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Morgen, Abend, und der Tag dazwischen, eine Prosaskizze


 
 
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dürüm
Wolf im Negligé

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Beitrag07.09.2022 12:12

von dürüm
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[quote="thepriest"]Ein paar wenige Striche nur, eine lockere Skizze und schon ist man mitten drin in der Sommerfrische des Jahres 1910. Eine spätere kurze Recherche lässt vermuten, dass man mit Emy Frisch (nein, es war Emma Richter gemeint, also die Malerkollegin) unterwegs ist, der späteren Frau des Brücke-Malers Karl Schmidt-Rottluff.(Volltreffer) Doch dies spielt für den Lauf der Geschichte nur bedingt keine Rolle.

Ein Buch wird geöffnet, Schnitzler gibt Struktur. Entlang des Reigens entspinnt sich ein weiterer Reigen. (der Reigen spielt sich von der Dirne bis zum Grafen durch alle Gesellschaftsschichten, Rosa ist promovierte Kunsthistorikerin (Rosa Schapire), also "Kopf", Emma ist Künstlerin , also Gefühl) Die Stimmung ist zunehmend erotisch (also, so dramatisch hätte ich es jetzt nicht interpretiert) aufgeladen. Es prickelt; Salz auf unserer Haut. Karl lässt es geschehen (ja klar, weil er nicht involviert ist als Kollege), keine "zwanzig Minuten vor Schluss-Krise" stört den zärtlichen Tanz der beiden Frauen.

Schließlich der doppelte Klimax, komprimiert in zwei Buchstaben. Selten war ein "Ja" so intensiv gefüllt mit Bildern und Sinneseindrücken. Und auf einmal ist der Weg weit offen.

Prädikat: Besonders wertvoll! (freut mich, dass es Dir gefallen hat und Danke für die 12 Punkte!!)[/quote]


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(Oscar Wilde)
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dürüm
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Beitrag07.09.2022 12:34

von dürüm
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sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Erst einmal zum Titel, der wirklich schön wäre, wenn da nicht fast wie eine Entschuldigung das mit der Prosaskizze (ja, da ist wohl der Erklärbär mit mir durchgegangen angehängt wäre. „Morgen, Abend und der Tag dazwischen“, das klingt richtiggehend nach klassischer Weltliteratur Embarassed . Ansonsten haben wir da wohl Emma Richter, Karl Schmidt-Rottluff und Rosa Schapire. (Yep) Der Rest scheint mir dann eher künstlerische Freiheit zu sein, zumal Rosa promovierte Kunsthistorikern und Kunstsammlerin war und Emma wohl von Karl vorgestellt wurde. Und Emma sich weigerte, ihr Bilder zu überlassen. Verdammt, ich habe so viel recherchiert, aber das Detail ist mir entgangen Die Freiheiten finde ich aber ganz in Ordnung. Auch die Sprache gefällt mir, Shocked Embarassed DANKE! obwohl kurze Sätze eigentlich nicht so mein Ding sind. Hier aber passt es zum Skizzencharakter, zum bewussten Fokus auf fast fragmentarische, äußere Wahrnehmungen. Oft sind es ja sogar nur Nominalphrasen. Da hätte man jetzt einen schönen Zusammenhang konstruieren können zu den Bildern selbst, wenn Emma und Karl impressionistisch gemalt hätten, haben sie aber nicht, sondern expressionistisch (ja klar, das habe ich auch, offensichtlich nicht erfolgreich, versucht darzustellen (auch wenn Emma bei Lovis Corinth in die Schule gegangen ist).

Das alles weiß ich natürlich nicht einfach so, sondern habe ich nachgeschaut. Aber eher aus Zufall, denn der Text bleibt leider ahistorisch, wirkt eher märchenhaft, schrammt so gerade am Kitsch  (man suche nach einer kitschigen Liebesgeschichte mit Happy End und voilá mein Text)vorbei. Nun gut, Umberto Eco hält auch Hemingways „The Old Man and the Sea“ für Kitsch (echt?), doch hier in diesem Text taucht nicht die leistete Ahnung von einem Problem auf, von Schwierigkeiten, von Verwirrungen, von irgendeiner tiefen Erfahrung. Alles stellt sich einfach dar, wird nicht hinterfragt, bleibt oberflächlich (und ich dachte, Antisemitismus, lesbische Liebe, Vorkriegszeit etc. hätte gereicht als Hintergrundproblem ...) . Nicht einmal eine heterosexuelle Beziehung ohne Trauschein wäre zu der Zeit unproblematisch gewesen, geschweige denn eine gleichgeschlechtliche. Doch im Text fragt sich Emma nicht einmal, wo das hinführen soll, versucht nicht, ihre Gefühle zu orten … in der Tat kommen ihre Gefühle so gut wie überhaupt nicht vor, obwohl die Geschichte doch aus ihrer Perspektive geschrieben ist (wenn auch zugegebenermaßen nicht besonders nah dran).

Nun kann man so eine Erzählung wie einen Film mit Weichzeichner natürlich auch absichtlich so machen. Peter Weir hat es mit „Picknick at Hanging Rock“ getan und im Alleingang das australische Kino erneuert. OK, nicht wirklich Weichzeichner, aber hoch-stilisiert. Aber dafür ist das Sujet nicht geeignet, meiner Meinung nach, die Expressionist:innen hätten Pastellfarben gehasst (ja haben sie. Und ich habe wirklich versucht keine Pastellfarben zu erwähnen beim Malvorgang). Der erste Weltkrieg stand bevor, die industrielle Revolution hatte die Gesellschaft verändert, etc. Die Bilder der Expressionist:innen waren nicht darauf ausgerichtet vordergründig schön zu sein, gefällig zu sein, sondern innerlich wahr. Und leider nimmt der Text auch das noch Emma weg. Der Malprozess ist so oberflächlich geschildert, als ob es sich dabei um die Zubereitung des Frühstücks handelte. Weder Kampf, noch Rausch, noch Zweifel, noch Suche. Nur ein paar Striche, fertig. (ich hatte Bedenken, den Malprozess noch ausführlicher zu schildern Crying or Very sad )

Natürlich habe ich den Text trotzdem gerne gelesen (DANKE!), endlich stirbt mal niemand und die Grundtendenz ist sogar positiv und lebensbejahend. Aber wie viel stärker wäre das gewesen, wenn der Text das Negative (sagen wir zum Beispiel Geldmangel) nicht verschwiegen hätte, sondern gezeigt hätte, wie die Beziehung, die Verliebtheit das alles in den Hintergrund treten lässt. Und wenn der Text in die Tiefe gegangen wäre, den Tumult in Emma geschildert hätte und sicher auch die Angst, sich in etwas zu verlieren, das möglicherweise keine Zukunft haben kann. Und das ist wohl der wertvollste Hinweis, den ich für meine zukünftigen Texte mitnehme!
Dir sind 7 Punkte entgangen.


Hallo sleepless,

diese Rezension ist ein Geschenk. Danke dafür! Und für die Punkte, und das genaue Googlen!

