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Die Tage, bevor ich von hier verschied


 
 
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pentz
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 262



Beitrag10.07.2022 20:59
Wenn man die Sinnkrise kriegt
von pentz
Antworten mit Zitat

Und natürlich, eines Tages trafen wir uns. Er fasste mich am Kragen: „Hab ich Dich endlich. Ich hab's Dir prophezeit, daß ich Dich eines Tages erwische und am Schlawittchen packe, wie jetzt!“ Er lachte dazu feist. Aber nicht lange. „Klar, Du bist ja ein Prophet!“ So frech sollte keiner sein, wenn es ihm an den Kragen ging. Sofort holte er mit der Faust aus. „Du wirst doch nicht deinen Bruder schlagen!“ Er hielt inne mit dem Schlag. „Wie Bruder jetzt?“ „Ich meine jetzt nicht, Ordensbruder oder  Glaubensbruder, ich meine etwas anderes...“ „Spuck's aus, was Du meinst, Fettwanst!“ Ich raffte mich noch einmal rechtzeitig zusammen, daß ich nicht vor Lachen herausgeplustert würde, den schließlich war er ja der Dicke und Fette, nicht ich. Damit will ich nicht sagen, ich sei nicht dick. Ich weiß und bekenne mich durchaus dazu, daß ich einen ziemlichen Schmerbauch habe. Aber mehr nicht. Keine Fettpolster um die Hüften, Polster links und rechts um die Taille, keinen Bauch, der über die Gürtellinie hängt wie ein nasser Sack, keine von Fett aufplusterten Backen, nein, einfach einen etwas zu dicken feisten Bauch. Auf feist liegt die Betonung. Also, kann von Fettwanst oder Schweinsspeck nicht die Rede sein, mitnichten.
„Los spuck's schon aus!“
Ach ja, bei diesen Überlegungen hatte ich ganz vergessen, das ich an der Reihe war.
Zu erklären.
Aber das wäre eine längere Geschichten geworden, dazu fehlte uns die Zeit, nicht wahr und angesichts der Situation und des Umstandes der erhobenen Faust, konnte ich mir nicht vorstellen, daß er so lange Kraft, Geduld und Nerven aufbringen würde, bis die Geschichte zu Ende erzählt war. Also, Kernsatz, wie in der Schule, wie am Anfang, nachdem man eine Erzählung im Deutschunterricht gelesen hat und der Lehrer fragt, warum es sich also hier handelt. Nun, ich sagte es ihm: „Wir sind Blutsbrüder!“ Er lachte feister als feist. „Haha, aus den Indianerspielen bin ich mittlerweile raus und Du solltest es auch längst sein!“ Er hatte Recht, das Gesagte klang mißverständlich, es handelte sich bei unserem Verhältnis wahrhaftig nicht um eine Kinderspiel-Beziehung oder so. „Nun, wir haben den gleichen Vater eben.“' „Hä!“ Schnell reden, sonst verliert er die Geduld, glaubt, ich veräpple ihn und schon habe ich eine gebrochene Nase. „Nun, wir haben verschiedene Mütter...“ „Das will ich aber auch meinen!“ Was sagte er da? „Wie, hast du wohl etwas gegen meine Mutter, hä!“ Jetzt steckte ich voll in der Rolle des Aggressiven. Ich würde ihn bestimmt in den Boden gestampft haben und nicht er mich, weil ich im Recht war: Mütter zu beleidigen war das Letzte. Bei Vätern konnte man das noch verstehen, soweit ich es erlebt habe in meiner düsteren Kleinstadt-Sozialisation, aber Mütter. Motherfucker, Sie verstehen, ich will gar nicht weiterreden, das war unter aller Sau! Also sagte er brav: „Nein, natürlich nicht, aber was soll das mit gleichen Vater und so?“ Jetzt war er interessiert, hatte er Blut geleckt und war aufmerksam. Das mußte ich erst einmal ausnutzen: „Schau, ich erzähl's Dir gleich, wenn Du mit Deiner Hand mal ein bißchen runterkommen könntest!“ „Okay, aber nur vorübergehend. Wenn Du..., dann....“ „Ja, ich weiß, ich weiß!“
Und so erzählte ich ihm meinen Verdacht.
Er drehte sich dabei eine Zigarette und als er sie sich anzündete, schüttelte er ungläubig den Kopf. „Mann, so etwas hatte die Kirchengemeinde noch nicht gehört!“ „Gell!“ Aber ich hatte diese Aussage falsch verstanden, denn er glaubte mir einen Furz. „Du bist entweder etwas naiv und zurückgeblieben oder willst mir einen Bären aufbinden!“ Ich mußte dazwischen kommen: „Nein, nein, ich belüge, beschummle und bequatsche niemanden, niemanden, wirklich. Am wenigsten Dich!“, fügte ich noch in einem Halbsatz nach, der ziemlich verdächtig und von daher mau klang. Doch zum Glück nahm er mich nicht ernst, fühlte sich offenbar erleichtert, nicht mein Bruder sein zu können angesichts dieser eigenartigen Behauptung, wenn ich so vage klang. So sagte er, man hörte das Gefühl der Befriedigung, aus seinen Worten: „Also, bist Du ein bißchen verrückt!“ Diese Schlußfolgerung war doch besser als die Unterstellung, ich würde ihm etwas vorlügen oder wie man da so sagt. „Tja, möglich. Weil möglich ist alles!“ Na ganz zum Deppen wollte ich mich auch nicht machen, von daher zum Schluß dieser einschränkende Nebensatz. Mein Gesicht wollte ich schon noch wahren, zumindest vor mich selbst, ein klein wenig wenigstens.

Hatte ich um Zeit gespielt? Vielleicht auch ein bißchen. Jedenfalls, wenn, dann ging die Rechnung auf. Weil wie wir uns da so feindselig gegenüberstanden und über unseren vermeintlich gemeinsamen Vater rätselten, lief uns ein gemeinsamer Freund über den Weg, den der Himmel geschickt hatte. Aber nicht nur, um mich zu erlösen, sondern um uns beide zu erlösen. Und es war kein Zufall, daß der Inder daherkam, der Inder ohne Vater. Natürlich hatte er einen Vater, aber er wußte nicht, wer sein Vater war und wie er verstand von unserem Durcheinandergerede; ich würde ihn verarschen, ich wäre ganz seriös, was ich da über unseren gemeinsamen Vater behauptete, lachte der Inder plötzlich aus vollem Hals. „He, ihr streitet um ein Phantom!“ „Hä, Vater ist kein Phantom, das ist etwas sehr ernst zunehmendes, also ein ernstzunehmendes Thema oder Person, oder wie auch immer!“ Er lachte weiter: „Was soll ich dann sagen? Ich, der nicht weiß, wer mein Vater ist!“ Achja, das stimmt ja. Das war allgemein bekannt, daß der Inder ein Findling und Adoptivkind war, herausgezerrt aus dem indischen Subkontinent-Chaos in diese ordentliche westliche Welt, wo er nach dem Tod seiner Adoptiveltern mutterseelenallein dastand, gehetzt von rassistischen Mördern und Totschlägern, die fremdes Blut im reinrassigen Land Deutschland nicht dulden wollten und bekämpften bis aufs Blut. Bis Tote auf den Pflastersteinen lagen. Denn dies taten einige Freunde von diesem Inder. Auch Ausländer, andersblütige, anderskulturelle, andere...
Das gab uns jetzt Stoff zum Nachdenken.

Mein Stiefbruder, sagt man so, nein, Halbbruder, mantelt sich nicht mehr auf, im Gegenteil, er wird auf einmal sentimental-brüderlich. Es widert mich an.
„Spielst Du ein Instrument?“
„Schon!“
„Wir könnten einmal zusammen spielen...“
„Machst Du jetzt Witze. Nur weil wir Brüder sind, kommst du auf die Idee, mit mir zusammenzuspielen! Vorher wäre Dir dies wohl nicht eingefallen. Also, das kannst Du vergessen. Nur weil Du mein Bruder bist, brauchst Du mir jetzt nicht auf die Schulter zu klopfen und so.“ Und ich denke mir, ohne es zu sagen: Um mein Freund zu werden, braucht es schon ein bißchen mehr als bloß vage Verwandtschaft.
Ich finde es zudem eigentlich widerlich, einen Halbbruder zu haben. Ich habe schon einen Vollbruder, den ich überhaupt nicht verstehe. Er ist für mich irgendwie nicht einmal greifbar. Vielleicht, weil er mein kleinerer Bruder ist, wenn auch nur zwei Jahre und ich habe es von an Anfang an abgelehnt, den älteren Bruder für ihn zu spielen. Ich weiß es nicht. Mir reicht schon meine Schwester. Das ist genug an Verwandtschaft.
„Okay“, sagt er. „Ich verstehe dich schon ein bißchen. Aber wir könnten doch ein Bierchen zusammen trinken gehen oder? Oder ist Dir dies jetzt auch zu aufgesetzt, nur weil sich herausgestellt hat, wir sind verwandt, daß wir gleich ein Bier trinken müssen, was doch überhaupt nicht sein muß.“
„Genau, das meine ich auch: deshalb muß es nicht sein.“
Seine harte, schroffe Seite ist ihm wohl plötzlich verloren gegangen, seit er weiß, daß ich sein Bruder bin. Ich höre zudem ein Lispeln aus seiner Stimme heraus. Das klingt irgendwie, na, als Straßenjunge hätte ich „schwul“ gesagt, aber ich bin keiner mehr und außerdem ist das heutzutage verpönt. Aber das wäre natürlich kein Hinderungsgrund. Einen Moment kommt mir die Vorstellung, mal wieder mit einem Typen in die Koje zu gehen, verheißungsvoll vor. Zwar muß ich mir keine Mutprobe mehr leisten, um zu testen, ob ich so oder so war und mit einem schönen Mann Sex zu haben, hat sein eigenes, aber als mein Blick auf diesen Schmerzbach, dieses schwabblige Fleisch um die Arme und dieser selig-doof-verbissene Blick in seiner Visage fällt, vergeht mir jede Lust. Ich tröste mich noch mit dem Gedanken, daß, wenn ich mit meinem Halbruder Sex habe, dies bestimmt in diesem Land unter Inzestverbot fallen würde, und nehme bewußt Abstand davon, räuspere mich laut vernehmlich und gehe in Abwehrhaltung, lege meinen Kopf etwas zur Seite und schaue ihn scheel und durchdringend an. Eine todsichere Methode, jeden Idioten auf Abstand zu halten.
Für mich erklärt es sich nun, warum er mir komisch und halt schwul vorkommt. Er lispelt, stellt sich deswegen hart, um nicht mit seinem Sprachfehler aufzufallen und verlacht zu werden, oder was, als er sagt: „Oh, ich kann mir das gut vorstellen, wir beide, ich E-Gitarre und du, was spielst Du denn?“
„Klavier, Flöte, Mundharmonika...“
„Siehst Du, Du, der Du multiinstrumental bist und ich, mit meinen viele gute Erfahrungen, wäre doch spannend.“
Spannend. Viel Erfahrung. Und ich, multiinstrumental, was ein Hohn. Zwischen Spielen können und musizieren liegen Welten. Gleich Komponieren ist mindestens so schwierig, wie ein ädaquates Bild von seiner Mutter herzustellen, daß all ihre vielen guten Freundinnen auch goutieren können, ach was sage ich, überhaupt als solches, als Bild meiner Mutter, wahrnehmen können.
Das war das eine, schon schlimm genug, aber nunmehr kommt noch anderes, nicht weniger schwerwiegendes hinzu, wie ich sehe.
Irgendwie fühle ich mich mit einem Mal ozeanisch gekränkt.
Da stellt sich heraus, daß eine Frau es mit deinem Vater getrieben hat und dabei einen Bruder ausgetrieben hat, und du hast dieser Frau ihr Interesse an deiner Person persönlich genommen, wahrhaftig und ehrlich und es stellt sich heraus, ihre Zuneigung, Liebe und das Persönliche-mit-dir, in-Kontakt treten zu wollen ist reine Sentimentalität gewesen, weil sie in dir ihren ehemaligen Geliebten gesehen hat, der dein Vater war  – mehr nicht. Und dann stellt sich heraus, daß sie ein überaus feindlich dir gegenüber gesinnter Mensch dein Bruder ist und dieser wird plötzlich milde, lieb und nett zu dir, nur deswegen, weil in euren Venen ein Teil gleichen Blutes fließt – ist das nicht beschissen-bescheuert?
Und was war der Anlaß zu dem Zusammentreffen mit dieser sentimentalen Frau und die Outung dieses verwandtschaftlichen Bruders – nur dein selbstgemaltes Bild.
Bei diesem Bild von meiner Mutter hatte ich geglaubt, daß es ein Meisterwerk sei, das es zumindest Anerkennung erfährt, aber es war nur Mittel zum Zweck und das geheuchelte Interesse daran diente einzig dem, mit mir in Kontakt zu treten, mich kennenzulernen, mich genauer unter die Lupe nehmen zu dürfen – mehr nicht!
Wer, welcher Künstler, wäre da nicht zutiefst in seinem Selbstverständnis als Künstler verletzt? Er dachte, man schert sich um seine Kunst, dabei tat man es mitnichten, man hielt dieses geschaffene Dinge nicht einmal als Kunst.
Welcher Künstler fiele da nicht in in eine Sinnkrise?
Und dieser Gnilch vor mir behauptet auch, er sei Künstler. Außerdem sei er noch Altruist, wie ich aus einer Mär von meiner Mutter über dessen Schicksal einmal erfahren durfte, die seine Mutter als Rechtfertigungsgrund für seine Arbeitslosigkeit erzählt hatte: er habe es als Filialleiter eines Discounters nicht übers Herz gebracht, eine alte Oma beim Klauen anzuzeigen und ein Kollege hätte dies der Geschäftsleitung denunziert, so daß er Hals über Kopf auf der Straße langte.
Ich stöhnte bei dieser Geschichte auf. Klar, immer sind es die anderen. Letzthin, ein bekannter Automechaniker, der sich eine ins Koma führende Kopfverletzung beim Moped- oder Motorradfahren zugezogen hatte, hatte dies deswegen, weil, obwohl nach einem Fest und Nachts betrunken gefahren, von einem daherkommenden Gegenverkehrer geschnitten worden ist, der natürlich nicht stellbar Fahrerflucht begangen hatte. Dies hätte natürlich des Pseudo-Rennfahrers Unfall erklärt, und er hatte eine gute Erklärung bedurft, da er einen guten Ruf als sehr guter Automechaniker z u verlieren hatte, wenn auch Fahren und Reparieren zwei paar Stiefel sind.
Und jetzt behauptet dieser Langzeitlose, von dem ich ausging, daß er es war, ein anderer hätte ihn, in diese mißliche Lage gebracht, zudem nur weil er so menschenfreundlich war, und nicht sein Unvermögen, seine Faul- oder Dummheit.
Selbstloser Menschenfreund und begnadeter Musiker zu sein behaupten, dies war zu viel!
„Okay, Du sagst, Du bist Musiker!“
„Und ob!“
„Welches Instrument spielst denn Du?“
Er zählte wieder sein E-Gitarre auf, aber auch, daß er die Percussion, die Drums führen könne!“
„Aha, Du bist Trommler!“
„Äh, Percussionist, würde ich eher sagen!“
„Kannst Du das auch beweisen!“
„Aber natürlich!“ Er klatschte in die Hände, irgend einen Rhythmus.
„Na, überzeugt mich nicht so. Ich hör da keinen richtigen Takt raus. Außerdem, ist Drummer mehr als bloß Takt halten...“
Er verdreht den Kopf in alle möglichen Richtungen und sein Blick fällt auf einige Mülltonnen. Ich denke, mach das nicht, neben dem Auto sind Mülltonnen mittlerweile in diesem Land die zweit wichtigste Ikone. Diese zu malträtieren kommt mehr als einem Sakrilegsbruch gleich. Aber ich konnte ihn nicht mehr stoppen, zumal mein Blick ja auch auf diese Instrumente, günstigerweise sind sie entleert und bilden somit einen Klangkörper, fällt förmlich auf diese, wirft sich mit seinem Oberkörper auf einen, während er tatsächlich mit Händen und Füßen diesen bearbeitet. Ich kann mir eines sardonischen Lächeln nicht ersparen. Er haut mit seinen Fäusten mal auf den Deckel, mal auf die Seiten und die Klappe einer Tonne betätigt er dann als Schlaginstrument, was ich befürchtet habe.
„Pah, sage ich. Damit brauchst Du mir nicht kommen: We will rock you von ACDC. Das kann mein 8jährer Neffe schon!“
Er legt sich daraufhin sehr ins Zeug und trommelt auch, was das Zeug hält. Selbst mit den Füßen schlägt er gegen die Plastiktonnen. Ich tue mir zwar schwer, den Rhythmus eines bekannten Songs herauszuhören, bin dennoch beeindruckt. Beeindruckt bin ich allerdings vor allem von seiner rücksichtslosen Naivität, fremde Abfalltonnen ohne Wenn und Aber zu bearbeiten, als ob das nicht eine schwerwiegende Handlung bedeutete. Man durfte doch nicht einmal in eine fremde Tonne ein schmutziges Rotztuch werfen, ohne Gefahr zu laufen, angezeigt zu werden. Meist auch wurden die Tonnen ja schon hinter Gift und Riegel gestellt, so wichtig waren diese dem Konsumbürger geworden. Als wäre es ein Existenzeinbruch, wenn man seinen Abfall nicht bis auf das letzte Rotztuch selbst entsorgen könnte.
Insgeheim denke ich aber an die drohende Gefahr. Und was ich befürchtet habe tritt ein, ein Mann springt aus der Tür seines Hauses und brüllt schon von weitem, kein Wunder, bei dem Krach, den mein ähm Halbbruder verursacht: „Seid Ihr verrückt geworden.“ Ich, er hinterher, ergreifen die Flucht.
Als wir um die Ecke gekommen sind, keuchend und schwer nach Luft schnappend, läßt der andere nicht locker: „Glaubst Du es jetzt, daß ich Musiker bin, he!“ Zum Glück sehe ich den Verfolger um die Ecke kommen und ich schreie noch, bevor ich in eine andere Richtung als mein Halbbruder davonstobe. „Fast! Und wir werden sehen!“ Er schreit zurück: „Genau, wir werden sehen!“ Ich habe Glück gehabt, der wütende Spießbürger verfolgt den anderen.

