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Mederick & Melian - Die Gesänge der Toten


 
 
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M.J.Bartling
Erklärbär
M

Alter: 52
Beiträge: 1
Wohnort: Dorsten


M
Beitrag23.02.2024 19:07
Mederick & Melian - Die Gesänge der Toten
von M.J.Bartling
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Wie gewünschte.


LG






Mederick & Melian - Die Gesänge der Toten


von
Mario Jeremy Bartling




Die Zwillinge Tom und Marc schlendert in der alten Bücherei von Saarbrücken mit ein paar Bücher unter dem Arm zu ihren Plätzen zurück. Hier waren so viele merkwürdige Dinge ausgestellt, dass der Bücherwurm eher an ein Museum erinnerte als an eine Bücherei. Die beiden hatten gehört, dass in dem Gebäude etwas Merkwürdiges vor sich ging. Die Zeitung schrieb über Passanten, die immer um die Mitternachtszeit herum seltsame Geräusche aus der Bibliothek hörten, die sich wie Klagelaute von Tieren angehört hatten. Die Polizei konnte zur Aufklärung nichts beitragen, da jedes Mal, wenn sie dort auftauchten, die Töne aufhörten.
Die Bücherei war umständlich aufgeteilt. Jedes Mal, wenn sie ein neues Buch suchten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als durch einen Flur zu laufen, der den Lesebereich von der Bücherei trennte. Auf der linken Seite im Flur lauerten auf terrakotta-farbenen Steinsockeln lebensgroße, unbekleidete Statuen von Menschen mit Tierköpfen. Der eine hatte einen Widder-, die andere einen Adlerkopf und die letzte Statue besaß den Kopf eines Waschbären. Ihre Fratzen schrien gequält in den Himmel. Und in den dreireihigen Holzregalen dazwischen lagen seltsame Requisiten. Eine versteinerte Fingerelfe, die nur wenige Zentimeter groß war und die als Hirtin über ausgetrocknete Glühwürmchen wachte. Sie trieb die Tierchen in Richtung der Wand. Ausgeschmückt wurde das Ganze mit Büscheln von getrockneten Kräutern, die als Bäume und Sträucher eine Landschaft bildeten. Eine Kette aus getrockneten, blauen Würmern stellte mittig ein kleines Flüsschen da. Die Pflanzenreste stammten definitiv nicht aus dieser Welt, wie alles, das in den Regalen zu finden war. Selbst die Weingläser darunter, die den heutigen sehr ähnlich sahen, waren mit einem weißen Schildchen und schwarzer Schrift beschriftet. In der unteren Hälfte stand Stadt: Kandusch, auf der oberen ein handgezeichneter Feuersalamander. Kandusch, den Namen, hatte sich Marc eingeprägt, so wie die gesamte Landkarte der Alten Welt, aus der sie vor wenigen Wochen entkommen waren. Und das schon zum zweiten Mal in ihrem Leben. Er erinnerte sich nur ungern daran. Beim ersten Mal vor zwei Jahren wurden sie gezwungen, in die Alte Welt zu flüchten, als ein Schwarm fliegender kleiner Drachen Jagd auf sie machte. Tom und Marc war nichts anderes übrig geblieben, als diese armlangen, feuerspuckenden Mistviecher zurückzujagen, um sie dort in eine Falle zu locken. Diese Aktion hätten ihnen beinahe das Leben gekostet. Nicht viel besser lief es, als sie vor einem halben Jahr, als sie zurückmussten, um eine Ausbildung zu beginnen, die ihren einzigartigen Fähigkeiten zum Durchbruch verhelfen sollte. Fähigkeiten, von denen sie bis heute selbst nicht verstanden hatten, wie sie funktionierten. Klar beherrschte Marc den einen oder anderen Trick, um andere zu schützen. Sein Bruder Tom gehörte zu den Schwertschwingern der besonderen Art. Marc bewunderte ihn, wie er sich wahnsinnig verbiegen und mit welch einer Geschwindigkeit er sich bewegen konnte. Oft nahm er nur undeutliche Schemen wahr, wenn er ihn kämpfen sah. Doch das war Firlefanz im Gegensatz zum großen Wunder, das man von ihnen noch erwartete. Marc wischte diesen Gedanken aus seinem Kopf und betrachtete die acht Gläser auf dem Regal, die von links nach rechts immer kleiner wurden. Einzelne Namen waren darin eingraviert:

Iingomar
Jasper
Koridum


Dabei wurde der erste Buchstaben der Namen drei Mal so großgeschrieben wie die folgenden.
»Kommst du? Die Bücherei schließt in 30 Minuten«, drängte Tom, der nur selten die Geduld auf brachte, ein Rätsel zu lösen.
Marc sah ihn an und lächelte. Sein Bruder war so anders als er. Tom war nur dann zufrieden, wenn es etwas Grobes zu erledigen gab. Marc hingegen liebte die Suche nach Lösungen. Aber genau diese Unterschiede machten die beiden zu einem perfekten Team.
Tom seufzte und verdrehte gelangweilt die Augen. »Wie oft und wie lange willst du dir dieses Zeugs noch anstarren? Du bekommst sowieso nicht heraus, wie die Bibliothek mit ihren seltsamen Ausstellungsstücken in diese Welt kam. Gib‘s endlich auf.«
Marc hob eine Augenbraue. Es wurde mal wieder Zeit, ihn zu ärgern. Mit einem freien Arm tat er so, als wolle er nach dem Schwert greifen, das im Regal eine Etage unter den Gläsern lag. Auf einem Schildchen stand:

