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Der Einstieg zu meinem Roman "Bei den Strohmenschen"


 
 
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agonyship
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Beitrag25.01.2023 15:49
Der Einstieg zu meinem Roman "Bei den Strohmenschen"
von agonyship
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Prolog: Am Fuße des Weltenbaumes

Am jüngsten Tag.
Vor der Dämmerung.
 Ließ ich die Wüste hinter mir.
 Um niederzusinken am Fuße jenes Baumes.
 An dem alles endet und alles beginnt.
 Um meine Tränen zu vergießen.
 Alle die ich je vergoss.
 Die Wahrheit war die Sonne, so nahm sie mir die Sicht.
Die Freiheit war der Sturm, in dem mein Herz zerbricht.
In jener dunklen Stunde ein Schatten zu mir spricht.
 Ein Mann, der schon das Jenseits durchschritt:
 „Ich möchte, dass du begreifst, nicht nur verstehst.
Ich möchte, dass du nicht vergisst.
Ich möchte, dass du eins wirst - eine andere Sicht.“


Erster Albtraum: Jammertal

Er gibt mir meine Sinne zurück und verschwindet. Als ich mein Auge wieder öffne offenbart sich mir ein grotesker Anblick. Fremde Geschöpfe schlürfen in zwei Kreisen vor sich hin. Merkwürdige Kreaturen aus einer verborgenen Welt, in der andere Regeln gelten. Verdrängt, doch nie vergessen. Runde um Runde drehen sie ihre eintönigen, parallelen Bahnen, auf der Suche nach nur etwas Ewigkeit. Abstand 1 zueinander. Abstand 1 zum Vordermann. Das 1x1 ihrer Welt. Links und rechts von ihnen steile Felswände – das Jammertal. Sie sind nackt, doch offenbaren kein Geschlecht. Die eine Gruppe ganz in Rot, die andere ganz in Blau verrenken sie ihre kahlen Köpfe, um die Esche mit dem leuchtenden Auge anzustarren, dass ihre Stirn mittig ziert. Da sie sich im Kreis stets so bewegen, dass sie jeweils dem Rücken des nächsten Zyklopen zugewendet bleiben, keine unbedingt immer leichte Aufgabe. Ihre Gesichter schmerzverzerrt, denn der Boden ist eine quälende Eisfläche - kristallklar, glatt, kalt, bis zum Horizont. Immerzu senken und heben sie abwechselnd die klumpigen Häupter. Beim Blick nach unten erkennen sie sich selbst. Beim Blick nach oben sehen sie die Früchte des Baumes - unerreichbar und denen vorbehalten, die sie nicht zu Ihresgleichen zählen. Ein anstrengender Tanz. Eine lähmende Illusion. 1x1 – das Ritual. Wer nur ein Auge hat, dem fehlt schlichtweg das Gleichgewicht, die Höhen zu erklimmen. Auch an Gehör haben die entstellten Wesen eingebüßt. So befindet sich jeweils nur ein Ohr an jedem Hinterkopf, oberhalb des Nackens. Eine Flüsterpost nimmt dort fortwährend ihren endlosen Lauf durch die beiden Kreise. Jene scheint die Kreaturen immer wieder aufs Neue zu inspirieren. Wie oft kann man dasselbe anders sagen? Ist es am Ende doch eigentlich dieselbe Botschaft? Oder verändert es sich immerzu? Ich betrachte das Treiben und fühle mich noch taub in allen Sinnen. Doch meine Neugier ist groß. Ich kann nichts verstehen, höre nur das Rauschen der Blätter im Wind hinter mir.
Auch auf den Hängen der Schlucht haben sich Wesen versammelt. Nackte Menschenartige mit blauer Haut, überwiegend Frauen auf der linken Seite und solche mit roter Haut, überwiegend Männer auf der Rechten. Jeder von ihnen hält einen Spiegel, auf den er gebannt starrt in der einen Hand und berührt mit der anderen - manche mit mehr, andere mit weniger Eifer - die eigenen Genitalien. Der Anblick hat die Erotik eines Massengrabes. Auf der Rückseite jedes Spiegels ist jeweils ein politisch einschlägiges Symbol eingraviert. Als ich versuche einen Blick auf die Scheibe zu erhaschen, zerspringt sie just in diesem Augenblick unter ohrenbetäubendem Lärm. Schweißgebadet erwache ich in meinem Bett. Die Zeit drängt. Ich darf den Anschluss nicht verpassen!

