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Federfuchsers sonderbare Liebe zu Ruinen. 2 Einmal Kapitän sein!


 
 
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Federfuchser
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F


Beiträge: 147



F
Beitrag30.09.2022 17:35
Federfuchsers sonderbare Liebe zu Ruinen. 2 Einmal Kapitän sein!
von Federfuchser
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Im Stadtteil Rotes Feld wird gerade ein Haus abgerissen, ein riesenrotes Ungetüm, ein ehemaliges Universitätsgebäude mit dementsprechenden Dimensionen. Es stammt aus den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, mit rotem Klinker landschaftskonform verkleidet, in den Wänden tragende Betonelemente, die an weißgraue Fettstreifen in rotem Muskelfleisch erinnern, mit großen hellen Räumen von fantasietötender Sachlichkeit und sturer Geradheit. Behütet war das Ganze von einer riesigen Trauerweide, die sich im Schutz einer fensterlosen Ostwand zu ausgreifender Raumtiefe entwickeln konnte. Eine geschwungene und sorgfältig gemauerte Freitreppe täuschte gutbürgerliche Noblesse vor. Jahrelang stand das Gebäude leer, ein Asyl nicht nur für Ratten.
   Trotzdem fehlte dieser Ruine die schwarze Trostlosigkeit, mit der Bomben und Granaten Häuser überziehen und sofort Gedanken an Mord und Totschlag aufkommen lassen. Das hier glich mehr einem resignierten Aus-Der-Welt-Scheiden eines todkranken Patienten, für den es keine Rettung mehr gibt.
  Doch jetzt ...
   Seine leere Ödnis zog mich magisch an, die Fenster, große verstörte Augen, aus denen Todesangst schrie, ließen mich nicht aus dem Blick. Ich schlich ein paarmal um den Zaun herum wie ein Straßenköter um einen unbekannten, aber verlockenden Bissen. Alles verdrahtet, vernagelt, verrammelt, das Erdgeschoss mit Spanplatten erstickt. Doch so schnell gibt einer wie ich nicht auf, wäre ja gelacht, wo ein Wille ist ist auch ein Loch im Zaun. Und tatsächlich, bei der dritten Umrundung entdeckte ich es, das Loch, oder besser: Den Durchschlupf, versteckt in der Textur des Maschendrahts, es grinste mich an als wollte es sagen: Na, du Ruinenschleicher, hast du mich endlich gefunden? Jemand war offenbar schon vor mir dagewesen, wie ich von drängender Entdeckerlust getrieben, hatte den Draht gelupft, gedreht, gezerrt, ein Spalt war entstanden, unter dem ich hindurchkriechen konnte (es war Sonntag, die Arbeit ruhte), natürlich nicht, ohne mir die Hand aufzureißen. Ich merkte es erst, als ich wieder draußen war, das Blut tropfte nicht, aber es war eine gehörige Schramme: Ich nahm sie ergeben als notwendigen Eintritts-Obolus in einen verbotenen Bezirk.   
Schon dreimal war ich vor Ort gewesen, um mir, ein Menschen-Affe hinter Gittern, den Fortschritt der Abbrucharbeiten anzusehen. Fortschritt, du Donnerwort! Es war ein Trauerspiel: Der herrliche Baum gefällt, zersägt, der mächtige Stamm in schnöde Scheiben geschnitten, die Hauswände beschmiert, das Fensterglas zersplittert, das Innere ausgeweidet. Auf dem Platz davor ein stählernes Ungetüm mit furchtbaren eisernen Klauen und eine weißgrüne Abortbox. Zu retten war da wohl nichts gewesen: Asbestverseucht, und, natürlich, energietechnisch völlig hinter dem Mond.
Und wieder suchte ich und fand: In einer versteckten Seitennische entdeckte ich einen Bretterverschlag, der vor eine massive Tür gesetzt war, auch hier hatte mein Vorgänger dankenswerte Vorarbeit geleistet: Die Ersatztür war nur angelehnt, das Schloss gesprengt.
Ich trat ein und blickte in leere trostlose Zimmer, in denen der Staubgeruch zerfräster Mauern hing, blutleer und fast aller Innereien beraubt, in den Wänden noch der Widerhall gnadenloser Trennhexen.
   War es möglich? Wo einst junge Menschen in der Fülle ihrer Jugend der Weisheit des (mehr oder weniger) gelehrten Alters gelauscht, helle und dunkle Stimmen Fragen gestellt und auf Antworten gewartet hatten –  oder geschwiegen, weil sie gerade an einen Bierabend in "Schröders Garten" dachten oder an den nächsten Flirt – gleichwohl, jetzt herrschte dröhnende Stille. Zwar hörte ich noch Geräusche: Das Bellen eines Hundes, das Gedröhn eines Bikers, das obligatorische Sonntag-Mittag-Geläute der Marktkirche. Aber es waren nicht die Stimmen des Hauses, die waren schon seit Jahren verstummt.
Und noch etwas anderes fehlte dem Gebäude in seiner Verlassenheit: Der Geruch menschlicher Wärme, der in den Mauern alter, verfallener Häuser dem träumerischen Geist noch präsent ist; der Nervenkitzel unentdeckter, verborgener Geheimnisse, die Aussicht auf unverhoffte Überraschungen. Ich erinnere mich an einen abrissreifen berliner Altbau, in dem drei tadellos erhaltene Kachelöfen standen und – ich weiß, es klingt bizarr, aber es war so – die mir sofort das Gefühl von kuscheliger Wärme einhauchten, wie ich es vor langer Zeit am Kachelofen der Großmutter, in dem ein halbes Dutzend Bratäpfel brutzelte, empfunden hatte. Jammer und Wunder zugleich! Doch hier machte der Anblick keine Lust, tiefer zu forschen, mit verhaltenem Atem in dunkle Keller-Labyrinthe einzudringen, steinerne Gewölbe zu entdecken, auf verstaubte Truhen und Kisten zu stoßen, in denen sich Schätze vergangener Jahrhunderte stapeln, verborgene Falltüren zu heben, unter denen noch die Gerippe Gemeuchelter liegen. Alles war nackt, durchsichtig, und geradezu schmerzhaft hell.
  Eine Treppe führte ins Kellergeschoss. An einer Unzahl gleichförmiger Türen vorbei erreichte ich eine Art Galerie, deren Geländer bereits abmontiert war.
   Und da hatte ich meine Überraschung, diese Würze des Alltäglichen.
   Unter mir, im halben Dunkel, lag ein großer, weitgehend ausgeweideter Saal mit kahlen Wänden. Verwundert blickte ich auf den monströsen Leib eines urzeitliches Ungetüms, das mit eisernen Krampen und Spangen an den Betonboden gefesselt war. Zwei zerbeulte Manometer grinsten mir mit blöden Blick entgegen. Unter der Decke zog sich ein abenteuerliches Gewirr aus Rohren und Stangen entlang, in einem Ordnungsschema, in das ich zunächst keinen Sinn bringen konnte. Verständlich, denn die Bestimmung der Maschinerie lag ja außerhalb dieses Raumes: Das Röhrengeflecht diente der Ableitung der Wärme, die der Heizkessel jahrelang erzeugt hatte.
   Sofort fühlte ich mich an den Maschinenraum eines dieser ausgemusterten Öltanker erinnert, die in Schiffsfriedhöfen auf ihre Verschrottung warten. Ich schnupperte. Roch es nicht tatsächlich nach Öl? Ging nicht gerade ein Vibrieren durch den eisernen Leib, als erwache der Koloss zu neuem Leben? Rüstete er sich schon zu neuen Fahrten, durch meine Anwesenheit ermuntert?
   Wenn es auch reine Einbildung war, so erfüllte mich doch die Vorstellung mit verhaltenem Glück, für ein paar Minuten der Kapitän eines riesigen Tankers zu sein.
   Ach, einmal Kapitän sein! Mit dem kleinen Finger ein Gebirge aus Eisen und Stahl wie ein Schoßhündchen beherrschen! Hundert Matrosen nach meiner Pfeife tanzen lassen! Sicherer Felsen in wütenden Orkanen und gigantischen Brechern ... Ach! Falsche, doch faszinierende Vorstellung! Welcher Junge hat nicht davon geträumt? Geträumt hatte ich es schon, vor langer Zeit, und jetzt wieder. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sich solche Schoßhündchen manchmal quer legen und viel Unheil anrichten.
Im Hinausgehen entdeckte ich einen Schriftzug, an stockig weißer Wand mit der Sprühdose grob aufgetragen. Da stand:
   
