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Der krumme, wilde Sauerkirschbaum


 
 
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F.J.G.
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Alter: 33
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Wohnort: Wurde erfragt


Beitrag11.08.2022 19:00
Der krumme, wilde Sauerkirschbaum
von F.J.G.
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Der krumme, wilde Sauerkirschbaum


Ich weiß, wie sich Panik anfühlt. Aber ich schiebe gerade keine Panik. Womit ich mich wohl von jedem Anderen unterscheide, der in diese Situation gekommen wäre.

Es ist ein Zustand der Gleichgültigkeit. Es ist mir schlicht egal. Alles. Egal, was mit meinem Auto passiert, das ich beim Landgasthaus am Rande der Bundesstraße zurückgelassen hatte. Egal, ob ich rechtzeitig an mein Ziel kommen würde, jetzt, da ich zehn Minuten lang querfeldein spaziert war. Da war diese Wand aus Luft gewesen. Ein Kraftfeld, unsichtbar, aber voller Energie. Und ich hatte sofort gespürt, wie die Gegenwart zur Vergangenheit geworden war, als ich die Wand aus Luft durchstoßen hatte. Was war eigentlich mein Ziel? Mein dunkelblauer Kaschmir-Anzug mit Nadelstreifen deutete auf etwas Geschäftliches hin. Doch wohin genau meine Reise mich hätte führen sollen wusste ich ebenso wenig, wie ob ich an der Landgaststätte, die nun hinter mir im Dämmerlicht lag und deren Silhouette sich vom Abendrot abhob, irgendetwas konsumiert hatte. Hätte ich dies, so wäre ich wohl bald in großem Trouble. Denn ebenso wenig wusste ich, ob ich dort Geld gelassen hatte. Aber ehrlich? Mir war auch das egal.

Es war, als würde mir eine unsichtbare Macht eingeben, dass ich unbedingt diese Biegung im Feldweg hinter mir lassen müsse. Es war eine Linkskurve. Mit einem leichten Hügel im Kurveninnern, auf dem ein krummer, wilder Sauerkirschbaum wuchs. Die Kieselsteine auf dem Boden ließen meine Ledersohlen durch die Falke-Socken hindurch an den Fußballen reiben. Und als ich dann den Scheitelpunkt der Kurve erreicht hatte, befand sich rechts des Weges eine kleine Hütte. Ein zu klein geratenes Fachwerkhaus, dessen Wandflächen nicht wie üblich weiß, sondern in Karmesinrot gehalten waren. Irgendetwas trieb mich an, einzutreten.
Ich ballte meine Rechte zur Faust und klopfte an, zuerst sanft, dann stärker; doch meine Fingerknöchel vermochten nicht, einen auch nur halbwegs hörbaren Ton des Klopfens durch die massive Holztür zu leiten. Warum war mir der Türklopfer aus Messing nicht vorher aufgefallen? Ich zögerte kurz, dann hob ich ihn an. Wie in Zeitlupe bewegte sich die Tür auf mich zu. Ich erkannte sofort und sprang zur Seite. Gemächlich, aber schneller werdend bewegte sich die schwere Tür mir entgegen und prallte schließlich mit dumpfem Ton rechts von mir auf den Boden, den Fußabtreter unter sich begrabend, dessen Aufschrift zu lesen ich gar nicht erwogen hatte. Es war erstaunlich. So vieles hier fiel mir erst auf, nachdem es schon wieder vorbei war.

„Tritt ruhig ein. Sei mein Gast.“

Die Neugier siegte über meine Gänsehaut. Ich setzte meinen rechten Fuß über die Schwelle. Halbdunkel umgab mich. Es war etwa so hell wie draußen, jetzt, zur Dämmerung; eine Lichtquelle war aber nicht zu sehen.

„Weißt du, wer ich bin?“

Die Worte kamen von einem Mann, etwa Mitte Sechzig. Er saß in einem Schaukelstuhl. Hinten, links in der Ecke, vor einem erloschenen Kamin.

„Natürlich weißt du es nicht“, ergänzte er von selbst. „Ich bin dein Sohn.“
„Du bist …“, begann ich, und korrigierte mich selbst: „Sie sind …“
„Ich weiß was du sagen willst. Ich bin 67 Jahre alt. Und du bist 32. Übrigens, wir können beim Du bleiben. Du wärest der erste Vater, der seinen Sohn siezt.“ Der Mann lachte, lehnte sich im Schaukelstuhl zurück und blickte zur Decke.

„Wenn du“ – rasch rechnete ich nach – „siebenundsechzig bist und mein Sohn, dann müsste ich jetzt 99 sein.“
„Bist du ja auch.“
Ich erschrak. Mein alter Sohn wies stumm auf eine Kommode an der Wand, oberhalb derer ein Spiegel befestigt war. Ich zögerte, ahnend, dass mein Schrecken nur noch größer werden könne. Langsam, mit zitternden Händen, schritt ich auf den Spiegel zu. Eiswürfel schienen meinen Rücken hinabzurutschen, als ich im Spiegel einen Mann sah, der mir fremder nicht sein könnte. Mein Spiegelbild zeigte ein zerfurchtes Gesicht. Buschige Augenbrauen. Lange, ungepflegte Haare und einen Bart, der zu lang war, um noch ins Spiegelbild zu passen.

„Erkennst du dich wieder?“, fragte mein Sohn. „Natürlich nicht. In siebenundsechzig Jahren verändert man sich zu sehr.“

Meine Gedanken schossen wild durch den Kopf. Ich war als 32-Jähriger zum Landgasthaus gekommen. Ich war querfeldein gegangen und nun war ich zwar die gleiche Person, nur 67 Jahre älter.

„Das heißt, ich habe 67 Jahre lang gar nichts gemacht?“
Mein Sohn erwiderte nichts und beklommenes Schweigen erfüllte das Halbdunkel. Dann atmete er tief ein.
„Erinnerst du dich an den silbernen Ford Focus?“
„Was?“ Das kam aus tiefstem Herzen. Eine solche Frage hatte ich nicht erwartet.
„Der silberne Ford Focus.“ Der Blick meines Sohnes wurde bohrend. „Auf dem Weg hierher.“

Langsam schwante mir etwas. Da war so ein Auto gewesen. Ich war die Bundesstraße entlanggefahren, schön mit 120, also knapp außerhalb des Fahrverbots-Bereichs, wie ich es immer tat. Und dann war da dieses Auto. Silber. Ein Mittelklasse-Wagen. Ich sah es links von mir, auf einer Höhe. An einer Stelle, wo sogar ich mein Tempo hatte drosseln müssen. Hatte der Prolet hinterm Steuer dieses Wagens wirklich vor, meinen Jaguar F-Pace zu überholen? Es grämte mich und so stieg ich aufs Gas. Und dann war da diese Kurve in der Ferne, in der plötzlich der Gegenverkehr auftauchte. Also war das Schild mit dem Tempolimit nicht umsonst angebracht gewesen. Der silberne Wagen stieg in die Eisen und schwenkte hinter mir wieder ein. Ich erinnerte mich, wie ich innerlich über diesen Sieg gejubelt hatte.

„Du hast nicht zugelassen, dass dieses Auto dich überholte.“
„Und? Ist das so schlimm?“ Wenn es etwas gab, das ich hasste, so war es Meckerei über meinen Fahrstil.
„Du bist in deinem Jaguar davongedüst und hast schnell Boden zum Ford gutgemacht. Daher konntest du auch nicht ahnen, dass dreieinhalb Kilometer weiter eine Feldweg-Einfahrt auf die Bundesstraße mündete. Die Frau im Ford Focus sah ihn zu spät. Den Mähdrescher. Ein Metallstab des Schneidwerks bohrte sich in ihren Brustkorb. Sie war sofort tot.“
„Was geht mich das an?“ Ich wollte nur noch, dass das alles vorbeiginge. Dass ich wieder meinem normalen Leben nachginge, und zwar nicht als 99-jähriger Greis.

