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Sommerzeit


 
 
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FaithinClouds
Geschlecht:weiblichLeseratte
F


Beiträge: 158
Wohnort: Südlich vom Norden


F
Beitrag01.10.2021 15:34
Sommerzeit
von FaithinClouds
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Hallo alle! Die vorliegende Geschichte war inspiriert von dem Lied "Summer's end" von John Prine😄. Sie ist ein bisschen arg lang geraten (ich hab letztens gelernt, dass die hier reingestellten Geschichten immer so um die 2000 Wörter haben sollten), aber ich schaffe es einfach nicht, Geschichten zu schreiben, die kürzer als 3000 Wörter sind 😅(und bei Gott habe ich es versucht).

Summer's end is around the bend just flying
The swimming suits are on the line just drying
I'll meet you there per our conversation
I hope I didn't ruin your whole vacation


Sommerzeit

Sie schaute dem Staub nach, sah ihn im Licht der Terrassentür fädig zu Boden trudeln wie die Flugsamen eines Ahornbaums. Die Sonne warf ihr Licht schräg auf den Boden gleich einem Schlagschatten, bestrahlte Phoebes Hände, die sie flach gegen das Glas erhob, als habe sie sie eben erst entdeckt.
Sie könnte lange hier liegen bleiben, bis das Licht aufgebraucht sei, aber das würde ihrem Denken nicht guttun.
Phoebe rollte sich auf den Bauch und stand auf. Ihr lockiges Haar leuchtete an den Rändern, als sie gegen das Licht sah und die Terrassentür öffnete.
Draußen roch es nach feuchter Erde. Ihr Großvater hatte vor einer Stunde die Blumen und Büsche gegossen und noch immer bezeugten dunkle Flecken an den Wurzeln der Pflanzen das Wasser. Als sie in den Mittag hinein lauschte, hörte sie zitternde Motoren und das Schlagen kleiner Beine in den Hinterhofpools ihrer Nachbarn. Ihre Großeltern verwehrten Phoebes Wunsch, sich ebenfalls einen Pool zuzulegen, und sie hasste es, wie eine Bittstellerin an den Türen der Einfamilienhäuser ihrer Nachbarn zu klingeln, um unter den mitleidigen Blicken der Öffnenden um Erlaubnis zu fragen, ob sie mit den Kindern, die meist zu alt oder zu jung waren, als dass sie wirklich Freunde werden konnten, schwimmen gehen zu dürfen.
Sie rannte in Richtung der großen Hecke, wo versteckt unter den Schatten der wächsernen Zweige die Käfer lebten, die sie so gerne betrachtete. Phoebe stellte sich vor, dass da irgendwo zwischen den Blättern eine ganze Stadt sei, in der auch Straßenzüge und Häuser existierten.
Es war Samstag und da war nicht viel sonst, was sie tun konnte. Phoebe fürchtete sich davor, dass sie sich irgendwann, wenn sie älter wäre, an diesen Mittag zurückerinnern und dabei Reue über seine Leere empfinden würde.
Der Hecke wurde sie schnell überdrüssig, als sie trotz eifrigen Suchens die erhoffte Betriebsamkeit der Käferstadt nicht vorfand, und so drehte sie sich um und blickte auf die karge Terrasse, nach einer neuen Beschäftigung gierend. Sie könnte die Puppen aus ihrem Zimmer holen und mit ihnen „Strandfahrt“ spielen, aber der Vogelsand, den sie in die Plastikschale gefüllt hatte, war von ihrem Opa entsorgt worden, und noch immer fand sie seine lästig knirschenden Körner in den Scharnieren des rosafarbenen Plastikhauses, sodass sie den Gedanken verwarf.
Sie war auch zu müde, sich immer wieder neue Dramen auszudenken, von denen sie ahnte, dass sie letztlich nichts waren, was erwachsene Paare in Wirklichkeit hätte auseinandertreiben können.
Phoebe hegte den Verdacht, dass ihre Großeltern nicht als gute Vorbilder für Beziehungskrisen dienen konnten. Die Streite und Auseinandersetzungen, die sie einst mit jugendlicher Wichtigtuerei geführt hatten, waren schon lange in ihrer beider Erinnerung vergraben. Sie gedachten ihnen mit Nachsicht und Verwunderung, als seien sie in einer verlorenen Zeit von einer anderen Version ihrer selbst geführt worden.
Manchmal beneidete Phoebe ihre Freundinnen in der Schule um die Jugend ihrer Eltern, in deren Lächeln neben der Güte, die sie schon von ihren Großeltern kannte, immer auch eine abwägende Vorsicht lag, die sich wie etwas Kaltes um ihre Zähne zu legen schien.

Der Duft von Rauch hing sich in das Blau des Himmels, sodass es beinahe eine Assoziation wurde. Die Luft war warm und dicht. Phoebe schwitzte bereits unter ihrem T-Shirt, aber noch nicht wie die Erwachsenen unter den Armen oder am Rücken, sondern überall gleichsam, als sei sie in einen feinen Dunst gehüllt, der kindlich und süß roch und bei dessen Erkennen man an einen bunten Badeanzug denken musste.
Das Innere des Hauses lag dunkel vor ihr und sie sträubte sich, ins Wohnzimmer zurückzukehren, weil sie sich an die Grelle der Sonnen gewöhnt hatte, und wusste, dass sie das Halbdunkel des Hauses, die Rollläden die obere Hälfte der Fenster abschirmend, traurig stimmen würde. Ein Auto fuhr hochtourig auf der Hauptstraße. Die Scheiben mussten hinuntergezogen sein, denn sie hörte die Popmusik aus dem Radio wie eine Wahrheit, die jeder erfahren sollte.
In der Ecke zum Haus hin lagen noch ihre bunten Plastikautos unter dem zusammengefalteten Sonnenschirm, die Reifen dick und gelb. Phoebe hatte sie dort hingelegt, um sie zu vergessen, weil sie, wenn sie sie sah, daran denken musste, wie sie unter den walzenden Bewegungen ihrer Räder Ameisen zerdrückt hatte, als diese aus den Rinnen zwischen den Pflastersteinen hervorkamen, weil sie etwas Essbares gewittert hatten.
Müßigkeit durchdrang den Mittag mit sanfter Bestimmtheit. Die Zeit schritt stoisch über den Himmel und zog die Sonne hinter sich her. Phoebe kniete sich auf den Boden und sah sich die Blätter der Pflanzen an, suchte nach etwas Lebendigem, und wurde fündig, als sie einen Marienkäfer über einen der Stängel im Rosenbusch wandern sah. Sein wächsernes Rückenschild trug sieben schwarze Punkte, die aussahen, als sei Farbe auf ihn getropft und kurz vor dem Hinabrinnen getrocknet.
Ihr helles Haar fiel ihr ins Gesicht und sie blies es zur Seite, wobei sie ihren Kopf nach rechts warf, als sei sie ungeduldig. Der Mittag kam ihr noch wie ein Morgen vor. Sie hatten vor einem Monat die Uhr auf die Sommerzeit vorgestellt und ihr war es ganz lächerlich erschienen, dass die Welt so lange an eine neue Wirklichkeit glaubte, bis diese tatsächlich wahr wurde.
Ihre Großmutter schlief wahrscheinlich gerade in ihrem Schlafzimmer im zweiten Stock, das Fenster gekippt, leicht unter ihrer Decke schwitzend, und sah dabei aus wie ein sanftes Tier auf einer hellen Lichtung, die lange schon keine Wölfe mehr gesehen hatte.
Phoebe hatte es lieber, wenn ihre Großeltern schliefen, weil sich dann ein bisschen ihres Alters aus ihren Gesichtern strich. Sie erschrak oft, wenn sie abends ihren Opa durch die Flure wanken sah. Seine statischen Bewegungen waren dann zerhackt, als müsse er eine Bewegung in viele kleine Surrogate aufteilen, um sie durchzuführen, und Phoebe erkannte die Unbarmherzigkeit der Zeit in dem hohlen Schnauben, mit dem er sich achtlos in seinen Sessel fallen ließ, um fernzusehen.
Phoebe liebte die beiden mit kindlicher Eifersucht, und hasste sie gleichsam, wenn sie die Vertrautheit zwischen ihnen bemerkte, die über Jahrzehnte gewachsen war, sich verfestigt hatte und Phoebes Anwesenheit nicht bedurfte.
Ihr Opa war bei der Eisenbahn gewesen, ein körperlich anstrengender Beruf, der ihn im Winter die Kälte stärker in den geschundenen Gelenken spüren ließ als seine Frau.
Phoebe hatte ihn einmal gefragt, ob er das Zugfahren vermisse, doch er hatte abgewunken.
„Nein, mittlerweile sind die so schnell geworden, dass man gar nicht mehr die Landschaft betrachten kann“, hatte er gemeint und seine Enkelin hatte nicht verstanden, was er damit sagen wollte, und trotzdem genickt, weil sie den Keil, der sich manchmal zwischen sie trieb und ihnen das Verständnis für die gegenseitigen Probleme nahm, nicht spüren wollte.

Ihre Wangen waren inzwischen warm und sie ahnte, dass sie, wenn sie in den Spiegel sehen würde, erkennen könnte, dass sie gerötet waren. Phoebe legte sich auf den steinernen Boden, ihre Arme verschränkte sie dabei hinter ihrem Kopf, die Beine streckte sie von sich und drehte sie abwechselnd nach links und rechts. Sie sah hinauf in den Himmel. Ganz hellblau hing er da oben und es war ihr, als sei er ein weites Laken, das wie ein Banner im Supermarkt (SONDERSCHLUSSVERKAUF) durch tausende Schnüre an den Sternen befestigt war.
Ein einzelner Kondensstreifen im Blau trübte ihre Illusion und sie war ihm beinahe böse deswegen. Die Leere des Himmels entlockte ihr Träumereien, süß und flüssig wie in der Sonne vergessene Schokolade. Am Rande ihres Blickfelds leuchtete die Hausmauer strahlend weiß, ein von klarem Regen gewaschenes Elfenbein, das das warme Licht der Sonne bis in die Zukunft zu reflektieren vermochte.
Ja, wenn sie hier noch eine Weile liegen bliebe, käme ihr eine tiefe Erkenntnis über eine große Frage, die sie selbst noch nicht kannte, aber sie schaffte es nicht, sich lange genug nicht zu regen, ohne die Angst, etwas außerhalb ihrer Sphäre zu verpassen.
Phoebe stand auf, doch da war nichts mehr, was sie tun könnte. Leer, der ganze Tag, leer wie der Himmel, leer wie die Gläser in der Küchenvitrine, leer wie ihr Schweigen. Sie hatte heute kaum geredet und ihre Zunge fühlte dies, eine Ahnung, auf falsche Weise benutzt worden zu sein. Sie öffnete die Terrassentür und schlüpfte ins Innere des Hauses. Mit einem lauten Geräusch, wie eine auf den Boden schlagende Holzlatte, schlug die Tür hinter ihr gegen den Rahmen. Das Fliegengitter darin zuckte kurz, die letzte, lohe Flamme in einem sanften Wind.
Im Haus war es so kühl, dass sie den dünnen Schweiß zwischen ihrer Haut und dem Stoff ihres Shirts gleich einer feuchten Decke spürte. Phoebe fühlte die Trockenheit ihres Mundes, die Haut ihres Rachens schien in ihrem Inneren aneinander zu kleben. Sie ging in die Küche und schenkte sich ein Glas Orangensaft in ein kleines, zylinderförmiges Glas, das sie mit gierigen Schlucken leerte. Ihr Schlucken war das einzige Geräusch in der stillen Küche. Sie fühlte sich, als sei sie ein Gast in diesem Haus, beinahe Schlimmeres, ein Eindringling, der die Stille unterbrach und damit einen Teil dessen, was das Haus ausmachte, feindselig aus ihm herausriss. Ein tief rührendes Unbehagen darüber breitete sich in ihr aus.
Phoebe lief die Treppe im Flur hinauf, übersprang drei Stufen und kurz vor dem Betreten des ersten Geschosses sogar vier (es war leichter, weil die Stufe von der sie absprang, dort in einer Linkswindung lag und größer als die anderen war). Sie hörte ihre Großmutter durch die Tür ihres Schlafzimmers hindurch schlafen, ein rhythmisches, fast mechanisches Summen, das einer blasenden Maschine zu entspringen schien, und trotz dieses Beweises eines Lebens hinter der dunklen Tür wirkte das ganze Haus unbewohnt, zurückgelassen von den Menschen, die hier einst gelebt hatten, als seien sie vor einem bösen Geist geflüchtet, die Betten gemacht, der Ofen gereinigt, die Uhren vorgestellt.
Phoebe ging in ihr Zimmer. Durch die geöffnete Tür konnte sie ihren Stuhl und einen Teil des niedrigen Zeichentischs sehen. Ein gelbstichiges Licht fiel durch den Spalt, erhellte treibenden Staub und die Wachsmalstifte, die sie auf dem Boden liegen gelassen hatte, als sie, sich einer plötzlichen Laune fügend, am Morgen aufgesprungen und nach unten gerannt war. Ein begonnenes Bild lag noch auf dem Boden, die Stifte hatten sich an der Stelle, an der die Laminatplanken endeten, nicht ausreichend in das Weiß gedrückt. Phoebe wusste nicht mehr, was das Bild darstellen sollte. Ein Haus vielleicht oder eine Burg, aber es war mehr ein Gedanke als ein genauer Plan gewesen, der nun wie von einem Wind zerrissen in alle möglichen Richtungen getrieben und nicht wieder zusammenzufügen war.
Phoebe setzte sich vor das Blatt und begann zu malen. Sie entschied sich dafür, dass es eine Burg sein sollte. Als sie fertig mit der Feste war, fügte sie einige Figuren hinzu. Einen Drachen, der Kopf detaillierter als der restliche Körper, eine Ritterin in pinker Rüstung, einen Hund, der beinahe so groß wie das Pferd der Frau war. Das Bild füllte sich, seine leeren Räume schwanden und mit ihnen die Möglichkeiten, sie zu füllen. Phoebe legte das Bild beiseite und nahm ein neues Blatt Papier aus der Schublade ihres Rollcontainers, der unter den Schreibtisch geschoben war. Als sie das helle, weiße Blatt vor sich legte, erinnerte es sie an ein Einatmen, all der Raum, all ihr Sehnen, etwas zu erschaffen, was eigentlich nur ihr verständlich sein würde.

