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Das tätowierte Jettchen Gebert


 
 
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Eve McFar
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 43
Beiträge: 10
Wohnort: Berlin


Beitrag07.02.2008 12:39
Das tätowierte Jettchen Gebert
von Eve McFar
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Im Zug setzte ich mich einfach in ein Abteil für 6 Passagiere, in dem nur eine Frau saß, die ihre Beine hochgelegt hatte und sich nicht stören ließ ihr Buch zu lesen, als ich mich über ihre Beine hinweg ans Fenster setzte, ein Brot aus meiner Tasche zog und mit Blick aus dem Fenster den Appenzeller Käse der Gegend aß, durch die ich fuhr. Die Zeit verging langsam, ich starrte ins Freie und dachte über nichts nach. Sie hingegen schien sich köstlich zu amüsieren. Sie las in dem Buch und nickte immer mal wieder dabei ein, schlummerte eine Weile und verlor ihre Haltung. Ganz ohne Spannung war sie süß anzuschauen, ihr Haar fiel ihr ins Gesicht und legte ihren Nacken frei. Es kam eine bläuliche Spitze zum Vorschein, nicht die eines Dessous, sondern die eines Tattoos. Damit war ich gefesselt. Wenn sie jedoch aufwachte, schreckte sie unter dem herab fallenden Buch auf und besann sich lachend. Ich starrte sie dann an und kurz schenkte sie auch mir ein Lächeln. Schüchtern wendete ich mich ab und biss mir wieder auf die Unterlippe beim Anblick der weiten grünen Landschaft vor dem dicht behangenen Wolkenhimmel in schwerem Lilagrau, dass ich nicht zurückgelächelt hatte.
Aber sie wendete sich wieder ihrem Buch zu und las.
Vorsichtig sichtete ich die Situation und entspannte mich, lehnte mich zurück und atmete durch. Ich fand meine Mitte wieder und suchte die Ruhe in den immer wiederkehrenden Farben der passierenden Regenwolken. Dennoch duftete es frisch in dem stickigen Abteil, nach betauten Blüten auf einer Morgenwiese. In mir wogten die Säfte auf und brachen ruckartig meinen geschlossenen Augenlidern. Ich verkrampfte und ließ mich erblinden. Stille, keine Gischt, bloß keine Gischt. Langsam zog sich auch diese Anspannung zurück.
So vergingen Stunden, der Zug hielt an, fuhr ab, sie schlief ein, wachte auf und kein Mensch betrat unser Abteil, kaum jemand ging daran vorbei.
Wir waren ganz allein; man konnte sogar Vorhänge vor die Türen ziehen und einen Rollo am Fenster herunter lassen, die Sitzbänke waren völlig flach und wirkten wie Liegen. Ja, das wollte ich, bei ihr liegen, schon jetzt. Wie sie ihre starken Beine über den Gang auf die andere Sitzfläche stützte, sie nutzte die Eigenspannung der Kniee, saß nur mit drei Vierteln ihres Hinterns auf der eigenen Sitzfläche und lehnte mit den Schultern an die Sitzlehne, ihre Hände lagen auf dem Bauch und hielten den Roman von Georg Hermann Jettchen Gebert, warum sie wohl auch aus ihren Schläfchen immer mit einem Lächeln erwachte. Nur zu gut konnte ich sie verstehen, ach wie ich gelacht habe bei der Lektüre. Ich, als nicht-Berliner kann nur mit Freuden den Klang des berliner Dialekts sprechen hören und bin immer wieder froh, wenn ich ihn zu hören bekomme: "Bist Du aus Berlin?", fragte ich sie schüchtern.
Für einen Moment noch ruhte sie in sich und sagte blinzeld: "Warte.", sie las den Satz zu Ende und schaute mit einem kleinen Lächeln auf. "Wie bitte?".
Nein, sie wird nicht die meinige sein, schon so früh bin ich enttäuscht von ihr und gar nicht mehr in der Lage die Frage zu wiederholen. Ich sah weg.
"Haben sie mich nicht etwas gefragt? Ich glaube, sie wollten wissen, ob ich aus Berlin bin." Ruckartig stand ich auf, wollte raus, schaute hektisch um mich und traf dann ihren Blick. Dieser Moment hatte noch die Kraft mich zu binden, er stoppte meine Verwirrung und Angst. Von ihr kam keine Bewegung, von ihr kam kein Wort, sie sah mich nur fest an und wartete. Keine Irritation, keine Ablehnung, nur Zutrauen. Wovor habe ich nur Angst?
Mein ganzer Körper war erstarrt, nur meine beiden Zeigefinger rieben fest am Daumen auf und ab, ein grässlich kratziger Kropf steckte in meinem Hals und ich schluckte schwer. Ihre Geduld war es, die mir meine Fassung wiedergab und ihre grünen Augen, denn das Grün im Grau ihrer Iris ist durchbrochen von weißen Strahlen, die sich schier hypnotisierend in meine Gedanken gruben. Ihr schmales Gesicht aber konnte die Augen kaum aushalten, so imposant schauten sie über ihre fragile spitze Nase hinaus. Die kleine gedrungene Stirn verschwand zudem unter dem streng geschnittenen Pony und den dünn gezupften Augenbrauen. Ich durfte sie mir ganz genau ansehen und brauchte nichts zu sagen. Erst jetzt erkannte ich ihre scheußlichen Proportionen. Ich erwachte aus der Anbetung ihres kräftigen Körpers mit seinen geschwungenen Rundungen und einem bläulichen Geheimnis unter der Kleidung und sah sie richtig an, in ein kantiges Gesicht, mit scharfem Kinn und dünnen Lippen. Sie missfiel mir plötzlich. Asche. Weder hatte sie den Berliner Dialekt, noch ähnlich Züge mit Jettchen. Welch ein Trost würde ein Wortwechsel erwarten lassen, eben nur ein Trost. Ich machte mich aus dem Staub.



