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Auszug aus dem Roman (Manuskript): Der Traum.Mann


 
 
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chaton
Gänsefüßchen
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Beiträge: 32
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Beitrag07.02.2023 19:41
Auszug aus dem Roman (Manuskript): Der Traum.Mann
von chaton
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Sie spazieren Hand in Hand durch die Allee im oberen Teil des Cimetière marin. Zu beiden Seiten reihen und türmen sich die teuren Grabstätten.
Dünne Wolken schweben wie ferne Pastellschleier im azurblauen Äther. Eine wirft weit draußen ihren Schatten auf die Wasserfläche und bildet einen dunklen Fleck. Über dem Horizont besitzt der Himmel eine weißlich-blaue Färbung, die emporzustrahlen scheint, und ferne Wolken verschwimmen sanft zu einem hellen Band, das den Eindruck erweckt, als hielte es schon Verbindung mit jenseitigen Räumen und fremden Himmeln über den afrikanischen Ufern des Mittelmeers.
Auch das kräftige Blau der Wasserfläche hellt sich zum Horizont auf. Strömungen gliedern die Wassermassen und sorgen für subtile Farbkontraste, an mehreren Stellen kräuselt sich die Oberfläche und zieht feine weiße Streifen.
Träge segeln zwei Möwen in Ufernähe über dem Wasser.
Vincent und Delta gelangen an eine kleine Piniengruppe. Sie spendet etwas Schatten, den sie aufsuchen, um in der Mittagshitze zu rasten.
Um sie her wogt sanft das steinerne Meer der Gräber, Gruften und Kapellen. Die hochstehende Sonne lässt die hellen Naturstein- und polierten Marmorplatten, Dächer, Stelen, Kreuze und Umrandungen fast weiß leuchten. Hier haben alle eine Konzession für die Ewigkeit und die Warteliste ist lang.
Sie bemerken einige Kinder, die ein paar Meter unterhalb auf Grabplatten herumturnen, lachen, ihr Sandwich verputzen und aus Limonadenflaschen trinken. Die beiden tauschen amüsierte Blicke. Natürlich geben sie den Kindern recht, das Recht, unbekümmert zu sein, wo dieser Ort doch so schön sei und heitere Ruhe ausstrahle.
Jetzt setzen sie sich auf eine massive Grabplatte aus poliertem Marmor, das Grab ist zum Meer hin ausgerichtet, wie alle Gräber auf dieser Seite der Allee. Irgendein Offizier lag mal unter ihnen, sein Körper ist längst vermodert. Sein Rang eines Colonel und seine Orden hingegen sind immer noch intakt, schmücken die glatte Stele, die sich himmelwärts reckt. Ob das den lieben Gott interessiere? Die Menschen klammern sich an irgendwelche Dinge. Nur scheinbar wenden sie sich an Gott, reden in Wirklichkeit aufeinander ein, ohne sich wirklich zu verstehen.
Vincent und Delta sind eng aneinandergedrückt. Wie schön doch ihre Oberschenkel sind, die perfekte Glätte ihrer Knie, die leichte matte Bräune ihrer sanften Haut, unwiderstehlich. Er umfasst mit seinem rechten Arm ihre Taille, seine Finger suchen unter dem T-Shirt den Kontakt mit ihrem Bauch, ruhen ausgestreckt auf ihm, bewegen sich mit leichten Streichelbewegungen. Sie schaut ihn an, ihre linke Hand legt sich auf seine linke, die er ihr entgegenstreckt, ihre Handflächen berühren sich. Ihre rechte Hand ruht auf ihrem rechten Knie. Er sagt ihr ins Ohr, wie lieb er sie hat. Ein leichtes Lächeln umspielt ihre Gesichtszüge und sie blickt bewegungslos auf das Meer.
Sie befinden sich im Zenit ihrer Beziehung, durchdringen einander mit ungeahnter Intensität. Ihre Gefühle haben ihre Schatten abgeworfen, sind vollkommen transparent und fluide. Sein Blick löst sich von ihrer Gestalt und folgt ihrem Blick. Beider Blicke treffen sich an einem weißen Segel direkt vor ihnen in südöstlicher Richtung, weit draußen unter dem Horizont. Ihre Blicke verwandeln sich in zwei Hände, die das Schiff bergen wie der Rumpf des Schiffes seine Besatzung.

Möchtest du Kinder? – Ja, aber ich bin nicht darauf erpicht, sie selbst zu machen. – Ich auch nicht. – Und die eigenen Gene? Legst du keinen Wert darauf, sie weiterzugeben? – Nein. Ist das so wichtig? Es sind so viele ungenutzte Gene in der Welt, gute und weniger gute. Der Topf ist übervoll. – Wenn alle so denken würden? – Es denken aber nicht alle so und alle werden auch nie so denken. – Die Kinder, die vorhin auf den Gräbern spielten, haben gewiss Eltern. – Ja, sie wirkten behütet. – Die Welt ist voll mit unbehüteten Kindern. – Ja, und ihre Zahl wächst. Sie sind die Opfer und Boten einer unglücklichen Epoche. – Wer kümmert sich um sie? – Wir zum Beispiel, indem wir von ihnen sprechen. – Was kann unser armseliges Sprechen schon bewirken? – Ich möchte mit dir eines Tages ein Kind annehmen, aus der Mülltonne der Schande klauben, aus der Gosse auflesen. Möchtest du mir dabei helfen? – So vorbehaltlos, wie du es dir vorstellen magst. - Wir selbst haben uns aufgehoben und angenommen. - Ja, davon bin ich durchdrungen und bewahre dich immer-zu.

Vincent erhebt sich und stellt sich vor Delta, beugt sich zu ihr. Ihre Augen treffen sich und ihre Blicke laufen hin und her wie ihre Gefühle, die sie füreinander hegen. Ihre Stirnen berühren sich und sie synchronisieren ihrer beider Bewusstsein. Sie wissen im Augenblick, dass nur der Tod ihre Beziehung trennen kann. Und diese ungeheure Wahrheit, ihre Wahrheit, macht ihnen keine Angst, sondern lässt sie das Gewicht ihres Lebens spüren.



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Miné
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Beitrag08.02.2023 10:08
Re: Auszug aus dem Roman (Manuskript): Der Traum.Mann
von Miné
Antworten mit Zitat

chaton hat Folgendes geschrieben:
Sie spazieren Hand in Hand durch die Allee im oberen Teil des Cimetière marin. Wenn meinst du mit Sie?

Zu beiden Seiten reihen und türmen sich die teuren Grabstätten. Was bedeutet das? Sind sie auf einem Friedhof?

Dünne Wolken schweben wie ferne Pastellschleier im azurblauen Äther. Too much! Weniger wäre hier vielleicht mehr.

Eine wirft weit draußen ihren Schatten auf die Wasserfläche und bildet einen dunklen Fleck. Ich habe immer noch keinen Schimmer, ob die draußen, drinnen oder ob es Tag oder Nacht ist. Geschweige denn Sommer, Winter oder sonstiges. Meiner Meinung nach verlierst du dich in Nichtigkeiten.

Über dem Horizont besitzt der Himmel eine weißlich-blaue Färbung, die emporzustrahlen scheint, und ferne Wolken verschwimmen sanft zu einem hellen Band, das den Eindruck erweckt, als hielte es schon Verbindung mit jenseitigen Räumen und fremden Himmeln über den afrikanischen Ufern des Mittelmeers. Vielllllllllllll zu langer Satz und viellll zu umständlich. Den muss man ja dreimal lesen, um ihn zu verstehen. Außerdem beinhaltet der Satz keinerlei wichtige Informationen, sodass du den getrost streichen könntest.

Auch das kräftige Blau der Wasserfläche hellt sich zum Horizont auf. Strömungen gliedern die Wassermassen und sorgen für subtile Farbkontraste, an mehreren Stellen kräuselt sich die Oberfläche und zieht feine weiße Streifen. Zu viel Beschreibung und keine Handlung. Das lahmt nur die Geschichte.


Habe bis hierhin gelesen und mich immer gefragt, ob da auch noch mal eine Handlung kommt, oder ob die Beschreibung der Umgebung endlos fortgesetzt wird.

Mir persönlich ist der Anfang zu zäh, da nichts passiert (keine Handlung). Der Beschreibung der Umgebung konnte ich auch nicht sonderlich gut folgen, da sie ohne Handlung leider sehr ermüdend ist. Demnach wären deine Leser vermutlich eingeschlafen, bevor die Geschichte richtig Fahrt aufnimmt.

Mein Rat: Lass irgendwas passieren. So schnell wie möglich, damit die Neugier des Lesers geweckt wird.
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chaton
Gänsefüßchen
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Beitrag08.02.2023 12:25
Re: Auszug aus dem Roman (Manuskript): Der Traum.Mann
von chaton
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Miné hat Folgendes geschrieben:
chaton hat Folgendes geschrieben:
Sie spazieren Hand in Hand durch die Allee im oberen Teil des Cimetière marin. Wenn meinst du mit Sie?

Zu beiden Seiten reihen und türmen sich die teuren Grabstätten. Was bedeutet das? Sind sie auf einem Friedhof?

Dünne Wolken schweben wie ferne Pastellschleier im azurblauen Äther. Too much! Weniger wäre hier vielleicht mehr.

Eine wirft weit draußen ihren Schatten auf die Wasserfläche und bildet einen dunklen Fleck. Ich habe immer noch keinen Schimmer, ob die draußen, drinnen oder ob es Tag oder Nacht ist. Geschweige denn Sommer, Winter oder sonstiges. Meiner Meinung nach verlierst du dich in Nichtigkeiten.

Über dem Horizont besitzt der Himmel eine weißlich-blaue Färbung, die emporzustrahlen scheint, und ferne Wolken verschwimmen sanft zu einem hellen Band, das den Eindruck erweckt, als hielte es schon Verbindung mit jenseitigen Räumen und fremden Himmeln über den afrikanischen Ufern des Mittelmeers. Vielllllllllllll zu langer Satz und viellll zu umständlich. Den muss man ja dreimal lesen, um ihn zu verstehen. Außerdem beinhaltet der Satz keinerlei wichtige Informationen, sodass du den getrost streichen könntest.

Auch das kräftige Blau der Wasserfläche hellt sich zum Horizont auf. Strömungen gliedern die Wassermassen und sorgen für subtile Farbkontraste, an mehreren Stellen kräuselt sich die Oberfläche und zieht feine weiße Streifen. Zu viel Beschreibung und keine Handlung. Das lahmt nur die Geschichte.


