Protagonist langweilig - Antagonist stark aber wandelbar - und nun?

[weltverbesserer]

Hallo Autoren,

normalerweise würde ich mich jetzt wochenlang mit diesen Fragen  abquälen, aber ich versuche mal eine andere Methode, nämlich euch, die ihr ja selbst schreibt, um Rat zu fragen.

Ich schreibe an einer epischen Fantasy. Heldenreise in eine Rahmenhandlung eingefasst.
In der Rahmenhandlung geht es um die Herkunft , Identität und Zukunft der Protagonistin, von der sie keine Ahnung hat. Sie wird auf die Reise geschickt, damit sie die Realität begreift und innerlich reift, um am Ende die Wahrheit über sich selbst zu erfahren und die damit verbundene Verantwortung tragen zu können.

Protagonistin: sie ist mitfühlend, verträumt, naiv, etwas rebellisch,  denkt nicht an Konsequenzen (Verhaltensmuster), sie ist sich nicht sicher, ob sie normal ist (ihr Gedächtnis an ihre wahres Selbst und ihre Herkunft wurden blockiert und sie wurde einer Gehirnwäsche unterzogen).
Sie soll einen negativen ARC durchlaufen - Konfrontierung mit der Realität, Desillusionierung, Erwachsenwerden und dadurch in ihrer Persönlichkeit reifen.

1. Protagonist-Fragen:
Beim Schreiben hat sich der Antagonist in eine viel stärkere und interessantere Figur entwickelt als beabsichtigt. Die Protagonistin wirkt im Vergleich zu ihm  jetzt ziemlich fade.

Was wäre sinnvoller?
Die Persönlichkeit komplett austauschen (dann wäre der negative ARC nicht mehr möglich)?
oder ihr mehr negative Eigenschaften bzw innere Konflike geben (sie wurde ja einer Gehirnwäsche unterzogen)?


Antagonist: trägt die klassischen Merkmale eines Narzissten.
Er sollte sich ursprünglich nicht verändern um am Ende seinen Konflikt mit der Protagonistin austragen zu können.

Antagonist-Fragen:
Jetzt habe ich die Möglichkeit erwogen, ihn einen positiven ARC durchlaufen zu lassen, damit er sich zum Positiven wendet - dann wäre er allerdings auf der Stufe der Protagonistin und ich hätte keinen Antagonisten für den Endkonflikt mehr.

Entweder dreht er sich dann in der letzten Sekunde doch noch um 180 Grad - aber wie glaubhaft ist das?
oder
wäre es möglich einen neuen Konflikt zu schaffen, den sie gemeinsam bewältigen müssen? Wäre das langweilig?

[weltverbesserer]

ich antworte mir mal selbst, weil ich gerade überlegt habe, dass sich die Protagonistin ja erst noch entwickeln muss. Sie wirkt also am Anfang schwächer wird aber zum Ende hin stärker. Aber kann ein anfänglich schwächerer Protagonist die Spannung halten?

[Willebroer]

Da wäre nicht nur wichtig, wer diese Leute sind, sondern was sie für eine Vergangenheit haben. Die braucht man, wenn man die Prägungen einschätzen und evt. Verhaltensänderungen erklären will.

Bei einer festen Rollenzuweisung wäre das nicht nötig, da würde jeder sein Programm durchziehen.

[weltverbesserer]

Danke für deine Antwort. Eine offensichtliche Vergangenheit haben sowohl Protagonistin als auch Antagonist. Die noch verhüllte wahre Vergangenheit der Protagonistin ist ein wesentlicher Teil der Geschichte, den ich erst am Ende enthüllen kann.

Dann habe ich jetzt nur noch die Fragen zum Antagonisten.

[Willebroer]

Im Grunde bist du völlig frei in der Ausgestaltung. Die Entwicklung glaubhaft zu schildern wäre ja die eigentliche literarische Aufgabe.

Du brauchst übrigens nichts vorher zu verraten. Das Verhalten kann durchaus rätselhaft sein. Nur am Ende sollte alles hinkommen wie in einem guten Krimi halt.

Falls dir das was sagt: denk mal an das Verhältnis zwischen Harry Potter und Snape. Letzterer bleibt lange undurchsichtig - selbst in seiner Rolle als (vermeintlicher) Bösewicht.

[weltverbesserer]

Protagonistin und Antagonist meiner Geschichte stehen in ähnlichem Verhältnis zueinander wie Snape und Harry Potter.