Und dieser Typ vor mir, dicker Bach, lispelnde Stimme, gut dafür kann er nichts, und feistes Grinsen in der Visage, biedert sich aus dem selben Grund an als einer der unzähligen ehemaligen Geliebten und Mätressen deines geilen Vaters. Dieser war nur ein Betriebsunfall, ein persönliches Mißgeschick, ein schlechter Scherz des Schicksals, von dem dein Vater geschlagen worden ist und du sollst jetzt die Sache einigermaßen wieder geradebiegen. Wer bin ich denn? Nur weil ich der Sohn von einem Vater bin, muß ich doch nicht seine Sünden büßen, seine Mißgriffe gradebiegen und seine Fettnäpfchen nachfüllen oder wie oder was? Nein, zumal ich auch alles andere als ein gutes, will sagen väterlich-söhnliches Verhältnis mit diesem Schwerenöter hatte. Zumindest die letzten Jahre.
Ich drehe mich abrupt um, jedes Wort kostet unnötige Kraft und ist verschwendete Liebesmühe und ziehe von dannen, mehr schnell als langsam, das ist auch noch eine Schmach. Ich muß jetzt schon Dahergelaufenen davonlaufen? Das werde ich meinem Vater niemals nicht verzeihen. Gleich werde ich ein Bild von ihm malen und dies aufs Grab stellen, leider neben dem Bild meiner verehrten Mutter. Läßt sich nicht vermeiden. Egal!
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pentz
Geschlecht:männlichEselsohr


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Beitrag04.08.2022 12:23
Elixiere des Todes
von pentz
Antworten mit Zitat

Ich muß wieder arbeiten gehen. Es geziemte sich zwar nicht, als Künstler zu schuften wie die Alltagsmenschen, aber die Welt würde die Quittung bezahlen müssen dafür, nämlich weniger Kunstwerke.
„Elixier, bitte!“
Das ist übrigens eine Zigarettenmarke.
„Hier, bitte Elixiere des Todes!“
„Lord!“
„Hier bitte, der Lord des Todes!“
Ich bin an einem Kiosk beschäftigt. Ich muß Geld hereinbekommen, damit ich weiter malen kann. Leinwand und Farben sind teuer. Ich verkaufe etwas, wovon ich zutiefst nicht überzeugt bin, sprich, was ich weiß, daß es brandgefährlich und gesundheitlich verheerend ist, aber was soll ich machen? Die eigenen Erfahrungen mit Nikotin leiten meine Verhaltensweise, obwohl es dem Zweck meines Tuns entgegengesetzt steht.
„En Vogue!“
„En Vogue im Tod!“
Schlecht fürs Geschäft. Aber wird es mir so ergehen, wie meinem Halbbruder, der, wie er behauptete, von einem Kollegen von der Geschäftsleitung denunziert wurde, als er es unterließ ein armes Mütterchen über 90 beim kleinkriminellen Stehlen zu stellen, anzuzeigen und bestrafen? Er mußte es mit seinem Super-Job als Filialleiter bezahlen. Auch ich befinde mich in einer ähnlichen Situation, indem ich nicht tue, was ich tun soll, aber was mir zuwider ist: gesundheitsschädigende Substanzen zu verkaufen. Bei mir ist es mehr als Mitleid, bei mir ist es Wissen über die verheerende Wirkung Nikotin, da ich einen Herzinfarkt erlitt.
In dem kleinen Kioskraum stehen noch weitere Dinge, die mein Ungemach hervorrufen. Ein Plakat mit zwei Jugendlichen, bewehrt mit jeweils einer Zigarette mit Fortsatz und der Überschrift: stehst du auch auf Menthol? Die Jugendlichen machen einen zufriedenen und glücklichen und angetörnten Eindruck. Offiziell sind Mentholzigaretten verboten, sagen die Mitarbeiter, vielleicht aber schon wieder erlaubt, schränken sie danach ein, zudem sei doch Werbung für Nikotin verboten, wie auch immer, auf einem riesengroßen Standplakat hier wird für Mentholfilter, Menthol-Filter, verbrämten Mentholzigaretten oder Sisha, was weiß ich, was für Produkte, die wie die unter dem Menthol-Rauch-Verbot fallende, geworben. Wie immer es sich verhalten mag, welch juristische Spitzfindigkeit solches Gebaren erlaubt, aber offiziell verbietet, das spielt im Land der Heuchler und Verheimlicher, des freie Westen eben, keine Rolle.
Man muß sich arrangieren.

Ich bezeichne gerne, wenn ich mit den Leuten näher in Kontakt kommen und überhaupt einen Bezug zu ihnen herstellen möchte, sie dort, woher sie kommen oder was sie wollen, mit einem sie auf den Punkt bringenden Namen.
Zum Beispiel, der bayerische Kongolese. Eine Bezeichnung für den Niederbayern. Ich tue es aber so, daß derjenige nicht beleidigt, sondern geschmeichelt ist.
Oder Madjare für Ungar.
Oder: Also, Herr Raucher, was wünschen Sie? Herr Araber, wenn ich mich recht erinnere.
Wenn ich Sprachfetzen kenne, Faham für verstehe Dich, oder den dopre im Polnischen, im Tschechischen dopri den, benutze ich diese, weil für jede Ausländer-Sprache im Inland Balsam auf meine Seele gesprengelt bedeutet. Am liebsten höre ich deutsche Musik im Ausland und hierzulande ist sie mir verhasst.
Für gehen die Worte wie Gold in die Kehle: Mulscumesc und La re Vedere. Rumänisch Danke und Auf Wiedersehen.

„Ach, die Spielerin.“ das hätte ich nun nicht sagen sollen. Es entsprach dem Umstand, der Ausdruck traf haargenau zu, entsprach es doch dem Treiben der Angesprochenen, war er aber dennoch negativ besetzt. Das nächste Mal, als sie wieder an meinen Tresen trat, war die Spielerin schwer beleidigt. Und zwar sehr schwer.
„Wenn Sie dies noch einmal sagen, dann haben Sie mich aber als Kundin gesehen.“
Es dauerte, bis ich endlich kapierte, was es mit dem Wort Spieler für welche Assoziation auf sich hat.
„Entschuldigen Sie mich, gnädige Frau!“
„Ich bin auch nicht gnädig! Das sei ihnen gesagt!“
Ich schweige einen Moment, mir fällt aber ein: vorhin sagte doch eine Frau lächelnd, man bezeichne sie in ihrer Bekanntschaft gerne als „Spielfee!“ Also, müsse dieser Begriff wohltuend rüberkommen?
So sage ich: „Darf ich dann Spielfee sagen?“
 Sie lächelt geschmeichelt. „Also gut, Spielfee.“
Während sie erneut Wettzettel ordert, verfinstert sich ihr Blick. „Aber das gefällt mir auch nicht so recht.“
Na, was dann? Am besten hartnäckiges Schweigen, damit nicht noch mehr Porzellan zu Bruch fällt. Also denn. „Auf Wiedersehen!“ Nein, lieber nicht, das könnte ihr einen Schlüsselwort sein für: „Mal sehen!“ und den Konflikt aufrechterhalten. So sage ich: „Schönen Tag noch!“
Murrend, scheint mir, nicht schweigend, aber kein Wort verlauten lassend, zumal das Geplärre des Lautsprechers vom nahen Kaufhaus so laut ist, verschwindet sie wie ein Dampfwalze, der man ihre Gefühle nicht ansehen kann, zumal wegen ihrer undurchdringlichen, dicken Sonnenbrille.
Diese Verhüllung passt zu ihrem dicken Geschmeide, das sie beglänzt und beschützt. Nicht etwa eine Gold-Rolex als Symbol für Reichtum (durch Spielgewinn) hat sie, glaube ich, aber das ist wohl eher bei Männern der Fall, daß sie das Tragen von Gold-Rolex-Uhren pflegen als Ausdruck von Wohlstand. Eine Frau muß doch eine etwas femininere Ausfertigung haben - hier wird nach Geschlecht differenziert - dennoch weiß ich es nicht genau, denn im Gedächtnis ist mir ihre Armbanduhr nicht geblieben, wie ich erinnere, als sie von dannen zog und mich so perplex zurückließ, daß ich mir ihre ganze Gestalt noch einmal intensiv einsog.
Was war so dominant an ihr?
Ja, das einfach dicke Kreuz auf den plumpen Wurstfingern. Eine geometrische Figur, die wohl keine größere Seite besaß, nur ein silbernes gleichseitiges Kreuz darstellte, ohne Schmuck, Verzierung und etwa einem Diamant. Als wolle sie damit ausdrücken: ich stamme von einfachen Handwerkern ab, die es durch ihren Fleiß und Geschick zu etwas gebracht haben, jawohl. Von einer verarmten Adligen, einer versteckten, reichen Industriellen- oder Beamtenwitwe oder dergleichen kann mitnichten bei mir gesprochen werden, damit ihr es wisst!
Überhaupt, ihre Augen. Diese großen, meerblauen! Sie schauten aus einem leicht Gepolsterten Fett um ihre Augenhöhlen herum heraus. Sehr zufrieden, schien mir. Weil blaue Augen an sich Zufriedenheit verströmen? Oder waren es ihre Strahlen, ihre innere Ausstrahlung?
Alles an ihr war mit einer fetten Polsterung umgeben, selbst die Finger, so daß es ein Wunder war, daß sich ihr schmucker, intensiv-silberner Fingerreif daran hielt? Tat er das? Läßt fett an Knochen nicht solche Schmuckstücke haltlos machen, leicht verschieb- und verrückbar? Nervte es nicht, in so einem Fett einen Ring tragen zu müssen?

