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An Feiertagen stirbt man nicht


 
 
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Nezuko
Wortedrechsler
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Beiträge: 76



N
Beitrag01.09.2022 15:18
An Feiertagen stirbt man nicht
von Nezuko
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Heyho! Ich hoffe, ich bin hier richtig Rolling Eyes  Ich würde mich sehr über ein kleines Feedback zu dem Beginn meines Buches freuen! Vielleicht findet jemand Zeit und hat Lust! Embarassed

Etwaige Rechtschreib- und Grammatikfehler bitte ich zu ignorieren. Da liegt einfach nicht meine Stärke, aber dankenswerterweise habe ich liebe Freunde und Freundinnen, die dahingehend für mich drüberschauen Rolling Eyes (Ich hab trotzdem probiert alles auszumerzen, was ich finden konnte bzw. das Schreibprogramm!)


P.S.: An die Moderation - ich hatte den gleichen Text versehntlich in "Impulse Prosa" gepostet und um eine Verschiebung/ Löschung gebeten, aber vielleicht ist meine Anfrage untergegangen sad
Der Beitrag in Impulse Prosa kann daher gerne gelöscht werden!
Bitte verzeiht!
__________________________________________________________
                                                         *
                                                                
                                                       Jamie



Okay, mittlerweile ist es fast zehn vor Zwei und so langsam verlässt mich meine Geduld.

Wie lange warten wir hier jetzt eigentlich schon?
„Ich glaub das wird heut nichts mehr“, spricht Daniel das Offensichtlich aus und beugt sich zu mir hinüber. „Was sagt du, wollen wir abhauen?“

Als hätte er es beschworen schwillt mit einem Mal das monotone Stimmengewirr um uns herum an. Die ersten erheben sich und drängeln sich durch die Sitzreihen in Richtung Ausgang.
Ich nicke kaum merklich. Gerade will auch ich meine Sachen zusammenpacken, da schaltet sich plötzlich Joelle dazwischen.

„Wir können nicht einfach gehen!“, behauptet sie und straft Daniel und mich mit einem ärgerlichen Blick.

„Doch, doch, linker Fuß, rechter Fuß, und dann immer so weiter, ganz einfach“,  erkläre ich, während ich mein Tablet in meinem Rucksack verstaue.

Joe schnaubt verächtlich. „Und wenn er kommt und es ist keiner da?“, möchte sie wissen.

„Meine Fresse Joe, wenn er kommt und es ist keiner da, dann ist Professor Twany selbst Schuld, er ist mehr als eine halbe Stunde zu spät“, stöhnt Daniel. Er macht eine bedeutsame Geste Richtung Ausgang und wirft mir einen hilflosen Blick zu. „Also Abmarsch.“

„Aber was wenn…“, startet Joelle einen letzten Versuch und doch muss sie sich wohl eingestehen, dass sie verloren hat. Inzwischen sind wir auch die letzten im Vorlesungssaal. Der Rest hat längst die Fliege gemacht. Gut für sie, aber die haben ja auch keine beste Freundin namens Joelle Awadah, die das Studium manchmal ernster nimmt, als es wahrscheinlich gut für sie. Und für mich. Und meine Nerven. Vor allem für die.

„Komm schon“, murre ich. „Selbst wenn der noch kommt, dann ist eh keiner von uns mehr da. Also kann er keine Vorlesung halten und du verpasst auch nichts.“

Joelle lässt ein resigniertes Seufzen hören. Ruckartig steht sie auf und wirft Daniel und mir einen dermaßen angesäuerten Blick zu, als wäre es allein unsere Schuld, dass unser Professor heute offensichtlich bessere Dinge zu tun hat, als seinem Bildungsauftrag nachzukommen.  â€žNa gut, lasst uns gehen“, gibt sie sich endlich geschlagen.


Kaum sind wir draußen, kramt sie auch schon in der Tasche ihrer Lederjacke und und fördert eine ziemlich zerbeulte Kippenschachtel zu Tage. Ich sende ihr einen flehenden Blick und schließlich drückt sie eine Zigarette an mich ab.
„Hier, du Parasit“, murrt sie, während sie sich im Gehen ihre eigene anzündet und das Feuerzeug anschließend an mich weiterreicht.
Ich nehme einen ersten kräftigen Zug, der den oberen Rand meiner Kippe aufglühen lässt und genieße das leichte Kribbeln in meinem Fingerspitzen, als der Nikotin-Flash einsetzt. 
Ãœber unseren Köpfen spannt sich der Himmel zu einem blauem Zelt auf. Eine seichte Brise streift über den Uni-Campus hinweg, der ruhig und friedlich vor uns liegt. Sie riecht nach Sonne und Frühjahr. Heute ist ein schöner Tag. Da kann es mir eigentlich auch egal sein, dass wir umsonst eine halbe Stunde auf unseren blöden Professor für Kunstgeschichte gewartet haben. Aber der Kerl hätte echt mal eine Mail in den Verteiler hauen können.
„Schon komisch, dass Professor Twany nicht einmal eine Mail geschrieben hat“, sagt Joelle plötzlich, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
Ich lasse zur Antwort nur die Schultern zucken, nehme einen kräftigen Lungenzug und puste den Rauch vor mir her. „Professoren sind doch alle etwas verpeilt“, entscheide ich.

„Schon, aber Professor Twany ist ja sonst eigentlich immer sehr gewissenhaft“, entgegnet sie.
„Professor Twany ist ein Arsch“, weiß Daniel. „Ich musste meinen Essay im letzten Semester drei Mal umschreiben, bis er endlich zufrieden war und die Unterschrift für den Modulbogen rausgerückt hat. Drei Mal! Das Teil wurde nichtmal benotet und er macht so ein Drama draus.“

„Er hat halt höhere Ansprüche als die anderen Dozenten, aber ist doch gut“, findet Joelle.

Manchmal erinnert sie mich an Hermine Granger. An eine libanesische Hermine Granger, die eine große Klappe hat und mal etwas weniger rauchen sollte. Bei dem Gedanken muss ich grinsen.