Die Zeit rann durch den Tag wie Wasser durch eine hohle Hand, und Phoebe schaffte es nicht ihre Finger fest genug aneinander zu drücken, sodass sie sie halten konnte. Irgendwann hörte sie das Schellen der Türklingel, ein schnelles, hartes Schlagen auf einen blechernen Glockenschirm wie die niederfahrenden Hacken in einem altertümlichen Steinbruch, und die festen Schritte ihres Großvaters, die dumpf über das Parkett gingen, knackend, als sei er ein Wind, der durch geöffnete Fenster fuhr.
Ihre Großeltern bekamen nicht oft Besuch und Phoebe war neugierig, wer dort vor der Tür wartete, und scheute gleichfalls davor zurück, nach unten zu gehen, um nachzuschauen, weil es immer, wenn Besucher da waren, so war, als müsse sie sich vor ihnen verstellen.
Sie hörte die Stimme ihres Großvaters aus dem Esszimmer dumpf wie die Posaunenstimmen in den Charlie-Brown-Cartoons. Die Worte dahinter verstand sie nicht, so sehr sie auch versuchte, sie herauszuhören, aber sie glaubte eine Vertrautheit zu erkennen, die seinem Gesprächspartner galt.

Phoebe richtete sich auf, als sie ein dunkles Brummen hörte. Sie glaubte anfangs, es entstamme irgendwie ihr selbst, zitterte in ihrem Inneren in schnellen Zügen wie ein kleiner, nackter Vogel, aber als sie sich dazu zwang, genauer hinzuhören, merkte sie, dass es von jenseits ihres Zimmerfensters an sie herandrang. Sie drehte sich um und trat zur Scheibe, das Fenster war höher als breit und engte dadurch das Zimmer ein. Phoebe stand nun so nahe vor dem Glas, dass sie die Kälte der Scheibe an ihrer Nasenspitze zu spüren glaubte. Vielleicht war es auch nur eine Einbildung.
Vor dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein dunkles Motorrad, der Lenker wie in den Comics gebogen, helles, verchromtes Metall schimmerte silbern am Rumpf, der Auspuff war zu einer Art Düse verformt. Es strahlte eine eigenartig aufregende Gefahr aus, kalt und schwer wie ein alter Revolver, ein Gefährt, auf dem man zur Schlacht ritt. Ein Mann saß mit breiten Beinen auf dem schwarzen Ledersattel der Maschine, er trug eine schwarze Lederjacke, die an den Ärmeln bereits angegraut war und in der Sonne bläulich schimmerte. Nach einer Weile schaltete er den Motor aus und zündete sich eine Zigarette an, nachdem er sie aus einer aus seiner Jeanstasche hervorgezogenen rot-weißen Schachtel herausgeschüttelt hatte.
Er schaute dem Rauch nach, als er ihn ausstieß, substanzlos wabernd und gleichsam dicht wie der Tag, der mit seinen kräftigen Händen nach Phoebe über die ganze Zeit hinweg gegriffen hatte, als wolle er sie wie ein Insekt in der Faust halten. Seine Augen wendeten sich zu dem Fenster, an dem Phoebe stand, und kurz wusste sie nicht, ob er sie durch die Spiegelung des Glases hindurch erkennen konnte. Ganz still harrte sie aus, ein geschlechtsloser Schemen, weniger als ein Geist und mehr als ein Schatten. Die Vorstellung gefiel ihr, machte sie schwerelos wie etwas flüchtig Erinnertes.
Wenn sie manchmal aus der Schule kam, den Ranzen mit den schweren Büchern geschultert, und die Reihenhäuser und leeren Grasflächen passierte, die die Bauern zu verkaufen sich weigerten und mit Landmaschinen und Heuballen vollstellten, um ihre Sturheit jedem Vorbeilaufendem mit Nachdruck entgegenzuschleudern, empfand Phoebe wie jetzt eine schwere Unruhe über etwas in sich aufkommen, für das sie noch kein Wort kannte. Sie ahnte, dass die Zeit ablief und mit ihr all die ungenutzten Chancen, und es stimmte sie mit lähmender Gleichgültigkeit dumpf traurig, dass sie nichts dagegen tun konnte. Oft rannte sie dann nach Hause, weil es sie erleichterte, zog die Tür hinter sich zu und stellte sich schnell und tief atmend an dem kalten Metall lehnend vor, sie sei von Männern in dunklen Anzügen verfolgt worden.
Der Mann fixierte sie jetzt, vielleicht versuchte er, ihren Schemen vom Rest des Raums auseinanderzuhalten. Sie zwang sich, sich nicht zu regen. Nach einer Weile hob er die rechte Hand und winkte ihr. Phoebe erwiderte den Gruß und der Mann schien zu lächeln. Sie sah es an der Richtungsänderung des Rauches, als er seinen Mund leicht öffnete, sodass ihm die Zigarette in seinen Mundwinkel rutschte. Kurz war ihr, als sei es kein Fenster, durch das sie schaute, sondern ein Spiegel, der etwas Anderes als die Gegenwart reflektierte.
Ihr Großvater rief sie, seine Worte hallten durch den Treppenaufgang und verloren bei seiner Windung ihre Höhen. Phoebe drehte sich zur Tür. Als sie aus dem Raum ging, schaute sie noch einmal zum Fenster, doch der Mann auf dem Motorrad war bereits hinter dem Fensterrahmen verschwunden, und sie fragte sich, ob er noch immer zu ihr hinaufschaute.

Sie blieb im Türrahmen stehen, als sie erkannte, dass ihre Großeltern zu schweigen begonnen hatten. Ihre Oma saß auf dem Stuhl, der am nächsten zum Fenster stand, ihr Opa stand, die Arme vor der Brust verschränkt, an die Wand gelehnt und zu seiner Rechten saß eine Frau mit dunkelbraunem, kurzgeschnittenem Haar, die das Mädchen mit tiefhängenden Augenbrauen wie durch Jalousien hindurch betrachtete, ihre Schultern vorgezogen, als fröre sie.
„Phoebe, das ist-“, begann ihr Großvater, als er von der Frau bereits unterbrochen wurde.
„Susanne.“ Sie lächelte und stand auf. Phoebe streckte ihr die Hand entgegen, wie sie es von den Erwachsenen gelernt hatte, und die Frau nahm sie mit abgeknicktem Handgelenk und schüttelte sie sachte wie einen Fächer.
„Sie ist eine alte Freundin von uns“, sagte ihre Großmutter und Susanne senkte den Blick.
„Setz dich doch, Phoebe“, meinte die Frau und das Mädchen schaute flüchtig zu ihrem Großvater, der leise nickte. Sie gehorchte. Durch das Fenster schien das Licht hell und gelb wie ein Weizenfeld. Phoebes Großeltern hatten ihr einmal erzählt, an klaren Tagen könne man bis zu den bewaldeten Bergen des Königsstuhlkreises schauen, aber Phoebe hatte nicht erkennen können, worauf sie deuteten, als sie versuchten, es ihr zu beweisen.
Susanne schwieg einige Zeit und die Stille stand drückend wie Hitze in dem Esszimmer, hing über dem Tisch wie eine dichte, wollene Decke.
„Draußen steht ein Mann mit Motorrad“, sagte Phoebe schließlich, weil sie es nicht mehr ertrug. Die Frau schaute sie kurz verwirrt an, ehe sie fädig zu lächeln begann.
„Ja, ich weiß. Er heißt Thomas.“
„Ist es deins?“
„Nein, aber er lässt mich mitfahren.“ Als sie den Blick von Phoebes Großvater bemerkte, hart wie ein blanker Stein, kaum ein Blinzeln darin, das das Starren unterbrach, senkte sie ihre Augen in ihren Schoß und lächelte zurückhaltend.
„Er ist ein Freund von mir.“
Phoebe nickte.
„Du bist hübsch“, sagte Susanne.
Das Mädchen wusste nichts darauf zu antworten.
„Danke“, sagte sie unbeholfen. „Du auch.“
Susanne lachte. „Aber nicht so wie du, dafür bin ich zu alt“, meinte sie und Phoebe verstand nicht, was sie damit sagen wollte. Das Licht wurde schwächer und strich die Wände müde weißblau. Wahrscheinlich schob sich gerade eine einzelne Wolke vor die Sonne. Phoebe überlegte, ob sie je wirklich traurig gewesen oder ob es nicht einfach bloß das Licht gewesen war.
Susanne begann über ihre Hinfahrt zu erzählen, die Autobahnen, Landstraßen und Wohnhäuser ein vorbeiziehendes Zischen. Die Sonne musste sie beide geblendet haben, aber der Mann auf dem Motorrad hatte eine Sonnenbrille an seinem Revers getragen, daran erinnerte sich Phoebe. Wie es wohl wäre, auf dem Motorrad zu fahren? Vielleicht wie Reiten, bloß schneller, aber nein, das war etwas Anderes, das Fahren musste eher wie Fliegen sein, denn Motorräder waren eher UFOs als etwas Lebendiges.
Ihre Oma zwinkerte Phoebe über den Tisch hinweg zu, als wolle sie ihr sagen, dass sie ihre Gedanken hatte lesen können.
„Warum darf er nicht mit reinkommen?“, fragte Phoebe und unterbrach damit die Erzählungen der Frau. Sie verstummte augenblicklich und schwieg, ohne das Mädchen oder ihre Großeltern anzuschauen.
„Wir sind nur auf dem Sprung“, sagte sie nach einer Weile. Sie schaute auf die Uhr an der Wand, die die Küche vom Esszimmer abtrennte.
„Es ist spät, ich muss eh gleich los“, fügte sie hinzu und Phoebe konnte den Kloß in ihrem Hals hören, der die Worte dämpfte, die sich an ihm vorbeizupressen versuchten.
„Ich habe euch etwas mitgebracht“, sagte Susanne zu Phoebe und deutete auf eine zerknüllte Tüte, die bereits auf dem Tisch vor ihr lag.
„Berliner, willst du einen?“, fragte sie das Mädchen und Phoebe blickte zu ihrem Opa, ihre großen Augen baten ihn um Erlaubnis. Er nickte und ging bereits in die Küche, um vier Teller aus dem Wandschrank zu nehmen.
Die Marmelade schmeckte künstlich nach Erdbeere, aber Phoebe sagte nichts, weil sie Susanne nicht die Freude verderben wollte, die sich bei der Annahme ihres Geschenks in ihr Gesicht gestellt hatte.
Schließlich sagte Susanne, dass sie losmüsse.
„Kann ich dich umarmen?“, fragte sie Phoebe.
Das Mädchen wich zurück. Ihr Großvater trat auf sie zu.
„Phoebe-“, begann er.
„Nein, es ist in Ordnung, Nur wenn sie will. Man soll nie Dinge nur machen, weil andere sie von einem wollen,“ sagte Susanne und das Verständnis, das sich in ihre Augen legte, war feucht, aber vielleicht war auch das nur das Licht. Beinahe glaubte Phoebe daran.
Sie verabschiedeten sich zweimal, einmal im Esszimmer und ein weiteres Mal im Hausflur. Als ihr Großvater die Tür öffnete, erhellten sich ihre vier Gestalten wie Muscheln im nassen Sand. Susanne schaute Phoebe noch ein letztes Mal an, ihr Mund lächelte dabei, ihre Augen nicht. Was war es, dass die Menschen daran hinderte, zu sagen, was sie dachten?
„Danke für heute“, sagte Susanne. Ihre Großeltern schwiegen.
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, sagte Phoebe, sie gehe wieder hoch. Ihr Opa nickte.

Sie schaute aus dem Fenster ihres Kinderzimmers und erwartete beinahe, das Motorrad nicht mehr zu sehen. Stattdessen stand es noch immer an der Stelle, an der sie es erinnerte. Der Mann in der schwarzen Jacke übergab Susanne einen dunkelblauen Helm, als sie die Maschine umrundete, sie nahm ihn flüchtig entgegen, wortlose Vertrautheit zwischen ihnen. Es bereitete Phoebe beinahe ein sonderbares Unbehagen, das Paar, das sich unbeobachtet fühlte, aus dem Dunkel ihres Raums heraus anzublicken und sie wünschte sich, sie stünde nicht hier, sondern am Rand einer Klippe, wo sich kleine, leichte Meeresvögel in die Luft schraubten, ganz verloren in dem Gleiten ihrer breiten Schwingen, hinter ihnen ein weites, ruhiges Meer.
Der Mann schaute zu ihr hinauf. Er schien sie hinter dem Glas wiederzuerkennen und begann zu winken. Susanne, nun hinter ihm auf dem Motorrad sitzend, die Hände vor seinem Brustbein verschränkt, bemerkte seinen Blick und sah ebenfalls zu ihrem Fenster. Sie lächelte unter dem dunklen Helm, ihre Augen konnte Phoebe nicht sehen. Auch das Mädchen begann nun, zu winken, eine unbeholfene Geste, die sie selbstsicher wirken lassen sollte, wie auf einer der Feiern ihrer Großelter, auf denen sie niemanden kannte. Irgendwann fuhr das Motorrad an, rollte langsam los, der Auspuff zitterte und mit ihr die Frau auf dem Sitz. Phoebe sah ihnen lange nach, bis das Nachbarhaus die Straße zu verdecken begann und sie nur noch das hohle Röhren des Motors hören konnte.
Leer lag die Straße schließlich da, leer stand auch Phoebe am Fenster wie vor einem unbelebten Aquarium, hinter dem es nichts mehr zu betrachten gab, ein Schatten, der das Flirren des Wassers beobachtete, ein Kind, das nach dem Schließen des Schwimmbads noch am Beckenrand verharrte und in das helle, künstliche Engelblau blickte. Sie fühlte bereits die Traurigkeit in sich emporsteigen, sie kam von ihrem Magen her (oder war es das Licht?). Sie hoffte, es könne wahr werden, wenn sie fest genug daran glaubte.

Ende

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Gast







Beitrag02.10.2021 23:04

von Gast
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Hallo FaithinClouds.

ein ganz kurzes Feedback zu deiner Geschichte. Ich finde sie zu detailverliebt, selbst wenn die Details für sich genommen, sehr liebevoll ausgearbeitet sind.
Ich glaube, dass die Story erheblich an Dichte gewinnen würde, wenn du den Rotstift ansetzt und dabei auch manche, allzu komplizierte Satzstruktur vereinfachst.
 

