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Ab wann wirkt Infodump störend/hemmend?

 
 
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BerndHH
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Beitrag15.10.2022 06:28
Ab wann wirkt Infodump störend/hemmend?
von BerndHH
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Guten Morgen liebe Leute,

ich habe mir mal ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema „Infodump“ gemacht. In jedem Schreibratgeber und auch hier im Forum wird immer darauf hingewiesen, dass Infodump ein absoluter Killer im Erzählfluss sei, dass er den Leser abschreckt und am Ende das Buch ganz schnell in die Ecke werfen lässt. Schon Stephen King warnte eindringlich: „Schreib keine Betriebsanleitungen!"
Verstanden. So weit so gut. Ist einleuchtend und macht Sinn.

Doch wenn es sich um eine interessante Thematik handelt, dann ist Infodump wieder legitim. So verwendet Dan Brown in „Illuminati“ natürlich sehr viel Sachinformationen: CERN, Eigenleben des Vatikans oder in „Inferno“ sehr viele Details über die Florentiner Kunstgeschichte, die Baudenkmäler der Toscana etc. und da ist es wieder hochwillkommen. Ich vermute, weil der Leser viele Anknüpfpunkte an Italien verspürt, sich vielleicht für Kunstgeschichte interessiert, etc.

Infodump hat ja bislang eigentlich jede meiner Geschichten gekillt, da sie den Erzählfaden gekappt oder hat komplett untergehen lassen. Ich habe bestimmte Themen, die ich über die Geschichte an den Mann bringen möchte.

Bei meinem aktuellen Projekt geht es um einen jungen Kieler (* 1967), der 1985 in Kiel-Gaarden Abitur macht, zunächst sein Leben mit den neu gegründeten Kieler Hell’s Angels (Charter Borderland, das im Rotlichtviertel der Flämischen Straße mitmischen will – der kleine Fiete kommt aber über den Status eines „Hangarounds“ nicht hinaus. Er ist nicht hart/kriminell genug) verplempert, dann durch seine hübsche Freundin eine 180 Grad-Wende macht, zum Friedensaktivist wird – Oktober 1983 Teilnahme an der großen Friedensdemo in HH – und am Ende trotz hartnäckiger Verweigerung (Kriegsdienstverweigerungsantrag wird abgeschmettert) wird er gezogen. Er muss gegen seinen Willen und Widerstand seinen Grundwehrdienst bei der 2./JgBtl 511 in Flensburg ableisten. Die ersten Tage in der Kaserne verbringt er in Haft – er wurde von den Feldjägern bei Nacht und Nebel in seiner Wohnung verhaftet. Er war mit seiner Freundin gerade beim Akt und wird nackt bzw. in Unterhose aus dem Haus geschleift  -damit es schön dramatisch ist.
Dann verschärft sich die Spannungsperiode der Weltpolitik, die beiden Supermächte gehen auf einen harten Kollisionskurs und der längere Teil der Geschichte beginnt.