„Was guckst du so blöd?“, möchte sie auch schon direkt von mir wissen und ich verschlucke mich beinah am Zigarettenqualm.

„Nichts…“, presse ich mit tränenden Augen hervor, worauf Joelle nur verständnislos den Kopf schüttelt.

„Jamie ist nur traurig, weil er sich dermaßen auf Anderthalbstunden Bellini und Malerei von halbnackten Jesusen gefreut hat“, erklärt Daniel und lacht anschließend über seinen eigenen Witz.

„Naaw, stimmt das Jamie?“ Auch Joelle grinst nun wissentlich und hakt sich bei mir unter. 

„Bin voll traurig“, antworte ich, wobei ich mich um einen ernsten Tonfall bemühe. „Aber jetzt muss ich wohl den Nachmittag mit Pascal zocken, tja, da kann man nichts machen.“

„Blöd gelaufen“, kommentiert Daniel.

Ich nicke bestätigend und mit wenig Ãœberzeugungskraft, als wir zu dritt die Steinpiazza überqueren. Vor der Eingangstür zu Gebäudetrakt O, einem heruntergekommenen, schmucklosem Gebäudeklotz, der noch aus DDR-Zeiten stammt, erstreckt sich ein grob gepflasterter, kreisrunder Platz bis zur Uni-Bibliothek auf der gegenüberliegenden Seite. Rechts davon führen steinerne Treppen zur Straße hinauf, die als waagerechte Linie einmal quer durch den Campus verläuft und den nördlichen und südlichen Teil der Universität miteinander verbindet. Folgt man ihr nach links, findet man sich kurze Zeit später vor einer weitläufigen Wiesenfläche wieder, die sich bis zur Mensa hinauf aufspannt, die an der Spitze des Universitätsberges über den restlichen Trakten thront. Von dort hat man einen wunderbaren Blick ins Tal, an dessen oberen Rand sich die Friedrich-Nietzsche-Universität gegen den Hang schmiegt. Wenn die Witterung es zulässt, kann man von der Dachterrasse der Kantine meilenweit sehen, manchmal bis zu den Alpen, die sich dann als blaue Schatten vor dem Horizont abzeichnen. 

Wir erreichen die Straße, doch anstatt nach links, steuert Joelle, die mittlerweile wie selbstverständlich die Führung übernommen hat, nach rechts, auf den Haupteingang zu. Auf der Rückseite des Wiesenhügels und der Mensa liegt der Haupttrakt der Universität. Ein hochmoderner Neubau, dessen Eingangsbereich mit abstrakten Bildnissen geschmückt ist, zu denen selbst mir keine passende Interpretation einfallen will. Keine Ahnung, was der Künstler mit diesen formlosen Blasen und gigantischen filamentösen Konstruktionen aus Kunststoff mitteilen will. Vermutlich möchte er damit ein Zeichen gegen den Kapitalismus setzen - ein blutrotes Tuch für alle Studenten aus privilegierten Verhältnissen des 21. Jahrhunderts. Ich schätze, ich werden nie erfahren, welche feuchten Marx-Träume sich in diesen Schimmelpilz-Installationen spiegeln. Mir als Kunststudent darf das aber ohnehin egal sein, denn der hochmoderne Trakt und dessen gesamte Ausstattung ist für die Naturwissenschaftler reserviert. Soll heißen, wer keinen IQ von mindestens 120 hat und obendrein Physik, Informatik oder Biochemie studiert, dem bleibt nichts anderes, als auf die auf Hochglanz polierte Außenfassade und die sonderbaren Pilzformen zu starren, die hier und da vor dem Eingang aus dem Asphalt wachsen. 
Wir Geistes- und Sprachwissenschaftler dürfen uns um die billigen Plätzen in den Sälen der Plattenbauten streiten, die seit den späten 80ern nicht mehr restauriert worden sind und die teilweise nicht einmal Klimaanlagen besitzen. Ich möchte nicht dramatisch klingen, aber wären die Fakultäten Geschwister, dann wären wir Künstler und Sprachwissenschaftler definitiv das middle-child - Aus den Augen, aus dem Sinn. Und wer das verhätschelte Nesthäkchen ist, ist wohl selbsterklärend.

Mittlerweile haben wir die Bushaltestellen erreicht, die etwas weiter die Straße durch, hinter dem Haupteingang liegen. Und was sehe ich da abfahren, gerade jetzt wo wir ankommen?
Es ist mein Bus. Na, wunderbar.
Ich schnaufe einmal verächtlich, als mir klar wird, dass ich entweder 40 Minuten auf den nächsten warten darf, oder eben zu Fuß gehe. Naja, ein bisschen Bewegung kann nicht schaden, wo ich doch planmäßig ohnehin den restlichen Tag vor dem PC verbringen werde.

„Wartest du nicht auf Nick?“, möchte Joelle wissen, als ich mich schließlich von ihr und Daniel verabschiede. 

Ich schüttle den Kopf. „Der hat noch zwei Seminare und danach gibt er ein Tutorium, für die unteren Semester“, erkläre ich.

Joelle reißt fassungslos die Augen auf. „Sein Tag muss mehr als 24 Stunden haben, soviel wie der immer macht“, murmelt sie in ihren nicht vorhandenen Bart.