LG
DLurie
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Rodge
Geschlecht:männlichKlammeraffe


Beiträge: 845
Wohnort: Hamburg


Beitrag03.10.2021 09:07

von Rodge
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Ich bin ein bisschen hin- und hergerissen. Ein Beispiel - Der Satz:

"Ihre Großeltern verwehrten Phoebes Wunsch, sich ebenfalls einen Pool zuzulegen, und sie hasste es, wie eine Bittstellerin an den Türen der Einfamilienhäuser ihrer Nachbarn zu klingeln, um unter den mitleidigen Blicken der Öffnenden um Erlaubnis zu fragen, ob sie mit den Kindern, die meist zu alt oder zu jung waren, als dass sie wirklich Freunde werden konnten, schwimmen gehen zu dürfen."

hat vieles, was mir gefällt. Hier werden viele Informationen über Phoebe und die umgebende Gesellschaft mitgeteilt, ohne dass es wie Infodump wirkt. Gleichzeitig hat der Satz 61 Wörter und wenn man nicht aufmerksam liest, weiß man am Ende nicht mehr, was am Anfang steht.

Auch finde ich einige Wortgebilde "...fädig zu Boden trudeln...", "...bezeugten dunkle Flecken an den Wurzeln..." zu gewollt literarisch.

Manche Beschreibungen habe ich auch einfach nicht verstanden, z. B.
"Der Duft von Rauch hing sich in das Blau des Himmels, sodass es beinahe eine Assoziation wurde".

Ich finde, der Text hat Potential, allerdings klingt für mich die Sprache zu gekünstelt. Man kann die gleiche Geschichte erzählen, indem man um etwa ein Drittel kürzt (allerdings besteht dann natürlich die Gefahr, dass es nicht mehr Deine Geschichte ist).
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Mumienfreund
Eselsohr


Beiträge: 327



Beitrag03.10.2021 13:41

von Mumienfreund
Antworten mit Zitat

Der Text gehört eigentlich in die Werkstatt.
in meinen Augen wimmelt es hier nur so von schiefen Vergleichen, Perspektivfehlern, Bezugsfehlern, falsch gebrauchten Adjektiven/Adverbien und teilweise auch Tempusfehlern.

Die Sprache wirkt teilweise banal, andererseits ist sie gespickt mit verschachtelten Sätzen, die nicht nötig wären.

Insgesamt erweckt das bei mir den Eindruck, da habe jemand versucht mal "etwas Literarisches" Schreiben zu wollen. Viele Sätze klingen, als hättest du versucht, nachträglich noch etwas "anzuflanschen", um der Geschichte eine Bedeutungsschwere zu geben, die der Text nicht hergibt.

Nur mal so ein paar Stolperstellen:

Sie schaute dem Staub nach, sah ihn im Licht der Terrassentür fädig zu Boden trudeln wie die Flugsamen eines Ahornbaums.

Fädig ist für mich etwas langes, dünnes, gerades. Trudeln verbinde ich mit einer taumelnden Bewegung. Wie kann Staub also fädig trudeln? Für mich ein schiefes Bild.

Sie könnte lange hier liegen bleiben, bis das Licht aufgebraucht sei, aber das würde ihrem Denken nicht guttun.
Welches Kind würde so über sich denken?  Wer spricht/denkt hier?

Phoebe fürchtete sich davor, dass sie sich irgendwann, wenn sie älter wäre, an diesen Mittag zurückerinnern und dabei Reue über seine Leere empfinden würde.

Selbst ein auktorialer Erzähler muss mit dem Arbeiten, was seine Charaktere hergeben. Hier denkt das Kind aber plötzlich sehr erwachsen.

Sie könnte die Puppen aus ihrem Zimmer holen und mit ihnen „Strandfahrt“ spielen, aber der Vogelsand, den sie in die Plastikschale gefüllt hatte, war von ihrem Opa entsorgt worden, und noch immer fand sie seine lästig knirschenden Körner in den Scharnieren des rosafarbenen Plastikhauses, sodass sie den Gedanken verwarf.

Warum verwirft sie die Idee?
Weil der Opa den Sand "entsorgt" hat, oder weil sie "noch immer" die lästig knirschenden Körner in den Scharnieren findet?
Die lästig knirschenden Körner beziehen sich hier nach meiner Lesart übrigens auf den Opa. Vorsicht mit "aber" und "und".


Manchmal beneidete Phoebe ihre Freundinnen in der Schule um die Jugend ihrer Eltern, in deren Lächeln neben der Güte, die sie schon von ihren Großeltern kannte, immer auch eine abwägende Vorsicht lag, die sich wie etwas Kaltes um ihre Zähne zu legen schien.

Phoebe beneidet also ihr Freundinnen, da diese (jugendliche) Eltern haben, die nicht nur gütig lächeln können (wie sie es von ihren Großeltern kennt), sondern auch ein Lächeln produzieren können, in dem eine "abwägende Vorsicht" liegt. Mein Gott. Und das legt sich dann noch wie etwas Kaltes um ihre Zähne. Huh. Wirklich beneidenswert. Aber im Ernst: Was soll das?

Phoebe schwitzte bereits unter ihrem T-Shirt, aber noch nicht wie die Erwachsenen unter den Armen oder am Rücken, sondern überall gleichsam, als sei sie in einen feinen Dunst gehüllt, der kindlich und süß roch und bei dessen Erkennen man an einen bunten Badeanzug denken musste.   

Was lese ich hier?
Erwachsene schwitzen nur am Rücken und unter den Armen.
Kinder schwitzen überall "gleichsam".
Menschen, die der in feinen Schweißdunst gehüllten Phoebe begegnen, assoziieren diesen kindlich süßen Duft automatisch mit einem bunten Badeanzug.
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FaithinClouds
Geschlecht:weiblichLeseratte
F


Beiträge: 158
Wohnort: Südlich vom Norden


F
Beitrag06.10.2021 12:29

von FaithinClouds
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo alle, die sich meine Geschichte durchgelesen haben!

Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt und mir gesagt habt, was ihr so denkt. Vorweg: ich hab die Geschichte ein bisschen zwischen den Stühlen reingestellt. Eigentlich sollte sie in den Werkstattbereich (wie meine anderen Sachen auch xD), aber ich war wohl mit dem Kopf woanders. Ich werde den Text als "neue Version" kennzeichnen. Dann verschiebt sich das von selbst.

Zitat:


ein ganz kurzes Feedback zu deiner Geschichte. Ich finde sie zu detailverliebt, selbst wenn die Details für sich genommen, sehr liebevoll ausgearbeitet sind.
Ich glaube, dass die Story erheblich an Dichte gewinnen würde, wenn du den Rotstift ansetzt und dabei auch manche, allzu komplizierte Satzstruktur vereinfachst.



Ja, du hast recht. Besonders die erste Hälfte ist arg langatmig geraten. Meine Idee war diesen Ennui eines Samstagmittags aus der Sicht eines recht einsamen Mädchens gut darzustellen, leider ist es jetzt so, dass die Langeweile nicht nur beschrieben, sondern sogar ausgelebt wird. Ich finde die zweite Hälfte (also ab dem Zeitpunkt, wo ihre Mutter auftaucht) auch besser. Ich werde wohl einiges kürzen. 😅

 
Rodge hat Folgendes geschrieben:
Der Satz:

"Ihre Großeltern verwehrten Phoebes Wunsch, sich ebenfalls einen Pool zuzulegen, und sie hasste es, wie eine Bittstellerin an den Türen der Einfamilienhäuser ihrer Nachbarn zu klingeln, um unter den mitleidigen Blicken der Öffnenden um Erlaubnis zu fragen, ob sie mit den Kindern, die meist zu alt oder zu jung waren, als dass sie wirklich Freunde werden konnten, schwimmen gehen zu dürfen."

hat vieles, was mir gefällt. Hier werden viele Informationen über Phoebe und die umgebende Gesellschaft mitgeteilt, ohne dass es wie Infodump wirkt. Gleichzeitig hat der Satz 61 Wörter und wenn man nicht aufmerksam liest, weiß man am Ende nicht mehr, was am Anfang steht.


Ja, der ist auf jeden Fall zu lang geraten. xD So lang, dass das Prädikat des Nebensatzes sogar zu einer Infinitivkonstruktion wurde, die keinen Sinn macht ("ergibt", "Es heißt: Sinn ergibt", sagt jemand)

Rodge hat Folgendes geschrieben:
Auch finde ich einige Wortgebilde "...fädig zu Boden trudeln...", "...bezeugten dunkle Flecken an den Wurzeln..." zu gewollt literarisch.


Also den ersten Satz finde ich nicht so arg "forciert". Wenn ich früher auf dem Bauch vor der Terrassentür gelegen habe, da habe ich den Staubfäden zugeguckt. Und "Trudeln" ist halt das richtige Wort für diese Bewegung.

"Trudeln (engl. spin, franz. vrille, auch in der deutschsprachigen Schweiz Vrille) ist ein Flugzustand, bei dem sich das Flugobjekt nach einem einseitigen Strömungsabriss an einer Tragfläche in einer steilen Spirale respektive Schraubenlinie um die vertikale Achse Richtung Boden bewegt." Wikipedia.

Beim zweiten Satz verstehe ich, dass der zu "gekünstelt" wirkt. Den werde ich nochmal unschreiben.
Ein kleiner Disclaimer: entegen dem Vorwurf, ich hätte da "Sätze dazugebastelt", ist die Geschichte relativ in einem Rutsch an zwei, drei Nachmittagen entstanden.  


Rodge hat Folgendes geschrieben:
Manche Beschreibungen habe ich auch einfach nicht verstanden, z. B.
"Der Duft von Rauch hing sich in das Blau des Himmels, sodass es beinahe eine Assoziation wurde".


Da wollte ich schreiben, dass es halt so stark auf Phoebe wirkt, dass es scheint, als würde ein blauer Himmel immer nach Rauch riechen, aber es ist wirklich zu sehr um die Ecke gedacht.

Rodge hat Folgendes geschrieben:
Ich finde, der Text hat Potential, allerdings klingt für mich die Sprache zu gekünstelt. Man kann die gleiche Geschichte erzählen, indem man um etwa ein Drittel kürzt (allerdings besteht dann natürlich die Gefahr, dass es nicht mehr Deine Geschichte ist).


Ja, siehe oben xD. Also besonders die erste Hälfte (und vielleicht noch das Ende ein bisschen) werde ich kürzen. Das ein oder andere auch umformulieren.

Mumienfreund hat Folgendes geschrieben:
n meinen Augen wimmelt es hier nur so von schiefen Vergleichen, Perspektivfehlern, Bezugsfehlern, falsch gebrauchten Adjektiven/Adverbien und teilweise auch Tempusfehlern


Also den Vorwurf der schiefen Vergleiche und Bezugsungenauigkeiten kann ich nachvollziehen. Viele Tempusfehler habe ich jedoch nicht finden können. Und "Perspektivfehler" mag ich generell nicht, weil ich diesen Gedanken, ein Text müsse eine strikte Perspektive haben, ein bisschen ablehne (also in Filmen ist es ja auch nicht so).

Mumienfreund hat Folgendes geschrieben:
Insgesamt erweckt das bei mir den Eindruck, da habe jemand versucht mal "etwas Literarisches" Schreiben zu wollen. Viele Sätze klingen, als hättest du versucht, nachträglich noch etwas "anzuflanschen", um der Geschichte eine Bedeutungsschwere zu geben, die der Text nicht hergibt


Also generell wäre es schön, wenn du mich in deiner Kritik direkt ansprichst. "Jemand" klingt irgendwie doof, wenn du doch meinen Nickname siehst und ja auch einen Diskurs willst.
Ich habe versucht "etwas Literarisches" zu schreiben, natürlich. Weil alles, was geschriebene Fiktion ist, für mich "literarisch" ist. Das mit dem "Anflanschen" (danke für die Blumen by the way) ist nicht wahr. Ich habe geschrieben, was ich in dem Moment richtig fand. Das erklärt vielleicht auch die schiefen Bilder.
Dass die Geschichte sehr langatmig ist (vor allem am Anfang, wo man die Leserschaft ja "catchen" will), stimmt natürlich. Der Eindruck ist bei beiden Kritiken vor deiner ja auch entstanden. Ich werde die Geschichte deutlich ausdünnen.

Mumienfreund hat Folgendes geschrieben:
Sie könnte lange hier liegen bleiben, bis das Licht aufgebraucht sei, aber das würde ihrem Denken nicht guttun.
Welches Kind würde so über sich denken? Wer spricht/denkt hier?  


Das ist die Innensicht von Phoebe. Kinder können so etwas denken. Sie ist in der vierten Klasse, Einzelkind und fühlt sich missverstanden. Sie hat viel Zeit, nachzudenken, und entwickelt auch Denkmuster, die ihr schaden.

Mumienfreund hat Folgendes geschrieben:
Phoebe fürchtete sich davor, dass sie sich irgendwann, wenn sie älter wäre, an diesen Mittag zurückerinnern und dabei Reue über seine Leere empfinden würde.

Selbst ein auktorialer Erzähler muss mit dem Arbeiten, was seine Charaktere hergeben. Hier denkt das Kind aber plötzlich sehr erwachsen.  


Sie ist in der vierten Klasse. Also so 10 bis 11 Jahre alt.
Okay: mit 11 war ich mal in einem Ferienlager, 200 km von meinen Eltern entfernt. Da war ein Junge, der wurde irgendwie traurig, aber wollte es den Betreuern nicht sagen. Weil die denken würden, er hätte Heimweh oder so, aber eigentlich war er traurig (das hat er mir dann erzählt), weil die Zeit so kaputt ist. Weil irgendwie nichts passiert ist und trotzdem der Tag vergangen ist.

Ich glaube, dass sowas nicht jeder verstehen würde. Und du vielleicht auch nicht, was ja in Ordnung ist. Aber bitte sprich anderen nicht die Sinnhaftigkeit ihres Fühlens ab.

Mumienfreund hat Folgendes geschrieben:
Sie könnte die Puppen aus ihrem Zimmer holen und mit ihnen „Strandfahrt“ spielen, aber der Vogelsand, den sie in die Plastikschale gefüllt hatte, war von ihrem Opa entsorgt worden, und noch immer fand sie seine lästig knirschenden Körner in den Scharnieren des rosafarbenen Plastikhauses, sodass sie den Gedanken verwarf.

Warum verwirft sie die Idee?
Weil der Opa den Sand "entsorgt" hat, oder weil sie "noch immer" die lästig knirschenden Körner in den Scharnieren findet?
Die lästig knirschenden Körner beziehen sich hier nach meiner Lesart übrigens auf den Opa. Vorsicht mit "aber" und "und".


