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Michel Bücherwurm
Alter: 52 Beiträge: 3379 Wohnort: bei Freiburg
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20.11.2022 21:00 Kapitulation von Michel
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Vor mir breitet sich ein Schlachtfeld der Apokalypse aus. Halblitergranaten sind zwischen aufgerissenen Chipstüten eingeschlagen, kantige Boots sprengen die Türen des Kleiderschrank und ein Flächenbombardement aus schwarzen T-Shirts, Socken, Ladekabeln und Retro-Pants hat die Weide der Spielzeugpferdchen verwüstet. Punk-Plakate zeugen von der Entscheidungsschlacht gegen einen Gegner in Auflösung: mich.
Wenn Chris mich hier erwischt, fliege ich achtkantig raus, verfolgt von seiner immer noch viel zu hellen Stimme, die mir verbietet, hier herumzuschnüffeln.
»Er hat recht«, sagt Veronika immer. »Du willst auch nicht, dass er in deinen Sachen wühlt. Zeig ihm mehr Respekt, dann findet ihr euch auch wieder.«
Wieder? Ich kenne ihn gar nicht.
Dunkle Ränder auf der Wand zeigen, wo früher Linas Bilder hingen. Ich schließe die Augen und sehe Mareike Möhrchen neben dem Einhorn, dessen Namen ich mir nie merken konnte, »Ungezähmt - ungezäumt« über dem Bett und auf der Tür ein Star Wars-Plakat, der erste Ausflug raus aus den Pferdekoppeln der Kindheit. Weg, alles weg, im Rausch der Zerstörung heruntergerissen. Ich darf mich glücklich schätzen, dass er sein Zimmer nicht schwarz gestrichen hat.
Wo um alles in der Welt ist meine Lina geblieben?
Es ist nicht so, dass ich mich nicht bemühe. Jeden Tag sage ich mir: Es ist seine Wahl, er hat verdammt noch mal das Recht dazu. Jeden Tag antwortet mir Mutters Stimme: Es ist nicht richtig, es ist gegen die Ordnung der Dinge. Man ist entweder das eine oder das andere.
Gott, was bin ich für ein reaktionärer Scheißer!
Veränderungen konnte ich noch nie leiden. Ich betrauerte Veronikas Kurzhaarfrisur, nicht aus ästhetischen Gründen, sondern weil die alte Veronika weg war. Umzug ins Haus: Bis heute sehne ich mich nach dem alten Wohnungsflur. Bunte Haare und Tätowierungen in der U-Bahn fordern mich stets aufs Neue. Wo sind die Tage geblieben, in denen die Leute einfach sie selbst waren?
Es ist nicht recht, sagt Mutter in meinem Kopf.
Es hätte mich umgebracht, erwidert Chris mit ruhiger Stimme.
Es stimmt, sage ich, von mir selbst verblüfft.
Ich lausche Linas Kinderstimme nach, wie sie ihre Pferdchen plappern lässt, doch sie ist schon vor Jahren verhallt. Die Ränder an der Wand sind nur noch Ränder und das Einhorn in die Wälder geflohen. Sie ist weg, ein für allemal. Ich weiß es längst.
»Tschüs, Lina«, flüstere ich, drehe mich weg und blinzle durch tränennasse Augen zur Tür, in der mit verschränkten Armen mein Sohn steht.
Weitere Werke von Michel:
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UtherPendragon Eselsohr
U
Beiträge: 402
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U 28.11.2022 03:54
von UtherPendragon
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Zu müde. Ich peile den Text nicht mehr, aber ich glaube, hier habe ich einen wirklich guten aufgestöbert, selbst wenn mir einige sachen (Wie der Begriff "Punk-Plakate" anstelle von z.B. "Dead-kennedys-Plakaten") etwas aufgesetzt erscheinen; der Einstieg ist ja dermaßen gut gelungen, den muss ich nochmal mir zu Gemüte führen, und daher hier der Merker zum erneut Lesen und sicheren Bewerten
Best
UP
Edit: Jetzt glaube ich endlich, den Text verstanden zu haben, und dadurch rückt er - was mit meinem Ego natürlich NICHTS zu tun hat - nach oben.