„Nick halt“, gebe ich schulterzuckend zurück.
Nick war schon immer so. Überflieger. Gut aussehend. Und noch dazu stinkreich. Eigentlich ein Typ zum hassen, wäre er nicht zufällig mein bester Freund. Seinen neuen Armani-Mantel gönne ich ihm trotzdem nicht.
„Na dann“, brumme ich und schließe Joelle zum Abschied in meine Arme.
Sie ist etwas kleiner als ich und auch sonst ziemlich zierlich. Ãœberhaupt sieht sie ziemlich süß aus, mit ihren großen dunklen Augen, den schulterlangen, schwarzen Haaren und der kleinen Stupsnase. Doch der Schein trügt. Leg dich niemals mit Joelle an. Denn aus der Sache kommst du nicht mehr lebend raus. 
Daniel und ich nicken uns zu und ich mache, dass ich weg komme, allerdings nicht ohne ihm nochmals einen letzten vielsagenden Blick zu zusenden. Ich frage mich echt, wann die beiden mal Butter bei die Fische machen wollen. Er steht auf sie und sie steht auf ihn. Das ist ziemlich offensichtlich und doch sind die beiden irgendwie zu blöd es einzusehen. Daniel wird ohnehin niemals den ersten Schritt machen, der Lauch. Er ist echt ein Lauch, so scheiße es klingen mag. Mit seinen Spaghetti-Ärmchen, dem Topfschnitt und der Brille. Nichts gegen Brillenträger, okay? Harry Potter ist cool und alles, aber Daniel könnte halt echt mehr aus sich machen. Naja, aber das ist nicht mein Bier. Was auch immer Joelle in ihm sieht, ich gönne es den beiden von Herzen, wenn sie nur mal endlich den ersten Schritt wagen würden. Dabei setzte ich auf Joelle, aber dafür ist sich die Dame dann offensichtlich doch zu fein. Obwohl sie ja sonst kein Blatt vor den Mund nimmt. 

Während ich weiter über das nicht existierende Liebesleben meiner Freunde am grübeln bin, verlasse ich den Campus, dessen rechter Außenflügel an den dahinter liegenden Wald grenzt. Der Nadelwald umschließt den oberen Teil des Tals einmal rundum wie ein dunkelgrüner Rahmen. Etwas weiter talabwärts, in Richtung Stadt, beginnen dann die ersten Wohnsiedlungen. 
Sanfter Wind lässt die dunklen Baumkronen über meinen Köpfen flüstern und trägt den Geruch von Tannenzapfen und Harz mit sich. Im Unterholz flattern ein paar Vögel auf, als ich einem schmalen Trampelpfad folge, der in wenigen Metern in einen Försterweg nahe der stillgelegten Eisenbahnschienen münden wird.
 Von hier trennen mich nur noch gut fünfzehn Minuten von meiner Wohnung am Stadtrand. Auf meinen Earpods läuft Lana Del Rey - und ich weiß was ihr jetzt denkt: Wer hat dem Jungen das Herz gebrochen? Die Antwort ist: Niemand, die Frau macht einfach gute Musik. Zwar ist es gerade einmal April, doch trotz der Kühle des Waldes komme ich unter meinem Nike-Hoodie ganz schön ins Schwitzen. Dabei habe ich heute morgen sogar extra auf eine Jacke verzichtet. Eines ist klar: Der Sommer steht kurz vor der Tür. Geil! Ich freue mich auf ausgelassene Grillabende mit viel Alkohol, Gras und coolen Leuten. Das wird mega.
Ich erreiche die Brücke, die beide Hälften des Waldes miteinander verbindet und über die stillgelegte Eisenbahngleisen herläuft.

Vorne am Geländer steht ein Mann und genießt die Aussicht. Verständlich. An klaren Tagen wie heute kann man von hier oben meilenweit sehen. 
Doch beim näher kommen fällt mir auf, dass etwas an dem Bild nicht richtig ist. Ganz und gar nicht richtig. Also überhaupt nicht! Scheiße, was macht der Kerl denn da?! 
„Ey!“ Mein Kopf ist wie leer gefegt, doch mein Körper scheint aus irgendeinem Grund zu wissen, was er tut. Ohne großartig zu überlegen stürme ich nach vorne.
Fuck ey! Fuck! Will der Typ da etwa springen?!

    


                                                           *
                                                          
                                                       Vincent


Ãœber der Stadt liegt der Himmel. Er ist so blau und strahlend, dass es beinah beklemmend ist. Dieser Frühlingstag erdrückt mich, es ist kaum auszuhalten. Das freundliche Rascheln des Windes, wenn er mit sanften Fingern durch die Bäume streicht. Der Klatschmohn auf den Wiesen, die hinter dem Wald liegen und sich von dort zu weiten Ebenen aufspannen, die bis zu den Siedlungen führen. Der süßliche Geruch der in der Luft hängt. Das alles ekelt mich an, auf eine seltsame Art und Weise. Es scheint mir unwirklich, fast schon unheimlich. Diese Welt um mich herum, dieses Leben, das an mir vorbeizieht und in dessen Fluss ich hineingeraten bin, ohne zu wissen wann genau das war - Das alles wirkt seltsam verzerrt, fremd und einschüchternd. Ich habe keinen Zugang zu diesem Leben, ich habe keinen Zugang zu dieser Welt. Ich verstehe die Menschen, die da unten in der Stadt laufen und leben nicht und sie verstehen mich nicht. Sie spielen Komödie und verschließen sich vor dem, was im Grunde unserer aller Wahrheit ist. Dass menschliches Tun keinem Zweck folgt. Es ist bloß Beschäftigungstherapie und meist hinterlässt es nicht einmal Spuren. Wenn man die Sinnlosigkeit in alledem erkannt hat, dann spiegelt sich die Fremde in all diesen Dingen und verursacht einen Ekel, einen unaussprechlichen Ekel, der alles in einem zerfrisst. Jedes Gefühl wird bis auf den letzten Funken erstickt. Was bleibt ist eine Hülse von Mensch, die schon lange aufgehört hat Mensch zu sein.
Meine Hände krampfen sich um das rostige Geländer. Meine Fingerspitzen pressen gegen das raue Metall und ein Blick in die Tiefe jagt mir heißkalte Schauer über den Rücken. 
Vor 80 Jahren fuhren über diese Schienen Transporte, die die Juden der Stadt in eines der Sammellager im Osten brachten. Die Nazis haben ihre Opfer für ihre letzte Fahrt noch zahlen lassen. Da wo sie hinfuhren, würden sie ihr Geld sowieso nicht mehr brauchen.