Gruß
Kerem

PS https://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Schapire#/media/Datei:Gramatte_Rosa_Schapire.jpg

An dieses Porträt (das natürlich nicht von Emma ist, sondern von Walter Gramatté) habe ich als Vorlage für die Beschreibung des Malvorgangs gedacht. da kommt das "sanfte Blaugrau" her. Karls Porträt von Rosa hat mir einfach nicht so gut gefallen. Aber es wäre von der Farbwahl her natürlich "expressionistischer" gewesen. Insofern hast Du natürlich  (wie immer *grummel*) recht.


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Beitrag07.09.2022 13:44

von dürüm
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Zitat:
Einer der besseren Beiträge des Wettbewerbs: sprachlich schöne Formulierungen, tolles Spiel mit den Farben, leise Erotik und schöner Aufbau mit den zehn Akten angelehnt an den Aufbau von Schnitzlers "Reigen". Feine Sache.
Anmerkungen, außer die im Text bereits genannten:
Schnitzlers Reigen spielt in zehn Akten zehn unterschiedliche Figurenkonstellationen durch, während dieser Text eine - Emma und Rosa - in zehn Akten fragmentiert und gerade diese Schnitzler-referenziellen Titel und Fragmente trotz Kontinuität die Handlung in Blöcke aufteilen und für künstliche (oder künstlerische) Bremsbewegungen sorgt, wie ein Wagen, der anfährt, bremst, wieder anfährt, wieder bremst usw. somit ein ruckeliges Texterlebnis verursacht. Frage wäre, warum die Referenzen an die zehn Akte gewählt worden sind, obwohl nur ein Akt selbst thematisiert wird? Ist die Gefahr des Ungleichgewichts mitkalkuliert worden, dass die Akt-Referenzen zu sehr rausreißen könnten, als dass sie dem Text in seiner Gesamtheit unterstützen?

Vielen Dank für die intensive Beschäftigung mit einem der auffälligsten Merkmale meines Beitrages. Ja, Schnitzlers Text hat zehn Akte mit wechselnden Personen-Konstellationen (die sich über Graf und Dirne) zum "Reigen" schließen und dadurch quasi im Kreis drehen. Das ewig gleiche Spiel, keine Liebe, sondern Sex. Spannung baut sich auf - und wieder ab. Immer Mann und Frau, immer "der Mann drängt, Frau ist eher zurückhaltend", bis zum "-" und danach "Mann will weg, Frau will Beziehung intensivieren". Der Klassiker, Mann heuchelt Gefühle, um Sex zu bekommen, und danach ist es vorbei mit der Leidenschaft.
Das Gegenteil mit Emma und Rosa, übrigens Emma Richter (Malerin und Kollegin von Karl Schmidt-Rottluff von der Künstlergruppe "Die Brücke") und Rosa Schapire, promovierte Kunsthistorikerin aus Hamburg. Statt sich im Kreis zu drehen, entwickelt sich die Beziehung der beiden gradlinig und auch ein erotisches Zwischenspiel führt nicht etwa zum Abflachen der Gefühle. Als klarer Gegensatz zu dem Ablauf der Reigengeschehnisse.


Hier im Text geht es nur um den Beginn einer Liebe zwischen Emma und Rosa, Yep! auch 1910 eine sehr delikate Sache, die normalerweise nicht öffentlich gezeigt wird, auch wenn sie nicht verboten ist (wie homoerotische Beziehungen zwischen Männern). Zumindest bietet sich ein Nordseebad mit seiner Abgeschiedenheit als Aufblühen an. Welche Rolle hat Karl im Text? Eine ménage à trois sieht anders aus. Karl ist sehr passiv und sehr unwichtig im Text, spielt er keinerlei wichtige Rolle. Er ist da und frühstückt oder malt. That's it. Er ist Füllmaterial, der keinerlei Dramatik oder Tragik in den Text bringt, da er keine wirklich relevante (private) Interaktion mit Emma hat und auch sonst kaum ausgearbeitet ist, um in irgendeiner Art und Weise mehr zu sein als ein Freund oder Bekannter, der auch Urlaub im Seebad macht. Sie tut ihr Ding, er macht sein Dings, malt die beiden im achten Akt und dann ist er rauskizziert aus dem Text und wird von niemandem vermisst. (interessant, wie viel Du über etwas schreibst, was nicht da ist. Karl (Schmidt-Rottluff) ist Malerkollege und dient einmal als Gegensatz zu Emma (der Hinweis auf Schnitzler, das unbedingt pünktliche Frühstück, das schweigende Malen (während Rosa viel lacht), das "Nichtwahrnehmen" der Beziehung zwischen Rosa und Emma bei ihrer Rückkehr, der totale Rückzug in seine Malerei) und auch als "Fingerzeig" auf die Künstlerkolonie "Die Brücke", deren prominentestes Mitglied er war)
Insofern entsteht das Gefühl - trotz des gelungenen straffen, teilweise stichwortartigen Erzählens - eines etwas aufgeblähten Textes, der schöne Natur- und Farb-Beschreibungen zu bieten, DANKE!! hat.

Ob es für Punkte reicht, wird sich zeigen.

Im Vergleich mit allen Wettbewerbstexten und da zehn Texte bepunktet werden müssen, bekommt dieser hier: dix points.

Merci beaucoup
Constantine


Hallo Constantine,

sei bedankt für Deine viele Mühe und die umfangreiche Kritik, die mir wieder klar vor Augen geführt hat, das nicht alles, was man sich denkt, beim Leser auch so ankommt.
Besonderen Dank für den zweiten Platz!
Das ist viel mehr, als ich gerade im Rahmen dieses Wettbewerbs erhofft hätte.

Gruß
Kerem


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Beitrag07.09.2022 15:20

von dürüm
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holg hat Folgendes geschrieben:
als Film eine prächtige Jane Austen Verfilmung aus 2005 oder eine moderne Effi Briest, etwa 2009.
Da fragt sich der Bildungsbürger, ob Emma und Karl vielleicht an das Malerehepaar der von Müllers (sie geborene Stumm aus Neunkirchen, ja die Industriellentochter, daher das Geld, sich den ganzen Sommer lang in einer gehobenen Strandresidenz einzumieten, ohne sich mit den lästigen Finanzen auseinander zu setzen und Bittbriefe an die üblichen Gönner zu verfassen) angelehnt sind, nur um nach einem Blick in die Wikipedia enttäuscht festzustellen, dass beide 1910 knapp schon nicht mehr unter den Lebenden weilten.Es sind stattdessen wohl Karl Schmitt-Rottluf, Emma Ritter, andere Brücke-Maler*innen und Rosa Schapire, die das billige Dangast um die 10er Jahre bevorzugen. Und schwups bin ich einen halben Nachmittag im Internet verschwunden, um diesen Menschen und ihrer expressionistischen Kunst hinterher zu spüren, von der vieles wegen der Cancel Culture der verfickten Nazis verschollen ist. (Ja genau!)

Nichtsdestotrotz ein sehr angenehm zu lesendes Wilhelminisches Sommermärchen, das fragmentarisch und von Auszügen aus dem Reigen begleitet eine bezaubernde Geschichte mehr andeutet als ausformuliert.

Eine Geschichte, die so sehr ins Damals passt, wie sie heute wieder gewisse Kreise erschüttern würde. (Vielen vielen Dank!)


Hallo holg,

vielen Dank für Deine aufmerksame und wohlwollende Beschäftigung mit meinem Text. Schön, dass Dich die Geschichte des Expressionismus genauso gepackt hat.