Sie kommt aber nach einigen Sekunden plötzlich zurück und belfert mich an: „Wie ist ihr Name?“
Ich zögere, denn ich weiß, was dies bedeutet: Denunziation bei einem Vorgesetzten.
 „Warum wollen Sie das wissen, Madam?“
„Ich bin keine Madam!“, schreit sie hochroten Gesichts.
Was wir uns doch so tief in der Provinz befinden. Sie blickt plötzlich stieren Blickes auf mich, auf den unteren Körperbereich, auf meine Brust. Aber ja, während andere Mitarbeiter längst unser Firmen-T-Shirt haben, muß ich mich noch, der sich erst in der Einarbeitungsphase befindet, ein albernes Pappschildchen tragen, das an einer um den Hals gehenden Schnur hängt, worauf mein Name steht und meine Funktion: Einarbeiter.
„Ich kenne Sie!“, schreit sie noch lauter.
„Wie kann da sein, gnädige Frau?“
„Sie werden schon sehen, wie gnädig ich sein werde, Herr Pentz. Ich kenne ihre Mutter gut genug, um zu wissen, mit wem ich es zu tun habe. Ja; ich kenne Ihre ganze Sippschaft.“
Sie war nahe daran, schien mir, mich anzuspucken und ich mich zu ducken, gelobt sei Corona-Epidemie hing eine durchsichtige Plastikscheibe zwischen uns.
Nun, „Sippschaft“ war so ein Wort wie „Spielerin“, zunächst beschrieb es nur einen Sachverhalt, aber leider in einer sehr, sehr negativen Verbindung. Das konnte ja heiter werden.
Schon hatte sie sich umgedreht, einen der großen, breiten Einkaufswagen gepackt, der ihr fast zu groß und zu schwer war, so klein wie sie war, dass sie kaum darüber schauen konnte. Aber da sie selbst gedrungen wie einer dieser Pitpulls wirkte, rollte sie ihren kugelrunden Körper und den dazu passenden, viel zu breiten, schweren Einkaufswagen aus Eisen, der wiederum auf sie wie die Faust aufs Auge passte, von dannen.
Ich fragte mich, wie wird das Wetter? Ich dachte: Es könnte ganz schön heiter werden.
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F.J.G.
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Beitrag04.08.2022 16:41
Re: Elixiere des Todes
von F.J.G.
Antworten mit Zitat

pentz hat Folgendes geschrieben:
Ich muß wieder arbeiten gehen. Es geziemte sich zwar nicht, als Künstler zu schuften wie die Alltagsmenschen, hört sich ziemlich arrogant an aber die Welt würde die Quittung bezahlen müssen Quittungen bezahlt man nicht dafür, nämlich weniger Kunstwerke.
„Elixier, bitte!“
Das ist übrigens eine Zigarettenmarke.
Das „Übrigens“ passt nicht so recht in die gewählte Erzählperspektive.
„Hier, bitte Komma Elixiere des Todes!“
„Lord!“
„Hier bitte, der Lord des Todes!“
Ich bin an einem Kiosk beschäftigt. Ich muß Geld hereinbekommen, damit ich weiter malen kann. Leinwand und Farben sind teuer. Ich verkaufe etwas, wovon ich zutiefst nicht überzeugt bin, sprich, was ich weiß, daß es brandgefährlich und gesundheitlich verheerend ist, aber was soll ich machen? Die eigenen Erfahrungen mit Nikotin leiten meine Verhaltensweise, obwohl es dem Zweck meines Tuns entgegengesetzt steht. Wenn du als Angestellter in einem Kiosk ein solches kaufmännisches „Talent“ an den Tag legst bist du im normalen Leben gefeuert, und zwar gestern.
„En Vogue!“
„En Vogue im Tod!“
Ach so. Er macht Wortspiele mit „tödlichen“ Zigarettenmarken. Das solltest du klarer hervorheben.
Schlecht fürs Geschäft. Aber wird es mir so ergehen, wie meinem Halbbruder, der, wie er behauptete, von einem Kollegen von der Geschäftsleitung denunziert wurde, als er es unterließ Komma ein armes Mütterchen über 90 beim kleinkriminellen Stehlen zu stellen, anzuzeigen und bestrafen? Da dies als Fragesatz endet: JA! Er mußte es mit seinem Super-Job als Filialleiter bezahlen. Auch ich befinde mich in einer ähnlichen Situation, indem ich nicht tue, was ich tun soll, aber was mir zuwider ist: gesundheitsschädigende Substanzen zu verkaufen. Bei mir ist es mehr als Mitleid, bei mir ist es Wissen über die verheerende Wirkung Nikotin, da ich einen Herzinfarkt erlitt.
In dem kleinen Kioskraum stehen noch weitere Dinge, die mein Ungemach hervorrufen. Ein Plakat mit zwei Jugendlichen, bewehrt mit jeweils einer Zigarette mit Fortsatz und der Überschrift: stehst du auch auf Menthol? Die Jugendlichen machen einen zufriedenen und glücklichen und angetörnten Eindruck. Offiziell sind Mentholzigaretten verboten, sagen die Mitarbeiter, vielleicht aber schon wieder erlaubt, schränken sie danach ein, zudem sei doch Werbung für Nikotin verboten, wie auch immer, auf einem riesengroßen Standplakat hier wird für Mentholfilter, Menthol-Filter, verbrämten Mentholzigaretten oder Sisha, was weiß ich, was für Produkte, die wie die unter dem Menthol-Rauch-Verbot fallende, geworben. Bei solch einem Nebensatz-Dschungel fragt man sich, was hier der Autor geraucht haben muss … SCNR Wie immer es sich verhalten mag, welch juristische Spitzfindigkeit solches Gebaren erlaubt, aber offiziell verbietet, das spielt im Land der Heuchler und Verheimlicher, des freie Westen eben, keine Rolle.
Man muß sich arrangieren.
Inzwischen haben wir also einen Verkäufer, der längst nicht mehr arbeiten darf weil er von seiner eigenen Ware abrät, und einen Eigentümer, der illegale Tabakwerbung betreibt … etwas mehr Legalität in deinen Erzählungen würde der Glaubwürdigkeit gut tun.

Ich bezeichne gerne, wenn ich mit den Leuten näher in Kontakt kommen und überhaupt einen Bezug zu ihnen herstellen möchte, sie dort, woher sie kommen oder was sie wollen, mit einem sie auf den Punkt bringenden Namen. Was?
Zum Beispiel, der bayerische Kongolese. Eine Bezeichnung für den Niederbayern. Ich tue es aber so, daß derjenige nicht beleidigt, sondern geschmeichelt ist. So einen zeig mir mal …
Oder Madjare für Ungar.
Oder: Also, Herr Raucher, was wünschen Sie? Herr Araber, wenn ich mich recht erinnere.
Wenn ich Sprachfetzen kenne, Faham für verstehe Dich, oder den dopre im Polnischen, im Tschechischen dopri den, benutze ich diese, weil für jede Ausländer-Sprache im Inland Balsam auf meine Seele gesprengelt bedeutet. Am liebsten höre ich deutsche Musik im Ausland und hierzulande ist sie mir verhasst.
Für gehen die Worte wie Gold in die Kehle: Mulscumesc und La re Vedere. Rumänisch Danke und Auf Wiedersehen.

„Ach, die Spielerin.“ das Zeichensetzung! hätte ich nun nicht sagen sollen. Es entsprach dem Umstand, der Ausdruck traf haargenau zu, entsprach es doch dem Treiben der Angesprochenen, war er aber dennoch negativ besetzt. Was? Das nächste Mal, als sie wieder an meinen Tresen trat, war die Spielerin schwer beleidigt. Und zwar sehr schwer.
„Wenn Sie dies noch einmal sagen, dann haben Sie mich aber als Kundin gesehen.“
Es dauerte, bis ich endlich kapierte, was es mit dem Wort Spieler für welche ??? Assoziation auf sich hat.
„Entschuldigen Sie mich, gnädige Frau!“
„Ich bin auch nicht gnädig! Das sei ihnen Ihnen gesagt!“
Ich schweige einen Moment, mir fällt aber ein: vorhin sagte doch eine Frau lächelnd, man bezeichne sie in ihrer Bekanntschaft gerne als „Spielfee!“ Also, müsse dieser Begriff wohltuend rüberkommen?
So sage ich: „Darf ich dann Spielfee sagen?“
 Sie lächelt geschmeichelt. „Also gut, Spielfee.“
Während sie erneut Wettzettel ordert, verfinstert sich ihr Blick. „Aber das gefällt mir auch nicht so recht.“
Na, was dann? Am besten hartnäckiges Schweigen, damit nicht noch mehr Porzellan zu Bruch fällt. Entweder fällt etwas, oder es geht zu Bruch. Also denn. „Auf Wiedersehen!“ Nein, lieber nicht, das könnte ihr einen Schlüsselwort sein für: „Mal sehen!“ und den Konflikt aufrechterhalten. So sage ich: „Schönen Tag noch!“
Murrend, scheint mir, nicht schweigend, aber kein Wort verlauten lassend, zumal das Geplärre des Lautsprechers vom nahen Kaufhaus so laut ist, verschwindet sie wie ein Dampfwalze, der man ihre Gefühle nicht ansehen kann, zumal wegen ihrer undurchdringlichen, dicken Sonnenbrille. Hä?!
Diese Verhüllung passt zu ihrem dicken Geschmeide, das sie beglänzt Was soll „beglänzt“ heißen? und beschützt. Nicht etwa eine Gold-Rolex als Symbol für Reichtum (durch Spielgewinn) hat sie, glaube ich, aber das ist wohl eher bei Männern der Fall, daß sie das Tragen von Gold-Rolex-Uhren Es gibt keine Gold-Rolex-Uhren. Höchstens goldene Rolex-Uhren oder Rolex-Ihren aus Gold pflegen als Ausdruck von Wohlstand. Was für ein chaotischer Bandwurmsatz! Eine Frau muß doch eine etwas femininere Ausfertigung haben - hier wird nach Geschlecht differenziert - dennoch weiß ich es nicht genau, denn im Gedächtnis ist mir ihre Armbanduhr nicht geblieben, wie ich mich erinnere, als sie von dannen zog und mich so perplex zurückließ, daß ich mir ihre ganze Gestalt noch einmal intensiv einsog. Das ergibt alles keinen Sinn. Dieser Absatz ist einfach nur Kraut und Rüben.
Was war so dominant an ihr?
Ja, das einfach dicke Kreuz ??? auf den plumpen Wurstfingern. Eine geometrische Figur, die wohl keine größere Seite besaß, nur ein silbernes gleichseitiges Kreuz darstellte, ohne Schmuck, Verzierung und etwa einem Diamant. Als wolle sie damit ausdrücken: ich stamme von einfachen Handwerkern ab, die es durch ihren Fleiß und Geschick zu etwas gebracht haben, jawohl. Von einer verarmten Adligen, einer versteckten, reichen Industriellen- oder Beamtenwitwe oder dergleichen kann mitnichten bei mir gesprochen werden, damit ihr es wisst! Dass du plötzlich den Leser direkt ansprichst, passt überhaupt nicht zum bisherigen Erzählstil.
Überhaupt, ihre Augen. Diese großen, meerblauen! Sie schauten aus einem leicht Gepolsterten gepolsterten Fett um ihre Augenhöhlen herum heraus. Ich glaube nicht, dass du den Lesern erklären musst, wo im Kopf die Augen sitzen.  Sehr zufrieden, schien mir. Weil blaue Augen an sich Zufriedenheit verströmen? Oder waren es ihre Strahlen, ihre innere Ausstrahlung?
Alles an ihr war mit einer fetten Polsterung umgeben, selbst die Finger, so daß es ein Wunder war, daß sich ihr schmucker, intensiv-silberner Fingerreif daran hielt? Tat er das? Läßt fett Fett an Knochen nicht solche Schmuckstücke haltlos machen, leicht verschieb- und verrückbar? Nervte es nicht, in so einem Fett einen Ring tragen zu müssen?

Sie kommt aber nach einigen Sekunden plötzlich zurück und belfert mich an: „Wie ist ihr Ihr Name?“ Obacht, auf einmal rutschst du in den Präsens!
Ich zögere, denn ich weiß, was dies bedeutet: Denunziation bei einem Vorgesetzten.
 „Warum wollen Sie das wissen, Madam?“
„Ich bin keine Madam!“, schreit sie hochroten Gesichts.
Was wir uns doch so tief in der Provinz befinden. Sie blickt plötzlich stieren Blickes auf mich, auf den unteren Körperbereich, auf meine Brust. Aber ja, während andere Mitarbeiter längst unser Firmen-T-Shirt haben, muß ich mich noch, der sich erst in der Einarbeitungsphase befindet, Reihenfolge! ein albernes Pappschildchen tragen, das an einer um den Hals gehenden Schnur hängt, worauf mein Name steht und meine Funktion: Einarbeiter.
„Ich kenne Sie!“, schreit sie noch lauter.
„Wie kann da ??? sein, gnädige Frau?“
„Sie werden schon sehen, wie gnädig ich sein werde, Herr Pentz. Ich kenne ihre Ihre Mutter gut genug, um zu wissen, mit wem ich es zu tun habe. Ja; ich kenne Ihre ganze Sippschaft.“
Sie war nahe daran, schien mir, Herzlich willkommen zurück im Präteritum! mich anzuspucken und ich mich zu ducken, gelobt sei Corona-Epidemie hing eine durchsichtige Plastikscheibe zwischen uns.
Nun, „Sippschaft“ war so ein Wort wie „Spielerin“, zunächst beschrieb es nur einen Sachverhalt, aber leider in einer sehr, sehr negativen Verbindung. Das konnte ja heiter werden.
Schon hatte sie sich umgedreht, einen der großen, breiten Einkaufswagen gepackt, der ihr fast zu groß und zu schwer war, so klein wie sie war, dass sie kaum darüber schauen konnte. Aber da sie selbst gedrungen wie einer dieser Pitpulls wirkte, rollte sie ihren kugelrunden Körper und den dazu passenden, viel zu breiten, schweren Einkaufswagen aus Eisen, der wiederum auf sie wie die Faust aufs Auge passte, von dannen.
Ich fragte mich, wie wird das Wetter? Ich dachte: Es könnte ganz schön heiter werden.


Hoffe du kannst was von meinen Anmerkungen mitnehmen. Alles kann, nichts muss. Smile


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pentz
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Beitrag25.08.2022 11:20
Im Bann von Anubis, dem Gott der toten Katzen
von pentz
Antworten mit Zitat

Sie mailt mir. Sie ruft mich an. Dann schreibt sie mir eine SMS.
„Gitta ist gestorben.“ Am Telefon ist sie so etwas von verzweifelt. „Heute, vor einer halben Stunde war der Arzt da und hat sie eingeschläfert.“ Sie klingt so etwas von verzweifelt. „Aber woran liegt das Problem. Die bist doch für freies Sterben. Patientenverfügung undsoweiter. Und wenn dann einmal ein Wesen aus natürlichem Grund heraus stirbst, bist Du ganz aus dem Häuschen.“
„Ach, Du bist so ein Trankopf. Du kennst kein Mitleid. Du verstehst mich nicht.“
„Doch doch. Wenn man so lange wie Du mit Sophie zusammengelebt hat – wie lange ist es jetzt?“
„12 Jahre.“
„12 Jahre. Da steckt man das natürlich nicht so ohne weiteres weg, wenn da jemand stirbt. Würde mir auch so gehen.“
„Ach Du, Du, hättest kein Empfinden. Bei Deiner Mutter schon warst Du gleichgültig.“
Das ist natürlich die Lüge schlechthin. Gerade bei meiner Mutter war so etwas von mitgenommen, mehr als sie bei ihrer Sophie natürlich, und auch mehr wie bei ihrer Mutter, bestimmt. Aber das wollte ich nun nicht aufs Tapet bringen. Solche Vergleiche, ich habe mehr wegen meiner Mutter gelitten als Du wegen Deiner Mutter – das ist purer Schwachsinn.
„Naja, das Testament hast Du ja gemacht.“
„Schon!“
„Klar, ich habe es aufgefasst, aufgeschrieben, ich war dabei, ich weiß. Für Deine Katzen ist gesorgt, wenn Du nicht mehr sein solltest und die Katzen noch sind. Übergesorgt.“
„Ja schon!“
Der Ton klang: selbstverständlich. Das Letzte, was ich für meine Katzen tun kann; das Letzte, was ich für die Welt hinterlasse, nämlich nach meinem Ableben das geregelte Leben meiner Haustiere; finanziell gut versorgt, mit einem Leumund und Adoptivbetreuer und auch die Beerdigungskosten sind schon im Voraus bezahlt. Mehr kann eine treusorgende Katzenfrau nicht machen! Einfach vorbildhaft zudem! Wie immer, wie sie stets in ihrem Leben gewesen ist! Da beißt die Maus keinen Faden ab!