Habe bis hierhin gelesen und mich immer gefragt, ob da auch noch mal eine Handlung kommt, oder ob die Beschreibung der Umgebung endlos fortgesetzt wird.

Mir persönlich ist der Anfang zu zäh, da nichts passiert (keine Handlung). Der Beschreibung der Umgebung konnte ich auch nicht sonderlich gut folgen, da sie ohne Handlung leider sehr ermüdend ist. Demnach wären deine Leser vermutlich eingeschlafen, bevor die Geschichte richtig Fahrt aufnimmt.

Mein Rat: Lass irgendwas passieren. So schnell wie möglich, damit die Neugier des Lesers geweckt wird.


Hallo Miné,
vielen Dank für dein Feedback. Der Auszug stammt irgendwo aus dem Innern eines Textes mit einem Umfang von ca. 750 Manuskriptseiten. Es passiert zwar enorm viel über Jahre hinweg, aber zu dargestellten äußeren Handlungen mit allerlei spannenden Intrigen wollte der Strom allen Geschehens nicht geraten. Alle Beteiligten des Textes (Erzähler, Personen, ja sogar die Akteure der äußeren Welt) kommunizieren ständig und unterschiedlich: verstehen sich in glücklichen Momenten, verstehen sich nicht, weil sie es nicht können oder nicht wollen. Suchen nach Verständigung oder fliehen vor ihr. Manchmal spielt der Zufall mit. Ich glaube, der Text ist ein großes Feld des Kommunizierens mit all seinen Überraschungen, Enttäuschungen, Erfüllungen, Unwägbarkeiten. Da ist eine Hauptperson "Vincent" und da sind vier Frauengestalten (mit der zentralen Gestalt "Delta"), mit denen Vincent die Begegnung aufnimmt und sie mit ihm - und heraus kommt aus diesen  Prozessen ein "Roman". Viel "innere Handlung" und wenig "äußere Handlung". Ist halt so.


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Miné
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Beitrag08.02.2023 13:10

von Miné
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Nützt dir aber alles nichts, wenn der Leser abspringt, bevor es richtig gut wird Mr. Green
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Saurimat
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Beitrag12.02.2023 15:57
Re: Auszug aus dem Roman (Manuskript): Der Traum.Mann
von Saurimat
Antworten mit Zitat

Hallo chaton,

leider muss ich auch zugeben, dass (für mich!) die Umgebung zu detailiert beschrieben ist.
Als Autor hat man ein Bild vor Augen und möchte dem Leser eben dieses Bild auch vermitteln. Nur möchte ich als Leser auch Raum für meine eigene Phantasie haben. Meist reicht es, eine grobe Beschreibung einer Umgebung und der Rest wird aus der eigenen Erfahrung aufgefüllt.
Hier kommt es mir eher vor, als würdest Du mir ein Gemälde beschreiben, inklusive dessen, was der Maler sich dabei wohl gedacht haben mag.

Daher einmal, wie ich den Text beim ersten Mal gelesen habe. Dies sind keine Verbeserungsvorschläge, da Du einen ganz eigenen Schreibstil hast, in welchen ich Dir auch nicht hereinschreiben möchte, sondern nur, wie ich den Text wahrgenommen habe (durchgestrichen die Teile welche ich in Gedanken einfach quer/überlesen/ignoriert habe, grün, wenn ich über etwas gestolpert bin):

chaton hat Folgendes geschrieben:
Sie spazieren Hand in Hand durch die Allee im oberen Teil des Cimetière marin. Zu beiden Seiten reihen und türmen sich die teuren (was ist hierunter zu verstehen? Prunkvoll? übertrieben pompös/fast obzön?) Grabstätten.
Dünne Wolken schweben wie ferne Pastellschleier im azurblauen Äther. Eine wirft weit draußen ihren Schatten auf die Wasserfläche und bildet einen dunklen Fleck. Über dem Horizont besitzt der Himmel eine weißlich-blaue Färbung, die emporzustrahlen scheint, und ferne Wolken verschwimmen sanft zu einem hellen Band, das den Eindruck erweckt, als hielte es schon Verbindung mit jenseitigen Räumen und fremden Himmeln über den afrikanischen Ufern des Mittelmeers.
Auch das kräftige Blau der Wasserfläche hellt sich zum Horizont auf. Strömungen gliedern die Wassermassen und sorgen für subtile Farbkontraste, an mehreren Stellen kräuselt sich die Oberfläche und zieht feine weiße Streifen.
Träge segeln zwei Möwen in Ufernähe über dem Wasser.

Vincent und Delta gelangen an eine kleine Piniengruppe. Sie spendet etwas Schatten, den sie aufsuchen, um in der Mittagshitze zu rasten.
Um sie her wogt sanft das steinerne Meer der Gräber, Gruften und Kapellen. Die hochstehende Sonne lässt die hellen Naturstein- und polierten Marmorplatten, Dächer, Stelen, Kreuze und Umrandungen fast weiß leuchten. (Teils berschreibst Du hier die Umgebung erneut, nur detailerter - dass sie sich auf einer Grabstädte befinden und die Sonne hoch steht wissen wir bereits) Hier haben alle eine Konzession für die Ewigkeit und die Warteliste ist lang.
Sie bemerken einige Kinder, die ein paar Meter unterhalb auf Grabplatten herumturnen, lachen, ihr Sandwich verputzen und aus Limonadenflaschen trinken. Die beiden tauschen amüsierte Blicke. Natürlich geben sie den Kindern recht, das Recht, unbekümmert zu sein, wo dieser Ort doch so schön sei und heitere Ruhe ausstrahle.
Jetzt setzen sie sich auf eine massive Grabplatte aus poliertem Marmor, das Grab ist zum Meer hin ausgerichtet, wie alle Gräber auf dieser Seite der Allee. Irgendein Offizier lag mal unter ihnen, sein Körper ist längst vermodert. Sein Rang eines Colonel und seine Orden hingegen sind immer noch intakt, schmücken die glatte Stele, die sich himmelwärts reckt. Ob das den lieben Gott interessiere? Die Menschen klammern sich an irgendwelche Dinge. Nur scheinbar wenden sie sich an Gott, reden in Wirklichkeit aufeinander ein, ohne sich wirklich zu verstehen. (Gerade dieser Teil hatte für mich keinen Bezug zur folgenden Handlung+Dialog )
Vincent und Delta sind eng aneinandergedrückt. Wie schön doch ihre Oberschenkel sind, die perfekte Glätte ihrer Knie, die leichte matte Bräune ihrer sanften Haut, unwiderstehlich. Er umfasst mit seinem rechten Arm ihre Taille, seine Finger suchen unter dem T-Shirt den Kontakt mit ihrem Bauch, ruhen ausgestreckt auf ihm, bewegen sich mit leichten Streichelbewegungen. Sie schaut ihn an, ihre linke Hand legt sich auf seine linke, die er ihr entgegenstreckt, ihre Handflächen berühren sich. Ihre rechte Hand ruht auf ihrem rechten Knie. Er sagt ihr ins Ohr, wie lieb er sie hat (War mir zu vage/nichtsagend - was empfindet er denn nun für sie?). Ein leichtes Lächeln umspielt ihre Gesichtszüge und sie blickt bewegungslos auf das Meer.
Sie befinden sich im Zenit ihrer Beziehung, durchdringen einander mit ungeahnter Intensität. Ihre Gefühle haben ihre Schatten abgeworfen, sind vollkommen transparent und fluide. Sein Blick löst sich von ihrer Gestalt und folgt ihrem Blick. Beider Blicke treffen sich an einem weißen Segel direkt vor ihnen in südöstlicher Richtung, weit draußen unter dem Horizont. Ihre Blicke verwandeln sich in zwei Hände, die das Schiff bergen wie der Rumpf des Schiffes seine Besatzung.

Möchtest du Kinder? – Ja, aber ich bin nicht darauf erpicht, sie selbst zu machen. (Beide scheinen keine Teenager mehr zu sein. Sind schon eine Weile zusammen [der Zenit einer Beziehung wird nach meiner Erfahrung erst nach vielen Monaten, sogar Jahren erreicht sein] und dennoch kommt erst jetzt die Frage nach gemeinsamen Kindern auf? )– Ich auch nicht. – Und die eigenen Gene? Legst du keinen Wert darauf, sie weiterzugeben? – Nein. Ist das so wichtig? Es sind so viele ungenutzte Gene in der Welt, gute und weniger gute. Der Topf ist übervoll. – Wenn alle so denken würden? (Zu Beginn sagt Person 2 noch, dass er/sie keine biologischen Kinder haben möchte. Nun klingt es wie ein Vorwurf an Person 1, dass diese im Grunde genauso denkt?)– Es denken aber nicht alle so und alle werden auch nie so denken. – Die Kinder, die vorhin auf den Gräbern spielten, haben gewiss Eltern. – Ja, sie wirkten behütet. – Die Welt ist voll mit unbehüteten Kindern. – Ja, und ihre Zahl wächst. Sie sind die Opfer und Boten einer unglücklichen Epoche. – Wer kümmert sich um sie? – Wir zum Beispiel, indem wir von ihnen sprechen. – Was kann unser armseliges Sprechen schon bewirken? – Ich möchte mit dir eines Tages ein Kind annehmen, aus der Mülltonne der Schande klauben, aus der Gosse auflesen. Möchtest du mir dabei helfen? – So vorbehaltlos, wie du es dir vorstellen magst. - Wir selbst haben uns aufgehoben und angenommen. - Ja, davon bin ich durchdrungen und bewahre dich immer-zu. (Hier verlierst Du mich. Das ist für mich kein "realer" Dialog, den jemand so in solch einer idyllischen Umgebung führen würde. Zudem driftet er von einem Thema zum nächsten - keine eigenen biologischen Kinder, die Anmaßung von guten und weniger guten (?) Genen zu reden, die fast schon arrogante Aussage, dass durch den Dialog eines paares, Kinder gerettet werden können, bleibt unbeantwortet. )

Vincent erhebt sich und stellt sich vor Delta, beugt sich zu ihr. Ihre Augen treffen sich und ihre Blicke laufen hin und her wie ihre Gefühle, die sie füreinander hegen. Ihre Stirnen berühren sich und sie synchronisieren ihrer beider Bewusstsein (Klingt in meinen Augen zwar sehr poetisch, gleichzeitig jedoch auch albern. Zwei Erwachsene die ihre Köpfe aneinander legen weil sie dadurch ihre Gedanken Teilen?). Sie wissen im Augenblick, dass nur der Tod ihre Beziehung trennen kann. Und diese ungeheure Wahrheit, ihre Wahrheit, macht ihnen keine Angst, sondern lässt sie das Gewicht ihres Lebens spüren.