Feuersbrunst
Von: Stella Bellum

Tom kam zwei Schritte auf ihn zu. »Cooles Ding, nicht wahr? Menschen mit Begabung können es vermutlich zum Brennen bringen.«
»Ach, das interessiert dich auf einmal?« Marc lief weiter Richtung Leseecke. »Und bei dem, was wichtig ist, schaust du weg. Du weißt genau, dass wir auf sämtliche Ungereimtheiten in dieser Welt achten sollen.«
Tom begleitete ihn »Ja … ja. Im Gegensatz zu dir kann ich wenigstens damit umgehen.«
»Ja und. Du würdest dafür ja noch nicht einmal ein Rätsel lösen, selbst wenn man dir die Lösung auf ein Stück Papier aufschreiben würde«, konterte Marc.
»Jetzt übertreibst du aber. Wenigstens schneide ich mir nicht gleich mit einem Brötchenmesser in den Finger.«
An ihren Plätzen angekommen ließ Marc ungeschickt seine Bücher auf den Tisch klatschen.
»Mach nicht so ein Krach«, sagte Tom. »Bäh! … Bücher … muss das jetzt wirklich sein?«
Marc legte ein Zeigefinger auf sein Kinn und blickte nachdenklich zur Decke. »Lass mich kurz überlegen … Ja!«
»Nach was soll ich denn überhaupt suchen? Nach der Unterschrift des Präsidenten der Vereinigten Staaten oder vielleicht nach Iron Man?«
»Nach irgendeiner Anomalie.«
»Ich brauche nur dich anzusehen, da habe ich eine Anomalie.«
Das brachte Marc ins Grübeln. Nach was sollte Tom überhaupt Ausschau halten? »Such nach Personen, die dir bekannt vorkommen und die möglicherweise nicht hierher gehören.«
»Boah … habe ich vielleicht einen Kopf wie eine Bibliothek, so wie du?«
Marc setzte eine ernste Miene auf. »Jetzt reiß dich mal zusammen. So gut wie alles in diesem Haus, stammt nicht von hier, und ich bin offensichtlich der Einzige, dem das Sorgen macht.«
Mit widerwilligem Gesichtsausdruck schnappte sich Tom das Buch mit den Unterschriften berühmter Persönlichkeiten, die dieses Haus in der Vergangenheit besucht hatten, und blätterte darin herum.
Plötzlich läuteten Kirchenglocken ganz in der Nähe.
Einmal … zweimal … dreimal …
Von irgendwo her ertönte ein Summen. Erst leise, dann sachte lauter werdend. Dabei entdeckte er weitere Weingläser hinter sich in einer Glasvitrine, deren Flügeltüren mit Holz dünn umrahmt waren. Ganze zehn an der Zahl standen mittig auf einem mit blauen Samt ausgeschmückten Podest. Darüber ein Schildchen mit einem Feuersalamander darauf. Links und rechts neben den Gläsern hüllten graue Seidentücher jeweils einen Gegenstand ein. Das musste er sich aus der Nähe ansehen. Das verschnörkelte Schlösschen an der Front würde für keinen Dieb ein ernsthaftes Problem darstellen, selbst dann nicht, wenn der zierliche Schlüssel nicht im Schloss stecken würde. Auf der Beschilderung des verdeckten linken Gegenstands stand:

Drakano-fini-randermius
Von: Aringo Mannrose

Auf dem Schild des rechten Gegenstands stand:

5 Elemente Gefäß
Von: Aringo Mannrose, Tebres Kanran, Stella Bellum

In den Gläsern, die in der Mitte der Vitrine standen, entdeckte er eingraviert Namen, so wie die, die im Flur standen.