_________________ Dies ist ein Text, der an jeden Deiner Beiträge angehangen werden kann. Es besteht ein Limit von 400 Buchstaben. |
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4292
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28.11.2022 16:31 Re: Kapitulation von hobbes
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Postkartenprosa hat Folgendes geschrieben: | »Tschüs, Lina«, flüstere ich, drehe mich weg und blinzle durch tränennasse Augen zur Tür, in der mit verschränkten Armen mein Sohn steht. |
Das ist so ein Satz, der mich in die Flucht treibt. Nein, ich muss konkreter werden, es ist nicht der Satz, es sind hauptsächlich die tränennassen Augen.
Nun gut, könnte man sagen, an der Stelle ist die Geschichte ja sowieso zu Ende, macht nix, wenn ich dann weg bin. Aber das macht es auch nicht besser, denn dann bleibt dieser Unwillen gegen Schluss, ein unwillkürliches Augenverdrehen meinerseits und Gedanken in Richtung: "Wie rührselig muss es sein?"
Andererseits habe ich lustigerweise direkt nach Martin hierher geklickt und im direkten Vergleich finde ich hier wenigstens eine fühlende Figur, das ist doch schon mal was.
_________________ Don't play what's there, play what's not there.
Miles Davis |
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nebenfluss Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5994 Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
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28.11.2022 18:06
von nebenfluss
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Ein Vater hadert mit dem Zeitgeist: Seine Tochter Lina hat sich in den Sohn Chris verwandelt. Im Versuch, der ohnehin nicht zu ändernde zu akzeptieren, steht er nun in dessen Zimmer, in einer „Schlachtfeld der Apokalypse“, wie es ihm (in origineller metaphorischer Erfüllung der Wettbewerbsvorgabe) erscheint: Für ihn geht eine Welt unter, während seine Frau ihre Kapitulation wohl schon hinter sich hat. Seine Mutter dagegen hat offenbar ihre konservative Haltung kundgetan, doch das sind nur noch lästige Störsignale in den Gedanken des Protas, dessen Vernunft längst auf der Seite des Sohnes ist; bewältigt werden muss die Sache nur noch emotional, und der Text lässt uns daran auf eindrückliche und nachvollziehbare Weise teilhaben.
Die Geschichte, wie sie sich hier aus der Stille des verlassenen Jungendzimmer durch die aufgewühlten Gefühle entwickelt, scheint geradezu perfekt für Flash Fiction. Eine kleine Einschränkung meinerseit: Da die Trauer des Vaters sich auf eine pre-pubertäre Pferde- und Einhornwelt bezieht, wäre die Geschlechterdysphorie strenggenommen für die Geschichte gar nicht nötig gewesen, da diese Lina so oder so verschwunden wäre. Dann wäre es eben einfach eine Geschichte über einen Vater gewesen, der das Erwachsenwerden seines Kindes als tragischen Verlust empfindet, was diesem Beitrag keinen großen Abbruch getan hätte(?)
_________________ "You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson) |
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finest.fire Leseratte
Alter: 36 Beiträge: 173 Wohnort: Berlin
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29.11.2022 13:11 Re: Kapitulation von finest.fire
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Postkartenprosa hat Folgendes geschrieben: | Vor mir breitet sich ein Schlachtfeld der Apokalypse aus. Halblitergranaten sind zwischen aufgerissenen Chipstüten eingeschlagen, kantige Boots sprengen die Türen des Kleiderschrank und ein Flächenbombardement aus schwarzen T-Shirts, Socken, Ladekabeln und Retro-Pants hat die Weide der Spielzeugpferdchen verwüstet. Punk-Plakate zeugen von der Entscheidungsschlacht gegen einen Gegner in Auflösung: mich.
Wenn Chris mich hier erwischt, fliege ich achtkantig raus, verfolgt von seiner immer noch viel zu hellen Stimme, die mir verbietet, hier herumzuschnüffeln.
»Er hat recht«, sagt Veronika immer. »Du willst auch nicht, dass er in deinen Sachen wühlt. Zeig ihm mehr Respekt, dann findet ihr euch auch wieder.«
Wieder? Ich kenne ihn gar nicht.
Dunkle Ränder auf der Wand zeigen, wo früher Linas Bilder hingen. Ich schließe die Augen und sehe Mareike Möhrchen neben dem Einhorn, dessen Namen ich mir nie merken konnte, »Ungezähmt - ungezäumt« über dem Bett und auf der Tür ein Star Wars-Plakat, der erste Ausflug raus aus den Pferdekoppeln der Kindheit. Weg, alles weg, im Rausch der Zerstörung heruntergerissen. Ich darf mich glücklich schätzen, dass er sein Zimmer nicht schwarz gestrichen hat.