Ja, hier ist der Bezug missraten. Ich werde die "kausale Kette" aufbrechen und den letzten Nebensatz einfach als Hauptsatz umformulieren. 😅

Mumienfreund hat Folgendes geschrieben:
Phoebe beneidet also ihr Freundinnen, da diese (jugendliche) Eltern haben, die nicht nur gütig lächeln können (wie sie es von ihren Großeltern kennt), sondern auch ein Lächeln produzieren können, in dem eine "abwägende Vorsicht" liegt. Mein Gott. Und das legt sich dann noch wie etwas Kaltes um ihre Zähne. Huh. Wirklich beneidenswert. Aber im Ernst: Was soll das?


Ich weiß nicht, ob du den Twist so ganz verstanden hast. Susanne ist Phoebes Mutter. Sie fühlt sich nicht bereit dazu, ihre Tochter großzuziehen, weil sie ein ziemlich ungeordnetes Leben führt und gibt Phoebe deswegen in die Obhut ihrer Eltern (also Phoebes Großeltern). Der Satz ist ein kleines "Foreshadowing", weil zu diesem Zeitpunkt die familiäre Situation von Phoebe noch nicht so genau beschrieben wurde.
Die Eltern in der Schule haben "Zähne aus Eis", ein Begriff, den ein Kind mir gegenüber wirklich mal benutzt hat, um jemand Unsympathischen zu beschreiben.

So Sachen wie "Mein Gott" oder "wirklich beneidenswert" kannst du dir übrigens sparen. Sarkasmus ist immer auch Hohn. Und das finde ich bei einer Kritik unangebracht. Man kann Texte und die Personen dahinter auch ernst nehmen, ohne in der Kritik dann zu "soft" zu werden.

Danke dir, dass du meine Geschichte gelesen hast, nonetheless.
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FaithinClouds
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Beitrag08.10.2021 12:54

von FaithinClouds
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Sommerzeit

Sie schaute dem Staub nach, sah ihn im Licht der Terrassentür fädig zu Boden trudeln wie die Flugsamen eines Ahornbaums. Die Sonne warf ihr Licht schräg auf den Boden und bestrahlte Phoebes Hände, die sie flach gegen das Glas erhob, als habe sie sie eben erst entdeckt.
Sie könnte lange hier liegen bleiben, bis das Licht aufgebraucht sei, aber das würde ihrem Denken nicht guttun.
Phoebe rollte sich auf den Bauch und stand auf. Ihr lockiges Haar leuchtete an den Rändern, als sie gegen das Licht sah und die Terrassentür öffnete.
Draußen roch es nach feuchter Erde. Ihr Großvater hatte vor einer Stunde die Blumen und Büsche gegossen. Noch immer war die Erde zu Wurzeln der Pflanzen feucht.
Als sie in den Mittag hinein lauschte, hörte sie zitternde Motoren und das Schlagen kleiner Beine in den Hinterhofpools ihrer Nachbarn. Ihre Großeltern verwehrten Phoebes Wunsch, sich ebenfalls einen Pool zuzulegen. Sie hasste es regelrecht, wie eine Bittstellerin an den Türen der Einfamilienhäuser ihrer Nachbarn zu klingeln, um zu fragen, ob sie mit den Kindern schwimmen gehen dürfe. Sie waren sowieso zu alt oder zu jung, um wirklich Freunde zu werden.

Phoebe rannte in Richtung der großen Hecke, wo versteckt unter den Schatten der wächsernen Zweige die Käfer lebten, die sie so gerne betrachtete. Es war Samstag und da war nicht viel sonst, was sie tun konnte. Sie fürchtete sich davor, dass sie sich irgendwann, wenn sie älter wäre, an diesen Mittag zurückerinnern und dabei Reue über seine Leere empfinden würde.
Der Hecke wurde sie schnell überdrüssig und so drehte sie sich um und blickte auf die karge Terrasse, nach einer neuen Beschäftigung gierend. Sie könnte die Puppen aus ihrem Zimmer holen und mit ihnen „Strandfahrt“ spielen, aber der Vogelsand, den sie in die Plastikschale gefüllt hatte, war von ihrem Opa entsorgt worden. Noch immer fand sie seine lästig knirschenden Körner in den Scharnieren des rosafarbenen Plastikhauses. Sie verwarf den Gedanken. Phoebe war auch zu müde, sich immer wieder neue Dramen auszudenken, von denen sie ahnte, dass sie nichts waren, was erwachsene Paare in Wirklichkeit hätte auseinandertreiben können.
Allmählich hegte sie den Verdacht, dass ihre Großeltern nicht als gute Vorbilder für Beziehungskrisen dienen konnten. Die Streite und Auseinandersetzungen, die sie einst mit jugendlicher Wichtigtuerei geführt hatten, waren schon lange in ihrer beider Erinnerung vergraben. Sie gedachten ihnen mit Nachsicht und Verwunderung, als seien sie in einer verlorenen Zeit von einer anderen Version ihrer selbst geführt worden.
Manchmal beneidete Phoebe ihre Freundinnen in der Schule um die Jugend ihrer Eltern, in deren Lächeln neben der Güte, die sie schon von ihren Großeltern kannte, immer auch eine abwägende Vorsicht lag, die sich wie etwas Kaltes um ihre Zähne zu legen schien.

Der Duft von Rauch hing sich in das Blau. Die Luft war warm und dicht. Phoebe schwitzte bereits unter ihrem T-Shirt, aber noch nicht wie die Erwachsenen unter den Armen oder am Rücken, sondern überall gleichsam, als sei sie in einen feinen Dunst gehüllt.
Ein Auto fuhr hochtourig auf der Hauptstraße. Die Scheiben mussten heruntergezogen sein, denn sie hörte die Popmusik aus dem Radio wie eine Wahrheit, die jeder erfahren sollte.
Müßigkeit durchdrang den Mittag mit sanfter Bestimmtheit. Die Zeit schritt stoisch über den Himmel und zog die Sonne hinter sich her. Phoebe kniete sich auf den Boden und sah sich die Blätter der Pflanzen an. Ein Marienkäfer wanderte über einen der Äste. Sein wächsernes Rückenschild trug sieben schwarze Punkte, die aussahen, als sei Farbe auf ihn getropft und kurz vor dem Hinabrinnen getrocknet.
Phoebes helles Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie blies es zur Seite, wobei sie ihren Kopf nach rechts warf, als sei sie ungeduldig. Der Mittag kam ihr noch wie ein Morgen vor. Sie hatten vor einem Monat die Uhr auf die Sommerzeit vorgestellt und ihr war es ganz lächerlich erschienen, dass die Welt so lange an eine neue Wirklichkeit glaubte, bis diese tatsächlich wahr wurde.
Ihre Großmutter schlief wahrscheinlich gerade in ihrem Schlafzimmer im zweiten Stock, das Fenster gekippt, leicht unter ihrer Decke schwitzend.
Phoebe hatte es lieber, wenn ihre Großeltern schliefen, weil sich dann ein bisschen ihres Alters aus ihren Gesichtern strich. Sie erschrak oft, wenn sie abends ihren Opa durch die Flure wanken sah. Seine statischen Schritte waren dann zerhackt, als müsse er eine Bewegung in viele kleine Surrogate aufteilen, um sie durchzuführen, und Phoebe erkannte die Unbarmherzigkeit der Zeit in dem hohlen Schnauben, mit dem er sich achtlos in seinen Sessel fallen ließ, um fernzusehen.
Ihr Opa war bei der Eisenbahn gewesen, ein körperlich anstrengender Beruf, der ihn im Winter die Kälte stärker in den Gelenken spüren ließ als seine Frau.
Phoebe hatte ihn einmal gefragt, ob er das Zugfahren vermisse, doch er hatte abgewunken.
„Nein, mittlerweile sind die so schnell geworden, dass man gar nicht mehr die Landschaft betrachten kann“, hatte er gemeint und seine Enkelin hatte nicht verstanden, was er damit sagen wollte, und trotzdem genickt, weil sie den Keil, der sich manchmal zwischen sie trieb und ihnen das Verständnis für die gegenseitigen Probleme nahm, nicht spüren wollte.

Ihre Wangen waren inzwischen warm und sie ahnte, dass sie, wenn sie in den Spiegel sehen würde, erkennen könnte, dass sie gerötet waren. Phoebe legte sich auf den steinernen Boden, ihre Arme verschränkte sie dabei hinter ihrem Kopf. Sie sah hinauf in den Himmel. Ganz hellblau hing er da oben und es war ihr, als sei er ein weites Laken, das wie ein Banner im Supermarkt (SONDERSCHLUSSVERKAUF) durch tausende Schnüre an den Sternen befestigt war.
Ja, wenn sie hier noch eine Weile liegen bliebe, käme ihr eine tiefe Erkenntnis über eine große Frage, die sie selbst noch nicht kannte, aber sie schaffte es nicht, lange genug zu verhaaren, ohne Angst zu bekommen etwas außerhalb ihres Blickfelds zu verpassen.

Phoebe stand auf, doch da war nichts mehr, was sie tun könnte. Leer, der ganze Tag, leer wie der Himmel, leer wie die Gläser in der Küchenvitrine, leer wie ihr Schweigen. Sie hatte heute kaum geredet und ihre Zunge fühlte dies, eine Ahnung, auf falsche Weise benutzt worden zu sein. Sie öffnete die Terrassentür und schlüpfte ins Innere des Hauses. Mit einem lauten Geräusch schlug die Tür hinter ihr gegen den Rahmen. Das Fliegengitter darin zuckte kurz, die letzte, lohe Flamme in einem sanften Wind.
Sie ging in die Küche und schenkte sich ein Glas Orangensaft in ein kleines, zylinderförmiges Glas, das sie mit gierigen Schlucken leerte. Ihr Schlucken war das einzige Geräusch in der stillen Küche. Sie fühlte sich, als sei sie ein Gast in diesem Haus, beinahe Schlimmeres, ein Eindringling, der einen Teil dessen, was das Haus ausmachte, feindselig aus ihm herausriss.

Phoebe lief die Treppe im Flur hinauf. Sie hörte ihre Großmutter durch die Tür ihres Schlafzimmers hindurch schlafen, ein rhythmisches, fast mechanisches Summen, das einer blasenden Maschine zu entspringen schien.
Durch die geöffnete Tür ihres Zimmers konnte sie ihren Stuhl und einen Teil des niedrigen Zeichentischs sehen. Ein gelbstichiges Licht fiel durch den Spalt, erhellte treibenden Staub und die Wachsmalstifte, die sie auf dem Boden liegen gelassen hatte. Ein begonnenes Bild lag noch auf dem Boden, die Stifte hatten sich an der Stelle, an der die Laminatplanken endeten, nicht ausreichend in das Weiß gedrückt. Phoebe wusste nicht mehr, was das Bild darstellen sollte. Ein Haus vielleicht oder eine Burg, aber es war mehr ein Gedanke als ein genauer Plan gewesen, der nun wie von einem Wind zerrissen in alle möglichen Richtungen getrieben und nicht wieder zusammenzufügen war.
Sie entschied sich dafür, dass es eine Burg sein sollte. Als sie fertig mit der Feste war, fügte sie einige Figuren hinzu. Einen Drachen, der Kopf detaillierter als der restliche Körper, eine Ritterin in pinker Rüstung, einen Hund, der beinahe so groß wie das Pferd der Frau war. Das Bild füllte sich, seine leeren Räume schwanden und mit ihnen die Möglichkeiten, sie zu füllen. Phoebe legte das Bild beiseite und nahm ein neues Blatt Papier aus der Schublade ihres Rollcontainers.

Die Zeit rann durch den Tag wie Wasser durch eine hohle Hand, und Phoebe schaffte es nicht ihre Finger fest genug aneinander zu drücken, sodass sie sie halten konnte. Irgendwann hörte sie das Schellen der Türklingel.
Ihre Großeltern bekamen nicht oft Besuch und Phoebe war neugierig, wer dort vor der Tür wartete, und scheute gleichfalls davor zurück, nach unten zu gehen, um nachzuschauen, weil es immer, wenn Besucher da waren, so war, als müsse sie sich vor ihnen verstellen.
Sie hörte die Stimme ihres Großvaters aus dem Esszimmer dumpf wie die Posaunenstimmen in den Charlie-Brown-Cartoons. Die Worte dahinter verstand sie nicht, so sehr sie auch versuchte, sie herauszuhören, aber sie glaubte, eine Vertrautheit zu erkennen, die seinem Gesprächspartner galt.

Phoebe richtete sich auf, als sie ein dunkles Brummen hörte. Zuerst schien es, es entstamme irgendwie ihr selbst, zittere in ihrem Inneren in schnellen Zügen, aber als sie sich dazu zwang, genauer hinzuhören, merkte sie, dass es von jenseits ihres Zimmerfensters an sie herandrang. Sie drehte sich um und trat zur Scheibe. Das Fenster war höher als breit und engte dadurch das Zimmer ein. Phoebe stand nun so nahe vor dem Glas, dass sie die Kälte der Scheibe an ihrer Nasenspitze zu spüren glaubte. Vielleicht war es auch nur eine Einbildung.
Vor dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein dunkles Motorrad, der Lenker wie in den Comics gebogen, helles, verchromtes Metall schimmerte silbern am Rumpf, der Auspuff war zu einer Art Düse verformt. Es strahlte eine eigenartig aufregende Gefahr aus, kalt und schwer wie ein alter Revolver, ein Gefährt, auf dem man zur Schlacht ritt. Ein Mann saß mit breiten Beinen auf dem schwarzen Ledersattel der Maschine, er trug eine schwarze Lederjacke, die an den Ärmeln bereits angegraut war und in der Sonne bläulich schimmerte. Nach einer Weile schaltete er den Motor aus und zündete sich eine Zigarette an, nachdem er sie aus einer aus seiner Jeanstasche hervorgezogenen rot-weißen Schachtel herausgeschüttelt hatte.
Er schaute dem Rauch nach, als er ihn ausstieß. Seine Augen wandten sich zu dem Fenster, an dem Phoebe stand, und kurz wusste sie nicht, ob er sie durch die Spiegelung des Glases hindurch erkennen konnte. Ganz still harrte sie aus, ein geschlechtsloser Schemen, weniger als ein Geist und mehr als ein Schatten. Die Vorstellung gefiel ihr, machte sie schwerelos wie etwas flüchtig Erinnertes.

