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Verleihung des Sonderpreises: Die Lütte Lina 2022


 
 
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Postkartenprosa
Lesezeichenpoesie


Beiträge: 186



Beitrag15.12.2022 21:30
Verleihung des Sonderpreises: Die Lütte Lina 2022
von Postkartenprosa
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Klein, aber oho!

Wer die Postkartenprosa und Lesezeichenpoesie kennt, weiß, dass es hier um die kondensierte Buchstabensuppe geht, um die Essenz der literarischen Ergüsse, das gefriergetrocknete Aroma der Lieblingswörter, die überwältigende Schönheit eines andächtig dekorierten schriftstellerischen Amuse-Gueule.

Dieser Wettbewerb beschränkt uns auf das Wesentliche, den Kern aller Kerne, das Innerste. Und wenn ein Text es schafft, Lust auf mehr zu machen, auf einen zweiten und dritten Gang und vielleicht auch noch ein Dessertbuffet, dann und nur dann, gibt es die Lütte Lina.

Die Verkostung war hart, vor allem, weil wir natürlich erst einmal die Kriterien festlegen mussten. Mehr Salz als Suppe? Weniger ist mehr? Keine künstlichen Aromastoffe? Wie sieht es aus mit Makrobiotik? Fermentiert und schokoliert? Ist Zuckerguss erlaubt? (sleepless:  Twisted Evil NEIN, anuphti: love  JA)
Aber schließlich stand der Gewinner fest:


Die Lütte Lina 2022

geht an


Weitwinkelschnappschuss mit Dame, überbelichtet


von UtherPendragon



Begründung:

Beim Titel „Weitwinkelschnappschuss mit Dame, überbelichtet“ (im folgenden verkürzt auf Weitwinkelschnappschuss) habe er „eine Zeile zusammengeschustert“, meint der Autor, wo man mehr erahne, worum es gehe, als dass es einem mitgeteilt würde. Das kann man auch ein wenig anders sehen, wir finden den Titel makellos passend. In der Geschichte wird die verstorbene Lina im Leichenwagen von Hetthorn nach Bremen überführt. Das sei eine Stunde Fahrt, wird uns mitgeteilt. Damit wäre es zu lang für eine Geschichte im Postkartenprosa-Wettbewerb und deshalb steht der Erzähler irgendwo an der „Allee aus Ahornbäumen“ in der flachen Landschaft Norddeutschlands, wo der Horizont zu einer „mit Schnur und Stab gezogenen Linie“ wird und drückt auf den Auslöseknopf. Nur ein Schnappschuss, für mehr würde es bei maximal vierhundert Wörtern auch nicht reichen. Mit einem Weitwinkelobjektiv - und weit muss es sein, einen Teil der Fahrt soll das Bild schon fassen. Nicht nur in der Breite, sondern auch in der Höhe, die Fahrt hält sich nicht unbedingt an die Gesetze der Physik. Höher als der alte Turm der Stoteler Dorfkirche geht es, bis hinter den Mond (versehentlich), aber vielleicht war das auch nur ein Traum oder ein momentaner Schwächeanfall der Realität. Doch wenn man versucht, so viel Bewegung des Wagens in den Dimensionen das Welt-Raumes in einziges Foto zu pressen, benötigt man eine lange Belichtungszeit und anders als in nächtlichen Aufnahmen, wo ein fahrendes Auto zu einer langen Spur seiner Lichter wird, wird ein Foto im Tageshellen überbelichtet und die scharfgezogenen Konturen der Dinge und der Zeit verschwimmen zur Bewegungsunschärfe. So kann ein ganzes Leben angeschnitten werden, das der Dame, die im Titel vielleicht aus assoziativer Ferne an Heinrich Bölls „Gruppenbild mit Dame“ und dessen Heldin Leni anspielt. Vielleicht auch nicht, lediglich eine Ähnlichkeit oder Übereinstimmung in der Generation.
 