Wie so oft, wenn man mitten in ein Buch/Manuskript geworfen wird, fällt es schwer einzuschätzen, wie genau die Beziehungen der Figuren zueinanden stehen.
Daher hätte wohl ein Auszug aus dem ersten Kapitel oder zumindest eine kurze Beschreibung der Figuren und Szene schon geholfen.


Gruß
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chaton
Gänsefüßchen
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Beitrag12.02.2023 20:45
Re: Auszug aus dem Roman (Manuskript): Der Traum.Mann
von chaton
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Saurimat hat Folgendes geschrieben:
Hallo chaton,

leider muss ich auch zugeben, dass (für mich!) die Umgebung zu detailiert beschrieben ist.
Als Autor hat man ein Bild vor Augen und möchte dem Leser eben dieses Bild auch vermitteln. Nur möchte ich als Leser auch Raum für meine eigene Phantasie haben. Meist reicht es, eine grobe Beschreibung einer Umgebung und der Rest wird aus der eigenen Erfahrung aufgefüllt.
Hier kommt es mir eher vor, als würdest Du mir ein Gemälde beschreiben, inklusive dessen, was der Maler sich dabei wohl gedacht haben mag.

Daher einmal, wie ich den Text beim ersten Mal gelesen habe. Dies sind keine Verbeserungsvorschläge, da Du einen ganz eigenen Schreibstil hast, in welchen ich Dir auch nicht hereinschreiben möchte, sondern nur, wie ich den Text wahrgenommen habe (durchgestrichen die Teile welche ich in Gedanken einfach quer/überlesen/ignoriert habe, grün, wenn ich über etwas gestolpert bin):

chaton hat Folgendes geschrieben:
Sie spazieren Hand in Hand durch die Allee im oberen Teil des Cimetière marin. Zu beiden Seiten reihen und türmen sich die teuren (was ist hierunter zu verstehen? Prunkvoll? übertrieben pompös/fast obzön?) Grabstätten.
Dünne Wolken schweben wie ferne Pastellschleier im azurblauen Äther. Eine wirft weit draußen ihren Schatten auf die Wasserfläche und bildet einen dunklen Fleck. Über dem Horizont besitzt der Himmel eine weißlich-blaue Färbung, die emporzustrahlen scheint, und ferne Wolken verschwimmen sanft zu einem hellen Band, das den Eindruck erweckt, als hielte es schon Verbindung mit jenseitigen Räumen und fremden Himmeln über den afrikanischen Ufern des Mittelmeers.
Auch das kräftige Blau der Wasserfläche hellt sich zum Horizont auf. Strömungen gliedern die Wassermassen und sorgen für subtile Farbkontraste, an mehreren Stellen kräuselt sich die Oberfläche und zieht feine weiße Streifen.
Träge segeln zwei Möwen in Ufernähe über dem Wasser.

Vincent und Delta gelangen an eine kleine Piniengruppe. Sie spendet etwas Schatten, den sie aufsuchen, um in der Mittagshitze zu rasten.
Um sie her wogt sanft das steinerne Meer der Gräber, Gruften und Kapellen. Die hochstehende Sonne lässt die hellen Naturstein- und polierten Marmorplatten, Dächer, Stelen, Kreuze und Umrandungen fast weiß leuchten. (Teils berschreibst Du hier die Umgebung erneut, nur detailerter - dass sie sich auf einer Grabstädte befinden und die Sonne hoch steht wissen wir bereits) Hier haben alle eine Konzession für die Ewigkeit und die Warteliste ist lang.
Sie bemerken einige Kinder, die ein paar Meter unterhalb auf Grabplatten herumturnen, lachen, ihr Sandwich verputzen und aus Limonadenflaschen trinken. Die beiden tauschen amüsierte Blicke. Natürlich geben sie den Kindern recht, das Recht, unbekümmert zu sein, wo dieser Ort doch so schön sei und heitere Ruhe ausstrahle.
Jetzt setzen sie sich auf eine massive Grabplatte aus poliertem Marmor, das Grab ist zum Meer hin ausgerichtet, wie alle Gräber auf dieser Seite der Allee. Irgendein Offizier lag mal unter ihnen, sein Körper ist längst vermodert. Sein Rang eines Colonel und seine Orden hingegen sind immer noch intakt, schmücken die glatte Stele, die sich himmelwärts reckt. Ob das den lieben Gott interessiere? Die Menschen klammern sich an irgendwelche Dinge. Nur scheinbar wenden sie sich an Gott, reden in Wirklichkeit aufeinander ein, ohne sich wirklich zu verstehen. (Gerade dieser Teil hatte für mich keinen Bezug zur folgenden Handlung+Dialog )
Vincent und Delta sind eng aneinandergedrückt. Wie schön doch ihre Oberschenkel sind, die perfekte Glätte ihrer Knie, die leichte matte Bräune ihrer sanften Haut, unwiderstehlich. Er umfasst mit seinem rechten Arm ihre Taille, seine Finger suchen unter dem T-Shirt den Kontakt mit ihrem Bauch, ruhen ausgestreckt auf ihm, bewegen sich mit leichten Streichelbewegungen. Sie schaut ihn an, ihre linke Hand legt sich auf seine linke, die er ihr entgegenstreckt, ihre Handflächen berühren sich. Ihre rechte Hand ruht auf ihrem rechten Knie. Er sagt ihr ins Ohr, wie lieb er sie hat (War mir zu vage/nichtsagend - was empfindet er denn nun für sie?). Ein leichtes Lächeln umspielt ihre Gesichtszüge und sie blickt bewegungslos auf das Meer.
Sie befinden sich im Zenit ihrer Beziehung, durchdringen einander mit ungeahnter Intensität. Ihre Gefühle haben ihre Schatten abgeworfen, sind vollkommen transparent und fluide. Sein Blick löst sich von ihrer Gestalt und folgt ihrem Blick. Beider Blicke treffen sich an einem weißen Segel direkt vor ihnen in südöstlicher Richtung, weit draußen unter dem Horizont. Ihre Blicke verwandeln sich in zwei Hände, die das Schiff bergen wie der Rumpf des Schiffes seine Besatzung.

Möchtest du Kinder? – Ja, aber ich bin nicht darauf erpicht, sie selbst zu machen. (Beide scheinen keine Teenager mehr zu sein. Sind schon eine Weile zusammen [der Zenit einer Beziehung wird nach meiner Erfahrung erst nach vielen Monaten, sogar Jahren erreicht sein] und dennoch kommt erst jetzt die Frage nach gemeinsamen Kindern auf? )– Ich auch nicht. – Und die eigenen Gene? Legst du keinen Wert darauf, sie weiterzugeben? – Nein. Ist das so wichtig? Es sind so viele ungenutzte Gene in der Welt, gute und weniger gute. Der Topf ist übervoll. – Wenn alle so denken würden? (Zu Beginn sagt Person 2 noch, dass er/sie keine biologischen Kinder haben möchte. Nun klingt es wie ein Vorwurf an Person 1, dass diese im Grunde genauso denkt?)– Es denken aber nicht alle so und alle werden auch nie so denken. – Die Kinder, die vorhin auf den Gräbern spielten, haben gewiss Eltern. – Ja, sie wirkten behütet. – Die Welt ist voll mit unbehüteten Kindern. – Ja, und ihre Zahl wächst. Sie sind die Opfer und Boten einer unglücklichen Epoche. – Wer kümmert sich um sie? – Wir zum Beispiel, indem wir von ihnen sprechen. – Was kann unser armseliges Sprechen schon bewirken? – Ich möchte mit dir eines Tages ein Kind annehmen, aus der Mülltonne der Schande klauben, aus der Gosse auflesen. Möchtest du mir dabei helfen? – So vorbehaltlos, wie du es dir vorstellen magst. - Wir selbst haben uns aufgehoben und angenommen. - Ja, davon bin ich durchdrungen und bewahre dich immer-zu. (Hier verlierst Du mich. Das ist für mich kein "realer" Dialog, den jemand so in solch einer idyllischen Umgebung führen würde. Zudem driftet er von einem Thema zum nächsten - keine eigenen biologischen Kinder, die Anmaßung von guten und weniger guten (?) Genen zu reden, die fast schon arrogante Aussage, dass durch den Dialog eines paares, Kinder gerettet werden können, bleibt unbeantwortet. )

Vincent erhebt sich und stellt sich vor Delta, beugt sich zu ihr. Ihre Augen treffen sich und ihre Blicke laufen hin und her wie ihre Gefühle, die sie füreinander hegen. Ihre Stirnen berühren sich und sie synchronisieren ihrer beider Bewusstsein (Klingt in meinen Augen zwar sehr poetisch, gleichzeitig jedoch auch albern. Zwei Erwachsene die ihre Köpfe aneinander legen weil sie dadurch ihre Gedanken Teilen?). Sie wissen im Augenblick, dass nur der Tod ihre Beziehung trennen kann. Und diese ungeheure Wahrheit, ihre Wahrheit, macht ihnen keine Angst, sondern lässt sie das Gewicht ihres Lebens spüren.


Wie so oft, wenn man mitten in ein Buch/Manuskript geworfen wird, fällt es schwer einzuschätzen, wie genau die Beziehungen der Figuren zueinanden stehen.
Daher hätte wohl ein Auszug aus dem ersten Kapitel oder zumindest eine kurze Beschreibung der Figuren und Szene schon geholfen.


Gruß



Hallo Saurimat,

Texte sind nicht dazu da, LeserIn zu inkommodieren oder gar zu quälen. Jedenfalls ist dies nicht meine Intention.
Diderot hat mal Rousseau vorgeworfen, dass sein Stil zu „feuillu“ sei, also zu viel sprachliches Laub enthält, das Stamm, Äste und Zweige verdeckt.
Offenbar rufen meine Texte bei nicht wenigen LesernInnen den Eindruck hervor, mit viel Blattwerk beladen, ja überladen zu sein. Und irgendwann verfestigt sich der Eindruck, dass kaum etwas passiert und man in überflüssige Textpassagen getrieben wird. Man beginnt, Passagen zu überspringen und wirft recht schnell den ganzen Text weg, vermutlich vorwurfsvoll.

