrochen zu werden. Ein stinknormaler Golf und ihre Wertsachen ließ sie nie irgendwo offensichtlich im Auto liegen.
Dann holte sie ihr Handy heraus. Es gab einen verpassten Anruf. Tobias, ihr Kollege und obendrein bester Freund. Sie rief zurück.
„Du hast angerufen?“
„Ihnen auch einen wunderschönen Morgen Frau Pfeiffer“, krächzte die ruhige Stimme am anderen Ende süffisant.
„Ach so, ja. Guten Morgen. Also?“
„Du klingst so richtig schön ausgeschlafen.“
„Du klingst so richtig schön gehässig.“
„Ach, ich gönne es dir doch. So sollte es doch gar nicht rüberkommen“, antwortete er und lachte.
„Was denn gönnen? Da klingt jemand eher sehr missgünstig und neidisch.“
„Neid kann man das nicht nennen, ich amüsiere mich nur an deinen Reaktionen.“
„Egal. Tobi, komm zur Sache, ich muss noch etwas erledigen, bevor ich reinkomme“, entgegnete sie und startete den Motor.
„Die Vermisstenanzeige von vorgestern ist hinfällig. Der Junge ist wieder aufgetaucht. Hat sich wohl ein paar Tage eine Auszeit genommen nach dem Streit mit den Eltern.“
„Uh, klingt ja tatsächlich nach einer richtigen Teenie-Aktion, aber umso besser. Dann kann ich mir ja eigentlich Zeit lassen“, antwortete Michelle und dachte an die bevorstehende, wohltuend heiße Dusche in ihrer Wohnung.
„Naja, du weißt ja, lange bleibt's nie so. Bist du nächste Woche auch auf dem Seminar?“
Michelle versuchte an der Ampel ihre Gedanken zu sortieren. Den Namen ihrer Bettgeschichte hatte sie schon wieder vergessen, die Boxershorts nicht. Beim Seminar kam es ihr jedoch so vor, als ob sie davon zum ersten Mal gehört hätte.
„Äh, ich denke schon.“
„Klasse, allein würde ich das da auch nicht aushalten. Einsatztaktiken oder sowas sind ja noch halbwegs spannend, aber das muss echt nicht sein.“
„Das muss echt nicht sein …“, wiederholte sie mechanisch. Was muss echt nicht sein? Wie konnte sie nur so vergesslich sein, dachte sie, aber es war noch früh und Frevel genug, dass Tobias sie so früh am Morgen überhaupt angerufen hatte.
„Naja, wir sehen uns im Büro, bis später.“
„Ciao, bis dann“, sagte sie und drückte ihn weg.
Nach etwa zehn Minuten war sie zuhause angekommen. Sie stieg aus, steckte ihre Waffe ein, legte eilig alle Sachen in den Flur und hüpfte unter die Dusche. Endlich perlte das heiße Wasser an ihrem Körper herab. Es fühlte sich an, als würde es sie bis in die tiefsten Poren durchdringen und ihre Haut erneuern. Für die Kürze der Zeit, die sie sich dafür nehmen konnte, war der imaginäre Schleim wie weggespült und eine leuchtend warme Aura umgab sie und hüllte sie in geborgene Glückseligkeit. Eine heiße und ausdauernde Dusche war für sie wie eine feste und innige Umarmung, wenn nicht sogar besser. Das hob ihre Stimmung für den Moment, auch wenn das nicht lange andauern würde, das wusste sie.
Im Anschluss machte sie sich ein einfaches und schmuckloses Frühstück: Eier mit zwei Scheiben Toast und einen Apfel. Während sie am Küchentisch ihre Mahlzeit einnahm, betrachtete sie ihre schmucklose Einrichtung, als ob sie zum ersten Mal bei einem Fremden zuhause wäre. Seit gestern Nachmittag hatte sich absolut nichts verändert. Die Trainingsmatte lag noch neben dem Sofa am Fenster und das Buch, dass sie eigentlich in ihr Regal hatte legen wollen, lag auch immer noch auf dem kleinen Beistelltisch und verurteilte sie nun stumm.
Zur Abwechslung mal nicht hektisch ins Büro eilen zu müssen tat auch mal ganz gut, fand sie.