Wo um alles in der Welt ist meine Lina geblieben?
Es ist nicht so, dass ich mich nicht bemühe. Jeden Tag sage ich mir: Es ist seine Wahl, er hat verdammt noch mal das Recht dazu. Jeden Tag antwortet mir Mutters Stimme: Es ist nicht richtig, es ist gegen die Ordnung der Dinge. Man ist entweder das eine oder das andere.
Gott, was bin ich für ein reaktionärer Scheißer!
Veränderungen konnte ich noch nie leiden. Ich betrauerte Veronikas Kurzhaarfrisur, nicht aus ästhetischen Gründen, sondern weil die alte Veronika weg war. Umzug ins Haus: Bis heute sehne ich mich nach dem alten Wohnungsflur. Bunte Haare und Tätowierungen in der U-Bahn fordern mich stets aufs Neue. Wo sind die Tage geblieben, in denen die Leute einfach sie selbst waren?
Es ist nicht recht, sagt Mutter in meinem Kopf.
Es hätte mich umgebracht, erwidert Chris mit ruhiger Stimme.
Es stimmt, sage ich, von mir selbst verblüfft.
Ich lausche Linas Kinderstimme nach, wie sie ihre Pferdchen plappern lässt, doch sie ist schon vor Jahren verhallt. Die Ränder an der Wand sind nur noch Ränder und das Einhorn in die Wälder geflohen. Sie ist weg, ein für allemal. Ich weiß es längst.
»Tschüs, Lina«, flüstere ich, drehe mich weg und blinzle durch tränennasse Augen zur Tür, in der mit verschränkten Armen mein Sohn steht. |
Ich finde den Anfang toll, wie du mit Kriegsvokabular veranschaulichst, was in diesem Kinderzimmer geschehen ist. Lieblingssatz: Der erste Ausflug raus den Pferdekoppeln der Kindheit. Leider mag ich die "Stimmer der Mutter" nicht so gerne. Ich denke, hier unkonkreter zu bleiben, davon würde der Text definitiv profitieren.
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Michel Bücherwurm
Alter: 52 Beiträge: 3379 Wohnort: bei Freiburg
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29.11.2022 14:23
von Michel
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Hallo Text!
Doch, jetzt mit ein paar Tagen Abstand kann ich sagen: Ich mag dich; ich finde dich ganz gelungen. Was mich umtreibt, ist vor allem die Furcht vor den Reaktionen auf das Thema. Darf der das überhaupt? Muss der wirklich jeden Klischee-Fettnapf mitnehmen?
Du warst beim Lesen der Themenvorgaben fast augenblicklich da; ich hatte gar keine Wahl, etwas anderes zu schreiben. Vielleicht ist das ein gutes Vorzeichen.
In neun Tagen sind wir beide schlauer.
_________________ Seit 27. April im Handel: "Rond", der dritte Band der Flüchtlings-Chroniken |
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Estee Schneckenpost
E
Beiträge: 14 Wohnort: Enger
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E 30.11.2022 10:52 Kapitulation von Estee
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Eine tolle Geschichte, aktuell.
Doch die Sache mit Veronika verwirrt ein bisschen.[/justify]
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Murnockerl Eselsohr
M
Beiträge: 340
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M 30.11.2022 11:59
von Murnockerl
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Gut geschrieben. Die generelle Weltsicht der Mutter ist mir aber unsympathisch: Ist eine Person wirklich "weg", wenn sie ihre Frisur, ihr Geschlecht oder ihren Namen ändert? Natürlich ändert man sich im Laufe der Zeit und es ist legitim, der Art, wie ein geliebter Mensch früher war, nachzutrauern; nur klingt es so, als ob für die Mutter dieser Schnitt rein mit der Äußerlichkeit erfolgt - und das klingt für mich beunruhigend, ein wenig lieblos, als ob sie ihre Kinder gar nicht richtig kennt.
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gold Papiertiger
Beiträge: 4936 Wohnort: unter Wasser
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30.11.2022 14:02
von gold
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ich komme noch mal, um einen Kommentar abzugeben.
Will jetzt aber Punkte verteilen...
Hallo Inko,
sehr einfühlsam geschrieben. Um ein Haar wären mir ebenfalls, wie dem Prota, die Tränen gekommen. Du schilderst wunderbar die Entfremdung von Vater und Sohn, wie wir sie fast schicksalhaft so oft erleben.
Daher gibt es von mir einige Punkte.