Die Person „Delta“ wird in wenigen Jahren scheitern (unaufhaltsame Depression) und Selbstmord begehen. Die Person „Vincent“ wird diese Katastrophe, deren Fatalität lang und breit erörtert wird, annehmen und später zwei weiteren Frauen begegnen. Diese hingegen nicht ihm, d. h. schon ihm, aber eine wirkliche Begegnung sollte nicht zustande kommen, obwohl sie hätte sein können.
„Vincent“ verwandelt sich peu à peu - und nicht zuletzt, weil er sich als Nachfahre von „Delta“ betrachtet - in einen Traum.Mann, nämlich in einen anderen Mann-Entwurf, als es der bisherige „Traummann“ der Frauen war. Er scheitert am „Traummann“ der Frauen. Das ist halt so. Umgekehrt scheitern diese Frauen auch an ihm, und ihr „Traummann“ bekommt reichlich Dellen, ganz banal halt: Die eine vagabundiert und schafft keine feste Bindung, die andere führt ein miserables Eheleben in einem goldenen Käfig. Aber derartiges Geschehen soll ja auch Nutzen stiften.

Auf der Ebene der äußeren Handlungen passiert eigentlich nichts Besonderes. Was soll auch Menschen passieren, die ihren Job machen müssen, um sozial halbwegs zu überleben, belastet und verlassen von kaputten Familien und nur in der Begegnung mit wenigen Freunden kommunizierend? Da bauen sich ganz andere Vorstellungen von substanzieller Kommunikation auf. Und da wird es erneut und radikal „traumhaft“, um geistig genügend Substanz zu gewinnen.

Dennoch danke ich dir für dein Feedback. Ich werde mein „Blattwerk“ doch noch einmal genauer unter die Lupe nehmen und vielleicht straffen.
Muss mir das noch durch den Kopf gehen lassen.

Gruß


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etcetera
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Beiträge: 157



Beitrag15.02.2023 04:26

von etcetera
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Ich möchte ganz ehrlich sein. Du hast eine außergewöhnliche Begabung, sehr schön zu erzählen, und genau das ist es auch, was Du schreibst: es ist eine Erzählung. So ungefähr hat man vielleicht vor 150 Jahren oder mehr geschrieben. Rousseau und Diderot sind hoffnungslos veraltet, an ihnen solltest du dich nicht messen. Sie lebten in einer anderen Zeit, und die Leser hatten andere Erwartungen. Zu der Zeit gab es noch keine bewegten Bilder, befand sich die Welt in einem weit ruhigerem Fluss. Heute möchten die Menschen sehen, was passiert, teilhaben am Geschehen, da muss der erzählerische Teil zurücktreten und die Handlung in den Vordergrund kommen. Handlung bedeutet Bewegung, Konflikt, Veränderung, beinhaltet Überraschendes, und nicht das, was jeder schon vorher weiß – und sei es auch noch so schön.
Man könnte wirklich fast glauben, dass du hier detailliert ein Gemälde beschreibst, wie es Saurimat gesagt hat. Es klingt alles sehr, sehr schön, das meine ich ernst, aber es ist sterbenslangweilig, zumindest für die meisten Leser.
Es ist gleich, was in der übrigen Geschichte an dramatischen Dingen passiert, welche Tragödien oder Gefahren irgendwo lauern – hier, in dieser Passage passiert nichts, es wird nur erzählt; und ich vermute, an vielen anderen, recht langatmigen Stellen der Geschichte ebenfalls.
Es kommt auf jede Passage, jeden Satz, jedes Wort an, sie alle müssen jedes für sich die ganze Geschichte tragen, jedes einzelne Teil davon muss sitzen – da verbirgt sich die Kunst des Schreibens. Langweilst du den Leser an mehr als einer Stelle, wirst du ihn wahrscheinlich verlieren!
Ich habe hier ein Beispiel – nicht eins, wie du deine Geschichte schreiben sollst, sondern eines, um zu vergleichen, welche Art der Erzählung eher Interesse anfacht. Es braucht da keine Mörder- oder Gewaltgeschichten, sondern oft genügt ein angedeuteter Konflikt. Gleichzeitig greife ich aus der Umgebung nur wenige Beispiele heraus und überlasse den Rest der Phantasie des Lesers. Ich lehne mich einfach mal an deine Geschichte an, obwohl es eine ganz andere ist. Schau einmal, was ich meine und vergleiche (ist kein Meisterstück, sondern auf die Schnelle erstellt):
Zitat:
Sie spazierten Hand in Hand durch die Allee im oberen Teil des Cimetière marin. Behutsam hielt Vincent Deltas zerbrechlich wirkende Hand in der Seinen. Er schaute sie von der Seite an. Ihr blasses Gesicht versetzte ihm einen Stich. Die Augen zur Hälfte geschlossen, erschien sie ihm wie eine Schlafwandlerin. Sie wirkte so verdammt hilflos, wie gern hätte er sie in diesem Moment in die Arme genommen. Er wusste aber, dass es sie verängstigen würde.
Am Himmel schwebten Wolken, warfen ihre Schatten auf die teuren Grabstätten und formten auf dem nahen Meer dunkle Flächen, die langsam weiterzogen.
Sie gelangten an eine kleine Piniengruppe. In ihrem Schatten stand eine kleine Bank und sie setzten sich dort hin. Vincent lehnte sich zurück, verschränkte seine Arme und schloss die Augen. „Ein friedlicher Tag. Lass uns für einen Moment alles vergessen.“
Delta stöhnte: „Du hast leicht reden. Morgen ist es soweit, wie könnte ich da an etwas anderes denken?“
„Du bist ein zauberhaftes Wesen. Und du weißt, ich würde alles für dich tun.“
„Dann sei einfach still. Lass mich nachdenken.“
Vincent blickte über das steinerne Meer der Gräber, Gruften und Kapellen. Eine Wolke gab die Sonne frei, sofort erstrahlte die Umgebung in ihrem hellen Licht. Zwischen den Gräbern zeichneten sich scharfe Schatten ab. Vincent richtete sich müde auf. Delta war unglücklich, klar, aber sie machte es ihm auch nicht leicht. Er hörte sie leise schluchzen und erschrocken wandte er sich ihr zu. Tränen liefen ihr über die Wangen. Was konnte er nur tun? Verzweifelt nahm er ihre Hand.

Wahrscheinlich läßt sich nicht mehr viel machen, der Roman scheint ja fertig zu sein, vielleicht könnte er aber etwas gewinnen, wenn du allzu langatmige Passagen streichst?

PS: Wo genau soll es sein? Etwa auf dem Cimetière Marin Paul Valéry de Sète? Da sieht man tatsächlich das Meer. Allerdings auch in Saint-Tropez, aber da war ich noch nicht.
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realo
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Beiträge: 185



Beitrag15.02.2023 12:54

von realo
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Hallo,
ich habe den Text komplett gelesen, jedoch konnte ich deshalb nicht viel mit anfangen, weil nichts passiert, womit ich mich identifizieren konnte. Die Wolken am Himmel, o.k., die kann man beobachten, aber dann so, dass daraus Spannung entsteht und nicht so eine Art Gleichmut von Beliebigkeit. Die Gräber, der Tod ist spannend, damit kann sich jeder lebende Mensch identifizieren, denn es erwartet ihn. Jedoch ist auch das nur so banal angedeutet, dass kein Reiz entsteht, nichts Bedrohliches, einfach nur alles ist egal. Dann wirkt das Pärchen mit den Liebesspielen auch nicht aufregend, sondern in meinen Augen kitschig. Damit möchte ich mich nicht identifizieren, da sind meine selbst erlebten Liebesspiele in der Erinnerung wesentlich prickelnder. So frage ich mich, nachdem ich es gelesen habe, wozu ist dieser Text veröffentlicht, damit sich der Leser damit beschäftigt? Wäre es ein therapeutischer Text hätte er seine Aufgabe sicherlich erfüllt, aber warum veröffentlichen?
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Daniel de Iguazu
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Beitrag15.02.2023 16:53

von Daniel de Iguazu
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Schöner Text. Mir gefällt die malerische Beschreibung. Ich spüre eine gewisse Beklemmung, zu die auch der Dialog beiträgt. Also schreiben kannst du, auch wenn ich die Anzahl an Beschreibungen etwas reduzieren würde.

Gemessen an Unterhaltungsliteratur: Es passiert wenig. Du hast keinen Konflikt. Falls in den Szenen davor viel passiert ist, dann finde ich diese Friedhofszene gelungen, um etwas Tempo herauszunehmen. Ansonsten würde ich nochmal die vorherigen Szenen auf Konflikte und den Spannungsbogen überprüfen. Es muss schon ein gewisses Spannungsniveau vor der Szene aufgebaut sein, damit ich nach der Szene weiterlesen würde.


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chaton
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Beitrag15.02.2023 18:17

von chaton
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Daniel de Iguazu hat Folgendes geschrieben:
Schöner Text. Mir gefällt die malerische Beschreibung. Ich spüre eine gewisse Beklemmung, zu die auch der Dialog beiträgt. Also schreiben kannst du, auch wenn ich die Anzahl an Beschreibungen etwas reduzieren würde.

Gemessen an Unterhaltungsliteratur: Es passiert wenig. Du hast keinen Konflikt. Falls in den Szenen davor viel passiert ist, dann finde ich diese Friedhofszene gelungen, um etwas Tempo herauszunehmen. Ansonsten würde ich nochmal die vorherigen Szenen auf Konflikte und den Spannungsbogen überprüfen. Es muss schon ein gewisses Spannungsniveau vor der Szene aufgebaut sein, damit ich nach der Szene weiterlesen würde.


Hallo Daniel de Iguazu,

Danke für dein Feedback. Die beiden vorherigen waren ja wirklich arg "niederschmetternd".
Beschreibungen aller Art spielen in meinen Texten eine große Rolle. Erst habe ich selbst gar nicht so recht verstanden, warum dies so gekommen ist. Mittlerweile weiß ich, dass es mit meiner Konzeption der Kommunikation zu tun hat. Über die "Bande der Dinge" lässt sich manches kommunizieren, was vielleicht im direkten Dialog nicht zum Ausdruck kommen kann (oder auch nicht darf). Man muss es nicht übertreiben, wie Zola beispielsweise in seinem Roman "La Faute de l`Abbé  Mouret", wenn er seitenweise aus botanischen Abhandlungen einen fantastisch-bombastischen Park sexueller Impulse auftürmt. Das wäre dann schon naturalistische Hypertrophie.
Ich habe noch einmal nachgeschaut, um diese Friedhofsszene im Kontext des Romans zu lokalisieren: Vincent ist gerade von der Beerdigung seiner Gefährtin Delta zurück, hat sich auf sein Bett geworfen, sich hemmungslos ausgeheult und ist schließlich in eben diese "Traumszene" hinübergeglitten. Vielleicht "trösten" ihn ja die Erinnerungsbilder mit seiner Geliebten, weil die Intensität ihrer Beziehung zugleich das Dasein um sie her intensivierte. Die Szene steht in sich geschlossen. Danach geht es "weiter im Erzähltext".


