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Taranisa Bücherwurm
Alter: 55 Beiträge: 3227 Wohnort: Frankenberg/Eder
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27.10.2023 10:04 Wie viel Spiritualität in Histo wird akzeptiert? von Taranisa
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Hallo ihr Lieben,
aktuell schreibe ich einen Histo u.a. aus der Sicht einer Seherin. Auch wissenschaftlich sind Seherinnen / Schamaninnen anerkannt (u.a. "Das Rätsel der Schamanin" von Meller und Michel, Forschungen zur Trance, frühe Berichte zu sog. Andersweltreisen). Während Runenlegungen im Roman gar kein Problem darstellen, frage ich mich, wie die Leserschaft wohl geschilderte Trancereisen, Kommunizieren mit Geistwesen und das Erspüren von Energien annimmt. Ja, auch da gibt es Unterschiede von jenen, die sich mit Schamanismus beschäftigen und die Möglichkeiten kennen, bis zu denen, die das für kompletten Humbug halten. Andererseits existieren Histos wie "Die Hexe von Paris", in denen die Prota über seherische Fähigkeiten verfügt.
Wie würdet ihr in einem solchen Fall vorgehen? Wo würdet ihr die Grenze zwischen "allgemein anerkannt" und "von zu wenigen anerkannt, daher Fantasy" ziehen?
Vielen Dank für eure Antworten.
_________________ Henkersweib, Burgenwelt Verlag, ET 12/18
Die Ehre des Henkersweibs, Burgenwelt Verlag, ET 12/20
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BerndHH Klammeraffe
Alter: 60 Beiträge: 971 Wohnort: HH
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27.10.2023 10:11
von BerndHH
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Hallo Taranisa,
das ist eine spannende Frage. Meinst Du mit Spiritualität = Animismus, also den Glauben an die belebte Natur?
Du schreibst, wenn ich mich recht erinnere, eine Geschichte aus der Zeit der Sachsenkriege, oder? 772 bis 804 n. Chr.?
Ich glaube zu dem Zeitpunkt wurde Animismus/Schamanismus nicht mehr praktiziert.
_________________ Michel Teló – Ai se eu te pego
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Dyrnberg Klammeraffe
Beiträge: 569 Wohnort: Wien
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27.10.2023 10:19
von Dyrnberg
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Ich lese gerne historische Sachen, aber bin als Leser sofort raus, wenn es esoterisch wird. Es könnte jedoch sein, dass ich hierbei eher der untypische Histo-Leser bin. (Wahrscheinlich bin ich das, denn ich bin auch sofort raus, wenn es eine "Romance" wird.)
Dass Esoterik und Aberglaube und Humbug jedoch in bestimmten Epochen eine große Rolle eingenommen haben, ist unbestritten, daher müssen/können sie natürlich in einem Roman vorkommen. Die Frage ist nur, wie. Wenn "die Seherin" eine Hauptfigur ist und ich mir als Leser seitenlang ihre Trancereisen durchlesen muss, und diese Trancereisen dann tatsächlich zu einer Erkenntnis führen, die sonst nicht möglich gewesen wäre (z.B.: Sie sieht, wer irgendeinen Mord begangen hat), dann wäre das für mich esoterischer Bullsh**, bei dem ich das Buch zuklappe. Wenn "die Seherin" jedoch eine Figur im Roman ist, die behauptet, seherische Fähigkeiten zu haben und fast alle im Dorf glauben ihr... dann stört mich das gar nicht. War ja wahrscheinlich Teil der Lebenswirklichkeit damals.
Tipp: Mach es so, wie so viele (fast alle?) es machen. Stell der "Esoterik-Figur" eine zweifelnde Figur gegenüber, die skeptisch ist und skeptisch bleibt. Dann fühlt sich auch der skeptische Leser abgeholt.