„Die Frau war meine Mutter.“
Es fühlte sich an, als würde ich in ein tiefes Loch fallen. Ich hatte in meinem Leben schon die eine oder andere Partnerin gehabt, aber nie ein Kind.
„Moment.“ Ich spürte, wie meine schwankende Stimme meine Unsicherheit widerspiegelte. „Ich habe sie nie kennengelernt, ich habe nie mit ihr geschlafen, dich kann es gar nicht geben! Schau, ich werde jetzt gleich zu dieser Tür hinaufspazieren und du wirst mit diesem Irrsinn aufhören!“
„Wird dir nicht viel bringen.“ Die Stimme des Alten war ruhig wie von Anfang an.
„Wieso das?“
„Du weißt, wie ich entstanden bin? Indem du ausnahmsweise mal einen vernünftigen Fahrstil an den Tag legtest. Vor 67 Jahren bist du die Bundesstraße entlanggefahren und fuhrst, genau wie vorgeschrieben, immer zwischen Fünfundneunzig und Hundert. Dann kam die gleiche Stelle. Mit dem Tempolimit. Du ließest den Focus überholen. Durch Zufall bliebt ihr beide an der gleichen Raststation, Pardon, dem gleichen Landgasthaus stehen. So lerntest du die Focus-Fahrerin näher kennen. Sie saß am Tisch neben dir. Ihr kamt ins Gespräch. Ihr freundetet euch an. Ein knappes Jahr später kam ich zur Welt.“

„Und da habe ich dich ertappt, Lügner!“, rief ich mit lauter Stimme. „Vor 67 Jahren gab es noch keinen Ford Focus! Vielleicht noch nicht einmal die Bundesstraße!“
Der Mann im Schaukelstuhl schüttelte traurig den Kopf.
„Du hast nichts verstanden. Hast du dich nicht im Spiegel gesehen? Wir sind im Jahr 2089.“
Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so sehr danach gesehnt, all das nur geträumt zu haben.
„Okay“, sagte ich langsam. „Zweitausendneunundachtzig. Heißt das, wenn ich jetzt hier hinaus spaziere, sehe ich Flugtaxis, Weltraumtouristen und Einfamilienhäuser mit eigenem Atomreaktor?“
„Du wirst hier nicht so einfach hinauskommen“, antwortete mein Sohn. Und sofort überkamen mich heiße und kalte Schauer gleichzeitig.

„Es gibt nur einen Grund, dass du heute hier eingetreten bist“, setzte er seine Rede fort. „Damit ich existieren kann. Damit du beginnst, deinen Fahrstil zu überdenken.“
Ich versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren. Mit 99 Jahren sollte ich also bewirken, dass ich mit 32 Jahren rücksichtsvoller gefahren wäre, damit die Existenz einer Person gesichert sei, die es eigentlich nie gegeben hat. Nach den Ereignissen von heute Abend wunderte mich nichts mehr.

„Ich glaube, ich weiß, was du gerade willst“, bemerkte mein Sohn. Meine Gleichgültigkeit war Zorn gewichen. Ich wollte endlich mein altes Leben zurückhaben. Mit 32 Jahren. Und wenn 20 km/h weniger auf der Landstraße alles war, was dieser Wunsch kostete, dann würde ich den Deal eingehen.
„Ich glaube, ich weiß es“, setzte der alte Sohn fort. „Du willst, dass du nicht mehr anwesend bist. Hier und jetzt, im Jahre 2089.“
Langsam nickte ich.
Stumm wies der Alte erneut auf die Kommode. Ich zögerte, schaute mal hierhin, mal dahin, und verstand dann.
„Dein Wunsch sei mir Befehl“, sprach er, während ich auf den Spiegel zuging.
„Er ist kaputt“, sagte ich.
Der Alte lachte. „Nein. Der Spiegel ist nicht kaputt.“
Ich blickte auf die Scheibe. Ich sah kein Spiegelbild von mir.

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Schlomo
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Beitrag22.08.2022 23:48

von Schlomo
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Starke Geschichte, aber für mich fast ein wenig zu moralinsauer. Trotzdem cool und nachvollziehbar.

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#no13
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thepriest
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Beitrag23.08.2022 16:33

von thepriest
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Eine kleine Spukgeschichte grätscht mitten in die E-Literatur und erhebt damit den Anspruch, selbst über genügend Ernst zu verfügen, um hier mittun zu dürfen. Warum eigentlich nicht. Der Horror des plötzlichen Altern, die fatalen Auswirkungen zufällig getroffener Entscheidungen, gemischt mit ein klein wenig Dorian Grey gibt eine durchaus bekömmliche Sommer-Mischung, bei der man gerne zu Gast ist.

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dürüm
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Beitrag23.08.2022 21:19

von dürüm
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Hallo Inco,

eine Zeitreise hatte ich nicht erwartet. Und eigentlich finde ich das Thema spannend.

Aber Deine Geschichte packt mich leider überhaupt nicht.

Nichts für ungut, aber leider keine Punkte.

Gruß
Kerem


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(Oscar Wilde)
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(Seneca)
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V.K.B.
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Beitrag23.08.2022 23:36

von V.K.B.
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Hallo Inky,

ähhh … ja … so kanns wohl gehen, wenn man immer die Landstraße entlangrenntrast. Auch ich fühle mich gerade durch eine Raum-Zeit-Dimensionsfalte geschlittert – ist schon wieder Phantastisch-Wettbewerb?

Müsste ich das Ende der Geschichte jetzt deuten, käme ich auf die Idee, dass der alte mit seinem jüngeren Selbst noch irgendwie quantenverschränkt ist. Seine Entscheidung, langsamer zu fahren ist bei seinem jüngeren Selbst angekommen, und er jetzt aber als nicht mehr existenter Zeitklon in diesem Nullraum einer abgebrochen Zeitlinie gestrandet, und hat deshalb kein Spiegelbild mehr, weil man existieren muss, um ein Spiegelbild zu haben. Das, oder neben dem Kirschbaum wachsen eine Menge Kraut und Rüben. Vielleicht ist auch alles nur ein französischer Film made in Ungarn, wer weiß? (Shit, wenn ich jetzt falschliege …)

Da ich leider das Berwertungsschema vom zukünftigen Lost-Highway-Phantastik-Wettbewerb noch nicht zur Hand habe, muss ich auf das vom 10K-Wettbewerb 2022 zurückgreifen:

E-Lit: Für mich nicht. Aber da es ja qualifiziert war, kann man das unterschiedlich sehen. Auch Mystery kann in die E-Richtung gehen, die Twilight Zone ist ja groß.
Sperrig: höchstens das Ende. Ansonsten haben wir eine SciFi-Geschichte mit einer Art umgekehrten Großvater-Paradoxon. Nicht uninteressant, aber … ist das wirklich im Sinne dieses Wettbewerbs?
Thema Sommergäste: Nein. Sehe ich nicht, sorry. Ein "sei mein Gast" reicht da nicht, und wenn tausendmal Sommer ist.
Begegnungen/Abschiede: Das definitiv ja. Begegnung mit sich selbst (als alter Mann im Spiegel) und Abschied von der alten Zeitlinie.
ungehörter Schuss: Schwierig. Ließe sich irgendwie reininterpretieren, bestimmt, aber da müsste ich erst das Rübenfeld umgraben. Ich will aber lieber die Kirschen essen und zum letzten Punkt springen.
Hintergrund Veränderung: Sehe ich auch nicht wirklich gegeben. Sie sind in einem Nullraum, am Ende einer abgebrochenen Zeitlinie. Was soll sich da noch ändern? Ah, okay, die Änderung findet in der Vergangenheit statt, und damit ist sie auch der ungehörte Schuss. Du schlauer Kojotenfuchs, du. Verstehe ich jetzt erst. Sie reden, damit findet die (rückwirkende) Veränderung IM HINTERGRUND statt (wie gefordert) und die Geschichte nimmt ein Ende außerhalb der Geschichte. In dem anderen Universum, das wir aber nicht mehr direkt sehen, weil die Geschichte dort nicht spielt. Hurra, ich glaube, ich habe jetzt doch noch alles verstanden.
Persönliches Gefallen: Interessante Zeitreise/Paradoxon-Geschichte, sowas mag ich ja. Und ein frustrierendes Reveal, was mit abgebrochen Zeitlinien passiert. Sie verschwinden nicht einfach, sondern man hängt in einem Nullraum fest. Für immer? Oder wird sich alles im nächsten Moment auflösen, wenn er das fehlende Spiegelbild bemerkt? Aber halt. Warum diskutiere ich hier eigentlich eine Geschichte aus einem zukünftigen Phantastik-Wettbewerb? Stay on time, Veith. Oder wir verweilen noch in DIESEM Nullraum, denn in einen Phantastik-Wettbewerb kannst du sie jetzt ja nicht mehr einstellen. Aber verdammt, mein Gesicht spiegelt sich schon nicht mehr im Monitor, also am besten doch schnell abbrechen, bevor sie mich noch mit in die "was wäre wenn nicht"-Twilight-Zone zieht.