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etcetera
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Beitrag15.02.2023 20:17

von etcetera
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Das siehst Du falsch, nicht niederschmetternd, sondern aufrüttelnd! Ich meine es ja nicht böse, ich finde in Deinem Roman sogar manch Reizvolles, aber in einer Buchhandlung würde ich trotzdem die Finger davon lassen.
Zitat:
Danach geht es "weiter im Erzähltext"

Na ja, ich habe noch einen Text aus Deinem Roman entdeckt. Dabei habe ich gesehen, dass er tatsächlich diesem hier recht ähnlich ist. Du ballst da viel zusammen und erschlägst Deine Leser geradezu mit der ganzen Wucht Deiner Erzählwut. Du zwingst ihn, die Dinge mit Deinen Augen zu sehen, die Kulisse mit Deinen Gedanken zu füllen - ohne ihn zu beteiligen - und jagst ihn damit unweigerlich in die Flucht. Nicht unbedingt sofort, aber wahrscheinlich ein paar Seiten weiter...

Ich fände es schade, wenn Du Dein Talent vergeuden würdest, oder ist es Deine Absicht, nur für Deine Freunde oder für Nostalgiker zu schreiben? Schau, der Naturalismus hatte eben seine Zeit, wie auch der Realismus, man nennt diese literarische Epoche auch die Epoche der schönen Wirklichkeit; aber diese Zeiten sind vorbei, auf den Straßen, in den Häusern und auch in den Buchläden wandeln andere Menschen.

Man hatte mir auch mal nahegelegt, meine überflüssigen Beschreibungen (ich liebe sie ja auch - in Maßen) herauszunehmen, und ich hatte dann Folgendes geantwortet:

Entweder wird mein Roman so gut, dass ich sagen kann, dass der Leser - wohl wissend, worauf er sich bei mir einlässt - auch diese Passagen genießen kann, oder er (der Roman) ist einfach nicht gut genug, um veröffentlicht zu werden, d.h. ich will ihn dann auch nicht veröffentlichen!

Das sagte ich aber nur deshalb, weil mein Roman eben nicht fast ausschließlich aus Beschreibungen besteht, sondern diese wie kleine, fein verteilte Schmucksteine darin auftauchen.
Ich finde, zurückhaltend und in Maßen, dabei dem Leser Raum für seine eigene Fantasie lassend, können gelungene Beschreibungen einen Text geradezu veredeln. Es ist aber eine Gradwanderung und erfordert ein feines Fingerspitzengefühl.
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chaton
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Beitrag15.02.2023 20:46

von chaton
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etcetera hat Folgendes geschrieben:
Das siehst Du falsch, nicht niederschmetternd, sondern aufrüttelnd! Ich meine es ja nicht böse, ich finde in Deinem Roman sogar manch Reizvolles, aber in einer Buchhandlung würde ich trotzdem die Finger davon lassen.
Zitat:
Danach geht es "weiter im Erzähltext"

Na ja, ich habe noch einen Text aus Deinem Roman entdeckt. Dabei habe ich gesehen, dass er tatsächlich diesem hier recht ähnlich ist. Du ballst da viel zusammen und erschlägst Deine Leser geradezu mit der ganzen Wucht Deiner Erzählwut. Du zwingst ihn, die Dinge mit Deinen Augen zu sehen, die Kulisse mit Deinen Gedanken zu füllen - ohne ihn zu beteiligen - und jagst ihn damit unweigerlich in die Flucht. Nicht unbedingt sofort, aber wahrscheinlich ein paar Seiten weiter...

Ich fände es schade, wenn Du Dein Talent vergeuden würdest, oder ist es Deine Absicht, nur für Deine Freunde oder für Nostalgiker zu schreiben? Schau, der Naturalismus hatte eben seine Zeit, wie auch der Realismus, man nennt diese literarische Epoche auch die Epoche der schönen Wirklichkeit; aber diese Zeiten sind vorbei, auf den Straßen, in den Häusern und auch in den Buchläden wandeln andere Menschen.

Man hatte mir auch mal nahegelegt, meine überflüssigen Beschreibungen (ich liebe sie ja auch - in Maßen) herauszunehmen, und ich hatte dann Folgendes geantwortet:

Entweder wird mein Roman so gut, dass ich sagen kann, dass der Leser - wohl wissend, worauf er sich bei mir einlässt - auch diese Passagen genießen kann, oder er (der Roman) ist einfach nicht gut genug, um veröffentlicht zu werden, d.h. ich will ihn dann auch nicht veröffentlichen!

Das sagte ich aber nur deshalb, weil mein Roman eben nicht fast ausschließlich aus Beschreibungen besteht, sondern diese wie kleine, fein verteilte Schmucksteine darin auftauchen.
Ich finde, zurückhaltend und in Maßen, dabei dem Leser Raum für seine eigene Fantasie lassend, können gelungene Beschreibungen einen Text geradezu veredeln. Es ist aber eine Gradwanderung und erfordert ein feines Fingerspitzengefühl.


Hallo etcetera,

also fest steht: LeserIn soll keineswegs manipuliert werden - weder mit wiedergekäuten eigenen Vorstellungen und Erwartungshorizonten, noch missionarisch von den Vorstellungen, die den Text durchwirken.
Möglich, dass ein Punkt erreicht wird, wo man sagen kann: "Bon, c´est à prendre ou à laisser."
Der Punkt allerdings muss authentisch sein. Jemand fühlt sich erschlagen und wirft den Text weit von sich oder jemand fühlt mit, weil er selbst mit seiner Zivilisation geschlagen ist.
Aber ich glaube, ich sollte meine "Beschreibungen" schon besser führen.


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AmandaLovedale
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Beitrag17.05.2023 15:44

von AmandaLovedale
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Hallo chaton,

auch ich habe deinen Text interessiert gelesen. Danke, dass du uns daran teilhaben lässt.

Über die Ausführlichkeit der Beschreibungen hast du ja bereits mit anderen gesprochen. Ich persönlich gehöre zu den Autorinnen, die tendenziell zu wenig beschreiben. Ich überlasse die Leser gerne ihrer Phantasie. Aber meine Testleser wollten mehr und darum versuche ich inzwischen, mehr Beschreibung in meine Texte einzuflechten. Ich denke, es ist wichtig, seine Leser*innen zu kennen und ein Mittelmaß zu finden. Steht deine Zielgruppe auf detaillierte Beschreibungen? Dann ist das vollkommen in Ordnung. Ich selbst neige dann eher zum Querlesen. Aber das gilt eben für mich.

Ich würde allerdings gerne eine Anmerkung zum Dialog machen. Für mich war es schwer zu erkennen, wer hier was sagt. Ich habe Vermutungen, aber sicher sagen kann ich es nicht. Wir alle wollen kein ständiges "er sagt ... sie sagt ...", aber einen kleinen Hinweis finde ich hilfreich. Oder ist das ein bewusstes Stilmittel? Soll der Leser es nicht wirklich wissen? Ist es eigentlich irrelevant, wer was sagt?

Außerdem fände ich eine Form von Anführungszeichen hilfreich. Das lässt auf Anhieb erkennen, dass hier wörtliche Rede folgt und erleichtert das Lesen.
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Günter Wendt
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Beitrag17.05.2023 16:27

von Günter Wendt
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Moin chaton

Völlig im Ungewissen ob du noch unter uns weilst, antworte ich auf deinen Beitrag.

Ich finde deinen Text sehr schön. Er ist einfühlsam und nimmt den Leser mit. Er entspannt und man hat nicht diese Aufregung beim Gedanken „Oh, Gott! Was passiert denn jetzt schon wieder!“
Nein. Er ist so glatt wie eine Sommerbrise am Meer. Schön.

Meine Meinung ist, dass nicht jeder Roman zwingend Konflikte, Spannungsbögen oder etwas ähnliches in der Art beinhalten muss.
Wenn es die Geschichte zweier Liebenden ist, c‘est la vie.

Da ich den Rest nicht kenne, denke ich mal, dass du dir etwas dabei gedacht hast, uns diesen Ausschnitt zu präsentieren.
Auf handwerkliche Punkte (amanda hatte einige angeführt) möchte ich nicht eingehen, dazu wurde bereits sehr viel hier gesagt.

Aber … du hast es auf deine Art genau richtig gemacht.

Jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen ein professionelles Lektorat, entweder in Auftrag geben, oder dich hier umzuschauen ob jemand das übernehmen könnte.
Über 700 Seiten hier im Forum zu überarbeiten halte ich für ein Jahrhundertprojekt.
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Christof Lais Sperl
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Beitrag17.05.2023 17:49

von Christof Lais Sperl
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Du beherrschst das Handwerk,  musst aber noch Feinschliff anbringen.
Manche Sätze zu lang. Evtl könnte man einen anderen Teil der Arbeit einstellen. LG C


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chaton
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Beitrag22.05.2023 13:32

von chaton
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Günter Wendt hat Folgendes geschrieben:
Moin chaton

Völlig im Ungewissen ob du noch unter uns weilst, antworte ich auf deinen Beitrag.

Ich finde deinen Text sehr schön. Er ist einfühlsam und nimmt den Leser mit. Er entspannt und man hat nicht diese Aufregung beim Gedanken „Oh, Gott! Was passiert denn jetzt schon wieder!“
Nein. Er ist so glatt wie eine Sommerbrise am Meer. Schön.

Meine Meinung ist, dass nicht jeder Roman zwingend Konflikte, Spannungsbögen oder etwas ähnliches in der Art beinhalten muss.
Wenn es die Geschichte zweier Liebenden ist, c‘est la vie.

Da ich den Rest nicht kenne, denke ich mal, dass du dir etwas dabei gedacht hast, uns diesen Ausschnitt zu präsentieren.
Auf handwerkliche Punkte (amanda hatte einige angeführt) möchte ich nicht eingehen, dazu wurde bereits sehr viel hier gesagt.

