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Zwiebeln schneiden


 
 
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FaithinClouds
Geschlecht:weiblichLeseratte
F


Beiträge: 158
Wohnort: Südlich vom Norden


F
Beitrag06.12.2021 14:36
Zwiebeln schneiden
von FaithinClouds
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hey, hier eine kleine Geschichte (verspätet) zum zweiten Advent. 😄🎄🎅


Zwiebeln schneiden

Wir haben einen neuen Mitbewohner. Er kommt aus Oberfranken und hat einen leichten Dialekt. Es ist mir erst aufgefallen, als er letzten Freitag betrunken nach Hause gekommen ist.

Unter der Woche ist er oft in seinem Zimmer und sitzt vor seinem Rechner. Marie und ich hören das Tippen auf der Laptoptastatur durch die Tür hindurch. Weil das Gebäude alt ist. Ich glaube, es wurde in den Sechzigern gebaut, aber genau weiß ich es nicht und es ist mir eigentlich auch egal.
Er heißt Alex, aber als er sich vorgestellt hat, hat er den letzten Buchstaben verschluckt, weil er so nervös war. Marie hat ihn deswegen am Anfang manchmal Ale genannt. Er hat dann immer gelächelt, ohne die Augen zu benutzen, und daher lässt sie es inzwischen.
Am Wochenende kocht er und hört Musik über das Küchenradio. Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der noch Radio hört. Ich hab ihn mal gefragt, warum er sich nicht einfach Spotify runterlädt. „Gewohnheit.“ Er hat mit den Schultern gezuckt.
„Aber dann musst du nicht die Moderatoren ertragen und kannst gleich zur Musik springen.“
Er hat wieder mit den Schultern gezuckt. „Ich mag die Stimmen im Hintergrund.“ Er konnte mich nicht richtig ansehen, als er es sagte. „Irgendwie macht das, dass ich ruhiger werde.“

Als er jedenfalls letzte Woche betrunken nach Hause kam, hat er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Aber als er uns umarmt hat, konnte ich den Alkohol an ihm riechen. Außerdem hat er uns vorher noch nie umarmt.
Er war ein bisschen weinselig. Marie hat gefragt, wie sein Abend war, und er wusste nichts darauf zu antworten.
„Hat es dir gefallen?“, habe ich daraufhin gefragt.
Er schüttelte den Kopf. „Aber besser, als in seinem Zimmer zu sitzen.“
Ich habe ihn nicht weiter darauf angesprochen.

Manchmal sieht er richtig traurig aus. So wie jemand, dem alles ein bisschen egal geworden ist. Als ich letztens in die Küche kam, habe ich ihn gefragt, ob er Zwiebeln geschnitten hat.
„Nein.“ Er hat mich fragend angeschaut. „Warum?“
„Weil deine Augen so feucht sind.“
Er hat sein Gesicht abgewandt. Als ich schließlich aus der Küche gegangen bin, lief irgendein Lied von Coldplay im Radio und ich dachte daran, dass das Jahr bald vorbei ist.

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schoele
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
S


Beiträge: 26



S
Beitrag07.12.2021 01:07
Re: Zwiebeln schneiden
von schoele
Antworten mit Zitat

Hi FaithinClouds,

ich fand deine Geschichte sehr sehr toll, weil sie so schnell und kompakt ein Bild skizzieren konnte von einer Person, die man kennt oder die man auch zum Teil selber ist. Ich zumindest konnte mir sehr viel dazu denken, vielleicht auch weil es hier um Traurigkeit und Einsamkeit geht, und wenn man dieses Gefühl sehr gut kennt, dann kann man besonders gut das komplette Bild verstehen und sich gegebenenfalls damit identifizieren. Wenn ich jetzt auch darüber nachdenke, hat es was herzzereißendes, find ich zumindest. Auch diese plötzliche Umarmung, weil es vielleicht eine unbeholfene konkretistische Kontaktaufnahme ist, um aus der Einsamkeit herauszukommen. Zu viel erstmal zu meinem Eindruck und der Resonanz, die die Geschichte in mir ausgelöst hat smile

Zwei Stellen, wo vielleicht was geändert werden könnte.