Ich betrachte die Schienen in der Tiefe.
Wie seltsam, dass ich mir ausgerechnet diesen Ort ausgesucht habe. Im Grunde, das weiß ich, spielt der Ort keine Rolle. Es soll nur schnell gehen und alles andere ist nicht mehr mein Problem.
Plötzlich wird mein Körper von einer eigenartigen Ruhe erfaßt und eingehüllt. Es ist ein seltsam-wattiges Gefühl, dass sich von meinen Zehenspitzen, bis in meinen Kopf hinaufarbeitet, wo es mir das Gehirn vernebelt. Ein angenehmes Prickeln fließt durch meine Gliedmaßen, als ich, wie in Trance, das Bein über das Geländer schwinge und plötzlich seitlich zur Tiefe stehe.
Ich habe keine Zweifel mehr und doch zögere ich. Jeweils einen Fuß auf beiden Seiten des Geländers, erstarre ich mitten in der Bewegung. Es ist, als würde die Welt ein letztes Mal ihre Arme nach mir ausstrecken, als würde das Leben an mir zerren und mir zurufen, ich solle zurück hinter das Geländer treten.
Aber wie oft habe ich diesem Rufen schon geglaubt, nur um dann doch enttäuscht zu werden?
Hinter dem Geländer erwartet mich nichts.
Ich wage einen Blick in die Tiefe. Die Schienen liegen schweigend da, als wüssten sie genau, was ich vorhabe.
Auch dort unten erwartet mich nichts.
Und deswegen ist auch mein einziger Wunsch, dass es schnell geht.
 Ich habe Angst, dass es weh tut. Das ist alles. Das ist alles, was mir geblieben ist.
Die Angst davor, dass es wehtun könnte.

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Grim
Eselsohr


Beiträge: 280



Beitrag04.09.2022 00:10

von Grim
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Am Anfang ist man recht verloren, weil man weder eine Umgebung hat noch weiß, wie viele Charaktere und wer da auftreten. Also es sprechen Charaktere aus dem Nichts zu mir. Erst als klar wird, dass sie im Hörsaal sitzen, entsteht das erste Bild.

Ich mag die Dialoge, sie klingen natürlich und sind unterhaltsam. Die vielen Inquits stören aber. Die würde ich weglassen, solange klar ist, wer spricht. Auch ist es üblich, bei wörtlicher Rede für einen neuen Sprecher einen neuen Absatz zu machen, also.

Zitat:
Sie ist etwas kleiner als ich und auch sonst ziemlich zierlich. Ãœberhaupt sieht sie ziemlich süß aus, mit ihren großen dunklen Augen, den schulterlangen, schwarzen Haaren und der kleinen Stupsnase. Doch der Schein trügt. Leg dich niemals mit Joelle an. Denn aus der Sache kommst du nicht mehr lebend raus. 
Daniel und ich nicken uns zu und ich mache, dass ich weg komme, allerdings nicht ohne ihm nochmals einen letzten vielsagenden Blick zu zusenden. Ich frage mich echt, wann die beiden mal Butter bei die Fische machen wollen. Er steht auf sie und sie steht auf ihn. Das ist ziemlich offensichtlich und doch sind die beiden irgendwie zu blöd es einzusehen. Daniel wird ohnehin niemals den ersten Schritt machen, der Lauch. Er ist echt ein Lauch, so scheiße es klingen mag. Mit seinen Spaghetti-Ärmchen, dem Topfschnitt und der Brille. Nichts gegen Brillenträger, okay? Harry Potter ist cool und alles, aber Daniel könnte halt echt mehr aus sich machen. Naja, aber das ist nicht mein Bier. Was auch immer Joelle in ihm sieht, ich gönne es den beiden von Herzen, wenn sie nur mal endlich den ersten Schritt wagen würden. Dabei setzte ich auf Joelle, aber dafür ist sich die Dame dann offensichtlich doch zu fein. Obwohl sie ja sonst kein Blatt vor den Mund nimmt. 


Das hier würde ich viel früher bringen, denn sonst wirkt alles bis da hin planlos bzw. irrelevant, da weder Charaktere entwickelt werden noch ein erkennbarer Plot beginnt. Die ganzen Uniinfos würde ich stärker mit dem Prota verbinden, denn: Es ist nicht die Architektur der Uni interessant sondern ihre Konsequenzen/ ihr bezug zum Prota, oder du entwickelst den Prota, indem man durch seine Ausführungen auch ihn besser kennenlernt (im Sinne von: Da ist das Sonnendach, da faulenze ich immer.)

Ansonsten fand ich es vernünftig geschrieben.

Der Vincent Part gefällt mir nicht. Es ist viel Blabla, das (für mich) bedeutungslos ist, weil ich nicht in Vincent investiert bin. Ich kenne ihn nicht, er langweilt mich nur mit dem Gedöns. Das würde ich entweder stark kürzen oder Vincent vorher ordentlich einführen, so dass mir sein trauriges Gerede auch wirklich ans Herz geht (vermutlich keine Option, da das einiges an Build-Up brauchen würde).

Was man machen kann, aber nicht muss, wäre expliziter den roten Faden zu zeigen. Also am Anfang sowas wie: Als ich in der Uni saß wusste ich noch nicht, dass sich mein Leben noch heute verändern würde. Oder so. Damit man als Leser versteht, dass der Autor nicht nur all Infos über die Uni runterrattert, sondern diese Reise auch wo hinführt.


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bonk
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Dyrnberg
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Beitrag04.09.2022 08:26

von Dyrnberg
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Das "Milieu" ist für mich persönlich nicht wirklich interessant: Studenten, die in einem Hörsaal warten. Und dann geht es viel um typische Dinge von Twentysomethings. Das langweilt mich alten Sack. Insofern: Ich bin wohl nicht Deine Zielgruppe. ABER: Es ist für mich einer der besseren Texte, die ich hier seit einiger Zeit gelesen habe. Der Duktus passt zu den Figuren. Die Dialoge wirken natürlich. Und manches ist schlicht literarisch gut gelöst, zum Beispiel das hier:

Zitat:
Doch beim näher kommen fällt mir auf, dass etwas an dem Bild nicht richtig ist. Ganz und gar nicht richtig. Also überhaupt nicht! Scheiße, was macht der Kerl denn da?! 
„Ey!“ Mein Kopf ist wie leer gefegt, doch mein Körper scheint aus irgendeinem Grund zu wissen, was er tut. Ohne großartig zu überlegen stürme ich nach vorne.
Fuck ey! Fuck! Will der Typ da etwa springen?!