Gerne gelesen. In einem anderen Wettbewerb in einem Paralleluniversum hätte es dafür sogar Punkte gegeben.

Aber … da der letzte Punkt für mich oft eine Sonderfunktion einnimmt und ich ihn als "honorable mention" an einen Text vergebe, der irgendwas hatte, das ich honorieren möchte, aber bei der Konkurrenz von Geschichten mit bessere Themenumsetzung keine Chance hätte, wird diese Ehre diesmal dir zuteil. Wir können das sogar textimmanent rechtfertigen: Nach dem Wettbewerb erkennst du, dass du den Text besser in einen Phantastikwettbwerb eingestellt hättest. Die nach dem Wettbewerb vor dem Wettbewerb ist, beschließt du, in einer anderen Zeitlinie genau das zu tun. Von den Punkten, die dein Text dort bekommt, tunnelt einer in dieses Universum hinüber. Und das muss er sogar, damit eine Verbindung bestehen bleibt. Sonst würden vielleicht auch wir im Nullraum einer abgebrochenen Zeitlinie standen. Also ein Punkt für dich, und wehe, jemand murrt – ich habe damit schließlich möglicherweise gerade unser Universum gerettet!


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Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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Constantine
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Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag25.08.2022 09:56

von Constantine
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Bonjour Señora Incógnita


Anmerkungen im Text und Gesamteindruck weiter unten:
Señora Incógnita hat Folgendes geschrieben:
Der krumme, wilde Sauerkirschbaum


Ich weiß, wie sich Panik anfühlt. Aber ich schiebe gerade keine Panik. Womit ich mich wohl von jedem Anderen unterscheide, der in diese Situation gekommen wäre. <-- Im Zusammenhang des ganzen Textes finde ich diesen Anfang leider als ziemlich schwach. Das ist ein kryptischer Anfang, wogegen erstmal nichts einzuwenden ist, aber dem Protagonisten ist alles egal, warum sollte sich der Prota Gedanken darüber machen, wie sich dann andere in der Situation fühlen würden? Passt für mich leider nicht. Gleichgültigkeit und "schlicht egal. Alles.", da passt für mich die Erwähnung von Panik leider nicht. Auch nicht das anschließende sehr gelangweilte Berichten über diese Luft aus Wand, Kraftfeld und dem Gefühl, als würde man in die Vergangenheit reisen. Den Anfang würde ich überdenken.

Es ist ein Zustand der Gleichgültigkeit. Es ist mir schlicht egal. Alles. Egal, was mit meinem Auto passiert, das ich beim Landgasthaus am Rande der Bundesstraße zurückgelassen hatte. Egal, ob ich rechtzeitig an mein Ziel kommen würde, jetzt, da ich zehn Minuten lang querfeldein spaziert war. <-- Wenn alles so egal ist, warum zieht der Protagonist überhaupt los? Irgendwas muss ihn antreiben, trotz Gleichgültigkeit. Da war diese Wand aus Luft gewesen. Ein Kraftfeld, unsichtbar, aber voller Energie. Und ich hatte sofort gespürt, wie die Gegenwart zur Vergangenheit geworden war, als ich die Wand aus Luft durchstoßen hatte. Was war eigentlich mein Ziel? Mein dunkelblauer Kaschmir-Anzug mit Nadelstreifen deutete auf etwas Geschäftliches hin. <-- Warum dieser Gedächtnisverlust? Was ist da die Idee dahinter? Er kann sich doch ruhig erinnern, aber plötzlich eine innere Eingebung haben, die ihn zieht.  Doch wohin genau meine Reise mich hätte führen sollenKOMMA wusste ich ebenso wenig, wie ob ich an der Landgaststätte, die nun hinter mir im Dämmerlicht lag und deren Silhouette sich vom Abendrot abhob, <-- Ein Beispiel dafür, dass diese Passage und Beschreibungen den Leser füttern, aber viel zu berichtend sind und für mich viel nehmen von der Situation, in der die Person ist. Kann weggelassen werden  irgendetwas konsumiert hatte. Hätte ich dies, so wäre ich wohl bald in großem Trouble. Denn ebenso wenig wusste ich, ob ich dort Geld gelassen hatte. Aber ehrlich? Mir war auch das egal. <-- Auch nur Gelaber für den Leser, aber zum Prota passt es mir in dieser inneren Lage (Gleichgültigkeit) absolut nicht. Wenn dem Protagonisten alles egal ist, warum dann über Dämmerlicht und Abendrot und großen Trouble und die Geldbörse palavern. Sorry, ich finde, das ganze passt so nicht.

Es war, als würde mir eine unsichtbare Macht eingeben, dass ich unbedingt diese Biegung im Feldweg hinter mir lassen müsse. <-- Hier die Erklärung, die mMn zu spät kommt. Dieser Drang, diese "Eingebung" würde ich direkt an den Anfang setzen. Nicht mit Panik anfangen, sondern mit dieser seltsamen Bemächtigung des eigenen Willen. Es war eine Linkskurve. Mit einem leichten Hügel im Kurveninnern, auf dem ein krummer, wilder Sauerkirschbaum <-- Da ist der Titel gebende Baum, der für die Story an sich leider keine Bedeutung hat.  wuchs. Die Kieselsteine auf dem Boden ließen meine Ledersohlen durch die Falke-Socken <-- Trotz Gleichgültigkeit berichtet mir der Protagonist etwas über seine Sohle und Socken. Zu viel Infos und weiterhin zu berichtend. Über diese "Eingebung" wird leider kein Wort mehr verloren, sondern der Text wandelt auf oberflächlichen Wegen.  hindurch an den Fußballen reiben. Und als ich dann den Scheitelpunkt der Kurve erreicht hatte, befand sich rechts des Weges eine kleine Hütte. Ein zu klein geratenes Fachwerkhaus, dessen Wandflächen nicht wie üblich weiß, sondern in Karmesinrot gehalten waren. <-- Was möchte mir der Protagonist mit dieser Info sagen? Vom Kontext leider unwichtig und banal, anstatt zu etwas beizutragen, außer mir zu sagen, der Protagonist ist in seiner Gleichgültigkeit und weiterhin architektonisch interessiert.   Irgendetwas trieb mich an, einzutreten. <-- Hier wiederholend, dieses Irgendwas, aber der Text bleibt zu distanziert vom Protagonisten, was diesen Punkt hier während des "Spazierens" angeht.  
Ich ballte meine Rechte zur Faust und klopfte an, zuerst sanft, dann stärker; doch meine Fingerknöchel vermochten nicht, einen auch nur halbwegs hörbaren Ton des Klopfens durch die massive Holztür zu leiten. <-- Woher weiß er das? Kann er in den Raum dahinter reinhören oder erzeugte sein Klopfen an sich keine Geräusche? Warum war mir der Türklopfer aus Messing nicht vorher aufgefallen? Ich zögerte kurz, dann hob ich ihn an. Wie in Zeitlupe bewegte sich die Tür auf mich zu. Ich erkannte sofort und sprang zur Seite. Gemächlich, aber schneller werdend bewegte sich die schwere Tür mir entgegen und prallte schließlich mit dumpfem Ton rechts von mir auf den Boden, den Fußabtreter unter sich begrabend, dessen Aufschrift zu lesen ich gar nicht erwogen hatte. Es war erstaunlich. So vieles hier fiel mir erst auf, nachdem es schon wieder vorbei war.

„Tritt ruhig ein. Sei mein Gast.“

Die Neugier siegte über meine Gänsehaut.<-- Das ist gewagt, hier von Gänsehaut zu sprechen bei diesem sehr schnarchigen Protagonisten. Es tut mir leid, aber der gesamte Anfang bis hierher überzeugt mich leider nicht.  Ich setzte meinen rechten Fuß über die Schwelle. Halbdunkel umgab mich. Es war etwa so hell wie draußen, jetzt, zur Dämmerung; eine Lichtquelle war aber nicht zu sehen.

