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Admiral Aal Schneckenpost
A Alter: 21 Beiträge: 12 Wohnort: Linz
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A 29.09.2023 02:28 Der Asbestsammler von Admiral Aal
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Ein kleiner, älterer Herr, nennen wir ihn Gernot, saß in seinem Zimmer und betrachtete stolz seine Asbestsammlung.
25 Jahre, so sagte er, habe er nun Asbest gesammelt.
Alle unterschiedlichen Arten der ehemals weit verbreiteten Wunderfaser, die wohl mehr Menschenleben gekostet hatte, als sie als Feuerschutz gerettet hatte, lagen in kleinen Glaskästchen, großen Vitrinen oder befanden sich in Form von feuerfester Kleidung an Schaufensterpuppen.
Da konnte man unterscheiden zwischen der wohl bekanntesten Asbestsorte, dem Chrysotil, auch als Weißasbest bezeichnet, dem Riebeckit, meist Blauasbest genannt, dem Amosit, einer südafrikanischen Asbestvariante, umgangssprachlich Braunasbest, sowie zahlreichen anderen Mineralen wie zum Beispiel Tremolit, Aktinolith oder Anthophylit.
Neben zahlreichen oben genannten mineralen Urformen das Asbests, die sich in kleinen Glaskästchen befanden, enthielt die Sammlung auch zahllose Alltagsgegenstände, die Asbest enthielten vorhanden.
Alte Föns, Lockenwickler, Ofenhandschuhe, ein Herd, der einst Großmutter Irmgard gehört hatte, Dichtungsringe, Rohrisolierungen, Asbestbetonplatten, Asbesthaltige Tapeten, Vorhänge, Decken und als Kuriosum gar ein Asbestkondom, das er vor langer Zeit aus Langeweile selbst gefertigt hatte.
Eine alte Kartondose mit sogenanntem Hercules Wonderplug, das auf holländisch damit warb, „Asbesthoudend“ zu sein.
Christbaumschnee, der aus reinen Asbestfasern bestand. Durfte in den 50er Jahren auf keiner Weihnachtsfeier fehlen.
Gern hätte er noch die aus Asbest gefertigte Geldtasche von Benjamin Franklin. Doch er hatte längst den Traum, dieses einzigartige Stück Asbestgeschichte aus der Sammlung des britischen Museums auszuleihen oder gar zu kaufen aufgegeben.
Asbesthaltige Zigaretten. Doppelt hält besser. Wenn man von einem keinen Lungenkrebs bekam, sorgte das andere schon dafür.
Die Schaufensterpuppen, insgesamt waren es fünf, waren bekleidet mit zahlreichen asbesthaltigen Kleidungsstücken. Es gab einen Feuerwehrmann, einen Stahlarbeiter, einen Soldaten sowie diverse andere asbesthaltige Gewänder, die wahllos auf den beiden verbliebenen Puppen platziert waren.
Auf den beiden Ofenhandschuhen lag eine Gasmaske. Diese hatte im ersten Weltkrieg seinen Urgroßvater Karl vor dem Erstickungstod durch Giftgas bewahrt, nur um ihn ironischerweise genau vierzig Jahre nach dem Ende des Krieges an einem Lungentumor ersticken zu lassen, zu dessen Entstehung das in der Gasmaske enthaltene Asbest wohl einen beträchtlichen Teil beigetragen hatte.
Nun stand also Herr Gernot von seinem Stuhl auf und verließ von starken Hustenanfällen geplagt den Raum, nur um ihn gleich wieder zu betreten.
Hoffentlich nur der gewöhnliche Staub, der sich überall ansammelt, sagte er sich. Die Gefahren seines Hobbys waren ihm selbstverständlich bekannt. Daher unterzog er sich regelmäßig einer Lungenuntersuchung und verwendete beim Reinigen oder genaueren Betrachten seiner Sammlungsobjekte stets eine Gasmaske sowie einen Schutzanzug, der jedoch ebenfalls aus Asbest gefertigt war. Allerdings war daher eine tatsächlich gegebene Schutzfunktion eher zu bezweifeln.