Nun hatte ich aber zwei mögliche Entwicklungen.

1. ich lasse den Antagonist in der Rolle des Bösen, was im Verlauf der Geschichte nicht mehr unbedingt ersichtlich ist, weil er sich scheinbar in Richtung gut entwickelt, macht dann aber eine Kehrtwende und offenbart sein wahres Ich. (ursprünglich geplant)

2. ich lasse ihn sich zum Guten wenden. In dem Fall würde mir der Antagonist fehlen.
Die Frage, die ich dazu habe ist, ob es in Fall von 2. möglich/machbar/glaubwürdig ist einen neuen Konflikt aufzuwerfen, der die Rolle des Antagonisten ersetzt?

[Michel]

Brauchst du eine Person/Figur als finalen Antagonisten? Ansonsten könnten die beiden tatsächlich auf einer Seite landen und für ein größeres Ziel / gegen eine größere Bedrohung kämpfen. In unserer Zeit wären das z.B. Hunger oder Klimawandel.

[weltverbesserer]

oh gut, danke. Ich wollte halt wissen, ob es glaubhaft wäre. An sich ist das klassische Modell ja Gut-Böse, Kampf, Ende. Ich wollte mal etwas anderes machen. War mir aber nicht sicher als sich die Möglichkeiten gegabelt haben, ob es machbar ist, die Rolle des Antagonisten mitten in der Geschichte umzubesetzen.

[MarMa]

Du könntest deiner Protagonistin ja zum Ersten ein spezielles Talent geben, das sie ein wenig besonders macht. Auch eine außergewöhnliche Erscheinung oder du kannst ja das Potential, das sich erst entwickeln wird, immer wieder durchblitzen lassen.
Außerdem werden sie ja hoffentlich Gefährten auf ihrem Weg begleiten und in deren Gesellschaft kann sie ein besonderes Mass an Schlagfertigkeit oder Humor entwickeln. Die Gefährten können ihr gut zuspielen und ihr Potential in gewissen Situationen und Prüfungen sichtbarer machen.
Das ist natürlich jetzt alles sehr theoretisch, weil ich über deine Protagonistin noch genauso wenig weiß, wie von deiner Geschichte.
Falls dir meine Tipps jetzt deswegen nichts geben, dann vergiss sie einfach.

[weltverbesserer]

hat sie alles schon, vielen Dank für deinen Kommentar. Die Schlagfertigkeit könnte sich als nützlich erweisen

Vielen Dank für die Hilfen, ich habe alle Antworten, die ich gesucht habe.

[Maunzilla]

In vielen populären Geschichten ist der Held eher ein langweiliger Mensch ohne viele Eigenschaften. Das ermöglicht den Lesern sich eher mit ihm zu identifizieren.
Denken wir beispielsweise an die klassische Detektivgeschichte, wo der Ermittler ein oft eindimensionaler Charakter ist, oder Superhelden, oder den eher farblosen Captain Kirk in "Star Trek".

[Ralphie]

Dem kann ich nicht zustimmen, lieber Maunzilla. Nimm nur Micky Maus als Beispiel. Micky Maus war eher langweilig. Geliebt wurde nur Donald Duck, der ewige Verlierer, weil die Leserinnen und Leser sich mit ihm identifizieren konnten.

Liebe Grüße
Ralphie

[Minerva]

Hallo weltverbesserer,

deine Protagonistin klingt doch gut, denn sie hat SYMPATHIE-Potenzial. Du überlegst, ob sie die Spannung halten kann. Das  ist erst mal nicht so wichtig, als Leserin muss ich ihr nahe kommen.
Du musst also das Interesse wecken und halten. Dazu musst du sie sehr gut kennen und lebendig werden lassen, grabe alle ihre Geheimnisse, Macken und Sehnsüchte aus, das wird sich auswirken (unbewusst).
Immer, wenn sie etwas tut, überlege, ob du es extremer darstellen kannst. Lass sie leidenschaftlicher sein, empfindsamer, rebellischer als Ottilia Normalleserin.

Ich stimme auch zu, dass du ihr ein spezielles Talent geben solltest, worin sie sehr gut ist.
Zeige in der Einleitung, wie sie jemand anderem etwas Gutes tut, sich um jemanden sorgt oder kümmert.