Doch allein das Umfeld des Kielers wirft schon eine Unzahl von Nebenschauplätzen auf, die mir wichtig sind und die ich dem Leser gerne verkaufen möchte.
Kiel-Gaarden: war es damals Anfang der 1980er schon ein sozialer Brennpunkt? Wie deutlich waren die Auswirkungen der Werftenkrise in dieser Zeit, was machte sie mit den Menschen und dem Viertel?
Elternhaus: Vater – arbeitsloser Schweißer der Howaldtswerft. Mittlerweile Alkoholiker und komplett perspektivlos. Großvater: ehemaliger U-Bootsoldat, jetzt ein Wrack und ebenfalls Alkoholiker. Lebensinhalt des „Männerhaushaltes“ ist Karlsquell – palettenweise, DM 0,30 – 0,33l Dose. Die Mutter verließ die Familie 1970. Großvater und Vater zogen die beiden Söhne allein auf. Der ältere Sohn verlässt bei Volljährigkeit den Haushalt und verpflichtet sich für 12 Jahre beim Bundesgrenzschutz. Der jüngere Sohn verwahrlost und findet Halt bei den neu entstehenden Hell’s Angels. Ich komme schnell vom Hundertsten ins Tausendste. Zig Seiten über den U-Bootkrieg, der aus Opa unter Kaleu XX halt den kaputten Mann gemacht hat, der den Protagonisten mit erzogen hat.
Hell’s Angels Charter Borderland: wieder ein Nebenstrang. Der beste Freund des Protagonisten ist Vollmitglied der HA in Kiel. Hier gibt es keine Quellenlage. Mario Amtmann, Rainer Kopperschmidt, Klaus-Peter Grabe [Achtung Realpersonen!] von den HA Hamburg lassen es zu, dass Kiel sein eigenes Charter gründen darf und die wollen mit Macht ins Kieler Rotlichtgeschäft. Der Prota findet die Rocker cool, ihre Gesetzlosigkeit, nur den eigenen Regeln („Hier sagt mir allein mein Sack, was Phase ist, du kleine Puschmütze!“) zu gehorchen – doch er versteht deren Hierarchie nicht, noch hat er die Härte, um als Full Member dazugehören zu können.
Friedensbewegung der frühen 1980ern. Wie können Gert Bastian, Petra Kelly und deren Friedensinitiative (es waren ja nicht nur die beiden, sondern fast schon eine große Volksbewegung) den jungen Kieler zu einer 180 Grad-Wende bringen. Auf einmal interessiert er sich nicht mehr nur für Karlsquell, Harley Davidson und mit irgendwelchen Asis in einer reinen Männergesellschaft abzuhängen, sondern fürs Gemeinwohl, für die großen Interessen der Menschheit. Es ist die Geschichts-AG, die mit der Bahn fährt von Kiel nach „Hamburch“ und dann gleich in die Megademo reingeht. Na ja, der Faden ist sehr dünn und wenig überzeugend. Bastians Rede macht aus dem Prota einen neuen Menschen mit neuen Idealen und dann ist da noch dieses faszinierende Mädchen aus seiner AG mit der er eine zauberhafte Disconacht (auf der legendären ENGTANZFÊTE im Knust) verbringt und neben Verführung und Verliebheit übernimmt er auf einmal ihre Geisteshaltung. Ist überhaupt nicht überzeugend.

Bei mir sind ca. 20% Handlung, der Rest ist reiner Infodump. Vielleicht hat das Ganze ja ein unbewusstes Muster. Aus Mangel an kreativer Unfähigkeit eine komplexe Geschichte erzählen zu können, verliere ich mich im Infodump über z.B. oben angesprochenen Punkte. Also weiße Flecken in der Geschichte mit Material füllen und diese damit strecken. Für mich ist es ein Dilemma. So das war jetzt viel Gequatsche.

Was meint Ihr?
Viele Grüße


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BerndHH
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Beitrag15.10.2022 07:12

von BerndHH
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Okay, man muss natürlich einräumen, dass Dan Brown äußerst erfolgreiche Thriller schreibt und mit seinen Themen 99,99% der Leser fasziniert. Ja, natürlich, Zahlenmystik, Symbologie, Geheimgesellschaften des Vatikans, ihre verborgenen Riten, etc. – das zieht natürlich ein Millionenpublikum an.
Andererseits sind Thriller/Krimis mit Regionalbezug ebenfalls sehr erfolgreich. Mordgeschichten von Ost-/Nordseestrand führen das SPIEGEL-Beststellerranking mit Regelmäßigkeit an. Die Menschen identifizieren sich also auch gerne mit einer bekannten Umgebung, in der sie vielleicht ihren letzten Sommerurlaub verbracht haben oder wie auch immer.

Einen spannungsgeladenen Thriller könnte ich nie schreiben – ist auch gar nicht mein Sujet. Vielleicht sind meine Themen da sehr viel nebensächlicher und für die Masse der Menschen deutlich uninteressanter. Ein Hänger, ein kleiner Asi aus Kiel-Gaarden, der auf einmal eine wenig überzeugende Wendung vom biersaufenden Rockeraspiranten (Großvaddern und Vaddern wäre es scheißegal, ob der Sohn von der Schule direkt zu den Outlaws wechselt, Hauptsache es ist genug Bier, Korn und Zigaretten im Hause), ein Produkt der Null-Bock-Generation zum überzeugten Pazifisten wird.
Man kann wahrscheinlich jedes Thema der Welt bringen, man muss es nur gut verpacken bzw. mit dem geeigneten Sprachstil das Interesse wecken.


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Ralphie
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Beitrag15.10.2022 07:33

von Ralphie
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Der Begriff "Infodumping" ist eine deutsche Erfindung und sollte nicht weiter beachtet werden. Nan muss halt manchmal ins Detail gehen.
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BerndHH
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Beitrag15.10.2022 07:41

von BerndHH
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Guten Morgen Ralphie,

da gebe ich Dir natürlich recht.
Ich persönlich mag meinen Erzählstil natürlich auch und ich würde ja auch nicht schreiben, wenn ich das verachte, was ich tue.