Einleitung: Aufbruch

Bahnsteig Eden - 5:45 Uhr. Die Sterne der ersten Stunde. Wir haben hier nichts mehr verloren. Also muss ich fort. Fort um einen neuen Platz zu finden. Wieder fort. Immer fort. Deutsch, weiß, männlich, heterosexuell. SUV, Fleisch, Pauschalurlaub. Konservativ, Schrebergarten, Eigenheim. Warum ich? Trockene Kälte. Dicke Schneeflocken sinken langsam zu Boden. Ich lese die Tageszeitung. Wollte sie nicht mehr lesen - Blutdruck. Geisteskrankes Propagandablatt.
<Wolf zurück in Deutschland>
Ob er den Schafen zu nahekommt? Was frisst so ein Vieh, wenn es hungrig ist? Ich schließe kurz die Augen. Unter mir die Welt in Flammen. Hebe mein Haupt und sehe den Stern der mich gebar. Er blendet mich nicht mehr. Heiße Luft treibt mich empor. Eine Sicht aus längst vergangener Zeit. Ich fühle das Gift durch meinen Körper fließen – älter als diese Welt. Schon hielt es mich am Leben. Schon brachte es mich zu Fall.
Als ich die Vision abstreife und meine Augen wieder öffne sehe ich ihn am Bahnsteig gegenüber auf der überdachten Bank liegen. Sehe ihn, obwohl er doch unsichtbar ist. Er ist ein Mensch und Menschen haben Name. Ich nenne ihn also Jesus. Zugegebenermaßen ein etwas ausgefallener Name für einen Obdachlosen, aber ich wähle ihn trotzdem. Ich habe ihn dort abgelegt. Unter flackerndem Licht. Draußen in der Kälte. Draußen vor der Tür. Jesus ist der erste Strohmann, der mir auf meiner Reise begegnet. Die Strohmenschen sind eigentlich leicht von realen Personen zu unterscheiden. Eigentlich. Wir erkennen sie daran, dass wir nicht mit ihnen sprechen. Wir sprechen über sie. Sie sind wahrlich Unterdrückte, denen wir eine Stimme geben. Doch anders, als wir uns glauben machen wollen, leben sie nicht in der Welt dort draußen, sondern in der Tiefe unserer eigenen Herzen; als Kinder eines ewigen Geistes. Und was sie suchen ist nicht Schutz, sondern Macht. Nicht Freiheit, sondern Kontrolle.  Nicht Vergebung, sondern Absolution. Wir sind die Propheten, die das Unterdrückte Volk aus Ägypten führen sollen. Wozu das Leben, wenn wir nicht anderen unsere Sicht aufzwingen?  In unseren Träumen begegnen uns ihre Schatten. Sie sind Teil von uns – Teil eines solipsistischen Kosmos. Schatten der ersten und einzig reinen Furcht. Sie haben ein eindimensionales Wesen mit polarem Charakter und einer beschränkten Funktion. Wir identifizieren uns mit ihnen oder schaffen Feindbilder. Aber im echten Leben reden wir nicht mit ihnen, und wenn doch dann mit dem Blick der Zyklopen. Wir sehen sie manchmal, manchen von ihnen begegnen wir nie. Andere erkennen wir dann nicht. Wir teilen keine Erfahrungen mit ihnen. Sie sind nicht Teil unserer Lebensrealität – nicht Teil unserer Identität. Aber wir missbrauchen sie, um unseren Stolz zu schützen – das älteste Motiv, Ausgeburt der Furcht. Wir brauchen sie, um uns vor der Kälte einer Welt zu schützen, in der wir unsere Gefühle nicht zeigen können, weil wir dafür verurteilt werden. Sie sind die Wächter, die verbergen sollen, was Schwäche ist in einem Krieg, der unter der Oberfläche tobt. Alt wie diese Welt. Sie sind der Schlüssel. Je stärker die Gefühle, desto zahlreicher und robuster müssen die Strohmenschen sein. Doch die Empathie ihnen gegenüber galt ausschließlich uns selbst und ist nach außen hin immer ein Bluff. Ein Bluff, den wir selbst glauben, wenn wir nur gut genug spielen. Je schlauer man ist, desto besser stellt man sich dabei an. Daher ist es ein Spiel, bei dem auch jeder mitmachen kann und gleichermaßen gefordert ist – man spielt es gegen sich selbst. Und es ist ansteckend. Am ehesten für sensible Menschen. Ich bin ein sensibler Mann. Fremde Strohmenschen beeindrucken mich. Sie schüchtern mich ein. Für unsensible Menschen sind die anderen Strohmenschen uninteressant, während gerade sie die Zielgruppe der geforderten Empathie oder Ekpathie sein wollen. Daher sind sie in ihrer vorgegebenen Kategorie der Opfer oder Täter nach außen hin völlig dysfunktional und von rein destruktiver Natur. Nichts gerade Inkongruentes für einen Krieg. Wer weiß, dass es spielt, ist tief im Spiel. Wer es nicht weiß, umso mehr. Ich durchschaue das Motiv der Zyklopen. Aber wenn ich zu viel fremdes Stroh im Kopf habe bekomme ich Panik, weil ich dann nicht mehr genug Platz habe meine eigenen Strohmenschen zu platzieren. Und dann sehe ich mich gezwungen, mir ein Auge auszustechen. Als Einsatz. Um mitzuspielen. Und ich spiele bedingungslos auf Sieg.
Die Kultur hinter den Strohmenschen nenne ich die Arschlochkultur. Ich nenne sie so, weil sie es ist. Machen wir uns nichts mehr vor. Wir sind Teil der Arschlochkultur. Schau dir an, auf was diese Welt gebaut ist. Ich bin ein Arschloch. Du bist ein Arschloch. Wer kann uns vergeben?  Wir würden es natürlich niemals zugeben. Es soll unser Geheimnis bleiben. Die Strohmenschen werden uns helfen, es zu bewahren. Auch und gerade vor uns selbst. Aber auf der Reise, auf die ich dich einlade, gelten andere Regeln. Ich zeige dir meine Strohmenschen und lasse sie ihren Namen tanzen.
Die Signalleuchte schaltet auf Grün um. Der Zug fährt ein. Ich brauche Jesus, weil niemand meine wahren Ängste kennt. Nicht einmal ich selbst. Denn angeblich geht es mir gut. Doch es geht mir schlecht. Wer soll den Wölfen Heer werden, wenn nicht die tapfersten Männer der Nation? Was wenn keiner mehr auf ihrer Seite steht? Ich lasse Jesus in der Kälte liegen. Ein weiteres mal. Und steige in den Zug ein. Zuerst möchte ich auf meiner Reise die Soldaten besuchen, die um ihre männliche Identität kämpfen...