Aber … du hast es auf deine Art genau richtig gemacht.

Jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen ein professionelles Lektorat, entweder in Auftrag geben, oder dich hier umzuschauen ob jemand das übernehmen könnte.
Über 700 Seiten hier im Forum zu überarbeiten halte ich für ein Jahrhundertprojekt.


Hallo Günter Wendt,

doch ich weile noch. Ich antworte an dieser Stelle zugleich AmandaLovedale und Christof Lais Sperl. Ihr meint es ja gut mit meinem Text. Ich stelle mal ein Kurzexposé des Textes ein, um etwas Orientierung von wichtigen Zusammenhängen zu verschaffen.

Exposé: Der Traum.Mann

Schließlich bilanzierte Vincent sein Beziehungsleben: vier Frauen geliebt, zwei mit Gegenliebe, zwei ohne. Ein paar gute Freunde fürs Leben. Dazu Familie mit konventionellen Kontakten, Bekannte, Nachbarn - das übliche Beziehungsgeflecht. Die Gesellschaft anfangs als nervig empfunden, mit der Zeit als toxisch abgelehnt, der Arbeitsplatz eher ein Schulterzucken, muss halt sein wie der gesamte Alltag.
An den vier Frauen seines Lebens hatte er ordentlich geknabbert, also beziehungsmäßig und geistig gesprochen.
Silvia war seine erste Liebe, von der er sich katastrophal trennte, weil er nicht ihr Traummann sein konnte.
Seine Lebensgefährtin Delta, die aus einer großbürgerlichen Familie stammte, war ihrem Traummann nie begegnet, denn sie war das uneheliche Kind eines Libanesen. Ihre Mutter verunglückte tödlich kurz nach ihrer Geburt. Dem Vater, der den Kontakt suchte, wurde gesagt, Delta sei eine Fehlgeburt. Der Vater resignierte.
Ihr Leben mit Vincent konnte Delta nicht mehr retten. Sie erkrankte psychisch und beging Selbstmord. Vincent überwand  mühsam seine affektive Katastrophe und bezichtigte die Gesellschaft, Delta und ihm eine mörderische Familie auf den Hals geschickt zu haben. Er selbst verstand sich als Deltas Erbe, weil sie ihm doch im Tod über das Grauen hinaus ein wunderbares Bild hinterlassen hatte, voller Schönheit und Rätsel.
Nach Delta versuchte Vincent einen Neuanfang. Es kam zur Begegnung zunächst mit Delphine, später mit Emilie. Ihr träumerisches Potenzial war groß, sehr groß. Daraus hätte Stoff für liebevolles Kommunizieren werden können. Aber die Damen konnten von ihrem „Traummann“, der Delphine zum „Traumvater“ geriet, nicht lassen. Sonderlich Erbauliches brachten die Herren Traummänner nicht mehr zustande. Davon konnte sich Vincent überzeugen.
Dennoch war er nicht unzufrieden. Denn alle Frauen seines Lebens hatten mit ihm und in ihm einen Traum.Mann gezeugt, den er schließlich akzeptierte. Vielleicht war er etwas zu früh geboren oder einfach nur ein Pionier für innige Kommunikation in menschlich schwierigen Zeiten.
------

Ich meine, dass dieser Text sehr viel Beziehungssprengstoff verarbeitet, sowohl auf der Mann-Frau-Ebene, als auch allgemein menschlich und gesellschaftlich. So hätte die Hauptperson Vincent seine erste Geliebte Sylvia fast in den Tod getrieben. Den Selbstmord seiner Geliebten Delta hingegen wirft er deren Familie und - hinter ihr - der Gesellschaft vor. Aber er erklärt sich zum "Erben" und nicht zum "Rächer" seiner Geliebten. Und das macht vielleicht diesen Ansatz aus, immer wieder im Modus der Beschreibungen den Sprengstoff zu entschärfen und die Seele reifen zu lassen und zu befrieden. Das geht teils über Dialog, teils über Betrachtung. Insgesamt über enorme Kommunikation. Die hat Vincent schließlich (über-)leben lassen.

Natürlich die handwerkliche Frage: Wie macht man den Feinschliff eines derartigen Textes? Ich kann ja niemanden darum bitten, kostenlos zu lektorieren. Ich bin zwar vom Fach, aber seinen eigenen Texten gegenüber ist man halt "betriebsblind". Immerhin gibt es eine recht gute App namens "LanguageTool", die schon stilistischen Fragen nachgeht, z. B. "Bandwurmsätze" oder Wiederholungen aufspürt, also den einen oder anderen stilistischen Tick. Dank LanguageTool wurde mir beispielsweise klar, dass ich gern mit der Vorsilbe "irgend" operiere.
Und dann: in meinem Alter die Ochsentour der Verlage. Vermutlich publiziere ich bei BoD. Dann ist so ein Text erst einmal raus.

Wenn Interesse besteht, stelle ich gern noch weitere Textauszüge ein.

Und vielen Dank für eure Mühe. Wenn beim Lesen auch noch ein bisschen "prodesse et delectare" herausspringt, dann ist es ja auch recht.

chaton


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Christof Lais Sperl
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Beitrag22.05.2023 15:12

von Christof Lais Sperl
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À Chaton.
Mit Feinschliff meine ich: Text selbst laut vorlesen, Rhythmus fein einstellen. Adjektive streichen: Massive Platte, subtil, „afrikanische“ Ufer, solche Dinge, die nichts zur Eigentlichkeit des Textes beitragen.


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chaton
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Beitrag22.05.2023 17:49

von chaton
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Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
À Chaton.
Mit Feinschliff meine ich: Text selbst laut vorlesen, Rhythmus fein einstellen. Adjektive streichen: Massive Platte, subtil, „afrikanische“ Ufer, solche Dinge, die nichts zur Eigentlichkeit des Textes beitragen.


Hallo Christof Lais Sperl,

ja, ist klar, keine überflüssigen Adjektiva.
"Massive Platte": Wer den Cimetière marin von Sète besucht, gewinnt vielleicht den Eindruck, dass dort schwerer Naturstein aufgetürmt wird. Da begegnet man schon auch mal Platten in "Überstärke": Tombeau Deluxe.
"Subtile Farbkontraste": hmm, "hart" kann ich sie nicht nennen, was soll man mit dem grau-blau-grünen Farbnuancen anfangen? Vielleicht "fließende"?
"afrikanische Ufer": das Adjektiv hat mit der Person Delta zu tun, die einen Teil ihrer Kindheit im Senegal verbrachte.

Aber insgesamt gebe ich dir recht: abgedroschene Adjektiva schleichen sich schneller ein, als man denkt.
Und wenn Adjektiva als nicht überzeugend empfunden werden, will ich der Sache gern nachgehen (Feinschliff und Textstraffung).

Thanks

chaton


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Christof Lais Sperl
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Beitrag23.05.2023 07:23

von Christof Lais Sperl
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Subtil = fein?

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Hamliey
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Beitrag31.05.2023 16:40
Re: Auszug aus dem Roman (Manuskript): Der Traum.Mann
von Hamliey
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chaton hat Folgendes geschrieben:

Möchtest du Kinder? – Ja, aber ich bin nicht darauf erpicht, sie selbst zu machen. – Ich auch nicht. – Und die eigenen Gene? Legst du keinen Wert darauf, sie weiterzugeben? – Nein. Ist das so wichtig? Es sind so viele ungenutzte Gene in der Welt, gute und weniger gute. Der Topf ist übervoll. – Wenn alle so denken würden? – Es denken aber nicht alle so und alle werden auch nie so denken. – Die Kinder, die vorhin auf den Gräbern spielten, haben gewiss Eltern. – Ja, sie wirkten behütet. – Die Welt ist voll mit unbehüteten Kindern. – Ja, und ihre Zahl wächst. Sie sind die Opfer und Boten einer unglücklichen Epoche. – Wer kümmert sich um sie? – Wir zum Beispiel, indem wir von ihnen sprechen. – Was kann unser armseliges Sprechen schon bewirken?

Das habe ich sehr gerne gelesen! Poste unbedingt mehr!

Und weiter:

Zitat:
Schließlich bilanzierte Vincent sein Beziehungsleben: vier Frauen geliebt, zwei mit Gegenliebe, zwei ohne. Ein paar gute Freunde fürs Leben. Dazu Familie mit konventionellen Kontakten, Bekannte, Nachbarn - das übliche Beziehungsgeflecht. Die Gesellschaft anfangs als nervig empfunden, mit der Zeit als toxisch abgelehnt, der Arbeitsplatz eher ein Schulterzucken, muss halt sein wie der gesamte Alltag.
An den vier Frauen seines Lebens hatte er ordentlich geknabbert, also beziehungsmäßig und geistig gesprochen.

Locker aus der Hüfte as if it was nothing  Daumen hoch²
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chaton
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Beitrag04.06.2023 19:50
Re: Auszug aus dem Roman (Manuskript): Der Traum.Mann
von chaton
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Hamliey hat Folgendes geschrieben:
chaton hat Folgendes geschrieben:

Möchtest du Kinder? – Ja, aber ich bin nicht darauf erpicht, sie selbst zu machen. – Ich auch nicht. – Und die eigenen Gene? Legst du keinen Wert darauf, sie weiterzugeben? – Nein. Ist das so wichtig? Es sind so viele ungenutzte Gene in der Welt, gute und weniger gute. Der Topf ist übervoll. – Wenn alle so denken würden? – Es denken aber nicht alle so und alle werden auch nie so denken. – Die Kinder, die vorhin auf den Gräbern spielten, haben gewiss Eltern. – Ja, sie wirkten behütet. – Die Welt ist voll mit unbehüteten Kindern. – Ja, und ihre Zahl wächst. Sie sind die Opfer und Boten einer unglücklichen Epoche. – Wer kümmert sich um sie? – Wir zum Beispiel, indem wir von ihnen sprechen. – Was kann unser armseliges Sprechen schon bewirken?

Das habe ich sehr gerne gelesen! Poste unbedingt mehr!

Und weiter:

Zitat:
Schließlich bilanzierte Vincent sein Beziehungsleben: vier Frauen geliebt, zwei mit Gegenliebe, zwei ohne. Ein paar gute Freunde fürs Leben. Dazu Familie mit konventionellen Kontakten, Bekannte, Nachbarn - das übliche Beziehungsgeflecht. Die Gesellschaft anfangs als nervig empfunden, mit der Zeit als toxisch abgelehnt, der Arbeitsplatz eher ein Schulterzucken, muss halt sein wie der gesamte Alltag.
An den vier Frauen seines Lebens hatte er ordentlich geknabbert, also beziehungsmäßig und geistig gesprochen.