Gib ihr natürlich auch Schwächen, lass sie mal etwas Dummes und Unlogisches tun.

Ansonsten versuche, nah an den Charakter zu kommen. Meide Wendungen wie "das Mädchen", "die junge Frau" vollständig, die uns aus dem Charakter reißen und sie von außen betrachten. Vermeide Beschreibungen ihres Aussehens von außen, die ihre Schönheit darstellen. Wenn sie attraktiv ist, dann zeige uns das stattdessen durch die (subtilen) Reaktionen anderer (also potentieller Partner/innen). Das Gleiche gilt für Unattraktivität.
Bleibe immer dicht dran, benutze kleine Details, die sie in der Welt wahrnimmt, nutze alle Sinne. Zeige ihre Welt durch ihre Augen, so wenig wie möglich durch Beschreibungen.
Lass sie nicht zu passiv sein, sie soll etwas unternehmen, wenn Dinge passieren, auch wenn es nicht funktioniert. Ein zusätzliches äußeres Ziel zu ihrerer inneren Wandlung lässt sie zielstrebiger werden. Das kannst du mit dem besonderen Talent verknüpfen.

Das Ziel ist die Identifikation mit dem Charakter.

Und dann hast du ja auch noch den Plot, der viele, auch kleine Hindernisse, Konflikte und Probleme aufwirft, die sie überwinden muss. Auch wenn du sie in ihrem Alltag zeigst, kann es dort immer wieder so etwas geben, unabhängig vom Hauptplot.

Kurz gesagt: der Charakter bestimmt das Interesse schon, aber das ist nur ein Baustein.

[weltverbesserer]

[Ralphie]

Hallo, Weltverbesserer!

Statte deine Protagonistin mit Macken aus. Sie liebt die Filme von Edward D. Wood. Sie mag Marzipan. Sie ist einem Mann verfallen, der ihr die kalte Schulter zeigt usw.

Und du kannst auch ruhig ihr Äußeres zeigen, etwa so: Kristle war einen Meter fünfundsiebzig groß und hatte mahagonibraunes Haar, das sie im Stufenschnitt trug.

[weltverbesserer]

Hallo Ralphie,

danke für deine Antwort. Du bestätigst damit meine ursprüngliche, instinktive  Vorgehensweise. Einen besonderen Dank dafür, denn ich ich war schon drauf und dran das zu ändern.

[Andreas53]

Hallo!

Deine Geschichte hat keine Protagonistin. Die Figur, die du "Protagonistin" nennst, ist keine. Sie ist ein Waschlappen. Protagonisten haben ein Ziel, einen Willen, ein Verlangen, etwas bestimmtes zu tun.

Grüße

Andreas

[weltverbesserer]

[Langley]

Hallo,

interessant, bei dem Thema gab es jetzt schon viel Input. Ich habe bei mir selbst auch bemerkt, dass mir das Beschreiben und auch das Ersinnen von allen Boshaftigkeiten, die mein Antagonist so macht, viel mehr Spaß gemacht hat. Man hat mehr Freiheiten, und dann kommt wahrscheinlich eine facettenreichere Figur heraus.

Thema Star Trek, aber  Next Generation - ich fand Picard früher immer voll langweilig. Er hat sich immer für das Vernünftige entschieden. Das war für alle besser, aber seine Entscheidungen waren halt vorhersehbar.

Für mein aktuelles Buch habe ich mir auch eindeutig vorgenommen, die Protagonistin auch interessant zu gestalten. Protagonisten können auch mal was völlig Unerwartetes tun. Oder sie gehen einer Handlung nach, bei der du nicht gleich beschreibst, wozu das gut sein soll. Man kann eben mit Kleinigkeiten die Person etwas interessanter wirken lassen.

Leichter gesagt als getan. Ich finde beispielsweise ein ganz gute Beispiel Frodo von Herr der Ringe. Er ist ein sehr sympathischer Protagonist, er ist dabei total durchschnittlich, aber er ist eben so mutig, dass er dadurch auch wieder interessant ist.

[weltverbesserer]

[Willebroer]

Bei näherem Hinsehen findet man erstaunlich viele Helden wider Willen. Sogar bei den Klassikern wie Wilhelm Tell oder Michael Kohlhas, Wilhelm Voigt.

Nicht alle sind gleich charismatische Persönlichkeiten, und nicht alle bleiben moralisch auf der langweiligen Seite.

[BrianG]