_________________ Ein Roadtrip durch die Philosophie: "Die Nacht der Fragen und der Morgen danach" (Roman) |
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BerndHH Klammeraffe
Alter: 60 Beiträge: 971 Wohnort: HH
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27.10.2023 10:19
von BerndHH
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Stammesverband der Sachsen seit dem 3. Jhrdt. In der Wikipedia ist von einem Pferdekult der Altsachsen die Rede.
Man findet Hinweise auf eine Naturreligion, von Heiligtümern, Quellen, Bäumen (Irminsul), Felsformationen (Externsteine) ...
Da es keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, fangen mittelalterliche Chroniken meines Wissens erst mit der Zwangschrisianisierung an und alles davor lag in einem nebeligen Graubereich des Heidnischen, was dann von den christlichen Missionaren als Satanisch verteufelt wurde.
Ich denke, man sollte unbedingt nach dem Sieg Karls des Großen auch jegliche Erinnerung an alte Naturreligionen für immer ausmerzen.
Damit sich niemand mehr daran erinnern sollte. Es scheint sehr gründlich gewesen sein, denn die Zwangschristianisierung war überaus erfolgreich.
Was blieb sind vielleicht Dinge wie Aberglaube u.ä.
_________________ Michel Teló – Ai se eu te pego
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BerndHH Klammeraffe
Alter: 60 Beiträge: 971 Wohnort: HH
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27.10.2023 10:25
von BerndHH
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Da stimme ich Dyrnberg zu.
Es hängt davon ab, wie man es aufmacht und wie glaubhaft das Narrativ ist, welches Du entwirfst oder meinst, dass es in die jeweilige Zeit passt.
Das Germanentum ist im der geschichtlichen Abfolge allerdings voller Mythen, die heute längst widerlegt wurden. Meine Empfehlung: mach etwas mit dem angeblichen Pferdekult der Altsachen. Pferdeopfern etc.
Fetische wie Rinderschädeln an Holzpfählen oder an germanischen Langhäusern drapiert hast Du - doch was waren ihre Bedeutung?
Aber es ist ein Bereich, von dem wir sehr sehr wenig wissen und über das religiöse Leben der Germanen haben wir so gut wie überhaupt keine Vorstellung.
Du kannst es aber vielleicht umgehen, indem Du Deinen Schwerpunkt auf die Franken unter Karl dem Großen legst und seine|ihre Sicht auf den Feldzug gegen die "letzten Barbaren".
_________________ Michel Teló – Ai se eu te pego
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Merlinor Art & Brain
Alter: 72 Beiträge: 8670 Wohnort: Bayern
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27.10.2023 10:51
von Merlinor
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Hallo Taranisa
Ich würde mir an Deiner Stelle diesbezüglich keine Gedanken um Leserreaktionen machen. Deine Protagonistin ist Seherin, also beschreibe ihr Handeln und Leben aus ihrer Sicht.
Ja, dadurch wirst Du Leser abschrecken, die mit Spiritualität in Romanen nichts anfangen können.
Die sollten einen Roman, der eine Seherin als zentrale Protagonistin hat, aber gar nicht erst anfangen zu lesen, denn der behandelt zwangsläufig Erfahrungen und Glaubensfragen aus diesem Bereich.
Du hast Dich für eine Protagonistin entschieden, die Seherin ist, also beschreibe ihr Leben und ihre Erfahrungen in einer Weise, die Dich selbst zufriedenstellt, ohne auf die Leserschaft zu schielen.
LG Merlinor
_________________ „Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“
MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942 |
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Taranisa Bücherwurm
Alter: 55 Beiträge: 3227 Wohnort: Frankenberg/Eder
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27.10.2023 11:45
von Taranisa
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Vielen Dank für eure Antworten.
Seitenlange Trancereisen sind es nicht, keine Angst Und ich gehe sparsam damit um.