Locker aus der Hüfte as if it was nothing  Daumen hoch²


Hallo Hamliey,

schön, dass dir die Textauszüge gefallen. Also einen stelle ich noch ein. Eine Facette der Beziehung von Vincent und Emilie.

[Kap. 14]

(...)
Im Hochsommer konnte es in Emilies Heimatstadt richtig heiß werden. Das wusste Vincent noch aus seiner Studienzeit. Doch sein langer Aufenthalt in Arles und Montpellier hatte ihn hitzetauglich gemacht. Wenn mancher Zeitgenosse anfing zu stöhnen und zu welken, fand er es richtig schön warm.

Man musste nur vorsichtig sein, wenn Klimaanlagen ins Spiel kamen. Eine provenzalische Bekannte kam anfangs mit ihrem neuen voll klimatisierten Arbeitsplatz in ihrer Bank nicht zurecht, rannte den ganzen Sommer mit Schnupfen rum und war entsprechend stocksauer. So etwas könnten auch nur die Leute aus dem Norden einführen, meinte sie, aber sie werde sich wohl dran gewöhnen müssen – nicht an das Klima, sondern an das möglichst gefahrlose Leben mit der Klimaanlage.

Der Tag versprach ein echter Hitzetag zu werden. Doch zunächst galt es, nach der langen bewegten Nacht aus den Federn zu kommen. Während Vincent noch bei der Morgentoilette war, tauchte Emilie auf, bezeichnete ihn schelmisch als Faulpelz und verkündete, dass dieser Tag zum Baden geschaffen sei. Och, meinte er, die Freibäder werden sicher alle überfüllt sein, man werde sich im Wasser fühlen wie die Sardinen in ihrer Dose und auf den Liegewiesen kaum einen Handtuchplatz finden. – Nein, nein, entgegnete sie, hier unten doch nicht. Sie hätte an den Lanser See gedacht, oben, in der Nähe von Igls. – Ja, das höre sich gut an. Wie man dahin komme? – Vater würde sie in der Mittagspause hochfahren, der Umweg mache ihm nichts aus. Vincent war ziemlich verblüfft. Vor ein paar Stunden noch hatte es gewaltig geblitzt und schon schien wieder eitel Sonnenschein zu herrschen. Emilie selbst schien vom nächtlichen Auftritt des Vaters nichts zu wissen oder sie behielt ihr Wissen tunlichst für sich. Vincent wiederum sah keine Veranlassung, von sich aus von dieser Szene zu sprechen. Überhaupt war die vergangene Nacht kein Thema. Man hatte einen ganz normalen Discobesuch absolviert, eine Freizeitaktivität wie Kino, Café oder Kneipe.

Das Mittagessen bei ihren Eltern verlief in entspannter Atmosphäre. Man erkundigte sich elterlicherseits freundlich nach dem Diskothekbesuch. Ob es ihm, Vincent, gefallen habe. Er pries das angenehme Ambiente, bemerkte, dass auch Freunde und Bekannte von Emilie anwesend gewesen seien und er sich speziell mit dem Wölfchen sehr gut unterhalten habe. – Ja, ja, Wölfchen, ließ sich Emilie vernehmen, das sei der Neunmalgescheite ihrer Klasse, aber sonst ganz nett. Nun ja, dachte Vincent, gut möglich, dass die Ansichten des Wölfchens für sie mit unerwünschten intellektuellen Belastungen und Nebenwirkungen verbunden seien. Denn der Mann denke weiter als bis zur nächsten Bordsteinkante.

Es war also beschlossene Sache, den väterlichen Auftritt zu den Akten des Stillschweigens zu legen. Vermutlich war den Eltern die Peinlichkeit des Verhaltens bewusst geworden – schließlich war Emilie ja kein Kind mehr. In der Tat war hier niemand Kind, eher kindisch. Freilich war Emilie kein Kind mehr, allerdings auch um einiges jünger als Vincent, zwölf Jahre lagen sie auseinander. Ihm war dieses Intervall wohl bewusst und er hatte manches Mal darüber nachgedacht und sich gefragt, ob es sinnvoll sei, sich und dem anderen solch einen Altersunterschied zuzumuten. Es sei schließlich keine Beschäftigung für eine (noch) junge Frau, ihren alten lallenden Sack im Rollstuhl aufs Klo zu schieben und ihm den Hintern abzuwischen. Sie würde lieber ihrer Lebenslust frönen und das Wrack abschieben – wie beispielsweise die Frau von Taußig ihren debilen Gatten im „Radetzkymarsch“. Und Emilie hatte Lebenslust in sich. Selbst wenn man alle Theatralisierung herausnähme, bliebe immer noch ein Berg von Lebenslust. Kurz, den Altersunterschied sollte man nicht einfach beiseite wischen, obwohl er biologisch zur Rasse der Marathon-Men gehörte. Aber da gab es noch ein anderes Problem und das war sein Missbehagen, das ihn immer wieder befiel, wenn er den mentalen Alterungsprozess der Menschen und insbesondere der Frauen betrachtete. Die Männer mochten sich in alte Säcke verwandeln, aber die Frauen, so schien es ihm, hatten es noch eiliger, zu alten Schabracken zu mutieren – für ihn der Horror schlechthin. Er war ja den Frauen gegenüber voller Sympathie und Verständnis, man hätte ihn fast für einen Frauenversteher halten können (in Wahrheit war er eher ein neuartiger Frauenflüsterer), aber er hielt dieses Verhalten für eine skandalöse Verhöhnung der Mann-Frau-Beziehung. Das sah doch aus, als würden sie dem Mann seelisch den Laufpass geben, nachdem dieser seinen Job als Deckhengst, Lebensabschnittsunterhalter und Vaterschaftler erledigt hatte. Nichts gegen ihre Eierstöcke, aber die Diktatur des Eierstocks ging ihm eindeutig zu weit. Und er verdächtigte die Menopause, die Mutter einer Verschwörung gegen den Mann zu sein. Ihre Agenten schienen ideologische Mutterschaft und Wechseljahre zu sein. Offenbar erfolgte in dieser weiblichen "Blackbox" die geistige Abkoppelung vom Mann, falls es überhaupt eine geistige Verbindung gegeben haben sollte. Manche Männer konnten dies ihren Frauen äußerst übel nehmen und solches Verhalten als eine besonders perfide Form des weiblichen „Fremdgehens“ und „Verrats“ betrachten. Und Vincent wusste, dass er zu diesen Männern zählte, noch nicht heute, noch nicht morgen, aber wenn es auf den Tisch kommen sollte. Frauen hatten seiner Meinung nach Männern nichts vorzuspielen, sondern mit ihnen in einem immerwährenden spielerischen Kontakt zu bleiben. Schließlich sei der soziale Alltag schon Galeere genug. Ja, er wollte von alten Rollenspielen nichts mehr wissen. Die Gesellschaften hatten wohl den Hang, dem spielerischen Umgang möglichst umfassend das Wasser abzugraben und ihn durch allerlei Fälschungen zu ersetzen.

Eine andere Uhr tickte da also im Kopf der Menschen. Ihm selbst war bewusst, dass er mental sehr alt werden würde, vielleicht sogar langlebiger sein würde, als es ihm am Ende lieb sein konnte. Vermutlich werde er mit achtzig die geistige Vitalität eines Sechzigjährigen haben – und um ihn her verschrumpelte Geister? Keine erfreuliche Perspektive. Von dieser Seite her betrachtet hatte er mit Emilies relativer Jugend kein Problem. Er würde ihr gewiss nicht mit seinem biologischen Alter auf den Geist gehen, sondern sie könne eher zusehen, dass sie an ihm dran bleibe, wenn der Gehirnmuskelschwund einsetze, was für geistig untrainierte Menschen fatal sei. Er hatte ohnehin eine ganz persönliche Konzeption des Miteinander-Zyklus von Mann und Frau. Die Frau möge ihren Mann beerdigen und die Kinder ihre Mutter. Und gern schickte er noch ein „und alle sind happy“ hinterher, denn im Grunde seiner Seele war er ein Fatalist.

Das Mittagessen – ein leichter gemischter Salat mit Putenstreifen, Obst und ein wenig Käse – war schnell eingenommen. Die Mittagspause des Hausherrn ließ kein langes Verweilen zu – irgendwie schien der arme Mann immer von seiner Arbeit getrieben, ohne allerdings sichtbar darunter zu leiden, und er beklagte sich auch nie. Er war dermaßen beseelt von seiner Tätigkeit, dass man hätte meinen können, die Arbeit sei sein großer Lebensinhalt. Stattdessen sollte sie sein Schicksal sein.

Und so packte man das Badezeug, Mutter stellte zwei schöne Badetücher zur Verfügung, Getränke, Eis oder Snacks gab es oben im kleinen Kiosk des Strandbads. Es ging zum See hinauf, die Igler Straße empor an Wald und Wiesen vorbei bis Igls und Schwenk nach links Richtung Lans. Kurz vor Lans bog man erneut nach links ab, fuhr am Westufer des Sees entlang bis zum Strandbad, das sich über das nordwestliche Ufer erstreckt.

Der See – eigentlich im Privatbesitz, aber von der Stadt Innsbruck langfristig gepachtet - lag wirklich schön auf einem Hochplateau. Lockere Gruppen von Laubbäumen rahmten seine Ufer ein, nur das Westufer besaß eine breite Liegewiese mit einigen etwas Schatten spendenden Birken. Das Wasser war ziemlich dunkel. Die Binsen und Schilfrohre in verschiedenen Uferbereichen zeugten von geringer Wassertiefe im Uferbereich und deuteten darauf hin, dass sich hier ein Hochmoor befand. Das Strandbad war kostenpflichtig, aber da der See nicht eingezäunt war, lagerten rund um den See auch zumeist junge Badegäste, die sich die Eintrittskosten, die recht gering waren, sparten. Möglicherweise setzten sie ihr Geld lieber am Kiosk in Eis oder kalte Getränke um.