Wenn sie manchmal aus der Schule kam, den Ranzen mit den schweren Büchern geschultert, und die Reihenhäuser und leeren Grasflächen passierte, die die Bauern zu verkaufen sich weigerten und mit Landmaschinen und Heuballen vollstellten, um ihre Sturheit jedem Vorbeilaufendem mit Nachdruck entgegenzuschleudern, empfand Phoebe wie jetzt eine schwere Unruhe über etwas in sich aufkommen, für das sie noch kein Wort kannte. Sie ahnte, dass die Zeit ablief und mit ihr all die ungenutzten Chancen, und es stimmte sie mit lähmender Gleichgültigkeit dumpf traurig, dass sie nichts dagegen tun konnte. Oft rannte sie dann nach Hause, weil es sie erleichterte, zog die Tür hinter sich zu und stellte sich schnell und tief atmend an dem kalten Metall lehnend vor, sie sei von Männern in dunklen Anzügen verfolgt worden.
Der Mann fixierte sie jetzt, vielleicht versuchte er, ihren Schemen vom Rest des Raums auseinanderzuhalten. Sie zwang sich, sich nicht zu regen. Nach einer Weile hob er die rechte Hand und winkte ihr. Phoebe erwiderte den Gruß und der Mann schien zu lächeln. Sie sah es an der Richtungsänderung des Rauches, als er seinen Mund leicht öffnete, sodass ihm die Zigarette in seinen Mundwinkel rutschte.
Ihr Großvater rief sie, seine Worte hallten durch den Treppenaufgang und verloren bei seiner Windung ihre Höhen. Phoebe drehte sich zur Tür. Als sie aus dem Raum ging, schaute sie noch einmal zum Fenster, doch der Mann auf dem Motorrad war bereits hinter dem Fensterrahmen verschwunden.

Sie blieb im Türrahmen stehen, als sie erkannte, dass ihre Großeltern zu schweigen begonnen hatten. Ihre Oma saß auf dem Stuhl, der am nächsten zum Fenster stand, ihr Opa stand, die Arme vor der Brust verschränkt, an die Wand gelehnt. Zu seiner Rechten saß eine Frau mit dunkelbraunem, kurzgeschnittenem Haar, die das Mädchen aus engen Augen wie durch Jalousien hindurch betrachtete.
„Phoebe, das ist-“, begann ihr Großvater, als er von der Frau bereits unterbrochen wurde.
„Susanne.“ Sie lächelte und stand auf. Phoebe streckte ihr die Hand entgegen, wie sie es von den Erwachsenen gelernt hatte, und die Frau nahm sie mit abgeknicktem Handgelenk und schüttelte sie sachte wie einen Fächer.
„Sie ist eine alte Freundin von uns“, sagte ihre Großmutter und Susanne senkte den Blick.
„Setz dich doch, Phoebe“, meinte die Frau und das Mädchen schaute flüchtig zu ihrem Großvater, der leise nickte. Sie gehorchte. Durch das Fenster schien das Licht hell und gelb wie ein Weizenfeld. Phoebes Großeltern hatten ihr einmal erzählt, an klaren Tagen könne man bis zu den bewaldeten Bergen des Königsstuhlkreises schauen, aber Phoebe hatte nicht erkennen können, worauf sie deuteten, als sie versuchten, es ihr zu beweisen.
Susanne schwieg einige Zeit und die Stille hing über dem Tisch wie eine dichte, wollene Decke.
„Draußen steht ein Mann mit Motorrad“, sagte Phoebe schließlich, weil sie es nicht mehr ertrug. Die Frau schaute sie kurz verwirrt an, ehe sie fädig zu lächeln begann.
„Ja, ich weiß. Er heißt Thomas.“
„Ist es deins?“
„Nein, aber er lässt mich mitfahren.“ Als sie den Blick von Phoebes Großvater bemerkte, kaum ein Blinzeln darin, senkte sie ihre Augen und lächelte zurückhaltend. „Er ist ein Freund von mir.“
Phoebe nickte.
„Du bist hübsch“, sagte Susanne.
Das Mädchen wusste nichts darauf zu antworten. „Danke“, sagte sie unbeholfen. „Du auch.“
Susanne lachte. „Aber nicht so wie du, dafür bin ich zu alt“, meinte sie und Phoebe verstand nicht, was sie damit sagen wollte.
Das Licht wurde schwächer und strich die Wände müde weißblau. Wahrscheinlich schob sich gerade eine einzelne Wolke vor die Sonne. Phoebe überlegte, ob sie je wirklich traurig gewesen oder ob es nicht einfach bloß das Licht gewesen war.
Susanne begann über ihre Hinfahrt zu erzählen, die Autobahnen, Landstraßen und Wohnhäuser ein vorbeiziehendes Zischen. Die Sonne musste sie beide geblendet haben, aber der Mann auf dem Motorrad hatte eine Sonnenbrille an seinem Revers getragen, daran erinnerte sich Phoebe.
Wie es wohl wäre, auf dem Motorrad zu fahren? Vielleicht wie Reiten, bloß schneller, aber nein, das war etwas Anderes, das Fahren musste eher wie Fliegen sein, denn Motorräder waren eher UFOs als etwas Lebendiges.
Ihre Oma zwinkerte Phoebe über den Tisch hinweg zu, als wolle sie ihr sagen, dass sie ihre Gedanken hatte lesen können.
„Warum darf er nicht mit reinkommen?“, fragte Phoebe und unterbrach damit die Erzählungen der Frau. Sie verstummte augenblicklich und schwieg, ohne das Mädchen oder ihre Großeltern anzuschauen.
„Wir sind nur auf dem Sprung“, sagte sie nach einer Weile. Sie schaute auf die Uhr an der Wand, die die Küche vom Esszimmer abtrennte.
„Es ist spät, ich muss eh gleich los“, fügte sie hinzu und Phoebe konnte den Kloß in ihrem Hals hören, der die Worte dämpfte, die sich an ihm vorbeizupressen versuchten. „Ich habe euch etwas mitgebracht“, sagte Susanne zu Phoebe und deutete auf eine zerknüllte Tüte, die bereits auf dem Tisch vor ihr lag. „Berliner, willst du einen?“, fragte sie das Mädchen und Phoebe blickte zu ihrem Opa, ihre großen Augen baten ihn um Erlaubnis. Er nickte und ging in die Küche, um vier Teller aus dem Wandschrank zu nehmen.

Die Marmelade schmeckte künstlich nach Erdbeere, aber Phoebe sagte nichts, weil sie Susanne nicht die Freude verderben wollte.
Nach einer Weile sagte Susanne, dass sie losmüsse.
„Kann ich dich umarmen?“, fragte sie Phoebe.
Das Mädchen wich zurück. Ihr Großvater trat auf sie zu.
„Phoebe-“, begann er.
„Nein, es ist in Ordnung, Nur wenn sie will. Man soll nie Dinge nur machen, weil andere sie von einem wollen,“ sagte Susanne und das Verständnis, das sich in ihre Augen legte, war feucht, aber vielleicht war auch das nur das Licht. Beinahe glaubte Phoebe daran.
Sie verabschiedeten sich zweimal, einmal im Esszimmer und ein weiteres Mal im Hausflur. Als ihr Großvater die Tür öffnete, erhellten sich ihre vier Gestalten. Susanne schaute Phoebe noch ein letztes Mal an, ihr Mund lächelte dabei, ihre Augen nicht. Was war es, dass die Menschen daran hinderte, zu sagen, was sie dachten?
„Danke für heute“, sagte Susanne. Ihre Großeltern schwiegen.
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, sagte Phoebe, sie gehe wieder hoch. Ihr Opa nickte.

Sie schaute aus dem Fenster ihres Kinderzimmers und erwartete beinahe, das Motorrad nicht mehr zu sehen. Stattdessen stand es noch immer an der Stelle, an der sie es erinnerte. Der Mann in der schwarzen Jacke übergab Susanne einen dunkelblauen Helm, als sie die Maschine umrundete, sie nahm ihn flüchtig entgegen. Es bereitete Phoebe beinahe ein sonderbares Unbehagen, das Paar aus dem Dunkel ihres Raums heraus anzublicken und sie wünschte sich, sie stünde nicht hier, sondern am Rand einer Klippe, wo sich kleine, leichte Meeresvögel in die Luft schraubten, ganz verloren im Gleiten ihrer breiten Schwingen.
Der Mann schaute zu ihr hinauf. Er schien sie hinter dem Glas wiederzuerkennen und begann zu winken. Susanne saß nun hinter ihm auf dem Motorrad, die Hände vor seinem Brustbein verschränkt. Sie bemerkte seinen Blick und sah ebenfalls zum Fenster hinauf. Sie lächelte unter dem dunklen Helm, ihre Augen konnte Phoebe nicht sehen. Auch das Mädchen begann nun, zu winken, eine unbeholfene Geste, die sie selbstsicher wirken lassen sollte, wie auf einer der Feiern ihrer Großelter, auf denen sie niemanden kannte. Irgendwann fuhr das Motorrad an, rollte langsam los, der Auspuff zitterte und mit ihr die Frau auf dem Sitz. Phoebe sah ihnen lange nach, bis sie nur noch das hohle Röhren des Motors hören konnte.
Leer lag die Straße schließlich da, leer stand auch Phoebe am Fenster, ein Kind, das nach dem Schließen des Schwimmbads noch am Beckenrand verharrte und in das helle, künstliche Engelblau blickte. Sie fühlte bereits die Traurigkeit in sich emporsteigen, sie kam von ihrem Magen her (oder war es das Licht?). Sie hoffte, es könne wahr werden, wenn sie fest genug daran glaubte.
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Gast







Beitrag10.10.2021 18:43

von Gast
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Hallo FaithinCloud,

ich habe mir mal die ersten vier Seiten vorgenommen und ein paar Anmerkungen direkt in den Text geschrieben. Vielleicht ist etwas dabei, was du gebrauchen kannst. Was ich nicht gesondert angeführt habe: Ich finde, du wiederholst den Namen deiner Prota zu häufig, auch an Stellen, wo dies nicht nötig ist und ein sie genügen würde.
LG
DLurie

FaithinClouds hat Folgendes geschrieben:
Sommerzeit

Sie schaute dem Staub nach, sah ihn im Licht der Terrassentür fädig zu Boden trudeln wie die Flugsamen eines Ahornbaums. Die Sonne warf ihr Licht schräg auf den Boden und bestrahlte Phoebes Hände, die sie flach gegen das Glas erhob, als habe sie sie eben erst entdeckt.
Sie könnte lange hier liegen bleiben, bis das Licht aufgebraucht sei, aber das würde ihrem Denken nicht guttun.
Phoebe rollte sich auf den Bauch und stand auf. Ihr lockiges Haar leuchtete an den Rändern,(Komma?) als sie gegen das Licht sah und die Terrassentür öffnete.
Draußen roch es nach feuchter Erde. Ihr Großvater hatte vor einer Stunde die Blumen und Büsche gegossen. Noch immer war die Erde zu (??)Wurzeln der Pflanzen feucht.
Als sie in den Mittag hinein lauschte, hörte sie zitternde Motoren und das Schlagen (Planschen?)kleiner Beine in den Hinterhofpools ihrer Nachbarn. Ihre Großeltern verwehrten Phoebes Wunsch, (jemandem - Dativ - etwas verwehren korrekt m.E. also eher: verwehrten Phoebe den Wunsch)sich ebenfalls einen Pool zuzulegen. Sie hasste es regelrecht, wie eine Bittstellerin an den Türen der Einfamilienhäuser ihrer Nachbarn zu klingeln, um zu fragen, ob sie mit den Kindern schwimmen gehen dürfe. Sie waren sowieso zu alt oder zu jung, um wirklich Freunde zu werden.

Phoebe rannte in Richtung der großen Hecke, wo versteckt unter den Schatten der wächsernen Zweige die Käfer lebten, die sie so gerne betrachtete. Es war Samstag und da war (es gab?)nicht viel sonst, was sie tun konnte. Sie fürchtete sich davor, dass sie sich irgendwann, wenn sie älter wäre, an diesen Mittag zurückerinnern und dabei Reue über seine Leere empfinden würde.
Der Hecke wurde sie schnell überdrüssig und so drehte sie sich um und blickte auf die karge Terrasse, nach einer neuen Beschäftigung gierend. (bisschen zu stark das Verb). Sie könnte die Puppen aus ihrem Zimmer holen und mit ihnen „Strandfahrt“ spielen, aber der Vogelsand, den sie in die Plastikschale gefüllt hatte, war von ihrem Opa entsorgt worden. Noch immer fand sie seine lästig knirschenden Körner in den Scharnieren des rosafarbenen Plastikhauses. Sie verwarf den Gedanken. Phoebe war auch zu müde, sich immer wieder neue Dramen auszudenken, von denen sie ahnte, dass sie nichts waren, was (nicht von der Sorte waren, die?)erwachsene Paare in Wirklichkeit hätte auseinandertreiben können.
(einfacher: auseinandertrieben) [s]Allmählich[/s] hegte sie den Verdacht, dass ihre Großeltern nicht als gute Vorbilder für Beziehungskrisen dienen konnten. Die Streite (klingt irgendwie komisch der Plural, vielleicht: Streitereien)und Auseinandersetzungen, die sie einst mit jugendlicher Wichtigtuerei geführt (ausgefochten?)hatten, waren schon lange in ihrer beider Erinnerung vergraben. Sie gedachten ihnen (ihrer?) mit Nachsicht und Verwunderung, als seien sie in einer verlorenen Zeit von einer anderen Version ihrer selbst geführt worden.
Manchmal beneidete Phoebe ihre Freundinnen in der Schule um die Jugend ihrer Eltern, in deren Lächeln neben der Güte, die sie schon von ihren Großeltern kannte, immer auch eine abwägende Vorsicht lag, die sich wie etwas Kaltes um ihre Zähne zu legen schien. (bei mir sieht man die Zähne nicht beim Lächeln. Eher Lippen?)