„Gestern war der Arzt da. Erst neu Cortisonspritze, dann ist er zehn Minuten aus dem Haus, hat gewarnt, das Kätzchen könnte sich erbrechen, was es prompt tat, dann hat er ihr die finale Spritze gegeben. Dabei hat Sophie ihn gekratzt. Ein Beweis, daß sie eben eine besondere Katze war. Und ich habe ihr Valium einträufelt, allerdings zur Hälfte verschüttet. Das war alles sehr herzbewegend, kann ich Dir sagen.“
„Das glaube ich Dir aufs Wort.“
„Und der Arzt war so etwas von nett. Ich glaube, der war gläubig religiös.“
„Warum hat er bei der finalen Todesspritze ein Gebet heruntergeleiert!!
„Idiot! Deine Bemerkungen beweisen wieder einmal, wie wenig Mitleid Du abzubringen imstande bist!“
„Naja. Soll ich mir etwa das Herz aus der Brust reißen!“
„Nein, aber etwas mehr Mitgefühl aufbieten.“
„Hab ich, hab ich. Glaub mir!“
„Tu ich aber nicht!“
„Du kannst es nicht glauben?“
„Nein, kann ich nicht.“
„Na denn!“
Schweigen.
„Warum aber soll Sophie ein besondere Katze sein. Oskar und Minni waren es doch auch. Und außerdem, schau Dir Hilde an, sie sieht fast genauso aus und was ist bei ihr anders als bei Sophie. Doch nur, daß Sophie die Angewohnheit hatte, schon immer, und ich bin schließlich ihr Ziehvater, der es wissen muß, zu kratzen.“
„Kein Wunder, sie hat einen anderen Vater als Hilde.“
„He, aber die gleiche Mutter. Rosa. Das wirst Du wohl nicht abstreiten können. Außerdem habe ich es mit diesen meinen Augen selbst gesehen, wie sie da als kleine Popperla zusammenlagen.“
„Aber hast Du keine Ahnung von Katzen. Gleiche Mutter, aber andere Väter. So hat das die Natur eingerichtet.“
Ich lache auf. „Das soll wohl ein Witz sein. Einen Vater, aber zwei verschiedene Mütter, so rum geht das. Aber nicht eine Mutter und viele verschiedene Väter zum gleichen Zeitpunkt einer bestimmten Geburt.“
Ich denke bei dieser Sache natürlich an meinen Stiefbruder. Der meinen Vater auch zu seinem Vater hatte, aber eine andere Mutter. So ist das natürlich und überhaupt praktikabel.
„Aber weißt Du nicht, wie es die Katzen treiben...“
„Äh, ja. Ich habe es schon ein paar mal verfolgt in den Nächten, wie dies es treiben: eine Katzin und viele Kater.“
„Na eben!“
„So gesehen.“
Ich verfalle wieder ins Schweigen. Aber ob da die Samen von den verschiedenen Väter bis zum Ei der Mutter mit der gleichen Wahrscheinlichkeit durchsickern können, obwohl so eine Paarung vielleicht in einem Abstand von einer halben Stunde stattfindet gewöhnlicher- und üblicherweise?
Verwirrend das ganze.
Aber natürlich, im Tierreich kann sich dies natürlich ganz anders verhalten wie bei Menschen. Außerdem sind Menschen Säugetiere und Katzen nicht. Wenn dies etwas zu sagen hat, hm. Nein, das verhält sich ja gleich. Auch Katzen säugen ihre Jungen. Also, wie geht das also zu Werke? Ich bin schwer in grübeln gekommen. Und auch etwas deprimiert. Muß ich schließlich an meinen doofen Halbbruder denken bei dieser ganzen Sache.
Aber so weit entfernt von Katzen sind Frauen auch wieder nicht. Hat die Mutter meines Halbbruders nicht davon gesprochen, sie wisse gar nicht mehr genau, wer der richtige Vater sei. Wahrscheinlich aber hat sich dies leider nicht auf diesen bezogen, sondern auf seine jüngere Schwester. Aber dessen bin ich mir auch nicht sicher. Fragen kann ich nicht und kommt nicht in Frage. Frauen, Mütter nehmen einem dies übel, wenn man diesbezügliche Fragen stellt. So meine Mutter wenigstens. „Warst Du noch Jungfrau, als Du mit meinem Vater das erste mal geschlafen hast!“ „Das waren andere Zeiten damals. Aber was soll diese Fragerei? Ich verbitte mir dies.“
Nun, Frauen und Kätzin – alle gleich, oder?

„Meine Gertrude hat so ein Geschwulst am Ende gehabt.“
„Ich dachte so!“
„Ja, aber die letzten Tage ist das noch so angeschwollen.“
„Und wie groß war Deine Katze überhaupt.“
„So!“
„Dann war das Geschwulst also größer als der Laib der Katze – wie geht das an?“
„Ach, Du zeigst überhaupt keine Mitgefühl!“
„Aber horch mal, wenn...“
Undsoweiter.

„Komm bitte am Wochenende zu mir. Ich muß mein Testament machen.“
„Dein Testament?
„Vielmehr das meiner Katzen und mir.“
„Zuerst kommen die Katzen, ja!?“
„Natürlich?“
Seitdem sie den Glauben den Sozialismus verloren hat, glaubt sie an die Liebe der Katzen.

Als ich zu ihr komme, bittet sie mich, Ihren „Letzten Willen“ aufzusetzen. Vor mir auf dem Tisch liegt bereits ein Stapel von Papieren sowie ein edler Stift, den ich ergreife und mit dem ich nun zu schreiben beginne.
„Der letzte Wille einer Katzennärrin!“, schlage ich vor.
„Gut!“, sagt sie und: „Und weiter!“
„A.B.‘s – ich kürze Deinen Namen mal aber, geht schneller - Zuhause ist dort, wo ihre Katzen hausen.“
„Stopp. Das gefällt mir überhaupt nicht. Leben, leben klingt gut.“
„Aber es sind doch Viecher, äh, Tiere, halt Katzen.“
„Na und?“ Ihre Augen öffnen sich derartig weit, daß das Weiße derselben überdeutlich ins Blickfeld rückt. Daran mag wohl der Wein liegen, den sie nun fast bei jedem Satz aus einem edel geschliffenen Weinrömer vor sich zu sich führt.
Ich gebe vor zu verstehen.
„Okay, „hausen“ wird abgelehnt, ich schreibe also: Ihr Zuhause ist dort, wo ihre Katzen leben.“
Sie nickt befriedigt, schaut nach oben, an die Decke, warum auch immer dorthin und wiederholt die Formulierung: „Sie ist Gast, wo die Katzen leben!“ Daraufhin nimmt sie genüsslich einen Schluck aus ihrem Glas.
Ich selbst nehme einen großen Schluck aus einem Wasserglas, in dem sich stilles Mineralwasser befindet. Ich sehe aus den Augenwinkeln, daß auf ihrem Weinetikett „Primitivo“ steht.
Dann schlage ich weiter vor zu schreiben: „Und wo sie sich bei ihren Katzen zu Gast fühlt.“
Erneut weiten sich ihre Augen: „Genau, ich bin Gast bei meinen Katzen. So ist es richtig.“
Ich habe ins Schwarze getroffen. Zwar habe ich im Satz nur Subjekt und Objekt vertauscht und von einem Aktiv- in einen Passivsatz gewechselt, kurzum, inhaltlich das Gleiche ausgedrückt, aber schon ist sie erneut Feuer und Flamme. Und ich befriedigt, daß sie zufrieden ist darüber.
„Gut ich fahre fort: Verblieben sind ihr an der Zahl nur drei: Rosa Dolores, Sophia (Scholl) und Hanna (Arendt). Jüngst weggestorben ist ihr die Katze Gertrude (Stein). Unter anderem denkt sie voller Wehmut noch an folgende verstorbene Katzen: Minni und Oskar.“
„Wo Du damals so kläglich versagt hast!“
Ach ja, einmal Vorwürfe immer Vorwürfe! Noch nach Jahrzehnten brennen sie noch immer lichterloh. Dabei standen drei Menschen, die nach Berlin über die Automitfahr-Zentrale wie vereinbart gefahren werden wollten in den Startlöchern, von mir abgeholt zu werden, als eine Katze bereits komaartig im Sterben lag und betreut werden sollte. Ich aber zog es vor Schaffeur zu spielen, anstatt geistigen, physischen Beistand bei der Katze Todeskampf zu leisten, indessen sie selbst wegen einer dringlichen Arbeitssitzung ihres Betriebes natürlich unabkömmlich war. Diese konnte sie nicht känzeln, ich aber drei Fahrgäste im Regen stehen lassen.
Aber - nein, nein – ohne mich, bei aller Katzenliebe!
Dieses schlechte Verhalten bekam ich jetzt erneut wieder aufs Butterbrot geschmiert. Ich schluckte es herunter.

Nunmehr fordert sie mich im eindringlichen, vielleicht gar harschen Tonfall auf, dem Ernst der Lage entsprechend mein Verhalten zu korrigieren und zu ändern, mit ihren Worten gesagt: „Kannst Du mal ein bißchen die Pappen halten und Dich aufs Schreiben konzentrieren!?“ „Kann ich!“, antworte ich devot und beginne meine volle Aufmerksamkeit auf das Papier auf dem Tisch vor mir zu konzentrieren und mir zu gebieten, nur bei großen Unklarheiten das Wort ergreifen zu wollen.

Im Folgenden schlage ich stets Formulierungen vor, die je nach dem auf diese oder jene Art und Weise größtenteils übernommen werden. Zunächst schildert sie aber den Zustand oder die Sachlage und ich bemühe mich um die entsprechende Ausformulierung ihrer Darlegung. Danach korrigiert sie den ein oder anderen Ausdruck. Nach jedem geschriebenen Satz oder Absatz, synchron zum Punkt am Ende des Satzes oder Absatzes, nimmt sie mehr oder weniger befriedigt einen Schluck von ihrem „Primitivo“.

Es muß festgehalten werden, daß das Essen meiner Katzen stets aus dem im Handel erhältlichen Katzenfutter bestand und nach meinem Ableben weiterhin bestehen soll.
Schluck.
Alle noch lebenden Katzen (Ausdruck abgelehnt: „alle ihr verbliebenen Katzen“) sind an diesem Ort hier, an dem wir jetzt das Testament aufsetzen, geboren worden, außer Rosa Dolores, die ihr zugelaufen sei.
Es handelt sich also um eine unumstößliche Tatsache, daß also diese Katzen hierher gehörten und nirgendwo anders.“
Schluck.
Die Aschenüberreste ihrer bereits zwei erwähnten und gestorbenen Katzen ruhen in einer Holzkiste, aufbewahrt auf der obersten Plattform eines Schrankes. (Ausdruck „Ahnenschrank“ abgelehnt). Auch diese sollen nachträglich ins gemeinsame Grab überführt werden.
(Ausdruck „Aschenüberreste“ abgelehnt. Sie lege wert darauf, von Anubis-Urnen zu sprechen. „Anubis“ ist der Name eines altägyptischer Totengottes.)
Schluck.
Sie wünscht sich, dass die Katzen-Überreste (Ausdruck abgelehnt), also die Katzenaschen sowie die Aschen der noch lebenden, bereits namentlich oben aufgeführten Katzen neben ihrer eigenen Asche feierlich in ein „Waldgrab“ versenkt und begraben werden (Ausdruck abgelehnt). Ihre sterblichen Überreste (Ausdruck in diesem Fall akzeptiert) möchte sie gerne neben ihren Katzen in einer „Waldgrab-Ruhestätte“ begraben wissen. Sie wünscht sich jedoch, daß die sie überlebenden Katzen sämtlich nachträglich in dieser Ruhestätte im Walde überführt werden.
Schluck.
Zwar hat sie schon seit ihrer Geburt Katzen gehabt, die leider zu Tiermehl verarbeitet (Ausdruck abgelehnt) worden waren, worüber sie eigentlich nur bei ihrer Lieblingskatze Roddy McCorley Bedauern empfindet, aber unglücklicherweise lässt sich dies im Nachhinein nicht ändern. (Meine Frage, weshalb sie nur bei dieser Lieblingskatze über dieses „Entsorgung“ Bedauern empfindet, antwortet sie, daß sie dies nicht beantworten könne.) Die Katze Roddy McCorley ist nach einem gleichnamigen irischer Freiheitskämpfer benannt worden.
Schluck.
Da ein Waldfriedhof ihrer Wahl keine Inschriften kennt, kann Roddy McCorley leider nicht mehr mit Kreuz und Inschrift bedacht werden. Eine Waldgrab-Ruhestätte ist schließlich eigentlich ihrem Wesen nach anonym, findet sie. Auf die Frage, wo der Ort dieser Ruhestätte sein soll, antwortet sie, daß sie mir dies noch rechtzeitig mitteilen werde, aber vorläufig sagen möchte, daß es eine Lage ist, die nahe ihrem Geburtsort liege. So viel könne sie aber verraten, daß es sich um ein Waldstück handele, das sich in ihrem Besitz befinde.
Schluck.
Erst seit es Tierkrematorien und –friedhöfe gebe, können „animalische“ (Ausdruck abgelehnt) oder Lebensgefährten anderer Spezies entsprechend gewürdigt werden. Von daher können leider ihre vielen Katzen, die ihr Leben von Geburt an begleitet haben, nicht in ihre Waldgrab-Ruhestätte mit einziehen und begraben werden. Sie müsse diesbezüglich erneut und wiederholt ihr Bedauern zum Ausdruck bringen.
Schluck.
Sie hoffe, ihre noch lebenden Katzen würden sie lange, lange überleben oder anders ausgedrückt, daß sie vor ihnen das Zeitliche segnen möge. Im Gegensatz zu ihnen seien diese Lebewesen ja noch jung und fidel. Sie selbst sei alt, zwar nicht uralt, aber im Vergleich zu ihren Katzen halt älter und somit näher dem Tod als diese.  
Schluck.
Derjenige Mensch, Erbe genannt, der von ihr die Besitzrechte über das Haus der Katzen übertragen bekäme, müsse sich dazu verpflichten, die Katzen eines natürlichen Todes sterben zu lassen.
Schluck.
Unterzeichnet Schriftführer                                             Unterzeichnet A.B.
Ort, Datum
Großer Schluck.
Nachschenken.
P.S.: Sie legt Wert darauf anzumerken, dass nicht nachvollziehbar ist, dass eine bekannte rechte Nazi-Frau gleichfalls Katzenliebhaberin ist, auch wenn diese gleichfalls diese Tiere als langjährige Lebensgefährtinnen hält. Das tierliebende Verhalten einer solchen Person erachtet sie als a-typisch und unglückselige Verirrung. Rechte Gesinnung und Tierliebe können sich unmöglich vertragen und übereinstimmen.
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F.J.G.
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Beitrag25.08.2022 14:37

von F.J.G.
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Hallo Pentz,

ich frage mich zum wiederholten Male, was du dir von uns erwartest.