Quen
Rodrin
Stella

Tebres



»Tebres«, sprach Marc den Namen des Glases aus, das sachte wie im Chor zum Ton der Glocke mit schwang. »Weißt du, was ich glaube?«
»Na sag schon.«
»Das sind alles Zauberer, die magische Gegenstände erfunden haben.«
Tom erwiderte: »Hieß es nicht immer, dass Aringo Mannrose der Einzige seiner Zunft gewesen sein sollte?«
»Das sagt man sich in der Alten Welt«, erwiderte Marc. »Doch der Feuersalamander ist ein Zeichen der Erfindergilde.«
Tom rechnete vor. »Acht stehen im Flur, zehn hier. Was machen die Gläser von achtzehn Erfindern hier?«
Marc hob die Achseln. »Und vor allen Dingen, wo sind alle geblieben? In den letzten Jahren hat man versucht, uns so viel wie möglich von der Alten Welt beizubringen, doch von diesen Erfindern habe ich noch nie etwas gehört.«
»Es war immer nur die Rede vom bösesten aller Erfinder für magische Gegenstände.« Tom wollte sich nicht weiter ablenken lassen und blätterte weiter in seinem Buch herum.
»Weißt du, was ich glaube?«, fragte Marc
»Nein«, erwiderte Tom und las sich gelangweilt durch die Unterschriften der aktuellen Seite. »Ich bin mir aber sicher, dass du mir es gleich verraten wirst.«
»Unsere Lehrer wissen selbst nicht, dass es die alle gab.« Marc drehte am Schlüsselchen und schob die Flügeltüren der Glasvitrine auf. »Meinst du nicht, dass du allmählich zu neugierig wirst?«, fragte Tom. Für einen Augenblick hielt Marc in seiner Bewegung inne. »Wieso? Willst du nicht wissen, was das für ein Ding da drunter ist?« Als kein weiterer Protest kam, zog er die Abdeckung herunter. Zum Vorschein kam ein goldener Gegenstand, der einer Krone sehr ähnlich sah, nur dass diese auf einen Bärenkopf hätte passen können. Und statt eines Loches in der Mitte blubberte eine rote Flüssigkeit vor sich hin, die sehr viel Ähnlichkeit mit Lava hatte. Blasen bildeten sich und schienen dabei aus einer Tiefe empor zusteigen, die unmöglich mit der Höhe der Krone zu vereinbaren war. Tom erhob sich von seinem Platz. »Was ist das?«
Marc starrte wie hypnotisiert auf das blubbernde Loch. »Keine Ahnung.« Er bemerkte kaum, wie eine Gänsehaut über seinen Rücken kroch. Er machte einen Schritt zur Seite, damit sein Bruder ebenfalls Sicht darauf hatte. Nach mehreren Augenblicken und als könne es plötzlich nicht schnell genug gehen, legte Marc das Tuch wieder über die falsche Krone. Irgendetwas lauerte in dem Ding, womit man besser nicht spielen sollte.
Nun galt es zu entdecken, was sich unter dem linken Tuch befand.
Tom wippte beunruhigt mit den Füßen, was ungewöhnlich für ihn war. »Mir gefällt es nicht, dass du da an den Sachen herum fummelst.«
Marc zog das Tuch herunter und blickte in die reptilienartigen Augen eines armlangen Flugdrachen, aus dessen zu kurz geratenem Maul eine Reihe nadellanger Zähne klaffte, die Tiefseefischen starke Konkurrenz machten. Er starrte ihn aus seinen kalten Augen an, bevor er zum Leben erwachte, seine Flügel ausbreitete und ihn angriff. Marc wich zurück und hielt schützend seinen Arm hoch. Die Krallen des Drachen gruben sich tief in sein Fleisch. Marc schrie. Die Wand hinter dem Dorglachar wurde weich, wie die Wasseroberfläche eines Sees. Ein … zwei … drei … Artgenossen schossen heraus und flogen zur Decke. Der Drache vor ihm schnappte nach seinem Gesicht. Marc zog rechtzeitig den Kopf zurück und stolperte dabei zu Boden. Wie eine tollwütige Furie schnappte das Tier nach ihm. Marc versetzte sich wie im Trance und streckte ihm die Hand entgegen. Wen er diesen einen Gedanken frei ließ, würde es den Drachen in tausend Stücke zerreißen. Plötzlich spürte er die Berührung seines Bruders an der Schulter. »Was machst du denn da?« Statt in der Bibliothek zu liegen, lag Marc auf dem sandigen Boden einer hügeligen Wüstenlandschaft und sah zu ihm hoch. Allmählich löste sich die Umgebung auf und größer werdende Fetzen verdrängten die fremdartige Landschaft mit der Örtlichkeit der Bücherei. Nach wenigen Sekunden fand sich Marc rücklings auf dem Boden liegend in der Leseecke wieder. Hektisch wanderte sein Blick zur Glasvitrine. Der ausgestopfte Drache saß immer noch mit einem bedrohlichen Blick auf seinem Stein und rührte sich nicht. Trotzdem hatte Marc das Gefühl, dass Vieh verhöhne ihn, mit seiner Starrheit dort zu sitzen, so tuend, als sei nichts gewesen.
»Das Ding hat mich gerade …«, Marc sprach nicht weiter. Er wusste, wie blöd das klingen musste, für jemanden, der das nicht gesehen hatte. Doch gelegentlich vergaß er, dass sein Bruder und er anders waren. Tom stand neben ihn und sah ihn an, als wisse er genau, was er gerade erlebt hatte. »Du wolltest doch nicht etwa die Bibliothek in die Luft jagen?« Er reichte ihm die Hand und half ihm auf die Beine.
Marc war dankbar für die sonderbare, emotionale Beziehung, die zwischen ihm und seinem Zwillingsbruder herrschte. Es machte häufig jedes Wort überflüssig, weil der eine immer den anderen spüren konnte und wusste, wie es ihm gerade ging. Diese Verbindung hatte auch ihre Tücken. Würde jemand auf die Idee kommen, sie gewaltsam zu trennen, würden beide schlimm daran erkranken oder sogar zugrunde gehen. Das war ein Geheimnis, das sie auf jeden Fall für sich behalten mussten.
»Das hast du nun davon, wenn du zu neugierig wirst«, meinte Tom.
Marc blickte auf seinen Arm, den der Drache zerfleischt hatte.
»Da ist nichts«, sagte sein Bruder. »Nur gut, dass ich deine Hallus nicht habe.«
Marc erhob sich und klopfte sich erst einmal die Hose ab, als müsse er kiloweise Wüstensand loswerden.
»Auch da ist nichts«, ermahnte ihn Tom.
Marc war immer noch sehr aufgeregt und wollte erzählen. »Du kannst dir nicht vorstellen … «
»… doch kann ich«, unterbrach ihn Tom.
»Da … da war … «
»… ich weiß das. Jetzt beruhige dich mal wieder. Es ist nichts passiert. »Lass uns lieber keine Zeit verschwenden und weitersuchen, wenn du mich schon mit Büchern nötigst.« Tom hielt kurz inne. »Das war aber keiner der Drachen, die wir gesehen haben, als wir in der Alten Welt waren.«
Marc schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Es sah anders aus, kleiner, hatte aber dennoch verdammt viel Ähnlichkeit mit den Viechern. Vielleicht … vielleicht waren das deren Vorgänger, so sahen sie wenigstens für mich aus.«
»Kann schon sein.« Tom setzte sich am Tisch und suchte weiter.
Bevor er weiter recherchierte, richtete Marc in der Vitrine alles so her, wie es gewesen war. Danach las er flüchtig etwas über die Entstehung von Saarbrücken und seine erste namentliche Erwähnung als Sarabruca im Jahr 999. Bereits in dem Jahr gab es eine Bücherei, mit dem Namen Bibliotheca ars Magica. Das Besondere daran war, dass von dort aus bereits Zeitschriften mit Bildchen für Kinder mit dem lateinischen Titel Magia pro Haedos, also  Magie für Kinder gedruckt und verschickt wurden. Einmal im Monat erschien es in einer Sprache aus der Alten Welt, lange bevor der erste offizielle Buchdruck in Europa 1450 in Mainz begann.
»Tom, sieh mal, was ich gefunden habe.« Marc hielt ihm seine Buchseite hin.
Tom sah sich die kopierten Seiten der damaligen Zeitschrift in dem Buch an. »Kein Mensch auf dieser Welt hätte das lesen können.«
Marc nickte. »Genau.«
»Für wen wurde es dann gedruckt?«
Marc sah sein Bruder an, ohne etwas zu sagen.
»Du meinst, hier lebten Magier aus der Alten Welt?«
»Genau das denke ich. Vielleicht sogar mit ihren Familien.«
»Aber wieso?«
»Das ist die Frage. Wieso?«
»Ich habe auch etwas gefunden«, meinte Tom und schob ihm sein Buch mit den Unterschriften aller berühmten Persönlichkeiten, die diese Bibliothek jemals besucht hatten, unter die Nase. Dabei stach eine Unterschrift aus dem Jahr 1960 Marc sofort ins Auge.