Das ist meines Erachtens richtig gut. Chapeau.

Dann kommt die Szene aus Sicht von Vincent. Auch die ist meines Erachtens keinesfalls schlecht geschrieben, aber etwas sehr redundant und klischeehaft. Als Leser weiß ich ja, dass das wohl der Typ ist, der springen will. Und dann kommen auch all diese depressiven Gedanken. Da fände ich es irgendwie spannender, wenn er überraschenderweise an ganz etwas anderes denken würde. Nicht an pathetisches Zeug über die Schwere des Lebens, sondern über etwas ganz Banales wie "Habe ich den Herd ausgemacht?" und sich dann darüber ärgert, dass er seine letzten Momente so banal verbringt. Ist aber nur ein Gefühl. Nur eine Idee.


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Ein Roadtrip durch die Philosophie: "Die Nacht der Fragen und der Morgen danach" (Roman)
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realo
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Beitrag04.09.2022 11:42

von realo
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Ich finde, das Suizid-Thema fällt bei dem flockig, lockeren Erzählstil etwas aus dem Rahmen. Es taucht so abrupt auf und ist deshalb emotional schwer nachzuvollziehen. Hättest Du die Studentengruppe nicht so schildern können, dass irgendetwas Bedrohliches in der Luft liegt. Das Damoklesschwert des Suizides oder des Todes hängt ja über jedem Menschen. Wenn man genau hinschaut, kann man die Vorzeichen eines Suizides erkennen, das wäre eine spannende Botschaft. Ich kenne sowohl Suizidgedanken als auch Suizidversuch, jedoch gescheitert und so lebe ich noch. Der Tod ist kein Tabu, er ist unbedingter Bestandteil, damit es Leben gibt. Deine Geschichte erwähnt den Suizid, aber so sehr an die heile Welt hinten rangehangen, als wäre es mit Scham besetzt.
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Nezuko
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Beitrag04.09.2022 11:58

von Nezuko
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realo hat Folgendes geschrieben:
Ich finde, das Suizid-Thema fällt bei dem flockig, lockeren Erzählstil etwas aus dem Rahmen. Es taucht so abrupt auf und ist deshalb emotional schwer nachzuvollziehen. Hättest Du die Studentengruppe nicht so schildern können, dass irgendetwas Bedrohliches in der Luft liegt. Das Damoklesschwert des Suizides oder des Todes hängt ja über jedem Menschen. Wenn man genau hinschaut, kann man die Vorzeichen eines Suizides erkennen, das wäre eine spannende Botschaft. Ich kenne sowohl Suizidgedanken als auch Suizidversuch, jedoch gescheitert und so lebe ich noch. Der Tod ist kein Tabu, er ist unbedingter Bestandteil, damit es Leben gibt. Deine Geschichte erwähnt den Suizid, aber so sehr an die heile Welt hinten rangehangen, als wäre es mit Scham besetzt.



Hallo realo,

ich gehe jetzt erstmal auf deinen Kommentar ein und dann auf die beiden anderen.
Was du da ansprichst ist genau das, was ich versucht habe beim Schreiben zu erzeugen: Einen starken Kontrast.

Im Zentrum meiner Handlungen stehen zwei Figuren einmal der lebensfrohe Jamie, der eine etwas ungeschickte Art hat und grundsätzlich vieles auf die leichte Schulter nimmt und sein Professor (Vincent Twany).
Das sind mit Absicht zwei sehr konträre Lebenswelten die da aufeinandertreffen und mit der Zeit macht Jamie auch eine starke Veränderungen durch - also die Stimmung bleibt nicht so locker-flockig, sondern kippt nach dem ersten Drittel.

Mit dem Thema Suizid, PTBS und Depression wird sich auf verschiedenen Ebenen auseinandergesetzt und auch mit den gesellschaftlichen stellenweise sehr verzehrten Vorstellungen die sich u.a. auch historisch relevanten philosophischen Ansätzen schöpfen (Leib-Seele-Dualismus um mal ein konkretes Beispiel zu nennen).

Ich hoffe, ich konnte mittels meiner Erklärungen etwas Licht ins Dunkle bringen.



Im Übrigen möchte ich widersprechen, was die erkennbaren Anzeichen eines Suizides begeht. - Zumindest aus meiner eigenen Erfahrung heraus, habe ich verschiedenen PatientInnen kennen gelernt, wobei manche lehrbuchartige Muster vor ihrem Versuch gefolgt sind (ich beziehe mich auf die Phasen der Suizidialität, der zugehörige Autor möchte mir gerade nicht in den Sinn kommen, ich müsste mal in meinen Unterlagen schauen) wohingegen andere sehr bewusst jegliche Symptome unterdrückt haben und dies auch in etwaigen Gesprächen letztlich so kommuniziert haben.


Ich danke dir recht herzlich für deine Rückmeldung!
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Nezuko
Wortedrechsler
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Beiträge: 76



N
Beitrag04.09.2022 12:08

von Nezuko
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Dyrnberg hat Folgendes geschrieben:

Dann kommt die Szene aus Sicht von Vincent. Auch die ist meines Erachtens keinesfalls schlecht geschrieben, aber etwas sehr redundant und klischeehaft. Als Leser weiß ich ja, dass das wohl der Typ ist, der springen will. Und dann kommen auch all diese depressiven Gedanken. Da fände ich es irgendwie spannender, wenn er überraschenderweise an ganz etwas anderes denken würde. Nicht an pathetisches Zeug über die Schwere des Lebens, sondern über etwas ganz Banales wie "Habe ich den Herd ausgemacht?" und sich dann darüber ärgert, dass er seine letzten Momente so banal verbringt. Ist aber nur ein Gefühl. Nur eine Idee.



Vielen herzlichen Dank für deine Rückmeldung!
Deine Idee gefällt mir sehr gut, scheint mir allerdings für Vincent als Charakter nicht ganz passend, aber dennoch vielen lieben Dank für den Input!