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Literat in Austausch
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Gast







Beitrag07.02.2008 13:41

von Gast
Antworten mit Zitat

Hoppla, was für ein ungewöhnlicher Titel! Hat mich sofort angezogen, den Text zu öffnen. Wink

Aber dann so was:
Zitat:
Im Zug setzte ich mich einfach in ein Abteil für 6 Passagiere, in dem nur eine Frau saß, die ihre Beine hochgelegt hatte und sich nicht stören ließ ihr Buch zu lesen, als ich mich über ihre Beine hinweg ans Fenster setzte, ein Brot aus meiner Tasche zog und mit Blick aus dem Fenster den Appenzeller Käse der Gegend aß, durch die ich fuhr.

Hast Du schon mal was von der Taste mit dem Punkt gehört? wink

Okay, also das ist ein Bandwurmsatz, und der müßte nicht sein. Auch der Anfang ist irritierend. Wieso setzt er sich "einfach" in das Abteil? Hat ihm das jemand verboten? Hat er keine Fahrkarte? Ist das nicht der erste Satz der Geschichte, und das wird vorher in einem Auszug des Textes erklärt, der hier nicht gepostet ist?

Vorschlag:
Ich fuhr mit dem Zug durchs Appenzellerland. In dem Abteil, das ich mir ausgesucht hatte, saß eine Frau und ließ sich durch mich nicht bei ihrer Lektüre stören. Sie hatte die Beine hochgelegt und ignorierte mich sogar, als ich über ihre Beine hinwegstieg, um mich ans Fenster zu setzen. Dort verzehrte ich dann das Brot mit dem Käse aus der hiesigen Gegend, während ich die dazu passende Landschaft betrachtete, die draußen am Fenster vor mir vorbeizog.

Oder so ähnlich. Appenzeller stinkt fürchterlich. Wie kannst Du so etwas essen, wenn jemand anderer mit Dir im Abteil sitzt? Smile
Aber es paßt zu Deinem Protagonisten, daß er sich um so etwas keine Gedanken macht. Er scheint nicht der beste Beobachter zu sein und auch nicht der rücksichtsvollste Mensch.

Die Frau hätte mich sehr interessiert, leider erfahre ich zu wenig über sie. Scheint eine Figur zu sein, aus der man etwas machen könnte.

Die Idee mit dem Tatoo und der Erinnerung an Jettchen finde ich gut, die Umsetzung kommt mir noch nicht sehr gelungen vor. Da fehlt mir das Gefühl (meinetwegen für Jettchen, nicht für diese Frau hier, aber wer oder was ist Jettchen? Was für eine Beziehung hat oder hatte der Protagonist zu ihr? Ist er auf dem Weg zu ihr, von ihr weg?)

Wenn Du die Idee mit mehr Gefühl umsetzt, könnte das gut werden. Die Idee ist klasse, und der Titel auch.

Liebe Grüße
Angela
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Eve McFar
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 43
Beiträge: 10
Wohnort: Berlin


Beitrag07.02.2008 18:08
Hmm, Interpunktion...
von Eve McFar
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich verstehe Deinen Einwand, jedoch bin ich dem Satz und der Länge sehr verbunden, da die Fülle recht schnell in den Text zieht und klassisch den Text eröffnet. Ort und Umstände, zudem Perspektiven und Rahmenbedingungen. Klar ist es ein Satz, der aus dem Rahmen fällt, aber im Verlauf des Textes kommen noch zwei solch lange Sätze, die gut platziert die Proportionen des Textes aufzeigen können.
Die Frau soll so wenig beschrieben bleiben, damit sie dem Vergleich mit Jettchen Gebert stand hält, eine wirklich hinreißende Frau aus dem Roman von Georg Hermann, kann ich nur wärmsten ans Herz legen. Und erst spät wird die Unähnlichkeit vom Äußeren abgezogen und ins Gesicht projiziert, an dem deutlich wird, dass die Nervosität und seine schnell entflammte Leidenschaft, völlig daneben war. Dann erst rückt ihr Verhalten in den Fokus und entschleunigt den Text. Da erst wird sie beschrieben, wieder nur äußerlich, aber damit gibt sich der Protagonist zufrieden. Kein Trost, kein Happy Start für eine Geschichte, kurz und bündig eine =Ent-täuschung=.


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Kleka
Kleine, süße Prinzessin
K

Alter: 31
Beiträge: 1037



K
Beitrag07.02.2008 18:32

von Kleka
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Es stoppt den Lesefluss trotzdem erheblich, aber am ende ist es natürlich deine, also die Entscheidung dess Autors.
Alles in allem finde ich deinen Stil jedoch gut.


_________________
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Loyalität ist die Definition des Preises für den man verraten wird.
Wenn du jemandem vertraust musst du hoffen das der Preis hoch genug ist aber es ist dumm und naiv...
zu glauben es gäbe ihn nicht.

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