Der Duft von Rauch hing sich in das Blau. Die Luft war warm und dicht. Phoebe schwitzte bereits unter ihrem T-Shirt, aber noch nicht wie die Erwachsenen unter den Armen oder am Rücken, sondern überall gleichsam, als sei sie in einen feinen Dunst gehüllt.
Ein Auto fuhr hochtourig auf der Hauptstraße. Die Scheiben mussten heruntergezogen sein, denn sie hörte die Popmusik aus dem Radio wie eine Wahrheit, die jeder erfahren sollte.
Müßigkeit durchdrang den Mittag mit sanfter Bestimmtheit. Die Zeit schritt stoisch über den Himmel und zog die Sonne hinter sich her. Phoebe kniete sich auf den Boden und sah sich die Blätter der Pflanzen an. Ein Marienkäfer wanderte über einen der Äste. Sein wächsernes Rückenschild trug sieben schwarze Punkte, die aussahen, als sei Farbe auf ihn getropft und kurz vor dem Hinabrinnen getrocknet.
Phoebes helles Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie blies es zur Seite, wobei sie ihren Kopf nach rechts warf, als sei sie ungeduldig.(Perspektive?) Der Mittag kam ihr noch wie ein Morgen vor. Sie hatten vor einem Monat die Uhr auf die Sommerzeit vorgestellt und ihr war es ganz lächerlich erschienen, dass die Welt so lange an eine neue Wirklichkeit glaubte, bis diese tatsächlich wahr wurde.
Ihre Großmutter schlief wahrscheinlich gerade in ihrem Schlafzimmer im zweiten Stock, das Fenster gekippt, leicht unter ihrer Decke schwitzend.
Phoebe hatte es lieber, wenn ihre Großeltern schliefen, weil sich dann ein bisschen ihres Alters aus ihren Gesichtern strich. Sie erschrak oft, wenn sie abends ihren Opa durch die Flure wanken sah. Seine statischen ( irgendwie passt statisch für mich nicht)Schritte waren dann zerhackt, als müsse er eine Bewegung in viele kleine Surrogate(passt für mich auch nicht, eher: einzelne Bestandteile oder  Einzelteile zerlegen)  aufteilen, um sie durchzuführen, und Phoebe erkannte die Unbarmherzigkeit der Zeit in dem hohlen Schnauben, mit dem er sich achtlos in seinen Sessel fallen ließ, um fernzusehen.
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Beitrag08.11.2021 14:08

von FaithinClouds
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Danke @DLurie für die Verbesserungsvorschläge. Vieles habe ich angepasst.👍

Sommerzeit

Sie schaute dem Staub nach, sah ihn im Licht der Terrassentür fädig zu Boden trudeln wie die Flugsamen eines Ahornbaums. Die Sonne warf ihr Licht schräg auf den Boden und bestrahlte Phoebes Hände, die sie flach gegen das Glas erhob, als habe sie sie eben erst entdeckt.
Sie könnte lange hier liegen bleiben, bis das Licht aufgebraucht sei, aber das würde ihrem Denken nicht guttun.
Phoebe rollte sich auf den Bauch und stand auf. Ihr lockiges Haar leuchtete an den Rändern,als sie geg en das Licht sah und die Terrassentür öffnete.
Draußen roch es nach feuchter Erde. Ihr Großvater hatte vor einer Stunde die Blumen und Büsche gegossen. Noch immer war die Erde zu Wurzeln der Pflanzen feucht.
Als sie in den Mittag hinein lauschte, hörte sie zitternde Motoren und das Planschen kleiner Beine in den Hinterhofpools ihrer Nachbarn. Ihre Großeltern verwehrten Phoebe den Wunsch, sich ebenfalls einen Pool zuzulegen. Sie hasste es regelrecht, wie eine Bittstellerin an den Türen der Einfamilienhäuser ihrer Nachbarn zu klingeln, um zu fragen, ob sie mit den Kindern schwimmen gehen dürfe. Sie waren sowieso zu alt oder zu jung, um wirklich Freunde zu werden.

Phoebe rannte in Richtung der großen Hecke, wo versteckt unter den Schatten der wächsernen Zweige die Käfer lebten, die sie so gerne betrachtete. Es war Samstag und es gab nicht viel sonst, was sie tun konnte. Sie fürchtete sich davor, dass sie sich irgendwann, wenn sie älter wäre, an diesen Mittag zurückerinnern und dabei Reue über seine Leere empfinden würde.
Der Hecke wurde sie schnell überdrüssig und so drehte sie sich um und blickte auf die karge Terrasse, nach einer neuen Beschäftigung suchend. Sie könnte die Puppen aus ihrem Zimmer holen und mit ihnen „Strandfahrt“ spielen, aber der Vogelsand, den sie in die Plastikschale gefüllt hatte, war von ihrem Opa entsorgt worden. Noch immer fand sie die lästig knirschenden Körner in den Scharnieren des rosafarbenen Plastikhauses. Sie verwarf den Gedanken. Phoebe war auch zu müde, sich immer wieder neue Dramen auszudenken, von denen sie ahnte, dass sie nichts waren, was erwachsene Paare in Wirklichkeit auseinandertrieb.
Sie hegte den Verdacht, dass ihre Großeltern nicht als gute Vorbilder für Beziehungskrisen dienen konnten. Die Streitereien und Auseinandersetzungen, die sie einst mit jugendlicher Wichtigtuerei ausgefochten hatten, waren schon lange in ihrer beider Erinnerung vergraben. Sie gedachten ihrer mit Nachsicht und Verwunderung, als seien sie in einer verlorenen Zeit von einer anderen Version ihrer selbst geführt worden.
Manchmal beneidete Phoebe ihre Freundinnen in der Schule um die Jugend ihrer Eltern, in deren Lächeln neben der Güte, die sie schon von ihren Großeltern kannte, immer auch eine abwägende Vorsicht lag, die sich wie etwas Kaltes um ihre Zähne zu legen schien. (bei mir sieht man die Zähne nicht beim Lächeln. Eher Lippen?)   Da weiß ich es nicht wirklich. Lächeln ist doch mit Zähnen, oder nicht? Oder wie nennt man es sonst? 😅 Also wenn ich "Lächeln" google, krieg ich genauso viele Bilder von Zähnen wie von Bildern ohne Zähne.
Der Duft von Rauch hing sich in das Blau. Die Luft war warm und dicht. Phoebe schwitzte bereits unter ihrem T-Shirt, aber noch nicht wie die Erwachsenen unter den Armen oder am Rücken, sondern überall gleichsam, als sei sie in einen feinen Dunst gehüllt.
Ein Auto fuhr hochtourig auf der Hauptstraße. Die Scheiben mussten heruntergezogen sein, denn sie hörte die Popmusik aus dem Radio wie eine Wahrheit, die jeder erfahren sollte.
Müßigkeit durchdrang den Mittag mit sanfter Bestimmtheit. Die Zeit schritt stoisch über den Himmel und zog die Sonne hinter sich her. Phoebe kniete sich auf den Boden und sah sich die Blätter der Pflanzen an. Ein Marienkäfer wanderte über einen der Äste. Sein wächsernes Rückenschild trug sieben schwarze Punkte, die aussahen, als sei Farbe auf ihn getropft und kurz vor dem Hinabrinnen getrocknet.
Phoebes helles Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie blies es zur Seite, wobei sie ihren Kopf nach rechts warf, als sei sie ungeduldig. Der Mittag kam ihr noch wie ein Morgen vor. Sie hatten vor einem Monat die Uhr auf die Sommerzeit vorgestellt und ihr war es ganz lächerlich erschienen, dass die Welt so lange an eine neue Wirklichkeit glaubte, bis diese tatsächlich wahr wurde.
Ihre Großmutter schlief wahrscheinlich gerade in ihrem Schlafzimmer im zweiten Stock, das Fenster gekippt, leicht unter ihrer Decke schwitzend.
Phoebe hatte es lieber, wenn ihre Großeltern schliefen, weil sich dann ein bisschen ihres Alters aus ihren Gesichtern strich. Sie erschrak oft, wenn sie abends ihren Opa durch die Flure wanken sah. Seine Schritte waren dann zerhackt, als müsse er eine Bewegung in viele kleine Einzelteile zerlegen, um sie durchzuführen, und Phoebe erkannte die Unbarmherzigkeit der Zeit in dem hohlen Schnauben, mit dem er sich achtlos in seinen Sessel fallen ließ, um fernzusehen.
Ihr Opa war bei der Eisenbahn gewesen, ein körperlich anstrengender Beruf, der ihn im Winter die Kälte stärker in den Gelenken spüren ließ als seine Frau.
Phoebe hatte ihn einmal gefragt, ob er das Zugfahren vermisse, doch er hatte abgewunken.
„Nein, mittlerweile sind die so schnell geworden, dass man gar nicht mehr die Landschaft betrachten kann“, hatte er gemeint und seine Enkelin hatte nicht verstanden, was er damit sagen wollte, und trotzdem genickt, weil sie den Keil, der sich manchmal zwischen sie trieb und ihnen das Verständnis für die gegenseitigen Probleme nahm, nicht spüren wollte.

Ihre Wangen waren inzwischen warm und sie ahnte, dass sie, wenn sie in den Spiegel sehen würde, erkennen könnte, dass sie gerötet waren. Phoebe legte sich auf den steinernen Boden, ihre Arme verschränkte sie dabei hinter ihrem Kopf. Sie sah hinauf in den Himmel. Ganz hellblau hing er da oben und es war ihr, als sei er ein weites Laken, das wie ein Banner im Supermarkt (SONDERSCHLUSSVERKAUF) durch tausende Schnüre an den Sternen befestigt war.
Ja, wenn sie hier noch eine Weile liegen bliebe, käme ihr eine tiefe Erkenntnis über eine große Frage, die sie selbst noch nicht kannte, aber sie schaffte es nicht, lange genug zu verhaaren, ohne Angst zu bekommen etwas außerhalb ihres Blickfelds zu verpassen.

Phoebe stand auf, doch da war nichts mehr, was sie tun könnte. Leer, der ganze Tag, leer wie der Himmel, leer wie die Gläser in der Küchenvitrine, leer wie ihr Schweigen. Sie hatte heute kaum geredet und ihre Zunge fühlte dies, eine Ahnung, auf falsche Weise benutzt worden zu sein. Sie öffnete die Terrassentür und schlüpfte ins Innere des Hauses. Mit einem lauten Geräusch schlug die Tür hinter ihr gegen den Rahmen. Das Fliegengitter darin zuckte kurz, die letzte, lohe Flamme in einem sanften Wind.
Sie ging in die Küche und schenkte sich ein Glas Orangensaft in ein kleines, zylinderförmiges Glas, das sie mit gierigen Schlucken leerte. Ihr Schlucken war das einzige Geräusch in der stillen Küche. Sie fühlte sich, als sei sie ein Gast in diesem Haus, beinahe Schlimmeres, ein Eindringling, der einen Teil dessen, was das Haus ausmachte, feindselig aus ihm herausriss.

Das Mädchen lief die Treppe im Flur hinauf. Sie hörte ihre Großmutter durch die Tür ihres Schlafzimmers hindurch schlafen, ein rhythmisches, fast mechanisches Summen, das einer blasenden Maschine zu entspringen schien.
Durch die geöffnete Tür ihres Zimmers konnte sie ihren Stuhl und einen Teil des niedrigen Zeichentischs sehen. Ein gelbstichiges Licht fiel durch den Spalt, erhellte treibenden Staub und die Wachsmalstifte, die sie auf dem Boden liegen gelassen hatte. Ein begonnenes Bild lag noch auf dem Boden, die Stifte hatten sich an der Stelle, an der die Laminatplanken endeten, nicht ausreichend in das Weiß gedrückt. Phoebe wusste nicht mehr, was das Bild darstellen sollte. Ein Haus vielleicht oder eine Burg, aber es war mehr ein Gedanke als ein genauer Plan gewesen, der nun wie von einem Wind zerrissen in alle möglichen Richtungen getrieben und nicht wieder zusammenzufügen war.
Sie entschied sich dafür, dass es eine Burg sein sollte. Als sie fertig mit der Feste war, fügte sie einige Figuren hinzu. Einen Drachen, der Kopf detaillierter als der restliche Körper, eine Ritterin in pinker Rüstung, einen Hund, der beinahe so groß wie das Pferd der Frau war. Das Bild füllte sich, seine leeren Räume schwanden und mit ihnen die Möglichkeiten, sie zu füllen. Phoebe legte das Bild beiseite und nahm ein neues Blatt Papier aus der Schublade ihres Rollcontainers.

Die Zeit rann durch den Tag wie Wasser durch eine hohle Hand, und Phoebe schaffte es nicht ihre Finger fest genug aneinander zu drücken, sodass sie sie halten konnte. Irgendwann hörte sie das Schellen der Türklingel.
Ihre Großeltern bekamen nicht oft Besuch und sie war neugierig, wer dort vor der Tür wartete, und scheute gleichfalls davor zurück, nach unten zu gehen, um nachzuschauen, weil es immer, wenn Besucher da waren, so war, als müsse sie sich vor ihnen verstellen.
Sie hörte die Stimme ihres Großvaters aus dem Esszimmer dumpf wie die Posaunenstimmen in den Charlie-Brown-Cartoons. Die Worte dahinter verstand sie nicht, so sehr sie auch versuchte, sie herauszuhören, aber sie glaubte, eine Vertrautheit zu erkennen, die seinem Gesprächspartner galt.

Phoebe richtete sich auf, als sie ein dunkles Brummen hörte. Zuerst schien es, es entstamme irgendwie ihr selbst, zittere in ihrem Inneren in schnellen Zügen, aber als sie sich dazu zwang, genauer hinzuhören, merkte sie, dass es von jenseits ihres Zimmerfensters an sie herandrang. Sie drehte sich um und trat zur Scheibe. Das Fenster war höher als breit und engte dadurch das Zimmer ein. Phoebe stand nun so nahe vor dem Glas, dass sie die Kälte der Scheibe an ihrer Nasenspitze zu spüren glaubte. Vielleicht war es auch nur eine Einbildung.
Vor dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein dunkles Motorrad, der Lenker wie in den Comics gebogen, helles, verchromtes Metall schimmerte silbern am Rumpf, der Auspuff war zu einer Art Düse verformt. Es strahlte eine eigenartig aufregende Gefahr aus, kalt und schwer wie ein alter Revolver, ein Gefährt, auf dem man zur Schlacht ritt. Ein Mann saß mit breiten Beinen auf dem schwarzen Ledersattel der Maschine, er trug eine schwarze Lederjacke, die an den Ärmeln bereits angegraut war und in der Sonne bläulich schimmerte. Nach einer Weile schaltete er den Motor aus und zündete sich eine Zigarette an, nachdem er sie aus einer aus seiner Jeanstasche hervorgezogenen rot-weißen Schachtel herausgeschüttelt hatte.
Er schaute dem Rauch nach, als er ihn ausstieß. Seine Augen wandten sich zu dem Fenster, an dem Phoebe stand, und kurz wusste sie nicht, ob er sie durch die Spiegelung des Glases hindurch erkennen konnte. Ganz still harrte sie aus, ein geschlechtsloser Schemen, weniger als ein Geist und mehr als ein Schatten. Die Vorstellung gefiel ihr, machte sie schwerelos wie etwas flüchtig Erinnertes.