Ich sehe aber jetzt schon, dass Vincents Part weniger gut ankommt - da muss ich wohl noch einmal drüber gehen. Meinst du, wenn ich es etwas cutten würde, so wie @Grim das vorgeschlagen hat, wäre es besser? Embarassed  Ich bin nun etwas unsicher.


Grim hat Folgendes geschrieben:
Am Anfang ist man recht verloren, weil man weder eine Umgebung hat noch weiß, wie viele Charaktere und wer da auftreten. Also es sprechen Charaktere aus dem Nichts zu mir. Erst als klar wird, dass sie im Hörsaal sitzen, entsteht das erste Bild.


Auch die danke für deine Rückmeldung!
Da hast du wohl recht, vielleicht sollte ich zu Beginn kurz darauf hinweisen, dass die drei eben in einem Vorlesungssaal in der Uni sitzen, meinst du, das würde schon ausreichen?


Grim hat Folgendes geschrieben:
Das hier würde ich viel früher bringen, denn sonst wirkt alles bis da hin planlos bzw. irrelevant, da weder Charaktere entwickelt werden noch ein erkennbarer Plot beginnt. Die ganzen Uniinfos würde ich stärker mit dem Prota verbinden, denn: Es ist nicht die Architektur der Uni interessant sondern ihre Konsequenzen/ ihr bezug zum Prota, oder du entwickelst den Prota, indem man durch seine Ausführungen auch ihn besser kennenlernt (im Sinne von: Da ist das Sonnendach, da faulenze ich immer.)


I see! Durchaus, ja. Vielen Dank! Glaubst du, das problem wäre damit behoben, indem man zu Beginn direkt die Figuren etwas näher beschreibt und ihre Beziehung zueinander und dann darauf aufbaut? Ich möchte die LeserInnen auch nicht vorab mit zu vielen Infos überrumpeln.


Dyrnberg hat Folgendes geschrieben:
Der Vincent Part gefällt mir nicht. Es ist viel Blabla, das (für mich) bedeutungslos ist, weil ich nicht in Vincent investiert bin. Ich kenne ihn nicht, er langweilt mich nur mit dem Gedöns. Das würde ich entweder stark kürzen oder Vincent vorher ordentlich einführen, so dass mir sein trauriges Gerede auch wirklich ans Herz geht (vermutlich keine Option, da das einiges an Build-Up brauchen würde).


Vincent vorab mehr einzuführen gestaltet sich m.E. insofern schwierig, als dass er der Professor ist, der nicht erschienen ist und somit dieser "Überraschungs-Effekt" der einsetzt deutlich abgeschwächt werden würde. wenn Jamie nach den oberen beiden Absätzen erkennt, wen er da vor sich stehen hat.

Denkst du es wäre sinnvoll es um circa die Hälfte zu kürzen, also das ganze "depressive Gelabber" (autsch, btw.) rauszuschneiden und einzusätzen ab "Meine Hände krampfen sich um das Geländer..." Dann wäre knapp die Hälfte weg, ob das besser wäre?



Auf jeden Fall vielen lieben Dank auch an euch beide für das Feedback! Habe mich sehe gefreut!
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Grim
Eselsohr


Beiträge: 280



Beitrag04.09.2022 13:14

von Grim
Antworten mit Zitat

Zitat:
Auch die danke für deine Rückmeldung!
Da hast du wohl recht, vielleicht sollte ich zu Beginn kurz darauf hinweisen, dass die drei eben in einem Vorlesungssaal in der Uni sitzen, meinst du, das würde schon ausreichen?

Ja.

Zitat:
I see! Durchaus, ja. Vielen Dank! Glaubst du, das problem wäre damit behoben, indem man zu Beginn direkt die Figuren etwas näher beschreibt und ihre Beziehung zueinander und dann darauf aufbaut? Ich möchte die LeserInnen auch nicht vorab mit zu vielen Infos überrumpeln.

Normalerweise wirft man durch Verhalten Fragen auf, die sich der Leser stellt, so dass er danach an den Infos/ Erklärungen interessiert ist. Also in deinem Fall könntest du zB. Joe und Daniel sich seltsam verhalten lassen und dann erklären, warum sie sich so verhalten (On-Off-Beziehung).
Das, oder du haust den kurzen (!) Infoteil einfach hin, wenn die Charaktere zum ersten Mal auftauchen. Ich denke das klappt, weil der Bezug zum Prota und zur Handlung klar ist.

Zitat:
Vincent vorab mehr einzuführen gestaltet sich m.E. insofern schwierig, als dass er der Professor ist, der nicht erschienen ist und somit dieser "Überraschungs-Effekt" der einsetzt deutlich abgeschwächt werden würde. wenn Jamie nach den oberen beiden Absätzen erkennt, wen er da vor sich stehen hat.

Ah ok, ja dann ist die Hörsaalszene wichtig. Du könntest hier schon früh Spannung aufbauen (Der Prof ist doch sonst nie zu spät, ist ihm etwas zugestoßen?). Diese Spannung würde locker das Kapitel tragen.

Zu Vincents Part: ich kenne deine Geschichte nicht, insofern weiß ich nicht, wo die Reise hingeht und wie wichtig Vincent wird. Aber ich sehe bisher in der Vincent Szene keinen Mehrwert. Ich weiß schon, dass er springen will. Ansonsten steht da nichts (nichts, was zum Plot beiträgt, nichts, das Vincent als Charakter entwickelt o.Ä.) Das fühlt sich nach allgemeinen Gedanken an, die jeder Mensch haben würde, wenn er kurz vor dem Springen steht.
Ich würde das entweder ganz streichen, oder aus dem vorherigen Kapitel die Info rausnehmen, dass da jemand springen will. Im letzteren Fall könnte dann während der Vincent POV allmählich klar werden, dass er die Person ist, die der andere sieht, und dass er sich umbringen will. Denn dann passiert etwas, das man vorher nicht schon weiß.