Mit dem Apfel in der einen und dem Handy in der anderen Hand scrollte sie ziellos durch den Feed ihrer sozialen Medien. Wie ein ellenlanger, amerikanischer Güterzug blitzten die verschiedenen Bilder und Zitate an ihrem Auge vorbei. Sie seufzte, regte sich nur wieder darüber auf und sperrte den Bildschirm wieder. Als ob das Schicksal darauf gewartet hätte, klingelte es im nächsten Moment.
Ja, ist ja gut, Tobi, dachte sie, aber es war zu ihrer Überraschung ihre Mutter. Sie zögerte. Es war jetzt wieder etwas über zwei Wochen her, seit sie zuletzt mit ihr gesprochen hatte und sie fühlte sich natürlich wieder schuldig, dass sie nicht eher angerufen hatte. Dann nahm sie aber doch ab. Wenn sie sich schon die Mühe machte, so früh anzurufen, dann konnte sie schlecht ablehnen.
„Ja?“
„Schön, dass du mal wieder anrufst“, erklang es trocken aus der Leitung.
„Ja, ich weiß… Ich habe es mal wieder vergessen.“
„Wie so vieles. Aber ich bin dir gar nicht böse, ich wollte nur nachhören, ob du zurechtkommst. Du weißt ja, das Übliche.“
Michelle schwieg und musste aus irgendeinem nicht ersichtlichen Grund an ihre Nachtbekanntschaft in Boxershorts denken. An den Namen konnte sie sich selbstverständlich immer noch nicht erinnern, aber die Boxershorts hatten seltsamerweise einen bleibenden Eindruck in ihr hinterlassen. Kariert und voller Bügelfalten. Warum bügelt man seine Boxershorts?
„Naja, was soll ich denn sagen. Das Übliche halt, ja.“
„Schön zu hören, mir geht es auch ganz ausgezeichnet“, antwortete ihre Mutter in überspielten Ton.
Es war, als wären die Schwalben wieder an ihrem Ohr zugange. Diesmal pickten sie in Form der Stimme ihrer Mutter an ihrem Trommelfell, bis nichts mehr davon übrig war. Äußerst schmerzhaft, dennoch kaum hörbar.
„Ich komme demnächst mal wieder vorbei. Wenn du etwas brauchst, sag Bescheid.“
„Natürlich kommst du vorbei. Wie sonst auch immer. Wenn du arbeiten musst, dann ist das in Ordnung, dann gehst du halt arbeiten. Wenn du dann mal vorbeikommen willst, dann melde dich einen Tag vorher an. Dein altes Zimmer hat noch niemand anderes bezogen. Seit … Seit der Sache mit Papa auch nicht.“
„Ich habe nicht viel Zeit, Mama“, log sie. „Ich verspreche es, wenn ich Urlaub habe, komme ich vorbei, aber im Moment geht es nicht. Ich versuche zumindest häufiger anzurufen.“
Ein langer Seufzer verließ den kleinen, unbedeutenden und in Massen produzierten Lautsprecher, der es dennoch erstaunlich präzise vermochte, die Gefühle ihrer Mutter in ihr eigenes Ohr zu übertragen. Sie kannte dieses Seufzen. Es war das Seufzen von konditionierter Enttäuschung.
„Ist gut. Ich hoffe du hältst deine Versprechen irgendwann. Das hätte Papa sicherlich auch gefreut.“
„Ja, ich versuche es. Ich finde es so wie jetzt ja selbst blöd, aber was soll ich machen?“
„Pass einfach auf dich auf und melde dich mal“
„Ja, mach ich, du auch.“
Dann legte ihre Mutter ohne weitere Worte auf. Michelle starrte die Decke an und dachte nach. Ihre Gedanken bestanden größtenteils aus Fetzen von Erinnerungen und undeutbaren geometrischen Formen, die sie so oft sah, wenn sie morgens aufwachte. Sie schüttelte sich. Während des Anrufs hatte sie eine Nachricht bekommen. Diesmal war es tatsächlich Tobias.
Kannst du jetzt schon kommen? Es gibt da ein neues Problem …
Gegen viertel vor sechs verließ sie ihre Wohnung wieder. Sie war kaum eine Dreiviertelstunde zuhause gewesen.