Liebe Grüße
gold
_________________ es sind die Krähen
die zetern
in wogenden Zedern
Make Tofu Not War (Goshka Macuga)
Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso) |
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tronde Klammeraffe
T
Beiträge: 522
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T 30.11.2022 23:43
von tronde
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Hallo!
Spannend. Der Kampf eines Vaters mit sich und seiner inneren Stimme. Ein starkes Bild zum Anfang, das die Härte der Auseinandersetzung zeigt.
Einzig die Überschrift stört mich, habe ich doch das Gefühl, dass der Vater zur Akzeptanz kommt und nicht kapituliert.
Gern gelesen, ganz oben dabei.
Herzliche Grüße!
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d.frank Reißwolf
D Alter: 44 Beiträge: 1125 Wohnort: berlin
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D 01.12.2022 01:11
von d.frank
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Eigentlich ein gutes und wichtiges Thema und eine frische Idee bezüglich der Aufgabenstellung, weiß auch nicht, warum das keine Punkte bekommt, wahrscheinlich einfach, weil sie alle sind.
Und weil 400 Wörter dafür einfach nicht reichen. Das ist ein mehr als abendfüllendes Thema (meiner Meinung nach).
Hier eher: Zack, is so.
_________________ Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer |
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V.K.B. [Error C7: not in list]
Alter: 51 Beiträge: 6155 Wohnort: Nullraum
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02.12.2022 17:11
von V.K.B.
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Lina ist jetzt Chris und Mutter hat ein Problem damit. Ah, da ist sie ja, die obligatorische Transgendergeschichte im Wettbewerb. Und trotzdem (oder gerade deshalb) wohl eine der originellsten Umsetzungen des "Wo ist Lina?"-Themas. Ja, wo ist Lina? Lebt sie in Chris weiter? Oder ist Chris immer schon Chris gewesen und Lina zu spielen würde ihm nur durch Geburt als Mädchen aufgezwungen, bis er sich davon befreit hat?
Die Mutter findet das falsch, meint, Menschen sollten "sie selbst" sein. Aber was ist man tatsächlich? Das, als was man geboren wird, oder das, was man sein möchte; als was man sich wirklich fühlt?
Interessant ist, dass die Mutter, obwohl sie sich selbst als "Gott, was bin ich für ein reaktionärer Scheißer!" bezeichnet, nicht komplett negativ rüberkommt. Man kann ihre Gefühle auch verstehen, sie hatte sich an ein anderes Kind gewöhnt und ganz andere Erwartungen an ihr Familienleben. Halt, ist gar nicht unbedingt die Mutter, könnte auch der Vater sein, fällt mir gerade auf. Bisher bin ich von Mutter ausgegangen und Veronika als beste Freundin, jetzt frage ich mich, warum. Ist wahrscheinlich doch eher der Vater und Veronika seine Frau. Letztendlich aber auch egal, denn der Erzähler ist ein GUP (genderless unnamed protagonist) und somit soll es gar nicht klar sein. Und gerade wenn man ihn erst als Mutter liest, wirft das doch nur weitere Fragen zum Gender-Thema auf.
Schöne Geschichte, die zum Nachdenken anregt, gerne gelesen.
Verdammt viele Geschichten diesmal, und nur so wenig Punkte. Leider bleiben für diese Geschichte keine mehr übrig. Heißt aber nicht, dass ich sie schlecht fand.
Beste Grüße,
Veith
_________________ Hang the cosmic muse!
Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills … |
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Nachtvogel Leseratte
Alter: 32 Beiträge: 117 Wohnort: Münster
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03.12.2022 02:24
von Nachtvogel
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Lina ist jetzt Chris und der Vater kommt damit nicht klar. Interessantes Thema und eine kreative Umsetzung des Themas "Wo ist Lina?". Sprachlich ließe sich da sicher noch einiges überarbeiten. Die Metaphern aus dem Wortfeld Schlachten/Kriege im ersten Absatz fand ich zu gewollt. Für Punkte hat es leider nicht gereicht.
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Constantine Bücherwurm
Beiträge: 3311
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05.12.2022 14:51
von Constantine
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Bonjour sehr geehrte Postkarte
Die Transgender-Story als bissige Satire:
Lina --> Chris
Einhorn --> Star Wars-Plakat
Pferdchen --> Punk-Plakate
Ich finde, du beschreibst die Gefühle der Mutter richtig gut, die sich von ihrer Tochter Lina verabschieden muss und dafür ihren Sohn akzeptieren muss.