Wir haben ja beide inmitten unserer Texte die Erzählzeit geändert. Du von  Präsens in Futur und ich von Präteritum ins Präsens.

Das erzeugt schon immer eine besondere Dynamik, wobei ich diesen Zeitensprung ins Futur so zum ersten Mal bei Dir gelesen habe. Total spannend.

Danke und Gruß
Kerem


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Beitrag07.09.2022 15:24

von dürüm
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Reimeschreiberin hat Folgendes geschrieben:
Sommerfrische. Kurz nach der Jahrhundertwende. Seepromenade. Conversationshaus. Und eine Frau, die Schnitzler liest, heimlich.
Zwischen den Zitaten aus "Reigen" entspinnt sich ein Bild der Gesellschaft jener Zeit. Und wie in "Reigen" geht es auch hier um stilles Verlangen, um gesellschaftliche Tabus, um Ehebruch (da es sich bei Karl nur um den Malerkollegen von Emma handelt ist es tatsächlich kein dramatischer Ehebruch) und in dieser Geschichte auch um die Liebe einer Frau zu einer Frau. Nur dass hier die Protagonistin letztlich aus den gesellschaftlichen Konventionen ausbricht und ihrem Herzen folgt.
Gekonnt inszeniert und beschrieben. Ich war gerne zu Gast in Dangast. (Vielen Dank für das Lob und die Punkte!


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Beitrag07.09.2022 15:45

von dürüm
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Heidi hat Folgendes geschrieben:
Das Thema

Emma und Rosa in Love.
Dem Text werden Ausschnitte aus Schnitzlers Werk ‚Reigen‘ (ich kenne es nicht) gegenübergestellt. Emma wird eindeutig als Künstlerin dargestellt, die in einem wundervollen Sommer eine wundervolle Liebesgeschichte erlebt und ihr altes Leben verlässt, um mit ihrer Liebsten in Hamburg neu anzufangen. (Korrekt!)

Der Titel

Gelungen. (Danke!) Er sagt das, was ich dann auch erlebe beim Lesen. Dass es zwischen Morgen und Abend einen ganzen Tag gibt, zeigt mir die Intensität der beiden liebenden Frauen und gibt mir einen Hinweis darauf, wie sehr sich die Zeit dehnt bzw. wie irrelevant die Zeit ist (Genau!), wenn sich jemand in der Phase des Verliebtseins befindet.

Der Anspruch / Die Ungefügigkeit / Die Eigenständigkeit

Es ist jetzt nicht so, dass ich mich extrem anstrengen muss beim Lesen, weshalb ich hier nicht unbedingt von einer ungefügigen Geschichte sprechen möchte, anspruchsvoll ist sie aber allemal, sie besitzt mehrere Schichten und sie hat auch was Eigenes. (Danke!)

Die Sprache

Durch die teils knappen Sätze entsteht eine Art Drehbuch oder Theaterstück-Charakter. (Sehr gut erkannt, das war meine Absicht) Das finde ich schön, auch im Zusammenhang mit den zugefügten Schnitzler-Zitaten. Es ist eine schnörkellose, klare Sprache, die durch den Inhalt der Worte rosarot wird wie Rosa selbst.
An manchen Stellen kitscht es mir ein wenig zu doll (Tschuldigung!).

Der Gesamteindruck

Schon beim ersten Lesen hatte ich das Film-Drama ‚Porträt einer jungen Frau in Flammen‘ vor meinen Augen. Die Liebe zweier Frauen, für die es – anders als bei Emma und Rosa – kein Happy End in Sachen Liebe geben kann. Nicht nur, dass die eine in deiner Geschichte agierenden Frau, die andere malt, es ist auch das Küsten-Setting, das daran erinnert und die Schnitzler Zitate, die sprachlich ebenfalls aus einer anderen Zeit kommen. Wobei der genannte Film natürlich noch früher spielt, als Schnitzler gelebt hat (und die Geschichte spielt), es kommt aber doch das Gefühl auf.

Haha, ich habe jetzt doch nachgegoogelt, weil ich neugierig war. Der ‚Reigen‘ wurde von 1896 bis 1897 geschrieben und war damals offensichtlich Gegenwartsliteratur. Und das Thema des Stückes! Wie geil, ich habe erst gelesen was inhaltlich abging, und dachte: Meine Güte, wie mutig war der Mann in seiner Zeit Sex als Thema aufzugreifen. Danach las ich dann erst, dass das Stück einen Theaterskandal ausgelöst hat. Sehr spannend. Das ist Lektüre, die ich im Hinterkopf behalten sollte, um sie beizeiten zu lesen. Danke dafür.  (Immer wieder gern!)

Ob dieser Text nun an den von mir erwähnten Film erinnert oder nicht, sei mal dahingestellt. Ich habe keine Ahnung, ob es eine Anspielung darauf sein soll und letztendlich ist es auch egal; es geht bei einem Text ja immer darum, ob er – unabhängig von eventuellen Anspielungen – auch für sich sprechen kann.
Insgesamt fügt sich hier alles gut, es entstehen sehr schnell Bilder und der Liebestaumel der beiden agierenden Frauen wird fühlbar. Es gibt eine Steigerung, die darin ihr Ende findet, dass Emma mit Rosa mitkommen möchte nach Hamburg. Mir ist das tatsächlich zu kitschig, muss ich sagen.
Gerade Sätze wie diese:

Zitat:
Emma malte. Leidenschaft und Sehnsucht. Kräftige Striche, klare Linien. Sanftes Blaugrau, reifes Gelb, kühne Akzente, fast zartes Rot. Schwarz. Diese Augen. Tiefe. Verstand. Mutwillen.


Zitat:
Weitgereist ist Rosa. Studiert hat sie. Weit ist ihr Verstand. So klar wie die Luft, so silbrig wie die sprühende Gischt. Das Gewitter zieht vorbei.


Zitat:
Sie laufen durch den Regen, stürzen sich in die Brandung. Kälte. Wucht. Der Boden entzieht sich Emma. Sie lässt sich treiben. Neben Rosa. Spürt sich wieder. Und Rosa. Öffnet sich dem Himmel.


Zitat:
Rosa beugt sich zu ihr, löst ihren Zopf und flüstert: „Meine Schöne.“


Sicherlich heißt Rosa nicht umsonst Rosa (naja, ich hätte dramaturgisch auch lieber einen anderen Namen gewählt, aber Dr. Rosa Schapire  (die erste promovierte Kunsthistorikerin in Deutschland) hieß nun einmal Rosa, ein durchaus beliebter Vorname in jüdischen Kreisen um die Jahrhundertwende https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/sag-mir-wie-du-heisst/, denn hier ist einfach alles rosa. Wäre am Ende ein wenig Kontrast vorhanden, dann wäre ich zufrieden. (der fehlende Konflikt, das hat sleepless auch angemeckert. Und ich dachte, dass lesbische Liebe im wilhelminischen Kaiserreich vor dem Hintergrund von Antisemitismus schon brisant genug war ...) So erlebe ich die pure Zuckerwatten-Idylle und nichts als Glück. Vielleicht soll der Text durch die Schnitzler-Zitate, die ja aus einem Drama entnommen wurden, diesen Kontrast bilden. Da ich das Stück aber noch nicht gelesen habe, kann ich mir das auch hiermit nicht zusammenreimen und selbst, wenn ich es gelesen hätte, würde ich das nicht unbedingt wollen.
Wie bereits erwähnt, finde ich, ein Text muss für sich allein sprechen können, ohne irgendwelche Hintergrundinformationen und literarisches Vorwissen, damit er für jeden Menschen sprechen kann. (Ja, da habt Ihr wohl recht!)