Auf jeden Fall reicht ein einziger Satz für all das. Weitwinkel. Haben wir ja schon gesagt. Der Satz spannt den Bogen vom Herbst am Anfang zum Herbst am Schluss, dem Ende der Lebenszeit, auf das der Winter des Todes folgt. Lina ist zwischen den Welten auf diesem Transport, setzt über, statt des Kahns ein Dieselauto, statt des Fährmanns ein Chauffeur, der den Weg auch nicht so richtig kennt, von hier ist, nicht von drüben. Lina ist noch nicht wirklich auf der anderen Seite, wo auch immer das sein sollte. Schrödingers Lina in der „hübschen Kiste“, die noch geschlossen ist, und der Beobachter draußen am Straßenrand mit seiner erzählerischen Kamera und so ist Lina tot und nicht tot zu gleichen Zeit und kann noch ein wenig träumen und sich erinnern. Position und Impuls können auch in dieser Quasi-Quantenwelt nicht gleichzeitig bestimmt werden, deswegen fragt sich selbst der Chauffeur, wo sie denn seien, weiß nur in welche Richtung es gehen soll oder muss.

Weitwinkelschnappschuss schafft es wunderbar in der Bewegungsunschärfe Imaginiertes und Transzendentes mit dem ganz Konkreten und Fassbaren in einer Unschärferelation des Physischen zu verschmelzen. Der Tod als Ereignishorizont und als konkreter Horizont im Tiefland, die mythische letzte Reise und die exakt nachvollziehbare Autofahrt, die Welt der Menschen und Hetthorn, das Jenseits und Bremen. Das macht den Text so stark, dass er keine vagen Allgemeinheiten benutzt, so etwas wie ‚die Straße‘, ‚die Kirche‘, ‚der See’, sondern situiert ist in der lokalen Geographie seines Handlungsortes und der Person der Protagonistin. Die Beschreibung der Landschaft, ob darauf zugefahren oder vorbeiziehend, ist nicht nur originell, sondern geo-idiosynkratisch brillant. Unverwechselbar lokal, könnte man es auch ein wenig weniger geschwollen ausdrücken.

Mehr noch, es geht um einen realen Menschen in dem Text (hier haben wir natürlich im Eigenkommentar des Autors gespickt), es ist eine Art Ehrerbietung oder Hommage. Man kann einem verstorbenen Menschen nie gerecht werden, nicht in vierzig- oder vierhunderttausend Wörtern und schon gar nicht in vierhundert. Man kann nur andeuten und Weitwinkelschnappschuss tut das elegant und mit einer gewissen melancholischen Leichtigkeit des Seins und Nicht-mehr-Seins. Der Text besticht durch seine Sprache, seine schiere Ausdruckskraft und seinen Mut, den Leser:innen nicht einen einzigen Punkt zu gewähren, und das nicht in einem Wettbewerb, der bewusst Pfade abseits des Gängigen beschwört wie der „Zehn Tage, zehntausend Zeichen“-Wettbewerb, sondern in unserer kleinen, höchst feinen Postkartenprosa. Noch überraschender ist, dass wenn man einmal die Schichten des Wortschmucks und des Satzteilgebindes entfernt hat, die manchen auf den ersten Blick vertrieben haben mögen, man Bescheidenheit und Einfachheit findet. Nur ein Moment, der festgehalten wird, nur eine Person, die erinnert wird.

Dass der Satzzeichen-Punkt, selbst der am Ende der Geschichte, den Leser:innen vorenthalten wird, liegt auch in der Natur der Sache, würde er doch abschließen, beenden, was eigentlich noch im Fluss ist, die Kiste öffnen und den Text zu einer Antwort auf die Themafrage „Wo ist Lina?“ machen. Dem verweigert sich Weitwinkelschnappschuss und fragt stattdessen zurück „Wo seid ihr, wenn der Herbst kommt?“, gleichermaßen an die Dorfjugend wie die Leser:innen gerichtet. Ja, wo werden wir sein, was werden wir getan haben, wenn in der in Realzeit ablaufenden Biografie des eigenen Lebens der finale Punkt kommt. Nun, zumindest werden wir einen faszinierenden Text gelesen haben und ihm den Sonderpreis der Postkartenprosa 2022, die Lütte Lina, verliehen haben.

-----


Wir gratulieren vielmals!