Deinen oben geposteten Text "Elixiere des Todes" habe ich gelesen und ausführlich kommentiert. Und nur so am Rande: Ich habe das an einem Nachmittag meines hart erarbeiteten Urlaubs gemacht. Als ich eigentlich an der Poolbar hätte hängen können oder mich beim Bingo vergnügen.

Was ist das Resultat? Du gehst mit keiner Silbe auf meine Kommentare und Verbesserungsvorschläge ein. Stattdessen reichst du uns ein weiteres Textstück nach, das mit Verlaub ebenso vor Fehlern – fachlich und orthographisch gleichermaßen – strotzt.

Wer dich nur von deinem Verhalten hier im Forum kennt, könnte rasch zum Urteil kommen, dass du nur ein Schaumschläger bist, der entweder im Schreiben eine Therapie sieht, mit der er uns hier seine Sorgen vor den Fußabtreter legt, oder aber effekthascherisch den Applaus als Lohn eines fähigen Künstlers erhofft, der andere mit seinen Texten unterhält.

Leider nur bist du kein fähiger Künstler, und deine Texte sind auch nicht unterhaltsam.

Nimm mir das nicht übel, aber wir sind hier nicht die Claqueur-Agentur, für die du uns hältst. Wir sind hier allesamt dazu da, unsere "Schreibe" zu verbessern, woran absolut nichts Verwerfliches ist. Jedes Handwerk, jede Profession benötigt eine Ausbildung. Nur leider verweigerst du dich dieser Ausbildung, wenn du meine Kommentare zur Verbesserung so plakativ ignorierst. Es ist keine Schande, Anfänger in der Schriftstellerei zu sein. Den Eindruck zu erwecken, man sei ein großer Künstler der es nicht nötig habe, auf Kommentare zu reagieren, das hingegen ist tatsächlich eine Schande.


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Beitrag26.08.2022 00:01

von V.K.B.
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Kojote hat Folgendes geschrieben:
Ich habe das an einem Nachmittag meines hart erarbeiteten Urlaubs gemacht. Als ich eigentlich an der Poolbar hätte hängen können oder mich beim Bingo vergnügen.
Da hast du aber ja auch selber schuld. Warum versuchst du es auch immer wieder?

Kojote hat Folgendes geschrieben:
Was ist das Resultat? Du gehst mit keiner Silbe auf meine Kommentare und Verbesserungsvorschläge ein.
Hast du ernsthaft was anderes erwartet? Das ist doch nicht das erste mal, sondern lief bisher in allen seinen Fäden so. Und wenn da mal wirklich eine Antwort kam, zeigte sie doch, dass die Kritik ignoriert wurde. Geht doch schon los bei "Spam nicht immer deine Fäden mit neuen Texten zu, die eh keiner mehr liest, wenn du nicht an den alten arbeitest." Schon das hat pentz nie eingesehen und daran merkt man doch, wie viel ihm konstruktives Feedback bedeutet.

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Beitrag26.08.2022 00:09

von WSK
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Ich habe mich auch schon gefragt, ob Kojote eine masochistische Ader hat. Nicht, dass ich es nicht nachvollziehen könnte.
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pentz
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Beitrag27.08.2022 12:59
kojoten und company
von pentz
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hallo freunde der literatur,

kojote hat mir im vorhergehenden beitrag die option überlassen: kannst verändern, mußt nicht und nun heult er gegen den mond, ich hätte nichts übernommen. und schon heulen die herdengefährten mit.

ist das schaurig.

gruß
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F.J.G.
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Beitrag27.08.2022 13:09

von F.J.G.
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Nur mal so als Randnotiz:

Ja, ich habe geschrieben:

Kojote hat Folgendes geschrieben:
Alles kann, nichts muss.


Meine Motivation? Dich nicht gänzlich zu entmutigen.
Entschuldige dass ich dich zum Weitermachen motivieren wollte. Soll nicht wieder vorkommen. Confused

Im Übrigen: Hast du nie überlegt, wenn du die Kritiken schon nicht beherzigst, dass du zumindest als klitzekleine Geste ausnahmsweise mal auf die Vorschläge eingehst und diese mit einem Kommentar würdigst? Du weißt ja nun, dass ich eine halbe Stunde Urlaubszeit für deinen Text aufgewendet habe. Kann ich da nicht wenigstens in den Genuss eines simplen Dankeschön kommen?

Stattdessen machst du dich mal wieder über meinen Namen lustig.

pentz hat Folgendes geschrieben:
und nun heult er gegen den mond, ich hätte nichts übernommen.


Hand aufs Herz, was willst du damit erreichen?
Wohlstandskrankheit und Veith werden wohl auch wenig Zufriedenheit empfinden, als "Herdengefährten" bezeichnet zu werden. Du bist gerade auf der Krawall-Allee unterwegs, Kreuzung "Straße der letzten Freundschaft".


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pentz
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Beitrag27.08.2022 13:30
hallo kojo, der geruch auf der einsamen straße, die literatur wandeln muß
von pentz
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ich bin noch berufstätig, bin froh, daß ich  überhaupt noch energie habe zu schreiben. ich habe diese sache hier von vornherein mal als entwurf deklariert, da mir noch nicht der "rote faden" eingegeben worden ist. der vorschlag eines kollegen, er warte nur darauf, daß ich die große eingebung bekomme, damit er mir helfen kann, die geschichte "festzusurren", ist mir "aufgestoßen", schließlich ist literatur nicht gleichbedeutend mit etwas materiellem wie draht, das ist etwas anderes.
wenn ich genügend kohle gemacht habe mit meiner tätigkeit zurzeit, werde ich das hier ausdrucken, mich auf den mount everest in die absolute einsamkeit zurückziehen und diese geschichte endlich mit einem "gelungenen übervater-modus" neu schreiben, wo  ich denn auch die beiträge euerseits genauer unter die lupe nehme.
so sieht es aus momentan aus
gruß
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Pickman
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Beitrag27.08.2022 17:38

von Pickman
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War dieser aus meiner Sicht recht unfruchtbare Faden nicht schon tot? Rolling Eyes

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pentz
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Beitrag27.08.2022 18:34
pick it up! mr. pickman
von pentz
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tote leben länger Idea
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Beitrag29.08.2022 13:03
Elixiere des Todes
von pentz
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Da ich momentan Urlaub habe und ich kein Ignorant sein will, habe ich Kojotes Vorschläge versucht, in die Tat umzusetzen - hier meine neue Version. Viel Spaß!


Ich muß wieder arbeiten gehen. Es geziemte sich zwar nicht, als Künstler zu schuften wie die Alltagsmenschen, aber die Welt würde die Rechnung bezahlen müssen dafür, nämlich weniger Kunstwerke. Mit einiger Genugtuung dachte ich: „Und sie wird es nicht einmal merken!“
„Elixier, bitte!“ Das ist eine Zigarettenmarke.
„Hier, bitte Elixiere des Todes!“
„Lord!“
„Hier bitte, der Lord des Todes!“
„West Silber!“
„Quecksilber. Haben wir nicht. Da müssen Sie in einer Apotheke nachfragen.“
Ich bin an einem Kiosk beschäftigt. Ich muß Geld hereinbekommen, damit ich weiter malen kann. Leinwand und Farben sind teuer. Ich verkaufe etwas, wovon ich zutiefst nicht überzeugt bin, sprich, was ich weiß, daß es brandgefährlich und gesundheitlich verheerend ist, aber was soll ich machen? Die eigenen Erfahrungen mit Nikotin leiten meine Verhaltensweise, obwohl es dem Zweck meines Tuns entgegengesetzt steht.
„En Vogue!“
„En Vogue im Tod!“
Schlecht fürs Geschäft. Aber wird es mir so ergehen, wie meinem Halbbruder? Er wäre von einem Kollegen an der Geschäftsleitung denunziert worden, als er es unterließ, ein armes Mütterchen über 90 beim kleinkriminellen Stehlen zu stellen, anzuzeigen und bestrafen. Er mußte es mit seinem Super-Job als Filialleiter bezahlen. Auch ich befinde mich in einer ähnlichen Situation, indem ich nicht tue, was ich tun soll, aber was mir zuwider ist: gesundheitsschädigende Substanzen zu verkaufen. Bei mir ist es mehr als Mitleid, bei mir ist es Wissen über die verheerende Wirkung Nikotin, da ich einen Herzinfarkt erlitt.
In dem kleinen Kioskraum stehen noch weitere Dinge, die mein Ungemach hervorrufen. Ein Plakat mit zwei Jugendlichen, bewehrt mit jeweils einer Zigarette mit Fortsatz und der Überschrift: stehst du auch auf Menthol? Die Jugendlichen machen einen zufriedenen und glücklichen und angetörnten Eindruck. Offiziell sind Mentholzigaretten verboten, sagen die Mitarbeiter, vielleicht aber schon wieder erlaubt, schränken sie danach ein, zudem sei doch Werbung für Nikotin verboten, wie auch immer, auf einem riesengroßen Standplakat hier wird für Mentholfilter, Menthol-Filter, verbrämten Mentholzigaretten oder Sisha, was weiß ich, was für Produkte, geworben. Welch juristische Spitzfindigkeit erlaubt solch ein Gebaren? Aber wir befinden uns im Land der Heuchler und Verheimlicher, des freie Westen eben.
Man muß sich arrangieren.

Ich bezeichne, sowie ich mit den Leuten näher in Kontakt gekommen bin, um überhaupt einen Bezug und eine Verbindlichkeit zu ihnen herzustellen, sie sie gerne mit einem Namen, der ihre besondere Eigenart kennzeichnet. Woher sie kommen mögen, anhand des Akzentes; der Hautfarbe oder des Oufits. Ein diffiziele Angelegenheit, ich weiß. Aber der Ton macht die Musik.
Zum Beispiel: „Aha, der bayerische Kongolese.“ Eine Bezeichnung für den Niederbayern. Ich tue es aber so sanft und freundlich im Ton, daß derjenige nicht beleidigt, sondern geschmeichelt ist.
Oder Madjare für Ungar.
Oder: Also, Herr Raucher, was wünschen Sie? Herr Araber, wenn ich mich recht erinnere.
Wenn ich Sprachfetzen kenne, „faham“ für verstehe Dich, oder „den dopre“ für Guten Tag im Polnischen, im Tschechischen „dopri den“ hinwiederum, benutze ich diese gerne. Jede andere Sprache als die sattsam-bekannte-überall-und-immer-wieder gehörte Sprache ist Balsam auf meine gequälte Seele. Am liebsten höre ich deutsche Musik im Ausland und hierzulande ist sie mir verhasst. Mir klinken eben Worte wie Gold in der Kehle: Mulscumesc und Lare Vedere. Rumänisch Danke und Auf Wiedersehen undsoweiter...