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Arminius
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Beitrag14.03.2024 11:32

von Arminius
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Ein Text, an dem ich als Leser dranbleiben würde.
Nur eine Sache hat mich stutzig gemacht: weshalb überprüft sie nach dem Einsteigen ihre Waffe? Ich kann darin überhaupt keinen Sinn erkennen.
Sie schaut nach, ob sie noch da ist. Das ist nachvollziehbar, da es höchstwahrscheinlich gegen die Bestimmungen verstößt, eine Dienstwaffe über Nacht im Handschuhfach aufzubewahren. Immerhin ist der Grund für diese Nachlässigkeit plausibel erzählt.
Das Nachzählen der Patronen ergibt jedoch keinen rechten Sinn. Ein Autoknacker hätte gleich den ganzen Wagen gestohlen, zumindest aber die Waffe mitgenommen. Einzelne Patronen hätte er gewiss nicht geklaut und nach einem Gebrauch der Waffe hätte er sie bestimmt nicht wieder zurückgelegt. Wozu also?
Da es ein Textauszug ist, vermute ich mal, dass ich den Grund für ihr Verhalten (noch) nicht kenne.
Gern gelesen!
Gruß
Arminius


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ichbinderautor
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Beitrag14.03.2024 20:01

von ichbinderautor
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Vielen Dank für deine Rückmeldung, Arminius!
Das mit der Pistole ist in der Tat vielleicht etwas zu detailliert beschrieben. Prinzipiell gibt es zwar eine entsprechende Schlüsselszene mit gleichem Sachverhalt, aber das hier war nie als Aufhänger gedacht. Das sollte ich wohl noch etwas entschärfen.
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sluver
Wortedrechsler
S


Beiträge: 52



S
Beitrag25.03.2024 10:26

von sluver
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Bei Textauszügen fällt mir ein Feedback etwas schwer, da es sein kann, dass sich manche Anmerkungen durch die Szenen davor oder danach erledigt hätten. Trotzdem will ich es mal versuchen:

Ich würde auch dranbleiben, aber noch einiges kürzen, z.B. "Nach etwa zehn Minuten war sie zuhause angekommen. Sie stieg aus, steckte ihre Waffe ein, legte eilig alle Sachen in den Flur und hüpfte unter die Dusche." So viele Informationen sind m.E. nicht nötig und bremsen den Lesefluss. Alternativ: "Zu Hause hüpfte sie unter die Dusche." Als Leserin will ich etwas über Plot und Charaktere erfahren, nicht darüber, wo genau Michelle ihre Sachen ablegt - es sei denn, dies wäre für die Szene noch wichtig. Bei der Waffe kann man drüber streiten, da sie sie über Nacht im Auto ließ. Auch diesen Abschnitt würde ich streichen: "Mit dem Apfel in der einen und dem Handy in der anderen Hand scrollte sie ziellos durch den Feed ihrer sozialen Medien. Wie ein ellenlanger, amerikanischer Güterzug blitzten die verschiedenen Bilder und Zitate an ihrem Auge vorbei. Sie seufzte, regte sich nur wieder darüber auf und sperrte den Bildschirm wieder." Ist das wichtig? Muss das rein? - Insbesondere, da sie auf Toms Toilette schon mal in ihren News Feed guckt. Oder wartet sie auf eine spezielle Nachricht? Falls ja, würde ich das auch erwähnen.

Der Name der Protagonistin, Michelle, kommt für mich recht plötzlich während der ersten Passage über das Duschen. Ich hoffe auch, dass die Nachtbekanntschaft Tom noch eine Rolle im Roman spielt, da seine Boxershorts und die gesamte Szene mit ihm sonst etwas viel Gewicht bekommen würden. Ich mag allerdings: "Warum bügelt man seine Boxershorts?"

Über 3 Stellen bin ich stilistisch gestolpert:

"krächzte die ruhige Stimme am anderen Ende süffisant." Das kann ich mir leider nicht vorstellen. Süffisant krächzen mit einer ruhigen Stimme? Vllt. eher, dass Michelle sich sein süffisantes Lächeln geradezu vorstellen konnte? Wenn jmd krächzt, erwarte ich eine Antwort warum.  