„Weißt du, wer ich bin?“

Die Worte kamen von einem Mann, etwa Mitte Sechzig. Er saß in einem Schaukelstuhl. Hinten, links in der Ecke, vor einem erloschenen Kamin.

„Natürlich weißt du es nicht“, ergänzte er von selbst. „Ich bin dein Sohn.“
„Du bist …“, begann ich, und korrigierte mich selbst: „Sie sind …“
„Ich weiß was du sagen willst. Ich bin 67 Jahre alt. Und du bist 32. Übrigens, wir können beim Du bleiben. Du wärest der erste Vater, der seinen Sohn siezt.“ Der Mann lachte, lehnte sich im Schaukelstuhl zurück und blickte zur Decke.
<-- Die Idee an sich, dass der zukünftige Sohn seinen Vater zu sich "holt", um ihn zu "motivieren", die Vergangenheit/das vereitelte Überholmanöver zu ändern/überdenken, damit sein Vater seine zukünftige Mutter kennenlernt, ist eine tolle Idee, die Vorgaben umzusetzen.   

„Wenn du“ – rasch rechnete ich nach – „siebenundsechzig bist und mein Sohn, dann müsste ich jetzt 99 sein.“
„Bist du ja auch.“
Ich erschrak. Mein alter Sohn wies stumm auf eine Kommode an der Wand, oberhalb derer ein Spiegel befestigt war. Ich zögerte, ahnend, dass mein Schrecken nur noch größer werden könne. Langsam, mit zitternden Händen, schritt ich auf den Spiegel zu. Eiswürfel schienen meinen Rücken hinabzurutschen, als ich im Spiegel einen Mann sah, der mir fremder nicht sein könnte. Mein Spiegelbild zeigte ein zerfurchtes Gesicht. Buschige Augenbrauen. Lange, ungepflegte Haare und einen Bart, der zu lang war, um noch ins Spiegelbild zu passen.

„Erkennst du dich wieder?“, fragte mein Sohn. „Natürlich nicht. In siebenundsechzig Jahren verändert man sich zu sehr.“

Meine Gedanken schossen wild durch den Kopf. Ich war als 32-Jähriger zum Landgasthaus gekommen. Ich war querfeldein gegangen und nun war ich zwar die gleiche Person, nur 67 Jahre älter.

„Das heißt, ich habe 67 Jahre lang gar nichts gemacht?“
Mein Sohn erwiderte nichts und beklommenes Schweigen erfüllte das Halbdunkel. Dann atmete er tief ein.
„Erinnerst du dich an den silbernen Ford Focus?“
„Was?“ Das kam aus tiefstem Herzen. Eine solche Frage hatte ich nicht erwartet.
„Der silberne Ford Focus.“ Der Blick meines Sohnes wurde bohrend. „Auf dem Weg hierher.“

Langsam schwante mir etwas. Da war so ein Auto gewesen. Ich war die Bundesstraße entlanggefahren, schön mit 120, also knapp außerhalb des Fahrverbots-Bereichs, wie ich es immer tat. Und dann war da dieses Auto. Silber. Ein Mittelklasse-Wagen. Ich sah es links von mir, auf einer Höhe. An einer Stelle, wo sogar ich mein Tempo hatte drosseln müssen. Hatte der Prolet hinterm Steuer dieses Wagens wirklich vor, meinen Jaguar F-Pace zu überholen? Es grämte mich und so stieg ich aufs Gas. Und dann war da diese Kurve in der Ferne, in der plötzlich der Gegenverkehr auftauchte. Also war das Schild mit dem Tempolimit nicht umsonst angebracht gewesen. Der silberne Wagen stieg in die Eisen und schwenkte hinter mir wieder ein. Ich erinnerte mich, wie ich innerlich über diesen Sieg gejubelt hatte. <-- Vor einer anstehenden ("in der Ferne eine Kurve" ist ziemlich schwammig und scheint nicht wirklich eine ausreichend lange Strecke zum Überholen gewesen zu sein und bei einer in der Ferne sichtbaren Kurve ein Überholmanöver zu tätigen, klingt für mich nicht nach einem vernünftiger Fahrstil der Frau. Abgesehen davon: Was mich an diesen Änderungen der eigentlichen Kontinuität der Ereignisse stört, ist, dass sich dies hier ja ganz normal anhört, was im Protagonisten vorging. Er ärgerte sich, warum auch immer. Ohne Fremdeinwirkung oder sonstiges handelte der Protagonist von sich aus und sorgte dafür, dass er nicht überholt werden konnte. Nun ist das aber das Ereignis, dass beim Landgasthaus dafür gesorgt hat, dass sich die beiden kennenlernten. Hm.

„Du hast nicht zugelassen, dass dieses Auto dich überholte.“
„Und? Ist das so schlimm?“ Wenn es etwas gab, das ich hasste, so war es Meckerei über meinen Fahrstil.
Du bist in deinem Jaguar davongedüst und hast schnell Boden zum Ford gutgemacht. Daher konntest du auch nicht ahnen, dass dreieinhalb Kilometer weiter eine Feldweg-Einfahrt auf die Bundesstraße mündete. Die Frau im Ford Focus sah ihn zu spät. Den Mähdrescher. Ein Metallstab des Schneidwerks bohrte sich in ihren Brustkorb. Sie war sofort tot.<-- Hier bleibe ich leider hängen. Wenn die Frau ihn überholt hätte, sie die Einfahrt oder den Mähdrescher rechtzeitig gesehen hätte bzw sie längst an der Stelle vorbei gefahren wäre, wäre es somit nicht zur Kollision gekommen, richtig? Das muss ich als Leser wohl alles schlucken, damit die Story funktioniert. Witzig, dass der Protagonist die Schuld daran trägt, dass die Frau durch einen anderen Verkehrsteilnehmer getötet worden ist, weil sie, so wie ich es verstehe, einen unvernünftigen Fahrstil an den Tag gelegt hat und diesen Mähdrescher zu spät gesehen hat.
„Was geht mich das an?“ Ich wollte nur noch, dass das alles vorbeiginge. Dass ich wieder meinem normalen Leben nachginge, und zwar nicht als 99-jähriger Greis.

„Die Frau war meine Mutter.“
Es fühlte sich an, als würde ich in ein tiefes Loch fallen. Ich hatte in meinem Leben schon die eine oder andere Partnerin gehabt, aber nie ein Kind.
„Moment.“ Ich spürte, wie meine schwankende Stimme meine Unsicherheit widerspiegelte. „Ich habe sie nie kennengelernt, ich habe nie mit ihr geschlafen, dich kann es gar nicht geben! Schau, ich werde jetzt gleich zu dieser Tür hinaufspazieren und du wirst mit diesem Irrsinn aufhören!“
„Wird dir nicht viel bringen.“ Die Stimme des Alten war ruhig wie von Anfang an.
„Wieso das?“
„Du weißt, wie ich entstanden bin? Indem du ausnahmsweise mal einen vernünftigen Fahrstil an den Tag legtest. Vor 67 Jahren bist du die Bundesstraße entlanggefahren und fuhrst, genau wie vorgeschrieben, immer zwischen Fünfundneunzig und Hundert. Dann kam die gleiche Stelle. Mit dem Tempolimit. Du ließest den Focus überholen. Durch Zufall bliebt ihr beide an der gleichen Raststation, Pardon, dem gleichen Landgasthaus stehen. So lerntest du die Focus-Fahrerin näher kennen. Sie saß am Tisch neben dir. Ihr kamt ins Gespräch. Ihr freundetet euch an. Ein knappes Jahr später kam ich zur Welt." <-- Der Protagonist macht auf mich von Anfang an einen einerseits gelangweilten, andererseits unsympathischen, gereizten Eindruck. Schlechte Voraussetzugen, bei einem Landgasthaus mit einer Fahrerin, die einen überholt hat, ein Gespäch anzufangen, sich zu ihr an den Tisch zu setzen und sympathisch auf sie zu wirken. Ist das plausibel? Oder ist das erzwungen, egal wie die Motivation der Charaktere ist?  Dieses ganze Text-Konstrukt ist schwer zu schlucken, ohne hier und da beim Lesen hängen zu bleiben.