„Ach, die Spielerin.“ Das hätte ich nun nicht sagen sollen. Es entsprach dem Umstand, der Ausdruck traf haargenau zu, brachte es doch dem Treiben der Angesprochenen auf den Punkt, dennoch war er negativ besetzt. Das nächste Mal, als sie wieder an meinen Tresen trat, war die Spielerin schwer beleidigt. Und zwar sehr schwer.
„Wenn Sie dies noch einmal sagen, dann haben Sie mich aber als Kundin gesehen.“
Es dauerte, bis ich endlich kapierte, was es mit dem Wort Spieler für welche Assoziation auf sich hat.
„Entschuldigen Sie mich, gnädige Frau!“
„Ich bin auch nicht gnädig! Das sei ihnen gesagt!“
Ich schweige einen Moment, bis mir einfällt, was vorhin doch eine Frau lächelnd sagte, wie ihre Bekanntschaft sie gerne bezeichnet: „Spielfee“ Dieser Begriff müsse also auch bei ihr wohltuend rüberkommen!?
Aber vorsichtig frage ich: „Darf ich dann Spielfee sagen?“
Sie lächelt geschmeichelt. „Also gut, Spielfee.“
Während sie erneut Wettzettel ordert, verfinstert sich aber wieder ihr Blick. „Aber das gefällt mir auch nicht so recht.“
Na, was dann? Am besten hartnäckiges Schweigen, damit nicht noch mehr Porzellan zu Bruch geht. Also denn. 'Auf Wiedersehen!' Nein, lieber nicht, das könnte ihr einen Schlüsselwort sein für sie, bedrohlich zu antworten: 'Das werden wir erst Mal sehen!' und den Konflikt aufrechterhalten.
So sage ich zaghaft: „Schönen Tag noch!“
Murrend, scheint mir, nicht schweigend, aber auch kein eindeutiges Wort verlauten lassend, zumal das Geplärre des Lautsprechers vom nahen Kaufhaus es übertönt, verschwindet sie gleich einer Dampfwalze, der man ihre Gefühle nicht ansehen kann, zumal ihrer undurchdringlichen, dicken Sonnenbrille wegen.
Diese Augenverhüllung passt zu ihrem dicken Geschmeide, das glänzt und beschützt. Nicht etwa eine goldene Rolex-Uhr als Symbol für Reichtum (durch Spielgewinn) hat sie, glaube ich, aber das ist wohl diesbezüglich eher bei Männern der Fall, daß sie das Tragen von solchen Uhren pflegen. Nein, ihr Ausdruck von Wohlstand tut sich bei dieser Frau kund durch eine etwas weiblichere Ausfertigung, schmal, üppig ziseliert und silbern.
Dennoch kann ich es nicht beschwören, ich gestehe, ihre abrupte Art und Weise ließ mich derartig perplex zurück dastehen, daß ich mich sehr anstrengen muss, Einzelheiten von ihr heraufzubeschwören.
Sie erschien mir einfach zu dominant?
Aber was war so dominant an ihr?
Sicher, zunächst ihre frotzelnde Art. Verständlich, daß ich da sämtliche Fühler einziehe: die Kundin ist Königin und ich bin ihr Lakai.
Was nur?
Ja, da war dieses einfache, dicke, plumpe Kreuz auf ihren feisten Wurstfingern.
Es handelte sich um eine geometrische Figur, die wohl keine größere Seite besaß, nur ein silbernes gleichseitiges Kreuz darstellte, ohne Schmuck, Verzierung und etwa einem Diamant. Als wolle sie damit ausdrücken: ich stamme von einfachen Handwerkern ab, die es durch ihren Fleiß und Geschick zu etwas gebracht haben, jawohl. Von einer verarmten Adligen, einer versteckten, reichen Industriellen- oder Beamtenwitwe oder dergleichen kann mitnichten bei mir gesprochen werden, damit ihr es wisst!
Überhaupt, ihre Augen. Diese großen, meerblauen! Sie schauten aus einem leicht ihre Augenhöhlen umpolsterten Fett heraus. Sehr zufrieden, schien mir. Weil blaue Augen an sich Zufriedenheit verströmen? Oder waren es ihre Strahlen, ihre innere Ausstrahlung? Dagegen spricht jedoch ihre Besessenheit zu spielen.
Alles an ihr war mit einer fette Polsterung umgeben, selbst eben die Finger und das Gesicht, von anderem zu schweigen, nicht näher beäugte ich sie, aber sie erschien mir mehr rund als Höhe größer als Breite. War es da ein Wunder, dass sich ihr schmucker, intensiv-silberner Fingerreif gleichfalls an diese Proportionen hielt?
Aber – eigenartig – lässt Fett an Knochen nicht jegliche Gegenstände wie Schmuckstücke haltlos machen, leicht verschieb- und verrückbar? Nervte dies nicht, einen Ring um solch ein Fett tragen zu müssen?
In der Anfangszeit dieser Tätigkeit, Lose auszustellen, kam ich mit der Zeit aus dem Staunen nicht mehr heraus? Wie viele weibliche Spieler es doch gibt, erstaunlich. Denkt man gar nicht. Männer ja, fast alle, das weiß man halt, ich zumindest, welcher Vater hat nicht ab und an gelottot oder getotet. Spielen war immer Männersache. Aber vielleicht handelt es sich bei diesen Frauen um Witwen, die ein fettes Ruhegehalt erhalten, aber nicht wissen, wohin mit dem Geld und ihrer Zeit?
Dagegen spricht hinwiederum, daß auch sehr ehrenwert erscheinende jüngere Ehefrauen kommen und wetten, hm. Auf Geheiß des Mannes? Oder sie kriegen von ihrem malochenden Ehemann soviel Haushaltsgeld, dass ihnen dafür noch einiges übrigbleibt?
Die Welt der Spieler – ist halt undurchsichtig.
Als Bestätigung meiner Annahme, Spielen sei letztlich immer noch Domäne des männlichen Geschlechts, tritt der Süchtling an meinen Tresen heran. Grauer, aber dichte Haare umkränzender Kopf und ebenso dichter, buschiger Schnurrbart. Als wäre er aus einem Geschichtsbuch über Deutsche herausgeschnitten worden: Bismarck, Wilhelm der Wievielte, ein Ehemaliger, ein Hundertjähriger aus Schrot und Korn. Und er braucht keine Zeit, sich zu entscheiden, er hat keine Zeit zu verschwenden, denn mit kurzen gleichsam andeutenden Fingergesten gibt es seine Bestellung auf. Ich, diensteifrig, tippe jeweils an die betreffenden Plastikschütten, in denen die Lose lauern, erwarte seine Kopfnicken dazu, bevor ich sie leicht scheppernd und glücksverheißend öffne. „Klipp, klipp, klipp, klapp!“, sagte er freudig und gewinntrunken lächelnd, Gesicht in einer Gestik verrückt voll des Spielersucht-Wahns.
„Macht die Mühle am Bach!“, ergänze ich und er ergreift sich gierig dieses bunte Papierfetzchen, als würden daraus schon die Millionen hervorlugen.
Da unsere Handbewegungen nicht zusammenpassen, fällt ein Glücksbon zu Boden, sofort, welch agile Bewegung in seinem so hohen Alter, beugte er sich zum Boden und ergreift es sich: „Das ist es!“ Er erhebt sich ächzend und hält das Los glücklich lächelnd in die Höhe: „Das ist das Glück!“ „Jawohl!“, ergänze ich: „Jawohl, jawohl!“, bestärke ich es noch einmal. Damit soll meine reibungshafte Kundenbedienung, Ware fällt auf Boden, ausgeglichen werden.
Und wenn mein tappisches Verhalten das Glück hervorgelockt hat, dann hat dieses Mißgeschick eben einen Sinn erfüllt – wie meist, wie meistens Mißgriffe, ungewöhnliche Handlungen, die aus der Ordnung fallen, schiere Zufälle eben, einen Sinn haben müssen. „Jawohl!“ Das Glück winkt geradezu feist mit seinem kecken Gesicht aus dem grauen Einerlei des Alltags!“ „Jawohl! Jawohl!“
Erfreut reißt er sich das Glücksblatt an sich, bezahlt schnell und wendet sich, den Glücksboten mit den Händen an die Brust gelegt, zum nahen Tresen hin, um die Schatztrufe aufzumachen und daraufhin endlich bald die Geldscheine, so reich an Anzahl, daß sie nur in Körbe und Wannen passen, in Empfang zu nehmen.
Da sieht man mal wieder – und tritt auch ein kleines Mißgeschick dazwischen, welches aber keinerlei Bedeutung, höchstens eine positive hat - mit Männer geht das Zusammenspiel einfach besser. Selbst Frauen im hohen Alter verhalten sich gegenüber dem anderen Geschlecht noch verhalten. Obwohl doch da kein Grund mehr vorhanden ist, oder? Der Krieg der Geschlechter kennt kein Alter: klipp, klapp, klipp, klapp.
Er hat kaum etwas gewonnen, wenigstens nicht die Millionen, die in Aussicht stehen,lediglich ein Freilos. Aber morgen wird es wieder das gleiche Spiel geben, die gleiche Freude, Gier, Glücksverheißung, eine niemals versiegende Quelle der Freude. Jetzt auch bei den Frauen!

Die Dampfwalze von vorhin kommt plötzlich wieder zurück und belfert mich an: „Wie ist ihr Name?“
Ich zögere, denn ich weiß, was dies bedeutet: Denunziation bei einem Vorgesetzten.
 „Warum wollen Sie das wissen, Madam?“
„Ich bin keine Madame!“, schreit sie hochroten Gesichts.
Was wir uns doch so tief in der Provinz befinden. Sie blickt plötzlich stieren Blickes auf mich, auf den unteren Körperbereich, auf meine Brust. Aber ja, während andere Mitarbeiter längst unser Firmen-T-Shirt haben, muß ich mich noch, der sich erst in der Einarbeitungsphase befindet, ein albernes Pappschildchen tragen, das an einer um den Hals gehenden Schnur hängt, worauf mein Name steht und meine Funktion: Einarbeiter.
„Ich kenne Sie!“, schreit sie noch lauter.
„Wie kann das sein, gnädige Frau?“
„Sie werden schon sehen, wie gnädig ich sein werde, Herr Pentz. Ich kenne ihre Mutter gut genug, um zu wissen, mit wem ich es zu tun habe. Ja; ich kenne Ihre ganze Sippschaft.“
Sie war nahe daran, schien mir, mich anzuspucken und ich mich zu ducken - gelobt sei Corona-Epidemie hing eine durchsichtige Plastikscheibe zwischen uns.
Nun, „Sippschaft“ war so ein Wort wie „Spielerin“, zunächst beschrieb es nur einen Sachverhalt, aber leider in einer sehr, sehr negativen Verbindung. Das konnte ja heiter werden.
Schon hatte sie sich umgedreht, einen der großen, breiten Einkaufswagen gepackt, der ihr fast zu groß und zu schwer war, so klein wie sie war, dass sie kaum darüber schauen konnte. Aber da sie selbst gedrungen wie einer dieser Pitpulls wirkte, rollte sie ihren kugelrunden Körper und den dazu passenden, viel zu breiten, schweren Einkaufswagen aus Eisen, der wiederum auf sie wie die Faust aufs Auge passte, von dannen.
Ich fragte mich, wie wird das Wetter? Ich dachte: Es könnte ganz schön heiter werden.
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pentz
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Beitrag04.09.2022 13:23
Im Bann von Azubis, dem Totengott der Katzen
von pentz
Antworten mit Zitat

Nunmehr das nächste überarbeitete Kapitel.
Da keine Verbesserungsvorschläge kommen, scheine ich einigermaßen in der Spur zu liegen.

Sie mailt mir. Sie ruft mich an. Dann schreibt sie mir eine SMS.
„Gertrude ist gestorben.“ Sie klingt am Telefon so etwas von verzweifelt. „Heute, vor einer halben Stunde war der Arzt da und hat sie eingeschläfert.“
Tage vorher schon hat sie mich angerufen.
„Meine Gertrude hat so ein Geschwulst.“ Am Telefon konnte sie die Ausmaße natürlich nicht verdeutlichen.
Trotzdem sagte ich: „Dachte ich mir schon! Hast Du ja schon ein paar Mal geschildert.“
„Ja, aber die letzten Tage ist das noch so angeschwollen.“ Wieder machte sie eine imaginäre Größendemonstration.
„Und wie groß war Deine Katze überhaupt.“
„So!“
„Dann war das Geschwulst also größer als der Laib der Katze – wie geht das an?“
„Ach, Du zeigst überhaupt keine Mitgefühl!“
„Aber horch mal, wenn...“
Ich wollte Ernsthaftigkeit bekunden mit meiner nächsten Frage: „Aber woran liegt das Problem? Du bist doch für freies Sterben. Stichwort Patientenverfügung. Und wenn dann einmal ein Wesen aus natürlichem Grund heraus stirbst, bist Du ganz aus dem Häuschen.“
„Ach, Du bist so ein Doofkopf. Du kennst kein Mitleid. Du verstehst mich nicht.“
„Doch doch. Wenn man so lange wie Du mit Gertrude zusammengelebt hat – wie lange ist es jetzt?“
„12 Jahre.“
„12 Jahre. Da steckt man das natürlich nicht so ohne weiteres weg, wenn da jemand stirbt. Würde mir auch so gehen.“
„Ach Du, Du, hättest kein Empfinden. Bei Deiner Mutter schon warst Du gleichgültig.“
Das ist natürlich die Lüge schlechthin. Gerade bei meiner Mutter war ich so etwas von mitgenommen, mehr als sie bei ihrer Katze Gertrude natürlich, und auch mehr wie sie bei ihrer Mutter. Bestimmt. Aber das wollte ich nun nicht aufs Tapet bringen. Solche Vergleiche, ich habe mehr wegen meiner Mutter gelitten als Du wegen Deiner Mutter – das ist purer Schwachsinn und Öl-ins-Feuer-Gegossen.
„Na ja, das Testament hast Du ja gemacht.“
„Nein! Deshalb rufe ich Dich an: Du mußt es mir helfen aufzufassen, aufzuschreiben, ich will, daß Du dabei dabei ist. Ich will keine Zeit mehr verlieren, für mein Katzen rundum zu sorgen.“
„Aber jetzt sind sie doch wohl gut versorgt, sozusagen sogar überversorgt.“
„Ja schon!“ Der Ton: selbstverständlich.
„Aber das Letzte, was ich für meine Katzen tun kann, muß noch getan werden. Zu regeln, was ich ihnen hinterlasse, wenn ich nicht mehr bin, nämlich nach meinem Tod ein geregeltes Leben in meinem Haus. Finanziell gut versorgt, mit einem Leumund und Adoptivbetreuer und auch die Beerdigungskosten müssen schon im Voraus bezahlt werden.“
Erstaunlich, immer wieder erstaunlich, wie nüchtern sie den Wert des Lebens erachtete: zum Beispiel der Satz „nach meinem Tod“. Könnte sie da nicht sagen „nach meinem Ableben“ oder dergleichen. Nein, bewundernswert oder abschreckend, sie verspürte wohl eine starke Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und dem Tod, wie immer.
Sie schluckte, aber verfiel aber natürlich nicht ins Heulen. Zu stark war sie, eine zu starke Person, eine treusorgende Katzenfrau ohne Sentimentalitäten. Einfach vorbildhaft! Wie schon immer sie gewesen ist. Da beißt die Maus keinen Faden ab!