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anuphti
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Beitrag26.01.2023 11:10

von anuphti
Antworten mit Zitat

Hallo agonyship,

Du hast ja irgendwo geschrieben, dass Du eher experimentell schreibst und hoffst, dafür Leser zu finden.

Also fürchte ich, dass ich nicht zu Deiner gesuchten Gruppe gehöre.
Aber damit Du mal einen Leseeindruck bekommst:

Den Prolog finde ich überladen, gekünstelt, pathetisch. Wenn das gewollt ist, Hut ab, aber ich würde schon nach den ersten Zeilen nicht weiterlesen wollen.

Habe es dann doch getan und lande ... in einem Alptraum. Spätestens hier bin ich raus. Wenn ich noch nicht einmal weiß, ob ich den Prota sympathisch finde, dann will ich definitiv keinen Alptraum lesen müssen.
Und beim folgenden Abschnitt, in dem dann endlich das Konzept der "Strohmenschen" auftaucht und erläutert wird, wird es mir zu langatmig, so dass ich immer wieder diagonal springe, um etwas zu finden, an dem ich hängen bleibe.

Das einmal als Leseeindruck. Konstruktiv: ich würde den Prolog entweder weglassen oder grundlegend überarbeiten.
Den Alptraum, wenn es den zum Verständnis der Geschichte braucht unbedingt viel später in der Geschichte erwähnen, auf gar keinen Fall zum Einstieg.
Und bei dem Einstieg mit der Beschreibung des Prota startest Du mit allen Klischees auf einmal:

Zitat:
Deutsch, weiß, männlich, heterosexuell. SUV, Fleisch, Pauschalurlaub. Konservativ, Schrebergarten, Eigenheim. Warum ich?


Tut mir leid, aber über so einen Typen will ich gar nichts lesen.
Wenn Du Leser suchst, dann würde ich mal mit den sympathischen Eigenschaften anfangen. Nicht mit den ganzen "negativ" besetzten Klischees, wie "Pauschalurlauber am Ballermann zieht sich totes Tier rein und verpestet mit dem Leih-SUV die Luft der Insel und zerstört unser Klima."

Und dann nennt er seinen ersten Strohmann auch noch Jesus, d.h. ich muss mich jetzt auch noch auf religiöse Bezüge gefasst machen. Und dann lege ich beim besten Willen das Buch spätestens zur Seite.

Tut mir leid, aber ich bin mir nicht sicher, ob Du mit dieser Strategie Leser finden wirst.

Liebe Grüße
Nuff


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Miné
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Wohnort: Köln


Beitrag26.01.2023 12:41
Re: Der Einstieg zu meinem Roman "Bei den Strohmenschen"
von Miné
Antworten mit Zitat

agonyship hat Folgendes geschrieben:

Er gibt mir meine Sinne zurück und verschwindet. Als ich mein Auge wieder öffne offenbart sich mir ein grotesker Anblick. Fremde Geschöpfe schlürfen in zwei Kreisen vor sich hin. Merkwürdige Kreaturen aus einer verborgenen Welt, in der andere Regeln gelten. Verdrängt, doch nie vergessen. Runde um Runde drehen sie ihre eintönigen, parallelen Bahnen, auf der Suche nach nur etwas Ewigkeit. Abstand 1 zueinander. Abstand 1 zum Vordermann. Das 1x1 ihrer Welt. Links und rechts von ihnen steile Felswände – das Jammertal.

Habe nur bis hierhin gelesen.

Ja, was soll ich sagen Embarassed
Das mag zwar von der Idee und dem Ansatz nicht so gravierend falsch sein, aber die Umsetzung ...
Mir fehlt definitiv die Dramatik und Emotionen. Du beschreibst das alles sehr sachlich, was es leider langweilig macht.

Dem Ich-Erzähler müsste doch der Atem vor Schock stocken, sich vor Angst in die Hose machen, sich übergeben, irgendwas halt. Stattdessen scheint der aber mehr als abgehärtet und so etwas in Dauerschleife zu sehen oder zu erleben Mr. Green

Ich bin im Feedback geben vermutlich nicht sonderlich gut, aber ich versuche dir mal einen Rat zu geben: Bring mehr Schwung in die Sache!
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agonyship
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Beitrag26.01.2023 13:04

von agonyship
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Nun. Der Protagonist kann, darf, soll und wird nicht sympathisch sein. Pathetisch dagegen schon. So viel wäre geklärt.

Ich lese selbst sehr gerne Bücher, die Pathologien in jeder Form folgen. Also wollte ich auch ein solches schreiben. Ich bin sicher, dass ich damit jedenfalls nicht alleine bin.