[...]

„Ich glaube, ich weiß, was du gerade willst“, bemerkte mein Sohn. Meine Gleichgültigkeit war Zorn gewichen. Ich wollte endlich mein altes Leben zurückhaben. Mit 32 Jahren. Und wenn 20 km/h weniger auf der Landstraße alles war, was dieser Wunsch kostete, dann würde ich den Deal eingehen.
„Ich glaube, ich weiß es“, setzte der alte Sohn fort. „Du willst, dass du nicht mehr anwesend bist. Hier und jetzt, im Jahre 2089.
Langsam nickte ich.
Stumm wies der Alte erneut auf die Kommode. Ich zögerte, schaute mal hierhin, mal dahin, und verstand dann.
„Dein Wunsch sei mir Befehl“, sprach er, während ich auf den Spiegel zuging.
„Er ist kaputt“, sagte ich.
Der Alte lachte. „Nein. Der Spiegel ist nicht kaputt.“
Ich blickte auf die Scheibe. Ich sah kein Spiegelbild von mir.<-- Kann man machen: Den Protagonisten auflösen und somit das ganze beenden.


Das Thema Zeitreise, hier als phantastisches Fantasy-Element, ist nicht ohne und es kommt wirklich sehr darauf an, sich einen guten Plot zu überlegen, warum etwas nicht wie ursprünglich abläuft und mit den diversen Realitäten geschickt zu spielen. Dieser Text hat für mich ein gravierendes Problem, was den Einstieg in den Text, die Art und Weise der Nähe zum Protagonisten (viel zu berichtend, hängt zu sehr an Details, die nicht zur Situation passen) und die Beschreibung der zentralen Begebenheit angeht. Hierbei wurde sich sehr schwer getan und vieles kommt bei mir ungelenk rüber. Ich hinterfrage zu sehr den Protagonisten und seine Motivation, und zu sehr die dem Text wichtige Begebenheit, anstatt am Text dran zu bleiben. Den Unfall würde ich überdenken und es simper halten:
Wenn die Frau ihn riskant überholt, bewirkte das in ihm etwas, dass er beim Gasthaus auch rastete und sie drinnen sah und sie ansprach.
Wenn er sie nicht überholen lässt, ist er innerlich gereizt, genießt seinen kleinen Sieg über das vereitelte Überholmanöver, und dann wird er sie beim Gasthaus auch nicht ansprechen.  Stattdessen kommt sie auf ihn zu, es kommt zum Streit und sie gehen getrennter Wege. Vielleicht so ungefähr und es ist noch die Möglichkeit, die Charaktere etwas besser zu zeigen. Die Frau ist im Text sehr nichtexistent. Nichtmal der Sohn berichtet über sie, z.B. was für ein wundervoller Mensch sie war, um seinen Vater zu motivieren, sein Verhalten zu überdenken. In dieser Hinsicht passiert leider nichts und der Text verschenkt sein Potential.

Im Vergleich mit anderen Beiträgen des Wettbewerbs sind die Vorgaben sehr kreativ umgesetzt, aber leider ist der Text zu unausgegoren geraten.

Es tut mir leid. Dieser Text hat mich leider nicht überzeugt: zéro points.

Merci beaucoup
Constantine
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d.frank
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Beitrag25.08.2022 22:36

von d.frank
Antworten mit Zitat

Leider kann ich nicht viel dazu sagen, weil das ist für mich keine ernste Literatur, eher short und mystery. Was ich gekonnt fand: wie im Text vom Sohn gesprochen wird, sodass das schon fast ein bisschen Slapstick ist.

_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Babella
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Das goldene Aufbruchstück Der bronzene Roboter


Beitrag27.08.2022 07:53

von Babella
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Eine Zeitreise mit dem nicht ganz so originellen Thema, kann ich Ereignisse in der Vergangenheit verhindern, indem ich zurückreise. Das heißt, hier reise ich ja vorwärts ... aber im Grunde natürlich dasselbe Spiel.

Sommer, Gast, Veränderung, ja, alles drin. Und dass man seinem ziemlich alten Sohn begegnet und dabei selbst plötzlich steinalt ist, ist auch irgendwie witzig. Auch wie du schreibst, "die Neugier siegte über meine Gänsehaut" - nicht schlecht.

Es fehlt mir der Punkt, an dem mich das berührt, für mich etwas bedeutet.
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sleepless_lives
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Pokapro VI Weltrettung in Gold


Beitrag27.08.2022 21:58

von sleepless_lives
Antworten mit Zitat

Hier stimmt leider eigentlich überhaupt nichts. Das ist keine E-Literatur weder im Inhalt noch in der Sprache, sondern Horror oder vielleicht Mystery. Aber ich glaube, selbst innerhalb des Genres würde man damit auf Schwierigkeiten stoßen. Zum Beispiel der Titel: Was trägt er zur Geschichte bei? Der Baum wird ein einziges Mal erwähnt und scheint weiter keine Bedeutung zu haben, zumindest keine, die d. Leser:in mitgeteilt wird. Dann der Tempuswechsel von Gegenwart zur Vergangenheit am Anfang: Wie ist er motiviert? Zumindest spiegelt er nicht den Zeitsprung in der Handlung der Geschichte in irgendeiner Weise wider.
Ein paar weitere Beispiele:
Zitat:
Und als ich dann den Scheitelpunkt der Kurve erreicht hatte, befand sich rechts des Weges eine kleine Hütte.

Das klingt so, als ob die kleine Hütte vorher nicht dort gewesen ist. Absicht?

Zitat:
Irgendetwas trieb mich an, einzutreten.
Ich ballte meine Rechte zur Faust und klopfte an,  

Nach dem ersten Satz erwartet man, dass er eingetreten ist. Er steht aber noch davor. Dann wird extra erwähnt, dass er die Hand zur Faust ballt (anstatt zu sagen, dass er mit der Faust gegen die Tür schlägt), als ob das eine besondere Bedeutung hat. Scheint aber nicht so.
 
Zitat:
durch die massive Holztür zu leiten

Perspektivenverletzung

Zitat:
Wie in Zeitlupe bewegte sich die Tür auf mich zu. Ich erkannte sofort und sprang zur Seite.

Erkannte was?

Zitat:
Ich setzte meinen rechten Fuß über die Schwelle. Halbdunkel umgab mich.

Er hat nur den rechten Fuß über die Schwelle gesetzt, steht also bestenfalls im Türrahmen.

Das geht so leider durch den ganzen Text. Glaubst du nicht? Hier ein weiteres Beispiel:

Zitat:
schön mit 120, also knapp außerhalb des Fahrverbots-Bereichs

Außerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung? Ein Fahrverbotsbereich ist etwas anderes. Und noch eines:

Zitat:
Du bist in deinem Jaguar davongedüst und hast schnell Boden zum Ford gutgemacht. Daher konntest du auch nicht ahnen, dass dreieinhalb Kilometer weiter eine Feldweg-Einfahrt auf die Bundesstraße mündete

Also wenn er nicht davongedüst wäre, dann hätte er ahnen können, dass da ein Feldweg einmündet. Wie denn?

Ich kann unmöglich alle Stellen auflisten. Das Schlimme ist, dass all das einem Ergebnis dient, das wie eine Moralpredigt über das Einhalten des Geschwindigkeitslimits daherkommt und dessen Gleichnishafte und löbliche Absicht im Absurden endet: Wer mit zu hoher Geschwindigkeit unterwegs ist, setzt sich bewusst der Gefahr aus, sich und unschuldige andere aus dem Leben zu befördern, nicht die Liebe seines Lebens in einem Landgasthof zu verpassen. Genauso wenig wie jemanden nicht überholen zu lassen, dazu führt, dass diejenige drei Kilometer weiter einen Mähdrescher übersieht.  

Die Technik, in die Zukunft zu springen, wie auch der Duktus der Geschichte erinnern ein wenig an Charles Dickens „A Christmas Carol“ („Eine Weihnachtsgeschichte“), wobei der Sohn hier die Rolle des Ghost of Christmas Yet to Come einnimmt. Leider wird er aber im Wesentlichen auf einen ständigen Infodump reduziert. Wie viel interessanter wäre es gewesen, wenn der Sohn einen eigenen Charakter gehabt hätte, statt einfach nur Stichwortgeber zu sein. Allein eine Begrüßung ganz am Anfang mit etwas wie "Hallo, Papa" hätte seine Wirkung sicher nicht verfehlt.