Wenn sie manchmal aus der Schule kam, den Ranzen mit den schweren Büchern geschultert, und die Reihenhäuser und leeren Grasflächen passierte, die die Bauern zu verkaufen sich weigerten und mit Landmaschinen und Heuballen vollstellten, um ihre Sturheit jedem Vorbeilaufendem mit Nachdruck entgegenzuschleudern, empfand Phoebe wie jetzt eine schwere Unruhe über etwas in sich aufkommen, für das sie noch kein Wort kannte. Sie ahnte, dass die Zeit ablief und mit ihr all die ungenutzten Chancen, und es stimmte sie mit lähmender Gleichgültigkeit dumpf traurig, dass sie nichts dagegen tun konnte. Oft rannte sie dann nach Hause, weil es sie erleichterte, zog die Tür hinter sich zu und stellte sich schnell und tief atmend an dem kalten Metall lehnend vor, sie sei von Männern in dunklen Anzügen verfolgt worden.
Der Mann fixierte sie jetzt, vielleicht versuchte er, ihren Schemen vom Rest des Raums auseinanderzuhalten. Sie zwang sich, sich nicht zu regen. Nach einer Weile hob er die rechte Hand und winkte ihr. Phoebe erwiderte den Gruß und der Mann schien zu lächeln. Sie sah es an der Richtungsänderung des Rauches, als er seinen Mund leicht öffnete, sodass ihm die Zigarette in seinen Mundwinkel rutschte.
Ihr Großvater rief sie, seine Worte hallten durch den Treppenaufgang und verloren bei seiner Windung ihre Höhen. Phoebe drehte sich zur Tür. Als sie aus dem Raum ging, schaute sie noch einmal zum Fenster, doch der Mann auf dem Motorrad war bereits hinter dem Fensterrahmen verschwunden.

Sie blieb im Türrahmen stehen, als sie erkannte, dass ihre Großeltern zu schweigen begonnen hatten. Ihre Oma saß auf dem Stuhl, der am nächsten zum Fenster stand, ihr Opa stand, die Arme vor der Brust verschränkt, an die Wand gelehnt. Zu seiner Rechten saß eine Frau mit dunkelbraunem, kurzgeschnittenem Haar, die das Mädchen aus engen Augen wie durch Jalousien hindurch betrachtete.
„Phoebe, das ist-“, begann ihr Großvater, als er von der Frau bereits unterbrochen wurde.
„Susanne.“ Sie lächelte und stand auf. Phoebe streckte ihr die Hand entgegen, wie sie es von den Erwachsenen gelernt hatte, und die Frau nahm sie mit abgeknicktem Handgelenk und schüttelte sie sachte wie einen Fächer.
„Sie ist eine alte Freundin von uns“, sagte ihre Großmutter und Susanne senkte den Blick.
„Setz dich doch, Phoebe“, meinte die Frau und das Mädchen schaute flüchtig zu ihrem Großvater, der leise nickte. Sie gehorchte. Durch das Fenster schien das Licht hell und gelb wie ein Weizenfeld. Phoebes Großeltern hatten ihr einmal erzählt, an klaren Tagen könne man bis zu den bewaldeten Bergen des Königsstuhlkreises schauen, aber Phoebe hatte nicht erkennen können, worauf sie deuteten, als sie versuchten, es ihr zu beweisen.
Susanne schwieg einige Zeit und die Stille hing über dem Tisch wie eine dichte, wollene Decke.
„Draußen steht ein Mann mit Motorrad“, sagte Phoebe schließlich, weil sie es nicht mehr ertrug. Die Frau schaute sie kurz verwirrt an, ehe sie fädig zu lächeln begann.
„Ja, ich weiß. Er heißt Thomas.“
„Ist es deins?“
„Nein, aber er lässt mich mitfahren.“ Als sie den Blick von Phoebes Großvater bemerkte, kaum ein Blinzeln darin, senkte sie ihre Augen und lächelte zurückhaltend. „Er ist ein Freund von mir.“
Phoebe nickte.
„Du bist hübsch“, sagte Susanne.
Das Mädchen wusste nichts darauf zu antworten. „Danke“, sagte sie unbeholfen. „Du auch.“
Susanne lachte. „Aber nicht so wie du, dafür bin ich zu alt“, meinte sie und Phoebe verstand nicht, was sie damit sagen wollte.
Das Licht wurde schwächer und strich die Wände müde weißblau. Wahrscheinlich schob sich gerade eine einzelne Wolke vor die Sonne. Phoebe überlegte, ob sie je wirklich traurig gewesen oder ob es nicht einfach bloß das Licht gewesen war.
Susanne begann über ihre Hinfahrt zu erzählen, die Autobahnen, Landstraßen und Wohnhäuser ein vorbeiziehendes Zischen. Die Sonne musste sie beide geblendet haben, aber der Mann auf dem Motorrad hatte eine Sonnenbrille an seinem Revers getragen, daran erinnerte sich Phoebe.
Wie es wohl wäre, auf dem Motorrad zu fahren? Vielleicht wie Reiten, bloß schneller, aber nein, das war etwas Anderes, das Fahren musste eher wie Fliegen sein, denn Motorräder waren eher UFOs als etwas Lebendiges.
Ihre Oma zwinkerte Phoebe über den Tisch hinweg zu, als wolle sie ihr sagen, dass sie ihre Gedanken hatte lesen können.
„Warum darf er nicht mit reinkommen?“, fragte Phoebe und unterbrach damit die Erzählungen der Frau. Sie verstummte augenblicklich und schwieg, ohne das Mädchen oder ihre Großeltern anzuschauen.
„Wir sind nur auf dem Sprung“, sagte sie nach einer Weile. Sie schaute auf die Uhr an der Wand, die die Küche vom Esszimmer abtrennte.
„Es ist spät, ich muss eh gleich los“, fügte sie hinzu und Phoebe konnte den Kloß in ihrem Hals hören, der die Worte dämpfte, die sich an ihm vorbeizupressen versuchten. „Ich habe euch etwas mitgebracht“, sagte Susanne zu Phoebe und deutete auf eine zerknüllte Tüte, die bereits auf dem Tisch vor ihr lag. „Berliner, willst du einen?“, fragte sie das Mädchen und Phoebe blickte zu ihrem Opa, ihre großen Augen baten ihn um Erlaubnis. Er nickte und ging in die Küche, um vier Teller aus dem Wandschrank zu nehmen.

Die Marmelade schmeckte künstlich nach Erdbeere, aber Phoebe sagte nichts, weil sie Susanne nicht die Freude verderben wollte.
Nach einer Weile sagte Susanne, dass sie losmüsse.
„Kann ich dich umarmen?“, fragte sie Phoebe.
Das Mädchen wich zurück. Ihr Großvater trat auf sie zu.
„Phoebe-“, begann er.
„Nein, es ist in Ordnung, Nur wenn sie will. Man soll nie Dinge nur machen, weil andere sie von einem wollen,“ sagte Susanne und das Verständnis, das sich in ihre Augen legte, war feucht, aber vielleicht war auch das nur das Licht. Beinahe glaubte Phoebe daran.
Sie verabschiedeten sich zweimal, einmal im Esszimmer und ein weiteres Mal im Hausflur. Als ihr Großvater die Tür öffnete, erhellten sich ihre vier Gestalten. Susanne schaute Phoebe noch ein letztes Mal an, ihr Mund lächelte dabei, ihre Augen nicht. Was war es, dass die Menschen daran hinderte, zu sagen, was sie dachten?
„Danke für heute“, sagte Susanne. Ihre Großeltern schwiegen.
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, sagte Phoebe, sie gehe wieder hoch. Ihr Opa nickte.

Sie schaute aus dem Fenster ihres Kinderzimmers und erwartete beinahe, das Motorrad nicht mehr zu sehen. Stattdessen stand es noch immer an der Stelle, an der sie es erinnerte. Der Mann in der schwarzen Jacke übergab Susanne einen dunkelblauen Helm, als sie die Maschine umrundete, sie nahm ihn flüchtig entgegen. Es bereitete Phoebe beinahe ein sonderbares Unbehagen, das Paar aus dem Dunkel ihres Raums heraus anzublicken und sie wünschte sich, sie stünde nicht hier, sondern am Rand einer Klippe, wo sich kleine, leichte Meeresvögel in die Luft schraubten, ganz verloren im Gleiten ihrer breiten Schwingen.
Der Mann schaute zu ihr hinauf. Er schien sie hinter dem Glas wiederzuerkennen und begann zu winken. Susanne saß nun hinter ihm auf dem Motorrad, die Hände vor seinem Brustbein verschränkt. Sie bemerkte seinen Blick und sah ebenfalls zum Fenster hinauf. Sie lächelte unter dem dunklen Helm, ihre Augen konnte Phoebe nicht sehen. Auch das Mädchen begann nun, zu winken, eine unbeholfene Geste, die sie selbstsicher wirken lassen sollte, wie auf einer der Feiern ihrer Großelter, auf denen sie niemanden kannte. Irgendwann fuhr das Motorrad an, rollte langsam los, der Auspuff zitterte und mit ihr die Frau auf dem Sitz. Phoebe sah ihnen lange nach, bis sie nur noch das hohle Röhren des Motors hören konnte.
Leer lag die Straße schließlich da, leer stand auch Phoebe am Fenster, ein Kind, das nach dem Schließen des Schwimmbads noch am Beckenrand verharrte und in das helle, künstliche Engelblau blickte. Sie fühlte bereits die Traurigkeit in sich emporsteigen, sie kam von ihrem Magen her (oder war es das Licht?). Sie hoffte, es könne wahr werden, wenn sie fest genug daran glaubte.
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Beitrag09.11.2021 12:47

von Gast
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Hallo FaithinClouds,

ich weiß nicht, ob du an dem Text noch weiter feilen möchtest.
Wenn ja, hätte ich für die nächsten vier Seiten (mehr schaffe ich aus Zeitgründen im Moment nicht) noch einige Änderungsvorschläge.

LG
DLurie     


FaithinClouds hat Folgendes geschrieben:


Ihr Opa war bei der Eisenbahn gewesen, ein körperlich anstrengender Beruf, der ihn im Winter die Kälte stärker in den Gelenken spüren ließ als seine Frau.
Phoebe hatte ihn einmal gefragt, ob er das Zugfahren vermisse, doch er hatte abgewunken.
„Nein, mittlerweile sind die so schnell geworden, dass man gar nicht mehr die Landschaft betrachten kann“, hatte er gemeint und seine Enkelin Sie hatte nicht verstanden, was er damit sagen wollte, und trotzdem genickt, weil sie den Keil, der sich manchmal zwischen sie trieb und ihnen das Verständnis für die gegenseitigen Probleme nahm, nicht spüren wollte.

Ihre Wangen waren inzwischen warm und sie ahnte, dass sie, wenn sie in den Spiegel sehen würde, erkennen könnte, dass sie gerötet waren. Phoebe legte sich auf den steinernen Boden, ihre Arme verschränkte sie dabei hinter ihrem Kopf. (und verschränkte ihre Arme hinter dem Kopf?)
Sie sah hinauf in den Himmel. Ganz hellblau hing er da oben und es war ihr, als sei er wie ein weites Laken, das wie ein Banner im Supermarkt (SONDERSCHLUSSVERKAUF) (den Vergleich mit dem Banner finde ich seltsam, Geschmacksache) durch tausende Schnüre an den Sternen befestigt war.
Ja, wenn sie hier noch eine Weile liegen bliebe, käme ihr eine tiefe Erkenntnis über eine große Frage, die sie selbst noch nicht kannte, aber sie schaffte es nicht, lange genug zu verhaaren (verharren), ohne Angst zu bekommen etwas außerhalb ihres Blickfelds zu verpassen.
(da wirst du jetzt sehr auktorial, finde ich grenzwertig)
Phoebe stand auf, doch da war nichts mehr, was sie tun könnte. Leer, der ganze Tag, leer wie der Himmel, leer wie die Gläser in der Küchenvitrine, leer wie ihr Schweigen. Sie hatte heute kaum geredet und ihre Zunge fühlte dies, eine Ahnung, auf falsche Weise benutzt worden zu sein.(den Satz verstehe ich nicht, was nicht viel heißen will ) Sie öffnete die Terrassentür und schlüpfte ins Innere des Hauses. Mit einem lauten Geräusch (vielleicht etwas präziser?) schlug die Tür hinter ihr gegen den Rahmen. Das Fliegengitter darin zuckte kurz, die letzte, lohe (gibt es das als Adjektiv?)  Flamme in einem sanften Wind.
Sie ging in die Küche und schenkte sich ein Glas Orangensaft in ein kleines, zylinderförmiges Glas, das sie mit gierigen Schlucken leerte. Ihr Schlucken war das einzige Geräusch in der stillen Küche. Sie fühlte sich, als sei sie ein Gast in diesem Haus, beinahe Schlimmeres, oder gar ein Eindringling,der einen  Teil dessen, was das Haus ausmachte, feindselig aus ihm herausriss.
Das Mädchen lief die Treppe im Flur hinauf. Sie hörte ihre Großmutter durch die Tür ihres Schlafzimmers hindurch schlafen, ein rhythmisches, fast mechanisches Summen, das einer blasenden Maschine zu entspringen schien.
Durch die geöffnete Tür ihres Zimmers konnte sie ihren Stuhl und einen Teil des niedrigen Zeichentischs sehen. Ein gelbstichiges Licht fiel durch den Spalt, erhellte treibenden Staub und die Wachsmalstifte, die sie auf dem Boden liegen gelassen hatte. Ein begonnenes Bild lag noch auf dem Boden, die Stifte hatten sich an der Stelle, an der die Laminatplanken endeten, nicht ausreichend in das Weiß gedrückt. Phoebe wusste nicht mehr, was das Bild darstellen sollte. Ein Haus vielleicht oder eine Burg? aber es war mehr ein Gedanke als ein genauer Plan gewesen, der nun wie von einem Wind zerrissen in alle möglichen Richtungen getrieben und nicht wieder zusammenzufügen war.
Sie entschied sich dafür, dass es eine Burg sein sollte. (Sie entschied sich für eine Burg?) Als sie fertig mit der Feste war, fügte sie einige Figuren hinzu. Einen Drachen, der Kopf detaillierter als der restliche Körper, eine Ritterin in pinker Rüstung, einen Hund, der beinahe so groß wie das Pferd der Frau war. Das Bild füllte sich, seine leeren Räume schwanden und mit ihnen die Möglichkeiten, sie zu füllen. Phoebe legte das Bild beiseite und nahm ein neues Blatt Papier aus der Schublade ihres Rollcontainers.