Visionen werden sogar in Zusammenhang mit Hildegard von Bingen beschrieben, somit glaubten die Menschen auch im christianisierten Hochmittelalter daran. Ganz "erfolgreich" war der Frankenkönig in seinem Zerstörungswahn - auch der Irminsul und dem heidnischen Tempel inkl. Priesterschaft dort - nicht. Was vorher als natürliche Spiritualität gelebt wurde (alles ist beseelt), überlebte als sog. Aberglaube: Räucherungen, Schutzamulette, übers Julfeuer springen, Zeichen der Natur deuten ... Vieles übernahm die Kirche. Und wer hat nicht schon Dinge erlebt, die rationell nicht erklärbar sind? Allein, wenn wir einen Raum betreten, spüren wir die Stimmung in diesem. Bei der Trance schwingen die Gehirnwellen bewusst gesteuert, z.B. durch Atemtechniken, Trommelrhythmus u.ä., wie kurz vor dem Einschlafen, bei gleichzeitiger Wachheit.
Meine Prota befindet sich bei ihren Geistreisen in einem solchen Zustand (ich kann ja das Eintauchen in die Trance zum Verständnis an passender Stelle am Anfang beschreiben). Die Bilder und Informationen aus diesen Geistreisen muss sie natürlich interpretieren. Sie spricht auch mit Dingen, da alles beseelt ist, und erhält Informationen - Skeptiker könnten es als "inneren Dialog" sehen.
Mit Pferdeopfer habe ich als Tierschützerin ein Problem, nachweislich geopfert wurden jedoch auch die Waffen der Feinde. Bei historischen Fragen würde ich mich, falls ich selbst nicht fündig werde, an eine gute Bekannte wenden. Sie hat Archäologie studiert.
_________________ Henkersweib, Burgenwelt Verlag, ET 12/18
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BerndHH Klammeraffe
Alter: 60 Beiträge: 971 Wohnort: HH
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27.10.2023 12:41
von BerndHH
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Hi Taranisa,
ich gebe nur noch eins zu bedenken: die Gesellschaft der Jäger- und Sammler, also die Vorgänger der Germanen, war tatsächlich anamistisch und konnte sich diesen Dingen anscheinend mehr widmen als die arbeitsteilige Gesellschaft eines germanischen|altsächsischen Dorfes?
Was ich in Erfahrung gebracht habe - existierte bei den Rhein-Weser-Germanen keine Priesterkaste von Geburt an, sondern es war eine Funktion, die ein vorheriger Kriegerfürst annehmen konnte.
Will heißen, ein germanisches Dorf war wohl zumindest in der warmen Vegetationsperiode vollumfänglich mit Ackerbau und Viehhaltung beschäftigt. Da war wenig Zeit/Möglichkeit für "geistige Beschäftigungen" - so meine Interpretation.
Ein mächtiger Großauer eines Herrenhhofes mit einer Art Fürstenstatus hatte eher die Möglichkeit, sich mit religiösen Dingen zu beschäftigen.
Die anderen verorte ich mehr oder weniger im täglichen Überlebenskampf - könnte da aber auch vollkommen falsch liegen.
Ich denke mal, dass die Rolle der Seherin überinterpretiert wird.
Albruna, Veleda & Co. - Frauen, die überirdische Fähigkeiten zugeschrieben werden - das heißt dann ja auch, dass sie dann vom Dorf alimentiert|durchgefüttert wurde und nichts leistete, außer die Zukunft vorherzusagen?
Ich weiß nicht, ob das mit dem harten germanischen Alltag verträglich war.
Könnte es vielleicht sein, dass es eine römische Überzeichnung war? Wir kennen das Innenleben der Germanen ja ausschließlich aus der Fremdsicht der Römer.
Für mich würde ein Sonderstatus von Seherinnen in einer streng patriarchalischen kleinbäuerlichen Gesellschaft nicht so viel Sinn machen.
Aber dazu wissen wir nicht genug von den Germanen.