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Nezuko
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N
Beitrag04.09.2022 13:24

von Nezuko
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Grim hat Folgendes geschrieben:

Ah ok, ja dann ist die Hörsaalszene wichtig. Du könntest hier schon früh Spannung aufbauen (Der Prof ist doch sonst nie zu spät, ist ihm etwas zugestoßen?). Diese Spannung würde locker das Kapitel tragen.


Das ist eine sehr gute Idee, das mache ich so, vielen Dank!

Grim hat Folgendes geschrieben:
Zu Vincents Part: ich kenne deine Geschichte nicht, insofern weiß ich nicht, wo die Reise hingeht und wie wichtig Vincent wird. Aber ich sehe bisher in der Vincent Szene keinen Mehrwert. Ich weiß schon, dass er springen will. Ansonsten steht da nichts (nichts, was zum Plot beiträgt, nichts, das Vincent als Charakter entwickelt o.Ä.) Das fühlt sich nach allgemeinen Gedanken an, die jeder Mensch haben würde, wenn er kurz vor dem Springen steht.
Ich würde das entweder ganz streichen, oder aus dem vorherigen Kapitel die Info rausnehmen, dass da jemand springen will. Im letzteren Fall könnte dann während der Vincent POV allmählich klar werden, dass er die Person ist, die der andere sieht, und dass er sich umbringen will. Denn dann passiert etwas, das man vorher nicht schon weiß.


Grundsätzlich geht es darum, dass sich zwischen Jamie und Vincent (also der Professor, der da springen will) über die Zeit eine Freundschaft entwickelt in der später auch romantische Elemente auftauchen und Jamie sich daher vermehrt mit psychischen Krankheiten und Suzidialität auseinandersetzt, wodurch sich seine Einstellung gegenüber der Thematik verändert und er selbst als Person reift (Vincent ist im Übrigen trotz seiner Professur erst 29, ein kleines Genie auf seinem Gebiet und Jamie 23 fast 24 - nur für den Fall, dass aus der Beschreibung heraus das Bild entstehen könnte der Anfang-Mitte 20-Jährige würde einen 60-Jährigen daten - was ich per se nicht verwerflich finde, jedem wie er/sie mag, aber hier muss das nicht sein Embarassed ).
Also Vincent und auch seine Gedanken über die Sinnhaftigkeit des Lebens, die Bedeutung des Todes und generelle Eindrücke aus der Perspektive eines klinisch Depressiven sind für die weitere Handlung zentral und kommen auch noch häufiger vor.
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Seraiya
Geschlecht:weiblichMondsüchtig


Beiträge: 924



Beitrag04.09.2022 13:43
Re: An Feiertagen stirbt man nicht
von Seraiya
Antworten mit Zitat

Hallo Nezuko,


Ich habe mir den Text angesehen, ihn aber nicht zur Gänze gelesen.
Meine Gedanken zum Einstieg schreibe ich mal in Farbe mitten ins Geschehen.
Nezuko hat Folgendes geschrieben:

                                                                                                                    
                                                       Jamie



Okay, mittlerweile ist es fast zehn vor Zwei und so langsam verlässt mich meine Geduld.

Wie lange warten wir hier jetzt eigentlich schon?
<- diese zwei Zeilen braucht der Text für mich nicht.
„Ich glaub das wird heut nichts mehr“, spricht Daniel das Offensichtlich aus und beugt sich zu mir hinüber. „Was sagt du, wollen wir abhauen?“ <- Für mich wäre das ein besserer Einstieg, aber etwas knapper und dadurch realtistischer. Streichen würde ich persönlich "das Offensichtliche" und "Was sagst du"

Als hätte er es beschworen <- auch das braucht es meiner Meinung nach nicht. Eine weitere Möglichkeit wäre mit der Situation in die Vorstellung von Jamie einzusteigen, dass die ersten Studenten im Begriff sind den Hörsaal zu verlassen. Es schafft einen Raum und ein Bild. Du musst selbst wissen, ob du das möchtest. schwillt mit einem Mal das monotone Stimmengewirr um uns herum an. Die ersten erheben sich und drängeln sich durch die Sitzreihen in Richtung Ausgang.<- oder Tür.
Ich nicke kaum merklich. Gerade will auch ich meine Sachen zusammenpacken, da <- da rollen sich da unten meine Fußnägel hoch und dann schmerzt es da und ich kann den Schmerz da nicht ertragen. Das da geht eleganter ohne den lockeren Ton zu verlieren. schaltet sich plötzlich Joelle dazwischen.

„Wir können nicht einfach gehen!“, behauptet sie und straft Daniel und mich <- uns? uns beide? wären ebenfalls Möglichkeiten mit einem ärgerlichen Blick.

„Doch, doch, linker Fuß, rechter Fuß, und dann immer so weiter, ganz einfach“,  erkläre ich, <- hier bleibe ich wieder hängen. Es ist ja keine Erklärung, sondern Humor - ein freundschaftliches Necken. während ich mein Tablet in meinem Rucksack verstaue.

Joe schnaubt verächtlich. „Und wenn er kommt und es ist keiner da?“, möchte sie wissen.

„Meine Fresse Joe, wenn er kommt und es ist keiner da, <- das könnte für mich auch raus dann ist Professor Twany selbst Schuld, er ist mehr als eine halbe Stunde zu spät“, stöhnt Daniel. Er macht eine bedeutsame Geste Richtung Ausgang <- oder Tür und wirft mir einen hilflosen Blick zu. „Also <- könnte raus, muss aber nicht. Klingt etwas unhöflich bzw forsch ohne das Also. Ob das "hilflos" hier angemessen ist ... hm. Abmarsch.“

„Aber was wenn…“, startet Joelle einen letzten <- vielleicht einfach nur einen "neuen".Versuch und doch muss sie sich wohl eingestehen, <- auch das geht etwas (für mich) angenehmer. Zum Beispiel: "... startet Joelle einen neuen Versuch, muss sich aber sofort eingestehen, dass - muss sich aber eingestehen, dass ... - auf jeden Fall stört mich das "und doch" dass sie verloren hat. Inzwischen sind wir auch <- das braucht es auch nicht. die letzten im Vorlesungssaal. Der Rest hat längst die Fliege gemacht. Gut für sie, aber die haben ja <- das kann auch weg. auch keine beste Freundin namens Joelle Awadah, die das Studium manchmal ernster nimmt, als es wahrscheinlich gut für sie. Und für mich. Und meine Nerven. Vor allem für die.