Aber ich erkenne schon das Argument an, dass in einem Roman die Handlung der Akteure im Vordergrund stehen sollte und nicht der politische/soziale Überbau etc. ansonsten wäre es ja nur ein Bericht.

Das ist vielleicht meine größte Schwäche, dass ich im Handlungsgeschehen gravierende Probleme habe. Aber ich mache trotzdem weiter. Smile


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Thomas74
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Beitrag15.10.2022 07:55

von Thomas74
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Kurz: Infodump stört dann, wenn man ihn als solchen erkennt.

Gegenbeispiel: F. Schätzing führt z.b. in "Lautlos" seitenlange Monologe über politische Verwicklungen, die aber nicht aufgesetzt oder langweilig wirken. Weil er es kann.


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Stefanie
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Beitrag15.10.2022 08:04

von Stefanie
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Es kommt sehr darauf an, wie die Infos vermittelt werden.
Versuch, möglichst einen persönlichen Bezug herzustellen. Erzähl, welche Auswirkungen etwas auf das Leben des Protagonisten hat oder welche Gefühle etwas in ihm auslöst.
Wenn du eine Information weglassen kannst, ohne dass sich die Geschichte dadurch ändert, lass sie weg.
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Caliban
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Beitrag15.10.2022 08:19

von Caliban
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Informationen in die Handlung einbauen, wichtige Ereignisse zeigen, unwichtigere erzählen.

'Show don't tell' wird meiner Meinung nach übrigens völlig überbewertet. Ohne Erzählen geht es nicht. Wenn jeder Handgriff gezeigt wird, wirkt das Ganze schnell lächerlich. Man muss halt abwägen, welche Passagen besser erzählt und welche gezeigt werden sollten.
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Pickman
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Beitrag15.10.2022 09:27

von Pickman
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Hi BerndHH,

Du hast schon bei früherer Gelegenheit gezeigt, dass Du schreiben kannst. Warum sollte Deine Geschichte nicht funktionieren? Du musst halt dafür sorgen, dass Dein Prota ausreichend motiviert ist. Will sagen: da sollte mehr sein als nur eine Rede von Bastian, und vielleicht willst Du ihn auch den ersten Ruf der Friedensbewegung zurückweisen lassen.

Ob etwas Infodump ist oder nicht, hängt vom Wie ab und nicht vom Ob.

Cheers

Pickman


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Ralphie
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Beitrag15.10.2022 09:43

von Ralphie
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In meinem letzten Roman habe ich von einem Paar erzählt, das das Königsberger ScBloss besichtigen. Da war ich gezwungen, aufzuzählen, welche Bilder an den Wänden hängen und wie die Räume ausgestattet sind. Alles andere hätte mich als Scharlatan entlarvt.

Das sind Sachen, für die man den Preußenschild verliehen bekommt.
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Dirk Osygus
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Beitrag15.10.2022 10:18

von Dirk Osygus
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Infodump stört genau dann, wenn er offensichtlich als solcher zu erkennen ist. Informationen, die im Laufe der Handlung vermittelt werden, sind überhaupt nicht störend.

Wenn eine Figur jetzt aber einfach so, ohne Handlungsbezug, erzählt, wie eine Burg aussieht und wann sie gebaut wurde, nur damit recherchiertes Wissen präsentiert werden kann, ist das störend.

Oft kommt Infodump in langatmigen Szenen zum Tragen, die der Autor als Einleitung verwendet. Das ist eher unschön.

Wir der Infodump peu à peu in Dialoge eingeflochten, ist das klasse gemacht.

Wer Dan Browns Romane liest, erwartet die Informationen ja regelrecht und meistens kommen sie ja nicht in seitenweisen Brocken, sondern eingebettet in die Handlung.

Ich denke, es kommt auf die Menge und den Inhalt an.
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BerndHH
Geschlecht:männlichKlammeraffe

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Beitrag15.10.2022 10:23

von BerndHH
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Hallo Leute,

vielen Dank für Eure Anregungen.

