Übungstext: Personenbeschreibung

[MosesBob]

Sein Gebaren lässt mich vermuten, dass er untenrum knapp bemessen ist. Wie alt mag er sein? Achtzehn? Neunzehn? Dem watteweichen Flaum auf seiner Oberlippe nach zu urteilen, dürfte er nicht älter als zwölf sein. Ich nenne ihn Asterix, ohne genau zu wissen warum. Eigentlich sieht er gar nicht aus wie Asterix. Er trägt einen von diesen Beckham-Irokesen, von denen ich annahm, dass sie acht Jahre nach ihrer Sturzgeburt längst aus der Mode wären, und aalt sich in einer honigsüßen Parfumwolke, die so aufdringlich in der Luft schwebt, dass sie sämtlichen Menschen im Dunstkreis Parodontose und Zahnfleischbluten beschert. Jedes Mal, wenn ich ihn hier sehe, beißt sich eine viel zu enge Sporthose aus grauem Nylon in seinem Schritt fest. Aber das scheint ihn nicht zu stören. Ebensowenig scheint ihn zu stören, dass die Gewichtscheiben, die er sich auf die Geräte schmeißt, ein paar Kilo zu schwer für seine dürren Arme sind. Dabei erfolgen die ersten Züge noch ganz mühelos. Fast elegant wuchtet er die silberne Stange hinter seinen Nacken, während er kerzengerade auf dem Sitzpolster hockt und die Beine so weit auseinanderspreizt, dass jede Hebamme stolz auf ihn wäre. Ab dem vierten oder fünften Zug jedoch beginnt er zu zittern, und die zuvor so motivierten Anstrengungen verwandeln sich jäh in ein mitleiderregendes Zucken. Fünf Zentimeter hoch, fünf Zentimeter runter, mehr geht nicht mehr. Wenn er so weiter macht, kann er in fünf Jahren eine Krankenpflegerin engagieren, die ihm das Essen in den Mund führt. Gesund ist das nicht. Aber er lässt nicht locker, beißt die Zähne zusammen. Geblähte Wangen, hochroter Kopf. Drei Züge mehr, und ich hole den Notarzt. Offenbar sieht er das ähnlich. Er hört auf.

Seine Knie knacken, als er sich vom Sitzpolster hebt, seine pissgrüne Sportflasche vom Boden klaubt und sich mit einem Gesichtsausdruck vom Zugturm abwendet, als hätte der Zugturm vor ihm kapituliert, nicht umgekehrt. Er lässt die Arme rotieren, um die Schulter- und Rückenmuskulatur zu entspannen, und stakst mit zielstrebigen Schritten auf die Spiegelwand zu. Ich folge ihm unauffällig, weil ich weiß, was kommt, und dieses Schauspiel will ich mir nicht entgehen lassen. Einen knappen Meter vor den Spiegeln verharrt er, fixiert sich selbst mit herausfordernden Blicken.

»Machst du mich an?« scheint er sich zuzurufen, doch seine Lippen bleiben reglos. Er führt einen inneren Monolog, den er kraft seiner Gedanken zu einem Dialog ausweitet, aber selten habe ich auf eine Fassade aus Haut und Knochen geblickt, die so transparent ist. Seine Fantasie hängt für jedermann ersichtlich in der Luft, deutlich wie die Projektion auf eine Kinoleinwand. Ich bin mir sicher, nicht der einzige zu sein, der sich daran erheitert.
»Ob du mit mir redest, hab ich dich gefragt! Hä? Machst du mich an!«
»Ja, ich rede mit dir. Hast du ein Problem damit?«
Sein Kopf zuckt nach hinten. Ich kenne diese Drohgebärden von den Pressekonferenzen vor einem Boxkampf, wenn sich beide Kontrahenten gegenüberstehen.
»Komm doch her, wenn du aufs Maul willst! Dich stampf ich in den Boden, davon erholst du dich nicht mehr!«
»Pass bloß auf, Alter, pass bloooß auf!«

Daraufhin vollzieht sich ein Wandel in seiner Mimik. Provokation weicht Bewunderung, Feindschaft wird zu Freundschaft, Kälte zu Wärme. Passenderweise verblasst die Gesichtsröte zu einem zarten Rosé. Er setzt seine Sportflasche zum Trinken an und spreizt den linken Arm dabei im Neunzig-Grad-Winkel übertrieben ab. Ich vermute, dass ihn der Blick auf seine rasierte Achselhöhle erregt, in deren Zentrum ein Leberfleck von der Farbe und Größe einer Kaffeebohne einsam die Stellung hält. Sein Kehlkopf hüpft auf und ab wie ein Flummi, während er schluckt.