Als eine Mutter, die selbst mal ein Teen war und Veränderungen des eigenen Zimmers kennen sollte, tut sie sich hier ziemlich übertrieben gezeigt damit schwer (und sicherlich ist auch der Charakterwandel von Lina zu Chris ein sehr übertriebener), aber passend zur inszenierten Satire um Geschlechterrollen und ihre Identität.
Während der Pubertät hätte Lina sicherlich ihr Zimmer auch generalverändert und sich von vielem getrennt und durch Neues ersetzt, was ihr Erwachsenwerden gezeigt hätte.
Insgesamt ein gut geschriebener, witziger Beitrag.
Punkte: sept points.
Merci beaucoup
Constantine
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dürüm Wolf im Negligé
Alter: 46 Beiträge: 966 Wohnort: Cape Town
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05.12.2022 16:33
von dürüm
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Gut beobachtet, brisantes Thema, Konflikt der Mutter auf den Punkt gebracht!
Gerne gelesen.
Top Ten.
Fünf Punkte!
Gruß
Kerem
_________________ Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen.
(Oscar Wilde)
Der Willige wird vom Schicksal geführt. Der Störrische geschleift.
(Seneca) |
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silke-k-weiler Klammeraffe
Alter: 49 Beiträge: 749
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05.12.2022 16:51
von silke-k-weiler
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Lieber Text,
ich finde, du beleuchtest auf eine sehr authentische Art die Gefühlsgemengelage eines Elternteils angesichts der sexuellen Orientierung des eigenen Kindes, verfangen in alten Rollenbildern und dem Aufbruch in das neue. Die dunklen Ränder an der Wand, dort, wo die alten Bilder gehangen haben, sind ein sehr starkes Bild, eben weil dort nichts mehr ist, aber dennoch eine Spur zurückblieb. Nur mit dem Titel hadere ich. Duden schreibt z.B. über "das Kapitulieren": "resignierendes Nachgeben, Aufgeben" (Quelle: Duden) Ich hätte mir etwas Versöhnlicheres als Überschrift gewünscht. Ein Aufeinanderzugehen. Naja, kommt vielleicht jetzt.
Und kommst mit in meine nächsten Runde, da sind auf jeden Fall Punkte drin.
VG
Silke
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Heidi Reißwolf
Beiträge: 1425 Wohnort: Hamburg
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05.12.2022 17:59
von Heidi
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Der Titel
ist eindeutig; er passt gut zum Inhalt des Textes. Das metaphorische Kriegsgebiet zu Beginn der Geschichte atmet sozusagen den Titel aus, und leitet ein in das Kapitulieren eines (vermutlich) Vaters.
Die Sprache
Der Text ist solide geschrieben. Es entstehen Bilder, wodurch auch das Setting erkennbar wird.
Die Figur(en)
Die Ich-Figur lässt mich an seinem Leid teilhaben. Veränderung bedeutet Schmerz, in diesem Fall sehr großen Schmerz; wenn Kinder groß werden ist das immer mit diversen Loslösungsprozessen verbunden und deshalb auch mit ein wenig Wehmut.
Eine derartig große Veränderung, wie im Text aufgegriffen, bedeutet für dich Ich-Figur noch sehr viel mehr Wehmut und vielleicht auch erst mal Unverständnis. Das kommt im Text deutlich raus, auch durch die erzählende Figur, die mich an sich ranlässt und ehrlich zu sich ist, indem sie erklärt, wie schwer es ihr fällt, eine Veränderung zu akzeptieren.
Auch Lina/Chris wird als Figur lebendig mit rotzig pubertierendem Verhalten und die Oma, für die es unmöglich ist, dass ein Mädchen dann ein Junge sein soll. Die Mutter erlebe ich als offen, verständnisvoll und weniger festgefahren als es die Ich-Figur von sich selbst erzählt.
Der Inhalt
Lina heißt inzwischen Chris. Er hat offensichtlich in der Pubertät für sich herausgefunden, dass er sich wie ein Junge fühlt, auch ein solcher sein möchte und als solcher behandelt werden möchte. Sein (vermutlich) Vater kommt nicht gut damit klar, er empfindet Schmerz, der aber nicht nur mit der Änderung der Geschlechtlichkeit seiner Lina zu tun hat, sondern sicher auch mit der allgemeinen Situation, dem Abschied der Kindheit, den Eltern akzeptieren lernen müssen.
Am Ende kapituliert die erzählende Figur, obwohl es ihr sehr schwer fällt.