@Thomas: das ist ein sehr schlagkräftiges Argument, der Leser soll es nicht als "Fremdkörper" entdecken und wenn man stilistisch die Fähigkeit hat, dann kann es auch so in die Handlung eingeführt werden, dass es harmonisch wirkt und Sinn ergibt.
@Stefanie: absolut, sobald die Beschreibung den direkten Bezug zu den handelnden Figuren verlässt, dann wirkt es tatsächlich störnend. Das ist etwas, was ich überhaupt nicht gut umsetzen kann. Das ist in der Tat ein gewaltiger Knackpunkt in meinen Texten
@Caliban: Noch ist bei mir 80% tell und 20% show - ich sollte das mal in kleineren Texten üben
@Pickman: Hey Pickman, vielen Dank für die Blumen. Na ja, ich gebe mir halt Mühe, habe aber bislang keines meiner 4 gedruckten Bücher, die ich veröffentlichen würde. Ja, die Motivation, das ist natürlich der Kern. In meiner aktuellen Geschichte ist es ziemlich an den Haaren herbeigezogen, dass ein Hänger (wie gesagt aus einem alkoholgeschwängerten Männerhaushalt stammend), sich in eine Mitschülerin verknallt, die beiden verbringen eine gute Zeit in der Hamburger Nachtszene und werden ein Teil der Friedensbewegung --- da fehlt hat der Wendepunkt, warum der junge Kieler auf einmal von dieser neuen Sichtweise begeistert ist. Irgendwie alles konstruierter Bockmist, gefällt mir selber nicht, es fehlt aber an Kreativität, es besser zu machen.
@Ralphie: Preußenschild gefällt mir, wie heißt denn Dein Werk?


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Ralphie
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Beitrag15.10.2022 10:34

von Ralphie
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BerndHH hat Folgendes geschrieben:

@Ralphie: Preußenschild gefällt mir, wie heißt denn Dein Werk?
  

Das verrate ich lieber nicht, sonst wird die Titel geklaut.

 Evil or Very Mad
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Minerva
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Beitrag15.10.2022 10:42

von Minerva
Antworten mit Zitat

Zitat:
Doch wenn es sich um eine interessante Thematik handelt, dann ist Infodump wieder legitim. So verwendet Dan Brown in „Illuminati“ natürlich sehr viel Sachinformationen: CERN, Eigenleben des Vatikans oder in „Inferno“ sehr viele Details über die Florentiner Kunstgeschichte, die Baudenkmäler der Toscana etc. und da ist es wieder hochwillkommen. Ich vermute, weil der Leser viele Anknüpfpunkte an Italien verspürt, sich vielleicht für Kunstgeschichte interessiert, etc.


Ein Infodump meint in der Regel a) zu viele Infos, aber vor allem b) einen Infodumptextblock.

Zu a) Leser müssen sehr viel weniger wissen, als man glaubt. Im Wesentlichen nur das, was für Geschichte und Setting unbedingt nötig sind.

Zu b) Die nötigen Infos stattdessen in den Text einweben und stückchenweise freilegen. Das macht das Schreiben aus. Als Leserin erfahre ich so nach und nach die Hintergründe. Zudem nicht aus einem Textblock, sondern nebenbei, als Gedanke, in einem Dialog o.ä.
Dan Brown hat seine Infos ja nicht auf 20 Seiten Prolog freigelegt.


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... will alles ganz genau wissen ...
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Dyrnberg
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Wohnort: Wien


Beitrag15.10.2022 10:45

von Dyrnberg
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Ehrlich gesagt habe ich alleine wegen der Art und Weise des Eingangspostings den Eindruck, dass Du gut schreiben kannst. Und wer gut schreiben kann, kriegt das mit dem Infodumping meist auch gut hin.

However, ergänzender Gedanke: Meines Erachtens kann man da im Genre der Phantastik manchmal viel lernen. Du erzählst eine Geschichte aus einem bestimmten Ausschnitt/Milieu des 20. Jahrhunderts, und ja, da gibt es viel zu erklären, denn man kann nicht alles voraussetzen. (Für mich als Österreicher zum Beispiel stehen in Deiner Zusammenfassung der Story Aspekte, die ich nicht kenne.) Dasselbe Problem - nur noch zugespitzter - haben Phantastik-Autoren und Autorinnen, wenn sie eine Welt entwerfen, die gar niemand außer ihnen kennen kann. Wie gehen diese hierbei vor? Meines Erachtens mit einem Mix an Werkzeugen: Mal wird etwas in einem Dialog "nebenbei" erwähnt/erklärt; mal kommt eine Figur vor, die so wie die Lesenden zu wenig weiß und der man "leider" alles erklären muss; mal erlaubt sich der Text einen kurzen Absatz, der eben Info dumpt, etc. Und ganz wichtig: Man muss nicht alles erklären. Manchmal ist die Andeutung besser als die Erklärung. Das Eben-nicht-jedes-Detail-kennen macht eine Welt oft noch "wirklicher".

