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Alleinsegler

 
 
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Domprobst
Gast






Beitrag14.02.2008 17:09
Alleinsegler
von Domprobst
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Dunkelgrauer Regen prasselt in Stößen gegen das Fenster. Die hereinfallenden Böen ziehen den Wind in höhere Tonlagen, verstärken das Getrommel an den Fenstern. Psychologisch ungünstiger Augenblick, einen Freund zum Segeln einzuladen. Mein Telefon wählt Peters Nummer.

„Moin Peter. Sag mal, ... hast Du zufällig Bock, übermorgen nach Flensburg hoch zu segeln?“

`Hoch´ ist von Schilksee nach Flensburg. Ein Stück über die Kieler Bucht, dann bei Kalkrund um die Ecke in die Flensburger Förde. 55 Meilen Nässe, Kälte, Gegenangebolze. Das weiß auch Peter.

Ohne auf die Antwort zu warten lege ich nach.

„Bis Kalkrund müssten wir eigentlich anliegen können. Und danach `ne Kreuz. Wenn wir Schleimünde haben, sind wir mit dem Geballer durch. Danach - nur noch Kindergeburtstag… und lecker Essen beim Italiener in Sonwik.“

Es ist März. Wir werden uns die Ärsche abfrieren.

„Weißt Du“, antwortet er nach einer Sekunde Zögern, „am Wochenende wollte ich ins Sauerland. Familie und so..“

„Ich hätte auch keinen Bock bei dem Wetter“, antwortete ich, liebevoll Verständnis zeigend.
Dann das Übliche. „Ja bei der Frühjahrswoche … Lyö rund … Double Hand.“

„Okay, hau rein!“


*

Sonnabend früh - Wetter wie angesagt. Kalt, Regen, schlechte Sicht – der Bülker Leuchtturm im Regendunst kaum zu erkennen.
Die Schilkseer Hafen -  Betonsünde der frühen 70er. Jetzt versprüht der triste, verlassen auf die Saison wartende Hafen den Charme nassen und kalten Betons. Schwarzes Wasser zwischen toten Stegen. Ein Hafen im März: glitschiges, grünschwarzes Holz, vereinzelt geduckt dasitzende Möwen und ihre Hinterlassenschaften.

Die graue Regenstimmung des Hafens erfasst mich, kriecht in mich hinein.

Das Boot liegt längsseits am Steg, ist wahrscheinlich ähnlich super motiviert wie ich. Die Wegepunkte im Plotter zeichnen meinen geplanten Kurs gestrichelt ins Display. Eigentlich überflüssig, denke ich beim Eingeben der Orte. Hier kenn’ ich jeden Meter. Ich tippe die Wegepunkte trotzdem ein.

Klar zum Ablegen. Heißer Kaffee irgendwo im Boot festgekeilt - ich werde ihn bei erster Gelegenmheit trinken. Der Diesel läuft, stößt in Intervallen das Kühlwasser dumpf blubbernd unter dem Heck ins Hafenwasser. Der Wind drückt das Boot gegen den Steg. Fender quietschen. Ich komme nicht weg. Heidi hilft auf dem Steg, sie wird mich in Flensburg abholen. Nach einigen Versuchen komme ich frei. Heidi wünscht mir viel Spaß. Ich lache lustlos.

Draußen vor dem Hafen hole ich die Fender, die Leinen ein. Kurz danach sind die Segel gesetzt. Erstes Reff im Großsegel, vorne die kleine Fock – mehr werde ich nicht brauchen. Meine Segelhandschuhe sind nass. Ich ziehe trockene Handschuhe an. Helmsmangloves steht drauf. Dicker, wärmender. Ich bin allein.

Hinter Bülk empfangen mich die unangenehm kurze Ostseewelle und der harte Westwind. 25 Knoten true Wind - danke Petrus. Alle drei Sekunden fällt der Bug in die nächste See. Gischt schäumt auf, legt sich langen Streifen nach Lee. Eine Stunde, zwei Stunden. Kein Boot hier draußen.

Unmerklich verschwinden die Landgedanken. „Kannst Du mal…? Hast Du mal…?“
Der Körper gleitet über in Automatismen, steuert die Wellen aus, tippt sich durch Navi-Daten, findet auf den Kurs zurück. Der Kopf stellt sich Southern Ocean vor. Mein Traum. Gedankenverloren schaue ins weißgefleckte Kielwasser und registriere ohne Empfindung, wie die Gischtflecken sich hinter dem Boot langsam auflösen, sich in den grauen Konturen der zurückbleibenden Wellen verlieren.

Southern Ocean. Das Meer südlich der Kontinente. Ein Buch hat mich infiziert. `Der verschenkte Sieg´ von Moitessier. Hat Ende der 60er die erste Nonstop-Regatta um die Welt angeführt. Unterwegs die Entscheidung, Europa den Rücken zu kehren und nach Polynesien weiter zu segeln. Sein Buch hat meinen Blick geschärft. Nicht nur auf dem Wasser. Irgendwann hört es auf zu regnen. Ich merke es nicht.