Die Baulichkeiten des Freibads bestanden aus schlichten Umkleidekabinen und einem zementierten Vorplatz, auf dem auch eine Tischtennisplatte stand. Schläger und Ball konnten ausgeliehen werden. Am Ufer selbst gab es mehrere Holzstege sowie hölzerne Bootsanleger mit wenigen Booten, die wohl in den frühen Morgenstunden von Anglern benutzt wurden. Die Liegewiesen des Westufers waren an jenem Nachmittag gut gefüllt, doch freie Plätze gab es noch in ausreichender Zahl. Badegäste waren Kinder aus dem nahen Lans, auch ältere Ehepaare und Jugendliche sowie verschiedene Erwachsene. Ein Familienbad.

Von den Umkleidekabinen erreichte man ein paar Stufen aufwärts eine kleine Trinkhalle mit Terrasse, ein paar Tischen und einfachen Sitzbänken. Von dort konnte man den See überblicken. Gegenüber, im Südosten, erhob sich der Patscherkofel, Hausberg der Innsbrucker Skifahrer. Im Sommerkleid aus Bäumen, Latschen und Grasflächen sieht der Berg eher aus wie ein überdimensionierter Mugel, den eine baumfreie, recht unscheinbare Kuppel abschließt, garniert mit umfangreichen Richtfunk- und Sender-Installationen für Radio und TV. Emilie beschrieb Vincent den See als angenehmen Ort, den sie an schönen Sommertagen gern aufsuche. Meist seien auch Bekannte oder Klassenkameraden anzutreffen. Gemütlich halt und das Wasser sei nicht zu kalt. Sie bevorzuge allerdings das Sonnenbaden.

Die beiden fanden sehr schnell einen Liegeplatz mit etwas Schatten, den eine lichte Birkengruppe in Ufernähe spendete. Es war heiß, aber dank der Höhenlage von über 800 Meter fühlte man sich von der Wärme nicht bedrängt, sondern angenehm umhüllt. Vincent war vom Ort angetan und erzählte Emilie von den Pariser Freibädern, wo man wortwörtlich Handtuch an Handtuch liege und dieses seltene Vergnügen, seinen Privatkörper wie ein Schlangenmensch in den versammelten Kollektivkörper einfügen zu müssen, auch noch gepfeffert zu bezahlen habe. Er gehe im Sommer des Öfteren in ein Freibad Nähe Porte de Vincennes, dessen Mini-Liegewiese sich direkt zu Füßen eines mehrstöckigen Wohnblocks befinde. Ein seltsamer Kontrast herrsche zwischen diesem Badekarree mit winziger Rasenfläche und den Fassaden zehnstöckiger Hochhäuser in unmittelbarer Nachbarschaft. Vincent erzählte auch von seiner Zeit in Montpellier. Dort war er mit Delta ausschließlich ans Meer gegangen, vorzugsweise an die Strände von Palavas oder Carnon und, noch lieber, nach Maguelone. Ein kleiner Fußmarsch über die Passerelle des Canal du Rhône à Sète, vorbei an der Cathédrale Saint-Pierre-et-Saint-Paul, einem verlassenen mittelalterlichen Gemäuer, und schon war man am Strand, einem Kiesstrand zwar, nicht touristisch, sondern unbekümmert naturistisch. Dort hatten sie angenehme Stunden verbracht, umhüllt von der kompakten mediterranen Masse aus Licht, Luft, Wasser, Land und Wärme.

Während Vincent sein Badetuch ausbreitete, sich entkleidete und seine Sachen zusammenlegte, blickte er schon mit feuchten Augen auf den See. Er müsse unverzüglich rein ins Nass, sagte er zu Emilie, die es nicht so eilig hatte. Sie war keine Wasserratte, drehte bisweilen eine kleine Runde zur Kühlung, wenn es ihr wirklich zu heiß wurde.

Vincent war schon weg und schwamm mit kräftigen Zügen in den See hinaus. Prustete, tauchte und fand bald heraus, dass das Wasser in zwei Schichten erwärmt war. Während die vielleicht einen Meter dicke Oberschicht lauwarm war, wurde es darunter gleich ziemlich kalt. Um voll in der warmen Oberschicht zu bleiben, musste man entweder Rückenschwimmen oder Kraulen – was Vincent gleichermaßen gern tat. Und so versetzte ihn der See in einen wahren Schwimmrausch. Er schwitzte sogar nach einiger Zeit im warmen Wasser und suchte vorsichtig Kühlung in den unteren Wasserbereichen, der See erreicht an einigen Stellen immerhin rund zehn Meter Tiefe. Als er sich müde geschwommen hatte, warf er sich notdürftig abgetrocknet auf sein Badetuch, lauschte seinem Atem und den Geräuschen um sich her oder setzte auch mal den Kopfhörer auf und hörte Musik. An jenem Nachmittag hatte er eine Bob Marley Kassette dabei.

Es kam kaum zu Gesprächen zwischen den beiden, ein bisschen Geplauder, Emilie war intensiv mit dem Sonnenbaden beschäftigt und er genoss den See. Ihren Rücken rieb er ihr natürlich gern mit Sonnenöl ein, als sie ihn darum bat. Zum Oberteil ihres Bikinis hatte sie ein kompliziertes Verhältnis. Wenn sie auf dem Bauch lag, durfte es runter, Vincent beschäftigte sich mit dem Verschluss, der nicht allzu kompliziert war. Anschließend behielt sie das gute Stück unter sich. Offenbar durften die Möpse nicht aus ihren Körbchen, was er außerordentlich bedauerlich fand, aber zur Kenntnis nahm und respektierte. Er betrachtete die Haut ihres Rückens, die ganz anders war als seine. Viel grober und dicker kam sie ihm vor, fast wie ein Fell, dachte er. Auch ihre dunklen, fast schwarzen Haare, die sie nicht allzu lang trug, waren kräftig und strähnig. Er streichelte Emilie auch mal ohne Ölfilm, mit der anderen, trockenen Hand, und fand ihre leicht raue Oberfläche richtig griffig und toll. Und am liebsten verweilte seine Hand in der chute des reins, an jenen Bögen, wo ihre Hüften wie schwungvolle passerelles Po und Bauch miteinander verbanden. Kitzelig war sie anscheinend gar nicht, zumindest nicht im Kontakt mit seiner Hand. Und mit den streichelnden Bewegungen seiner Hände verband Vincent die Vorstellung von viel, unendlich viel Zeit. Emilie hatte ihren Kopf in ihre Armbeugen gelegt, das Gesicht zum See hin gewandt, und lag völlig entspannt da. Und während Vincent den Ölfilm langsam den Rücken hinauf verteilte und auch mal seitlich wie beiläufig bis zum Brustansatz vordrang, dachte er, was eine Frau doch alles auf dem Buckel haben kann, wenn man sie mag.

Später gingen sie auf die Terrasse der Trinkhalle, wo Emilie einige Bekannte antraf und ihnen Vincent als guten Freund vorstellte, der in Paris wohne. Man plauderte Belanglosigkeiten und gab sich entspannt. Vincent ließ Emilies alltägliche Dinge auf sich wirken, so wie sie halt rauskamen in ihren Unterhaltungen. Und es war ihm ganz recht so. Sein eigener Alltag lag tausend Kilometer entfernt und lief ihm ja auch so schnell nicht davon. Und so lange Emilie dafür kein besonderes Interesse bezeugte, verspürte er auch kein Bedürfnis, seinen Alltag zum Gegenstand seines Sprechens zu machen. Die Fähigkeit, die Banalität des Daseins auszubreiten, besaß er einfach nicht und er sah auch keine Notwendigkeit, die langweilige Kleinteiligkeit des Alltags in umfangreiche Gesprächsgegenstände zu verwandeln.

Auf ihrem Rückweg zum Liegeplatz am Ufer entlang blieb Emilie an einem Holzsteg stehen, wo sich eine ihrer Lehrerinnen mit anderen Schülerinnen befand. Die Gruppe schien sich zu unterhalten und sie wollte sich ein wenig dazugesellen. Sie schlug ihm vor, doch mit ihr zu kommen. Er hatte jedoch keine rechte Lust. „Ach, weißt du, Lehrer, Schule, geh nur hin, ich geh' derweil eine Runde schwimmen und leg mich wieder hin.“ Es war okay so und sie ging auf den Steg, wo sie freundlich begrüßt wurde. Vincent lief weiter, drehte wenig später einige Runden im See. Lag dann ruhig atmend und wohlig im warmen, langsam abtrocknenden Wasserfilm gehüllt, der Sonne zugewandt, mit geschlossenen Augen und die Arme am Körper anliegend ausgestreckt, als plötzlich Emilie über ihm kniete, seine Hüften zwischen ihren Schenkeln, ihre Hände neben seinen Schultern gestützt, ihre schwarzen Maaraugen in allen Regenbogenfarben glitzernd nur wenige Zentimeter von seinen Augen entfernt, seine sich öffnenden Augen in den Blick nehmend, und ohne Umschweife und mit einer Stimme, als hielte sie den Atem an, die hinreißende und offenherzige Erklärung von sich gab: „Naa, bist du jung!“

Vincent war sprachlos, überwältigt von Emilies Weiblichkeit, die sich in diesem Moment so unmittelbar über ihn entlud. Er fand keine Worte und Gesten. Im Nachhinein sollte er sich mehrfach fragen, ob es nicht der Moment gewesen sei, wo er sie hätte in seine Arme nehmen sollen, um sie nie mehr loszulassen.

Und über den Gedanken hinaus, möglicherweise einen entscheidenden Moment in seiner Geschichte mit ihr versäumt zu haben, wuchs in ihm das Bedauern, diese ungeheuer schöne Geste unvollendet gelassen zu haben. Was Emilie da hervorgebracht hatte, erschien ihm selten spontan und unfehlbar auf einen Punkt gebracht, was immer sie zu seiner Seherin gemacht haben mochte. So aber würde er nur darüber reden können, wie er es später seinem Malerfreund in Paris gegenüber tat. Dieser sollte ausrufen: Das sei ein unglaublich schönes Kompliment, das eine Frau einem Mann machen könne. Das sei außergewöhnlich. Und Vincent hatte traurig gedacht, ja er wisse, dass Außergewöhnliches zwischen ihnen geschehen sei, aber ihr Fassungsvermögen sei nicht auf der Höhe gewesen. Sie hätten über sich selbst hinauswachsen, eine Art mentalen Quantensprung vollbringen müssen. Aber sie seien nahe dran gewesen, zum Greifen nahe, dachte er und lächelte über dieses Wortspiel. Es würden vielleicht andere kommen, nach ihnen.


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