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Eris Ado Klammeraffe
Beiträge: 751
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27.10.2023 12:42
von Eris Ado
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Taranisa hat Folgendes geschrieben: |
Mit Pferdeopfer habe ich als Tierschützerin ein Problem, nachweislich geopfert wurden jedoch auch die Waffen der Feinde. |
Wo ist das Problem? Wer das Buch liest, sagt sich nicht: "Hey super, das mache ich gleich nach."
Oder muss sich die Protagonistin vorbildlich benehmen?
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BerndHH Klammeraffe
Alter: 60 Beiträge: 971 Wohnort: HH
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27.10.2023 12:44
von BerndHH
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Also was ich damit sagen will: hat ein altsächsisches Dorf überhaupt den Luxus, sich eine Seherin leisten zu können - oder werden nicht alle Frauen, bis auf die der Fürstenfamilie - als Arbeitskräfte für Feld, Kinder und Haushalt benötigt?
_________________ Michel Teló – Ai se eu te pego
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zwischenpause Leseratte
Beiträge: 102 Wohnort: Brandenburg
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27.10.2023 12:46
von zwischenpause
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Trancereisen usw. als subjektive Erlebnisse der Seherin finde ich unproblematisch. Die Ergebnisse sollten sich aber auch mit Zufall, Intuition, guter Menschenkenntnis usw. erklären lassen.
Wichtig wäre mir, dass das ganze sprachlich möglichst wenig an moderner Esoterik oder Fantasy erinnert. "Das Rätsel der Schamanin" finde ich da sehr gut gemacht.
_________________ zwischenpause |
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BerndHH Klammeraffe
Alter: 60 Beiträge: 971 Wohnort: HH
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27.10.2023 12:49
von BerndHH
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P f e r d e o p f er
Im historischen Lexikon der Schweiz steht:
Zitat: | Die zunehmende gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung des Pferds während der Eisenzeit äussert sich in zahlreichen archäologischen Funden, zum Beispiel in der Darstellung von Reitern auf Schwertern, oder in Opferfunden aus La Tène. |
Zitat: | Bei den germanischen Völkern war das Pferdeopfer und die anschliessende Verspeisung eine der zentralen rituellen Handlungen bei Totenfeiern und anderen Kulthandlungen. Das von der Kirche im 8. Jahrhundert ausgesprochene Verbot, Pferdefleisch zu essen, war indirekt gegen den heidnisch-germanischen Kult gerichtet; es zeigt seine Wirkung bis heute. So wurden beispielsweise auf der Richtstätte in Emmenbrücke, die gleichzeitig der Entsorgung tierischer Kadaver diente, vom 16. bis 19. Jahrhundert schätzungsweise 500 Pferde verbrannt oder vergraben. |
Pferde waren bei den Germanen wichtige Nutztiere.
Reittier, Zugtier und Fleischlieferant - aufgrund ihres Wertes für den Menschen hatte ein Pferdeopfer demnach große kultische Bedeutung.
Tierliebe bei Germanen|Altsachsen - eher weniger, dafür waren die Zeiten viel zu hart.
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Taranisa Bücherwurm
Alter: 55 Beiträge: 3227 Wohnort: Frankenberg/Eder
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27.10.2023 13:44
von Taranisa
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Vielen Dank für die weiteren Antworten.
Nein, ich lasse keine moderne Esoterik oder Fantasy einfließen, auch nicht sprachlich. Wie sie ihre Tranceerlebnisse interpretiert, hängt auch von ihren persönlichen Erfahrungen ab. Sie kann somit guten Rat geben, als auch einen, der sich als fatal erweist.
Es gab im 8. Jhd. noch offiziell Seherinnen, natürlich nicht in jeder Siedlung. Zudem werden sie auch als Heilerinnen unterwegs gewesen sein. Lt. dem, was ich recherchierte (u.a. Chroniken zu König Karl), existierte auf der Eresburg (=bewohnte Burganlage) ein heidnischer Tempel. Solche seien ähnlich einer Säulenhalle mit Kammer für die Heiligtümer, eventuell später genutzt als Kirchen. Suchen musste ich schon sehr nach solchen Informationen, da die Chronisten im Mittelalter mehrheitlich Mönche waren und Dinge gerne verschwiegen oder als verdammenswert darstellten.