„Gestern war der Arzt da. Erst neun Cortisonspritzen, dann ist er zehn Minuten aus dem Haus gegangen, hat gewarnt, das Kätzchen könnte sich erbrechen, was es prompt tat, schließlich hat er ihr die Erlösungs-Spritze gegeben. Dabei hat Sophie ihn gekratzt. Ein Beweis, daß sie eben eine besondere Katze war. Und ich habe ihr Valium einträufelt, allerdings zur Hälfte verschüttet. Das war alles sehr herzbewegend, kann ich Dir sagen.“
„Das glaube ich Dir aufs Wort.“
„Und der Arzt war so etwas von nett. Ich glaube, der war gläubig religiös.“
„Warum hat er bei der finalen Todesspritze ein Gebet heruntergeleiert!!
„Idiot! Deine Bemerkungen beweisen wieder einmal, wie wenig Mitleid Du abzubringen imstande bist!“
„Naja. Soll ich mir etwa das Herz aus der Brust reißen!“
„Nein, aber etwas mehr Mitgefühl aufbieten.“
„Hab ich, hab ich. Glaub mir!“
„Tu ich aber nicht!“
„Du kannst es nicht glauben?“
„Nein, kann ich nicht.“
„Na denn!“
Schweigen.
„Warum aber soll Sophie ein besondere Katze sein? Oskar und Minni waren es doch auch. Und außerdem, schau Dir Hilde an, sie sieht fast genauso aus und was ist bei ihr anders als bei Sophie. Doch nur, daß Sophie die Angewohnheit hatte, schon immer, und ich bin schließlich ihr Ziehvater, der es wissen muß, zu kratzen.“
„Kein Wunder, sie hat einen anderen Vater als Hilde.“
„He, aber die gleiche Mutter. Rosa. Das wirst Du wohl nicht abstreiten können. Außerdem habe ich es mit diesen meinen Augen selbst gesehen, wie sie da als kleine Popperla zusammenlagen.“
„Aber hast Du keine Ahnung von Katzen. Gleiche Mutter, aber andere Väter. So hat das die Natur eingerichtet.“
Ich lache auf. „Das soll wohl ein Witz sein. Einen Vater, aber zwei verschiedene Mütter, so rum geht das. Aber nicht eine Mutter und viele verschiedene Väter zum gleichen Zeitpunkt einer bestimmten Geburt.“
Ich denke bei dieser Sache natürlich an meinen Stiefbruder. Der meinen Vater auch zu seinem Vater hatte, aber eine andere Mutter. So ist das natürlich und überhaupt praktikabel. Aber weißt Du nicht, wie es die Katzen treiben...“
„Äh, ja. Ich habe es schon ein paar mal verfolgt in den Nächten, wie dies es treiben: eine Kätzin und viele Kater.“
„Na eben!“
„So gesehen.“
Ich verfalle wieder ins Schweigen. Aber ob da die Samen von den verschiedenen Väter bis zum Ei der Mutter mit der gleichen Wahrscheinlichkeit durchsickern können, obwohl so eine Paarung vielleicht in einem Abstand von einer halben Stunde stattfindet gewöhnlicher- und üblicherweise?
Verwirrend das ganze.
Aber natürlich, im Tierreich kann sich dies natürlich ganz anders verhalten wie bei Menschen. Außerdem sind Menschen Säugetiere und Katzen nicht. Wenn dies etwas zu sagen hat, hm. Nein, das verhält sich ja gleich. Auch Katzen säugen ihre Jungen. Also, wie geht das also zu Werke? Ich bin schwer in grübeln gekommen. Und auch etwas deprimiert. Muß ich schließlich an meinen doofen Halbbruder denken bei dieser ganzen Sache.
Aber so weit entfernt von Katzen sind Frauen auch wieder nicht. Hat die Mutter meines Halbbruders nicht davon gesprochen, sie wisse gar nicht mehr genau, wer der richtige Vater sei. Wahrscheinlich aber hat sich dies leider nicht auf diesen bezogen, sondern auf seine jüngere Schwester. Aber dessen bin ich mir auch nicht sicher. Fragen kann ich nicht und kommt nicht in Frage. Frauen, Mütter nehmen einem dies übel, wenn man diesbezügliche Fragen stellt. So meine Mutter wenigstens. „Warst Du noch Jungfrau, als Du mit meinem Vater das erste mal geschlafen hast!“ „Das waren andere Zeiten damals. Aber was soll diese Fragerei? Ich verbitte mir dies.“
Nun, Frauen und Kätzin – alle gleich, oder?
Um das Gespräch wieder aufzunehmen, momentan weiß ich aber nichts besseres, als ihre Katzen zu sprechen zu kommen, komme ich auf ihre Katzen zu sprechen. Aber da eine dieser Viecher ja bereits tot und gestorben und beerdigt worden ist, spreche ich halt die Urne an.
„Das interessiert Dich doch nicht.“
„Doch sehr!“
„Das hat Dich früher nicht interessiert und heute schon gleich gar nicht.“
„Im Gegenteil. Deine Katzen lagen mir immer am meisten am Herzen.“
„Lügner!“
„Aber doch! Vielmehr haben die mich interessiert als Dich. Nach dem Wohlergehen der Katzen war stets meine erste Frage ausgerichtet, sobald ich mit Dir in Kontakt trat, das kannst Du nicht leugnen!“ Es stimmt zumindest insofern, daß ich bei schriftlicher Kontaktaufnahme anstatt „Wie geht es Dir“ stets geschrieben habe: „Wie geht es Deinen Katzen?“ Mein Interesse war zwar geheuchelt und nahezu eine schamlose Lüge, weil am Vordringlichsten interessierte mich natürlich ihre Person, aber nunmehr, wo sie Trost brauchte, übergoß ich sie gleichfalls mit falscher Mitleid mit ihren Katzen und sie empfing sie dankbar. So sehr erfreut, gerührt sogar, ist sie, weeil ich mich um die Gefühle, letztlich nur um ihre Gefühle zu ihren Katzen interessierte, daß sie tief, tief aufseufzt und viele Sekunden verstreichen, bevor sie eine Antwort findet. Und in der Tat kommt, was für sie untypisch ist, ein warmer Regen der Dankbarkeit über mich, die sie damit beendet, die mit einer Einladung geendet.
„Komm bitte am Wochenende zu mir. Ich muß mein Testament machen.“
„Dein Testament?
„Vielmehr das meiner Katzen und mir.“
„Zuerst kommen die Katzen, natürlich!?“ Wer sich, wie ich, kennt, sollte sich eigentlich nicht darüber wundern.
„Natürlich?“
Seitdem sie den Glauben den Sozialismus verloren hat, glaubt sie an die Liebe der Katzen.

Als ich an ihr Haus trete, sind sämtliche Jalousien heruntergelassen, ein Wunder ist es aber, daß sie die Eingangstür einen Spalt weit offengelassen hat. Normalerweise muß ich bimmeln, hämmern und schreien, auch wenn ich bestellt worden bin, damit sie mir aufmacht. Sowie ich in das Wohnzimmer trete, spüre ich in diesem Dämmerlicht die gedrückte Stimmung sofort, zumal sie kein elektrisches Licht hat brennen lassen, einzig eine Kerze auf dem Tisch flackert jämmerlich vor sich hin. Aus dem Halbdunkel heraus bittet mich ihre Stimme, ihren „Letzten Willen“ aufzusetzen. Vor mir auf dem Tisch liegt bereits ein Stapel von Papieren sowie ein edler Stift, den ich ergreife und mit dem ich nun zu schreiben beginne, nicht vorher, um das Einschalten des Lichtes zu bitten.
Die Antwort kommt aus tiefster Brust wie ein Seufzer: „Wenn es denn sein muß!“
„Andernfalls sehe ich kaum, was ich schreibe. Wir müssen doch Fehler vermeiden, dem Ernst des Anliegens entsprechend.
Wieder in einem Seufzer kommt ein Satz: „Wie wahr, wie wahr. Ernst der Angelegenheit!“
„Der letzte Wille einer Katzennärrin!“, schlage ich vor.
„Gut!“, sagt sie und: „Und weiter!“
„A.B.‘s – ich kürze Deinen Namen mal aber, geht schneller - Zuhause ist dort, wo ihre Katzen hausen.“
„Stopp. Das gefällt mir überhaupt nicht. Leben, leben klingt gut.“
„Aber es sind doch Viecher, Tiere, halt Katzen.“
„Na und?“ Ihre Augen öffnen sich derartig weit, daß das Weiße derselben überdeutlich ins Blickfeld rückt und an Reptilienaugen erinnern. Daran mag wohl der Wein liegen, den sie im Folgenden bei jedem Satz aus einem vor ihr stehendem, edel geschliffenen Weinrömer zu sich führt.
Ich gebe vor zu verstehen.
„Okay, „hausen“ wird abgelehnt, ich schreibe also: Ihr Zuhause ist dort, wo ihre Katzen leben.“
Sie nickt befriedigt, schaut nach oben, an die Decke, warum auch immer dorthin und wiederholt die Formulierung: „Sie ist Gast, wo die Katzen leben!“ Daraufhin nimmt sie genüsslich einen Schluck Wein.
Ich selbst trinke stilles Mineralwasser aus einem klaren Wasserglas. Ich scheele dabei aus den Augenwinkel schräg zu ihrer Flasche hin, dessen Etikett lesen lässt: Primitivo“. Im Glas selbst steht eine tief dunkelrote Flüssigkeit. Seitlich am Tisch sind cirka 20 kleine Teelichter aufgebaut. Pro Jahr der Katzen ein Teelicht?
Dann schlage ich weiter vor zu schreiben: „Und wo sie sich bei ihren Katzen zu Gast fühlt.“
Erneut weiten sich ihre Augen: „Genau, ich bin Gast bei meinen Katzen. So ist es richtig.“
Ins Schwarze getroffen. Zwar habe ich den Aktiv- in einen Passivsatz umgetauscht, kurzum, inhaltlich das Gleiche ausgedrückt, aber schon ist sie Feuer und Flamme. Und ich befriedigt, daß sie zufrieden ist.
„Gut, ich fahre fort: Verblieben sind ihr an der Zahl nur drei: Rosa Dolores, Sophia (Scholl) und Hanna (Arendt). Jüngst weggestorben ist ihr die Katze Gertrude (Stein). Unter anderem denkt sie voller Wehmut noch an folgende verstorbene Katzen: Minni und Oskar.“
„Wo Du damals so kläglich versagt hast!“
Ach ja, einmal Vorwürfe immer Vorwürfe! Noch nach Jahrzehnten brennen sie noch immer lichterloh. Dabei standen drei Menschen, die nach Berlin über die Automitfahr-Zentrale wie vereinbart gefahren werden wollten in den Startlöchern, von mir abgeholt zu werden, als eine Katze  komaartig im Sterben lag und betreut werden sollte. Ich aber zog es vor, Chaffeur zu spielen, anstatt geistigen, physischen Beistand bei der Katze Todeskampf zu leisten, indessen sie selbst wegen einer dringlichen Arbeitssitzung ihres Betriebes natürlich unabkömmlich war. Diese konnte sie nicht känzeln, ich aber drei Fahrgäste im Regen stehen lassen.
Aber - nein, nein – ohne mich, bei aller Katzenliebe!
Da lag die Katze, auf der Seite. Völlig abgemagert. Goldbraunes, zerfetztes Fell. Sie mußte schon seit Monaten von der Krätze befallen worden sein. Oder wie nennt man Fellzerfall? Jedenfalls war sie so abgemagert, daß sie sich nur noch schwankend vorwärts bewegen konnte.
Nun hier, halbtot, schlug ihr Herz sehr schnell auf und ab, bewegt wie von einem Blasebalg und dementsprechend laut schnaubend.
Wem hätte sie nicht Leid getan? Aber ich war doch auch mit eigenen Bedürfnissen und Verpflichten gebunden: mit drei Personen verabredet, mit meinem Auto nach Berlin zu fahren. Würde ich dieses mein Fahrzeug nicht zur Verfügung stellen, wegen dieser sterbenden Katze, der ich die letzten Stunden ihres Viehlebens Beistand leisten würde, wären die Mitfahrer sehr enttäuscht und frustriert.
Ich schwankte bei meiner Entscheidung, zugegeben.
Aber tagtäglich sterben Tiere an Altersschwäche und ob ein Mensch, zumal ein fremder in seiner Nähe war oder nicht, dürfte diesem Wesen wohl so ziemlich egal sein.
Das ist die Wahrheit!
Also, ab ins Auto und nach Berlin.
Aber - nein, nein – ohne mich, bei aller Katzenliebe!
Dieses schlechte Verhalten bekam ich jetzt erneut wieder aufs Butterbrot geschmiert. Ich schluckte es herunter.

Nunmehr fordert sie mich im eindringlichen, harschen Tonfall auf: „Kannst Du mal ein bißchen die Pappen halten und Dich aufs Schreiben konzentrieren!?“ Ich nehme ihr diese Bemerkung nicht krumm, ordne sie so ein: sie ruft mich zur Aufmerksamkeit auf. „Kann ich!“, antworte ich freundlich und beginne mich aufs Papier aufm Tisch zu konzentrieren und mir zu gebieten, nur bei großen Unklarheiten das Wort zu ergreifen.
Nunmehr mache ich einen Vorschlag, der angenommen oder abgelehnt wird. Im letzteren Falle mache ich weiter Vorschläge, bis sie akzeptabel sind. Diese schreibe ich dann nieder.
Stets schildert sie zunächst den Zustand, die Sachlage. Ich bemühe mich dann um die richtigen Worte. Diese verbessert sie wiederum, meist nur ein Ausdruck wird ersetzt. Meist aber muß ich diesen Ausdruck verbessern, also einen anderen, in ihren Augen besseren finden. Ihr fehlen offensichtlich dafür die Worte.
Nach jeden geschriebenen Satz oder Absatz nimmt sie befriedigt einen Schluck von ihrem „Primitivo“.

Es muß festgehalten werden, daß das Essen meiner Katzen stets aus biologischem Anbau bestand. Das Futter wurde nicht etwa beim Discounter um die Ecke, als im üblichen Handel, erstanden, sondern nur von bester Adresse. Dies soll auch nach meinem Ableben weiterhin so gepflegt werden, womit ich mit diesem Testament Sorge trage.
Schluck.
Alle noch lebenden Katzen (Ausdruck abgelehnt: „alle ihr verbliebenen Katzen“) sind an diesem Ort hier, an dem wir jetzt das Testament aufsetzen, geboren worden, außer Rosa Dolores, die ihr zugelaufen sei.
Es handelt sich also um eine unumstößliche Tatsache, daß also diese Katzen hierher gehörten und nirgendwo anders.“
Schluck.
Die Aschenüberreste ihrer bereits zwei erwähnten und gestorbenen Katzen ruhen in einer Holzkiste, aufbewahrt auf der obersten Plattform eines Schrankes. (Ausdruck „Ahnenschrank“ abgelehnt). Auch diese sollen nachträglich ins gemeinsame Grab überführt werden.
(Ausdruck „Aschenüberreste“ abgelehnt. Sie lege wert darauf, von Anubis-Urnen zu sprechen. „Anubis“ ist der Name eines altägyptischer Totengottes.)
Schluck.
Sie wünscht sich, dass die Katzen-Überreste (Ausdruck abgelehnt), also die Katzenaschen sowie die Aschen der noch lebenden, bereits namentlich oben aufgeführten Katzen neben ihrer eigenen Asche feierlich in ein „Waldgrab“ versenkt und begraben werden (Ausdruck abgelehnt). Ihre sterblichen Überreste (Ausdruck in diesem Fall akzeptiert) möchte sie gerne neben ihren Katzen in einer „Waldgrab-Ruhestätte“ begraben wissen. Sie wünscht sich jedoch, daß die sie überlebenden Katzen sämtlich nachträglich in dieser Ruhestätte im Walde überführt werden.
Schluck.
Zwar hat sie schon seit ihrer Geburt Katzen gehabt, die leider zu Tiermehl verarbeitet (Ausdruck abgelehnt) worden waren, worüber sie eigentlich nur bei ihrer Lieblingskatze Roddy McCorley Bedauern empfindet, aber unglücklicherweise lässt sich dies im Nachhinein nicht ändern. (Meine Frage, weshalb sie nur bei dieser Lieblingskatze über dieses „Entsorgung“ Bedauern empfindet, antwortet sie, daß sie dies nicht beantworten könne.) Die Katze Roddy McCorley ist nach einem gleichnamigen irischer Freiheitskämpfer benannt worden.
Schluck.
Da ein Waldfriedhof ihrer Wahl keine Inschriften kennt, kann Roddy McCorley leider nicht mehr mit Kreuz und Inschrift bedacht werden. Eine Waldgrab-Ruhestätte ist schließlich eigentlich ihrem Wesen nach anonym, findet sie. Auf die Frage, wo der Ort dieser Ruhestätte sein soll, antwortet sie, daß sie mir dies noch rechtzeitig mitteilen werde, aber vorläufig sagen möchte, daß es eine Lage ist, die nahe ihrem Geburtsort liege. So viel könne sie aber verraten, daß es sich um ein Waldstück handele, das sich in ihrem Besitz befinde.
Schluck.
Erst seit es Tierkrematorien und –friedhöfe gebe, können „animalische“ (Ausdruck abgelehnt) oder Lebensgefährten anderer Spezies entsprechend gewürdigt werden. Von daher können leider ihre vielen Katzen, die ihr Leben von Geburt an begleitet haben, nicht in ihre Waldgrab-Ruhestätte mit einziehen und begraben werden. Sie müsse diesbezüglich erneut und wiederholt ihr Bedauern zum Ausdruck bringen.
Schluck.
Sie hoffe, ihre noch lebenden Katzen würden sie lange, lange überleben oder anders ausgedrückt, daß sie vor ihnen das Zeitliche segnen möge. Im Gegensatz zu ihnen seien diese Lebewesen ja noch jung und fidel. Sie selbst sei alt, zwar nicht uralt, aber im Vergleich zu ihren Katzen halt älter und somit näher dem Tod als diese.  
Schluck.
Derjenige Mensch, Erbe genannt, der von ihr die Besitzrechte über das Haus der Katzen übertragen bekäme, müsse sich dazu verpflichten, die Katzen eines natürlichen Todes sterben zu lassen.
Schluck.
Unterzeichnet Schriftführer                                             Unterzeichnet A.B.
Ort, Datum
Großer Schluck.
Nachschenken.
P.S.: Sie legt Wert darauf anzumerken, dass nicht nachvollziehbar ist, dass eine bekannte rechte Nazi-Frau gleichfalls Katzenliebhaberin ist, auch wenn diese gleichfalls diese Tiere als langjährige Lebensgefährtinnen hält. Das tierliebende Verhalten einer solchen Person erachtet sie als ungewöhnlich und unglückselige Verirrung. Rechte Gesinnung und Tierliebe können sich unmöglich vertragen und übereinstimmen.
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pentz
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Beitrag12.10.2022 21:54
Nur einer erschien nicht auf der Beerdigung
von pentz
Antworten mit Zitat