Das Organisationteam (sleepless_lives und anuphti)

PS: Damit ist der offizielle Teil des Wettbewerbs beendet und wir verabschieden uns als Veranstalter:innen. Alle Gewinner:innen werden von uns zwecks Übergabe der Gutscheine demnächst kontaktiert.
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dürüm
Wolf im Negligé

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Beitrag15.12.2022 21:35

von dürüm
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Wohow Wohow Wohow

Also ich finde das gut. Das letzte mal war ich mit meiner Prosaskizze nominiert, diesmal ist es ein Weitwinkelschnappschuss, der auch noch gewinnt. Da sieht man mal wieder, Technik trumpft Handwerk.

Allerherzlichsten Glückwunsch an Uther (wieso denke ich bei dem Namen immer an die Artus Sage/Ilias/verdammt, woher kenne ich den Namen??)

Egal, großartiger Text! Verdient gewonnen!
Und jetzt lese ich erstmal in Ruhe dies Laudatio und zähle Punkte.

Hicks.


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UtherPendragon
Eselsohr
U


Beiträge: 402



U
Beitrag15.12.2022 21:41

von UtherPendragon
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Ich bin ehrlich gesagt ziemlich sprachlos gerade und kann noch nicht adäquat darauf antworten. Vielleicht braucht das noch eine Zeit.
Diese Analyse ist dermaßen wertschätzend, dass ich davon gerade wahnsinnig gerührt bin und ein bisschen blöd in meinem Stuhl rumsitze.
Danke.

@dürüm
Ich nutze die Gelegenheit zur Klärung: Ich habe mein Profil wirklich nach Artus' Vater (weiß gar nicht mehr ob der "Kanon" ist) benannt. Ich habe mit Fantasy zu schreiben begonnen und der Nick erschien mir irgendwie passend. Ich will ihn aber seit geraumer Zeit ändern. Plottwist ich bin gar nicht Artus' Vater.

Danke für den schönen Wettbewerb und bis in ein paar Stunden oder Tagen, sobald ich jedenfalls die Chuzpe finde, mich wieder ausführlicher zu äußern.


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anderswolf
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Beiträge: 1069



Beitrag15.12.2022 21:56

von anderswolf
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Herzlichen Glückwunsch, UtherPendragon, zur Lütten Lina für einen komplett unlütten Text. Hat mich von Anfang an fasziniert (und auch ein wenig überfordert), aber dann in seiner grandiosen Sprache (ich träume immer noch von diesem "heulenden Mund am Horizont", so ein großartiges Bild) auch nicht mehr losgelassen.
Und dank der wundervollen Laudatio habe ich noch ein paar Nuancen mehr entdecken dürfen (wie beispielsweise die Charon-Assoziativität des Fahrers), die mir komplett entgangen waren, so (positiv) erschlagen war ich von deinem Text.

Und weil es das jetzt war mit dem offiziellen Teil, will ich auch sleepless und anuphti danken für diesen sehr einzigartigen Wettbewerb. Vielleicht komme ich morgen auch endlich dazu, mich im inoffiziellen Teil wieder einzubringen.

Schöne Feier uns allen.
Wo ist die Zwiebelsuppe?
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V.K.B.
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Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
Goldenes Licht Weltrettung in Silber


Beitrag15.12.2022 22:26

von V.K.B.
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Cool, Herzlichen Glückwunsch und freut mich sehr, dass mein Favoritentext hier gewonnen hat. Endlich würdigt ihn mal jemand so, wie er es verdient hat. Hatte ich in der Rezi ja auch schon versucht, wenn auch nicht so eloquent/ausschweifend. Den Titel fand ich als Zusammenfassung übrigens auch sehr passend gewählt und eigentlich sogar optimal für die Geschichte. Verstehe nicht, warum du mit diesem nicht zufrieden warst.

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Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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Heidi
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Beitrag15.12.2022 22:41

von Heidi
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Herzlichen Glückwunsch für die Lütte Lina, UtherPendragon!
Deine Lina zählte meinem Empfinden nach so gar nicht zu der lütten Sorte, sondern zu einer Frau mit großem Charakter. Aber warum sage ich "zählte", sie ist es gerade eben ja auch noch immer und immer wieder.
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hobbes
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Beitrag15.12.2022 22:45

von hobbes
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Und auch hier herzlichen Glückwunsch!