Das Ende der Geschichte scheint dann möglicherweise anzudeuten, dass der Protagonist sich tatsächlich mit dem Auto ins Jenseits gefahren hat. Das würde der Aussage zu Gute kommen, wäre aber auch direkt aus der Standard-Schublade genommen. Manchmal zwischendrin spürt man die Geschichte, die es hätte werden können, aber durch die Unbeholfenheit des sprachlichen Ausdrucks und die Penetranz des erhobenen Zeigefingers nicht geworden ist. Sie wäre immer noch besser im Phantastisch! aufgehoben als im Zehntausender, aber in ihrer besten Ausformung kann man so etwas wie H. P. Lovecrafts Geschichte "The Outsider" ("Der Außenseiter"), mit der sie die zentrale Bedeutung eines Spiegels teilt, am Horizont erkennen.    

Der Text hätte es bei mir nicht in der Punkteränge geschafft; umgekehrt sind dir zumindest auch keine Punkte entgangen.


_________________
Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)

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Heidi
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Wohnort: Hamburg
Der goldene Durchblick


Beitrag28.08.2022 20:21

von Heidi
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Das Thema

Die Reue einer Tat oder das Nicht-einsehen-wollen einer Veränderung. Vielmehr geht es auch darum, dass ein Mensch den bequemen Weg gehen möchte, anstatt wirklich Bewusstsein in sein Leben zu bekommen.

Der Titel

wird einmal im Text erwähnt, ansonsten erkenne ich weder einen inneren noch einen äußeren Zusammenhang mit der Geschichte (oder hab ich was übersehen?). Eigentlich ist es ein Titel, der neugierig macht, die genannte Tatsache ändert aber nichts daran – ich empfinde ihn als nicht gelungen für diesen Text.

Der Anspruch / Die Ungefügigkeit / Die Eigenständigkeit

Alle drei Elemente sind nicht erfüllt. Außer vielleicht der Anspruch über fünfzehn Ecken denken zu können.

Die Sprache

Alles bildhaft mit gängigen handwerklichen Techniken gelungen ausgeführt, ich konnte dem Text gut folgen.

Der Gesamteindruck

An sich eine wirklich beeindruckende Idee. Darauf muss man erst mal kommen. Der Vater trifft seinen Sohn als alten Mann. Das kommt schon wirklich irre daher mit viel Potenzial für eine gelungene Story.
Inhaltlich ist mir das allerdings alles etwas zu dünn. Die Figuren erwachen nicht wirklich zum Leben. Zwar tritt der Sohn als weiser Alter auf, was ich als Idee schon gut finde, aber der Vater selbst ist unverbesserlich, will nichts ändern und löscht sich am Ende selbst aus. Das ist unlogisch, weil dann ja auch der Sohn nicht existieren kann, wie zuvor ja mit der Unfallgeschichte der Mutter erläutert wird, die ja nicht geschieht, weil der Vater doch nicht überholt und sie doch im Landgasthaus trifft und der Sohn dann doch gezeugt werden kann. Oder ist durch den Wunsch, nicht mehr anwesend zu sein im Jahr 2089 die Sohnzeugung doch gegeben, weil der Sohn ja früher gezeugt wurde und dann der Vater einfach nur in der Gegenwart von 2089 nicht weiter existiert?

Hm … tja, könnte sein, wird vermutlich so sein. Ich halte das aber doch für etwas unausgegoren, vor allem, weil es mich nicht wirklich weiterbringt. Es gibt keine neuen Erkenntnisse, es ist durchaus eine Geschichte mit verrückten Ideen, flüssig geschrieben, ein wenig mit der Moralkeule im Hintergrund: Wenn du dich anständig benimmst, dann wird dir Gutes widerfahren, wenn nicht, dann bringt es Leid über dich und andere. Ansonsten gibt es nichts für mich, woran ich mich reiben könnte, was ich beim Lesen von Geschichten gern tue.

Die Idee, dass das Kind weiser ist als der Vater, finde ich allerdings doch sehr schön und treffend. Das ist ja in der realen Welt auch nicht anders und gibt in meinem Lesen Denkanstöße in die Richtung.
Diese eine Sache wäre mölgicherweise auch ein Ansatz für eine gute Geschichte mit weniger Verwirrung. Es reicht oft schon, eine einzige Thematik vertieft aufzugreifen und darzustellen, um einen guten Text zu entwerfen.
 
Und weil ich diese der-weise-Sohn-Idee so gerne mag, gibt es auch drei Punkte von mir für diesen Text.
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Reimeschreiberin
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 220



Beitrag28.08.2022 20:33

von Reimeschreiberin
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Ein Autounfall, und danach ein Sprung in die Zukunft. Ist es nur die Phantasie eines Dahinscheidenden? Vermutlich. Direkt aufgeklärt wird es nicht.
Eine interessante Geschichte, bei der ich schon deshalb weiterlesen musste, um zu erfahren wohin sie führt.
Etwas unlogisch erschien mir, dass der Protagonist auf seinen Sohn stößt, obwohl die Kindesmutter bereits gestorben ist. Aber dieser Widerspruch wird in der Geschichte selbst aufgegriffen. Ein Hinweis darauf, dass sich alles nur im Kopf des Protagonisten abspielt?
Bei mir bleiben ein paar Fragezeichen. Finde ich das gut? Auf alle Fälle. Es muss nicht immer alles komplett aufgeklärt werden.
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Globo85
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Beitrag29.08.2022 10:53

von Globo85
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"Zeitreise und ein Paralleluniversum" oder Back to the Cherrytree

Vorgaben:
  • Begegnungen und/oder Abschiede: Ja.
  • Anbahnende Veränderung: Unfall?
  • Sommergäste/Nichtbeachteter Schuss: Nicht so richtig.
  • Ist das E? Für mich schon.

Eindrücke:
Das LI trifft auf sein "Gewissen", um festzustellen, dass es bei einem Unfall gestorben ist. Oder so. Zeitreisen und Paralleluniversen haben ja immer so ein paar Fallstricke von wegen Paradoxen und "Logiklöcher" und so weiter und irgendwie kann ich mich hier auf dem wenigen Raum nicht so richtig reindenken. Der Titel ist jedenfalls sehr stark!

Lieblingsstelle:
Zitat:
Wenn es etwas gab, das ich hasste, so war es Meckerei über meinen Fahrstil.


Fazit:
Hat leider nicht für meine Top Ten gereicht. Keine Punkte.
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F.J.G.
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Beitrag30.08.2022 18:23

von F.J.G.
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Liebes verfassendes Wesen,

Kojote hier – schön, mich zu lesen. Wünsche mir einen guten Tag und bedanke mich für meine Kritiken, die hier natürlich aus naheliegenden Gründen nicht abgegeben werden brauchen. Very Happy

Schönen Abend noch, wünsche ich mir!
Ciao
Kojote


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holg
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Moderator

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Wohnort: knapp rechts von links
Bronzenes Licht Der bronzene Roboter


Beitrag31.08.2022 19:40

von holg
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Ach herrje.
Zitat:
Ich weiß, wie sich Panik anfühlt. Aber ich schiebe gerade keine Panik. Womit ich mich wohl von jedem Anderen unterscheide, der in diese Situation gekommen wäre.
You know nothing, John Snow, möchte man da glatt kontern. Was für eine hahnebüchende Anmaßung, zu glauben, man wüsste, was jeder Andere wohl empfinden würde.

Was folgt, ist vielleicht Zeitreise, vielleicht Mystik, würde prima in den Fantastikwettbewerb passen. Für den 10.000 wird mir zuviel herum beschrieben, zuviel herumerklärt, zu wenig Kino gemacht. Dafür gibt es eine Folge Twighlight Zone und das ist ja auch nciht ganz schlecht.