„Komm schon“, murre ich. „Selbst wenn der noch kommt, dann ist eh keiner von uns <- das könnte auch weg. mehr da. Also kann er keine Vorlesung halten und du verpasst auch nichts.“ <- Ich denke, man muss sich fragen, ob es diesen idiotensicheren Zusatz braucht und falls ja, wie man ihn im Gespräch unter Freunden authentischer gestalten kann.

Joelle lässt ein resigniertes Seufzen hören. Ruckartig steht sie auf <- das würde sich für mich verbunden mit dem vorherigen Satz besser lesen lassen. "... lässt einen resignierten Seufzer hören, steht (ruckartig) auf und wirft ..." und wirft Daniel und mir einen dermaßen angesäuerten Blick zu, als wäre es allein unsere Schuld, dass unser Professor heute offensichtlich bessere Dinge zu tun hat, als seinem Bildungsauftrag nachzukommen.  â€žNa gut, lasst uns gehen“, gibt sie sich endlich geschlagen.



Der Ton ist der Geschichte angemessen, denke ich. Für mich persönlich müssten unter anderem idiotensichere Formulierungen weg. Du kannst dem Leser ruhig etwas mehr zutrauen und die drei Protagonisten natürlicher und ungezwungener miteinander umgehen/sprechen lassen, ohne dass Erklärungsbedarf zurückbleibt. Damit meine ich auch Bewegungen oder Gesten wie z.B. die Zigarettenschachtel, die aus der Jackentasche gekramt wird.  
Nezuko hat Folgendes geschrieben:

, kramt sie auch schon in der Tasche ihrer Lederjacke und und fördert eine ziemlich zerbeulte Kippenschachtel zu Tage

Vielleicht bin ich mal wieder zu pingelig, aber eine Jackentasche ist keine Handtasche mit viel Stauraum und ein Raucher hat die Zigaretten parat ohne kramen zu müssen, behaupte ich als Nichtraucherin, die mal Raucherin war. Sie könnte die Schachtel auch einfach aus der Jackentasche holen oder eben zu Tage fördern. Ich verstehe Jamies Sprache im Text und will sie ihm nicht wegnehmen, doch es klingt für mich einfach nicht und schafft ein Bild, das ich in Frage stelle.


Insgesamt bewerten möchte und kann ich die Geschichte nicht - Ton und Inhalt sind soweit gelesen nicht meins - aber ich glaube, das wird.
Ich habe die anderen Kommentare nicht gelesen, weiß also nicht, ob ich hier etwas erwähne, was vielleicht schon angemerkt wurde.


Vielleicht ist etwas Hilfreiches dabei.


LG,
Seraiya


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Dyrnberg
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Beitrag04.09.2022 17:12

von Dyrnberg
Antworten mit Zitat

Ich würde nicht einbauen, dass die Studis sich fragen, ob dem Professor "etwas zugestoßen" ist. Meines Erachtens baut das keine Spannung auf, sondern wirkt unnatürlich - und im Gegenteil: Dann würde ich damit rechnen, dass ihm etwas zugestoßen ist. Ich fand es in der ersten Version gerade gut, dass man - oder ich - nicht damit rechnete, noch etwas über den Verbleib des Professors zu erfahren. (Allenfalls würde ich "Professor" in den Dialogen rausnehmen. Studis sagen wohl eher nicht "Professor X" wenn sie über einen Professor reden, sondern nur X.)

Und eine Kleinigkeit: Wie passt der Titel zur Szene? Am Feiertag wird ja wohl kein Uni-Unterricht sein? Oder bezieht sich der Titel auf ein späteres Ereignis im Roman?

Ich würde nicht unbedingt den zweiten Teil rund um Vincent so stark kürzen, sondern eher den ersten Teil um ein Drittel kürzen. Ansonsten finde ich die Idee und den Aufbau sehr, sehr fein.

As you see: Deine Leser sind nicht einer Meinung. wink Das ist ja das schwierige.


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Nezuko
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N
Beitrag04.09.2022 19:37

von Nezuko
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Dyrnberg hat Folgendes geschrieben:


Und eine Kleinigkeit: Wie passt der Titel zur Szene? Am Feiertag wird ja wohl kein Uni-Unterricht sein? Oder bezieht sich der Titel auf ein späteres Ereignis im Roman?



Oh, ganz einfach Embarassed :


„Eine Phase?“ Professor Twany guckt mich an, als hätte ich ihm gerade eröffnet, dass ich zum Frühstück gerne Kinderherzen esse. „Denkst du, ich bin einfach nur geistig verirrt oder wie darf ich das verstehen?“

Ja.

„Nein“, erwidere ich. „Ich meine nur, ach keine Ahnung. Sehen Sie sich doch mal um.“
Mit einer ausladenden Bewegung deute ich auf den Wald um uns herum und dann auf die Skyline der Stadt, die sich in der Ferne vor dem strahlend blauen Himmel abzeichnet.
„So ein schöner Frühlingstag und alles. Und bald ist Ostern.“

Professor Twany zieht unbeeindruckt die Brauen hoch. „Was soll Ostern damit zu tun haben?“

„Was weiß ich“, murre ich. „Ist doch das Fest der Auferstehung und so.“ 

Da wird nicht gestorben. Da steht man wieder auf. So einfach ist das.

„Ahja und du meinst an solchen Feiertagen darf man nicht sterben?“

„An Feiertagen sollte man überhaupt nicht sterben, sowas gehört sich nicht." So langsam wird mir das ganze hier lästig. Was soll das überhaupt? Bin ich ein Priester oder sowas? An Feiertagen soll man feiern und sterben ist ja bekanntlich eher so ein Partykiller.


Und am Ostersonntag gehen sie dann zusammen in eine Kunstausstellung und ab da "kippt" die Beziehung zwischen den beiden. Embarassed
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