FaithinClouds hat Folgendes geschrieben:

„Aber besser, als in seinem Zimmer zu sitzen.“


Ich finde, die Aussage nicht sehr passend, irgendwie fehlt da das direkte Einbeziehen des Mitbewohners :0
Vielleicht wäre es besser, wenn es lauten würde „Aber besser, als in deinem Zimmer zu sitzen.“ (erzählendes Ich spricht zum Mitbewohner) , wobei das auch angreifend klingen könnte. Oder Alex sagt selber „Aber besser, als in meinem Zimmer zu sitzen.“ (Mitbewohnerin spricht zum erzählenden Ich und der Mitbewohnerin). Bloß ein kleiner Eindruck dazu, vielleicht kannst du daraus was gewinnen.

Kurz noch ein kleines Detail zur letzten Szene in der Küche als das Radio spielt: es wäre interessant, wenn konkret ein Lied benannt werden würde, was auch irgendwie auf den Mitbewohner anspielt. Klar, nicht jeder kennt dann das Lied, was du für passend halten würdest, damit
schließt man einige Lesende aus, wenn sie nicht den Interpreten oder das Lied kennen. Das wäre jedenfalls ein interessantes kleines Detail, wodurch man vielleicht noch mehr Zugang zum mysteriösen/verschlossenen Mitbewohner erhält.

Ich hoffe, mein Feedback hilft dir weiter smile
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wohe
Geschlecht:männlichKlammeraffe
W

Alter: 71
Beiträge: 638
Wohnort: Berlin


W
Beitrag07.12.2021 08:29

von wohe
Antworten mit Zitat

Hallo FaithinClouds,

an der Geschichte gibt es nichts zu mäkeln. Kurz, mit allen nötigen Details, stilistisch sauber, in der dem Ziel entsprechenden Form (genau die richtige Menge Stimmung) und im Ergebnis anrührend (erzeugt Vorweihnachtsfeeling).
Perfekt.

MfG Wohe
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Selanna
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1146
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag08.12.2021 01:15

von Selanna
Antworten mit Zitat

Hallo FaithinClouds,
ich bin endlich dazu gekommen, Deinen Text zu lesen, aber die Zeit zum Kommentieren fehlt dafür.
Ein paar Formulierungen fielen mir auf, bei denen ich unsicher bin, ob sie gelungen sind, zB. „Er […] hat einen leichten Dialekt“. Kann man das so sagen? Und wenn man kann, ist es auch stilistisch gut? Du wechselst manchmal zwischen Perfekt und Präteritum, das könntest Du noch verbessern.
Ansonsten: Eine schöne Mischung aus lakonischer und gleichgültig geschwätziger Erzählung (nichts davon ist negativ gemeint, sondern dadurch wirkt der Text auf mich authentisch). Das hier etwa: „Weil das Gebäude alt ist. Ich glaube, es wurde in den Sechzigern gebaut, aber genau weiß ich es nicht und es ist mir eigentlich auch egal.“ – Das ist geschwätzig, weil es eigentlich nichts aussagt, aber diese Aussagelosigkeit auch selbst ausdrückt (ist mir egal). Eine kleine, melancholische Episode, mit netten Details, ich hab’s gern gelesen. Aber ein bisschen könntest Du schon noch dran feilen. Wink
Liebe Grüße
Selanna


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Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform. - William Somerset Maugham
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FaithinClouds
Geschlecht:weiblichLeseratte
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Beiträge: 158
Wohnort: Südlich vom Norden


F
Beitrag08.12.2021 15:36
Re: Zwiebeln schneiden
von FaithinClouds
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Hey Schoele,

vielen Dank für deine lobenden Worte. Es ist schön zu lesen, dass dir dir Geschichte gefallen hat.

Das mit dem Zimmer kann ich noch angleichen. Ich würde aber einfach das Possessivpronomen weglassen: "Aber besser als im Zimmer zu sitzen"

Das mit dem konkreten Song, da weiß ich es nicht so recht. Alex hört ja Radio und dass da dann der "perfekte" Song läuft, um ihn zu beschreiben, wäre ein bisschen zu krasser Zufall.

Vielen Dank für deine Nachricht jedenfalls 🎄 und eine schöne Adventszeit! Grüße nach Berlin ^^
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FaithinClouds
Geschlecht:weiblichLeseratte
F


Beiträge: 158
Wohnort: Südlich vom Norden


F
Beitrag08.12.2021 15:37

von FaithinClouds
pdf-Datei Antworten mit Zitat

@Wohe
Liebe Grüße auch an dich und ebenfalls eine frohe Weihnachtszeit nach Berlin!😺

Danke für das Lob!
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FaithinClouds
Geschlecht:weiblichLeseratte
F


Beiträge: 158
Wohnort: Südlich vom Norden


F
Beitrag08.12.2021 15:48

von FaithinClouds
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hey Selanna,

auch dir lieben Dank für das Lob und die konstuktiven Verbesserungsvorschläge.