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agonyship
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A
Beitrag26.01.2023 13:10
Re: Der Einstieg zu meinem Roman "Bei den Strohmenschen"
von agonyship
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Miné hat Folgendes geschrieben:


Ich bin im Feedback geben vermutlich nicht sonderlich gut, aber ich versuche dir mal einen Rat zu geben: Bring mehr Schwung in die Sache!


Finde ich als Feedback schon konstruktiv. Ich verstehe schon was du meinst. Daran lässt sich eventuell arbeiten.


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F.J.G.
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Beitrag26.01.2023 13:17

von F.J.G.
Antworten mit Zitat

Hallo agonyship,

Natürlich muss nicht jeder Charakter entweder pauschal negativ oder pauschal positiv sein. Nein, nicht einmal "muss nicht", sondern "sollte nicht".

Das Konzept der dreidimensionalen Charaktere besagt, dass "böse" Charaktere auch gute Züge haben, und du guten Charaktere auch gewisse Schwächen. Schwarzweiß-Malerei ist eine Sache von grimmschen Märchen.

Beispiel, Stieg Larssons "Verblendung". Bjurman nutzt sein Machtverhältnis aus, um Lisbeth Salander zu missbrauchen und in der Folge sogar auf brutalste Art zu vergewaltigen. Dennoch zeigt der Film auch das schlechte Gewissen Bjurmans sehr deutlich, zeigt, wie er sich bei der Vergeltung durch Lisbeth schreiend am Boden windet, alles wiedergutmachen will.

Also, einfach einen Protagonisten hinzustellen und zu sagen, "ja, es ist ein Unsympathling und das ist so beabsichtigt" ist schwierig umzusetzen. Und es macht den Prota in den Augen der Leser sehr unrealistisch. Im reellen Leben ist ja auch nicht jeder Mensch zu 100% gut oder zu 100% böse.

Hoffe, dir geholfen zu haben.
Der Kojote


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agonyship
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Alter: 35
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A
Beitrag26.01.2023 13:47

von agonyship
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Kojote hat Folgendes geschrieben:
Hallo agonyship,

Natürlich muss nicht jeder Charakter entweder pauschal negativ oder pauschal positiv sein. Nein, nicht einmal "muss nicht", sondern "sollte nicht".

Das Konzept der dreidimensionalen Charaktere besagt, dass "böse" Charaktere auch gute Züge haben, und du guten Charaktere auch gewisse Schwächen. Schwarzweiß-Malerei ist eine Sache von grimmschen Märchen.

Beispiel, Stieg Larssons "Verblendung". Bjurman nutzt sein Machtverhältnis aus, um Lisbeth Salander zu missbrauchen und in der Folge sogar auf brutalste Art zu vergewaltigen. Dennoch zeigt der Film auch das schlechte Gewissen Bjurmans sehr deutlich, zeigt, wie er sich bei der Vergeltung durch Lisbeth schreiend am Boden windet, alles wiedergutmachen will.

Also, einfach einen Protagonisten hinzustellen und zu sagen, "ja, es ist ein Unsympathling und das ist so beabsichtigt" ist schwierig umzusetzen. Und es macht den Prota in den Augen der Leser sehr unrealistisch. Im reellen Leben ist ja auch nicht jeder Mensch zu 100% gut oder zu 100% böse.

Hoffe, dir geholfen zu haben.
Der Kojote


Das stimmt wohl. Nur ein Strohmann ist 100% gut oder 100% böse. Ich habe ihn jedenfalls nicht als Feindbild auserkoren wegen "Deutsch, weiß, männlich, heterosexuell. SUV, Fleisch, Pauschalurlaub. Konservativ, Schrebergarten, Eigenheim." Man könnte diese Eigenschaften sogar problemlos durchgängig positiv deuten. Er selbst tut das allerdings nicht; bemitleidet sich noch dafür, was für die Figur wichtig ist.

