kauerte ein rabe

[crim]

kauerte ein rabe

unterm alten lattenzaun
kauerte ein rabe
krächzte quälend langsam

quirlig nur die ameisen
die seinen körper übersähten
er pickte. pickte im gefieder

ich trat heran, er sah mich
aber floh nicht, krächzte wieder
augenscheinlich sterbend

unter ameisen und ameisen
brich eine latte ab vom zaun
schwing sie, dacht ich

zertrümmre diesen körper
voller luftgefüllter knöchlein
ist gnade nicht die seltsamste gewalt?

der rabe aber schaute, streckte
erst ein bein, dann das andere
stand, sprang und flog

[Skarabäus]

Hallo Inko,

"ist gnade nicht die seltsamste gewalt?"

Was für ein Satz, was für ein Statement!
Kann Gewalt jemals Gnade sein? Lesen wir hier, wie sich ein Paradoxon auflöst?

Es gelingt Dir mit großem Geschick zu erreichen, dass der Lesende (zumindest ich)  dem LI zustimmt. Gewalt scheint in der sehr plastisch beschriebenen Situation (Ameisen krabbeln im Gefieder) eine gute, eine gnädige Lösung zu sein, um ein Leid zu beenden. Und dann fliegt der vermeintlich todgeweihte Rabe fort...

Dein Gedicht (oder Deine Fabel in lyrischem Gewand?) hält dem Lesenden sehr gekonnt einen Spiegel vor. Wie schnell maßen wir uns an ein Leben für nicht (mehr) lebenswert zu erachten, dabei können wir nicht wissen, ob es zu einem späteren Zeitpunkt nicht doch noch besondere Momente von Erfüllung und Freude bereit hält. Für mich ist es ein wertvoller Beitrag zur Debatte über Sterbehilfe (die ich prinzipiell begrüße).

Deine Zeilen haben mich zum Nachdenken angeregt und ich werde sie nicht zu letzten Mal gelesen haben. Vielen Dank dafür.

LG Skarabäus

[crim]

Hallo Skarabäus,
wunderbares Feedback. Du lässt mich an deiner Lesart teilhaben und ich nicke vor mich hin. Einzig Sterbehilfe (speziell als Debattenbeitrag) hatte ich nicht primär im Sinn, jedenfalls hätte der Rabe dann vielleicht darum gebeten. Ich sehe aber deine Gedanken weiterhin als schlüssig und füge somit meinem Lesen etwas von deinem Lesen hinzu, und das ist wertvoll für mich.
Vielen vielen Dank.
Das Inko

[Skarabäus]

[crim]

Hi Skarabäus,

danke für deine weiterführenden Gedanken. Wenn mir persönliche Gedankenwelten aufgezeigt werden, nehme ich die immer gerne als Geschenk.
Autoren-Intentionen sind so ein Ding. Vorhanden, ja meistens. Maßgeblich für ein Lesen des Textes, nein. Der Text muss ja ohne mich auskommen.
Ich freue mich jedenfalls sehr über deine Eindrücke. Es fächert mir die Wirkweise auf, und dass da für dich als Leser etwas funktioniert und überspringt.
Danke.

Das Ink

[Fistandantilus]

Starke, einprägsame Zeilen!

Einen Rechtschreibfehler hab ich entdeckt, "übersäen" schreibt man ohne "h".

Ich tue mich in der Lyrik immer ein bisschen schwer, wenn alles klein geschrieben ist und Satzzeichen fehlen. Warum machen das die Lyriker so oft? Ernstgemeinte Frage, ich komme ja aus der Prosa.

Ich nehme mir mal die Freiheit, es dahingehend abzuändern, will schauen, wie es dann wirkt:


Kauerte ein Rabe

Unterm alten Lattenzaun
kauerte ein Rabe,
krächzte quälend langsam.

Quirlig nur die Ameisen,
die seinen Körper übersäten.
Er pickte. Pickte im Gefieder.

Ich trat heran, er sah mich,
aber floh nicht, krächzte wieder,
augenscheinlich sterbend

unter Ameisen und Ameisen.
Brich eine Latte ab vom Zaun,
schwing sie, dacht ich,

zertrümmre diesen Körper
voller luftgefüllter Knöchlein,
ist Gnade nicht die seltsamste Gewalt?

Der Rabe aber schaute, streckte
erst ein Bein, dann das andere,
stand, sprang und flog.


Joa, jetzt weiß ich auch net.

[crim]

Hi Fist,

tatsächlich geht hier wenig bis nichts verloren, wenn man das so setzt wie du.

Insofern, ja, das könnte ich machen. Bei mir ist das nämlich eher so etwas, das sich halt verfestigt hat, ohne groß darüber nachzudenken. Aber wenn ein Text dadurch keinen offensichtlichen Mehrwert bietet (bei manchen tut es das durchaus), dann bleiben schon noch ein paar Überlegungen, warum man trotzdem kleinschreiben könnte. Bin da aber nicht dogmatisch. Und denke noch ein bisschen drüber nach.
Hier im Text fand ich einzig diese einzelne Stelle, wo ich einen Punkt setze, interessant (zum Thema Interpunktion), weil ich mich letztendlich frage: Warum eigentlich dort?

Hier ist eine interessante Diskussion aus dem Forum zur Kleinschreibung: https://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?p=969332&highlight=kleinschreibung#969332

Und sonst, vielen Dank für die Fehlerfindung, dein Gefallen, deinen Kommentar.

LG crim

[Fistandantilus]

Vielen Dank für den Link, eine wirklich interessante und aufschlussreiche Diskussion dort.