- natürlich der Mörder. Also, auch wenn es mir schwer fallen würde, ich mußte ihr die letzte Ehre nach außen hin erweisen, damit nicht der Verdacht auf mich fallen würde. Denn die Leute redeten: „Wer war nicht da?“ „Aha, er.“ „Warum wohl?“ „Hm. Sehr verdächtig.“ „Hat er etwas zu verbergen?“„Anzunehmen!“ „Was können wir tun?“ „Ist ja wohl klar. Laßt ihn beobachten, befragen, seine Wohnung durchsuchen. Schaden kann es nicht.“ „Ja, lasst uns dies auf den Weg bringen und den Weg zur Polizei einschreiten.“ Und los würde die Trauergemeinde und saubere Verwandtschaft ziehen – geradewegs zum Polizeipräsidium und schon steckte ich im Schlamassel.
Natürlich hatte ich sie nicht umgebracht, meine eigene Mutter, nicht faktisch, seelisch ist eine andere Sache. Aber wenn die Polizei bei mir herumschnüffeln würde, würde sie auf anderes Verdächtiges stoßen. Wer weiß aber auf was? Nicht auf Gift, auf Arsen, auf Spritzen und dergleichen nicht. Aber sie würde meine Wohnung chaotisch finden, darauf einen Rückschluß auf den Charakter meiner Person ziehen. Mein Verhalten würde sie näher inspizieren. Wie oft doch dieser Mensch mit dem Finger durch sein Gesicht fährt. Wo oft er sich im Ohr bohrt. Wie nervös er doch mit den Lidern blinzelt. Angesichts dieser Verdachtsmomente und Auffälligkeiten sind wir als Amtsträger, Behördenvertreter und Offizialverpflichtete „gezwungen“ einen Fachmann zu Rate zu ziehen.
Ein Psychiater muß herangezogen werden, denken diese verwandtschaftlichen Bauern hier, dazu fühlen sie sich allein schon gedrängt, weil sie nicht umsonst gekommen sein wollen und nichts ihrem Verdacht Beweisendes gefunden haben; ist schon frustrierend, aber dieses Verhalten von diesem, diesem Menschen ist allzu grenzwertig auffällig und vorsichtshalber müssen wir eben handeln, anderswärtig handeln als gewollt, gewünscht und beauftragt, aber handeln.
Und dann wird eine Lawine ins Rollen kommen, das ist immer so, zumal ich eben wirklich etwas  sensibel erscheine und auch die Tendenz habe, geradezu narrensicher den gehegten Wünschen meiner Umwelt entgegen kommen zu wollen und zu müssen, deren insgeheimen Rollenerwartungen ungeachtet des Schadens oder Vorteils meiner Person erfüllen zu mögen.
Das ist fast zwanghaft!
Ich bin ein durch und durch guter Mensch, zu gut für diese böse, mißtrauische, arglistige Welt um mich herum, denke ich.
Wobei ich wieder zu der Beerdigung meiner Mutter zurückkomme und denke, also gehe ich doch lieber auf diese Beerdigung meiner Mutter, was mir höchst zuwider ist, aber um mir schlimmeres zu ersparen, tue ich es schlußendlich.
Trotz dem ich mir dies auch einst geschworen habe,  niemals zu tun.
Ich hatte gedacht, sobald diese Frau, meine Mutter, tot sein würde und also aus meinem Leben getreten, wäre ich frei, tun und lassen zu können, was ich wollte. Aber nein, diese mir widerstrebende Tat musste ich noch erfüllen und zwar, um nicht unter Verdacht zu geraten, sie ermordet zu haben. Denn dies entsprach der Vorstellung aller. Der hat sie doch ins vorzeitig ins Grab gebracht mit seinen Flausen...
Aber bald würde Schluß sein!

Nach der Beerdigungsprozession sitzen wir ländlich zum Laichen-, nein Leichenschmaus um die vereinzelnden, nah beieinander gruppierten Tische. Der Künstler der Verwandtschaft, der ehemalige, der es immer wieder fertiggebracht hat ins Fettnäpfchen zu treten, das enfant terrible, ein Cousin von mir, redet sich rot: „Die Flüchtlinge, wenn sie kommen, dann mach ich die Schotten dicht.“ Er meint die Ukrainischen. Das ist aus ihm geworden, ein Bauernsohn, der den Hof seiner Eltern in einen Pony- und Reiterhof umgemünzt, ein halbblinde Bibliothekarin geschwängert hat, die sich bald prompt erbost von ihm losgesagt hat, und der nun einsam und allein auf seinen begüterten Hof thront, ängstlich bemüht, sich von niemanden etwas wegnehmen zu lassen, selbst nicht von sein Sohn, seinen lieblichen – nein, auch der soll nichts bekommen!
„Ich geb nichts her!“ - dies seine goldene Devise.

Ich seh mich als Loser inmitten der buckligen Verwandtschaft mit ihren dicken Gütern im Hintergrund. Dies auch wörtlich gemeint. Denn, wenn ich aus dem Fenster sehe, sehe ich blühende Landschaften, üppig gediegenes Wiesen-, Weiden- und Feldwerk und von Wohlgenährtheit aufgeplusterte Rindvieher.
Ich habe schon nichts geerbt, wurde schon Muttern mit wenigem abgespeist, mein Vater als Flüchtling war nur ein Reingeschmeckter, der nichts besaß und nun sah ich dies alles, was da so stolz im Wohlstand stand.
Und dabei muß ich an dieses Buch denken, dieses Buch „Parzifal“. Ich las es wirklich, zumindest einige Kapitel bislang. Erschreckend, daß ich über zwei Zeilen hinausgekommen bin. So etwas zu lesen, hätte ich mir früher nicht träumen lassen, aber es steckt so viel von seinem Schicksal, diesem Parzifal, in meinem Leben und umgekehrt. Hier das Wichtigste.
Als er als Zweitgeborener nichts erbt, nur der andere Sohn alles, ist er wohlgemut, er, er mit seinem Glück und Geschick meistert schon das Leben aufs Trefflichste, denkt er, die gebratenen Tauben werden auch ihm ins Maul fliegen, er wird schon zu Hab und Gut, Wohlstand und Reichtum, Ansahen und Ehre gelangen, so oder so.
Ich denke, einer ist immer der Depp.
Aber die Arschkarten-Zieher werden hochwohlgelobt und gepriesen. Das ist hohe Literatur!
Warum?
Damit sozialer Friede in der Gemeinde herrscht.
So bescheuert muß man sein, um solche Sachen, ich spreche von hochgelobtester Volksliteratur zu lesen und zu loben – ich nicht! Zumal, wenn ich meinen stinkreichen Cousin anhören muß, der die Dahergetriebenen nicht einmal ein Dach übern Kopf spendieren würde.
Na ja, diejenigen die Alles vererbt haben, sind dann auch nicht bereit, nur etwas zu teilen – wie mein Cousin, aber ich, der nichts gekriegt hat, ist es schon – verkehrte Welt.

Ich schaue aus dem Fenster.
Ich dachte daran, wie ich in Berlin war.
In einem Museum.
Mein Drang, Kunst zu genießen – immer wieder erklangen schrille Alarmtöne, wohl weil mancher zu nahe an ein Bild getreten war; und ich stand oft jemanden im Weg oder er mir – ließ mir die Vorstellung gebären, hier Amok zu laufen und dann die Gemälde allein genießen zu können, bis die Polizei würde erscheinen, um mich zu erschießen!? Es hatte sich wohl dennoch gelohnt, diese ruhigen Minuten des Kunstgenußes, würde ich gedacht haben.

Vielleicht so besser.
Ich dringe mit Sturmgewehr in den Ausstellungssaal ein, bedrohe sämtliche Besucher und fordere sie auf, schleunigst sich vom Acker zu machen und dann, bis die Polizei käme, hätte ich die gleiche Zeit zum Genießen. Von außen durch die Panoramafenster sieht man mich dort sitzen, allein, vertieft in expressionistisch-abstoßende, aber genießbare Werke der Zeit um das 19./20. Jahrhundert.
Werde ich erschoßen – wenn nicht, welche Strafe bekäme ich?
Der Richter fragt: „Warum haben sie das getan? Sie haben angefügt, dass sie der Lärm der Alarmanlagen und die der Mitbesucher störten, deshalb sie so verstört waren, daß sie handelten, wie sie handelten. Aber ich verstehe dies nicht, handelt es sich doch dabei lediglich um Bilder. So waren sie doch nicht wegen des Lärms um ihren Kunstgenuß gebracht worden, der doch nur über die Augen geschieht.“
Ob ich solch einen Menschen überzeugen könnte, daß doch?

Vielleicht darf ich als strafmildernde Strafe „soziale, gemeinnützige“ Arbeit leisten, nämlich, so mein Vorschlag, die verdreckten, schmierigen U-Bahnwände Berlins streichen, wozu ich gute Lust hätte, als ich sie gesehen habe. Ich meine nicht die Graffitis, ich sehe deutlich, woher – vom Schmutzschlieren verursacht die U-Bahnstationswände einem ins Gesicht schlagen, der aus dem sauberen, ordentlichen, reichen Süddeutschland kommt, wo solche Wände unvorstellbar sind, zumal an einem solch zentralen Platz, wo Museen, Regierungsgebäude und derartiges liegen.
Der Potsdamer Platz, dies ist ein zentraler Platz, der dreckiger ist als die abgelegenste U-Bahnstation Bayerns – ist das die Möglichkeit?

Aber vielleicht verstehen mich doch einige. Ein Aufschrei wird unter diesen Leuten erfolgen: dem müssen wir helfen, es kann nicht sein, daß man deswegen, lächerlich, eine Gefängnisstrafe erhält, eine Freiheitsstrafe, stellt man sich dies nur mal vor, zudem bei einem Kunstmenschen!?
Ich träume davon, daß eine Schar Kunstliebender sich Eingaben, Petitionen, Demos undso weiter antun, um gegen das uneinsichtige hohe Urteil zu demonstrieren. Die Kunstministerin fühlt sich dann doch dazu gedrängt, um ein paar Worte für mich zu verlieren – ha, nicht schlecht diese Vorstellung!

Aber es ist nur ein Tagtraum, bei der Beerdigung meiner Mutter, inmitten ihrer Verwandten, die das meiste von den bäuerlichen Besitz ihrer angestammten Familie geerbt haben.
Mein Blick bleibt draußen an einem Baum, einem Apfelbaum hängen. Letzten Sommer, als ich mit meiner Mutter hier zu Besuch war, habe ich vor dem Haus draußen gewartet und mir einen von dem in voller Reife stehenden Baum einen Apfel genommen. Ein Lärm ließ mich zusammenfahren und mein Tun als schuldhaft erachten, weil das Küchenfenster des Bauernhauses aufgerissen, aber sofort wieder zurückgeklickt wurde. Die Frau des Bauern, der Bruder meiner Mutter, der, der auch alles geerbt hatte, gönnte mir wohl nicht mal diesen einen Apfel.
Ich wundere mich nicht, daß diese Frau an Krebs gestorben ist, dies im Winter. Diejenigen Menschen, denen ich begegnet bin, die an dieser Krankheit verstorben sind, zugegeben nicht die Masse, waren sehr verängstigt, mißgünstig und übervorsichtig. Ich glaube, wenn ich auch an Krebs erkranke, dann muß ich mir sagen, daß Du verkehrt und falsch gelebt hast.
Wenn dies wirklich geschieht, Mensch, dann wird mir dies wirklich sehr zu schaffen machen, unbedingt.

Ja, diejenigen, die viel erben, sind die Rigidesten.
Und ich habe wieder Berlin vor Augen.
Wieviel Elend, Verwahrlosung und materiellen Notstand ich dort gesehen habe und verglichen mit Bayern – untragbar. Und mein Cousin, der dicke geerbt hat und keine Flüchtlinge ins Land lassen will – untragbar – aber nachvollziehbar, dergestalt, daß man niemanden etwas ganz geben soll, sonst wird er so, daß er gar nichts mehr bereit ist, herzugeben, nicht einmal leihweise.
Das kapitalistische Denken der bäuerlichen Welt in diesem Land hier ist dahingehend verdorben.
Und mein Blick fällt auf die Kinder dieser Bauern, die sich alle sehr angeregt am Leichenschmaus unterhalten.
Wie feist und wohlgenährt sie sind. Sie strotzen geradezu vor Gesundheit. Auch die Erwachsenen. Und wenn ich bald von hier aus einmal wieder in die Stadt fahre, zwar auch nur eine hierzulande in Bayern, dann sehe ich so viele, abgemagerte, vom Hunger und schlechter Ernährung gezeichneten Menschen, dass es mir im Vergleich zu hier wirklich ganz anders wird.
Denke an deine Kunst, denke ich!
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