Bijan Steiner

»Der schwarze Reiter«, sagte er.
Tom nickte. »Du weißt, wie er war und wo er herkam.«
Marc erinnerte sich an die schrecklichen Geschichten, die man sich in der Alten Welt über ihn erzählte. »Er war der meistgefürchtete Mörder seiner Zeit. Niemand war vor ihm sicher. Wenn es einen Auftrag erforderte, meuchelte er ganze Königsgarden in einer Nacht nieder.
Er hinterließ immer irgendwo ein Erkennungszeichen. Er wollte, dass die Menschen Angst vor ihm hatten.«
Tom schien nicht recht zu verstehen. »Aber wieso hat er seine Unterschrift in dem Buch hinterlassen?«
»Ich glaube, ich weiß warum.« Marc präsentierte eine Seite in seinem Buch, die er gefunden hatte. »Hier, sieh mal. Im Jahr 1960 wurde die Bibliothek von einem unbekannten, in Schwarz gekleideten Mann auf einem Pferd in Brand gesteckt. Alles brannte nieder, bis auf den Keller, der aus Felssteinen gebaut worden war. Niemand wusste, woher der schwarze Reiter kam. Doch so schnell, wie er gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Nach dem Brand waren die Passanten erleichtert, nachts endlich nicht mehr die seltsamen Gesänge der Bibliothek hören zu müssen. Doch nur zwei Tage später hatte über Nacht jemand die gesamte Bibliothek wieder aufgebaut und nach nur einer Woche wurde sie unter dem neuen Namen Der Bücherwurm wiedereröffnet. Danach vernahmen Passanten jeden Abend wieder die klagenden Laute, so, als sei nichts gewesen.«
Tom schüttelte den Kopf. »Aber was hat das mit Bijan zu tun?«
»Verstehst du nicht? Irgendjemand hat ihn beauftragt, denn seine Unterschrift steht in dem Unterschriftenbuch.«
»Ich unterbreche Sie nur ungern«, sagte eine Frauenstimme.
Marc blickte auf. Die Bibliothekarin war ihm von Anfang an etwas seltsam vorgekommen. Sie trug eine schwarze Burka, unter der selbst die Augen der Frau nicht erkennbar waren. Der Stoff war nicht glatt, wie man es von vielen muslimischen Religionen her kannte. Stattdessen verzierten dunkelrote Stickereien von Tierbildern den Stoff. Es waren die gleichen Darstellungen, die er als Köpfe der Statuen im Flur schon gesehen hatte.
»Ich möchte Sie bitten, die Bücher wieder zurückzubringen«, sagte die Bibliothekarin, »wir schließen in fünf Minuten.«
»Ja natürlich«, erwiderte Marc. Noch bevor die Bibliothekarin sich abwenden konnte, fragte er: »Die Gläser, die dort in der Vitrine und im Flur stehen, gibt es davon noch mehr?«
»Ja natürlich. Von den Gläsern gibt es ganze 26 an der Zahl. Acht stehen im Flur, zehn in der Vitrine und der Rest steht in der ehemaligen Druckerei im Keller.«
»Wem gehören sie?«
»Die Gläser gehörten einst den Erfindern, die früher hier in der Stadt lebten.«
»Und was sind das für Gerätschaften, dir dort verdeckt in der Glasvitrine liegen?«, fragte Marc.
»Diese Stücke sind leider nicht für die Ausstellung bestimmt. Doch hierbei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt aller Erfinder der vergangenen Zeit.«
»Und was war das für ein Gemeinschaftsprojekt?«
»Tut mir leid … darüber habe ich leider keine Information.«
»Was ist aus den Erfindern geworden?«, bohrte Marc nach.
Die Frau schwieg einen Augenblick, bevor sie antwortete: »Das kann ich leider nicht beantworten. Diese Informationen sind vertraulich.«
Tom sah Marc an und wartete auf irgendeine Reaktion.
Marc meinte: »Danke. Wir gehen.« Er zog sich die Jacke an, die über die Rückenlehne des Stuhls hing, nahm die Bücher vom Tisch, klemmte sie sich unterm Arm und verließ die Leseecke. Die Bücher stellte er wieder an ihre Plätze. Anschließend versteckten sie sich auf dem Klo.
Erst als die Bibliothek geschlossen worden war und Luft rein war, trauten sie sich wieder heraus. Bis auf das Brummen der Minimalbeleuchtung war weit und breit nichts zu hören. Sie liefen an den Statuen im Flur vorbei, deren Schatten im schwachen Lichtschimmer sich zu bewegen schienen.
»Nach was suchen wir überhaupt?«, fragte Tom im Flüsterton.
»Nach dem Zugang zum Keller.«
»Was willst 'n da?« Tom sah mit besorgter Miene zu der Statue mit dem Widderkopf empor. »Wenn das hier schon so aussieht, möchte ich gar nicht wissen, wie es im Keller abgeht.« Er hielt Marc an der Schulter fest. »Sieh mal. Was ist das?«
Die Statue vor ihm schien im schwachen Licht zu pulsieren, mal heller, mal dunkler.
»Ich weiß nicht.« Marc streckte die Hand aus und legt sie auf den Fuß der Statue. In einer Gedankenexplosion erschien ihn ein Mann in einem seidenen Gewand, dessen edler Zuschnitt auf einen sehr hohen gesellschaftlichen Stand schließen ließ. Goldschmuck am Hals und an den Fingern komplettierten den Eindruck. Sein charmantes Lächeln verwandelte sich plötzlich zu einer schmerzverzerrten Fratze, während sein Mund zu einem gigantischen, schwarzen Schlund wurde, der ihn anschrie.
Jemand packte ihn an der Schulter und riss ihn weg. Als die Bilder aus seinem Kopf verschwanden, fand er sich sitzend auf dem Flurboden wieder.
»Das ist heute schon das zweite Mal, dass ich dir den Arsch rette.« Tom reichte ihm die Hand. »Musst du immer gleich alles anfassen, wenn du etwas Interessantes siehst?«
»Hast du das gesehen?«, fragte Marc, der völlig neben sich stand.
»Natürlich. Trotzdem könntest du deine Hände öfters mal bei dir behalten.«
»Hier muss etwas Schreckliches passiert sein.«
»Kanntest du den Typ?« Toms Stimme klang wieder relativ gelassen.
»Nein. Aber er trug eine Halskette mit einem Widderkopf als Medaillon.«
»Das Reich Korvia.« In Toms Stimme schwang etwas Bedrohliches mit.
»Ich glaube, das war ein Prinz.«
»Wieso finden sich die Reste eines korvianischen Prinzen in einer Statue wieder?«
»Ich glaube, das sind nicht irgendwelche Reste. Das sind die Überreste seiner Seele.«
Tom sah ihn entsetzt von der Seite an. »Wieso tut man so was und wofür?«
Marc untersuchte eine Tür, die sich gegenüber der Statue befand. »Verschlossen.« Er legte seine Finger auf den äußeren Schließmechanismus, suchte nach der richtigen Position und spürte die Funktionsweise des Schlosses. Viele kleine Stifte, die wie ein Bart das Drehen des Zylinders verhinderten. Er schloss die Augen und leitete gerade nur so viel Kraft in das Schloss hinein, dass die blockierenden Stifte sich je nach Erfordernis auf oder ab bewegten. Mit einem Klacken bestätigte das Schloss, dass es überlistet worden war. Die Tür sprang auf.
»Wieso hat denn das so lange gedauert?«, stichelte Tom von der Seite.
»Mit deiner bevorzugten Methode würden wir von der Polizei gesucht werden.« Marc betätigte den Lichtschalter und sie schlichen in den Keller, der eher an ein Museum erinnerte als an eine Bücherei. Sie schlenderten an unzähligen Vitrinen vorbei, in denen allerlei altes Zeugs wie Schwerter, Streitäxte, Morgensterne ausgestellt waren.
Bei einem Schriftstück blieb Marc stehen. »Tom, hier ist etwas. Hier stehen alle Namen der Erfinder, die im Dienste der Erfindergilde während der Arbeit ihr Leben verloren haben. Ihre Namen finden sich auch auf den Gläsern wieder.«
»Und nirgendwo steht geschrieben, woran sie gearbeitet haben?«
Marc suchte weiter und blieb vor einer großen Maschine stehen. »Nein. Sieh mal, auf den Platten der alten Druckerpresse befinden sich überhaupt keine Buchstaben.« Er strich mit seinen Fingern über die glatte Oberfläche.
Tom kam von hinten ganz dich an sein Ohr und flüsterte. »Wenn ich dich das nächste Mal wieder aus einer deiner verrückte Vision retten muss, lass ich dich erst einmal ein bisschen zappeln.«
Marc zog hastig seine Hand zurück.
Tom blieb vor einem offenen Regal neben der Druckerpresse stehen. »Sieh mal, ich habe noch mehr Gläser gefunden.«
Marc las die eingravierten Namen:

Arold,
Beo,
Cesar,


»Fällt die etwas auf, Tom?«
»Das da Namen bei sind, die heute kein Mensch mehr benutzten würde?«
»Das meine ich nicht. Die Gläser wurden von den Namen her in alphabetischer Reihenfolge aufgestellt. Und die restlichen aus dem Alphabet stehen oben.« Marc entdeckt noch zwei weitere Statuen, deren Gesichter, wie schon bei den anderen im Flur, schmerzverzerrt in den Himmel schrien.
»Sie mal, die pulsieren auch«, sagte Tom.
Als Marc seine Hand ausstreckte, meinte sein Bruder misstrauisch von der Seite. »Ich weiß, was du vorhast.«
»Es muss sein. Ich muss wissen, was da los ist. Vielleicht gibt es hier die Antwort.« Marc blickte zu Statue mit dem Harpyiekopf auf. »Du wirst wissen, wann du mich da herausholen musst.«
»Du kannst dich auf mich verlassen, Bruderherz.«
Als Marcs Finger den Fuß der Statue berührten, erschien ihm in einer Gedankenexplosion ein Hyriminder. Ein goldenfarbenes Federkleid überzog das menschenähnliche Wesen, das von der Größe her nur knapp unter einem Türrahmen hindurch passte. Es hatte geschlossene Augenlider und schien zu meditieren.
»Ich kenne sie von einem Bild der Königsfamilie her«, sagte Marc vorsichtig zu dem Vogel. »Du bist Miram Nicabar, die erste Tochter des verstorbenen Königs Meridrians Karaf Nicabar. Oder auch kurz: Die verlorene Prinzessin.«
Miram rührte sich nicht.
Marc sah zu ihr auf. »Was tun sie hier?«
Gemächlich, als hätte sie jemand aus einem Trance geweckt, öffnete sie die Augen. »Du begibst dich auf einen gefährlichen Pfad, Melian Mortland. Du und dein Bruder solltet nicht hier sein.«
Als Marc den Namen hörte, der in der Alten Welt sein eigentlicher Name war, spürte er eine besondere Kraft in sich aufsteigen, eine Stärke, die nur auf den Tag wartete, an dem sie entfesselt würde. »Ich wohne in der Welt, in der die Bibliothek steht. Was ist das alles hier?«
Mirams Augen wurden wässrig, als müssten sie etwas Schmerzvolles verkraften. »Ein Verbrechen … ein Verbrechen des größten Erfinders der Alten Welt.«
»Aringo Mannrose«, sagte Marc. »Ich habe so ein kronenähnliches Ding und Gläser, die Klänge von sich geben, oben in der Leseecke entdeckt. Doch was hat er mit all dem zu tun?«
Miram verzog den Mundwinkel, als kämpfe sie gegen den Drang an, schreien zu müssen. Mit vibrierender Stimme antwortete sie: »Der magische Langstab Rochus. Das, was du gesehen hast, das kronenähnliche Ding, ist das Werkzeug, mit dem er erschaffen wurde.«
»Das Fünf-Elemente-Gefäß«, sagte Marc ehrfürchtig.
»Du musst es zerstören. Es enthält 26 gefangene Seelen der Erfindergilde und die Gläser sind mit ihnen im Inneren Verbunden. Die Statuen stehen neben den Gläsern repräsentativ für das reine Blut der fünf Prinzenseelen.«
»26 Seelen und 26 Gläser.« Marc spürte den Schmerz, der Miram zu verzehren drohte. »Seelen … wo zu benötigt jemand die Seelen anderer Leute?«
Mirams Augenlider zitterten: »Aringo … Aringo brauchte sie, um das Fünf-Elemente-Gefäß herstellen zu können. Nur nur durch die in den Seelen enthaltende magische Macht, wurde es möglich, eine solch vernichtende Waffe zu erschaffen.«
»Wie machen wir das Gefäß unschädlich?«
Miram versuchte etwas zu sagen, zumindest formten ihre Lippen Wörter, für die die Stimme jedoch ausblieb. Ihr Körper zitterte. Plötzlich riss sie ihren Mund auf und es verwandelte sich zu einem gigantischen Schlund, aus deren tiefe Schwärze ein verwüstender Schrei heraus platzte.
Marc wurde schwarz vor Augen und er verlor das Bewusstsein.
Die Stimme seines Bruders holte ihn in die Wirklichkeit zurück. »Marc … Marc … alles okay.« Dabei spürte er sachte Schläge abwechselnd auf seiner linken und rechten Wange.
Marc hob schützend seinen Arm vors Gesicht. »Höre auf, es geht schon wieder.« Er setzte sich auf. »Wir … wir müssen es zerstören.«
»Nur wie?«