_________________ Henkersweib, Burgenwelt Verlag, ET 12/18
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Haro Eselsohr
Beiträge: 388 Wohnort: Pfalz
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28.10.2023 18:50
von Haro
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Ich sehe das wie Merlinor. Du hast eine Figur im Kopf und eine Geschichte und die Figur ist eben so spirituell, wie sie ist. Du schreibst ja schließlich kein Sachbuch. Was kümmert es Dich, wenn manche Deiner Leser das als zu "esoterisch" empfinden? Die sind dann eben in diesem Fall nicht die Zielgruppe. Andere stoßen sich vielleicht an anderen Dingen. Ich glaube, wenn man erst einmal mit der Schere im Kopf anfängt, wird der Spaß am Schreiben schnell verebben.
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BerndHH Klammeraffe
Alter: 60 Beiträge: 971 Wohnort: HH
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29.10.2023 07:12
von BerndHH
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Ist vielleicht eine blöde Bemerkung von mir.
Aber was ist mit dem Reality Check? Kann sich die Figur Spiritualität überhaupt leisten oder fordert der Überlebenskampf sämtliche Energie und Ressourcen?
Da bin ich absolut uneins.
Sowohl Römer als auch Germanen, Sachsen, Franken hatten wohl in ihrer Lebenswirklichkeit spirituelle Anteile.
Keine Römerschlacht, vor der der römische Feldherr nicht die Auspizien liest, um eine Deutung auf ihren Ausgang, Sieg oder Niederlage zu bekommen. Vogelschau, Eingeweidebeschau etc.
Und die Germanen|Altsachsen machten auf der anderen Seite wohl etwas sehr Ähnliches.
Ich habe da absolut keine klare eindeutige Antwort darauf, da wir den Alltag bzw. Tagesablauf eines germanischen Priesters oder einer germanischen Seherin eben nicht kennen.
Kann sich eine germanische Gesellschaft überhaupt Menschen leisten, die sich "hauptberuflich" mit religiösen Dingen beschäftigen?!?
Der Priester, die Seherin vollkommen vergeistigt als Eremit in der Erdhöhle?
Nein, eher nicht. Wenn nicht alle Quellen täuschen, dann war das "Priesteramt" eine religiöse Funktion eines Fürstensohnes.
Segimundus, Arminius Schwager, auf einmal in einem Priesteramt am Ara Ubiorum - Ubieraltar im heutigen Köln.
Also schon die Verflechtung von weltlicher und geistiger Welt in einer Einheit, im Alltag der Menschen.
Was ist denn die Konsequenz daraus?
Teilzeitpriester? Zu einer Hälfte Bauer und Rinderhalter, bei der Getreideernte Tag und Nacht dabei und vielleicht im Winter, wenn landwirtschaftliche Tätigkeiten ruhen, mit Erweckungserlebnissen?
Es ist wirklich schwer vorstellbar. Vielleicht gelingt Euch das besser.
Also ich würde mich immer fragen, inwieweit man eine spirituelle Handlung in die Lebenswirklichkeit der Figur nachvollziehbar einbetten kann.
Vielleicht ist das ja auch nur meine Sicht der Dinge.
Die Harry Potter-Aficionados wollen ja schließlich auch nicht wissen, wer die Zauberschule des Protagonisten finanziert, ob er ein Stipendium bekommen hat, etc.
Wer Fantasy lesen möchte, der will sich ja wahrscheinlich nicht ...
_________________ Michel Teló – Ai se eu te pego
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Taranisa Bücherwurm
Alter: 55 Beiträge: 3227 Wohnort: Frankenberg/Eder
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29.10.2023 12:48
von Taranisa
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Vielen Dank für eure Meinungen.