"Wer weiß, welche sensiblen Anblicke diese Menschen bekamen." Bekommt man Anblicke? Einblicke, ja, aber Anblicke klingt für mich komisch. (Vllt eher in dem Sinne, welchen sensiblen Anblicken diese Menschen ausgesetzt wurden// welche Anblicke ihnen zugemutet wurden? Ist aber auch holprig. Oder: welche sensiblen Anblicke diese Menschen geboten bekamen.)

In der Szene in ihrer Wohnung taucht kurz hintereinander 2x "schmucklos" auf. Schmucklose Einrichtung, schmuckloses Frühstück.

Soll dies die Vorstellung der Figur Michelle sein? Wenn ja, schildere ich kurz meine Eindrücke: Sie scheint mit ihren sexuellen Bedürfnissen nicht im Reinen zu sein und sich nicht nur aus hygienischen Gründen zu duschen. Von der Mutter ist sie entfremdet. Sie ist wohl selten zu Hause, da sie sonst kaum ihre Einrichtung wie eine Fremde betrachten würde. Darüber hinaus ist sie entweder nachlässig (in der Sicherung ihrer Waffe) oder sie hat vllt ein Alkoholproblem. Ich war mir nicht sicher, ob sie verkatert sein soll oder einfach nur müde. Ist der erste Eindruck des Charakters so von dir intendiert? So richtig greifen kann ich Michelle noch nicht. Sie könnte ein abgewandelter "film noir"-Charakter sein oder aus einem zutiefst schambehafteten Elternhaus stammen, was ihr einen Ekel vor ihren eigenen Bedürfnissen eingeimpft hat, den sie versucht wegzurationalisieren. Und das macht es interessant!

Den Dialog mit der Mutter würde ich straffen. Da wird sehr viel gesagt, was vllt nur angedeutet besser passen würde (zumindest für mich).

Zudem würde ich die beiden Duschpassagen auf eine zusammenkürzen.
"Eine kleine Katzenwäsche musste reichen, duschen würde sie zuhause, das war viel angenehmer und erfahrungsgemäß waren die meisten Duschen ohne Thermostat nicht sehr kooperativ. Ohne eine erfrischende Dusche war der Tag für sie nicht viel wert. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie es wohl Handwerkern und anderen Menschen ging, die erst nach der Arbeit duschten. Michelle duschte jedoch oft zweimal: Die für sie heilige Pflichtdusche morgens und abends noch einmal, wenn es einen besonders heftigen Fall gab oder auch einfach nur, um sich von den Lasten des Tages zu reinigen. Wenn sie Nachtschicht hatte, kehrte sie das Ganze einfach um."
Und später nochmal:
"Endlich perlte das heiße Wasser an ihrem Körper herab. Es fühlte sich an, als würde es sie bis in die tiefsten Poren durchdringen und ihre Haut erneuern. Für die Kürze der Zeit, die sie sich dafür nehmen konnte, war der imaginäre Schleim wie weggespült und eine leuchtend warme Aura umgab sie und hüllte sie in geborgene Glückseligkeit. Eine heiße und ausdauernde Dusche war für sie wie eine feste und innige Umarmung, wenn nicht sogar besser. Das hob ihre Stimmung für den Moment, auch wenn das nicht lange andauern würde, das wusste sie."
Auf den ersten Blick find ich das ein bisschen viel, wenn es nur um Duschen geht - auch wenn es eine emotionale Bedeutung für sie hat.

Trotz meiner Kritik würde ich weiterlesen und wissen wollen, was Michelle für ein Fall erwartet. Noch gutes Werkeln!
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ichbinderautor
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 28
Beiträge: 14
Wohnort: Koblenz


Beitrag25.03.2024 18:07

von ichbinderautor
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo sluver,

danke für dein Feedback. Ich gehe kurz darauf ein, auch wenn ich es insgesamt einfach so hinnehmen würde und dir auch zustimme.