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nebenfluss
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Beitrag15.12.2022 23:28

von nebenfluss
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Hurra, mein 12-Pünktler. Freut mich!

EDIT:
Und weil der Wettbewerb damit offiziell beendet ist, auch vielen Dank an anuphti und sleepless für die Orga!


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Jenni
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Beitrag15.12.2022 23:43

von Jenni
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Herzlichen Glückwunsch, UtherPendragon!
Danke an Sleepless und Nuff für den inspirierenden Wettbewerb und an alle Autorys für die lesenswerten Texte!
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Bananenfischin
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Beitrag16.12.2022 10:34

von Bananenfischin
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Ganz herzlichen Glückwunsch an dich UtherPendragon! Wohow

Und ein großes "Danke" in Richtung des Orga-Teams. smile


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Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge

Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft

I assure you, all my novels were first rate before they were written. (Virginia Woolf)
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Murnockerl
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Beitrag16.12.2022 14:15

von Murnockerl
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Herzlichen Glückwunsch auch von mir!
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Zinna
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Beitrag18.12.2022 15:08

von Zinna
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Herzlichen Glückwunsch UtherPendragon!

_________________
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Minerva
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Beitrag18.12.2022 17:41

von Minerva
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Huch, irgendwie habe ich das übersehen.

Ich beglückwünsche dich auch noch zu deinem Erfolg, lieber UtherPendragon!

Finde gut, wie hier auch die Interpretation in den Preis einfließt. Gibt mir die Möglichkeit, zukünftig solche Texte besser verstehen zu können und mich mehr darauf einzulassen! (Und dann gibt's auch mal Punkte, haha, also nichts für ungut. rotwerd )


_________________
... will alles ganz genau wissen ...
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UtherPendragon
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Beiträge: 402



U
Beitrag18.12.2022 22:53

von UtherPendragon
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Ich bedanke mich sehr herzlich für eure lieben Worte und will noch kurz auf Gesagtes und die "Laudatio" eingehen, die ihrerseits nicht "lütt" daherkommt - sondern vielmehr eine wahnsinnige Wertschätzung ausdrückt. Ich weiß sehr zu schätzen, dass sich hier zwei Veranstaltende abseits ihrer Moderationsaufgaben so viel Mühe in einen derartigen Text stecken.

Lustigerweise habt ihr auf diese Weise auch mir noch einen Aspekt des Textes eröffnet, den ich gar nicht bewusst inszeniert hatte: Nämlich die auch von anderswolf angesprochene Charon-Allegorie, welche sich in den Chauffeur hineinlesen lässt. Mir ist klargeworden, dass hier einfach ohne tiefgreifende Reflektion dieses Motivs in die Bilderkiste der eigenen kulturellen Prägung gegriffen wurde und ich finde es hochinteressant, wie wirkmächtig und psychologisch relevant derlei erzählerisches Inventar ist.
Zutreffend ist, dass ich mit voller Absicht auf "Gruppenbild mit Dame" angespielt habe, auch weil Lina dieser Generation im weitesten angehört mit all ihren koexistierenden Widersprüchen. Aber auch aus anderen Gründen, beispielsweise der verwendeten Sprache. Erwischt. Ich hatte die Befürchtung, dass mir dies als "billig" ausgelegt werden könnte und dass dies nicht durchweg der Fall ist, erleichtert mich. Obwohl der Text ja auch als "Taschenspielerei" bezeichnet wurde, was natürlich nicht nur negativ gelesen werden muss. Im Endeffekt kann ich mich mit dem Titel jedenfalls versöhnen, denn ich merke, dass die Gedanken, die ich mir darüber gemacht habe, nicht so ungenau und willkürlich waren, wie ich mir vorgehalten habe nach dem Abschicken.