Marc griff nach der Hand, die sein Bruder ihm reichte und stand auf. »Was weiß ich. Wir treten einfach darauf herum, schmeißen es gegen die Wand oder auf die Straße, damit ein Lkw darüber fahren kann, wie auch immer, ich habe keine Ahnung.«
Tom meinte: » Pssst … hörst du das?«
»Was soll ich hören?« Marc bemerkte zu spät, dass die Glocken der nahen Kirche läuteten.
»Das waren zwölf Mal.« Tom sah irritiert auf seine Armbanduhr. »Waaaas … wir haben 0:00 Uhr.«
Marc erschrak. Seine Armbanduhr bestätigte die Uhrzeit. »Ich war ein paar Stunden bei Miram. Wie ist das möglich?«
Ein Säuseln schlich durch die Luft. Erst ganz leise, dann nahm es sachte an Intensität zu, als fürchte es sich, jemanden zu stören.
Tom deutete auf die Statue von der Harpyie, aus der ein handgroßer Lichtschimmer entwich.
»Das ist Mirams Geist«, sagte Marc.
Von der Statue daneben, ein menschlicher Körper mit dem Kopf eines Waschbären oben drauf, geschah dasselbe. Auf dessen Sockel stand der Name: Horum Kroran. Das gleichnamige Glas vibrierte im Gleichklang mit seinem entwichenen Geist. Aus den anderen Gläsern daneben lösten sich ebenfalls Geisterschemen und alle Gläser summten in einen anderen Ton, wie als spiele jemand eine unvollständige Tonleiter herauf und wieder herunter.
»Was geht hier vor sich?«, fragte Tom, dem die ganze Sache merklich Unbehagen bereitete.
Marc entdeckte an der Treppe zum Erdgeschoss noch weitere Geister. »Ich glaube, die kommen von oben. Jetzt weiß ich, was die Passanten, die hier zufällig Mitternachts vorbeiliefen, gemeint haben. Das sind die Gesänge der toten Erfinder.«
»Was machen wir jetzt?«
»Kurzen Prozess. Du hast gesehen, was Miram uns sagte. Aringo hält hier alle in seiner Erfindung gefangen. Ich hole das Fünf-Elemente-Gefäß von oben und dann zerschlagen wir es mit dem Schmiedehammer.« Er deutete auf eine Vitrine, in der einer ausgestellt war. Danach machte er sich auf den Weg und kehrte mit einem im Seidentuch eingewickelten Gegenstand wieder zurück. Im gesamten Haus waren die Gesänge der Gläser zu hören gewesen. Wie wild flogen die Geister vor ihnen hin und her, als wollten sie ihnen etwas mitteilen. Doch so sehr sich auch bemühten, kein Wort entwich ihren Lippen. Stattdessen nahmen die Gesänge der Gläser immer skurrilere Formen an. Tom hielt den Hammer schon in den Händen, als Marc das Fünf-Elemente-Gefäß auf dem Boden ablegte.
»Geh zur Seite.« Tom holte aus und schlug mit solch einer Geschwindigkeit auf die Krone ein, dass Marc seine Bewegung nur als flüchtiges Schema sah. Es knallte fürchterlich, Metallsplitter flogen durch die Gegend, als der Kopf des Hammers in kleine Einzelteile zersprang. Selbst vom Stiel war nur noch ein zersplitterter Stumpf übrig, der an Toms Hand endete. Das Glas mehrerer Vitrinen ging von den Überresten des Metallkopfes klirrend zu Bruch. Das Gefäß hingegen lag unbeschädigt auf dem Boden. »Na toll«, meinte Tom grummelig. »Jetzt sollen wir etwas zerstören, was nicht zerstört werden kann.«
Marc blickte zu den handgroßen Geistern auf, die wie von Bienen gestochen wild umherflogen. »Was ist mit denen los?« Der Geist von Miram kam ganz dich an Marcs Gesicht heran. Sie formte mit ihren Händen ein Trichter um ihren Mund. Danach zeichnete sie etwas in der Luft. Das wiederholte sie einige Male.
»Sie zeichnet ein Weinglas«, sagte Marc spontan. »Wir brauchen die anderen Weingläser.«
Tom sah ihn verdutzt an. »Wofür?«
»Erkläre ich dir nachher. Wir brauchen hier alle Gläser.«
 »Ich hole sie.« Kaum hatte er das gesagt, war er auch schon verschwunden.
Marc stellte die Gläser aus dem Schrank in Reihe auf die Druckplatte der Maschine. Tom kam mit den anderen Gläsern im Arm und stellte sie ab. »Sorry, das sind noch nicht alle. Bin sofort wieder zurück.« Als er wieder da war, sortierte Marc die Gläser nach dem Alphabet.