Zitat:
Ich würde auch dranbleiben, aber noch einiges kürzen, z.B. "Nach etwa zehn Minuten war sie zuhause angekommen. Sie stieg aus, steckte ihre Waffe ein, legte eilig alle Sachen in den Flur und hüpfte unter die Dusche." So viele Informationen sind m.E. nicht nötig und bremsen den Lesefluss. Alternativ: "Zu Hause hüpfte sie unter die Dusche." Als Leserin will ich etwas über Plot und Charaktere erfahren, nicht darüber, wo genau Michelle ihre Sachen ablegt - es sei denn, dies wäre für die Szene noch wichtig. Bei der Waffe kann man drüber streiten, da sie sie über Nacht im Auto ließ. Auch diesen Abschnitt würde ich streichen: "Mit dem Apfel in der einen und dem Handy in der anderen Hand scrollte sie ziellos durch den Feed ihrer sozialen Medien. Wie ein ellenlanger, amerikanischer Güterzug blitzten die verschiedenen Bilder und Zitate an ihrem Auge vorbei. Sie seufzte, regte sich nur wieder darüber auf und sperrte den Bildschirm wieder." Ist das wichtig? Muss das rein? - Insbesondere, da sie auf Toms Toilette schon mal in ihren News Feed guckt. Oder wartet sie auf eine spezielle Nachricht? Falls ja, würde ich das auch erwähnen.

Ich glaube hier war mir einfach wichtig, dass die Leserschaft merkt, dass sie etwas unterbewusst beschäftigt, sie aber nicht genau weiß, was das ist. Da das die Einleitung ist und man später noch genauer davon erfährt, ist das natürlich, wie du schon sagst, schwierig, einzuordnen. Kürzen kann und sollte man aber auch immer wieder mal wink

Zitat:
Der Name der Protagonistin, Michelle, kommt für mich recht plötzlich während der ersten Passage über das Duschen. Ich hoffe auch, dass die Nachtbekanntschaft Tom noch eine Rolle im Roman spielt, da seine Boxershorts und die gesamte Szene mit ihm sonst etwas viel Gewicht bekommen würden. Ich mag allerdings: "Warum bügelt man seine Boxershorts?"

Mehr oder minder spielt er noch eine Rolle. Im Prinzip ist er nur eine Symbolfigur für ihre sexuellen Bedürfnisse.

Zitat:
"krächzte die ruhige Stimme am anderen Ende süffisant." Das kann ich mir leider nicht vorstellen. Süffisant krächzen mit einer ruhigen Stimme? Vllt. eher, dass Michelle sich sein süffisantes Lächeln geradezu vorstellen konnte? Wenn jmd krächzt, erwarte ich eine Antwort warum.

Ich konnte mir das tatsächlich sehr gut vorstellen. Möglicherweise verspielt oder neckisch, aber dann ist das vielleicht die passendere Wortwahl. Merci für den Hinweis!

Zitat:
Soll dies die Vorstellung der Figur Michelle sein? Wenn ja, schildere ich kurz meine Eindrücke: Sie scheint mit ihren sexuellen Bedürfnissen nicht im Reinen zu sein und sich nicht nur aus hygienischen Gründen zu duschen. Von der Mutter ist sie entfremdet. Sie ist wohl selten zu Hause, da sie sonst kaum ihre Einrichtung wie eine Fremde betrachten würde. Darüber hinaus ist sie entweder nachlässig (in der Sicherung ihrer Waffe) oder sie hat vllt ein Alkoholproblem. Ich war mir nicht sicher, ob sie verkatert sein soll oder einfach nur müde. Ist der erste Eindruck des Charakters so von dir intendiert? So richtig greifen kann ich Michelle noch nicht. Sie könnte ein abgewandelter "film noir"-Charakter sein oder aus einem zutiefst schambehafteten Elternhaus stammen, was ihr einen Ekel vor ihren eigenen Bedürfnissen eingeimpft hat, den sie versucht wegzurationalisieren. Und das macht es interessant!

Das ist natürlich ohne weitere Auszüge schwierig zu deuten, das stimmt. Im Prinzip zeigt dieses erste Kapitel einfach nur die Figur Michelle und ihre Lebensrealität. Ihre inneren Konflikte werden nach und nach aufgedeckt.

Zitat:
Den Dialog mit der Mutter würde ich straffen. Da wird sehr viel gesagt, was vllt nur angedeutet besser passen würde (zumindest für mich).

Der Dialog vermutlich etwas zu scharf formuliert, da stimme ich zu. Die Mutter soll allgemein einfach sehr enttäuscht von ihr sein, aber ich wusste nicht so recht, wie extrem.