Meine Seherin ist auch als Heilerin unterwegs und in einem Roman von Rebecca Gable, den ich derzeit lese, existiert eine Priesterkaste. Der Glaube war für die Menschen noch (überlebens-)wichtiger, als es für uns heute ist. Wenn die Götter z.B. das passende Wetter für die Landwirtschaft schicken sollten, mussten sie in Ritualen darum gebeten werden. Natürlich übernahmen auch Fürsten solche Aufgaben, siehe der Fürst vom Glauberg. Wie ich schrieb, gab es Seherinnen, aber nicht in jedem Ort ansässig, sie reisten viel. Die Irminsul war jedoch ein sehr wichtiger Ort, der sogar über einen Tempel verfügte, dort dürften (keine Ahnung, wie viele) Priesterinnen/Priester gelebt haben. Für ihre Weissagungen, Heilungen usw. erhielten Sie Lohn, auch reichlich, wie Grabfunde zeigen. Ich glaube, es herrscht noch immer ein großes Vorurteil, dass die Menschen damals alle arm, hungernd und schmutzig darum liefen, schlechte Ernten "normal" waren. Ich arbeite daran, neuere archäologische Erkenntnisse einzuarbeiten.
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BerndHH Klammeraffe
Alter: 60 Beiträge: 971 Wohnort: HH
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29.10.2023 13:48
von BerndHH
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Wenn einem germanischen Bauern auf einmal die Rinder auf der Auweide verenden, dann zieht er ja schließlich auch nicht den Schluß "Achtung, Leberegel! Ich brauche einen Veterinär, der mein Viehkapital schützt.", sondern einen Priester, der mir das erklärt.
Und der sagt dann vielleicht, dass diese Erde verflucht sei und nur ein Pferdeopfer die Wut der Götter besänftigten könnte.
Übrigens Irminsul, meines Wissens nach hat man bis heute nicht den blassesten Schimmer wo sich dieses Heiligtum befunden haben könnte, zumindest wird das Thema sehr kontrovers diskutiert.
Kraftort, Heiligtum, alles noch sehr nebulös.
Aber es ist sehr gut, wenn Du da ansetzt und eine glaubhafte Darstellung hinbekommst.
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BerndHH Klammeraffe
Alter: 60 Beiträge: 971 Wohnort: HH
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30.10.2023 11:35
von BerndHH
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Sorry, wenn ich mich noch einmal ungefragt einmische aber das würde ich gerne noch einmal loswerden.
Nicht nur die Germanen praktizierten Pferdeopfer, sondern auch die Römer:
Zitat: | Ein besonderes Opfer war das Oktoberpferd. Es wurde am 15. Oktober für den Gott Mars geopfert. Nach einem Wagenrennen auf dem Marsfeld in Rom wurde das rechte Pferd des siegreichen Zweigespanns geopfert, indem es mit einem Speer getötet wurde. |
Suovetaurilia
Zitat: | Die Suovetaurilia (lateinisch, Plural, auch Solitaurilia) waren eine bestimmte Form des Tieropfers in der römischen Religion. Dabei wurden drei Opfertiere, ein Eber (sus, „Schwein“), ein Widder (ovis, „Schaf“) und ein Stier (taurus) um Personen oder einen Ort herumgeführt, der oder die entsühnt oder vor Schaden bewahrt werden sollten. Es handelte sich also um eine apotropäische Handlung. Die Tiere wurden anschließend getötet und, wie beim antiken Tieropfer generell üblich, verspeist. Man unterschied dabei die suovetaurilia lactentia bzw. suovetaurilia minora, bei denen die Jungtiere geopfert wurden (Ferkel, Lamm und Kalb) und die suovetaurilia maiora, bei denen die erwachsenen Tiere geopfert wurden. Bei Cato dem Älteren findet sich eine Beschreibung des Ablaufs der Zeremonie. Die Suovetaurilia fanden statt beim Lustrum, bei der Reinigung (lustratio) eines Heeres, des Hains der Arvalbrüder oder eines Feldes sowie bei der Spolia opima und beim Triumphzug. |
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Taranisa Bücherwurm
Alter: 55 Beiträge: 3227 Wohnort: Frankenberg/Eder
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31.10.2023 15:09
von Taranisa
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BerndHH hat Folgendes geschrieben: | Übrigens Irminsul, meines Wissens nach hat man bis heute nicht den blassesten Schimmer wo sich dieses Heiligtum befunden haben könnte, zumindest wird das Thema sehr kontrovers diskutiert.