Alles in allem ist das hier ein schöner, rosa Text, in den ich gerne eingetaucht bin und der doch ein angenehmes Gefühl erzeugt. Neue Erkenntnisse liefert er mir nicht unbedingt, es handelt sich eher um eine Wohlfühlgeschichte für laue Sommerabende und weil ich gerade Bock auf Harmonie habe und irgendwie auch darauf, genau das zu erleben, was Emma und Rosa mir vormachen, bekommt der Text trotz (oder vielleicht gerade wegen) dem Kitschfaktor ganze sieben Punkte. Gratulation!


Vielen Dank für die ausführliche Beschäftigung mit meinem Text und die hohe Platzierung, mit der ich in diesem Wettbewerb nicht gerechnet hatte!

Gruß
Kerem

Memo für mich selbst:
*ich muss an meinen Konflikten arbeiten


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Beitrag07.09.2022 15:57

von dürüm
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Globo85 hat Folgendes geschrieben:
"Seitensprung" oder ThElmma und Louise Rosa

Vorgaben:
  • Begegnungen und/oder Abschiede: Emma und Rosa
  • Anbahnende Veränderung: Emma verlässt ihren Mann
  • Sommergäste/Nichtbeachteter Schuss: Alle Gäste in Dangast und Karl, der sich nicht für die Affäre interessiert?
  • Ist das E? Äh, ja!

Eindrücke:
Oh, das mag ich gerne. Ein wundervoller Stil, verknappt, schnörkellos und trotzdem irgendwie bildgewaltig. Durch die kurzen "Episoden" fliegt man nur so durch den Text und was für eine wundervolle Geschichte. Da hab ich wirklich überhaupt nix zu mäkeln und schwärme lieber noch ein bisschen. Etwa davon, dass hier wirklich jedes Wort sitzt. Dass ein richtiger Film abläuft, vor meinem inneren Auge, mit so viel mehr Informationen, als da im Text tatsächlich drin stehen, aber die, die drin stehen, die malen eben ein Bild, ein umfassendes Bild. Ja, eigentlich passt Bild viel eher als Film. Der Text für mich eher eine Aneinanderreihung von Gemälden (und damit dann ja doch auch wieder irgendwie ein Film). Ich kann das Salz in der Luft schmecken, den Wind spüren. Dann noch diese zierlich aufkeimende Romanze. Einfach herrlich.

Lieblingsstelle:
Zitat:
Emma malte. Leidenschaft und Sehnsucht. Kräftige Striche, klare Linien. Sanftes Blaugrau, reifes Gelb, kühne Akzente, fast zartes Rot. Schwarz. Diese Augen. Tiefe. Verstand. Mutwillen.


Fazit:
Ganz klar mein erster Platz und damit 12 Punkte. Bonusfazit: In meiner internen Titelwertung hats zwar aufs Treppchen, aber doch "nur" für Platz 3 gereicht.


Was soll ich sagen.  Du hast zwar Emmas Malerkollegen (auch, Du warst nicht der Einzige) für Ihren (desinteressierten) Mann gehalten, aber hast Dich dadurch nicht von Deiner Freude an meiner Bildsprache abhalten lassen.

Vielen Dank für Deine Beschäftigung mit dem Text, Deine Begeisterung, Dein Lob und die vielen Punkte!

Danke
Danke
Danke

Gruß
Kerem

PS
Du hattest in Deinem Text auch immer wieder "lyrische" Wendungen, die mir aus ebendenselben Gründen besonders gefallen hatten!


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Beitrag07.09.2022 15:59

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Kojote hat Folgendes geschrieben:
Liebes verfassendes Wesen,

heißa, da hast du uns aber was sehr Anspruchsvolles serviert!

Bevor ich zum nächsten Gang eskaliere, muss ich den Küchenchef daran erinnern, dass meine Obergrenze für Haute cuisine hiermit bei weitem überschritten ist. Deftige Hausmannskost wäre mir lieber. Oder besser gesagt: Etwas, bei dem ich weiß, was ich esse.

Leider reicht es daher von meiner Seite hier nicht für Punkte.

Bedaure!

Ciao
Kojote


Hallo Kojote,

hey, es gab Schwarzbrot und Rührei. Und Tee. Das ist definitiv Hausmannskost. Very Happy

Danke für´s Lesen und Kommentieren!

Gruß
Kerem


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Beitrag07.09.2022 16:09

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nicolailevin hat Folgendes geschrieben:
Sommer 1910: Emma (Ritter?) Daumen hoch² ist mit ihrem wortkargen und etwas bornierten Mann (nicht ganz, Malerkollege) Karl (Schmidt-Rottluff?) an der Nordsee zum Malen. Sie liest heimlich Schnitzler und trifft eine selbstbewusste, emanzipierte Frau namens Rosa (ich denke natürlich zuerst an R. Luxemburg, aber sehe, dass deren Biografie diese Begegnung eigentlich nicht hergibt) (gut erkannt, nein, es handelt sich um Rosa Schapire, eine jüdische promovierte Kunsthistorikerin aus Hamburg), mit der sie ein leidenschaftliche Affaire beginnt und mit der sie am Schluss durchzubrennen verspricht.

Wortgewaltig kommen die Impressionen auf mich zugebrandet. Die sehr kurzen Sätze schaffen zu Beginn mit größtmöglicher Ökonomie mächtig Stimmung, zum Ende hin empfinde ich sie als störend, da hat mich die Geschichte längst gefangen und ich hätte lieber einen flüssiger lesbaren Rhythmus. (hm, das ist auch ein Gedanke. Ich habe versucht, das skizzenhafte, expressionistische bis zum Schluss durchzuziehen)

Man mag streiten, ob das nicht doch „nur“ eine Pastiche ist und zu wenig zeitgemäß, aber ich mag den Text einfach (was will man mehr) (zugegeben, ich mag auch Schnitzler und Stefan Zweig, und zwar so richtig) – außerdem passt er rein von der Zeit (und ihrem Stil) her gut zur Gorki-Vorgabe.

Ich staune, wie viel man in so einen kurzen Text packen kann, aber das ist dann auch wieder ein Kritikpunkt. Ich hätte diese wunderbare Geschichte gern ausführlicher erzählt bekommen – ja, so ein Novellenformat wie das von Schnitzler käme gerade recht …

Kleinigkeit zum Bekritteln: Eine Bibliothekarin ist keine Buchhändlerin (natürlich nicht, aber ich dachte auch eher an die Leihbibliothek im Conversationshaus von Dangast, deshalb Bibliothekarin)

Ein (zugestandenermaßen etwas trotziger) zweiter Platz von mir: 10 Punkte. Vielen vielen Dank!


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Beitrag07.09.2022 16:14

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Schlomo hat Folgendes geschrieben:
Mir gefällt der Aufbau. Ich mag es, wenn auf kleinstem Raum ganz Großes geschieht, und ein wenig denke ich dabei am Lems Vollkommene Stille Leere.