Zitat:
Zudem würde ich die beiden Duschpassagen auf eine zusammenkürzen.
"Eine kleine Katzenwäsche musste reichen, duschen würde sie zuhause, das war viel angenehmer und erfahrungsgemäß waren die meisten Duschen ohne Thermostat nicht sehr kooperativ. Ohne eine erfrischende Dusche war der Tag für sie nicht viel wert. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie es wohl Handwerkern und anderen Menschen ging, die erst nach der Arbeit duschten. Michelle duschte jedoch oft zweimal: Die für sie heilige Pflichtdusche morgens und abends noch einmal, wenn es einen besonders heftigen Fall gab oder auch einfach nur, um sich von den Lasten des Tages zu reinigen. Wenn sie Nachtschicht hatte, kehrte sie das Ganze einfach um."
Und später nochmal:
"Endlich perlte das heiße Wasser an ihrem Körper herab. Es fühlte sich an, als würde es sie bis in die tiefsten Poren durchdringen und ihre Haut erneuern. Für die Kürze der Zeit, die sie sich dafür nehmen konnte, war der imaginäre Schleim wie weggespült und eine leuchtend warme Aura umgab sie und hüllte sie in geborgene Glückseligkeit. Eine heiße und ausdauernde Dusche war für sie wie eine feste und innige Umarmung, wenn nicht sogar besser. Das hob ihre Stimmung für den Moment, auch wenn das nicht lange andauern würde, das wusste sie."
Auf den ersten Blick find ich das ein bisschen viel, wenn es nur um Duschen geht - auch wenn es eine emotionale Bedeutung für sie hat.

Das mit der Dusche hat tatsächlich später noch Relevanz, da sie in späteren Kapiteln aus physikalisch medizinischen Gründen ihre Haare im Abfluss entdeckt wink Eventuell ist das hier aber bereits zu repetitiv.

Ich bedanke mich für dein ausführliches Feedback und es freut mich, dass es interessiert!
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sluver
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S


Beiträge: 52



S
Beitrag25.03.2024 20:20

von sluver
Antworten mit Zitat

Dass Michelle etwas unterbewusst beschäftigt, kommt m.E. auf jeden Fall durch, und zwar in den jeweiligen Dialogen mit ihrem Kollegen und ihrer Mutter. Bei beiden ist sie abgelenkt und denkt an Toms Boxershorts, das gefällt mir richtig gut. (Auch seine Rolle als Symbolfigur klingt interessant) Innere Getriebenheit durch Alltagsbeschäftigungen auszudrücken, ist meist etwas schwierig, da sich das nicht so interessant liest. Wenn, dann würde ich eine Szene nehmen, in der deine Protagonistin eigentlich was ganz wichtiges tun muss, aber stattdessen das Farbmuster auf ihrer Kaffeetasse anstarrt oder sich Gedanken über die Tapete macht. Funktioniert auch ganz gut bei Schockzuständen oder Trauer. Dann kann ich als Leserin in dem Moment einordnen oder zumindest erahnen, was innerlich in der Figur vor sich geht. Die meisten Menschen kennen solche Reaktionen auch von sich selbst. Ganz am Anfang der Geschichte funktioniert das naturgemäß schlecht, da wir die Charaktere noch nicht gut genug kennen. Am Anfang würde ich innere Getriebenheit versuchen in Szenen zu packen, in denen Michelle mit anderen interagiert bzw. sich mit wichtigen Aspekten des Falls auseinandersetzt. Dann gibst du deiner Leserschaft gleichzeitig Charakter- bzw. Plotmomente und offenbarst kleinschrittig was von ihrem Innenleben. Das liest sich interessanter als Solo-Momente. --- zumindest für mich, natürlich alles rein subjektiv.

Was mir auch gerade noch einfällt, wenn Tom nur eine Symbolfigur werden soll, im Sinne von "Boxershorts", dann würde ich seinen Namen am Anfang weglassen (Michelle selbst weiß ihn ja wenige Abschnitte später nicht mehr). Die Leserschaft kann sich nur einen begrenzten Teil an Infos merken und - gerade bei komplizierten Geschichten - verstopfen Namen Synapsen im Gedächtnis. Falls er natürlich noch mehrfach durch die Handlung läuft, dann her mit dem Namen!

Ich will auch nicht harsch klingen, bin neu hier und muss noch üben, ordentlich zu kritisieren.
Weiterhin viel Erfolg!
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