Selanna hat Folgendes geschrieben:
Hallo FaithinClouds,
ich bin endlich dazu gekommen, Deinen Text zu lesen, aber die Zeit zum Kommentieren fehlt dafür.


Kein Problem. Du machst das ja nur als Gefälligkeit und dann erwarte ich eigentlich auch nicht, dass du sofort oder überhaupt kritisch auf den Text eingehst😅


Selanna hat Folgendes geschrieben:

Ein paar Formulierungen fielen mir auf, bei denen ich unsicher bin, ob sie gelungen sind, zB. „Er […] hat einen leichten Dialekt“. Kann man das so sagen? Und wenn man kann, ist es auch stilistisch gut? Du wechselst manchmal zwischen Perfekt und Präteritum, das könntest Du noch verbessern.


Also das mit dem Dialekt und dem Wechsel zwischen Perfekt und Imperfekt ist eigentlich gewollt.😬 Ich wollte, dass der Text umgangsprachlich ist. Damit er so etwas wie ein Tagebucheintrag oder ein Brief hat, um die Distanz zu der Leserschaft abzubauen. So ein bisschen sollte es klingen wie was, was mir eine Freundin erzählen würde.

Am Anfang stand auch: "Wenn er redet, hat er einen leichten Dialekt"
Aber das klang irgendwie blöd, denn, wenn jemand einen Dialekt hat, hört man den ja immer nur, wenn derjenige redet.  😂


Danke fürs Kommentieren und Dir auch eine schöne Weihnachtszeit!🎄✨ 🕯️🕯️ 🎁🎄
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hobbes
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Beitrag08.12.2021 23:19

von hobbes
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Ich mag das. Es ist irgendwie beiläufig und berührt dennoch (oder deswegen?). Ich würde es allerdings nicht als Geschichte bezeichnen, eher als eine Art Skizze.

Zitat:
Er kommt aus Oberfranken und hat einen leichten Dialekt. Es ist mir erst aufgefallen, als er letzten Freitag betrunken nach Hause gekommen ist.

Das "Es" ist zweiten Satz finde ich ein bisschen Bezugs-problematisch - ich zumindest habe einen Moment innegehalten und mich gefragt, was damit gemeint ist: Oberfranken oder der Dialekt? Das "betrunken" deutet dann auf letzteres hin, aber mich reißt es trotzdem erst mal raus.


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Selanna
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1146
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag09.12.2021 01:15

von Selanna
Antworten mit Zitat

Hallo FaithinClouds,
Zitat:
Also das mit dem Dialekt und dem Wechsel zwischen Perfekt und Imperfekt ist eigentlich gewollt.😬 Ich wollte, dass der Text umgangsprachlich ist. Damit er so etwas wie ein Tagebucheintrag oder ein Brief hat, um die Distanz zu der Leserschaft abzubauen. So ein bisschen sollte es klingen wie was, was mir eine Freundin erzählen würde.

Damit ist alles gesagt Smile Dann lass es so!

Liebe Grüße
Selanna


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Kascha
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 144
Wohnort: Wald der Träume


Beitrag14.12.2021 19:14
Re: Zwiebeln schneiden
von Kascha
Antworten mit Zitat

Hallo FaithinClouds,

eine schön traurige Geschichte, kurz und prägnant. Der Stil ist trocken und irgendwie trostlos, was die Stimmung perfekt widergibt. Titel ist genial.
Den eigenen Namen zu nuscheln, lächeln, ohne die Augen zu benutzen, sich in sein Zimmer verziehen, Alkohol, Radio - was für schöne Darstellungen von Alex' Gefühlswelt.

Folgende Änderungsvorschläge hätte ich:

[i]Weil das Gebäude alt ist. Ich glaube, es wurde in den Sechzigern gebaut, aber genau weiß ich es nicht und es ist mir eigentlich auch egal.[/i]

Hier würde ich entweder schreiben: Das Gebäude ist alt. (...) oder beide Sätze ganz weglassen.

[i]Ich hab ihn mal gefragt, warum er sich nicht einfach Spotify runterlädt. „Gewohnheit.“ Er hat mit den Schultern gezuckt.[/i]

"Gewohnheit" würde ich in die nächte Zeile setzen. Und ich persönlich würde zuerst 'Er hat mit den Schultern gezuckt' schreiben, aber du kannst es auch so lassen.

Das wäre es. Schöne, hoffentlich fröhlichere Weihnachtszeit!
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