Das Buch von Lem sagte mir nichts, also habe ich es gegoogelt.

Und das klingt tatsächlich nach einer spannenden Idee. Rezensionen zu Büchern, die es nicht gibt. Geniale Idee.
Alleine die Beschreibungen der Rezensionen machen mir Lust auf mehr.

Also tatsächlich ein Buch, das ich mir besorgen werde.

Danke für die Inspiration und Dein Lob!

Gruß
Kerem


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Beitrag07.09.2022 16:48

von dürüm
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Minerva hat Folgendes geschrieben:
Mark Twain hat Folgendes geschrieben:
Schreiben ist leicht. Man muß nur die falschen Wörter weglassen.


Inhalt:
1910 in Dangast an der Nordsee geht Emma frühmorgens an den Strand, um - vor Freund, Partner oder Verlobten Karl  (vor der spießigen Gesellschaft in der Zeit, Karl hätte zwar wahrscheinlich mit den Augen gerollt, aber dann einfach weitergemalt) verborgen – ein frivoles Theaterstück von Arthur Schnitzler zu lesen. Eine andere junge Dame am Strand zieht ihre Aufmerksamkeit auf Emma. Beim späteren Gang zum Frühstück sitzt die Dame vom Strand da und schaut dem Karl über die Schulter. Emma holt ihre Malutensilien und bittet die Dame namens Rosa, sie zeichnen zu dürfen. Anschließend wird ein Strandspaziergang unternommen (ohne Karl) und es kribbelt schon. Nach Kuss und Nacktbaden lassen sich die beiden von Karl, der vermutlich überhaupt nichts checkt, malen. Nach einer Nacht zusammen muss Rosa abreisen und fragt Emma, ob sie mitkommt. Emma sagt Ja. (korrekte Kurzzusammenfassung!)

Wertung
Der Übersichtlichkeit halber habe ich die Details zu den Kategorien in den Fußnoten ausführlich aufgeführt. Die Wertung dient dazu, die Geschichte für den Wettbewerb ranken zu können, deswegen wird alles im Detail betrachtet, bitte nimm es nicht als zerpflückende Kritik wahr, sondern als eine intensive Auseinandersetzung (vielen Dank dafür!).

1 Die Geschichte an sich 5/5
Ich finde die dargestellte Zeit von damals sehr plastisch und eindringlich dargestellt in diesen kurzen Sätzen, umrandet von Passagen aus Schnitzlers »Reigen«. Die daraus als Zwischenüberschrift verwendeten Sätze geben dem Inhalt einen passenden Rahmen. Es ist auch eine sehr süße kleine Geschichte, die ganz ohne Weltschmerz, Gewalt oder sonstige Dunkelheit einfach vor sich hin leuchtet. In mächtigen Farben. In dem, was sie nicht direkt erzählt, erzählt sie dennoch sehr viel. Über die Zeit, über Gefühle, über Beziehungen. Über die Rolle der Frau. Auch der feine Humor entgeht mir nicht. (Das freut mich ganz besonders, weil es sonst niemand angemerkt hat!) Ein Happy End ohne Schmalz.
Ein wunderschönes Stück.
Habe sogar etwas gelernt: Was eine Prosaskizze ist/sein kann.
Stimmig sehr dichter Text, der mit seiner Komprimiertheit gleichzeitig alles Nötige erzählt und intensive Bilder hervorruft.
Ich empfinde es auch als Genuß, den Text zu lesen. Er langweilt mich nicht, bestimmt auch nicht, wenn ich ihn noch ein paar mal lese. (Mehr Lob geht nicht! Vielen vielen Dank!)


2 Umsetzung der Themen 7/7
Sommergäste, Begegnung/Abschied sind deutlich vorhanden. Die Veränderung geschieht durch die Begegnung mit Rosa und führt am Ende zum Beginn eines neuen Abschnitts im Leben. Man spürt ihr Ausbrechen aus dem bisherigen Leben. Das Thema Sommergäste ist ist (sic!) hier wieder sehr direkt umgesetzt worden, vor dem Hintergrund der Geschichte meiner Meinung nach auch nur so möglich; Strand, Baden, nackte Haut verträgt sich nicht mit anderen Jahreszeiten an der Nordsee und wäre mir auch zu unterkühlt für die beginnende Liebesgeschichte. (Yep!)

3 E-Faktor 5/5
Vom Künstlerischen eine sehr gute Umsetzung. Der Rahmen des Schnitzler-Textes ist nicht beliebig, sondern dient als eine Art Zwischenüberschrift oder (Voraus-)Deutung, (wieder eine klare Wahrnehmung meiner Intention, durch das Zitat den nächsten Absatz quasi anzudeuten, den sonst niemand angemerkt hat, und zeigt dadurch die Intensität, mit der Du meinen Text gelesen hast. Danke!) wird zugleich im Text von der Prota gelesen. Auch die Thematik des Textes, der »Reigen« findet sich wieder: Karl zu Emma, Emma zu Rosa, erweitert ihn zugleich mit der zur damaligen Zeit unerhörten Thematik Homosexualität, obwohl »Reigen« auch so als unerhört galt. Ich finde das alles ist eine sehr interessante Umsetzung.
Ernsthafte Themen sind trotz der Leichtigkeit vorhanden: Homosexualität vor über 100 Jahren, verklemmter Umgang mit Sexualität, aber auch für mich hier hervorstechend: die Geringschätzung von Emma und ihren Interessen durch Karl. Das ist sehr indirekt dargestellt, aber herauslesbar. Er wirkt auch steif, ein wenig zwanghaft, andererseits eigentlich total nett, wo er die beiden malt. Man kann ihn als alles Mögliche sehen: Bruder, Freund, Studienkollege (!) Volltreffer, Partner, Verlobten … da könnte fast beabsichtigt sein, denke ich. Es spielt zu einer Zeit, in der Frauen gerade mal die »Erlaubnis« hatten zu studieren, Wählen gehen durften sie aber noch nicht. Rosa kann man auch symbolisch sehen als Frau, die die andere Frau mit in die Zukunft nimmt. Ob »Emma« hier zufällig gewählt wurde in Anlehnung an das Frauenmagazin, weiß ich nicht, könnte aber gut passen. (Nein, es war tatsächlich der Hinweis auf die Malerin Emma Richter Wie auch immer: hier kann man viel herauslesen oder hineininterpretieren, vieles ist dabei sehr unterschwellig im Text. Also wie man sagt: mehrschichtig. Ungefügig durch die Form und die die Weigerung auch nur einen Ansatz über die Hintergründe der Personen zu verraten.
Sprachlich ist der Text wunderbar. (This made my day!) Die kurzen Sätze, die wohlüberlegte Wortwahl, das Komprimierte … all das erschafft intensive Bilder und erzählt so viel in wenigen Worten, wie hier:
Zitat:
Schwarzbrot. Rührei. Tee. In großen Tassen. Mit Blick auf das Wattenmeer, die Weite, den Himmel. Tiefes Blau. Stürmisches Grau. Gischtendes Weiß.


Kann man jemanden noch kürzer so treffend charakterisieren?
Zitat:
Immer zwei Stufen auf einmal.