Dann endlich Landabdeckung. Die Bewegungen werden angenehmer. Ich falle ab auf Nordkurs. Leicht fiere ich die Schoten, stelle die Holepunkte ein. Ein Blick in Segel – die Trimmfäden stehen gut. Bei dem Wind funktionieren die sogar nass. Ich schalte den Autopilot an, warte ab, ob er Kurs hält, stolpere auf steilen Stufen unter Deck und schäle mich aus meinen Segelklamotten. Dreilagig, atmungsaktiv, Graugelb. Ich sehe in den Spiegel, sehe rote Augen. Stört mich nicht.

Schenke mir einen Kaffee ein. Ein Schwall landet in der Spüle, schwappt auf den Boden. Nehme das noch unbenutzte Geschirrhandtuch zum Aufwischen. Noch fehlt das Seegefühl.

„Kiel Pilot, this is…“ Ich schalte das Funkgerät aus, beginne das Alleinsein zu genießen. Ich blicke versonnen im Boot umher. Schönes, glattes Khaya-Mahagoni. Plotter, Wetterempfänger, UKW-Funke, GPS, die Schalttafel mit den Sicherungen und den Anzeigen für Tanks und Elektrik. Mit Flaggen, Tape, Taschenlampe, Schellen, Splinten, Ersatzglühlampen, alten Segelhandschuhen zugeramschte Fächer. Dinge für unterwegs.

Ich klettere wieder an Deck und verkrieche mich unter der Sprayhood, die mich vor dem Wind schützt. Ein Blick an der Sprayhood vorbei nach vorn. Ein kaltes Bier, das mich bei diesen Temperaturen in wenigen Minuten auf den Pott zwingen wird. Der Blick nach Lee hinaus auf die offene, leere Ostsee. Der jetzt lange, weiße Kielwasserstreifen hinter dem Boot. Das Glück, jetzt hier sein zu dürfen. Dankbarkeit durchströmt mich.

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princess of night
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Alter: 60
Beiträge: 855
Wohnort: Planet Erde


Beitrag26.02.2008 10:44

von princess of night
Antworten mit Zitat

hallo Domprobst:-)

Lee vor Luv! das ist alles was ich noch weiss von meinen segelerfahrungen auf einem optimisten...ich komme ursprünglich nämlich auch aus dem norden und der plöner see war damals mein erfahrungsgewässer..mein vater ist auch mal mit einem freund gesegelt und daher sind mir einige begriffe die du hier verwendest noch ein wenig ein begriff...dein gefühl kann ich nachvollziehen..die weite des wassers..die gedanken..aber es ist sehr speziell geschrieben mit den ganzen fachausdrücken..daher glaube ich das sich deswegen noch niemand daran getraut hat es zu kommentieren..aber für fans des segelns sehr schön beschrieben..
LG
princess


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Das eine oder andere Gute steckt schon im Menschen.
Ansonsten wären Organspenden ja völlig überflüssig.

Der Zynismus ist meine Rüstung, der Sarkasmus mein Schwert und die
Ironie mein Schild.

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Fiktive Autorin
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Rheinsberg
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Bronzenes Messer


Beitrag26.02.2008 11:56

von Rheinsberg
Antworten mit Zitat

Danke fürs hoch holen, Prinzessin! Ich muss den Text übersehen haben. Er ist wunderschön - vor allem für Meerliebhaberinnen wie mich. Kiel... oh ja.
Und wenn man beim Lesen so zum Träumen verführt wird, heißt das ja auch, er ist gut geschrieben und keine bösen Fehler stören das Vergnügen.
Du hast mich auf Moitessier neugierig gemacht... da hätte jemand ruhig noch ein paar Zeilen weiterdenken dürfen.
Schön.


_________________
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"Die größte Gefahr ist die Selbstzensur. Dass ich Texte zu bestimmten Themen gar nicht schreibe, weil ich ahnen kann, welche Reaktionen sie hervorrufen." - Ingrid Brodnig
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Domprobst
Gast






Beitrag27.02.2008 14:46

von Domprobst
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Freut mich sehr, dass es Euch gefallen hat.

Ich hatte mich schon gefragt, ob es hier denn gar keine Segler gibt..Wink
Naja, bei den paar Metern Küste..

Zum im Text genannten Moitessier: In Wikipedia stehen einige Zeilen über ihn geschrieben.

http://de.wikipedia.org/wiki/Moitessier

Interessant in dem genannten Buch sind vor allem die philosophischen Themen - die Sichtweise auf die Dinge. Sollten mal unsere Liechtenstein-Steuerfans lesen...

Liebe Grüsse
Jens
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