Kraftort, Heiligtum, alles noch sehr nebulös.
Aber es ist sehr gut, wenn Du da ansetzt und eine glaubhafte Darstellung hinbekommst. |
Ich recherchierte hier (wie immer) sehr ausgiebig, daher ist die für mich wahrscheinlichste Variante, dass sie hinter der Eresburg (Obermarsberg) gestanden hat. Inzwischen entschied ich mich bei der Form für eine sehr alte Eiche, die mit Einritzungen und Bändern mit Gaben (Schmuck, Federn ...) geschmückt ist. Ein hoher Pfosten wäre auch möglich, aber der Baum spricht mich mehr an, hoffentlich auch die spätere Leserschaft.
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Nina C Klammeraffe
Alter: 36 Beiträge: 992 Wohnort: Op dr\' Jück
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06.11.2023 03:19
von Nina C
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Ich bin „Team Humbug“ aber eben nur im naturwissenschaftlichen - und heutigen - Sinne. Heißt, als persönliche Perspektive finde ich das vollkommen unproblematisch, wenn die Person das eben glaubt, gerade in einer Zeit, in der Naturwissenschaften nicht zur Bildung gehörten, passt das doch. Zumal viele psychische Erkrankungen, insbesondere Psychosen, entsprechend spirituell interpretiert wurden (auch bei Hildegard von Bingen und Franz von Assisi wird ja dergleichen vermutet). Da würde ich mir eher Gedanken machen, wenn ein Protagonist über Antibiotika redet. Persönlich schreibe ich in historischen Kurzgeschichten zumeist auch die christlichen Bezüge und Gedanken, obwohl ich selbst Atheist bin und lese das eben so entspannt. Würde ich mir also keinen Kopf machen.
Liebe Grüße
Nina
_________________ Wenn ihr nicht die gequälten Sklaven der Zeit sein wollt, macht euch trunken, ohn’ Unterlass! Mit Wein, mit Poesie mit Tugend, wie es euch gefällt. (Charles Baudelaire) |
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Taranisa Bücherwurm
Alter: 55 Beiträge: 3227 Wohnort: Frankenberg/Eder
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06.11.2023 11:01
von Taranisa
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Vielen Dank, Nina. Ja, auch ich versuche mich so gut wie möglich in die Gedanken- und Glaubenswelt meiner Figuren einzufinden, auch in die christliche. Je besser mir das gelingt, desto authentischer und hoffentlich auch glaubwürdiger wird die Geschichte. Auch mit meinen Social-Media-Posts versuche ich, beliebte Vorurteile mit neuen historisch-archäologischen Erkenntnissen zu widerlegen. Neulich erst wieder eine Doku über die Farbenpracht der germanischen Kleidung gesehen, mit wissenschaftlichen Untersuchungen und erfolgreichen Versuchen, diese Farben mit damaligen Möglichkeiten herzustellen.
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Nina C Klammeraffe
Alter: 36 Beiträge: 992 Wohnort: Op dr\' Jück
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06.11.2023 21:02
von Nina C
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So etwas finde ich auch unheimlich spannend. Aus purer Neugierde habe ich mal mit Avocado gefärbt, weil ich es mir einfach nicht vorstellen konnte (klappt, ob man die Farbe mag, ist eine andere Frage).
Liebe Grüße
Nina
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