Auch gut gelungen finde ich das Zeitkolorit: Conversationshaus. Nur dieses Wort, mit C geschrieben, vermittelt mir schon das zeitliche Setting, das Gefühl dafür. Ergänzend: mit Spagat verschnürt, Korbhütte, Badekostüm.
 (was soll ich sagen ... zuerst hatte ich Kurhaus. und dann las ich, dass das erst in den Zwanzigern erbaut worden war ...)



4 Lesbarkeit und Handwerk 5/5
Dazu gibt es nichts zu sagen …

5 Logik 2/3
Ich stolpere beim züchtigen Badekostüm, weil ich jetzt denke, die Person ist nackt, weil sie es fallen ließ, aber dann kommt jemand mit Kleid? Beim zweiten Lesen interpretiere ich es tatsächlich als Kleidungswechsel. Ein Wörtchen mehr, vielleicht "Nun ein helles Kleid." hätte das verhindert, aber vielleicht war ich da auch noch zu sehr im Konzept Prosa statt Prosaskizze gedanklich.

6 Sorgfalt 2/2
Mir ist nichts aufgefallen.

7 Sommerfrischequotient 5/5

Gesamtpunkte: 31/32

PUNKTESPOILER * trommelwirbel *
Komm, mein schöner Engel, ich habe 12 Punkte für dich ^.^

Meine liebsten Textstellen:
Zitat:
Karl würde der Schlag treffen. Oder auch nicht.
Zitat:
Karl pflegte dort zu frühstücken. Pünktlich um zehn Uhr. Schwarzbrot. Rührei. Tee. In großen Porzellantassen. Mit Blick auf das Wattenmeer, die Weite, den Himmel. Tiefes Blau. Stürmisches Grau. Gischtendes Weiß. Ein Klecks durchsichtiges Grün. Auch Emmas Kittel war übersät mit diesen Farben. Mächtige Farben.
Zitat:
Weit ist ihr Verstand. Klar wie die Luft, so silbrig wie die sprühende Gischt.

-----------------------



Hallo Minerva,

abgesehen von den 12 Punkten ist das größte Lob doch immer noch das Gefühl verstanden zu werden.
Und das hatte ich bei Dir in höchstem Maße. Du hast meine liebsten Textstellen markiert, tatsächlich das Augenzwinkern und das unterdrückte Lachen bemerkt (wie beim Passbild fotografieren, wenn man partout nicht ernst bleiben kann) und die Intention der Reigen-Zitate entschlüsselt.

Da erkennt man eine aufmerksame Leserin, die gerne Worten nachlauscht, mit Ebenen und Bedeutungen jongliert und nicht zuletzt auch das Handwerk in so einem Wettbewerb beachtet.

Danke für´s Lesen, Verstehen, Kommentieren und überhaupt.
Darauf einen Klecks durchsichtiges Grün!

Gruß
Kerem


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dürüm
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Beitrag07.09.2022 16:54

von dürüm
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Nachtvogel hat Folgendes geschrieben:
Eine interessante Idee, die Geschichte zwischen die Zitate aus dem Drama von Schnitzler einzufügen. Die Geschichte ist gut geschrieben, hat mich aber ansonsten nicht wirklich umgehauen - habe das Gefühl, so etwas schon hundertmal gelesen zu haben. Für einen Punkt reicht es trotzdem.

1 Punkt


Hallo Nachtvogel,

immerhin, ein Punkt bedeutet Top Ten. Ja, ich weiß, Liebesgeschichten sind natürlich überhaupt nicht selten/originell/bahnbrechend/oder auch nur hinreichend spannend.
Aber ich schreibe  einfach lieber eine Beziehungsgeschichte, als ein Drama über eine Ziegelei (auch ein Motiv der Expressionisten in Dangast, aber das wäre noch dröger geworden, als meine Überschrift)

Hab Dank für´s Lesen und Kommentieren!

Gruß
Kerem


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Beitrag07.09.2022 16:57

von dürüm
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MoL hat Folgendes geschrieben:
Coole Idee, lieber Inko, und coole Umsetzung. Dafür gibt es von mir 4 Punkte.


Hallo MoL, (darf ich fragen wofür das steht? oder bin ich da zu neugierig?)

vielen Dank für die Punkte!!

Darf ich noch fragen, welche Textstelle Deine Liebste (wird das groß oder klein geschrieben?) war?

Danke und Gruß
Kerem


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Beitrag07.09.2022 17:02

von dürüm
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nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Leider noch kein Kommentar.


Hallo nebenfluss,

Danke für drei Punkte!

Falls Du noch Zeit und Lust hast, würde ich mich tatsächlich noch sehr über einen Kommentar freuen.
Du bist für mich im Forum schon auch einer der Prosa-Experten, und Kritik Deinerseits wäre echt ein Geschenk. (also nur wenn es nicht zu viel Mühe macht!)

Muss auch nicht gleich sein!

Danke und Gruß
Kerem


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Minerva
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Beitrag08.09.2022 16:26

von Minerva
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Zitat:
Das Thema Sommergäste ist ist (sic!)

Hör bloß auf, hab die Texte am Ende alphabetisch kommentiert und ab deinem Beitrag ging mit echt die Luft aus (natürlich nicht wegen des Textes, wäre ja unlogisch), aber es fiel mir schwer, meine bis dahin gesammelten Notizen und den letzten Eindruck noch zu gescheitem Text zusammenzufassen. Sieht man z.B. auch, dass ich die Deutung Karls als Studienkollege erst unten drin hab, aber in der vorher geschriebenen ZF noch nicht.

Ich gesteht auch, ich kenne die echten Personen nicht, aber ich bin auch eher so halb-halb mit Expressionismus. Zudem empfand ich den Text vom Malerischen her eher impressionistisch (was ich sowieso sehr viel lieber mag), also so sah er in meinem Kopf aus: weiche Formen, unaufgeregte Farben ohne brachiale Kontraste, Naturbilder, keine Kanten. Es gab zwar die “Interpretationshilfe” mittels der Statistiken, aber da habe ich nicht so viel auf “Expressionismus” gegeben, war nur erleichtert, dass man meinen identifiziert hatte. Laughing  Andererseits kann man Expressionisten ja auch impressionistisch darstellen, oder? Das ist ja dann ein besonders scharfer Kontrast.

Zitat:
abgesehen von den 12 Punkten ist das größte Lob doch immer noch das Gefühl verstanden zu werden.


Das stimmt!

Danke für die Rückmeldung
Liebe Grüße


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Beitrag10.09.2022 12:53

von dürüm
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Minerva hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Das Thema Sommergäste ist ist (sic!)

Hör bloß auf, hab die Texte am Ende alphabetisch kommentiert und ab deinem Beitrag ging mit echt die Luft aus (natürlich nicht wegen des Textes, wäre ja unlogisch), aber es fiel mir schwer, meine bis dahin gesammelten Notizen und den letzten Eindruck noch zu gescheitem Text zusammenzufassen. Sieht man z.B. auch, dass ich die Deutung Karls als Studienkollege erst unten drin hab, aber in der vorher geschriebenen ZF noch nicht.