Die Zeit rann durch den Tag wie Wasser durch eine hohle Hand, und Phoebe schaffte es nicht ihre Finger fest genug aneinander zu drücken, sodass sie sie (die Zeit?)halten konnte. Irgendwann hörte sie das Schellen der Türklingel.
Ihre Großeltern bekamen nicht oft Besuch und sie war neugierig, wer dort vor der Tür wartete, und scheute gleichfalls davor zurück, nach unten zu gehen, um nachzuschauen, weil es immer, wenn Besucher da waren, so war, als müsse sie sich vor ihnen verstellen. (vor dem weil würde ich einen Punkt machen sonst wird der Satz arg lang und dann: Immer wenn Besucher kamen, schien es ihr, als müsse…)
Sie hörte die Stimme ihres Großvaters aus dem Esszimmer dumpf wie die Posaunenstimmen in den Charlie-Brown-Cartoons. Die Worte dahinter verstand sie nicht, so sehr sie auch versuchte, sie herauszuhören, aber sie glaubte, eine Vertrautheit zu erkennen, die seinem Gesprächspartner galt (wem sonst?).

Phoebe richtete sich auf, als sie ein dunkles Brummen hörte. Zuerst schien es, es entstamme irgendwie ihr selbst, zittere in ihrem Inneren in schnellen Zügen, aber als sie sich dazu zwang, genauer hinzuhören bei genauerem Hinhören , merkte sie, dass es von jenseits ihres Zimmerfensters an sie herandrang. Sie drehte sich um und trat zur Scheibe. Das Fenster war höher als breit und engte dadurch das Zimmer ein. Phoebe stand nun so nahe vor dem Glas, dass sie die Kälte der Scheibe an ihrer Nasenspitze zu spüren glaubte. (einfach:spürte?) Vielleicht war es auch nur eine Einbildung.
Vor dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein dunkles Motorrad, der Lenker wie in den Comics gebogen, helles, verchromtes Metall schimmerte silbern am Rumpf, der Auspuff war zu einer Art Düse verformt. Es strahlte eine eigenartig aufregende Gefahr aus (es wirkte faszinierend und bedrohlich zugleich?), kalt und schwer wie ein alter Revolver, ein Gefährt, auf dem man zur (in die?)Schlacht ritt. Ein Mann saß mit breiten Beinen (breitbeinig?)auf dem schwarzen Ledersattel der Maschine, er trug eine schwarze Lederjacke, die an den Ärmeln bereits angegraut war und in der Sonne bläulich schimmerte. Nach einer Weile schaltete er den Motor aus und zündete sich eine Zigarette an, nachdem er sie aus einer aus seiner Jeanstasche hervorgezogenen rot-weißen Schachtel herausgeschüttelt hatte.
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FaithinClouds
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Beitrag09.11.2021 22:02

von FaithinClouds
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@DLurie

Ja, vielen Dank für die vielen Vorschläge. Ich werde auf jeden Fall einiges übernehmen. Du musst dich nicht entschuldigen, dass du das so Stück für Stück machst. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass du deine Freizeit dafür opferst, irgendwelche fremden Texte zu lesen und zu verbessern.😅 Und ich danke dir, dass du das trotzdem machst.🙏
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Gast







Beitrag10.11.2021 14:52

von Gast
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Hallo FaithinClouds,

hier noch der Rest mit einigen Vorschlägen.

LG
DLurie

FaithinClouds hat Folgendes geschrieben:


Er schaute dem Rauch nach, als er ihn ausstieß. (Eigentlich klar, dass er ihm erst nachschauen kann, nachdem er ihn ausgestoßen hat) Seine Augen wandten sich zu dem Fenster, an dem Phoebe stand, und kurz wusste sie nicht, ob er sie durch die Spiegelung des Glases hindurch erkennen konnte. (vielleicht mal ein einfacher Fragesatz: Ob er sie wohl erkannte?) Ganz still harrte sie aus, ein geschlechtsloser (spielt das eine Rolle?) Schemen, weniger als ein Geist und mehr als ein Schatten. Die Vorstellung gefiel ihr, machte sie schwerelos wie etwas flüchtig Erinnertes.

Wenn sie manchmal aus der Schule kam, den Ranzen mit den schweren Büchern geschultert, und die Reihenhäuser und leeren Grasflächen passierte, die die Bauern zu verkaufen sich weigerten und mit Landmaschinen und Heuballen vollstellten, um ihre Sturheit jedem Vorbeilaufendem mit Nachdruck entgegenzuschleudern, empfand Phoebe wie jetzt eine schwere Unruhe über etwas in sich aufkommen, für das sie noch kein Wort kannte. (Den Satz würde ich umbauen, z.B.  Manchmal, wenn sie mit ihrem schweren Schulranzen auf den Schultern die Grasflächen passierte, die die sturen Bauern, weil sie nicht verkaufen wollten, mit Landmaschinen und Heuballen vollgestellt hatten, empfand … Oder mehrere Sätze)
Sie ahnte, dass die Zeit ablief und mit ihr all die ungenutzten Chancen, (ungenutzte Chancen laufen eigentlich nicht ab) und es stimmte sie mit lähmender Gleichgültigkeit dumpf traurig, (das ist mir zu viel auf einmal und es widerspricht sich auch irgendwie: Gleichgültigkeit oder Traurigkeit) dass sie nichts dagegen tun konnte. Oft rannte sie dann nach Hause, weil es sie erleichterte, zog die Tür hinter sich zu und stellte sich schnell und tief atmend an dem kalten Metall lehnend vor, sie sei von Männern in dunklen Anzügen verfolgt worden.
Der Mann fixierte sie jetzt, vielleicht versuchte er, ihren Schemen vom Rest des Raums auseinanderzuhalten. Sie zwang sich, sich nicht zu regen. (Sie verharrte regungslos?) Nach einer Weile hob er die rechte Hand und winkte ihr. Phoebe erwiderte den Gruß und der Mann schien zu lächeln. Sie sah es an der Richtungsänderung des Rauches, als er seinen Mund leicht öffnete, sodass ihm die Zigarette in seinen Mundwinkel rutschte.
Ihr Großvater rief sie, seine Worte hallten durch den Treppenaufgang und verloren bei seiner Windung ihre Höhen. Phoebe drehte sich zur Tür. Als sie aus dem Raum ging, schaute sie noch einmal zum Fenster, doch der Mann auf dem Motorrad war bereits hinter dem Fensterrahmen verschwunden.

Sie blieb im Türrahmen stehen, als sie erkannte, dass ihre Großeltern zu schweigen begonnen hatten. Ihre Oma saß auf dem (einem) Stuhl, der am nächsten zum Fenster stand, ihr Opa stand, die Arme vor der Brust verschränkt, an die Wand gelehnt. Zu seiner Rechten saß eine Frau mit dunkelbraunem, kurzgeschnittenem Haar, die das Mädchen aus engen Augen wie durch Jalousien hindurch betrachtete.
„Phoebe, das ist-“, begann ihr Großvater, als er von der Frau bereits unterbrochen wurde.
„Susanne.“ Sie lächelte und stand auf. Phoebe streckte ihr die Hand entgegen, wie sie es von den Erwachsenen gelernt hatte, und die Frau nahm sie mit abgeknicktem Handgelenk und schüttelte sie sachte wie einen Fächer.
„Sie ist eine alte Freundin von uns“, sagte ihre Großmutter und Susanne senkte den Blick.
„Setz dich doch, Phoebe“, meinte die Frau und das Mädchen schaute flüchtig zu ihrem Großvater, der leise nickte. Sie gehorchte. Durch das Fenster schien das Licht hell und gelb wie ein Weizenfeld. Phoebes Großeltern hatten ihr einmal erzählt, an klaren Tagen könne man bis zu den bewaldeten Bergen des Königsstuhlkreises schauen, aber Phoebe hatte nicht erkennen können, worauf sie deuteten, als sie versuchten, es ihr zu beweisen.
Susanne schwieg einige Zeit und die Stille hing über dem Tisch wie eine dichte, wollene Decke.
„Draußen steht ein Mann mit Motorrad“, sagte Phoebe schließlich, weil sie es nicht mehr ertrug. Die Frau schaute sie kurz verwirrt an, ehe sie fädig zu lächeln begann.
„Ja, ich weiß. Er heißt Thomas.“
„Ist es deins?“
„Nein, aber er lässt mich mitfahren.“ Als sie den Blick von Phoebes Großvater bemerkte, kaum ein Blinzeln darin, senkte sie ihre Augen und lächelte zurückhaltend. „Er ist ein Freund von mir.“
Phoebe nickte.
„Du bist hübsch“, sagte Susanne.
Das Mädchen wusste nichts darauf zu antworten. „Danke“, sagte sie unbeholfen. „Du auch.“
Susanne lachte. „Aber nicht so wie du, dafür bin ich zu alt“, meinte sie und Phoebe verstand nicht, was sie damit sagen wollte.
Das Licht wurde schwächer und strich die Wände müde weißblau. Wahrscheinlich schob sich gerade eine einzelne Wolke vor die Sonne. Phoebe überlegte, ob sie je wirklich traurig gewesen oder ob es nicht einfach bloß das Licht gewesen war. (Ich weiß nicht recht, ob sich das Mädchen in dieser Situation so viele Gedanken über das Licht und ihren Gemütszustand machen würde)  
Susanne begann über ihre Hinfahrt zu erzählen, die Autobahnen, Landstraßen und Wohnhäuser ein vorbeiziehendes Zischen. Die Sonne musste sie beide geblendet haben, aber der Mann auf dem Motorrad hatte eine Sonnenbrille an seinem Revers getragen, daran erinnerte sich Phoebe.
Wie es wohl wäre, auf dem Motorrad zu fahren? Vielleicht wie Reiten, bloß schneller, aber nein, das war etwas Anderes, das Fahren musste eher wie Fliegen sein, denn Motorräder waren eher UFOs als etwas Lebendiges.
Ihre Oma zwinkerte Phoebe über den Tisch hinweg zu, als wolle sie ihr sagen, dass sie ihre Gedanken hatte lesen können.
„Warum darf er nicht mit reinkommen?“, fragte Phoebe und unterbrach damit die Erzählungen der Frau. Sie verstummte augenblicklich und schwieg, ohne das Mädchen oder ihre Großeltern anzuschauen.
„Wir sind nur auf dem Sprung“, sagte sie nach einer Weile. Sie schaute auf die Uhr an der Wand, die die Küche vom Esszimmer abtrennte.
„Es ist spät, ich muss eh gleich los“, fügte sie hinzu und Phoebe konnte den Kloß in ihrem Hals hören, der die Worte dämpfte, die sich an ihm vorbeizupressen versuchten. „Ich habe euch etwas mitgebracht“, sagte Susanne zu Phoebe und deutete auf eine zerknüllte Tüte, die bereits auf dem Tisch vor ihr lag. „Berliner, willst du einen?“, fragte sie das Mädchen und Phoebe blickte zu ihrem Opa, ihre großen Augen baten ihn um Erlaubnis. Er nickte und ging in die Küche, um vier Teller aus dem Wandschrank zu nehmen.

Die Marmelade schmeckte künstlich nach Erdbeere, aber Phoebe sagte nichts, weil sie Susanne nicht die Freude verderben wollte.
Nach einer Weile sagte Susanne, dass sie losmüsse. (nach einer Weile hast du ziemlich oft)
„Kann (darf?) ich dich umarmen?“, fragte sie Phoebe.
Das Mädchen wich zurück. Ihr Großvater trat auf sie zu.
„Phoebe-“, begann er.
„Nein, es ist in Ordnung, Nur wenn sie will. Man soll nie Dinge nur machen, weil andere sie von einem wollen,“ sagte Susanne und das Verständnis, das sich in ihre Augen legte, war feucht, aber vielleicht war auch das nur das Licht. Beinahe glaubte Phoebe daran.
Sie verabschiedeten sich zweimal, einmal im Esszimmer und ein weiteres Mal im Hausflur. Als ihr Großvater die Tür öffnete, erhellten sich ihre vier Gestalten. Susanne schaute Phoebe noch ein letztes Mal an, ihr Mund lächelte dabei, ihre Augen nicht. Was war es, dass die Menschen daran hinderte, zu sagen, was sie dachten?
„Danke für heute“, sagte Susanne. Ihre Großeltern schwiegen.
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, sagte Phoebe, sie gehe wieder hoch. Ihr Opa nickte.

Sie schaute aus dem Fenster ihres Kinderzimmers und erwartete beinahe, das Motorrad nicht mehr zu sehen. Stattdessen stand es noch immer an der Stelle, an der sie es erinnerte. (einfacher: Sie schaute aus dem Fenster ihres Kinderzimmers und sah wie der Mann…)
Der Mann in der schwarzen Jacke übergab Susanne einen dunkelblauen Helm, als sie die Maschine umrundete, sie nahm ihn flüchtig (?)entgegen. Es bereitete Phoebe beinahe ein sonderbares Unbehagen, das Paar aus dem Dunkel ihres Raums heraus anzublicken und sie wünschte sich, sie stünde nicht hier, sondern am Rand einer Klippe, wo sich kleine, leichte Meeresvögel in die Luft schraubten, ganz verloren im Gleiten ihrer breiten Schwingen.
Der Mann schaute zu ihr hinauf. Er schien sie hinter dem Glas wiederzuerkennen und begann zu winken und winkte. Susanne saß nun hinter ihm auf dem Motorrad, die Hände vor seinem Brustbein verschränkt. Sie bemerkte seinen Blick und sah ebenfalls zum Fenster hinauf. Sie lächelte unter dem dunklen Helm (kann Phoebe das noch erkennen?), ihre Augen konnte Phoebe nicht sehen. Auch das Mädchen begann nun, zu winken, eine unbeholfene Geste, die sie selbstsicher wirken lassen sollte, wie auf einer der Feiern ihrer Großelter, auf denen sie niemanden kannte. Irgendwann fuhr das Motorrad an, rollte langsam los, der Auspuff zitterte und mit ihr die Frau auf dem Sitz. Phoebe sah ihnen lange nach, bis sie nur noch das hohle Röhren des Motors hören konnte.
Leer lag die Straße schließlich da, leer stand auch Phoebe am Fenster, ein Kind, das nach dem Schließen des Schwimmbads noch am Beckenrand verharrte und in das helle, künstliche Engelblau blickte. Sie fühlte bereits die Traurigkeit in sich emporsteigen, sie kam von ihrem Magen her (oder war es das Licht?). Sie hoffte, es könne wahr werden, wenn sie fest genug daran glaubte.
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