Es bleibt dabei: Wer schreiben kann, der kann schreiben. Ich denke gerade an den Roman "Biokrieg", der mir damals von einer Welt erzählt hat, die ich absolut fantastisch fand - ohne alles zu verstehen. Der Autor Bacigalupi hat es - meines Erachtens - einfach wunderbar gelöst, wie er mir als Leser viel Info über diese Welt und ihre Problem in einer Geschichte erzählt.

Ein Extrembeispiel wäre aber auch Tolkien, oder? Wenn man sich alleine mal die ersten 30 Seiten von "Herr der Ringe" durchliest. Das sind 30 Seiten reines Infodumping. Da ist nicht mal der Versuch, es erzählerisch zu verschleiern. Und es wurde - zu Recht - erfolgreiche Weltliteratur.


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Ein Roadtrip durch die Philosophie: "Die Nacht der Fragen und der Morgen danach" (Roman)
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BerndHH
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Beitrag15.10.2022 11:33

von BerndHH
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Hallo Ihr Lieben,

besten Dank für den richtig guten Input!
Auf die richtige Dosis kommt es natürlich an. Ja, gewaltige monolithische Infodump-Textblöcke über sehr viele Seiten habe ich auch in Masse, muss die alle mal kritisch durchsehen, was davon gestrichen werden sollte.

Genre: Satire, Groteske, Anti-Kriegsroman (aus pazifistischer Perspektive), zeitgenössische Erzählung aus den 1980er Jahren/Gegenwartsliteratur

Abriss: Der pazifistisch eingestellte junge Radiopionier FH wird dazu gezwungen, seinen Wehrdienst abzuleisten. Er ist bei einer feindlichen Seelandung der einzige Überlebende seiner Kompanie und vagabundiert anschließend durch die westdeutsche Kriegslandschaft im Herbst 1986. Er bricht von Schleswig-Holstein auf, um durch alle Gefahren für Leib und Leben zu seiner großen Liebe nach Oberbayern zu gelangen. Das ist der Antrieb für den er sein Leben riskiert. Dabei erlebt er im Strudel einer alptraumhaften Welt (einer neuen Kriegsrealität aus Artillerie-Feuerorkanen, einem biblischen Bombardement der Stadt Hamburg mit 80.000 Toten, anstatt wie 1943 40.000, hochintensiven Panzergefechten in der Norddeutschen Tiefebene und all den Dingen, die ich schon in anderen Manuskripten exzessiv beschrieben habe) eine Reihe bizarrer, obszöner, grausamer und verstörender Abenteuer, die er mit abwechselnden Weggefährten und Begleitern sowie viel Witz und Humor überlebt.

Plot: Idealistischer Jugendlicher (Motorradfan, Kriegsdienstverweigerer u. Rebell) mit asozialem Hintergrund (Trinker-Elternhaus und Stadtviertel im Niedergang durch die Werftenkrise). Der vormals vollkommen orientierungslose Biertrinker, Hänger und Null-Bock-Kid ♂ F (Defekt) hat die aufstrebend-ehrgeizige ♀ S (Alliierte) (Antiheldin) als moralischen Kompass. Durch die Spannungsperiode des sich anbahnenden WK III wird FH in eine neue Welt gezwungen, die er absolut hasst und verachtet. ♂ (Gegenspieler) sind diverse Ausbilder (Uffze u. Fw) seiner Jägerkompanie, die ihn die Menschenwürde rauben, ihn zu Befehl und Gehorsam zwingen, ihn mit aller Härte maßregeln und demütigen und ihn zwingen, gegen seine absolute innere Überzeugung – dem Dienst an der Waffe – zu handeln. Er wird bei der Seelandung der 7. Polnischen Seelandedivision dazu gezwungen, auf andere Menschen zu schießen und richtet wie einst seine Großvatergeneration während D-Day 1944 ein Massaker am Ostseestrand an. Die gesamte Kompanie wird ausradiert. Weitere Antagonisten sind feindlich eingestellte Personen, die ihm auf der langen Wanderung nach Süddeutschland begegnen.