Danach dreht er sich nach rechts, lässt den Arm schlaff herunterhängen, schüttelt ihn aus und motiviert Bizeps und Trizeps zu einem zuckenden Ballett. Die Blicke, die er sich derweil im Spiegel zuwirft, sind eine Aufforderung zur Selbstbefleckung, und als er mit den Lippen schmollt, bin ich mir sicher, dass er beabsichtigt, dieser Aufforderung bei der nächsten Gelegenheit nachzukommen. Schließlich wendet er sich ab, bevor die Spiegelwand beschlägt und sich der Fitnessraum vor lauter Selbstverliebtheit in ein türkisches Dampfbad verwandelt. Zwei Sekunden länger, und er hätte sich die Kleider vom Leib gerissen und Unzucht an sich selbst betrieben, ganz sicher. Die Spiegel hätten sie danach kollektiv in die Tonne kloppen können.

Später treffe ich ihn in der Gemeinschaftsdusche. Auf den weißen Bodenfliesen tummeln sich jene klatschnassen Fussel, die sich Männer aus dem Bauchnabel und zwischen den Arschbacken herauspulen. Um diese nacktschneckenartigen Hinterlassenschaften in den Abfluss zu kehren, steht ein Besen verwahrlost in der hinteren linken Ecke herum. Ob ihn jemals einer benutzt hat, weiß ich nicht.

Asterix steht mit dem Rücken zur Wand und shampooniert sich die Haare. Der Leberfleck unter seiner Achselhöhle hat seine Verwandtschaft eingeladen. Wie Schlammspritzer streuen sie sich über Brust, Bauch und Schenkel. Zahlenmäßig sind sie den rosaroten Pickeln deutlich unterlegen. Ich kann mir nicht verkneifen, einen verstohlenen Blick auf Asterix´ Gehänge zu werfen, um meinen Verdacht bestätigt zu wissen. Wie der nackte Kopf eines Vogelbabys lugt sein Penis aus dem schwarzen Nest aus Schamhaaren zu Boden. Offenbar wurde er ohne Muskeln und Schwellkörper geboren, der Arme. Er ragt kaum über den Hodensack, ein schrumpeliger Faltenbalg, der nur aus Vorhaut besteht. Wusst´ ich´s doch, denke ich mir.

[Ralphie]

Die letzten Sätze sind absolute Spitzenklasse.  

[MosesBob]

Ich kann´s also doch noch!

[SylviaB]

KÖSTLICH! Ich habe mich sehr gut amüsiert.

Einzig der vorletzte Absatz hat mich zum würgen gebracht. Aber den Typen konnte ich mir so plastisch vorstellen, als wäre ich mit ihm duschen gewesen. *grusel*

Mir hat es sehr gut gefallen. Ob der Text natürlich deinen heftigst hohen Ansprüchen genügt, sei dahin gestellt. Meinen genügt er auf alle Fälle.

[MosesBob]

Danke.

[Ralphie]

Wenn manche Leute wüssten, als was ich sie schon verbraten habe ...  

[SylviaB]

Ich denke er darf sich in deiner Gegenwart unbehelligt bücken.

Wenn er das liest, würde er sich nicht erkennen, denn er hält ja Zwiesprache und erkennt nicht, dass er sich selbst betrügt. Er findet sich ja toll und würde wahrscheinlich nicht verstehen, dass andere das nicht finden oder erkennen.

Ay das führt zu weit, der Text ist supi und du kannst es noch...

[MosesBob]

[princess of night]

ich hätte es wissen müssen..aber wider besseren wissens habe ich es doch gelesen..VOR dem frühstück..das war ein fehler...nun frage ich mich:war es absicht von dir mal eben solch ein schmankerl zum späten abend einzustellen, weil du ja weisst das manche es früh morgens lesen? das wäre dann schon sehr kollegial gedacht..muss ich sagen..du hast so gut beschrieben das ich nun erstmal nur meinen schwarzen tee trinken werde und ansonsten meine leber schone mit weiteren zusätzen denn der lesegenuss war wirklich wirklich sehr *realitätsnah*..
mit leichtem grün im gesicht
und letzter kraft daumen hoch
princess

[MosesBob]

Hey princess und vielen lieben Dank. Meine Absichten waren natürlich ausschließlich positiver Natur. *hust*

[Rheinsberg]

Köstlich! Da setzt du hier hohe Standards und ich werde leicht neidisch.