Ich gesteht auch, ich kenne die echten Personen nicht, aber ich bin auch eher so halb-halb mit Expressionismus. Zudem empfand ich den Text vom Malerischen her eher impressionistisch (was ich sowieso sehr viel lieber mag), also so sah er in meinem Kopf aus: weiche Formen, unaufgeregte Farben ohne brachiale Kontraste, Naturbilder, keine Kanten. Es gab zwar die “Interpretationshilfe” mittels der Statistiken, aber da habe ich nicht so viel auf “Expressionismus” gegeben, war nur erleichtert, dass man meinen identifiziert hatte. Laughing  Andererseits kann man Expressionisten ja auch impressionistisch darstellen, oder? Das ist ja dann ein besonders scharfer Kontrast.

Zitat:
abgesehen von den 12 Punkten ist das größte Lob doch immer noch das Gefühl verstanden zu werden.


Das stimmt!

Danke für die Rückmeldung
Liebe Grüße


Hallo Minerva,

ja, dieser Drang schön von oben nach unten zu arbeiten ist schon öfter in Wettbewerben aufgefallen. (ich hatte auch kurz überlegt ob ich mein Stück "Abend, Morgen und der Tag dazwischen" nennen sollte", aber dann überwog doch mein Sinn für zeitliche Orientierung lol ) und ich hatte die (sic!)s auch nur aus lauter Korrekturgewohnheit markiert und gedacht, ich hätte alle wieder vor dem Posten rausgelöscht, aber der ist mir durchgerutscht. Verzeih! Ich bin für jeden Kommentar dankbar und für eine Forumsrezension sind Typos total in Ordnung! Ich bin mir sicher, dass Du für eine gedruckte Rezension im Feuilleton der Zeit dreimal Korrektur gelesen hättest.

Ich habe ja in meiner Antwort auf den Kommentar von sleepless den Link zu dem Porträt von Rosa gepostet, das ich vor Augen hatte beim Schreiben des Textes. Und das war tatsächlich kein expressionistisches aber auch kein impressionistisches.

Tatsächlich hat mir der Expressionismus im Zusammenhang mit der Thematik, dem Umbruch, der Spannung, der Industrialisierung und dem Kampf der Kunst dagegen besser gefallen.
Im Impressionismus löst sich soviel auf. Und im Expressionismus wird vieles wieder ganz klar.

Noch mal vielen Dank für die erneute Rückmeldung!

Man liest sich!
Gruß
Kerem


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Minerva
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Beitrag10.09.2022 14:08

von Minerva
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Zitat:
Verzeih! Ich bin für jeden Kommentar dankbar und für eine Forumsrezension sind Typos total in Ordnung!


Nix passiert, das war so gemeint: "Erinner mich lieber nicht daran, wie meine Konzentration flöten ging und wie schwer mir die letzten Rezensionen fielen." Laughing
Eigentlich war ich zuversichtlicher, weil es sehr viel weniger Texte waren, man ergo also eher das Gefühl hatte, es in der Zeit zu schaffen, ohne durchzudrehen.

Als ich nach dem Bewertungsende den Text nochmal überflog, war es mir fast peinlich, weil es irgendwie gestammelt wirkte und sich Sachen wiederholten ("intensive Bilder"). Laughing
Zitat:

ich hatte auch kurz überlegt ob ich mein Stück "Abend, Morgen und der Tag dazwischen" nennen sollte", aber dann überwog doch mein Sinn für zeitliche Orientierung

Na ja, die Texte mittels Überschrift zu positionieren, funktioniert ja nicht, wenn man nicht weiß, wie herum sie eingestellt werden, geschweige denn, wie sie gelesen werden und von wem (der Reihe nach, alphabetisch, per Zufallsverfahren [hatte ich letztes Mal gemacht] oder nach Gefallen der Überschrift ...).
Hast du schon gut gewählt so, klingt auch besser. Very Happy


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Beitrag10.09.2022 20:32

von Reimeschreiberin
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dürüm hat Folgendes geschrieben:
da es sich bei Karl nur um den Malerkollegen von Emma handelt ist es tatsächlich kein dramatischer Ehebruch)

Ups, da habe ich doch tatsächlich etwas missverstanden. Embarassed Die Geschichte finde ich aber auch so sehr schön.
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nebenfluss
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Beitrag12.09.2022 22:50

von nebenfluss
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Hallo dürüm,

hier noch mein hinterherschlurfender Kommentar, den ich in der Bewertungsphase verfasst habe, den ich aber aus Gründen erst jetzt posten kann:

Eine Geschichte, die mit dem Genre des historischen Romans, vielleicht sogar der Romanbiografie spielt. In Dangast, dem Inspirationsdomizil der Kunstschaffenden des frühen 20. Jahrhunderts, liest Protogonstin Emma den „neuen Schnitzler“, den „Reigen“, das wohl bekannteste Theaterwerk des Autors. Die Bezeichnung „neu“ - und dass Emma das Buch beim Verlag gestellt und geliefert bekommen haben möchte - irritiert etwas angesichts der zeitlichen Verortung im Jahre 1910 – wikipedia sagt, der "Reigen" wurde 1903 veröffentlicht und war ab 1904 in Deutschland verboten.
Während Emma ihren Namen zwar mit einer Figur aus diesem Reigen teilt, ist sie möglicherweise eine fiktive Figur, während die beiden anderen Hauptpersonen – ihr Geliebter Karl sowie dessen Modell Rosa – mit hoher Wahrscheinlichkkeit die Brücke-Mitglieder Karl Schmitt-Rottluff und Rosa Schapire darstellen. Letztere war auch Feministin, was ein Ausprobieren lesbischer Liebe zu dieser Zeit durchaus plausibel werden lässt.
Die Thematiken „Sommergäste“ und „Begegnungen“ sind sehr offensichtlich erfüllt. Einen Schuss, den niemand beachtet, gibt es nicht (war für die Qualifizierung ja auch nicht zwingend), wohl aber könnte man sagen, dass Karl „den Schuss nicht hört“ oder es sich zumindest nicht anmerken lässt. Eine sich im Hintergrund anbahnende Veränderung lässt sich bei Emma ausmachen, die vermutlich ihre Homosexualität erst im Laufe der Geschichte entdeckt, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene. Sowohl Schnitzlers Stück als auch der Übermut Emmas und Rosas stehen für die Aufbruchsstimmung dieser Zeit, die wenige Jahre später in fataler Kriegsbegeisterung münden sollte.
Die Rangfolge ergibt drei Punkte für diesen Text vor allem wegen des historischen Settings, in das ich mich gut hineinfinden und -fühlen konnte. Auf sprachlicher Ebene nerven mich diese vielen Ein-Wort-“Sätze“, die sparsam dosiert eindrücklich wirken könnten, in dieser inflationären Nutzung auf mich aber künstlich und zu pathetisch wirken und an Satzbauverweigerung grenzen.

Nachtrag im Spoiler:
Vielleicht hätte ich das harsche Urteil am Ende einfach durch die Vermutung ersetzen können, dass hier ein (Auch-)Lyriker schreibt Embarassed


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hobbes
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Beitrag12.09.2022 23:04

von hobbes
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Nachdem ich jetzt nicht mehr Organisatory, sondern wieder einfach "nur" hobbes bin, mag ich auch gern noch was zu manchem Text sagen. Und fange jetzt einfach mal mit diesem hier an.

Manchmal steht man ja mit einem "Hä?" vor einem Text und googelt dann alles mögliche, um aus dem "Hä" ein "achso" zu machen.
Hier hatte ich kein Hä, googelte aber trotzdem und das war eins der Dinge, die ich mochte: dass der Text Lust gemacht hat, diese Menschen und ihre Welt kennenzulernen (ich hatte vorher noch nie von ihnen gehört). Dass ich durch ihn etwas dazulernen konnte.