Der Text war tatsächlich mitnichten "Fleißarbeit", wie an anderer Stelle anklang - jedenfalls nicht in dem Sinne, dass ich tagelang daran verschlimmbessert hätte. Er ist irgendwie einfach aus mir herausgeflossen und gerade deshalb sah ich mich gar nicht in der Lage, einen "echten" Punkt zu setzen, wie hier für mich sehr treffsicher aufgezeigt wurde. Ich bilde mir also ein, dass zumindest als Motivation zur Konzeption der literarische Ehrgeiz ein zweitrangiger Faktor war. Ich freue mich nun vor allem, dass wie der "heulende Mund" doch einige Bilder - wenn auch nicht ausschließlich - gut angekommen sind.

Nicht zweitrangig kann ich ganz persönlich meine fortgesetzten Versuche sehen, eine eigene Nahtoderfahrung im weiteren Sinne literarisch zu verarbeiten. Ich denke seitdem viel über die "Schwelle", die ich nicht als solch binäres Konstrukt sehe, zwischen Leben und "Tod" (ein unzureichend ausdefinierter Begriff) nach und bediene mich für die Zeitwahrnehmung im Prozess des "Sterbens" oder gar schon "Gestorben Seins" gerne kosmologischer und allgemein physikalischer Anleihen. Dementsprechend habe ich "Schrödingers Lina" natürlich als riesen Kompliment aufgenommen. Ich bilde mir keineswegs ein, auf diesen erzählerischen Reisen je etwas von Bedeutung für andere entdeckt zu haben, aber für mich habe ich viel aus der fortgesetzten Beschäftigung mit diesem Ereignis gezogen.

Erzählbar wird solcherlei vielleicht erst über Umwege und Prothesen, Lina beispielsweise. Lina ist nicht direkt einer realen Person nachempfunden, aber wie gesagt inspiriert durch eine vor einigen Jahren verstorbene alte Dame, die auf einem urigen, verwinkelten Bauernhof ein hohes Alter erreichte und die gesamte Umgebung kannte wie ihre buchstäbliche Westentasche. Es war diese nicht Hetthorn, aber Hetthorn ist nicht weit davon. Sie schrieb wie gesagt auch die Dorfchronik mit einer mir gut bekannten Person zusammen; die Liebe zu engen Räumen habe ich ihr angedichtet. Aus Gründen. Wenn ich an Linas Inspirationsquelle denke, denke ich auch an Widerstand gegen Strukturwandel (den Bau von Autobahnen), Widerstand gegen die Entfremdung von Nahrungsmitteln und ihrer Erzeugung, die Landflucht, und natürlich schwingt irgendwo ein Großteil der Stories aus der Gegend mit, die ich so kenne.

Ich hoffe, ich lasse mich hier nicht zu schwülstig aus. Irgendwie kam mir der Wettbewerb gerade recht, um diesen kleinen Text zu schreiben. Außerdem ist das das erste Mal, soweit ich mich erinnere, dass ich ernsthaft versucht habe, etwas Literarisches in der Region südlich von Bremerhaven in den Mooren anzusiedeln, obwohl es da doch viel zu sehen und zu entdecken gibt.

Weiterhin weiß ich den Ton im Forum zu schätzen sowie den Respekt, mit denen sich Teilnehmende und "Gäste" begegnen, Kritik wertschätzend formulieren, hier und da Verkürzungen verzeihen und letztendlich für ein Umfeld sorgen, in dem so etwas funktioniert. Weiterhin die hohe Qualität der Textproduktion.

In diesem Sinne hoffe ich auf viele weitere schöne Begegnungen.
Bis bald
UP


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holg
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Moderator

Beiträge: 2396
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Bronzenes Licht Der bronzene Roboter


Beitrag18.12.2022 23:27

von holg
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Ich gratuliere Dir UtherPendragon und deinem feinen Text zu dem Preis und der Wertschätzung, die ihr beiden hier (natürlich nicht exklusiv, aber dank der intensiven Beschäftigung mit dem Text und der wieder sehr treffenden Laudatio der beiden tollen Wettbewerbsausrichtys besonders) erfahren durftet.

Das hat Linas Fahrt durchs flache Land wirklich verdient.

(Alias-Änderungen gehen übrigens unter Umständen per PN an Sleepless oder Boro)


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Why so testerical?
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Writewithpassion1
Erklärbär
W


Beiträge: 3



W
Beitrag01.08.2023 13:33

von Writewithpassion1
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love
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