_________________
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nicolailevin
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Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag01.09.2022 17:54

von nicolailevin
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Ein Mann geht zu einem verwunschenen Haus, trifft dort einen alten Mann, der behauptet, sein Sohn zu sein, mit 67 vergleichsweise jung gegenüber den 92, die der völlig überraschte vermeintliche Vater zählt, der sich im Spiegel jäh gealtert wiederfindet. In seiner Erinnerung ist er mit dem Auto eine Strecke, auf die ihn der Sohn hinweist, zu schnell gefahren. Die junge Frau im Opel hinter ihm, der er das Überholen verweigert hat, wurde deswegen Opfer einer Kollision mit einem Mähdrescher. Wäre er mit seinem Jaguar langsamer und regelkonform gefahren, hätte er die junge Frau getroffen, die im Auto hinter ihm gefahren ist, und letztlich den Sohn gezeugt. Der Mann wundert sich, schaut in den Spiegel, und der Spiegel ist leer.  

Mit dem Durchbrechen des Zeitkontinuums spielt sich die phantastische Literatur ja sehr gerne. So erfreulich unaufgeregt das in dieser Geschichte daherkommt (ohne Weltrettenmüssen und so), so wenig kann ich aus ihr ziehen. Ist der Kerl nun langsam gefahren und hat den Sohn gezeugt oder nicht? Wieso sieht er sich auf einmal am Ende nicht mehr selbst im Spiegel? Seine eigene Existenz stand doch nie in Frage?

Konfusion und kein tieferer Sinn in Sicht. Jedenfalls für mich nicht.

Was der Bauer nicht versteht, bepunktet er nicht: konsequenterweise 0 Punkte von mir.
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Nachtvogel
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Wohnort: Münster


Beitrag03.09.2022 03:20

von Nachtvogel
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Eigentlich ist das eine interessante Geschichte, aber sie holt mich nicht richtig ab. Vielleicht ist sie mir für diesen Wettbewerb auch zu wenig E.

Für Punkte hat es leider nicht gereicht.
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Minerva
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Wohnort: Sterndal
DSFo-Sponsor


Beitrag03.09.2022 20:03

von Minerva
Antworten mit Zitat

D. Vader hat Folgendes geschrieben:
Ich bin dein Vater.


Inhalt:
Mann unterbricht seine Autoreise an einem Landgasthaus und läuft, angetrieben von einem Kraftfeld, durch die Gegend. Er kommt an einem Sauerkirschbaum vorbei, zu einer Hütte, dessen Tür ihn fast erschlägt und trifft darin einen alten Mann, der felsenfest behauptet, sein Sohn zu sein. Das neu errechnete Alter des Mannes bestätigt sich beim Blick in den Spiegel.
Die Erklärung für all das bietet der Sohn, der nämlich unbedingt geboren werden will, aber der Vater in seinem eitlen Jaguar hat das verhindert, indem er die künftige Mutter mit seinem Ausbremsmanöver in einen Mähdrescher und damit in den sicheren Tod hat fahren lassen. Besonders einsichtig zeigt sich der Mann nicht, er würde seinen nicht eingesehenen Fehler korrigieren, um herauszukommen, aber ansonsten zeigt sich da keine Reue.
Am Ende bleibt der Mann bei seiner Sturheit und sein Spiegelbild ist verschwunden.

Wertung

Der Übersichtlichkeit halber habe ich die Details zu den Kategorien in den Fußnoten ausführlich aufgeführt. Die Wertung dient dazu, die Geschichte für den Wettbewerb ranken zu können, deswegen wird alles im Detail betrachtet, bitte nimm es nicht als zerpflückende Kritik wahr, sondern als eine intensive Auseinandersetzung.

1 Die Geschichte an sich 3/5
Herrlich bizarrer Kram, wenn man sich das mal überlegt. Eine so extreme Form der Verhütung, dass sich gleich der ungeborene Sohn ins Schicksal einmischt, um den Vater ins Gewissen zu reden. Schließlich war sein Plan, geboren zu werden. Er kannte ja sogar schon die tolle Geschichte, wie sich seine Eltern kennengelernt haben (hat womöglich sogar bei Zeugung zugeguckt uiuiui.)
Damit will ich mich nicht lustig machen über deinen Text, sondern ein Problem aufzeigen:
Die Geschichte müsste meiner Meinung nach weniger ernsthaft aufgebaut sein, also die ganzen Techniken der Unterhaltung (Gänsehaut und Co.) müssten weg, denn sonst stufe ich das hier eher als Phantastik denn E-tastik ein. Ich würde mehr auf Humor setzen (da wäre viel drin gewesen), als auf die versuchte Ernsthaftigkeit. Nichtsdestotrotz kann sein Verhalten ja die gewünschten Konsequenzen haben. Nur der Aufbau und Fokus müsste verschoben werden.
Du könntest auch etwas Bizarres mit Paralleluniversen und fehlgeschlagenen Versuchen, die Realität zu ändern, machen.
Ich lese sie einfach mit dem humorigen Auge. Was der Sauerkirschbaum eigentlich aussagen will, bleibt mir schleierhaft. Das ist die Überschrift, er steht da auch rum … und weiter? Du hättest die Geschichte z.B »Sohn« nennen können. »Mein Sohn« Ich bin dein Sohn« »120 Sachen« … Vielleicht versteh ich das auch nicht ... Wenn es keiner versteht, mach dir ruhig mal Gedanken beim nächsten Wettbewerb.

2 Umsetzung der Themen 3/7
Mann ist der Gast des Sohnes in der Zukunft, OK, ein Sommergast aber nicht so recht. Begegnung ist drin. Veränderung auch, aber anbahnend sehe ich die nicht hinsichtlich der Entwicklung über den Text. Das vorgegebene Thema »Sommergäste« ist meiner Ansicht nach nicht zentral für die Geschichte, sie könnte auch anderswie spielen, im Winter z.B. und die Themenvorgaben an sich durchdringen auch den Text nicht wirklich (das liegt halt auch daran, dass es eher ein Phantastik-Text ist).

3 E-Faktor 1/5
Es ist gewiss kreativ aufgebaut und hat ein ernsthaftes Thema, das aber nicht reflektiert wird (Autounfall), ich glaube, die Absurdität im Humor zu sehen. Aber ansonsten sehe ich da keine Mehrschichtigkeit, Ungefügigkeit, nicht viel zwischen den Zeilen oder ein Spiel mit der Sprache an sich. Wie schon erwähnt: Phantastik, also Genre-Text.

4 Lesbarkeit und Handwerk 3/5
Lesbar ist es durchaus, auch verständlich. Die beiden ersten Sätze sind richtig gut, da bist du in der Person, sie hatte eine deutliche Stimme. Aber handwerklich gibt es da einiges zu tun. Bspw. die Rechts- und Linksangaben, die eigentlich überflüssig sind, da sie keine nähere Bedeutung haben.

Altertümlicher Ausdruck wie:
Zitat:
dessen Aufschrift zu lesen ich gar nicht erwogen hatte.

Die chaotischen Zeitformen natürlich.
Aufgebauschte Inquits:
Zitat:
Ergänzte er von selbst
– »ergänzte er« reicht.
Dem Dialog würde auch Straffung helfen, hier wird zu viel erklärt und wiederholt, was bereits verstanden wurde.

5 Logik 2/3
Die unsichtbare Kraft ist ein wenig an den Haaren herbeigezogen.

6 Sorgfalt 0/2
Ich hatte ernsthaft in Erwägung gezogen, ob der Wechsel der Zeitform, anfangs von Präsens zum Präteritum Absicht sein könnte, so wie die unsichtbare Macht, die Gegenwart zur Vergangenheit macht, aber die Zeitformen sind völlig chaotisch, ich kann nur zu dem Schluss kommen, dass du die hier nicht unter Kontrolle hattest.

7 Sommerfrischequotient 3/5

Gesamtpunkte: 15/32

PUNKTESPOILER * trommelwirbel *
Hat leider nicht gereicht :,(

Meine liebsten Textstellen:
Zitat:
Ich weiß, wie sich Panik anfühlt. Aber ich schiebe gerade keine Panik.
Zitat:
Ich erinnerte mich, wie ich innerlich über diesen Sieg gejubelt hatte.
Zitat:
Mit 99 Jahren sollte ich also bewirken, dass ich mit 32 Jahren rücksichtsvoller gefahren wäre, damit die Existenz einer Person gesichert sei, die es eigentlich nie gegeben hat.