Der Gesamteindruck
Hier erleben ich eine in sich abgeschlossene kleine Geschichte mit allem, was so eine Geschichte braucht. Die Figuren sind gut ausgearbeitet in all der Kürze des Textes und genau das ist es auch, was mir an diesem Text gut gefällt. Durch den Dialog und die Gedanken des Ich-Erzählers werden auch die anderen Figuren lebendig. Das ist gut gemacht.
Weniger gefällt mir, dass der Text nicht ohne Klischees auskommt. Pferdchen fürs Mädchen; die vielleicht-schwarze-Wand für den pubertierenden Jungen, das Chaos in seinem Zimmer, die Oma, die nicht mit einer Transsexualität klarkommt, die Mutter, die verständnisvoll, liebevoll und offen ist (wirkt irgendwie amerikanisch), der verklemmte Papa.
All das, was an den Figuren besonders ist, ist auch irgendwie leicht klischeehaft angehaucht.
Und das Ende gefällt mir tatsächlich nicht. Die Tränen in den Augen sind mir dann für meinen Geschmack doch ein wenig zu dick und zu kitschig.
Es gibt aber trotzdem Punkte und zwar zwei davon.
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holg Exposéadler
Moderator
Beiträge: 2396 Wohnort: knapp rechts von links
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05.12.2022 18:04
von holg
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Wenn ich das richtig verstehe, ist Lina zu Chris geworden.
Das leist sich leider nicht nur, als hätte Chris außer der Pubertät noch eine Gender Transition hinter sich, sondern Erzähler*in eigene Identitätsprobleme. Oder als schriebe ein Er aus der Sicht der Mutter.
Die Bilder vom Anfang, die Beschreibung des Tohuwabohus im Zimmer stimmen für mich. Danach geht es mMn leider nicht stimmig weiter.
_________________ Why so testerical? |
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Jenni Bücherwurm
Beiträge: 3310
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05.12.2022 19:43
von Jenni
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Also gibt es jetzt nicht nur in jedem dsfo-Wettbewerb zwei Demenztexte, sondern auch zwei Transgendertexte? Nicht dass das eine Rolle spielte, über die Koinzidenz oder den Zeitgeist hinaus.
Dieser hier gefällt mir besser als der andere. Und ohne den eigentlich bedeutungslosen aber sich aufdrängenden Vergleich untereinander … gefällt mir dieser Text hier einfach sehr gut.
Das liegt am Stil, an der Metaphorik, an der Figurenkonstellation, am Konflikt, und daran, wie all das ineinander greift und dann erst laut und zum Ende ganz still - berührt.
Punkte, und zwar 7.
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MoL Quelle
Beiträge: 1838 Wohnort: NRW
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05.12.2022 23:12
von MoL
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Lieber Inko!
Ein toller Beitrag, war mir am Ende dann aber doch ein Hauch zu viel Klischee, denn ganz ehrlich, eine solche "Transformation" kenne ich auch von meinem Binär-Cis-Kind; dennoch wunderschön erzählt, daher 6 Punkte, sehr schön auch der Generationenkonflikt!
_________________ NEU - NEU - NEU
gemeinsam mit Leveret Pale:
"Menschen und andere seltsame Wesen"
----------------------------------
Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021. |
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F.J.G. Bitte keinen Weichspüler verwenden
Alter: 33 Beiträge: 1955 Wohnort: Wurde erfragt
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06.12.2022 12:41
von F.J.G.
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Wertes unbekanntes schreibendes Wesen,
leider lässt mich dieser Text mit Fragezeichen im Gesicht zurück.
Zu viele Charaktere, die sich kaum auseinanderhalten lassen.
Insofern gibt es von mir leider keine Punkte.
Danke für den Text,
Kojote
_________________ Ab sofort erhältlich: Achtung Ungarn! Ein humorvolles Benutzerhandbuch |
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Minerva Nachtfalter
Beiträge: 1150 Wohnort: Sterndal
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06.12.2022 15:42
von Minerva
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Vorbemerkung: Leider war meine Zeit diesmal arg knapp, deswegen nur ein kleiner Standard-Kommentar. (Sorry)
Nach meiner Ansicht waren alle Beiträge von hoher Qualität und unterhaltsam. Weswegen es deiner nicht auf meine Punkteliste geschafft hat, weiß ich nicht. Das Aussortieren, auch deines Beitrags, ist mir schwer gefallen.
_________________ ... will alles ganz genau wissen ... |
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