Beim internen Diskutieren kam die Frage auf, ob es die Zitate überhaupt braucht, bzw. ob/was die für einen Mehrwert haben. Die Frage kam unter anderem auch deshalb auf, weil ich beim wiederholten Lesen festgestellt hatte, dass ich die Zitate überlese. Obwohl, vielleicht war es auch umgekehrt, zuerst war die Frage im Raum und dann die Feststellung.
Egal.
Jedenfalls kann man vor allem dieses Zitat unmöglich weglassen:
dürüm hat Folgendes geschrieben:
Zehnter Akt: der Graf zur Dirne: „Sag mir einmal, bist du eigentlich glücklich?“
Und sagt: „Ja.“

Denn das ist so ein wunderschöner Schluss, ich finde den ganz und gar großartig.
Überhaupt finde ich, ist es mit das Mutigste an diesem Text, dass die Geschichte "gut ausgeht." Ich zumindest finde es viel einfacher, "unglückliche" Geschichten mit dem E-Stempel zu versehen.

Was ich auch sehr mochte: Dass ich genau das bekomme, was der Titel verspricht, eine Prosaskizze. Dass das überhaupt geht, eine Skizze schreiben und das ist dann ein "funktionstüchtiger" Text. Und wie gut das dann mit dem Inhalt zusammenpasst.

Und weil mich gerade besonders interessiert, wie Texte bei anderen entstehen, habe ich auch direkt noch die Frage, wie dieser Text zu dir gefunden hat? Kanntest du die drei vorher schon? Oder hast du dir das jetzt erst angelesen?


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Beitrag12.09.2022 23:04

von MoL
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dürüm hat Folgendes geschrieben:
MoL hat Folgendes geschrieben:
Coole Idee, lieber Inko, und coole Umsetzung. Dafür gibt es von mir 4 Punkte.


Hallo MoL, (darf ich fragen wofür das steht? oder bin ich da zu neugierig?)

vielen Dank für die Punkte!!

Darf ich noch fragen, welche Textstelle Deine Liebste (wird das groß oder klein geschrieben?) war?

Danke und Gruß
Kerem


Huhu!

Meine liebste Textstelle ist diese hier:
„Darf ich Sie malen?“
„Wie oft?“, fragte sie zurück, die Dame.
„So oft Sie wollen.“

Wieso "Mol"?
BenIm adIm MoL, Monika Loerchner. Mit knapp 18 Jahren begann ich, als freie Mitarbeiterin für eine Tageszeitung zu schreiben; da musste ein Kürzel her und ich entschied mich für "MoL". Als dann das DSFo nach einem Name fragte, erschien mir das die einfachste Lösung.

Beste Grüße!


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gemeinsam mit Leveret Pale:
"Menschen und andere seltsame Wesen"
----------------------------------
Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021.
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Beitrag13.09.2022 15:43

von dürüm
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hobbes hat Folgendes geschrieben:
Nachdem ich jetzt nicht mehr Organisatory, sondern wieder einfach "nur" hobbes bin, mag ich auch gern noch was zu manchem Text sagen. Und fange jetzt einfach mal mit diesem hier an.

Manchmal steht man ja mit einem "Hä?" vor einem Text und googelt dann alles mögliche, um aus dem "Hä" ein "achso" zu machen.
Hier hatte ich kein Hä, googelte aber trotzdem und das war eins der Dinge, die ich mochte: dass der Text Lust gemacht hat, diese Menschen und ihre Welt kennenzulernen (ich hatte vorher noch nie von ihnen gehört). Dass ich durch ihn etwas dazulernen konnte.

Beim internen Diskutieren kam die Frage auf, ob es die Zitate überhaupt braucht, bzw. ob/was die für einen Mehrwert haben. Die Frage kam unter anderem auch deshalb auf, weil ich beim wiederholten Lesen festgestellt hatte, dass ich die Zitate überlese. Obwohl, vielleicht war es auch umgekehrt, zuerst war die Frage im Raum und dann die Feststellung.
Egal.
Jedenfalls kann man vor allem dieses Zitat unmöglich weglassen:
dürüm hat Folgendes geschrieben:
Zehnter Akt: der Graf zur Dirne: „Sag mir einmal, bist du eigentlich glücklich?“
Und sagt: „Ja.“

Denn das ist so ein wunderschöner Schluss, ich finde den ganz und gar großartig.
Überhaupt finde ich, ist es mit das Mutigste an diesem Text, dass die Geschichte "gut ausgeht." Ich zumindest finde es viel einfacher, "unglückliche" Geschichten mit dem E-Stempel zu versehen.

Was ich auch sehr mochte: Dass ich genau das bekomme, was der Titel verspricht, eine Prosaskizze. Dass das überhaupt geht, eine Skizze schreiben und das ist dann ein "funktionstüchtiger" Text. Und wie gut das dann mit dem Inhalt zusammenpasst.

Und weil mich gerade besonders interessiert, wie Texte bei anderen entstehen, habe ich auch direkt noch die Frage, wie dieser Text zu dir gefunden hat? Kanntest du die drei vorher schon? Oder hast du dir das jetzt erst angelesen?


Hallo hobbes,

vielen Dank für Deine Rückmeldung.

Die Entstehungsgeschichte war ganz grob so:

Juhuuu, tolles Thema.
Sommergäste= Nordseestrand, Sonne, Sommer, Sand etc.

Wie mache ich das spannend? Und als Lyriker formulierbar? als "Prosaskizze" (nebenfluss hat es so schön ausgedrückt, ich leide an Satzbauverweigerung lol )
Also Skizze=Kunst---> Künstler---> Künstlerkolonie an der Nordsee---> Dangast am Jadebusen---> das legte den Zeitrahmen fest um 1910, weil da die Protas (Protys?) alle zusammen dort waren.

Also die Künstler der Brücke, Karl und Emma (Karl Schmidt-Rottluff kannte ich vorher, Emma tauchte in den Recherchen auf, ebenso Rosa)

Jetzt hatte ich ein paar Künstler, brauchte dann aber einen Literaturbezug, weil es sonst zu malerisch geworden wäre, deshalb die Suche nach "Skandalliteratur", um Emmas Charakter etwas zu zeigen.
Auftritt "Reigen" von Schnitzler, das Skandalstück dieser Zeit.

Ursprünglich sollte mein Stück nur die Sommerfrische um 1910 in einem norddeutschen Seebad zeigen. Conversationshaus, Korbhütten, Spagat und Badekostüme, Kaffee und Kuchen am Nachmittag und ein paar spinnerte Maler mit expressionistischen Revoluzzerbildern. Gepflegte Konversation, hübsche Kleider, breite Hüte. Tja, habe ich versucht. Ging schief.

Emma und Rosa waren damit nicht einverstanden, Karl wurde nicht gefragt. Und das Resultat habt ihr alle gelesen lol

Ich fand den Reigen ganz furchtbar deprimierend, weil es so unausweichlich jedesmal in der Trennung endete. Und daraus ist dann irgendwie auch der Gegenentwurf entstanden mit Emma und Rosa.

Gruß
Kerem


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