d.frank Reißwolf
D Alter: 44 Beiträge: 1125 Wohnort: berlin
|
D 31.03.2022 20:00 En Perdition von d.frank
|
|
|
Ich habe die Hälfte der Fahrt schon hinter mich gebracht, als das Schaukeln der Gondel aussetzt. Da ist der gewohnt scharfe Windzug, der, weil ich die Musik pausiert habe, jetzt kräftig am Metall rüttelt. In der ungewohnten Bewegungslosigkeit wird die Stille laut, kurz darauf von einem Räuspern ausgesetzt.
"Mama, stecken wir jetzt fest?"
Feststecken, das Wort perlt mir auf der Zunge nach.
"Ach nein, es geht bestimmt gleich weiter, Lina."
Ich konzentriere mich auf das Meer an Baumkronen, langgestreckt unter uns. Waldbühnenbilder würden die Prospekte sagen, aber weil es Herbst ist, finde ich, dass sie wie welk gewordener Kohl aussehen.
"Da könnte sie aber recht haben", sagt einer der anderen Passagiere und ich breche mit meinen Gewohnheiten, sehe dort eine Mutter die schmale Tochter am Arm fassen: "Setz Dich bitte hin, Lina!"
"So, die Fahrt endet hier, einmal alles aussteigen, bitte." Lautes Gelächter, jugendlich. Ich lasse die Kopfhörer wieder in meinen Ohren verschwinden. Aber weil der Stillstand noch weiter anhält, kann die Musik nicht mehr zu mir durchdringen. Eine Pause zwischen den Titeln, ein Anflug von Kopfschmerzen, dann eine mädchenhaft turtelnde Stimme: "Und? Siehst du was?"
Aus den Augenwinkeln sehe ich jemanden sich nach draußen lehnen und höre, wie dieser jemand die Frage mit einem knappen Nö pariert.
"Mir ist kalt", sagt das Kind, zu seiner Mutter. Aus den Lautsprechern tönt eine Durchsage: "Werte Fahrgäste, es gibt ein Problem mit der Technik, deshalb wurde die Weiterfahrt kurzzeitig ausgesetzt."
Hinter mir reges Füße scharren.
"Hören sie doch mal auf, so zu wackeln!"
Jemand spricht gegen den Wind an: "Ja, wir sitzen anscheinend hier oben fest."
"Das heißt dann wohl abwarten."
"Können wir Papa anrufen?"
"Keine Angst, die reparieren das."
"Ich habe keine Angst", sagt die Tochter, zu dem Ehemann und in meiner kurz zurückgewonnenen Stille, weiß ich genau, dass beide gelogen haben.
Ich bemerke nicht zum ersten Mal und weil ich mich darauf versteife, dass die Masse an wogenden Wipfeln schäumt: winzige Felder, die aufreißen und sich dann schon wieder zusammenschmiegen, und wenn es die sanfte Tiefe hätte, die es so selbstverständlich ausstrahlt, dann fände ich endlich auch Mut für mein Vorhaben.
"Am Ende holen die noch so´n fettes Kissen und wir springen alle."
"Dann gebe ich mir aber vorher den Havanna auf ex."
"Mama, darf ich bitte einen Keks haben?"
Die Mutter sucht lange, weil fahrig in ihrem Gepäck und dann sehe ich, dass es ein Butterkeks ist und dass die Ärmel der Jacke des Mädchens zu lang sind. Hinter mir ist es ruhig geworden, der Lausprecher knarzt: "Wir müssen um ihre Geduld bitten."
"Schön und wie lange sollen wir jetzt hier ausharren?" fragt die kurzgelockte Frau, an ihren Mann gewandt.
"Entweder finden sie den Defekt oder die Feuerwehr rückt an", sagst du und ich bin ehrlich überrascht. Schon im nächsten Moment, bin ich mir sicher, dass das niemals gut ausgehen wird.
"Ich weiß, was du jetzt denkst.", sagst du und lässt dir nichts anmerken.
"Weißt du eigentlich wie sich das anfühlt?", denke ich fragend.
"Es tut mir leid, dass ich nichts mehr fühlen kann."
Ich zucke die Schultern, weil du mich wütend machst. All die Male, die ich hier auf dich gewartet habe. Du, mit deiner weit ins Gesicht gezogenen Kapuze und den strohigen, aschblonden Haaren. Wir beide, wie früher, wenn wir uns schweigend gegenübersitzen und gemeinsam den Blick über die Wipfel gleiten lassen. Du legst deinen Kopf ein bisschen schief und lächelst mich an. Ich möchte dich so gern herüberretten. Den Arm ausstrecken und meine Hand an deine Wange legen, aber ich tue es nicht, zu viel Angst, es würde uns noch erschrecken.
"Warum ausgerechnet jetzt?"
"Ich musste warten, bis alles stillsteht."
Damit kann ich nichts anfangen und ich möchte sagen, dass sich schon lange nichts mehr bewegt, aber du unterbrichst mich: "Lass uns nicht streiten, Maja, bitte. Wer weiß, wie viel Zeit wir noch haben."
Es klingt so eingeübt, dass mich einen Moment das Gefühl beschleicht. Dass du nicht echt bist und dass du nur nickst, ganz undeutlich, weil ich mir auch das nur eingebildet habe.
"Ok, dann bin ich ein Hirngespinst."
Die Art, wie du das sagst, das Wort, das du benutzt hast, lässt mich von dir abrücken, aber da ist nichts, zu dem ich mich hinwenden könnte, das intensiv und klar genug ist. Nur der Wind, der sich schon wieder legt, die Stimmen, in ihrem fremden Gewirr und das ehemals wogende Meer, das sich als welkes Blattwerk herausstellt.
"Es ist eine Frage des Blickwinkels. Was immer du dir ausmalst, geschieht. Vielleicht hast du diesen Stillstand also selbst provoziert."
"Wenn ich dazu wirklich die Macht hätte..."
"Was würdest du dann damit anfangen?"
"Ich würde machen, dass du nicht stirbst!"
"Wir wissen beide, dass ich schon gestorben bin."
Wie du das sagst und wie ich mich dabei in dir verliere, bemerke ich, dass deine Mimik erstarrt, die graue Haut schroff und zerklüftet ist. Deine Augen haben ihre Wärme verloren, dein Blick scheint leer und gleichzeitig unnachgiebig.
"Du machst mir Angst", sage ich, obwohl ich mir nichts mehr gewünscht habe, als dass du kommst und diese Ewigkeit aufhebst.
"Das tut mir leid, das wollte ich nicht." Ein vertrautes Lächeln mischt sich wieder in die klaffende Harmonie deiner ausdruckslosen Züge:"Letztendlich, Maja, bin auch ich nur das, was du in mir zu sehen bereit bist."
Irgendwo schnürt es, irgendwo zwischen Schlüsselbein und Speiseröhre. Das geht vorbei, denke ich hastig und sehe wie du vor meinen Augen schwindest. Die Luft verwirbelt Dich, trägt dich in winzigen Teilchen so weit von mir fort, dass sich nichts mehr fassen, und nichts mehr atmen lässt.
So muss es also gewesen sein, und dieser erste Gedanke überrascht mich nicht. Immer weniger, was noch ankommt, immer weniger Kraft und Klarheit. Ein Stillstand, der in den Körper fährt und sich ungehindert darin ausbreitet und wie ich Dich loslassen musste, mit dieser Lüge, dass alles schon wieder gut werden wird. | |