[nantik]

Herzallerliebstes Schnittchen,

das ist doch echt nicht wahr, oder? Wie kannst du dich erdreisten, mitten in einer hammerharten Schreibblockade eine Personenbeschreibung verzapfen zu wollen. Und eigentlich bis du ja eh am Thema vorbei, denn das hier ist nicht einfach nur eine Personenbeschreibung, sondern eine wachechte Charakterskizze. Und auch, wenn ich mich jetzt gleich für den Rest des Tages vor mir selbst ekeln werde, komme ich nicht umhin zu gestehen: sie ist gut. Sehr gut sogar. Ich kann dir absolut nichts ankreiden. Dabei habe ich eben gleich mehrmal hintereinander mit Argusaugen gesucht: NIX aber auch wirklich garnichts konnte ich finden. Das ist doch echt gemein!
Okay, das Thema hat mich jetzt bei dir nicht sooooo überrascht. Aber als Kenner des Fachs konntest du den Piepmatz wirklich ziemlich bildlich beschreiben. Mir blieb dabei sogar mein Brötchen im Hals stecken vor Lachen, denn anders als princess war ich eben beim Frühstück. Nur gut, dass ich am Brötchen nicht erstickt bin, denn ansonsten hättest du jetzt bestimmt eine fahrlässige Tötung an der Backe.
Du gehst in ein Fitnessstudio? Nun gut, jeder Mensch hat seine Fehler - und ein MosesBob mehr als so manch anderer. Jetzt würde ich dich gerne dazu zwingen können, noch mehr von diesen Gockeln aufs Beobachtungskorn zu nehmen. Schräge Typen gibt es da bestimmt en masse - also Schnitte, hau in die Tasten! Denn eiegntlich würge ich gerne an einem Brötchen rum, wenn ich mich dabei literarisch so gut amüsieren kann!

Beste Grüße und so weiter und so fort,
Schnullerbacke

[MosesBob]

Danke ihr beiden.

[Gabi]

Hallo Moses Bob!

Heute morgen im Büro drohten die Zahlen meinen Kopf zu sprengen.
Um dieses zu verhindern, stattete ich dem DSFO einen kurzen Besuch ab, bei dem ich prompt bei deinem Text landete.

Ich bin so froh, dass mich keiner beim Lesen beobachtet hat. Die hätten gedacht, jetzt ist die Frau ganz über geschnappt. Wie lange hab ich nicht mehr so über einen Text gelacht.

Du bist ein Comedian unter den Schriftstellern. Mach was draus.

L.G.
Gabi

[MosesBob]

Hallo Gabi!

Jetzt werde ich allmählich rot. Es war eine Sache, mal wieder etwas in einem Rutsch zu schreiben. Dass der Humor aber auch so gut rüberkommt, hätte ich nicht gedacht. Meinen ergiebigsten Dank.

Liebe Grüße,

Martin

[Gabi]

Du brauchst gar nicht rot zu werden. Du hast wirklich einen umwerfenden Humor. Vielleicht solltest du öfters etwas schreiben, dass ich dann auf der Arbeit lese. So bekomm ich dort wenigstens etwas zu lachen.

[MosesBob]

[Maria]

[MosesBob]

[Lore]

WOW, habe lange nicht mehr so gelacht, das machst Du also? So sieht bei Dir die Überwindung einer Schreibblockade aus?

Sowas fällt mir nicht mal im heftigsten Schaffensdrang ein.

Und die Kommentare ware ebenso erheiternd.

Also hat mich mein Eindruck doch nicht getrogen, das ist Deine Stärke, aber absolut.

Und jetzt weiss ich auch, wieso ich das nicht gefunden habe, ich war noch nie in Schreibübungen, glaube aber auch weniger denn je, dass das da hin gehört, ganz sicher nicht, es ist einsame Spitze.

Jetzt gehe ich immer noch grinsend ins Bett und werde das morgen als Erstes meiner Mailingrunde vorsetzen, das Gelächter klingt dann von Californien bis in die Schweiz und Österreich, da bin ich sicher.


Lore

[MosesBob]

Guten Morgen, Lore!

Schön, dass dir das gefällt. Wie einfach mir die Zeilen von den Fingerkuppen gingen, hatte mich selbst überrascht. Für mich persönlich ist es ein Schlag auf den Hinterkopf, der mich daran erinnert: "Auch wenn du nur eine winzige Idee im Oberstübchen hast, solltest du sie umgehend aufschreiben! Es könnte eine kleine Geschichte daraus werden." Zuvor hatte ich solche spontanen Schreibereien grob vernachlässigt.

[Lore]

Guten Morgen Martin

Warte noch mit dem *Kopf aus dem Fenster*  die Californier aus unserer Diskussionrunde schlafen noch den Schlaf der Gerechten.

Aber der Lacher bin ich mir sicher.

Schönes Wochenende.

Lore