Klingt wahrscheinlich alles eher abstoßend, als dass es neugierig machen würde, oder?


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Beitrag15.10.2022 12:30

von V.K.B.
Antworten mit Zitat

Wenn ich auf noch meinen Senf dazusagen darf:

Infodump stört nicht, weil er Infodump ist, sondern hauptsächlich

- wenn mir beim Lesen langweilig wird und ich querlese, weil mich die Infos nicht interessieren

- wenn man merkt, dass die Information nur für den Leser da steht (»Hallo Tanja meine Zwillingsschwester, schön, dich hier an unserem Lieblingsplatz vor der Burgruine zu treffen«)

Ansonsten geht mMn alles in Ordnung. Wenn z.B. Murakami bei einer Sexszene von den Reisewegen nordrussischer Wandervölker schwadroniert und ich trotzdem begeistert weiterlese, ist das Kunst. Macht jemand sowas und ich lege kopfschüttelnd das Buch weg, ist das Müll.


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kioto
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Beitrag15.10.2022 12:42

von kioto
Antworten mit Zitat

Hallo  Bernd

Du baust da ein interessantes dystopisches Setting auf, und natürlich scheinen solche Settings eine Einführung (Infodump) zu benötigen, wie viele Beispiele zeigen.
Ich persönlich finde solche Infodumps nicht schön und sie schrecken mich ab. Gut, bei Tolkien war es OK, aber dort ist die Welt ja für den Leser (besonders zur Zeit, als er den Roman schrieb) vollkommen neu.

In deinem Fall könntest du diese vorab wichtigen Informationen, auch erzählerisch einflechten. Nachrichte im Fernsehen, Diskussionen über Zeitungsartikel usw.

Noch eine Anmerkung.
Du willst einen Antikriegsroman schreiben. Der betroffene Held hat schon die entsprechende Einstellung und ist wie zu erwarten erschreckt und wird entsprechend drangsaliert. Wo ist da der Konflikt/Wandlung/Weg? Na ja, auf dem Schlachtfeld, aber bei der/den Person/en?

Gruß Werner


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Stanislav Lem: Literatur versucht, gewöhnliche Dinge ungewöhnlich zu beschreiben, man erfährt fast alles über fast nichts.
Phantastik beschreibt ungewöhnliche Dinge (leider m.M.) meist gewöhnlich, man erfährt fast nicht über fast alles.

Gruß, Werner am NO-Kanal
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BerndHH
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Beitrag15.10.2022 12:44

von BerndHH
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Absolut! Das verstehe ich vollkommen - Spannung, Neugier und Interesse durch geschicktes Einblenden wie Weglassen von Informationen beim Leser hochzuhalten ist in jedem Fall besser als meine monolithischen Textblöcke, die mit dem Schicksal der Figuren überhaupt nichts zu tun haben. Ich hab da noch jede Menge Arbeit und Verbesserungspotenzial vor mir. Cool

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MacWrite
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Beitrag15.10.2022 12:45

von MacWrite
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Ich sehe es wie Samurai weiter oben: Notwendige Detailinformationen lassen sich am besten in Dialoge einbauen. Notfalls führst Du eine Figur ein, die genau dazu da ist. Eine Art informeller Klugscheißer Wink
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Thomas74
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Beitrag15.10.2022 13:09

von Thomas74
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MacWrite hat Folgendes geschrieben:
Notfalls führst Du eine Figur ein, die genau dazu da ist.


Den Erklär-Bär ?? Verstecken


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BerndHH
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Beitrag15.10.2022 13:40

von BerndHH
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Das werde ich in kleineren Texten mal probieren und sehen wie der Lesefluss dann so sein wird.

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V.K.B.
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Beitrag15.10.2022 17:48

von V.K.B.
Antworten mit Zitat

Thomas74 hat Folgendes geschrieben:
MacWrite hat Folgendes geschrieben:
Notfalls führst Du eine Figur ein, die genau dazu da ist.


Den Erklär-Bär ?? Verstecken
Kann man machen! In einem meiner Romane ruft der Erzähler einen aus dem Genlabor stammenden und in einer Bibliothek als Literaturerklärer arbeitenden Anthro-Bären an, um seinen Zuhörern in der Geschichte ein paar Details zu erklären, wozu er selbst keine Lust hat. Hat niemanden von meinen Testlesern gestört, die fanden das alle witzig. Jetzt aber bitte nicht alle die Idee klauen.

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