Eine wichtige Sicherheitsmaßnahme hingegen war, dass der Asbestraum, wie er das Zimmer nannte, für alle anderen Sperrzone war. Nur er durfte den Raum betreten, und er achtete stets peinlichst genau darauf, die Tür beim Verlassen des Raumes zu versperren. Selbst als der Vorsitzende des internationalen Vereins für Freunde des Asbests zu Besuch kam, durfte dieser die Sammlung nur durch ein in der Tür eingelassenes Guckloch bestaunen.
Einzig und allein ein südafrikanischer Bergmann, der bis 1979 Blauasbest abgebaut hatte und mittlerweile an der Asbestose litt, wurde ausnahmsweise in den Raum gelassen, als er von der Sammlung hörte und sie unbedingt auf seiner letzten Reise besuchen wollte. Bei ihm war es ohnehin nicht schlimm, wenn er mit den Asbestfasern in Kontakt käme.
In der Nacht, nachdem er die Sammlung bestaunt hatte, erstickte er übrigens im Gästezimmer, das gleich neben dem Asbestraum lag.
Inzwischen war es Abend geworden. Licht gab es im Asbestzimmer im Überfluss, und die alten Lampen enthielten selbstverständlich zum Schutz der elektrischen Leitungen Asbest.
So stand er also sinnierend im Raum, und dachte darüber nach, wie lange er noch zu leben hatte.
Ende 50 war er, nächstes Jahr wär der 60er dran. Mit der Lebenserwartung in seiner Familie und seinem ansonsten gesunden Lebensstil noch genug Zeit, um sich eine Asbestose anzueignen, dachte er.
Als es den Hans erwischte, als der mit dem Segelflieger gegen eine Felswand krachte, haben sie gesagt, er ist wenigstens bei dem gestorben, was er geliebt hatte. Das haben über seinen Großvater nicht gesagt, als er aus einem Flieger gesprungen ist und der Fallschirm nicht aufging. Auf Kreta. Bei Sturm und bei Regen.
Oder bei dem bedauernswerten jungen Mann, der in den 80er Jahren in der Voest am Hochofen rückwärts in die Schlackenrinne gefallen ist.
Also nahm er seufzend die Gasmaske ab, holte ein paar Bruchstücke einer Eternitplatte hervor, zerrieb sie und mischte sie mit etwas Asbestfasern. Daraus zog er sich – wie er es von den Koksern kannte – eine Linie und schniefte sie.
Eine, zwei, drei, vier.
Von jetzt an begann die Uhr zu ticken.
Weitere Werke von Admiral Aal:
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Ralphie Forenonkel
Alter: 71 Beiträge: 6417 Wohnort: 50189 Elsdorf
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29.09.2023 02:50
von Ralphie
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Sehr gut. Der Text gefällt mir ausgezeichnet.
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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 944 Wohnort: Hangover
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29.09.2023 05:32
von Christof Lais Sperl
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Gut gedacht und geschrieben, lässt mich die Geschichte doch etwas ratlos zurück. Aber Literatur ist eben Kunst.
_________________ Lais |
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Günter Wendt Exposéadler
Beiträge: 2865
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29.09.2023 07:47
von Günter Wendt
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Guter Träsch.
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Arminius Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1243 Wohnort: An der Elbe
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29.09.2023 13:36
von Arminius
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Den zweiten Abschnitt würde man normalerweise des Infodumps bezichtigen. Ich finde aber, es passt hier ganz gut, da der Werkstoff ohnehin den gesamten Text dominiert.
Gut lesbare, sauber recherchierte, ironisch-sarkastische Aufarbeitung des Themas .
_________________ A mind is like a parachute. It doesn´t work if it is not open (Frank Zappa)
There is more stupidity than hydrogen in the universe, and it has a longer shelf life (Frank Zappa)
Information is not knowledge. Knowledge is not wisdom. Wisdom is not truth. Truth is not beauty. Beauty is not love. Love is not music. Music is the best (Frank Zappa) |
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Haro Eselsohr
Beiträge: 388 Wohnort: Pfalz
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29.09.2023 17:41
von Haro
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Schöne Zusammenstellung zum Thema Asbest, wobei auch bei mir eine gewisse Ratlosigkeit herrscht. Der Prota wirkt auf mich genauso steril und farblos wie das Objekt seines Sammelns.
Es ist schon ein Jammer, dass ein Material mit so fantastischen Eigenschaften so verheerend auf die Gesundheit wirkt.
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