                                                                              Hasi lebt

   Zunächst beachtete ich das Graffiti nicht. Doch dann blieb ich nachdenklich stehen. Das war keine hirnlose Wandschmiererei. Der Kontrast zum Drumherum war zu scharf. Da hatte jemand etwas Wichtiges mitteilen wollen.
   Wer war Hasi? Ein Freund, eine Freundin, eine Geliebte, die Angetraute gar, oder, was nahe lag,  ein Kaninchen? Doch welches Kind verirrt sich eines Kaninchens wegen in diese Wüstenei? Da war es doch wahrscheinlicher, dass jemand seiner Freude über die Genesung eines geliebten Menschen nach langer schwerer Krankheit Ausdruck geben wollte, über eine wiedergewonnene gemeinsame Zukunft. Doch warum suchte er oder sie sich ausgerechnet diesen Lost Place aus, an dem auch nicht das geringste Anzeichen einer hoffnungsfrohen Zukunft zu erkennen war?
Gern würde ich jetzt berichten, dass mir mit schlurfenden Schritten ein Mensch entgegenkam, vielleicht ein Obdachloser, mit einem Bündel vor dem Bauch und einem dicken Rucksack auf dem Buckel, einer, der mir möglicherweise den Weg in diese Ruine gebahnt hatte, und der nun anfing, mir von seinem und Hasis Schicksal zu erzählen. Doch nein, es wäre gelogen, niemand war da, nirgends entdeckte ich einen Schlafplatz, und ernsthaftes Berichten ist allemal besser als fröhliches Flunkern.
   Ich verließ die Ruine in der Gewissheit, dass mir Hasi und seine Geschichte für immer unbekannt bleiben würde. Und auch, dass Träume immer dann wahr werden, wenn man warten kann und am richtigen Ort ist.



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