Arold
Beo
Cesar
Dorian
Erold
Fanro
Gandrial
Horum
Iingomar
Jasper
Koridum
Landrom
Miram
Novi
Orav
Patricia
Quen
Rodrin
Stella
Tebres
Udina
Vorta
Welwe
Xandria
Yiling
Zara

»Die Nachnamen musst du ausblenden. Die sind unwichtig«, erklärte Marc.
»Wow … wo her hast du das gewusst?«, staunte Tom.
»Die Sortierung ist mir bei den letzten Gläsern im Regal schon aufgefallen. Erst habe ich mir nichts dabei gedacht. Als Miram andeutete, mir etwas sagen zu wollen, ging mir ein Licht auf. Jeder Geist hat sein eigenes Weinglas mit einem ganz individuellen Klangbild. Und auf jedem Weinglas wurde der erste Buchstabe des Namens im Schriftbild besonders groß dargestellt.« Marc wandte sich an Mirams Geist. »Ist es das, was du wolltest?«
Der kleine Geist klatschte in die Hände. Sie gestikulierte wild in der Luft herum und rief ihre Freunde zusammen, bis sie in Reih und Glied vor ihnen schwebten.
»Ich verstehe gar nichts mehr«, sagte Tom und sein Gesichtsausdruck verriet, dass er abgeschaltet hatte.
»Du hast gesagt, wir müssen das Fünf-Elemente-Gefäß zerstören. Nur wie? Du hast gesehen, es klappt einfach nicht.«
Ein Geist von Iingomar schnellte hervor und sein Glas fing an zu summen. Danach folgte Horum und sein Glas summte. Dann flog Rodrin vor. Es kam eine Pause. Schließlich kamen Stella, Erold, Iingomar und Dorian hervor.
Marc übersetzte. »Iingomar für I. Horum für H. Rodrin für R. Die Pause steht für ein Leerzeichen. Stella, Erold, Iingomar und Dorian stehen für SEID. Also meinst du bisher IHR SEID« Er sah zu Miram auf. »Ist das richtig?«
Der kleine Geist klatschte in die Hände. Danach ging es weiter. Nacheinander schnellten die Geister hervor und ihre summenden Gläser bildeten den Satz:

»Ihr seid auf dem richtigen Weg.«
Danach folgte der Satz:
»Um das Fünf-Elemente-Gefäß zerstoeren zu koennen, benoetigt ihr Feuersbrunst.«

Tom wurde sofort hellwach. »Das Schwert. Ich hole es.«
Als Tom loswollte, erschien die Bibliothekarin am Fuß der Kellertreppe. Ihre Burka blähte sich auf unnatürliche Weise auf, als würde sie jemand von innen aufpumpen, bis sie dreimal so groß war. »Ihr … «, donnerte eine grollende Stimme. »Ihr seid nicht die, für die ihr euch ausgebt! Mederick und Melian Mortland. Ihr seid die, die der Meister sucht.«
»Was machen wir jetzt?«, fragte Tom leise.
»Keine Ahnung.«
Miram sah sie an. Die kleinen Geister schnellten wieder nacheinander hervor und formten den Satz:

 »Der Name der Waechterin ist Xandria.«

Marc überlegte. »Xandria … Xandria …« Da machte es Klick. »Ihr Name steht auf einem der Gläser. Sie ist in dem Fünf-Elemente-Gefäß gefangen.« Er wandte sich an seinen Bruder. »Tom, wir brauchen das Schwert … dringend!«
»Du hast gut reden, wenn die sich aufbläht wie ein Michelinmännchen. Wie soll ich an der vorbeikommen.«
»Ich lenke sie ab und du holst das Schwert.«
»Gebongt.«
Marc trat hervor und stellt sich der Bibliothekarin entgegen. »Hier bin ich. Wollten sie mich nicht?« Er konzentrierte sich ganz auf das Ding vor der Treppe. Er spürte eine erstarkende Kraft darin heranwachsen. Eine, die ihm gefährlich werden konnte. Plötzlich empfing er Bilder von Xandrias früheren Leben, als sie noch ein Mensch war und eine Familie hatte. Ihre Tochter Yiling hatte sehr große Ähnlichkeit mit ihr. Marc musste sie reizen, sie aus der Reserve locken. »Na, wie ist es ein Sklave Aringos zu sein …?«
Nichts geschah.
»… und die eigene Tochter an ihm zu verkaufen? Yiling heißt sie nicht wahr?«
So flink wie der Sprung eines Jaguars stürzte sich die Bibliothekarin auf Marc. Ebenso reaktionsschnell schob Marc seine Hände schützend nach vorne und fokussierte seine Gedanken auf einen zentralen Punkt. Eine transparente Barriere, die wie eine unsauber gefertigte Glaswand aussah, schob sich zwischen ihnen, sodass die Bibliothekarin mit voller Wucht und einem lauten Plong dagegen rannte. Dem ersten Stoß konnte er noch standhalten. Doch die Kraft, mit der sie drückte, war immens. Marcs Füße rutschten nach hinten, bis ein schwerer Holztisch ihm den Weg versperrte. Tom hatte es indes nach oben geschafft. Marc presste mit aller Kraft dagegen. Es reichte jedoch nicht. Immer näher kam die gläserne Barriere, die er selbst geschaffen hatte, und drohte ihn am Tisch zu zerquetschen. An seinem linken Fuß entdeckt der er das unbeschädigte Fünf-Elemente-Gefäß, dass ihm jetzt auch nicht mehr helfen konnte. »Wir können sie befreien … deine Tochter … wir können euch befreien … euch beide … «
Der Druck in der Barriere ließ etwas nach. Tom erschien hinter der Bibliothekarin. Aus dem Langschwert in seinen Händen loderten Flammen, die gierig darauf warteten, jemanden verschlingen zu können. Der Ton, den es von sich gab, erinnerte an verschmorendes Plastik. Tom sah ihn an und sagte: »Jetzt.«
Marc kickte das Fünf-Elemente-Gefäß seitlich zu seinen Füßen in Richtung Tom. Mit einer eleganten Drehung um die eigene Achse schlug er das Gefäß in der Luft in zwei Teile. Mit einem lauten Knall zersprangen alle Gläser zu Staub, danach platzten die Statuen. In den Gesichtern der kleinen Geister tauchte eine unendliche Erleichterung auf, bis sie sich ins Nichts auflösten. Die Burka der Bibliothekarin fiel wie eine leere Hülle zu Boden. Das Haus, in dem Tom und Marc standen, schimmerte leuchtend auf, bevor es sich auflöste. Die Zwillinge fanden sich im dunklen Mondschein auf einer Wiese wieder. Das Schwert in Toms Händen war verschwunden. »Na toll. Nach dieser Aktion kannst du sicher sein, dass Aringo Mannrose weiß, wo wir uns befinden. Jetzt dürfen wir wieder umziehen.«
Marc stemmte die Hände in die Hüfte. »Ja. Ob wir jemals eine Heimat finden werden, in der wir bleiben können? Wenigstens haben ein paar ihren Frieden gefunden. Auf Wiedersehen Miram. Ihr seid nun frei.«

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Bananenfischin
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Silberne Harfe



Beitrag23.02.2024 20:04

von Bananenfischin
Antworten mit Zitat

Vom roten Teppich in den Einstand verschoben.
Herzlich willkommen bei uns. Deine ersten beiden Werke musst du im "Einstand" posten (es sei denn, du postest Fortsetzungen aus einem Werk, die dann bitte alle in einen Thread), danach stehen dir die "Werkstatt" und das "Feedback" offen.


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Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge

Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft

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M.J.Bartling
Erklärbär
M

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M
Beitrag23.02.2024 20:22

von M.J.Bartling
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke, fürs Verschieben.
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