Dabei finde ich Grimms Märchen sehr eingängig. Ein Strohmann hat schließlich eine Funktion zu erfüllen. Auf Realismus lege ich keinen Wert. Ist schließlich "nur ein böser Traum".


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anuphti
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Beitrag26.01.2023 14:03

von anuphti
Antworten mit Zitat

Zitat:
Er selbst tut das allerdings nicht; bemitleidet sich noch dafür, was für die Figur wichtig ist.


Nochmal kurz Hallo.

Ein Prota, der sich selbst bemitleidet ist für mich der Untergang. So eine Geschichte würde ich nicht lesen, nicht einmal, wenn ich dafür bezahlt würde.
Aber Geschmäcker sind ja verschieden.

Was ich noch schwieriger finde, ist Deine Aussage "nur Strohmänner sind 100% gut oder 100% böse"
(Sind es eigentlich tatsächlich nur "Männer"?)
Und Du sagst Realität interessiert Dich nicht. Hm, das erklärt es vielleicht, Menschen sind ja nie 100% irgendwas. das ist nicht real.

Der Inhalt Deiner Geschichte ist das Eine, und Deine Schreibweise das Andere. Mit manchen Inhalten setze ich mich auseinander, weil mir die Sprache gefällt, oder der Prota sympathisch ist.
Bei dieser Geschichte fehlen (mir persönlich) alle Aspekte.

Trotzdem viel Glück bei dem Versuch, "Deine" Leser zu finden.

Liebe Grüße
Nuff


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Dyrnberg
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Beitrag26.01.2023 15:53
Re: Der Einstieg zu meinem Roman "Bei den Strohmenschen"
von Dyrnberg
Antworten mit Zitat

Pathetisch muss ja nicht schlecht sein - ein Rushdie schreibt auch pathetisch.

Was ich aber als Leser überhaupt nicht mag, sind Träume. Noch schlimmer: Ein Traum gleich zu Beginn einer Geschichte. Diese Antipathie ist freilich hochgradig subjektiv, vielleicht sogar bescheuert. Aber es ist nun mal wie es ist: Einen Traum kann man schnell spannend und dynamisch und emotional beschreiben. Ich möchte den Prota aber im real life erleben. Gerade zu Beginn.

Kleine Anmerkungen:

agonyship hat Folgendes geschrieben:
Er gibt mir meine Sinne zurück und verschwindet.


Guter erster Satz.

Zitat:
Merkwürdige Kreaturen aus einer verborgenen Welt, in der andere Regeln gelten.


Das fett Hervorgehobene ist mir zu viel "tell" zu wenig "show". Dass dort andere Regeln gelten, sollte mir als Leser irgendwie anders klar werden: durch die Beschreibung der Szene.

Zitat:
Auf der Rückseite jedes Spiegels ist jeweils ein politisch einschlägiges Symbol eingraviert.


Sehr bürokratisches, juristisches Deutsch mitten in einem Alptraum.

Zitat:
Schweißgebadet erwache ich in meinem Bett.


So oft gelesen, dass der Satz wie eine Phrase wirkt.

Zitat:
Bahnsteig Eden - 5:45 Uhr. Die Sterne der ersten Stunde. Wir haben hier nichts mehr verloren. Also muss ich fort. Fort um einen neuen Platz zu finden. Wieder fort. Immer fort. Deutsch, weiß, männlich, heterosexuell. SUV, Fleisch, Pauschalurlaub. Konservativ, Schrebergarten, Eigenheim. Warum ich?


Ich höre hier mal mit meinen Kommentaren auf, nur noch eine Anmerkung zu dieser Passage: Als Leser ging ich davon aus, dass der Typ jetzt quasi inkarniert - also als dieser Mensch wiedergeboren wird. Und jetzt schon genervt davon ist. Auch das wäre vom Setting her passend zu Rushdie - magischer Realismus. Dann passt auch der Pathos. Nur: Das Problem mit Pathos ist, dass man es kaum über 5 Seiten hinaus aushält. Insofern wäre ich als Leser gespannt, wie es nach diesem pathetischen, fast biblischen Einstieg weitergehen wird/soll.