-----------------------
Bewertung – ein Versuch. Ein bisschen Neutralität einbringen, jenseits von: mag ich - nicht mein Ding. Hab ich eigentlich „Ahnung“ von E-Lit? Nee, deswegen brauch ich diese Krücke zum Bewerten. Bei Offenheit der Interpretation einzelner Aspekte, lege ich immer alles zu euren Gunsten aus. Tut mir leid, dass das so ausführlich geworden ist. Jegliche Kritik ist meine persönliche Sichtweise, wenn ihr davon etwas gebrauchen könnt, greift zu, ansonsten lasst euch nicht den Tag vermiesen.

1 Ich will einfach eine gute Geschichte lesen und etwas herauslesen. 5 Punkte

2 a) Sind Sommergäste tatsächlich oder symbolisch vorhanden?
b) Dreht sich die Geschichte um eine oder mehrere Begegnungen und/oder Abschiede?
c) und d) Ist eine Veränderung thematisiert, und ist diese anbahnend, d.h. nicht schon im gesamten Text vollzogen und zudem „spürbar“ über den Textverlauf?
e) Wie relevant ist das zentrale Thema für die Geschichte?
f) Können es nur „Sommergäste“ sein oder könnte die Geschichte auch anderswie spielen?
g) Wie sehr durchdringen diese Themen insgesamt den Text als Ganzes? 7 Punkte

3 a) Künstlerischer Anspruch und Kreativität allgemein, also alles, was sich sinnhaft von einem Genretext abhebt. Hier „reicht“ es nicht, einfach die 2. Person Futur Präsens zu wählen oder möglichst lange und komplizierte Sätze oder Wörter zu verwenden – im Gegenteil, das gibt Abzüge bei Stil und Lesbarkeit, Handwerk muss beherrscht werden. Auch ist eine komplizierte Wortwahl nicht ausschlaggebend, kann auch vollkommen simpel sein. Es kommt immer darauf an … auch auf das, was vielleicht nicht gesagt wird, aber durch den Textaufbau durchwirkt. Die Form, das Gesagte und das Ungesagte müssen Hand-in-Hand gehen, eine Wirkung bewusst erzielt werden (oder zufällig-intuitiv … wer weiß das schon?). [Form und Inhalt oder form follows function] 2 Teilpunkte hier.
b) Ernsthaftigkeit der Themen, wobei Humor dazuzählt, wenn er mir bspw. „die Absurdität“ (des Lebens oder wovon auch immer vermittelt) darstellt; und/oder Sozialkritik und/oder regt mich das zum Nachdenken an? Hat das eine Relevanz? Ein gewisses Maß an Realismus, aber kein absoluter. Bizarr und surreal sind erlaubt. Auch das kann ich nur subjektiv abwägen: ist das Phantastik oder  E-tastik?
c) Mehrschichtigkeit und Ungefügigkeit. Auch hier ist Augenmaß gefordert, ich möchte mir den Inhalt oder die Bedeutung/Interpretation ein wenig erarbeiten müssen (nicht alles erklärt bekommen), aber nicht wie die Sau ins Uhrwerk glotzen. Ob ein Text mich bewusst verwirren will oder ob Thema, Sprache, Aufbau etc. mich nicht richtig erreichen, muss ich subjektiv abwägen.
d) Verwendung einer besonderen Sprache oder Spielerei damit, Verwendung besonderer Bilder oder einer Wirkung durch die gewählte, durchaus auch einfache, Sprache (Intensität).
5 Punkte

4 Kann ich den Text, rein vom Formalen her, gut weglesen, ungeachtet von Pausen zum Nachdenken oder des Anspruchs der Sprache? Wie sieht es mit dem Handwerklichen des Schreibens aus? Wird es beherrscht, wird es gar bewusst gebrochen? 5 Punkte

5 Soweit nachvollziehbar:
a) Logik inhaltlicher Art (in sich logische Geschichte, Reihenfolge),
b) Logik der Details (das namensbestickte Taschentuch von Onkel Günther lag aber vorhin nicht auf dem Liegestuhl sondern auf der Tiefkühltruhe im Keller) – auch: recherchierte Details
c) Logik des menschlichen Handelns (also wie plausibel ist das Verhalten, ungeachtet künstlerischer oder storytechnischer Abweichungen) 3 Punkte

6 Sorgfalt muss sein, bitte nicht mit den Augen rollen, es sind ja nur 2 Punkte. Es gibt immer eine Möglichkeit, die man vorm Absenden wahrnehmen kann: einen Testleser, ausdrucken, sehr langsam lesen, laut vorlesen, mit (kostenloser) Software vorlesen lassen, in ein E-Book umwandeln, um es auf einem anderen Medium zu lesen, Rechtschreibkorrektur der Schreibsoftware, zur Not Gerold (obwohl der nicht der Hellste ist, sorry Gerold). Bei zu vielen Rechtschreib- oder Grammatikfehlern wird etwas abgezogen. Wie gesagt, es sind nur wenige Punkte, aber auch Sorgfalt spielt eine Rolle. Das ist eine Frage der Fairness gegenüber anderen. Ich weiß, du hast viel zu tun und die Muße kam recht spät oder du hast Legasthenie oder ... Nicht bös gemeint. 2 Punkte

7 Onkel Günther würfelt mit seinem 5-seitigen Würfel und dividiert das Ergebnis durch 1… (Nach meinem ersten Bewertungssystem tummelten sich auf einmal mehrere Texte auf den gleichen Rängen, auch mehr Punkte in den Kategorien schafften keine Abhilfe … Leute, das geht nicht, ich muss irgendwie ein Ranking hineinbringen. Onkel Günthers Würfel ist quantenverschränkt mit dem Text und weiß, was richtig ist.) 5 Punkte


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... will alles ganz genau wissen ...
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MoL
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Das bronzene Stundenglas


Beitrag04.09.2022 16:31

von MoL
Antworten mit Zitat

Lieber Inko,

leider bekommt dieser Text keine Punkte von mir. Mach Dir bitte nichts draus, die anderen Texte waren schwer gut in diesem Jahr!

Das Ende habe ich übrigens nicht so ganz verstanden. Magst Du es mir erklären?


_________________
NEU - NEU - NEU
gemeinsam mit Leveret Pale:
"Menschen und andere seltsame Wesen"
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Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021.
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V.K.B.
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Beitrag04.09.2022 21:12

von V.K.B.
Antworten mit Zitat

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
schön mit 120, also knapp außerhalb des Fahrverbots-Bereichs

Außerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung? Ein Fahrverbotsbereich ist etwas anderes.
Hier muss ich mal eben einhaken, denn ich fand diese Formulierung gerade besonders gut. Sie ergibt auch durchaus Sinn, ist nur eben drei Schritte auf einmal gedacht: 100 sind auf der Landstraße erlaubt, wird man mit mehr als 20 km/h zu schnell geblitzt, muss man zeitweilig den Lappen abgeben, also folgt ein Fahrverbot für den Fahrer. Damit liegt eine Geschwindigkeit von 120 laut Tacho (und Toleranzabzug) also tatsächlich gerade noch "knapp außerhalb des Fahrverbots-Bereichs". Die Formulierung zeigt damit auch sehr deutlich, wie der Protagonist denkt und dient der Charakterisierung von diesem. Aber das ändert natürlich nichts an deinen anderen Beanstandungen.

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Zum Beispiel der Titel: Was trägt er zur Geschichte bei? Der Baum wird ein einziges Mal erwähnt und scheint weiter keine Bedeutung zu haben
Ich sehe den Baum (mit seinen Ästen) als Sinnbild/Symbol für das Geflecht von Zeitlinien, das ebenso krumm und wild (und süßsauer wie Kirschen?) sein muss, damit die Geschichte einen Sinn ergibt. Jedenfalls steht er da am Anfang der Twilight Zone, wie eine Art Hinweisschild oder Wegweiser, und damit wie eine you-are-not-here-Land-/Zeitkarte. Und damit wäre auch die Titel-Hervorhebung passend, weil er die Struktur der Geschichte bzw der Raum_Zeit in dieser beschreibt. Aber vielleicht interpretiere ich jetzt auch zu viel hinein. Laughing Aber ich denke schon, irgendwie so sollte das gemeint sein.

Bin jedenfalls schon gespannt, was Kojote selbst dazu sagt.


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Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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