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agonyship
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A
Beitrag29.01.2023 14:06
Re: Der Einstieg zu meinem Roman "Bei den Strohmenschen"
von agonyship
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Dyrnberg hat Folgendes geschrieben:
...


Vielen Dank für die wirklich hilfreiche Kritik. Die zitierten Stellen nehme ich mir auf alle Fälle noch einmal vor. Du triffst denke ich tatsächlich wunde Punkte, was meine Sprache anbelangt. Gerade auf die gelegentlich unpassend nüchterne Sprache in einer theatralischen Szenerie bin ich auch schon von einem Testleser aufmerksam gemacht worden. Da tue ich mich wirklich schwer alternative Formulierungen zu finden, die ideal sind und nicht dafür wiederum andere Schwächen haben.

Von Rushdie habe ich bisher nichts gelesen. Nehme das aber als Empfehlung mit. Könnte auf jeden Fall etwas für mich sein.


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Günter Wendt
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Beiträge: 2865



Beitrag15.03.2023 11:11
Re: Der Einstieg zu meinem Roman "Bei den Strohmenschen"
von Günter Wendt
Antworten mit Zitat

agonyship hat Folgendes geschrieben:
Prolog: Am Fuße des Weltenbaumes

Am jüngsten Tag.
Vor der Dämmerung.
 Ließ ich die Wüste hinter mir.
 Um niederzusinken am Fuße jenes Baumes.
 An dem alles endet und alles beginnt.
 Um meine Tränen zu vergießen.
 Alle die ich je vergoss.
 Die Wahrheit war die Sonne, so nahm sie mir die Sicht.
Die Freiheit war der Sturm, in dem mein Herz zerbricht.
In jener dunklen Stunde ein Schatten zu mir spricht.
 Ein Mann, der schon das Jenseits durchschritt:
 „Ich möchte, dass du begreifst, nicht nur verstehst.
Ich möchte, dass du nicht vergisst.
Ich möchte, dass du eins wirst - eine andere Sicht.“


Ich denke, dass hier dieser Prolog gemeint ist.
Das nachfolgende ist bereits der „Haupttext“.

Den Prolog finde ich gelungen.
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Skatecone
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Alter: 39
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Wohnort: Heidelberg


S
Beitrag07.04.2023 13:24

von Skatecone
Antworten mit Zitat

Ich habe nur den ersten Abschnitt "Jammertal" gelesen und meine, da einen Logikfehler gefunden zu haben.

Zitat:
sie sind nackt, doch offenbaren kein Geschlecht. Die eine Gruppe ganz in Rot, die andere ganz in Blau


und dann später:

Zitat:
Nackte Menschenartige mit blauer Haut, überwiegend Frauen auf der linken Seite und solche mit roter Haut, überwiegend Männer auf der Rechten


wenn sie am Anfang kein Geschlecht offenbaren, wie können sie dann am Ende Männer und Frauen sein?

LG

Fe[/quote]lix
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Günter Wendt
Geschlecht:männlichExposéadler


Beiträge: 2865



Beitrag07.04.2023 13:41

von Günter Wendt
Antworten mit Zitat

Skatecone hat Folgendes geschrieben:
Ich habe nur den ersten Abschnitt "Jammertal" gelesen und meine, da einen Logikfehler gefunden zu haben.

Zitat:
sie sind nackt, doch offenbaren kein Geschlecht. Die eine Gruppe ganz in Rot, die andere ganz in Blau


und dann später:

Zitat:
Nackte Menschenartige mit blauer Haut, überwiegend Frauen auf der linken Seite und solche mit roter Haut, überwiegend Männer auf der Rechten


wenn sie am Anfang kein Geschlecht offenbaren, wie können sie dann am Ende Männer und Frauen sein?

LG

Fe


Stimmt.
Da sollte noch mal genauer darüber nachgedacht werden was die Unterschiede von

Offenbar
Scheinbar
Anscheinend

sind.
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